Oskar Meding
Palle
Oskar Meding

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XIV.

Fioretta saß am Morgen des für die Stadt Florenz so verhängnisvollen Tages träumend in ihrem Zimmer und blickte durch die weitgeöffnete Thür in den kleinen Garten hinaus.

Die Strahlen der Sonne fielen goldig durch das Grün der hohen Taxushecke und streiften die buntfarbigen Blumenkelche auf den Beeten, die ihre würzigen Düfte in die laue Luft aufsteigen ließen.

Der kleine Giulio schlummerte im Nebenzimmer in seiner Wiege. Die alte Ginevra war ausgegangen, um die Messe zu hören und ein tiefer Friede lag über dem stillen Heim, das der jungen Frau so viel verborgenes Glück geboten hatte und nun dennoch so viel bange Unruhe in sich schloß.

Ihre an die Freiheit und den weiten Ausblick über Berge und Thäler gewöhnte Natur hatte das Geheimnis, dieses stillen Asyls fast wie eine Gefangenschaft empfunden und immer mehr den Augenblick ersehnt, in welchem sie an des Geliebten Hand frei vor aller Welt würde einhertreten können. Nun war dieser Augenblick so nahe – aber er zeigte ihr ein so ganz anderes Bild, als sie es vordem in ihrer hoffenden Seele getragen, so daß sie mit ängstlichem Zagen, zwischen Hoffnung und Furcht schwankend, der Zukunft entgegensah. Sie hatte geglaubt, bei den Verwandten ihres Giuliano nur das Vorurteil und den Hochmut des Reichtums gegen die Armut zu finden und hatte es sich oft ausgedacht, wie es ihr dennoch gelingen müsse, durch demütige Bescheidenheit und ihre unendliche, dienstbereite Liebe die Herzen derer zu erweichen und zu gewinnen, die ja ihren Giuliano auch lieben mußten. Aber wie anders war das Alles jetzt geworden. Nicht die Armut allein war es, welche sie von dem Geliebten trennte, er stand auf einer Höhe, zu welcher sie nur schwindelnd ihre Gedanken erheben konnte, zu welcher die vornehmsten Damen noch aufwärts blicken mußten und er trug einen Namen, der die ganze Welt durchklang und den sie von Kindheit an nur mit Ehrfurcht und Bewunderung hatte nennen hören.

Das war eine Kluft, viel tiefer, als sie der Unterschied zwischen reich und arm bildet und ob eine solche Kluft sich würde ausfüllen lassen, das war eine Frage, vor der sie schauernd zurückbebte.

Giuliano hatte ihr beim Scheiden am Abend gesagt, daß er seinem Gelübde gemäß sich von der großen Welt, die in der Stadt, und in seinem Hause vor allem, ihre glänzendste Pracht entfaltete, zurückgehalten habe und nur dem Hochamt im Dom, zu Ehren des Kardinals, beiwohnen müsse. Dann aber wären die Festlichkeiten vorüber und er werde keinen Augenblick mehr zögern, das Geheimnis zu lüften und sie als seine Gemahlin in sein Haus zu führen.

Die Entscheidung stand also unmittelbar bevor und würde vielleicht heute schon fallen.

Giuliano hatte ihr gesagt, daß alles sich freundlich und gut lösen werde, da sein Bruder Lorenzo ihn ja von ganzem Herzen liebe, so daß er, wenn auch wohl befremdet über das Unerwartete, seinem Glück sich niemals entgegenstellen werde. Wohl glaubte sie Giulianos Worten, aber dennoch stiegen immer wieder Zweifel in ihr auf und sie konnte eine bange Furcht nicht aus ihrem unruhig klopfenden Herzen bannen.

Freilich fühlte sie sich stolz und glücklich und hätte jubelnd aufjauchzen mögen bei dem Gedanken, daß er, der herrliche, alle Welt überragende Geliebte sie seiner würdig gefunden und vor den schönsten und glänzendsten Damen auserwählt hatte; aber doch zuckte sie wieder wie schauernd zusammen bei dem Gedanken, daß sie, die Tochter armer Landleute, die so gar nichts zu bieten hatte, den Namen der Medici führen solle und auch ihr Stolz wallte auf bei dem Gedanken, daß ihr bei dem Eintritt in eine solche Familie widerwillige Geringschätzung begegnen möchte.

So schwebten ihre Gedanken hin und her zwischen Hoffen und Bangen – bald drängte es sie freudig einer strahlenden Zukunft entgegen, bald hätte sie die stille, freundliche Gegenwart als einen kostbaren Schatz festhalten mögen.

Da schlug von fern her die Glocke des Domes an, ein Zeichen, daß in der heiligen Messe die Hostie erhoben wurde, dem versammelten Volk die Gegenwart Gottes zu künden.

