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In der vergangenen Nacht kamen trotz der Dunkelheit zwei Reiter von Norden her auf die Hazienda zu. In einem kleinen Tal hielt der eine sein Pferd an und sagte:
»Hier werden wir wohl warten müssen.« – »Warum, Señor Pirnero?« fragte der andere. – »Weil wir doch nicht wissen, wie es auf der Hazienda aussieht. Juarez ist in Bewegung und die Franzosen ebenfalls; da weiß man nicht, ob man Freunde oder Feinde dort trifft. Wir müssen den Tag abwarten, um ein wenig zu rekognoszieren, ehe wir uns sehen lassen können.« – »So werden wir auch auf ein Feuer verzichten müssen. Wie steht es mit den Augen? Fühlen Sie noch Schmerzen?« – »Nein. Ihr Heilkraut hat geradezu Wunder getan. Das eine ist zwar zerstört, mit dem anderen aber kann ich bereits ebensogut sehen wie vorher.« – »Das freut mich. Steigen wir also vom Pferd, und warten wir den Morgen ab.«
Die Männer banden ihre Pferde an ein Gesträuch, um ihnen Gelegenheit zum Fressen zu geben, und lagerten sich dann nahe dabei in das Gras. Da sie müde waren, verzichteten sie auf eine Unterhaltung.
Es war nach Mitternacht und so still rundum, daß sie nahe daran waren, einzuschlafen, als sie auf einmal durch das Erschallen eines nahenden Hufschlages wieder aufgemuntert wurden.
»Wer mag kommen?« sagte derjenige, den der andere Pirnero genannt hatte. »Horch! Da kommt noch einer.«
Wirklich vernahm man jetzt die Hufschläge eines zweiten Pferdes. Sie griffen zu ihren Waffen und lauschten. Da bemerkten sie, daß derjenige Reiter, der ihnen am nächsten war, sein Pferd anhielt.
»Wer kommt noch?« rief er nach rückwärts.
Sofort hielt auch der zweite Reiter sein Pferd an.
»Wer ruft da vorn?« fragte er. – »Einer der losschießen wird, wenn nicht gleich Antwort erfolgt.« – »Oho, ich habe auch eine Büchse.«
Zu gleicher Zeit vernahm man das Knacken eines Hahnes.
»Antwort!« rief der erste. »Was ist deine Losung?« – »Losung?« fragte der zweite. »Ah, du sprichst von einer Losung. Da bist du ein zivilisierter Kerl und keiner von den verdammten Indianern.« – »Ich ein Indianer? Der Teufel hole die Rothäute! Du redest spanisch wie die Weißen. Gehörst du auf die Hacienda del Erina?« – »Ja.« – »Ein Vaquero wohl?« – »Nein. Ich gehöre zu Señor Cortejo.« – »Alle Teufel, da sind wir Kameraden!« – »So bist auch du ausgerissen?« – »Ja. Es ist mir Gott sei Dank gelungen, durchzuschlüpfen.« – »So brauchen wir einander nicht die Hälse zu brechen, sondern können zusammenbleiben.« – »Gewiß. Komm her!«
Der, den sein Kamerad Pirnero genannt hatte, war diesem kurzen Gespräch mit der größten Spannung gefolgt. Jetzt trat er einige Schritte vor und sagte:
»Erschreckt nicht! Hier befinden sich auch noch Leute, aber Freunde von euch.« – »Donnerwetter!« flüsterte sein Kamerad in warnendem Ton. »Was fällt Ihnen ein. Die gehören ja zu diesem dummen Cortejo.«
Die beiden Mexikaner, die sich allein glaubten, waren im ersten Augenblick vor Überraschung wortlos geworden. Jetzt aber fragte der eine:
»Auch noch Leute hier? Wer seid Ihr, auch Flüchtlinge?« – »Nein.« – »Sapperlot, da muß man vorsichtig sein. Wie viele Köpfe zählt Ihr?« – »Nur zwei.« – »Das glaube Euch der Teufel! Woher kommt Ihr?« – »Vom Rio Grande del Norte.« – »Und wohin wollt Ihr?« – »Nach der Hacienda del Erina, zu meiner Tochter und zu Euch.« – »Zu Eurer Tochter? Wer seid Ihr denn?« – »Kennt Ihr mich nicht an der Stimme? Ich bin ja Cortejo selbst.« – »Unsinn!« flüsterte sein Kamerad. »Wir spielen da ein gewagtes Spiel.« – »Cortejo?« fragte der Mexikaner. »Macht uns nichts weis. Cortejo käme nicht nur mit einem Mann zurück.« – »Und doch ist es so. Ihr sollt es gleich sehen. Ich komme hin zu Euch.« – »Aber ja allein. Ich halte das Gewehr schußbereit.«
