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2. Kapitel.

Während fünfzig Mann bei den Pferden zurückblieben, rückten die anderen jetzt lautlos vor. Sie hatten erwartet, Lagerfeuer zu sehen, aber die Mexikaner befanden sich alle im Hof und in den Zimmern der Hazienda, darum war es den Mixtekas möglich, sich ganz nahe anzuschleichen. Als dies geschehen war, setzten Sternau und Helmers ihre Pferde in lauten Trab, daß es den Anschein haben sollte, als ob sie von weit her kämen. Sie hielten vor dem Tor an und klopften. Eine Stimme im Innern fragte: »Wer ist da?« – »Ist das die Hacienda del Erina?« fragte Sternau. – »Ja«, antwortete es. – »Befinden sich da die Leute von Señor Cortejo?« – Ja.« – »Wir sind Boten, die zu ihm wollen.« – »Wie viele seid Ihr?« – »Zwei.« – »Wer sendet Euch?« – »Der Panther des Südens.« – »Ah, dann dürft Ihr herein.«

Die Tür öffnete sich, und die beiden verwegenen Männer ritten in den Hof, wo sie von den Pferden sprangen. Dort war es dunkel, darum führte man sie in eines der Zimmer, das erleuchtet war. Dasselbe war voller Menschen, alles wilde Gesichter, auch derjenige war dabei, der Arbellez mit geschlagen hatte. Er schien eine Art Befehlshaberstelle einzunehmen, denn er fragte den, welcher die beiden hereingebracht hatte:

»Was wollen diese Menschen?«

Anstatt des Gefragten nahm Sternau schnell das Wort:

»Menschen? Ihr habt es hier mit Señores zu tun. Merkt Euch das! Wir kommen vom Panther des Südens und haben notwendig mit Señor Cortejo zu sprechen. Wo befindet er sich?«

Der Mann sah die mächtige Gestalt Sternaus, die einen großen Eindruck auf alle Umherstehenden machte, dennoch hielt er es für seiner Würde gemäß, so zu tun, als ob er sich nicht einschüchtern lasse. Er antwortete:

»Erst habt Ihr Euch zu legitimieren.« – »Aber bei wem denn?« – »Bei mir!« klang die stolze Antwort. – »So! Wer seid Ihr denn?« – »Ich bin der, der die Meldungen macht.« – »Nun, so meldet mich bei Cortejo. Das übrige geht Euch nichts an.«

Der Mann stieß ein höhnisches Lachen aus und sagte: »Ich werde Euch beweisen, daß es mich gar wohl etwas angeht. Wir befinden uns hier auf dem Kriegsfuß. Ihr seid meine Gefangenen, bis Ihr bewiesen habt, daß Ihr wirklich vom Panther des Südens kommt.« – »Mensch! Was bildest du dir ein! Wirst du mich melden oder nicht?« donnerte Sternau ihm entgegen.

Der Mann aber glaubte, sich in Respekt setzen zu müssen, und antwortete:

»Oho! Jetzt redet man mich mit du an! Nehmt Euch in acht, daß es Euch nicht wie Arbellez ergeht!« – »Ah! Wie ist es diesem ergangen?« – »Ich habe ihn bis auf die Knochen gepeitscht.« – »Du selbst?« – »Ja. Und wenn Ihr Euch renitent betragt, geht es Euch ebenso!« – »Das wagst du mir zu sagen? Hier hast du meine Antwort, Bube!«

Sternau faßte den Mexikaner bei der Kehle und schlug ihm die Faust zweimal an den Kopf, dann schleuderte er den Besinnungslosen über den Tisch hinüber in einen Winkel.

Kein Mensch wagte ein Wort zu sagen. Sternau sah sich funkelnden Auges im Kreis um und drohte:

»So kann es einem jeden ergehen, der mich beleidigt, ohne mich zu kennen. Wo ist Cortejo?« – »Alle Teufel! Das ist jedenfalls der Panther selbst«, flüsterte es im Hintergrund.

