Oskar Meding
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Oskar Meding

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VII.

Cosimo hatte seine ersten Tagereisen so sehr beschleunigt, als es immer nur die notwendige Schonung seiner Pferde und der eigenen Kraft möglich machte.

Er brach früh auf und suchte erst bei der völlig herabsinkenden Dunkelheit die Nachtherberge auf, so daß er schon nach einigen Reisetagen über Viterbo hinausgekommen war, und über der kleinen Stadt Vetralla, dem alten Forum Cassli, auf der Via Cassia in die Ausläufer der Sabiner Berge hineinzog.

Er ritt noch im Morgennebel auf der damals von starken Waldungen umgebenen Bergstraße hinter Capranica her, welche zu dieser Jahreszeit wenig besucht war und in jenen Tagen in schlechtem Rufe stand, da sie häufig von den in den Schluchten um den See von Bracciano hausenden Briganten heimgesucht wurde.

Cosimo dachte an keine Gefahr, er hatte ja seine stark bewaffneten Diener bei sich und seine Gedanken waren nur von dem Glück erfüllt, das er in Rom finden und seiner geliebten Giovanna bringen werde.

Immer düsterer und waldiger wurde der Weg. Als er den kleinen Ort Capranica hinter sich gelassen und nun am Fuß der Rocca Romana mit ihren Felsenklüften hinritt, schrak plötzlich sein Pferd zusammen – hinter einer vorspringenden Waldecke an der Biegung des Weges wurden drohende Stimmen hörbar, Waffen klirrten und dazwischen klangen Hilferufe einer weiblichen Stimme.

Cosimo zögerte keinen Augenblick, er befahl, die Packpferde zurückzulassen und ließ seine Diener, als die Tiere an die Bäume der Straße gebunden waren, teils zu Pferde, teils zu Fuß schnell den lärmenden Stimmen folgen.

Als sie die Biegung des Weges erreicht hatten, sahen sie etwa zehn vornehm gekleidete Diener von wildblickenden Briganten umringt, welche einem jeden der Gefangenen, die wenig Neigung zum Widerstand zeigten, den Dolch auf die Brust gesetzt hatten.

In der Mitte dieser Gruppe befand sich eine in schwarzem Samt gekleidete und in einen Überwurf von kostbarem Pelz gehüllte Dame auf einem prächtigen Pferde; ein athletisch gebauter Räuber hatte ihr Pferd am Zügel gefaßt, er versuchte dasselbe nach einem schmalen, in die Bergschluchten hineinführenden Weg fortzuziehen.

Die Dame, deren Haupt ein großer weicher Filzhut bedeckte, stieß bald heftige Drohungen aus, und versprach bald reiche Belohnung, wenn man sie frei ziehen ließe. Der Räuber aber achtete nicht darauf und hatte das Pferd seiner Gefangenen schon bis zum Rande der großen Straße an den Waldweg herangeführt, als plötzlich Cosimo mit gezogenem Degen heransprengte.

Der Räuber stieß einen Fluch aus und wendete sich, den Dolch drohend erhoben, den so unerwartet Erscheinenden entgegen, aber ehe er Cosimo mit seinem Dolch erreichen konnte, hatte dieser ihn bereits mit einem sicheren Stoß in den erhobenen Arm getroffen, so daß er die Waffe fallen lassen mußte. Zugleich hatten sich Cosimos Diener auf die übrigen Räuber geworfen, welche nun ihre Gefangenen frei lassen mußten, und diese fanden nun auch bei der plötzlich erscheinenden Hilfe den Mut wieder, sich zur Wehre zu setzen.

Nach einem kurzen Kampfe, bei welchem einer der Räuber schwer verwundet niederstürzte, schien der Führer seine Sache für verloren zu geben, er ließ eine gellende Pfeife, die an seinem Hals hing, ertönen, alle seine Leute drängten sich um ihn zusammen und verschwanden, sich, fest aneinander geschlossen, zurückziehend, auf dem Wege in der Waldschlucht, auf welchen der Räuber die gefangene Dame hatte hinziehen wollen.

Einige von Cosimos Dienern wollten sie verfolgen, er aber verbot es, er befahl, den unbekannten schmalen Weg nicht zu betreten, auf welchem ihm die Banditen überlegen sein mußten, und ritt mit artigem Gruß zu der Dame heran, welche, noch zitternd vor Furcht und Schrecken, auf ihrem unruhig schnaubenden Pferde saß.

Ihre Gestalt war schlank und geschmeidig, ihr Gesicht von wunderbarer Schönheit. Die edlen, jugendfrischen Züge drückten stolze Willenskraft aus, ihre großen bläulich schwarzen Augen schienen wie von innerem Feuer erleuchtet, die reichen, schwarzen Locken quollen unter dem breiten Hut in üppiger Fülle hervor, man hätte sie, als sie das unruhig gewordene, schnaubende Pferd mit der feinen Hand in den weichen Lederhandschuhen trotz ihrer Erregung so sicher beherrschte, für eine kriegerische Amazone halten können, dabei aber lag in dem weichen Blick, mit dem sie ihren Retter ansah, und in dem glücklichen Lächeln der vollen roten Lippen ihres feinen Mundes ein wunderbar süßer Reiz zarter Weiblichkeit.

Cosimo begrüßte sie entblößten Hauptes mit ritterlicher Artigkeit.

»Ich bin glücklich, edle Signora,« sagte er, »daß ich Euch aus den Händen dieser ruchlosen Banditen habe befreien können, und bitte um die Erlaubnis, Euch begleiten zu dürfen, bis Ihr diese unsichere Gegend hinter Euch gelassen habt.«

»Und ich danke dem Himmel,« erwiderte die Dame mit einer weichen, wohllautenden Stimme, »daß er mir Euch gesendet – nehmt meinen innigsten Dank und das Gelöbnis, daß ich niemals Eure Wohlthat vergessen werde. Eure Begleitung würde ich auch ohne Euer Anerbieten erbeten haben, ich hoffe, sie wird Euch nicht belästigen, da unser Weg doch wohl zunächst derselbe bleibt.«

»Und wäre dies nicht der Fall,« sagte Cosimo, mit Bewunderung in das schöne Gesicht mit den wundersam leuchtenden Augen blickend, »so würde ich Euch niemals einer neuen Gefahr überlassen und Euch in Sicherheit bringen, auch wenn ich einen Umweg machen müßte, der ja durch Eure Gesellschaft reichlich belohnt würde,« fügte er galant hinzu – »ich bin auf dem Wege nach Rom und –«

»O,« rief sie lebhaft, »das fügt sich herrlich, auch ich kehre dorthin von einem Ausfluge zurück! So bin ich denn von aller Furcht und Sorge frei, auch von der, Euch, edler Herr, lästig zu werden durch meine Gesellschaft, die ich Eurer ritterlichen Großmut aufdrängen muß.«

Sie zog den Handschuh aus und reichte ihm ihre weiße Hand mit den rosigen Fingern und den feinen bläulichen Adern.

Er führte diese schöne Hand, die einem Bildhauer zum Muster hätte dienen können, artig an seine Lippen, ihre Augen flammten bei seinem Kuß höher auf und er fühlte einen innigen Druck ihrer weichen Finger, die sich nur langsam und zögernd wieder zurückzogen.

»Ah,« rief sie dann, sich schnell abwendend, »da bist du ja, mein Piccolo, du magst wohl nicht wenig Angst ausgestanden haben vor den wilden Banditen, und wirst mit mir dem edlen Herrn hier dankbar sein, der uns von jenen befreit hat.«

Sie beugte sich herab zu einem Zwerge, wie sie damals in den vornehmen Häusern gehalten wurden, der auf einem zierlichen Pferdchen zu ihr heran geritten war.