Der zweite Reiter hatte sich unterdessen dem ersten zugesellt. Die Büchsen schußfertig in den Händen, lauschten sie auf die Schritte der Nahenden. Sie hörten, daß es nur einer sei, und das beruhigte sie. Cortejo kam ganz nahe an sie heran, blieb da stehen und fragte:
»Hat einer von Euch ein Zündholz mit? Ich komme aus der Wildnis und kann kein Feuer machen.« – »Feuer? Wozu?« fragte der andere. – »Ich meine ja nicht ein großes Feuer, sondern nur ein Zündholzlicht, damit Ihr mich erkennen könnt.« – »Das ist etwas anderes. Haltet das Gesicht nahe.«
Der Sprecher griff in die Tasche. Im nächsten Augenblick flammte ein Zündholz auf, mit dem der Mann Cortejo in das Gesicht leuchtete.
»Alle Teufel!« rief er. »Wahrhaftig Ihr seid es, Señor Cortejo. Wo habt Ihr die anderen gelassen?« – »Das werdet Ihr später erfahren. Sagt zuvor, was auf der Hazienda geschehen ist, daß Ihr fliehen mußtet.« – »Da wollen wir zunächst absteigen. Wir sind weit genug entfernt, um sicher zu sein. Und vielleicht gelingt es uns, noch einige der Unsrigen heranzuziehen.«
Die beiden Männer stiegen von ihren Pferden.
»Kommt mit in die Schlucht hinein«, gebot Cortejo. »Da können wir uns nötigenfalls verstecken. Und kommen ja noch Freunde von uns in dieser Richtung, so müssen sie an uns vorüber, und wir können sie anreden.«
Die Männer folgten Cortejo dorthin, wo sein Kamerad stand. Dieser hatte ihren Fragen und Antworten schweigend zugehört. Jetzt aber legte er Cortejo die Hand auf den Arm und sagte:
»Señor, ist es wirklich wahr, daß Sie Cortejo sind?« – »Ja«, antwortete der Gefragte. – »Sie heißen also nicht Pirnero und kommen jedenfalls auch nicht vom Fort Guadeloupe.« – »Nein, mein Freund.« – »Sprecht dieses Wort nicht aus. Ihr habt mich getäuscht und belogen. Da kann von einer Freundschaft und Kameradschaft keine Rede mehr sein.« – »Ereifert Euch nicht«, meinte da Cortejo in beruhigendem Ton. »Ich war gezwungen, Euch zu täuschen; aber ich habe dabei nicht die Absicht gehabt, Euch Schaden zuzufügen.« – »Aber ihr habt während unseres Rittes oftmals gehört, was ich von Cortejo halte.« – »Das ist wahr, und gerade deshalb zog ich es vor, Euch meinen Namen nicht zu nennen. Aber meinen Verpflichtungen gegen Euch werde ich trotzdem pünktlich nachkommen; denn ich habe Euch viel zu danken.«
Der Jäger Grandeprise, denn dieser war es, schwieg eine Weile, jedenfalls um seinen Ärger zu besiegen und das Für und Wider genau abzuwägen, dann sagte er:
»Ich pflege zwar dem, der mich belogen hat, niemals wieder Glauben zu schenken, dennoch aber ersuche ich Euch um Antwort darüber, ob es wirklich wahr ist, daß Ihr Henrico Landola kennt.« – »Es ist wahr«, antwortete Cortejo. – »Ihr belügt mich nicht?« – »Nein.« – »Und ebenfalls ist es wahr, daß Ihr mit ihm zusammentreffen werdet?« – »Ganz gewiß.« – »Könntet Ihr das nötigenfalls beschwören?« – »Ich beschwöre es.« – »Gut, so will ich Euch das andere verzeihen. Ihr brauchtet Hilfe, und ich habe sie Euch geleistet, weil Ihr ein Mensch wart, und ich bin auch einer. Eure Lage war so, daß Ihr vorsichtig sein mußtet, und so will ich es Euch nicht übelnehmen, daß Ihr mich getäuscht habt. Aber ich erwarte ganz bestimmt von Euch, daß Ihr das Versprechen erfüllt, daß Ihr mir gegeben habt.« – »Ihr meint die Geldzahlung?« – »Diese ist die Hauptsache nicht. Ich will Landola haben.« – »Ihr sollt ihn bekommen. Hier meine Hand.«
Der Amerikaner schlug ein.