Fioretta wußte, daß Giuliano dem Hochamte beiwohnte – auch ihm also, auch seinem Gebet, in welchem er wohl an sie dachte, galt der Klang. Es drängte sie, sich im Gebet mit ihm zu vereinen, sie stand auf und kniete, die Hände faltend, vor der Wiege des kleinen Giulio nieder, innig aus tiefstem Herzen, leise die Lippen bewegend, betete sie für Giuliano und ihren Sohn, sie flehte Gott an, sie nicht von dem Geliebten zu trennen und ihr das höchste Glück zu gewähren in hingebendem Liebesdienst.

Noch kniete sie an der Wiege des ruhig weiter schlafenden Kindes, als der Glockenton längst verklungen war.

Da plötzlich sprang sie lauschend auf, ein seltsamer Lärm, wie sie ihn nie gehört hatte, tönte, anstatt des heiligen Glockenzeichens von der Stadt herüber, wildes Geschrei, dem Wutgeheul von Raubtieren vergleichbar, durchzitterte die eben noch so stille friedliche Luft, immer höher anschwellend und immer schauerlicher sich mit einzelnen gellenden Wehelauten vermischend.

Sie vermochte sich keinen klaren Gedanken zu machen, aber jedenfalls mußten diese furchtbaren Töne etwas Unheilvolles bedeuten und mitten in diesem tobenden Lärm mußte sich ja ihr Giuliano befinden.

Erbleichend und zitternd drückte sie die Hände auf ihre unruhig schlagende Brust. Noch einige Augenblicke lauschte sie, dann aber vermochte sie nicht mehr ruhig und unthätig die immer lauter anschwellenden, brüllenden Stimmen zu hören, sie mußte erfahren, was geschehen sei und ob eine Gefahr dem Geliebten drohe.

Sie ging hinaus und wollte durch die kleine Oeffnung der Taxushecke in den Garten eilen, um in die Stadt zu gelangen oder Menschen zu finden, die sie befragen könne.

Da stand Bernardo vor ihr, seine Kleider waren mit Blut befleckt, wild blitzten seine Augen und angstvoll wich sie vor ihm zurück.

»Was wollt Ihr,« fragte sie zitternd, »was bedeutet jener tobende Lärm?«

»Ich komme, Euch zu retten, Fioretta, –« rief er, ihre Hand ergreifend, »das Volk hat sich erhoben, die Medici zu stürzen, die ganze Stadt ist im Aufruhr, blutiger Kampf tobt in den Straßen.«

»Und Giuliano?« rief Fioretta entsetzt, »wo ist er? Ich muß zu ihm, sein Schicksal zu teilen.«

»Er ist auf der Flucht,« erwiderte Bernardo, »und wohl schon außer Gefahr, – ich komme Euch zu retten und zu ihm zu führen – folgt mir schnell, es ist kein Augenblick zu verlieren.«

Ein wunderbares Gefühl durchbebte Fiorettas Brust.

Die Medici gestürzt, – Giuliano auf der Flucht, – fast freudig schlug ihr Herz bei dem Gedanken, – war doch damit die Scheidewand niedergeworfen, die sie von dem Geliebten trennte, konnte sie doch nun ihn trösten, konnte durch ihre Liebe sein Unglück verklären und mehr vielleicht für ihn sein, als es auf der glänzenden Höhe möglich gewesen wäre. Aber sie schauderte zurück vor Bernardos brennenden Blicken.

Sie machte sich von seiner blutbefleckten Hand los und sagte bis zur Schwelle ihrer Thür zurücktretend:

»Ihr wurdet von ihm gesendet, – Ihr wollt mich zu ihm führen, Ihr, der ihn haßt und mich vor ihm gewarnt.«

»Ich habe ihn gehaßt und Euch vor ihm gewarnt,« erwiderte Bernardo, »weil ich Euch liebte, weil ich fürchtete, daß er Eure Liebe zu leichtem Spiel mißbrauchen würde, aber, da ich gesehen, daß Ihr nur in ihm Euer Glück findet, so will ich Euch für ihn retten, der Euch nun nicht mehr täuschen kann,« fügte er mit einem seltsam hämischen Ausdruck hinzu, vor dem Fioretta erschrak. »Daß ich hier bin, mag Euch beweisen, wie groß meine Liebe ist, nur an Euer Glück denke ich, aber kommt, kommt schnell, es ist keine Zeit zu verlieren, – wir müssen den nahen Wald gewinnen, so lange der Kampf in den Straßen tobt und niemand an die Verfolgung denkt. Wenn wir heute die Appenninen erreichen, wohin er seinen Weg genommen hat, so sind wir morgen, da die ganze kommende Nacht uns gehört, über der Grenze und in Sicherheit. Kommt, kommt, es ist Giulianos Wille. Ihr dürft ihm nicht ungehorsam sein und hier im Hause seines Freundes seid Ihr nicht sicher, wenn das wütende Volk Euch findet.«

Sie stand zögernd und unschlüssig.

Er faßte ihre Hand und wollte sie mit sich fortziehen.

»Und mein Sohn, mein Giulio, –« rief sie.