Das kleine Wesen war eine seltsame Erscheinung, die ebenso sehr zum Lachen reizen, als Mitleid erwecken konnte. Die magere und zierliche Gestalt, von der Größe eines siebenjährigen Knaben, war im Ganzen im richtigen Verhältnis gewachsen, nur schienen die Arme etwas zu lang, und der Kopf saß auf dem kurzen Halse etwas zu tief in den Schultern. Das Gesicht von vollem starkem Haar umrahmt, zeigte, trotz der Kleinheit, in feinen Zügen ein Alter von wenigstens fünfunddreißig Jahren und sowohl durch diesen Gegensatz zu der kinderhaften Gestalt, als durch ein außerordentlich lebhaftes Mienenspiel, hatte es etwas affenartiges, das bald komisch, bald unangenehm berührte.

Der Blick der tiefliegenden dunklen Augen war bald scheu und lauernd, bald hochmütig und tückisch boshaft, und ein kleines dünnes, aufwärts gedrehtes Bärtchen bedeckte die schmale Oberlippe.

Der Zwerg trug einen auffallend reichen und buntfarbigen Anzug, kostbare Straußfedern auf dem Hut, einen zierlichen Degen an der Seite und einen Überwurf, mit kostbarem Pelz gefüttert, um die Schultern; sein kleines, ganz zu seiner Größe passendes Pferdchen war reich aufgezäumt und mit einer goldgestickten Schabracke bedeckt.

»Bei Gott, edle Signora,« erwiderte Piccolo, die Hand der Dame küssend, mit einer etwas heiseren und quäkenden Stimme – »es war eine große Gefahr für Euch, für mich nicht, denn ich kenne die Furcht nicht – es waren der Räuber zu viele, und Eure Bedienten sind elende Feiglinge, daß sie sich sogleich haben einschüchtern lassen, ohne nur die Waffen zu gebrauchen – Ihr solltet sie alle fortjagen, denn sie verdienen gar nicht, in Eueren Diensten zu stehen. Euch aber,« sagte er, mit seinem kleinen Pferdchen zu Cosimo heranreitend, »danke ich ebenso, wie es die edle Dame gethan, für Euern Beistand, der Euch freilich nicht schwer wurde, da Ihr ja nun die Übermacht hattet.«

Er streckte seine langen Arme aus und blickte mit hochmütig herablassender Miene zu Cosimo empor, der ihm lächelnd, aber artig von seinem Pferde herab die Hand reichte.

»Du bist nicht liebenswürdig, Piccolo, gegen unsern Befreier,« sagte die Dame. »Verzeiht ihm, edler Herr, er ist nicht geneigt, fremdes Verdienst hoch anzuerkennen, und seid überzeugt, daß ich Euern Beistand zu seinem vollen Wert zu schätzen weiß,« fügte sie hinzu, indem ihr feuriger Blick über Cosimos schlanke Gestalt glitt. »Doch jetzt laßt uns unsern Weg fortsetzen, wir haben nun wohl keinen Angriff zu befürchten, aber es drängt mich doch, aus diesen gefährlichen Bergen heraus zu kommen.«

Sie ritten vorwärts, die Diener folgten in einiger Entfernung. Piccolo trabte neben seiner Herrin her.

»Erlaubt, edle Dame,« sagte Cosimo, »daß ich Euch sage, wem Ihr die Ehre erweist, Euch begleiten zu dürfen.«

»Zum Teil möchte ich's erraten –« fiel die Dame lächelnd ein, »tragen Eure Diener nicht die Farben der Medici?«

»So ist es,« erwiderte Cosimo, »doch gehöre ich ihrem Hause nur von der Mutter Seite an – Lorenzo de Medici ist mein Oheim, ich reise in seinem Auftrage und stehe in Rom im Dienste seines Hauses.«

Er nannte seinen Namen.

Die Dame rief freudig:

»Ich erwartete nicht, daß mein ritterlicher Beschützer dem erlauchten Hause der Medici so nahe steht, doch um so mehr freut mich, unter so edlem Schutz die Reise fortsetzen zu dürfen.«

»Nun,« fuhr sie dann nach kurzem nachdenklichem Zögern fort, »wäre es eigentlich wohl meine Pflicht, Euch auch meinen Namen zu nennen, aber ich bitte Euch, mir zu erlauben, ein Geheimnis zu bewahren, das nicht das meinige ist, da ich im Auftrage eines Verwandten, dem ich Gehorsam schuldig bin, eine Reise gemacht habe, die nicht bekannt werden soll. Ich selbst würde kein Geheimnis vor Euch haben,« sagte sie mit innig warmem Ton, »und es soll, das, verspreche ich Euch, bald die Zeit kommen, daß der Schatten zwischen uns, der bei Gott kein Mißtrauen ist, verschwinden wird. Für jetzt bitte ich Euch, mich nur mit dem Namen Lucretia zu nennen, den mir die heilige Taufe gab – das ist ja der Name, bei dem sich gute Freunde untereinander am liebsten nennen, und Freunde, das hoffe ich, das sind wir geworden und werden es bleiben.«

»Gewiß,« erwiderte Cosimo, indem er ihre Hand küßte, die sie ihm, sich herüberneigend, reichte – »ich bedarf keines andern Namens, um stets zu Euern Diensten bereit zu sein.«

Sie ritten heiter plaudernd weiter.

Lucretia sprach von Rom und allen Verhältnissen dort mit so genauer und sicherer Kenntnis, daß Cosimo, der ja erst kurze Zeit in der weltbeherrschenden Tiberstadt weilte, gespannt zuhörte, und manche Frage that, die sie bald ernst, bald mit feinem spöttischem Witz über diese und jene Persönlichkeit beantwortete; sie entwickelte dabei so viel sprudelnden Geist, so viel feine Menschenkenntnis, und eine so vielseitige, fast gelehrte Bildung, daß Cosimo durch die Unterhaltung, die sie mit der leichten Sicherheit und Vertraulichkeit einer alten Freundin führte, ganz entzückt war, und die sehnsüchtige Ungeduld vergaß, die ihn vor kurzem noch nach dem Ziel seiner Reise getrieben hatte.

Sie kamen gegen die Mittagsstunde hin nach der alten etruskischen Stadt Sutri, welche sich auf einem inselartig aufragenden Plateau von Felsen erhebt und in der alten Römerzeit das Thor und der Schlüssel von Etrurien genannt wurde, weil von dem Fuße der Felsenhöhe zwei furchenartige Einschnitte in das Land hin führen, welche von einrückenden Truppen nicht passiert werden konnten, wenn nicht die Stadt vorher genommen war.

Es war ein wunderbar schönes Bild, diese wie aus dem Felsen herausgewachsene Stadt vor den dahinter liegenden waldigen Bergen zu sehen.

Lucretia hielt ihr Pferd an, blickte bewundernd hinauf und sagte:

»Hier könnte man sich wahrlich in die alte römische Zeit versetzt glauben, an die man in dem heutigen Rom kaum noch erinnert wird. Die alte Felsenstadt dort oben hat wohl schon den Galliern getrotzt, als Brennus Rom bedrängte, und auch die Gothen sind hier vorbeigezogen, um der Weltherrschaft der Cäsaren ein Ende zu machen.«

Auch Cosimo war bewegt durch ihre Worte und beide blickten eine Zeitlang schweigend nach den Felsenmauern hinüber.