»Abgemacht also«, sagte er. »Ich bin kein politischer Gesinnungsgenosse von Euch. Ihr dürft in dieser Beziehung nicht auf mich rechnen. Aber in persönlichen Angelegenheiten werde ich Euch zur Seite stehen, da ich doch nun bei Euch bleiben werde, bis Landola zu fassen ist.« – »Señor Cortejo, wer ist dieser Mann?« fragte einer der Mexikaner. – »Ein Jäger aus den Vereinigten Staaten«, antwortete Cortejo. – »Wie heißt er?« – »Grandeprise.« – »Grandeprise, ah! Den kenne ich. Wie schade, daß es so dunkel ist!« – »Ihr kennt mich?« fragte der Jäger. »Woher?« – »Mein Oheim hat mir von Euch erzählt. Kennt Ihr den Pater Hilario?« – »Den Pater Hilario? Der früher im Kloster della Barbara zu Santa Jaga gewesen ist? Ob ich den kenne. Er hat mir ja das Leben gerettet.« – »Ja. Ihr seid damals auf einer Reise oder auf einer Jagdfahrt gewesen und ganz krank und hinfällig nach Santa Jaga gekommen.« – »Das Fieber hatte mich ergriffen. Der Pater nahm sich meiner an, gab mir Medizin und pflegte mich. Ohne ihn wäre ich gestorben. Wenn Ihr sein Neffe seid, so müssen wir Freunde werden. Hier meine Hand.«
Eben als die beiden Männer einschlugen, ließ sich das nahende Getrappel von mehreren Pferden hören. Es mochten gegen zehn Reiter sein, die daherkamen und in die Schlucht einbogen. »Verdammter Weg bei Nacht«, sagte einer. »Man könnte den Hals brechen.« – »Immer besser, als von den Indianern bei lebendigem Leibe geschunden und skalpiert zu werden«, antwortete ein anderer.
Daraus entnahm Cortejo, daß diese Männer zu seinen Leuten gehören mußten. Er rief sie daher an:
»Halt! Wartet! Hier sind noch andere!«
Die Reiter hielten ihre Pferde augenblicklich an. Man vernahm das Knacken von Hähnen.
»Wer ist hier?« fragte einer. – »Ich bin es!« antwortete der Neffe des einstigen Paters Hilario. – »Ach, du, Manfredo! Dich kenne ich an der Stimme. Wie viele seid ihr hier?« – »Vier. Señor Cortejo ist auch dabei.« – »Señor Cortejo? Ah, ist das die Möglichkeit!« – »Ja. Er stand eben im Begriff, nach der Hazienda zu kommen, als wir hier auf ihn trafen. Steigt ab und kommt herbei!«
Dies geschah. Die Pferde wurden darauf angebunden, und die Männer traten in der Nähe von ihnen zusammen. Die zehn hatten sich gefunden und den Beschluß gefaßt, nach Norden zu retirieren, weil sie dort Cortejo mit den anderen Kameraden wußten, auf die sie glücklichenfalls zu treffen hofften.