Dies verdoppelte den Respekt, und einer antwortete:

»Señor Cortejo ist nicht hier.« – »Wo sonst?« – »Er hat die Hazienda für kurze Zeit verlassen. Wohin er ist, weiß ich nicht.« – »Aber die Señorita ist da?« – »Ja.« – »Wo?« – »In dem Zimmer, das gerade über diesem liegt.« – »Das finde ich auch selbst. Ihr braucht mich also gar nicht anzumelden.«

Es getraute sich wirklich keiner, Sternau zu folgen, als er die Stube verließ, um sich mit Helmers nach oben zu begeben.

Josefa Cortejo lag in einer Hängematte und stand große Schmerzen aus. Ihr Zustand hatte sich unter der schlechten Behandlung eher verschlimmert als gebessert. Doch der Gedanke an die Rückkehr ihres Vaters tröstete sie. Er kam jedenfalls als Sieger über seine Feinde und mit großen Reichtümern beladen.

Da erschallten draußen rasche, kräftige Schritte. Kam er vielleicht schon? Sie richtete sich erwartungsvoll auf. Zwei Männer traten ein, ohne vorher zu klopfen und dann zu grüßen. Wer war es? Hatte sie nicht die athletische Figur des einen bereits gesehen? Sein Bart machte, daß sie ihn nicht gleich erkannte.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?« fragte sie. – »Ah! Ihr kennt mich nicht mehr, Señorita?« fragte Sternau.

Ihre Augen wurden größer und ihre Wangen totenbleich.

»Wer ... O mein Gott, Sternau!« – »Ja«, antwortete er. »Und hier steht Señor Helmers, der Bräutigam von Emma Arbellez.«

Josefa nahm sich zusammen und fragte:

»Was wagt Ihr? Was wollt Ihr?« – »Oh, ich will Euch nur dieses Papier zurückgeben.«

Sternau griff in die Tasche und zog den Brief heraus, den er ihrem Boten abgenommen hatte. Sie nahm ihn entgegen und warf einen Blick darauf. Ihr eigener Brief. Sie war einer Ohnmacht nahe.

»Gott! Wie kommt Ihr zu diesem Schreiben?« hauchte sie. – »Wir haben es der Leiche Eures Boten abgenommen.« – »Der – Leiche ...?« – »Ja. Er fiel nämlich mit seiner Truppe in unsere Hände, wobei alle bis auf den letzten Mann niedergemacht wurden.«

Josefa war geistesabwesend. Die Angst vor diesem Manne macht ihr Herz erzittern. Sie brachte kaum die Worte hervor:

»Niedergemacht worden? Schrecklich!« – »Tröstet Euch. Es war nicht schade um sie. Übrigens wären sie mit dem Brief doch nicht zurecht gekommen, denn wir haben auch Euren Vater überfallen, als er dem Lord auflauerte. Von seinen Leuten lebt wohl keiner mehr. Ob er selbst entkommen wird, läßt sich noch nicht sagen.« – »O Gott, o Gott!« stöhnte sie. – »Pah! Ruft nicht den Namen Gottes an. Ihr seid eine Teufelin. Dieses Wort aus Eurem Mund ist der reine Frevel, die größte Gotteslästerung.«

Diese Worte gaben ihr einen Teil ihrer Tatkraft zurück.

»Señor«, sagte sie, »bedenkt, wo Ihr Euch befindet.« – »Auf der Hacienda del Erina, denke ich.« – »Ja; das heißt im Hauptquartier meines Vaters.« – »Ihr wollt mir bange machen?« lächelte Sternau. – »Es bedarf nur eines Wortes von mir, so seid Ihr mein Gefangener.« – »Da irrt Ihr Euch. Ich will Euch mitteilen, daß Juarez im Anzug ist. Euer Possenspiel hat heute seinen Schluß erreicht.« – »Pah! Noch ist Juarez nicht da.« – »Aber ich befinde mich hier. Das ist ebensogut. Oder glaubt Ihr etwa, daß ich zu Euch komme, ohne zu wissen, daß ich sicher bin? Die Hazienda ist von über tausend Mixtekas umzingelt. Jetzt ist das Verhältnis umgekehrt: Mich kostet es ein Wort, so seid Ihr meine Gefangene. Oder vielmehr, es kostet mich kein Wort, denn Ihr seid es ja schon.« – »Noch nicht!« rief sie.