»Wir müssen hier die Pferde rasten lassen,« sagte er dann, »und werden zwei Stunden brauchen, um die Reise fortzusetzen.«

»Zwei Stunden?« rief Lucretia. »Nein, nein, das genügt nicht, es sind wunderbare Dinge zu sehen da oben, und ich erinnere mich einmal früher, als halbes Kind noch, dort gewesen zu sein, und möchte wohl, zum Dank für Euern Schutz, Eure Führerin sein im wundersamen Reich der Vergangenheit, das die Felsenstadt dort einschließt; auch bin ich ermüdet, der Schrecken und die Angst haben mich angegriffen, ich bedarf der Ruhe, die Tage sind noch kurz, wir würden heute doch nicht viel weiter kommen, laßt uns hier bleiben bis morgen früh.«

Cosimo zögerte mit der Antwort.

Giovannas Bild stiegt vor ihm auf, jede Verlängerung der Reise hielt ihn ja von dem Glück des Wiedersehens fern, aber Lucretia hatte bereits ihr Pferd in Bewegung gesetzt, er sagte sich, daß sie vor der frühen Dunkelheit doch nicht viel weiter kommen würden und auch schwer ein besseres Nachtquartier finden könnten.

Da er für die Dame, die er unter seinen Schutz gestellt, zu sorgen die Pflicht hatte, so ritt er ohne Widerspruch an ihrer Seite weiter, den Felsenweg zur Stadt hinauf.

Sie zogen durch das alte etruskische Nordthor in die Stadt ein, deren aus Tuffsteinblöcken aufgemauerte Häuser noch ganz an das Altertum erinnerten. Das Thor trug den Namen des Furius Camillus, der schon ungefähr vierhundert Jahre vor Christi Geburt das alte Sutrium für die Römer erobert haben soll.

In die Häuserwände eingelassen zeigten sich Säulen und Reste von antiken Skulpturen und Lucretia wurde nicht müde, ihren Begleiter auf alle diese Spuren vergangener Jahrhunderte aufmerksam zu machen. Die Einwohner blickten wohl etwas verwundert den glänzenden Zug an, welcher die Straßen der sonst zu jener Zeit wenig besuchten Stadt durchzog, aber sie gaben in stolzer Zurückhaltung kein Zeichen von zudringlicher Neugier und begnügten sich, die schöne Dame und den so vornehm blickenden jungen Mann an ihrer Seite mit ruhigem Ernst zu begrüßen.

Nur einige Kinder konnten das Lachen nicht lassen, über die possierliche Erscheinung des kleinen Piccolo, der, stolz aufgerichtet, auf seinem kleinen Pferde, mit der Miene eines Triumphators, in die alte Stadt einzog und herablassend die an seine Herrin gerichteten Grüße erwiderte.

Auf Cosimos Frage wurden die Reisenden nach einer Osteria auf dem Marktplatze gewiesen.

Der Wirt erklärte, daß er wohl imstande sei, die Herrschaften aufzunehmen, nur müsse die Dienerschaft sich auf die Räume in den Stallungen beschränken.

Cosimo und Lucretia, denen der Zwerg folgte, führte er über eine steinerne Treppe nach dem ersten Stockwerk des altertümlich gebauten Hauses und öffnete für dieselben eine Reihe von vier zusammenhängenden Zimmern mit gewölbten Decken und kleinen spitzen Fenstern, die einfach, aber behaglich und wohnlich eingerichtet waren.

Cosimo trat erschrocken zurück.

»Dies ist für die Dame,« sagte er, gebt mir ein anderes Gemach und wäre es auch klein und unbequem, ich mache keine großen Ansprüche.«

Der Wirt sah die beiden verwundert an, während Lucretia errötend die Augen niederschlug.

»Ein Schlafgemach,« sagte er, »kann ich dem gnädigen Herrn noch anbieten auf der anderen Seite des Korridors, aber freilich ist es nicht so gut wie diese Räume hier.«

»Gleichviel, gleichviel,« erwiderte Cosimo schnell, »führt mich dort hin und sorgt für ein Mahl so gut Ihr es herrichten könnt. Ihr werdet der Ruhe bedürfen, edle Dame,« fuhr er zu Lucretia gewendet fort, »ich bitte Euch, mich zu benachrichtigen, wenn Ihr mir erlauben wollt, mit Euch zu speisen.«

»Es bedarf nur einiger Augenblicke,« erwiderte Lucretia, »um meinen Anzug ein wenig zu ordnen, in einer halben Stunde stehe ich zu Eurer Verfügung.«

»Und Ihr,« sagte sie zu dem Wirt, »sorgt für einen Führer, ich erinnere mich, daß Eure Stadt viele merkwürdige Altertümer hat.«

»Gewiß,« erwiderte der Wirt eifrig, »da sind die alten etrurischen Gräber, die Kirche Madonna del Parto, das alte Amphitheater und die Grotta d'Orlando – ich werde Euch einen meiner Leute mitgeben, um Euch das alles zu erklären.«

Cosimo verbeugte sich und folgte dem Wirt, der ihm ein kleines Zimmer öffnete und versprach das beste was er vermöchte für das Nachtmahl der Herrschaften zu schaffen.

»Wie seltsam,« sagte Cosimo, »welch ein sonderbares Reiseabenteuer! Da bin ich der Beschützer einer fremden Dame, deren Namen ich nicht einmal kenne! Doch gleichviel, es ist Ritterpflicht, ihr das Geleit zu geben. Wofür mögen die Leute uns halten? wie peinlich muß es ihr gewesen sein, daß der Wirt uns eine gemeinsame Wohnung anwies? Wie schön sie ist –« rief er sinnend, »wie frisch und fröhlich und unbefangen – fast ist mir zu Mut, als hätte ich sie lange gekannt – vielleicht wird sie einmal eine Freundin meiner Giovanna. Giovanna,« sagte er seufzend, »die Arme muß nun etwas länger auf die Botschaft warten, die ich ihr bringe, aber morgen bis zum Abend werden wir dennoch Rom erreichen und sie muß mir danken, daß ich einer Hilfebedürftigen ihres Geschlechts meinen Schutz gewähre. Wie wunderbar diese Blicke ihrer dunklen Augen in die Seele dringen – haben sie doch fast Giovannas Bild zurückgedrängt, wie in einen Schatten, neben diesem leuchtenden Blick, und doch strahlt das reine sanfte Licht aus Giovannas Augen hell wieder auf in seinem ruhigen, freundlich erwärmenden Schimmer, wie der Leitstern meines Lebens.«

Er zog aus seinem Wams ein goldenes Etui, öffnete es und drückte seine Lippen auf eine trockene Rose.

Es war die Blume, die ihm Giovanna aus dem von Francesco Pazzi ihr gebrachten Strauß gegeben und die er als heilige Erinnerung an das erste Geständnis ihrer Liebe aufbewahrte.

»Dies ist mein Talisman,« sagte er mit glücklichem Lächeln, »und hätten die Augen der schönen Lucretia dämonische Gewalt, sie müßten ohnmächtig bleiben vor der heiligen Liebeskraft, die allen Zauber bannt.«

Er ließ seinen Diener rufen, um seinen Anzug vom Staube der Reise und die Klinge seines Degens vom Blut des Räubers reinigen zu lassen.

Er war kaum damit fertig, als Piccolo erschien, um ihn zu seiner Herrin zu rufen.

»Kommt,« sagte Lucretia, ihm entgegen tretend, »laßt uns gehen, unser Führer ist bereit, und mich drängt es, Euch die merkwürdigen Altertümer der Stadt zu zeigen, deren Erinnerung jetzt lebhaft wieder in mir aufsteigt. Du, Piccolo, bleibe hier, ruhe dich aus, und achte darauf, daß unser Tisch gedeckt sei, wenn wir wiederkommen.«

»Ich bin nicht müde,« sagte Piccolo mürrisch, mit einem feindlichen Blick auf Cosimo, »der Ritt den wir heute gemacht, hat mich nicht mehr angestrengt wie diesen Herren hier.«

»Du bist ein Kind,« sagte sie lachend, »und hast seine Kräfte überschätzt – ich muß dafür sorgen, daß du wohlbehalten nach Rom kommst, ich befehle dir also, hier zu bleiben und mein Haushofmeister zu sein, um für eine gut gedeckte Tafel zu sorgen.«

Piccolo wandte sich murrend ab und warf sich in einen Lehnstuhl.