»Aber um Gottes willen, was ist denn geschehen?« fragte Cortejo. – »Die Hazienda ist überfallen worden«, lautete die Antwort. – »Von wem? Von Indianern, wie ich höre?« – Ja.« – »Und ihr flieht? Ihr habt nicht gekämpft?« – »Nicht gekämpft, Señor? Oh, wir haben uns nach Kräften gewehrt, aber sie waren uns ja an Zahl vielfach überlegen.« – »So befinden sie sich im Besitz der Hazienda?« – »Leider!« – »Wie viele waren es?« – »Wer konnte diese Teufel zählen! Es müssen über tausend gewesen sein.« – »Mein Gott, wo ist da meine Tochter?« – »Wer weiß das!« – »Ihr wißt es nicht?« fragte Cortejo erschrocken. »Ihr müßt sie doch gesehen haben!« – »Gesehen? O nein! Die Roten kamen so plötzlich über uns, daß sich der eine gar nicht um den anderen kümmern konnte.« – »Welch ein Unglück! Was für Indianer waren es? Apachen vielleicht?« – »Nein. Ich hörte, daß einer von ihnen sich einen Mixteka nannte.« – »Ich muß wissen, was mit meiner Tochter geschehen ist! Ich kann diese Gegend nicht eher verlassen!« – »Beruhigt Euch, Señor!« nahm nun Grandeprise das Wort. »Die Mixtekas sind nicht wie die Apachen und Komantschen. Wie ich sie kenne, töten sie kein Frauenzimmer.« – »Das ist eine Art von Trost. Aber ich muß doch erfahren, welches ihr Schicksal ist.« – »Ich begreife das, und Ihr sollt es auch erfahren.« – »Aber wie? Ich selbst darf mich nicht erkundigen, und auch keiner dieser Leute darf es wagen, nach der Hazienda zurückzukehren.« – »Überlaßt das mir. Ich verstehe es, einen Ort auszuforschen. Nötigenfalls gehe ich morgen nach der Hazienda. Vor allen Dingen muß man wissen, weshalb die Mixtekas sie überfallen haben.« – »Wer weiß das!« meinte der bisherige Sprecher. – »Einen Grund haben sie auf alle Fälle. Ist nicht vielleicht vorher etwas Auffälliges geschehen?« – »O doch! Gestern um Mitternacht leuchtete auf einem nahen Berg eine riesige Flamme auf.« – »Das kann zufällig geschehen sein.« – »Nein, es muß ein Zeichen gewesen sein, denn bald darauf leuchteten an verschiedenen Stellen ähnliche Feuer auf.« – »Rundum?« – »Rundum!« – »So muß man darin allerdings ein Zeichen erblicken. Ich denke, die Mixtekas haben sich gerufen, um euch als Feinde des Juarez aus dem Land zu treiben. Das setzt eine einheitliche Leitung voraus. Wer war der Anführer dieser Leute?« – »Wir hatten keine Zeit, dies zu bemerken.« – »War kein Weißer dabei?« – »O doch, zwei sogar.« – »Ah! Vielleicht sind wir jetzt beim Richtigen. Wer waren diese Männer?« – »Niemand weiß es. Sie kamen und stiegen ab. Sie gingen nach der Wachtstube und sagten da, daß sie mit Señorita Josefa reden wollten.« – »Dies wurde ihnen erlaubt?« – »Nein. Man verweigerte es ihnen. Der eine von ihnen aber schlug den Wachtmeister nieder, und darauf gingen die beiden hinauf zur Señorita.« – »Und dann?« – »Nun, dann fiel oben bei der Señorita ein Schuß. Zu gleicher Zeit ertönte rund um die Hazienda ein schreckliches Geheul, und von allen Seiten drangen die Feinde auf uns ein.« – »Wie viele Männer befanden sich in der Wachtstube?« – »Es mögen über zwanzig gewesen sein.« – »Über zwanzig?« wiederholte Grandeprise halb erstaunt und halb spöttisch. »Und diese zwanzig ließen es sich gefallen, daß der Wachtmeister niedergeschlagen wurde?« – »Was wollten wir dagegen machen?« – »Ihn selbst niederschlagen!« – »Ah! Ihr hättet ihn sehen sollen! Er sagte nicht, wer er war. Er trat so auf, als ob er ein Bote oder ein Verbündeter von Señor Cortejo sei. Er tat ganz so, als ob er zu befehlen habe.« – »Wie ich nach allem, was ich erfahren habe, vermuten darf, hatte doch nur Señor Cortejo auf der Hazienda zu befehlen!« – »Allerdings! Aber einige hielten ihn für den Panther der Südens.« – »Der ist allerdings ein Verbündeter von Señor Cortejo. Aber sagtet Ihr nicht, daß dieser Mann ein Weißer gewesen sei?« – »Ja.« – »Und der Panther des Südens ist ja doch ein Indianer!« – »Wer denkt in einem solchen Augenblick an alles!« – »Beschreibt mir den Mann einmal!«
