Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Kapitel.

Als Sternau und seine Begleiter den Berg hinaufgekommen waren und nach den Büschen abbogen, hatte sich neben dem Weg die Gestalt eines Mannes vom Boden erhoben und war nach dem Kloster geeilt. Er trat durch ein Seitenpförtchen ein, verschloß dasselbe und begab sich schleunigst nach der Wohnung des Paters. Es war Manfredo, der Neffe desselben.

»Du bist ja ganz außer Atem«, sagte der Alte. »Kommst du von deinem Posten?« – Ja.« – »Hast du etwas gesehen?« – »Natürlich. Sie kommen!« – »Sie? Wer?« – »Vier Männer. Einer davon ist so groß wie ein Riese.« – »Das müßte dieser Sternau sein. Gehe fort, damit sie dich jetzt nicht sehen!« – »Oh, sie kommen noch nicht sogleich. Sie ritten erst nach den Büschen.« – »Warum? Was wollen sie dort?« – Jedenfalls verstecken sie dort ihre Pferde. Sie werden beabsichtigen, heimlich in das Kloster zu kommen.« – »Das wäre auch mir lieber. Hast du dir alles genau gemerkt?« – »Natürlich! Es ist ja wenig genug.« – »Du hast nichts zu tun, als hinter uns zu leuchten, gerade wie ich mit der Lampe vor ihnen gehe. Sobald wir aber in den betreffenden Raum eingetreten sind, nämlich ich und sie, bleibst du zurück, wirfst die Tür zu und schiebst die Riegel vor. Das ist alles. Jetzt aber gehe.«

Der Neffe entfernte sich; der Oheim blieb zurück. Er saß an seinem Tisch, anscheinend in ein Buch vertieft, aber er lauschte angestrengt auf jedes Geräusch, das sich hören ließ. Doch er war kein Präriejäger. Während er sein Gehör vergebens anstrengte, um irgend etwas zu vernehmen, hatte sich längst die Tür leise geöffnet, und Sternau stand unter derselben, hinter ihm seine drei Gefährten.

Sternau betrachtete das Zimmer und den darin Sitzenden genau und fragte dann:

»Seid Ihr Pater Hilario?«

Der Gefragte fuhr empor und drehte sich um. Er war so erschrocken, daß er erst nach einiger Zeit antworten konnte:

»Ich bin es. Wer seid Ihr?« – »Das werdet Ihr bald erfahren.«

Bei diesen Worten trat Sternau ein, und die anderen drei folgten ihm. Die Augen des Paters waren mit sichtlicher Scheu auf die riesige Gestalt des Deutschen gerichtet. Sollte er es wirklich wagen, mit diesen Leuten, die noch dazu bis unter die Zähne bewaffnet waren, den Kampf aufzunehmen?

Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, fragte Sternau:

»Ihr seid allein, Señor?« – Ja.« – »Es kann niemand unser Gespräch belauschen?« – »Niemand.« – »Nun gut, so will ich Euch sagen, daß ich eine Bitte an Euch habe.«

Sternau hatte bisher in einem freundlichen Ton gesprochen, so daß dem Pater der entsunkene Mut zu wachsen begann.

»Wollt Ihr mir nicht lieber erst sagen, wer Ihr seid?« fragte er. – »Das werdet Ihr schon noch erfahren. Vorerst aber gebt uns gefälligst auf einige Fragen eine wahre Antwort!« – »Señor, ich weiß nicht, was ich denken soll! Wie es scheint, seid Ihr nicht auf dem gewöhnlichen Weg in das Kloster gekommen?« – »Allerdings nicht.« – »Warum nicht?« – »Jedenfalls, weil wir Gründe dazu hatten, mein Lieber. Wenn Euch unser Kommen in Unruhe versetzt, so liegt es nur in Eurer Hand, Euch von uns so bald wie möglich zu befreien. Sagt einmal, ob Ihr vielleicht von unserem Kommen unterrichtet seid.« – »Nein. Wer sollte mich unterrichtet haben?« – »Es hat niemand zu Euch gesagt, daß er vielleicht verfolgt werde?« – »Verfolgt? Ich verstehe Euch nicht!« – »Sind nicht gestern abend ein Herr und eine Dame zu Euch gekommen?« – »Nein.« – »Namens Cortejo?« – »Nein.« – »Und die Dame heißt Josefa Cortejo?« – »Ich kenne diesen Namen nicht.« – »Ah, Ihr wollt diesen so oft gehörten Namen nicht kennen?« – »Nein, ich lebe den Wissenschaften und der Krankenpflege und beschäftige mich nicht mit der Politik.« – »Ah, woher wißt Ihr denn, daß dieser Name mit der Politik in Verbindung steht? Ihr habt damit verraten, daß er Euch bekannt ist.« – »Nein, ich erriet es nur, weil Ihr sagtet, daß der Name jetzt so viel genannt werde.« – »Versucht nicht, mich zu täuschen. Ihr beschäftigt Euch nicht mit Politik?« – »Ganz und gar nicht.« – »Und dennoch steht Ihr in Korrespondenz mit allen gegenwärtigen politischen Persönlichkeiten. Sogar der Panther des Südens schreibt Euch, daß er Cortejo betrogen habe.«