Lucretia ging mit Cosimo hinaus.

»Er ist wie ein Schoßhund,« sagte sie lachend, als sie die Treppe hinabstieg, »er möchte niemals von meiner Seite weichen und doch würde ihm der Weg durch die Felsen zu schwer werden.«

Unten wartete ein Hausdiener des Wirtes und führte die beiden durch die Straßen, in denen Lucretia mehrmals vor altertümlichen Häusern stehen blieb, um Cosimo auf die merkwürdigen Überreste vergangener Zeiten aufmerksam zu machen, nach der Porta Romana hin, vor welcher der Weg nach Rom in ein Felsenthal hinabführte.

Überall sah man im Felsen Grabsteine mit alten eingehauenen Inschriften. Endlich kamen sie an eine senkrecht neben dem Wege aufsteigende Felsenwand, deren Höhe mit alten Eichen bewachsen war.

Über einer schmalen Öffnung waren in den Stein gehauen die Worte zu lesen:

Qui ferma il passo, il luogo è sacro – Hier Halte den Schritt an, der Ort ist heilig.

»Hier ist es,« rief Lucretia ganz freudig, »ich erkenne alles wieder und erinnere mich noch ganz genau des Eindrucks, den dieses Felsengeheimnis als Kind auf mich machte.«

»Dies ist,« sagte der Führer, vor der Öffnung stehen bleibend, »die Kirche Madonna del Parto, wahrscheinlich ein altes Grabmahl, das dann die ersten Christen zu ihren Andachten benutzten und das jetzt der heiligen Madonna geweiht ist.«

Er trat durch den Eingang voran.

Lucretia folgte, Cosimo die Hand reichend, als ob sie ihn führen wolle.

Der Raum, den sie betraten, und in dem sich das Auge erst an die Dunkelheit gewöhnen mußte, war eine hohe Wölbung, durch Pfeiler in drei Schiffe geteilt. Im Hintergrunde befand sich der Altar, daneben vor der Thür der verschlossenen Sakristei die ewige Lampe. Auf dem mit Brokatteppichen geschmückten Altar brannten zwei mächtige Kerzen vor einem Bilde der Madonna. Das ganze, aus dem lebendigen Felsen gehauen, machte einen wunderbar ergreifenden Eindruck. Das Tageslicht fiel dämmernd durch den Eingang hinein und die Altarkerzen und die Lampe warfen eigentümliche phantastische Reflexe auf die Steinwand.

»Nicht wahr,« sagte Lucretia, Cosimos Hand drückend, »das ist schön, wunderbar schön, wie man es kaum irgendwo wiederfinden könnte und Ihr werdet nicht bereuen, mir gefolgt zu sein, als ich Euch bat, hier eine längere Rast zu halten.«

»Ich danke Euch dafür,« sagte Cosimo bewegt, »ich habe noch nie Ähnliches gesehen und werde diesen Eindruck niemals vergessen.«

»So bin ich doch gewiß,« erwiderte Lucretia neckend, aber doch mit einem wundersam innigen Ton, »daß Ihr eine Erinnerung wenigstens an unsere Begegnung behaltet.«

»Es ist,« sagte Cosimo, in dem seltsam beleuchteten Räume umherblickend, »als ob hier die vergangenen Jahrhunderte vor uns heraufstiegen und als ob diese Jahrhunderte in heiliger Offenbarung zu uns sprächen. Ein Grab ist es gewesen, für die starre Todesruhe bestimmt und dann ist doch die Auferstehung und das Leben hier eingezogen, um bis in diese Grabhöhle hinein die frohe Botschaft zu tragen – Ist das nicht ein Bild der ganzen Welt und des Menschenlebens, das auch bis in seine dunkelsten Tiefen durch das Licht des Glaubens erleuchtet und von der Macht des Todes befreit wird?«

»O, ich wußte es wohl,« rief Lucretia freudig, »daß Ihr den Eindruck dieser Stätte empfinden würdet wie ich, freilich versteht Ihr Eurer Empfindung besser Worte zu geben, die in meinem Herzen immer wiederklingen werden. Doch wir vergessen,« fügte sie auf den Führer deutend hinzu, der, sich vor den Altar verneigend, das Knie beugte, »dem Heiligtum unsere Ehrfurcht zu bezeugen.«

Sie führte Cosimo, immer seine Hand festhaltend, durch die mittelste Säulenreihe bis vor den Altar hin.

Hier kniete sie, zu dem von Kerzenlicht unsicher beleuchteten Madonnenbilde aufblickend, nieder und bewegte, während Cosimo an ihrer Seite das Knie beugte, in leise flüsterndem Gebet die Lippen.

Eine tiefe Stille herrschte in dem Felsengewölbe. Beide hörten nur ihre Atemzüge und den leisen Hauch von Lucretias Lippen.

Cosimo war ergriffen.

Auch Lucretia schien tief bewegt, durch diesen so eigentümlich feierlichen Augenblick.

Sie drückte Cosimo die Hand. Fester, wie selbstvergessend, lehnte sie sich an seine Schulter und lauter als bisher verständlich, klang es von ihren Lippen:

»Sanctissima Madonna, ora pro nobis

Cosimo fühlte sich eigentümlich durchschauert, als er hier in der stillen Einsamkeit in der Felsgrotte, an der Seite der ihm vor kurzem noch ganz Fremden, vor dem Altar kniete und im gemeinsamen Gebet vor dem Allerhöchsten mit ihr vereinigt war.

Sie wendete die Augen von dem Bilde ab und sah, ihr Haupt fest auf seine Schulter neigend, mit einem wunderbar glühenden, wie kindlich bittenden und fragenden Blick zu ihm auf. Es schien, als ob dieser Blick mit magnetischer Gewalt ihn zwang, sich zu ihr zu wenden und der Zauber, der in ihren Augen lag, konnte an dieser Stelle wohl keine dämonische Kraft haben, aber so sanft und weich ihre Blicke waren, so bannten sie doch seine Augen, die er nicht abzuwenden vermochte.

Dann sprang sie schnell auf und trat tief aufatmend zu einem Pfeiler hin, als ob sie dessen überneigende Wölbung näher betrachten wolle. Auch Cosimo war befangen und eine Zeit lang fanden beide den Ton leichter Unterhaltung nicht wieder. Sie hörten schweigend dem Führer zu, der sie auf einige im matten Licht kaum erkennbare Fresken aufmerksam machte, welche vor etwa zweihundert Jahren hier gemalt sein sollten. Dann wendeten sie sich wieder dem Ausgange zu. Cosimo atmete leichter auf, als er in das freie Sonnenlicht hinaustrat, Lucretia warf noch einen Blick in die Kapelle zurück und beide folgten dann eine Zeit lang schweigend dem Führer, der sie weiter bis zu einer Felsenecke führte.

Hier befand sich ein ebenfalls in Felsen gehauenes und fast vollständig erhaltenes Amphitheater, von dem der Führer bemerkte, daß es aus einer Zeit stamme, zu welcher man in Rom noch kein steinernes Theater gehabt habe.

Dies führte sie wieder zu einer allgemeinen Unterhaltung zurück und Lucretia plauderte wieder heiter und lebhaft wie vorher, doch schien sie es in einer gewissen Befangenheit zu vermeiden, die Augen zu Cosimo aufzuschlagen.