Dies geschah. Grandeprise hörte aufmerksam zu und schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Einen solchen Mann«, erwiderte er, »so riesenhaft gebaut, mit einem so langen Bart und genauso gekleidet und bewaffnet, habe ich neben Juarez da unten am Sabinafluß gesehen. Ob es der sein wird?« – »Wer war es?« fragte Cortejo. – »Ich weiß es nicht. Aber Juarez schien sehr viel auf ihn zu geben.« – »Sagtest du nicht, daß im Zimmer meiner Tochter ein Schuß gefallen sei?« fragte Cortejo den Sprecher. – »Ja.« – »Heilige Jungfrau! Man hat sie erschossen!« – »Das glaube ich nicht«, meinte Grandeprise. »Nicht wahr, sobald der Schuß erschollen war, begann der Überfall?« – »Ja«, antwortete der Berichterstatter. – »Nun, so ist der Schuß einfach das Zeichen des Angriffes gewesen, und Ihr braucht keine Angst zu haben, daß Eurer Tochter etwas geschehen ist.« – »Aber dann ist sie jedenfalls doch Gefangene!« – »Allerdings.« – »Man muß sie befreien!« – »Nötigenfalls. Ich werde Euch dabei helfen, so gut und so viel ich kann.« – »Wäre es da nicht geraten, gleich jetzt die nötigen Schritte zu tun?« – »Hm!« brummte der Jäger. »Das ist gefährlich. Welche Schritte meint Ihr denn dabei, Señor?« – »Ich weiß es nicht. Aber sagtet Ihr nicht, daß Ihr es verständet, einen Ort zu belauschen?« – »Das habe ich gesagt. Aber dieser Ort ist hier von tausend Indianern umgeben und bewacht.« – »Morgen auch. Und jetzt bei Nacht ist das Lauschen leichter als morgen am hellen Tage.« – »Das denkt Ihr bloß. Jetzt suchen die Roten noch die ganze Gegend nach Flüchtlingen ab. Erwischt man mich, so hält man mich für einen von Euren Leuten, und ich bin verloren. Morgen am Tag aber, wenn ich offen nach der Hazienda reite, wird man glauben, daß ich ein Amerikaner bin.« – »Aber was kann bis dahin Schlimmes geschehen!« – »Das ist allerdings richtig«, meinte Grandeprise nachdenklich. – »Señor Grandeprise, ich bitte Euch um Gottes willen, tut, was Ihr tun könnt, und tut es so bald wie möglich.« – »Es ist sehr gefährlich! In welcher Richtung liegt die Hazienda?« – »Gerade dorthin«, antwortete der Berichterstatter, den Arm ausstreckend. – »Und wie lange geht man, um sie zu erreichen?« – »Eine halbe Stunde ungefähr.« – »So will ich es wagen. Ich gehe hin.« – »Ich danke Euch!« sagte Cortejo. »Ihr sollt es nicht bereuen, Euch für mich und meine Tochter in Gefahr begeben zu haben!« – »Haltet Wort, Señor. Ich erinnere Euch an Henrico Landola. Aber es ist in dieser Dunkelheit nicht leicht, diese Schlucht zu finden. Kennt Ihr den Ruf der großen, mexikanischen Wasserunke?« – »Wir alle.« – »Kann ihn jemand von Euch nachmachen?« – »Ich«, antwortete einer. – »Nun gut. Sollte ich die Schlucht nicht gleich wiederfinden, so werde ich diesen Ruf ausstoßen, und Ihr antwortet. Man hört ihn in stiller Nacht sehr weit. Ich werde also nicht lange irrezugehen brauchen.« – »Wann kommt Ihr wieder?« – »Ich weiß es nicht. Vielleicht komme ich gar nicht wieder. Wenn man mich ergreift, so ist es um mich geschehen.« – »Die heilige Madonna mag dies verhüten!« – »Bin ich zum Tagesgrauen noch nicht zurück, so braucht Ihr Euch nicht weiter um mich zu bekümmern und könnt dann Eure eigenen Schritte tun. Mein Pferd lasse ich da. Verhaltet Euch so ruhig, daß Ihr von den jedenfalls herumstreifenden Mixtekas nicht entdeckt werdet! Jetzt lebt wohl!«
Der verwegene Jäger verschwand nach diesen Worten im Dunkel der Nacht.