»Das Kind muß hier bleiben, ihm droht keine Gefahr, später soll er Euch folgen, wenn wir in Sicherheit sind.«

»Ich mich von meinem Sohn trennen, – niemals, niemals,« rief sie, und wieder versuchte sie sich von ihm loszumachen.

»Thörichter Weibersinn,« rief Bernardo, indem er ihren Arm fester umspannte, »ich sage Euch, daß das Kind in Sicherheit ist, wollt Ihr Euer Leben und Euer Glück einem kindischen Eigensinn opfern? – Kommt, es ist kein Augenblick zu verlieren!«

Wieder wollte er sie mit sich fortreißen.

Kaum wagte sie noch zu widerstehen.

Da trat aus der weit geöffneten Thür des Wohnzimmers Antonio de San Gallo in den Garten, er war blaß und sein Anzug zerdrückt, sein Haar hing wirr um das unbedeckte Haupt.

»Ha,« rief er mit drohend blitzenden Augen, »ein guter Geist gab mir den Gedanken ein, zu Euerm Schutze herzueilen, Fioretta, kommt her zu mir! Laß ab, verruchter Mörder, – die Rachegötter haben mich hierher geführt, du bist in meinen Händen und sollst deiner Strafe nicht entrinnen, Bernardo Bandini!«

Fioretta riß sich gewaltsam los.

»Er ein Mörder, sagt Ihr,« rief sie, mit weit geöffneten Augen Bandini anstarrend, – »o mein Gott, welch furchtbares Licht blitzt wie Wetterschein vor mir auf – das Blut an seinen Händen, die Eiseskälte, die aus seinen Blicken in mein Herz dringt, – ja, ja,« rief sie mit gellendem, jammerndem Ton, »ich sehe klar, fürchterlich klar, er ist der Mörder meines Giuliano.«

»So habe ich wenigstens meine Rache an ihm genommen,« rief Bandini hohnlachend, »dafür, daß er meinen Weg gekreuzt.«

Er wendete sich dem Ausgange in der Taxushecke zu.

Antonio aber eilte zu ihm hin, griff in seinen Halskragen und rief:

»Du sollst mir nicht entkommen, Nichtswürdiger, es ist noch Platz an den Fensterbögen des Palastes der Signorie, wo Salviati und Pazzi zu abschreckendem Beispiel für alle Verräter hängen!«

Vandini griff nach seinem Dolch.

Antonio trat schnell zurück und zog seinen Degen.

»Entkommen sollst du nicht, Elender,« rief er, »wenn es mir auch davor ekelt, meine Waffe mit deinem Blut zu beflecken.«

Er drang auf ihn ein.

Bandini hatte im Augenblick auch seinen Degen gezogen und den Dolch in die linke Hand genommen. Ein heftiger Kampf entspann sich, aber Bandini war sicherer in der Führung seiner Waffe, er traf mit einem wohlgezielten Stoß Antonios rechten Arm und schlug ihm dann den Degen aus der matt herabsinkenden Hand.

»Du wirst mich nicht festhalten,« rief er höhnisch auflachend, »deine Hand ist wohl geschickter, den Zirkel und das Winkelmaß zu führen, als die Klinge!«

Fioretta hatte einem Marmorbilde gleich dagestanden und ihre starren Augen schienen kaum die Kraft des Blicks zu haben, als aber Vandini sich hohnlachend zur Flucht wendete, stürzte sie, plötzlich belebt, mit funkelnden Augen, einer Rachegöttin ähnlich, auf ihn zu.

Sie umklammerte seinen Arm und rief:

»Halt, verruchter Mörder meines Giuliani!, du sollst nicht entrinnen!«

»Bandini wollte sie abschütteln, aber sie klammerte sich fest an ihn an. Die Verzweiflung gab ihr Riesenkraft.

Antonio nahm mit der linken Hand den ihm entfallenden Degen auf und rief laut nach dem Vorderhaus hin seine Diener.

»Zum Teufel,« knirschte Vandini, »so folge deinem Giuliano nach, du hast es nicht besser gewollt, mein Leben soll einer verliebten Närrin nicht zum Opfer fallen!«

Er stieß seinen Dolch in ihre Brust.

Sie sank zu Boden, aber noch hielt sie seinen Arm fest umklammert, so daß sie ihn fast mit sich niedergerissen hätte. Er stieß sie von sich.

Ihre ermatteten Hände ließen nach, sie öffneten sich und schnell, ehe Antonio herankam, eilte Vandini davon, während schon einige Diener von dem Vorderhaus her herankamen.

Er verschloß die kleine Gartenthür.

Die Straße war leer, da alles Leben sich nach der Stadt zurückgezogen hatte, aus der wildes Geschrei herübertönte.

Er warf den Degen von sich und steckte den Dolch in sein Wams.

Dann zog er den Hut tief in sein Gesicht und verschwand hinter den Hecken, welche die einzelnen Landhäuser umgaben.


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