An einer Reihe von Felsgräbern mit uralten Skulpturen vorüber schritt ihnen der Führer durch ein dichtes Gehölz voran.

Am Ende desselben öffnete sich abermals der Felsen durch einen größeren bogenförmigen Eingang.

»Dies ist die Grotta d'Orlando,« sagte der Führer, als sie in die ebenfalls in den Stein gehauene, aber von keinen Pfeilern gestützte Wölbung traten.

»Ja, ja, ich erinnere mich,« rief Lucretia lebhaft, »hier hat der große Held Orlando, bei dem Zuge Kaiser Karls des Großen nach Rom, einen Augenblick den Krieg vergessen und –«

Sie stockte und neigte errötend den Kopf.

»Ganz recht, edle Dame,« sagte der Führer, »der große unbesiegliche Orlando wurde hier durch die schönen Augen einer Dido von Sutri überwunden. Diese Grotte schmückte er aus zur verborgenen Geheimstätte ihrer Liebe – er vermochte es kaum, sich los zu reißen auf des Kaiser Carolus Magnus Gebot, ihm ohne Zögern nach Rom zu folgen. Die schöne Dido aber starb aus Gram über die Trennung von dem geliebten Helden.«

Sinnend, mit feucht schimmernden Augen, blickte Lucretia in der Grotte umher.

Endlich haftete ihr Blick mit einem tiefen Seufzer auf Cosimo.

»Wie viel unendliches Glück,« sagte sie, »hat diese Grotte hier in sich geschlossen, ein Glück, das um so berauschender gewesen sein muh, weil es sich hier in süßem Geheimnis vor der Welt verbarg.«

Cosimo schüttelte den Kopf.

»Und wie viel Jammer,« sagte er, »ist diesem schnell wie in träumendem Rausch vorüber geflogenen Glück gefolgt! Die schöne Dido ist gestorben in verzweiftungsvoller Sehnsucht und wenn Orlando war, wie er sein mußte – so wird diese Erinnerung als ein dunkler Schatten in seiner Seele geblieben sein.«

»O,« rief Lucretia, »ist der Tod ein zu hohes Opfer für das höchste Glück, welches das Leben bieten kann? Und,« fügte sie mit blitzenden Augen hinzu, »so gar groß muß ihre Liebe nicht gewesen sein, sonst hätte Orlando sie nicht verlassen, sonst hätte sie es wohl verstanden, die Flammen des wonnigen Rausches nicht erkalten zu lassen.«

»Und wäre es,« fragte Cosimo, »ihr gelungen, den Helden in dieser Grotte festzuhalten, so hätte sie ihn hinabgezogen von der glänzenden Bahn seines Ruhmes, der Jahrhunderte lang die Welt durchtönte und sie hätte ihm schlimmeres angethan als den Tod. Die Liebe, die in der Verborgenheit ihren Reiz sucht, kann kein Herz fesseln, das in edlem Feuer danach ringt, den Vorbildern der großen Helden der Geschichte nachzustreben. Das an der Erde hinkriechende Moos blüht wohl auch zuweilen in bunten Farben, aber die edle Rose strebt auf und bedarf des freien Sonnenlichts, um ihre duftenden Blüten zu entfalten.«

Seine Augen strahlten in klarem Licht; hoch richtete er sich auf und seine Worte klangen hell durch die Felsengrotte.

Lucretia blickte voll Bewunderung zu ihm auf, in dunkler Glut flammten ihre Wangen, Sie eilte zu ihm hin und drückte ihre Lippen in heißem Kuß auf seine Hand.

»Was thut Ihr, edle Signora?« rief Cosimo, erschrocken zurücktretend.

»Ich huldige,« rief sie, »dem ritterlichen Heldensinn, der aus Euern Worten spricht und den man so selten noch in dieser Welt findet, in der List und Heuchelei an die Stelle des stolzen Mutes und der siegesgewissen Kraft getreten ist. Fast glaube ich in Euch den großen Orlando vor mir zu sehen und – ich verstehe das Glück und das Leid der Dido.«

Sie hatte die letzten Worte gesenkten Hauptes mit fast erstickter Stimme gesprochen und drückte zitternd, mit niedergeschlagenen Augen, die Hand auf ihr Herz.

»Orlando zu gleichen,« sagte Cosimo lächelnd, »werde ich wohl niemals vermögen, ihm nachzustreben aber soll das Ziel meines Lebens sein. Doch je mehr ich so hohen Zielen nahe kommen mag, um so fester werde ich darauf halten, daß die Huldigung der ritterlichen Kraft der Schönheit und Anmut gebührt, welche großes Streben zu verklären und zu großen Thaten zu begeistern vermag.«

Er nahm ihre Hand und küßte dieselbe ehrerbietig.

»Nun aber,« sagte er dann, »wird es Zeit sein, edle Signora, nach der Stadt zurückzukehren – die Sonne senkt sich hinter die Felsenhöhen, Ihr vor allem werdet der Erquickung und der Ruhe bedürfen, denn zu früher Stunde müssen wir morgen aufbrechen.«

Sie folgte ihm schweigend, als er die Grotte verließ.

Auf dem Felswege, der wieder zur Stadt hinaufführte, nahm sie seinen Arm, um sich zu stützen, und sie schien glücklich, sich an den hochgewachsenen jungen Mann anschmiegen zu können, der fest und sicher über das Gestein dahin schritt. Beide sprachen wenig und hörten fast schweigend dem Führer zu, der ihnen erzählte, daß hier in der Felsenstadt Sutri einst der deutsche Kaiser Heinrich eine Kirchenversammlung gehalten habe, in welcher er den Streit zwischen den drei Päpsten, welche auf den Stuhl St. Peters Anspruch machten, erledigte.

Sie fanden in der Osteria eine für die Verhältnisse der entlegenen Stadt zierliche und lockende Tafel in Lucretias Zimmer gedeckt.

Der kleine Piccolo schalt mit dem Wirt und seinen Leuten und beklagte sich bitter, daß diese seinen Befehlen nicht den schuldigen Gehorsam bewiesen und sich sogar erlaubt hätten, über ihn zu lachen und ihn wie ein Kind zu behandeln.

Lucretia tröstete den Kleinen neckend und gewann ihre leichte und sichere Heiterkeit wieder, so daß sie bei dem gut besetzten Mahl, das der Wirt hergerichtet hatte, Cosimos ernste Miene durch ihre geistvolle, von Witz und Laune sprudelnde Plauderei verscheuchte.

Noch während der Mahlzeit wurden die Kerzen aufgestellt, die spielenden Flammen ließen das so ausdrucksvolle Gesicht Lucretias noch schöner und reizvoller erscheinen. Der kleine Piccolo mischte sich, wie ein unartig verzogenes Kind, häufig in das Gespräch mit Bemerkungen voll herausfordernder Bosheit gegen Cosimo, über welche dieser mitleidig lächelte, die aber von Lucretia oft mit schärferen Verweisen, als der Kleine sie sonst gewohnt sein mochte, zurückgewiesen wurden. Er suchte seinen Ärger darüber, durch den vortrefflichen Wein aus dem Keller der Osteria, zu vertreiben, und die Folge davon war, daß er sich einen Rausch antrank, der seine ganze Erscheinung mit dem alten, mürrischen und vom Wein geröteten Gesicht auf der winzigen Kindergestalt, noch seltsamer und komischer erscheinen ließ.

Als das Mahl beendet war, befahl Lucretia einem der Diener, den Kleinen zu Bett zu bringen.