Der Pater erschrak. Woher wußte Sternau dieses?

»Ihr irrt, Señor«, sagte er. »Vom Panther habe ich gehört, von einem gewissen Cortejo aber niemals.« – »So seid Ihr früher nicht sein Feind gewesen?« – »Nein.« – »Auch nicht der Feind des Grafen Ferdinando de Rodriganda?« – »Nie.«

Hilario wußte nicht, was größer war, sein Schreck oder seine Verwunderung darüber, daß dieser fremde Mann das alles wußte. Sternau fuhr fort:

»Also Cortejo ist nicht zu Euch gekommen?« – »Nein.« – »Ihr habt ihn und seine Tochter wirklich nicht hier in diesem Zimmer empfangen?« – »Nein.« – »Ihr habt sie auch nicht nach einem unterirdischen Raum gebracht, um sie dort zu verstecken?« – »Nein.« – »Und dieser Raum liegt nicht gerade neben demjenigen, in dem sich das verborgene Schränkchen mit Euren geheimen Briefschaften befindet?«

Jetzt fuhr dem Pater der Schreck durch alle Glieder. Aber er ermannte sich doch, nahm einen strengen Ton an und antwortete:

»Señor, ich weiß nicht, wie Ihr dazu kommt, heimlich bei mir einzudringen und mir Fragen vorzulegen, die ich nicht verstehe und begreife. Ich werde Hilfe gegen Euch herbeirufen.« – »Versucht das nicht, Señor! Es würde Euch schlecht bekommen.« – »So erklärt Euch wenigstens deutlicher, damit ich erfahre, was Ihr eigentlich bei mir und von mir wollt.« – »Das ist kurz gesagt: Ihr sollt uns Cortejo und seine Tochter ausliefern.« – »Aber ich weiß ja gar nichts von ihnen.« – »Glaubt Ihr wirklich mit dieser Lüge durchzukommen? Ich werde Euch das Gegenteil beweisen. Ist Euch einer von uns bekannt?« – »Nein.« – »Nun, mein Name tut zunächst nichts zur Sache; Ihr werdet ihn wohl kaum gehört haben; aber Büffelstirn ist Euch bekannt?« – Ja.« – »Bärenherz?« – »Ja.« – »Und Donnerpfeil?« – »Ja.« – »Nun, diese drei stehen hier vor Euch. Ihr seht wohl ein, daß solche Männer nicht zu den Leuten zu zählen sind, mit denen man ungestraft Spaß machen kann?«

Der Pater betrachtete die drei Männer, und der Eindruck ihrer Persönlichkeiten war ein solcher, daß er unwillkürlich ausrief:

»Da mögt Ihr recht haben!« – »Na also! Wollt Ihr uns nun gestehen, daß Cortejo bei Euch ist?« – »Ich kann es ja nicht gestehen, Señor.« – »Ich werde Euch beweisen, daß Ihr es gestehen könnt. Ich nehme Euch nämlich jetzt bei der Gurgel – so – und wenn Ihr mir nicht sofort sagt, daß Ihr aufrichtig sein wollt, so drücke ich Euch die Kehle so zusammen, daß Ihr im nächsten Augenblick eine Leiche seid. Wir werden dann die gesuchten zwei Personen schon zu finden wissen!«

Sternau hatte während dieser Worte den Pater wirklich bereits so fest bei der Gurgel gefaßt, daß derselbe nur noch lallen konnte. Jetzt begann es doch dem Alten angst zu werden. Er sah ein, daß es unmöglich sei, ohne Gefahr für sein Leben länger beim Leugnen zu bleiben und stammelte:

»Ich – will –!«

Sternau ließ ein wenig locker und fragte:

»Cortejo ist also bei Euch?« – »Ja«, antwortete der Pater. – »Auch seine Tochter?« – »Ja.« – »Wer noch?« – »Weiter niemand.« – »Es sind ja noch mehr Leute mit ihnen gekommen.« – »Die haben sich unten in der Stadt einquartiert.«

Jetzt nahm Sternau die Hand ganz von ihm weg und sagte:

»Das letztere will ich Euch glauben. Wo stecken die beiden?« – »In einem unterirdischen Loch.« – »Loch? Pah! Ihr werdet Eure Schützlinge nicht in ein Loch gesteckt, sondern ihnen eine bessere Wohnung angewiesen haben.« – »Nein, sie sind ja meine Gefangenen!« log der Pater.