Er hatte gesagt, daß er kein politischer Gesinnungsgenosse von Cortejo sei. Und hätte er dessen Leben und Taten genauer gekannt, so wäre es ihm jedenfalls gar nicht eingefallen, einen Schritt für ihn oder zur Rettung seiner Tochter zu tun.
Als Grandeprise fort war, lagerten sich die anderen auf dem Boden, teilten sich die erlebten Episoden des heutigen Abends mit und forderten Cortejo auf, sie auch seine eigenen Erlebnisse wissen zu lassen.
Es lag nicht in dessen Interesse, ihnen alles zu erzählen. Sie durften unmöglich erfahren, daß sein Zug nach dem Rio Grande del Norte vollständig mißglückt sei und daß seine Begleiter den Tod gefunden hatten. Er teilte ihnen darum nur so viel mit, als er für vorteilhaft hielt. Er sagte, daß ihre Kameraden sich an dem genannten Fluß versteckt hätten, um die Beute zu erwarten, die leider später komme, als vorher berechnet worden sei. Er selbst habe sich auf den Rückweg begeben, da er seine Anwesenheit auf der Hazienda für notwendig gehalten habe. Dabei sei er in die Hände von Apachen gefallen und am Auge verletzt worden.
Sie nahmen seine Darstellung für bare Münze auf.
»Aber was tun wir nun?« fragte einer. »Die Hazienda ist zum Teufel!« – »Noch nicht«, antwortete Cortejo. »Es werden außer Euch noch mehrere entkommen sein.« – »Wohl schwerlich. Wer sich nicht gleich in den ersten Augenblicken zu retten verstanden hat, um den ist es ganz sicher geschehen.« – »Wir werden ja sehen. Hoffen wir das beste. Bei Beginn des Tages wird es sich finden, ob Ihr die einzigen Geretteten seid.« – »Und dann? Die Hazienda bekommen wir doch nicht wieder.« – »Warum nicht?« – »Weil wir zu schwach sind.« – »Es fragt sich sehr, ob diese tausend Mixtekas da liegenbleiben.« – »Jedenfalls, wenn es so ist, wie dieser Amerikaner meinte, nämlich, daß sie es mit dem Präsidenten Juarez halten.« – »So werden wir in kurzer Zeit auch wieder stärker sein. Meine Agenten werben unablässig und senden mir Leute aus den südlichen Gegenden herbei. Diese ziehen wir an uns.« – »Ah, sie werden uns nicht finden.« – Ja, das denke ich auch«, meinte Manfredo. »Sie werden meinen, daß wir uns noch auf der Hazienda befinden und dort den Mixtekas geradezu in die Hände laufen.« – »Wir werden das dadurch verhüten, daß wir sie unterwegs an irgendeinem passenden Ort, den wir uns erst suchen müssen, auffangen.« – »An einem bewohnten Ort?« – »Nein, das ist zu gefährlich.« – »Ihr meint, daß wir uns wie Banditen in den Wald legen sollten?« – »In den ersten Tagen bleibt uns nichts anderes übrig. Sind wir dann wieder stark genug, so ist es ja leicht, uns irgendeines Städtchens zu bemächtigen oder die Mixtekas aus der Hazienda zu vertreiben.« – »Ich weiß etwas viel Besseres«, meinte da Manfredo. »Liegt nicht das alte Kloster della Barbara an unserem Weg?« – Ja, gerade an unserem Weg. Aber die Stadt Santa Jaga hält es mit dem Präsidenten.« – »Was geht das uns an, Señor?« – »Sehr viel. Man würde uns abweisen oder, was noch viel schlimmer ist, gefangennehmen und an Juarez ausliefern.