Piccolo widersprach, trat heftig mit dem Fuß auf den Boden, aber er wagte nicht, dem bestimmt wiederholten Befehl ungehorsam zu sein, und ließ sich von dem Diener wie ein Kind an der Hand fortführen, indem er noch einen tückischen, feindlichen Blick auf Cosimo zurückwarf.

Lucretia trat in ein Seitenzimmer, das zu ihrer Wohnung hergerichtet war und bat Cosimo, der sich zurückziehen wollte, noch zu verweilen.

»Wir haben Zeit genug zu schlafen,« sagte sie, »auch wenn wir morgen mit dem dämmernden Tage aufbrechen, und ich liebe es, den Schlaf, der uns einen so großen Teil unseres Lebens raubt, auf das notwendigste Bedürfnis zu beschränken. Die edelste Ruhe findet der Geist im Verkehr mit verwandten Geistern, und in solcher Ruhe möchte ich den heutigen Tag abschließen, der mir Rettung aus der Gefahr und so viel unvergeßlich Schönes gebracht hat.«

Sie öffnete einen mit Leder überzogenen Korb, der vom Gepäck heraufgebracht war, und nahm daraus eine Laute, von feinem Holz mit goldenen Zieraten, kunstvoll gearbeitet. Sie lehnte sich dann auf eine mit Polstern bedeckte Ruhebank, ließ sinnend die Hände über die Saiten gleiten, und begann, nachdem sie einige flüchtige Accorde hatte erklingen lassen, eine der Canzonen Petrarcas, in der Art des mittelalterlichen Minnegesanges, vorzutragen.

Die Musik war keine eigentliche Melodie, sondern ein harmonisches Mittelding zwischen Gesang und Deklamation, ähnlich wie man heute noch die alten französischen Romanzen vorträgt. Sie sprach die wunderbar poetischen Liebesworte vollkommen deutlich und doch waren dieselben getragen von dem vollen Klang ihrer ergreifenden und der verschiedensten Modulation fähigen Altstimme, die bald zu leisem Flüsterton herabsank, bald dann wieder in aufflammender Leidenschaft oder herzerschütternder Klage das Gemach mit höher anschwellendem Ton durchklang, so daß kaum der eigentümliche Reiz der Lieder des Dichters der Liebesglut und der Liebesklage meisterhafter hätte zum Ausdruck gebracht werden können.

Cosimo lauschte entzückt, er hatte Ähnliches noch nie gehört und wagte kaum, als sie ihm die Laute reichte, auch seinerseits eine der zierlichen Sestinen in ähnlicher Weise vorzutragen.

Lucretia war Meisterin auf allen Gebieten der damaligen Musik, sie fanden Wechselgesänge, die sie mit einander ausführten, und wie alle Lieder jener Zeit fast ausschließlich das Glück und Leid der Liebe zum Gegenstand hatten, so war ihre musikalische Unterhaltung ein Austausch von Bitten, Klagen oder Vorwürfen der Liebe, welche alle Lucretia mit solcher Naturwahrheit, so innig, so warm und so lebensvoll in ihren Gesang zu legen wußte, daß die Dichtung sich zur Wahrheit zu gestalten schien und Cosimo sich wie von einem Zauber umfangen fühlte, der ihn alles um sich her vergessen ließ.

Mehr als eine Stunde war so vergangen, als er plötzlich wie erschrocken aufsprang.

»Länger aber, edle Dame, darf ich Eure Ruhe nicht stören, ich danke Euch für die große Freude, die Ihr mir bereitet habt und wünsche, daß Euch der Traum seine holdesten Bilder vorführen möge.«

Sie ließ die Laute ihren in den Schoß gesunkenen Händen entgleiten.

»Der Traum?« sagte sie, »ist nicht das ganze Leben ein Traum, der ebenso schnell verfliegt als die Bilder, welche der Schlaf uns bald drohend, bald lockend vorführt! – Nur einen Vorzug hat der Traum des Lebens vor den Bildern des Schlafs – er ist einmal Wahrheit, lebendige Wahrheit im Augenblick der Gegenwart und kein Schattenbild, nach dem wir im Schlummer vergebens die Hände ausstrecken.«

Sie streckte, wie ihre Worte ergänzend, wirklich ihre Hände aus, wie nach einem schwebenden Bilde, aber Cosimo stand vor ihr, auf ihn hefteten sich ihre Blicke und so schien es, als ob auch zu ihm ihre Arme sich erhöben.

Er nahm ihre Hand, küßte sie ehrerbietig und wünschte ihr noch einmal gute Nacht.

Sie war langsam aufgestanden, ihre Finger schmiegten sich um seine Hand, ihre Blicke schienen sich in seine Augen zu versenken, sie stand so nahe vor ihm, daß ihre atmende Brust ihn fast berührte.

Er hatte einen Augenblick die Empfindung, als ob eine duftende Wolke sich um sein Haupt legte, auch er drückte ihre Hand fester, er neigte sich, wie von magnetischer Kraft angezogen, zu ihr herab, wie durstig öffneten sich ihre purpurnen Lippen – aber plötzlich zusammenschauernd, küßte er noch einmal ihre Hand und, schnell sich umwendend, verließ er das Zimmer.

Sie machte mit ausgestreckten Armen einen Schritt vorwärts, als ob sie ihm nacheilen und ihn zurückhalten wolle. Dann aber sank sie mit einem tiefen Atemzug auf die Ruhebank zurück und bedeckte die Augen mit ihren Händen.

»Orlando –« flüsterte sie, »Dido –.« »O, sie muß dennoch glücklich gewesen sein, wenn sie auch ihr Glück mit dem Tode bezahlte.«

Sie nahm die Laute, und ihre zitternden Finger entlockten den Saiten wundersame Töne, als ob weit, weit von fern her ein klagendes, jubelndes und sehnendes Nachtigallenlied erklänge, aber aus ihrer Brust stieg kein Ton herauf, nur heißen Atemzügen öffneten sich ihre Lippen.


Bevor die Morgenröte über den Waldhöhen der Sabiner Berge aufdämmerte, hatte Cosimo nach unruhigem Schlummer sich von seinem Lager erhoben. Trotz der Ermüdung von der Reise hatte ihm die Nacht nur unruhigen Schlummer gebracht. Seltsame Träume hatten ihn verfolgt und mehrmals aufgeschreckt, Giovanna's Bild war ihm, von rosiger Wolke umschwebt, erschienen, – mit lieblichem Lächeln hatte sie die Botschaft gehört, die er ihr brachte und ihm ihre Hände entgegengestreckt, – dann aber hatte sich die duftige Wolke immer dunkler und dunkler verdichtet, zuckende Blitze fuhren ihm mit krachenden Donnerschlägen entgegen, blutige Gestalten erhoben sich drohend und immer mehr erblassend verschwand das Bild der Geliebten in dem grauenvollen, tobenden Wetter. Dann ertönten, während die schwarze Wolke, vom Sturmwind fortgeführt, in weiter Ferne verschwand, lockende Saitenklänge, dazu Petrarcas Liebeslieder von Lucretias Stimme gesungen, Blumen in glühenden Farben sproßten vor ihm auf und bei ihrem berauschenden Duft fühlte er eine schmerzliche Betäubung, die seine Gedanken verwirrte, bis er endlich in jähem Schreck aus dem Schlaf emporfuhr.