Sternau sah ihm scharf in das Gesicht und sagte:

»Ich warne Euch, mich abermals täuschen zu wollen!« – »Ich täusche Euch nicht, Señor! Ich weiß nicht, woher Ihr es erfahren habt; aber Ihr sagtet vorhin ja selbst, daß Cortejo mein Feind gewesen sei. Der Zufall hat ihn in meine Hand geführt, und so hat er zwar geglaubt, mein Schützling zu werden, ist aber mein Gefangener geworden.« – »Welche Absicht hattet Ihr mit ihm?« – »Ich wollte ihn ein wenig quälen und dann den Franzosen ausliefern.« – »Das könnt Ihr bequemer haben, indem Ihr ihn uns ausliefert.« – »Was wollt denn Ihr mit ihm?« – »Hm! Ihn vielleicht etwas mehr quälen, als Ihr es getan hättet.« – »Was gebt Ihr mir denn, wenn ich Euch zu Willen bin?« – »Ich glaube gar, Ihr wollt noch Bezahlung fordern. Hört, diese Bezahlung könnte sehr leicht in etwas bestehen, was Euch nicht lieb sein würde. Ich frage Euch kurz, ob Ihr uns Vater und Tochter ausliefern wollt oder nicht.« – »Sogleich?« – »Auf der Stelle!« – »Señor, ich kenne Eure Absicht nicht, aber wenn ich genau wüßte, daß Ihr nicht Freunde von ihm seid, die da nur gekommen sind, ihn zu befreien, so würde ich mich vielleicht entschließen, Euren Wunsch zu erfüllen.« – »Unsinn! Versucht keine Komödie mit uns! Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit. Wollt Ihr oder wollt Ihr nicht?«

Der Pater gab seinem Gesicht den Ausdruck der größten Angst und erwiderte:

»Mein Gott, ich bin ja bereit dazu. Erlaubt mir nur, meinen Neffen kommen zu lassen!« – »Warum ihn?« – »Er ist Wärter der Gefangenen. Er hat die Schlüssel.« – »Wo befindet er sich?« – »Nebenan. Ich brauche nur zu klopfen.« – »So tut es!«

Der Pater klopfte an die Wand, und gleich darauf trat Manfredo ein. Er betrachtete die vier Männer mit neugierigen Blicken. Sie machten ganz den Eindruck, als ob es gefährlich sei, mit ihnen umzugehen. Er hatte eine brennende Laterne bei sich.

»Diese Señores sind gekommen, die Gefangenen ausgeliefert zu erhalten«, sagte sein Oheim zu ihm. – »Wer sind sie?« fragte er. – »Das geht dich nichts an. Ist der Weg frei?« – »Ich denke, daß uns jetzt niemand mehr begegnen wird.« – »Gut.«

Damit griff auch der Pater nach seiner Laterne.

»Wozu zwei Lichter?« fragte Sternau. – »Weil eins für sechs Personen in den dunklen Gängen zu wenig ist. Oder soll ich die Gefangenen hierherholen?« – »Nein, wir gehen mit. Aber versucht nicht, uns zu entfliehen. Einer von Euch geht vor und der andere hinter uns. Der vordere ist Geisel für beide. Geschieht etwas, so wird er niedergeschossen.«

Man setzte sich in Bewegung, wie Sternau angegeben und wie es leider auch in der Absicht des Paters lag.

Dieser schritt voran und führte sie durch einen Gang und dann eine tiefe Treppe hinab, wieder durch einen Gang und schließlich durch einen Keller. Vor einer starken, mit Eisenblech beschlagenen Tür blieb er stehen und schob zwei Riegel zurück.