« – »Es ist wahr, daß wir dies zu erwarten hätten, wenn wir uns auf die Stadt verlassen wollten. Aber das Kloster liegt außerhalb derselben.« – »Was nützt uns das?« – »Wir brauchen gar nicht nach der Stadt, sondern wir nisten uns, ohne daß jemand etwas erfährt, im Kloster ein.« – »Das ist unmöglich!« – »Wieso? Habt Ihr vorhin nicht gehört, daß mein Oheim, Pater Hilario, sich dort befindet?« – »Du meinst, daß dieser uns von Nutzen sein könnte?« – »Ja.« – »Zu welcher Partei hält er?« – »Zu jeder, die gegen Juarez ist. Juarez hat das Kloster aufgehoben. Es bestand aus einem Mönchs- und einem Nonnenkloster. In dem letzteren haben sich viele Töchter vornehmer Familien befunden, die dort erzogen wurden. Juarez meinte, es sei in den beiden Klöstern viel Unfug getrieben worden. Er hob es auf und machte eine Kranken- und Irrenanstalt daraus. Was gingen ihn die Klöster an? Sind die Nonnen und Mönche nicht auch Menschen?« – »Das ist wahr«, lachte Cortejo. – »Mein Oheim war Superior. Jetzt ist er bloß ärztlicher Gehilfe. Er glüht von Haß gegen Juarez und wird uns mit Freuden aufnehmen.« – »Aber die anderen? Seine jetzigen Vorgesetzten?« – »Um diese kümmert er sich gar nicht; denn sie werden gar nicht bemerken, daß wir uns im Kloster befinden.« – »Ich denke im Gegenteil, daß unsere Gegenwart sofort bekannt werden wird. Man muß uns doch sehen und wird sich dann natürlich auch nach uns erkundigen.« – »Nein, man wird uns nicht sehen. Das Kloster hat so viele geheime Gemächer und Gänge, daß wir um unsere Sicherheit und um gutes Unterkommen gar keine Sorge zu haben brauchen.« – »Sind diese Gänge und Gemächer nicht bekannt?« – »Nein. Mein Oheim ist der einzige, der sie kennt. Die anderen Brüder des Ordens wurden nach allen Winden zerstreut, und nur Pater Hilarius durfte bleiben, weil er in der Heilkunde erfahren ist.« – »Das wäre allerdings sehr vorteilhaft für uns. Ich werde mir diesen Plan überlegen. Jetzt aber wollen wir still sein und ruhen. Wir wissen nicht, welche Anstrengungen der nächste Tag bringen wird. Ihr könnt versuchen, ein wenig zu schlafen. Ich werde wachen.«
Hierauf trat Stille ein, und da auch die Pferde kein Geräusch verursachten, so hätte ein zufälligerweise in die Nähe kommender Mensch nicht ahnen können, daß hier dreizehn Männer lagen, die, kaum dem Tode entgangen, doch schon wieder gegen die gesellschaftliche Ordnung ihre Pläne schmiedeten.
Sie alle brachten es über sich, zu schlafen, nur Cortejo wälzte sich ruhelos hin und her. Sein Unternehmen am Rio Grande, von dem er sich soviel versprochen hatte, war gescheitert, und er selbst als halbblinder Mann von demselben zurückgekehrt. Anstatt hier ein Asyl zu finden, hatte er die Hazienda verloren, und auch seine Tochter war gefangen. Geächtet und des Landes verwiesen, wußte er nicht, wo aus noch ein. Er schmiedete jetzt rachsüchtige Entwürfe, wurde jedoch in seinem Denken und Grübeln durch die Sorge gestört, die ihm das lange Ausbleiben des Jägers verursachte.