Unwillig suchte er die finstern, wüsten Traumbilder zu verscheuchen, – aber wenn die Ermüdung ihm den gestörten Schlummer wiederbrachte, kehrten sie immer in ähnlicher Weise zurück, so daß er von seinem Lager aufstand und ehe noch im Hause das erwachende Leben hörbar wurde, sich ankleidete, und hinabstieg, die Diener zu wecken, und alles zu frühem Aufbruch vorzubereiten. Die frische Luft that ihm wohl und er lächelte bald selbst über seine Furcht vor den unruhigen Träumen, die er dem Kampf mit den Briganten, den düstern Eindrücken der Felsenhöhlen und dem feurigen Wein zuschrieb. Bald klangen die Töne der Laute und Lucretias liebliche Stimme freundlich in seiner Erinnerung wieder, er fühlte sich trotz des unruhigen Schlafes frisch belebt und ungeduldig, das ersehnte Ziel seiner Reise zu erreichen, ließ er bei dem ersten Schimmer des anbrechenden Tages Lucretia melden, das alles zum Aufbruch bereit sei.

Sie erschien bald, ihr bleiches Gesicht und ihre etwas matten Augen zeigten, daß auch sie nicht die volle Ruhe gefunden haben mochte, aber sie antwortete auf seine Frage, daß sie vortrefflich geschlafen habe und fand bei dem eiligen Frühstück ihre frische Heiterkeit wieder, wenn sie es auch zu vermeiden schien, Cosimos Blicken zu begegnen. Piccolo war sehr unwillig über den frühen Aufbruch; er schalt über die Diener, welche ihm ein schlechtes Lager bereitet und ihn verhindert hätten, sich sorgfältig anzukleiden, wie es einem Herrn wie ihm auch auf der Reise gezieme.

Die Stimmung des Kleinen wurde noch mürrischer, als Cosimo, ihn zur Seite schiebend, Lucretias Steigbügel hielt und mit halblauten Verwünschungen folgte er auf seinem Zwergpferde seiner Herrin, um den Platz an ihrer Seite wieder einzunehmen.

Der Weg führte über Monterosi, wo die Reisenden wieder auf die alte Via Cassia gelangten, von der sie, um in Sutri Rast zu halten, abgebogen waren. Hier verließen sie die waldigen Felshöhen der Sabiner Berge, die Landschaft wurde öder und flacher, Farren- und Haidekräuter bedeckten den Boden, man würde an den Norden erinnert sein, wenn die Vegetation nicht dem Winter des Südens getrotzt und schon das sproßende Grün des Frühlings gezeigt hätte.

Lucretia unterhielt sich lebhaft über die verschiedenen historischen Erinnerungen, die der Weg erweckte und über die Schönheiten, welche die Gegend darbot, aber es klang aus ihren Worten nicht jene leichte, heitere Natürlichkeit wieder wie gestern, und Cosimo schien zuweilen wie aus sinnenden Träumen zu erwachen, wenn er auf ihre Bemerkungen oder Fragen hastig antwortete. Ihr aber mußte diese Zerstreutheit ihres Begleiters nicht eben mißfallen, denn bei seinen oft nicht ganz treffenden Antworten spielte zuweilen ein neckisches, aber doch glückliches und wohlgefälliges Lächeln um ihre Lippen.

Sie kamen an dem alten ausgebrannten Krater vorbei, in welchen der kleine Ort Vaceano mit freundlichen Häusern und Gärten wie in einem Neste gebettet ruht.

»Wie glücklich müssen die Menschen hier sein,« sagte Lucretia – »hier, wo einst die Schrecknisse der Tiefen hervorbrachen, das Leben zu zerstören, finden sie jetzt Schutz vor den Stürmen, welche die stolz ragenden Höhen bedrohen. Fast möchte es lockend erscheinen, von den Gipfeln der Welt hinabzusteigen in diese friedliche Stätte stillen Glückes.«

Cosimo warf einen Blick in die Tiefe hinab und antwortete schnell:

»Nein, da hinab strebt mein Sinn nicht. Auch dort unten sind gewiß alle Leidenschaften, Neid und Mißgunst mächtig, welche aus den Tiefen der Menschenseele hervorbrechen wie die vulkanischen Flammen aus den Tiefen der Erde, hier aber vergiften sie den freien Geist in niedrigem Gezänk, während sie auf den Höhen in stolzem kühnem Kampf den Mut erheben und die Kraft frei machen zu edelster Entwickelung – kommt – ich will Euch nach dieser kleinen eng begrenzten Welt einen Blick zeigen auf die strahlende Höhe, welche über die ganze Erde ihren Glanz verbreitet.«

Er sprengte, sein Pferd spornend, auf der Straße voraus, Lucretia folgte ihm, auf die gellenden Klagerufe Piccolos nicht achtend, dessen Pferdchen bei dem Galopp nicht Schritt halten konnte und beide ritten einen neben der Straße liegenden Hügel hinauf.

Von der Höhe desselben, der unten den Ausblick verdeckte, sah man weit über die öde, gleichmäßige Ebene der Campagna hin, die mit ihren im Winde bewegten Kräutern einem grünlich grauen Meere glich – und von der fast zur Mittagshöhe aufgestiegenen Sonne beleuchtet, erhob sich hinter den Cypressenwaldungen des Monte Mario die strahlende Kuppel des St. Peter-Domes und die wunderbar malerische Umgebung der ewigen Stadt. Man sah die Albaner Berge mit dem Monte Cavo, dahinter das dunkle Volsker-Gebirge mit dem Monte Semprevisa – dann die Umbrischen Apeninnen, ein Panorama, wie es großartiger und reizvoller nicht gedacht werden konnte. Unten in der Tiefe des herrlichen Bildes glänzte das silberne Band des Tiberstroms, zu dessen Ufern seit Jahrtausenden die Völker ziehen, denen der weltlichen und der geistlichen Macht ihre Huldigungen zu bringen.

»Das ist die Welt,« sagte Cosimo, auf die schimmernde Riesenkuppe von Sanct Peter deutend, in welcher auch der Irrtum, ja das Verbrechen groß und erhaben wird, die Welt, in welcher ich meine Arbeit und mein Glück suche!«

»Ihr habt recht,« rief Lucretia, sich zu ihm hinüberbeugend. Sie reichte ihm die Hand und in ihren Augen schimmerte wieder der feuchte Schmelz, wie am gestrigen Abend, als sie sich von ihm trennte.

Dann streckte sie den Arm nach der Ebene hinaus und sprach mit voller, feierlich durch die reine Luft klingender Stimme:

»Alme Sol, curru nitido diem qui
Promis et celas alius que et idem
Nasceris, possis nihil urbe Roma
Visere majus
Erhabene Sonne, die du auf leuchtendem Wagen den Tag heraufführst und wieder verbirgst, die du neu geboren wirst, immer eine andere und doch immer dieselbe, – Nichts größeres vermagst du zu erblicken als die Stadt Rom.

»Bei Gott,« rief Cosimo bewundernd, in ihr schönes Gesicht blickend, das vom Wiederschein des sonnigen Bildes überstrahlt schien, »bei Gott, edle Lucretia, ich hätte nicht geglaubt, daß Ihr so sichere Kenntnis und so feines Verständnis für den großen Horatius Flacius besäßet. Wenn man von diesem Hügel herab auf die ewige Stadt blickt, so müßte man glauben, daß der Dichter an keinem andern Ort jene schöne Strophe geschaffen habe.«

»Ihr wundert Euch über meine Kenntnis?« fragte Lucretia – »darüber müßte ich fast zürnen, weiß ich doch, daß die Damen in Florenz die Dichter des Altertums fast noch eifriger zu lesen verstehen, als die Werke unserer Zeitgenossen – und ich, eine Römerin, sollte den größten Dichter aus Roms herrlichster Zeit nicht kennen und verstehen? Doch ich verzeihe Euch, da Ihr meine Vaterstadt so hoch schätzt, als das Symbol für das Ziel edlen Strebens und ich wünsche von Herzen,« fügte sie mit leicht zitternder Stimme hinzu, »daß Ihr dort das herrlichste – das süßeste Glück finden möget.«

Piccolos Geschrei unterbrach das Gespräch. Sein kleines Pferd, das eigensinnig den Hügel nicht hinaufsteigen wollte, schüttelte wiehernd den Kopf und drehte sich im Kreise, während der Zwerg, sich an die starke Mähne klammernd, um Hilfe rief.