»Hast du den Schlüssel?« fragte er seinen Neffen. – »Ja«, antwortete dieser. – »Sind Sie runter dieser Tür?« erkundigte sich Sternau. – »Nein, aber hinter der nächsten, Señor.«

Jetzt hatte Manfredo aufgeschlossen und trat zurück, um die anderen passieren zu lassen. Der Pater schritt voran, und die vier folgten. Sie bemerkten nicht, daß die gegenüberliegende Eisentür nicht verschlossen war. Noch ehe sie einen argen Gedanken faßten oder die ihnen drohende Gefahr ahnten, tat der Pater einen blitzschnellen Sprung vorwärts zum Raum hinaus und warf die Tür hinter sich zu. In demselben Augenblick hörten sie auch hinter sich einen Krach. Auch die erste Tür war von dem Neffen zugeworfen worden. Hinter und vor ihnen rasselten Riegel und Schlösser, sie selbst aber befanden sich im Dunklen.

»Donnerwetter! Gefangen!« rief Helmers. – »Uff!« rief der Apache. – »Überlistet!« entfuhr es Sternau.

Nur der Mixteka sagte nichts, aber ein Schuß aus seiner Büchse krachte gegen die Tür.

»Was will mein Bruder? Warum schießt er?« fragte Sternau. – »Das Schloß zerschießen«, antwortete Büffelstirn. – »Das hilft uns nichts. Es sind ja auch Riegel an den Türen.« – »Feuer machen. Leuchten!«

Sternau griff in seine Tasche und zog Zündhölzer hervor. Als eins derselben aufflackerte, konnte man einen dunstigen Streifen sehen, der von außen durch das Schlüsselloch hereindrang. Zu gleicher Zeit war ein überaus starker Geruch zu bemerken, der ganz imstande war, den Atem zu benehmen.

»Mein Gott, man will uns vergiften oder ersticken!« rief Sternau. »Man bläst etwas Tötendes durch das Schlüsselloch!« – »Sprengt die Tür!« schrie Donnerpfeil.

Wie auf Kommando stemmten sich die vier Männer mit aller ihrer Kraft gegen die Tür. Es half ihnen nichts.

Draußen aber stand der Pater und lauschte. Er hielt in der Linken die Laterne und in der Rechten eine leere, dünne Hülse, die den chemischen Stoff enthalten hatte, den er durch das Schlüsselloch geblasen hatte. Auf seinem Gesicht lag teuflische Schadenfreude.

»Gesiegt!« jauchzte er. »Sie sind gefangen! Horch, wie sie sich gegen die Tür stemmen. Jetzt schlagen sie mit den Gewehrkolben dagegen. Oh, das Eisen hält. Die Riegel geben nicht nach. In zwei Minuten werden sie still sein.«

Er hatte recht. Das Stoßen und Klopfen wurde schwächer und hörte bald ganz auf. Es herrschte jetzt die Ruhe des Grabes.

»Soll ich aufmachen?« fragte sich der Alte. »Es ist eine sehr böse Sache. Komme ich zu früh, so wachen sie noch, und ich bin verloren, komme ich zu spät, so sind sie tot. Sie sollen ja nur ohne Besinnung sein. Ich werde es wagen.«

Er schob die Riegel zurück und öffnete vorsichtig. Der scharfe, penetrante Geruch kam ihm entgegen. Er riß die Tür schnell auf und sprang weit zurück.

»Manfredo, mach auf!« rief er dabei.

Auf diesen Befehl öffnete der Neffe nun auch die jenseitige Tür, und das tödliche Gas konnte abziehen. Es dauerte nicht lange, so war es ganz ungefährlich, zu den vier Überlisteten zu gelangen. Sie lagen bewegungslos am Boden. Der Pater kniete nieder, öffnete ihnen die Brustbekleidung und untersuchte sie.

»Sie sind vielleicht gar tot?« fragte der Neffe. – »Nein«, antwortete der Alte nach einiger Zeit. »Sie leben noch. Es ist so gegangen, wie ich gewünscht habe. Nimm ihnen alles ab, was sie bei sich führen, es soll deine Beute sein. Dann werden sie gefesselt, und du hältst Wache, bis ich zurückgekehrt bin.« – »Wo willst du hin?« – »Cortejo holen.« – »Warum?« – »Sie sollen sich über diese Leute freuen, wie ich mich nachher über sie selbst freuen werde. Beeile dich, fertig zu werden. Ich komme bald wieder.«

Hilario entfernte sich. Der Neffe aber plünderte die Bewußtlosen vollständig aus und schaffte seinen Raub nach dem Keller, durch den sie vorhin gekommen waren. Den Beraubten aber band er Arme und Beine so zusammen, daß es ihnen unmöglich war, sich zu befreien.


 << zurück weiter >>