Cosimo ritt den Hügel hinab, faßte den Zügel des sonst so frommen Pferdchens und Lucretia strafte, als sie herankam, den scheltenden Piccolo mit einem Streich ihrer Reitgerte, dann wurde die Reise fortgesetzt bis nach La Storta, wo eine Rast von einer Stunde zur Erholung und Fütterung nötig war. Lucretia war stiller geworden, sie schien schmerzlich bewegt und zuweilen fuhr sie wie zufällig mit der Hand über die Augen, als ob sie eine Thräne zerdrücken wolle. Die Osteria, in der sie eine Erfrischung von Wein, Früchten und Brot nahmen, war von Landleuten der Gegend stark besucht, so gingen die Beiden hinaus, um nach der Stätte des alten Veji hinüber zu blicken, jener alten, etruskischen Stadt, welche dem aufstrebenden Rom harten und trotzigen Widerstand entgegenstellte und dafür mit der Zerstörung durch den Diktator Camillus bestraft wurde.

»Es schmerzt mich,« sagte Lucretia, ihre Hand auf Cosimos Arm legend, »daß Ihr mich für undankbar halten möchtet, da ich von Euch scheide, ohne Euch zu sagen, wer ich bin, – aber ich wiederhole Euch, das Geheimnis, das ich jetzt noch bewahren muß, ist nicht das meine, – bald aber werde ich es vermögen, den Schleier zu heben und Ihr, nicht wahr – Ihr versprecht mir meinem Ruf zu folgen, wenn ich Euch eine Botschaft sende? Ich will meinem Retter aus den Händen der Räuber nicht eine verschwindende Erinnerung bleiben.«

Sie blickte mit ihren großen, feucht schimmernden Augen fragend zu ihm auf, als ob sie bangend seine Antwort erwartete.

»Verschwinden,« sagte er, »würde diese Erinnerung nie, auch wenn mir nicht das Glück zu teil würde, meine schöne und gelehrte Führerin zu der Madonna del parto und der Grotta d'Orlando wieder zu sehen, aber schöner wird das Wiedersehen sein, Ihr habt mir ja versprochen, daß wir Freunde sein wollen und ich hoffe, wir werden es bleiben – wir – und auch –«

Er stockte, sie bemerkte es nicht und drückte ihm innig die Hand.

»Auf Wiedersehen also,« sagte sie leise, und dann sprach sie heiter und lebhaft von den Ruinen des alten Veji, bis die Diener meldeten, daß die Pferde bereit seien. Piccolo war in der Osteria zurückgeblieben, er war durch den besten Wein des Wirts über die Züchtigung seiner Herrin getröstet und wurde von den Dienern vorsorglich in den Sattel gehoben.

Sie ritten schweigend, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, durch die öde und düstere Landschaft der Campagna, deren Einförmigkeit nur durch einzelne Ruinen unterbrochen wurde, und durch die Herden der silbergrauen Stiere mit den mächtigen, weit auseinander stehenden Hörnern, welche die Reiter in ihren Spitzhüten, die rote Binde um den Leib und die starken gespornten Reiterstiefeln an den Füßen, mit ihren Lanzenspitzen über die Steppe hintrieben. Weiter ab vom Wege sah man bei den Schafherden die Hirten stehen, auf ihren langen, unter die Achsel gestemmten Stab sich stützend, den breiten Hut auf dem dichten schwarzen Haar, den Schafpelz über den Schultern und den zottigen, weißen Wolfshund zur Seite, der zuweilen, eintönig bellend, die Herden umkreiste. Es schien, als ob die glanzvolle, weltbeherrschende Stadt sich mit einer düsteren Stille umgeben habe, um die Ehrfurcht der Nahenden zu erwecken. Erst nahe vor dem Ponte Mallo wurde die Landschaft freundlicher, bis die Reisenden endlich bei herabsinkender Dämmerung durch die Porta del Popolo in die ewige Stadt einritten. Die Piazza del Popolo war damals freilich nicht zu vergleichen mit ihrem heutigen Aussehen, der Obelisk war dort noch nicht aufgestellt und neben dem alten, jetzt völlig verschwundenen Augustinerkloster, näherte sich erst die Kirche Santa Maria del Popolo, unter der Leitung des Florentiner Baumeisters Burcio Pontelli, der Vollendung – aber immerhin stach der Platz auch in seiner damaligen Erscheinung stark von der öden Steppe der Campagna ab.

Lucretia hielt ihr Pferd an.

»Erlaubt mir, daß ich hier von Euch Abschied nehme,« sagte sie, – »ich danke Euch nicht nochmals für Euren Schutz – auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen,« wiederholte Cosimo und als sie sich dann schnell abwendete, gab er seinem Pferde die Sporen und ritt, ohne sich umzublicken, nach der inneren Stadt hin.

Bald hatte er die Via de Banchi erreicht – er sprang unter dem Portal des medicäischen Bankpalastes vom Pferde und eilte in Tornabuonis Kabinett, um über seine Sendung Bericht zu erstatten, wobei er keine Zeichen von Ungeduld blicken ließ und ruhig und klar alles mitteilte, was Lorenzo ihm zur Ergänzung seines Schreibens gesagt hatte. Tornabuoni legte den Brief zu sorgfältiger Durchsicht zurück, klopfte seinem Neffen auf die Schulter und sagte lächelnd:

»Du hast deinen Auftrag gut und getreulich besorgt Cosimino, – bist du mit deinen eigenen Angelegenheiten ebenso zufrieden wie ich mit deiner ersten Probe in ernsten Geschäften?

»O – ich bin glücklich, mein Oheim,« rief Cosimo, dessen bisher festgehaltene ernste Miene bei den Worten Tornabuonis verschwand. »Lorenzo hat meinen Herzenswünschen zugestimmt und auch der Markgraf Malaspina hat seine Einwilligung gegeben!«

»Ich glaubte es wohl,« sagte Tornabuoni, seinem Neffen die Hand drückend, »so geh denn, unsere Geschäfte, die allem voranstehen, sind beendet, geh und trage deine Botschaft dahin, wo sie sehnsüchtig erwartet wird.« Er setzte sich an seinen Schreibtisch, um Lorenzos Brief zu lesen, Cosimo aber stürmte die Treppen hinauf und ließ dem Diener kaum Zeit, ihn bei der Markgräfin anzumelden.

Giovanna erhob sich zitternd bei dem plötzlichen Eintritt des Geliebten – aber sie las in seinen Augen die frohe Botschaft und sank, ihm entgegeneilend, mit einem Freudenruf in seine Arme.

Die Markgräfin zürnte nicht, daß ihr erst der zweite und etwas flüchtige Gruß galt, lächelnd ließ sie die Glücklichen allein.

Was sie in dieser Stunde miteinander sprachen war wohl immer wieder dasselbe und doch schien es ihnen immer neu wie die Morgenröte, welche seit Jahrtausenden über den Horizont heraufsteigt und doch der erwachenden Welt immer neues Leben und neue Hoffnung entgegenstrahlt.

Nur flüchtig erzählte er von seiner Reise – von seiner Begegnung mit Lucretia sprach er nicht – kaum hatte er eine Erinnerung daran und wenn sie in ihm aufstieg, so verschwand sie schnell vor Giovannas lichtklaren Augen, welche hier keine Wetterwolke wie in jenem Traum zu verhüllen vermochte.


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