Im Angesicht dieser großen Gefahr war sie die alte. Sie schnellte trotz ihrer Schmerzen von der Hängematte herab, riß eine Pistole vom nahe stehenden Tisch und drückte sie auf Sternau ab, zu gleicher Zeit laut um Hilfe schreiend. Der Schuß ging fehl, denn Sternau hatte sich blitzschnell zur Seite gewendet. Im nächsten Augenblick lag sie unter den Händen von Helmers am Boden. In demselben Moment ertönte aber auch rund um die Hazienda ein fürchterliches Geheul. Die Mixtekas hatten den Schuß gehört und für das verabredete Zeichen gehalten. Sternau sprang nach der Tür.

»Sie kommen«, sagte er. »Halten Sie dieses Weib fest und schließen Sie sich lieber mit ihr ein. Ich muß hinunter zu Arbellez.«

Sternau eilte hinaus. Das Innere des Hauses glich einem Ameisenhaufen. Überall drängten sich die Mexikaner nach unten. Sie waren so überrascht, so erschreckt, daß sie seine Gegenwart gar nicht beachteten. Er drängte sich mit ihnen hinab und gelangte noch eine Treppe weiter hinunter nach dem Keller. Dort brannte eine trübe Lampe. Ein Mann stand an der Tür Wache.

»Wer befindet sich darin?« herrschte Sternau ihn an. – »Arbellez und ...« – »Wo ist der Schlüssel?« unterbrach ihn der Deutsche. – »Eigentlich oben bei der Señorita.« – »Eigentlich? Jetzt aber ist er hier, soll das heißen?« – »Ja.« – »Gib ihn heraus!«

Der Mann machte ein erstauntes Gesicht, blickte Sternau forschend an und fragte:

»Wer seid Ihr? Was ist das für ein Lärm da oben?« – »Ich bin einer, dem du zu gehorchen hast, und der Lärm da oben geht dich gar nichts an. Heraus mit dem Schlüssel!« – »Oho! So schnell geht das nicht. Euren Namen will ich wissen! Es hat mir noch niemand gesagt, daß ich Euch zu gehorchen habe. Ich kenne Euch nicht!« – »Du sollst mich sogleich kennenlernen!«

Bei diesem Wort holte Sternau aus und versetzte dem Mann einen Faustschlag, unter dem er zusammenbrach. Er untersuchte die Taschen des am Boden Liegenden und fand einen Schlüssel, der paßte. In Zeit von einer Minute war die Tür geöffnet. Sternau nahm die Lampe und leuchtete in den Raum.

Es bot sich ihm ein schrecklicher Anblick.

Auf den kalten, nassen Steinplatten lagen drei Personen, halb übereinander, denn es war kaum Platz für zwei Menschen vorhanden. Lang ausgestreckt nahm der Vaquero die Länge des Bodens ein. Auf seinem Oberleib ruhte die alte, treue Marie Hermoyes, und teils auf ihr und teil auf ihm ruhte Pedro Arbellez, umwunden von den Fetzen, die diese beiden aus ihren Kleidungsstücken gerissen hatten.

In einer Ecke lagen ein Lichtstummel und ein Stückchen trockenen Brotes.

»Ist Señor Arbellez hier?« fragte Sternau. – »Ja«, antwortete der Vaquero, sich des Verwundeten wegen leise und vorsichtig emporrichtend, um den Frager anzusehen. – »Wo ist er? Welcher ist es?«

Bei diesen Worten leuchtete Sternau zu der Gruppe nieder. Dabei fiel der Schein der Lampe auf sein Gesicht. Der Vaquero erkannte ihn.

»O Gott! Das ist Señor Sternau! Wir sind gerettet!« rief er aus. – »Ja, mein braver Antonio, Ihr seid gerettet. Wie steht es mit dem Señor?« – »Er lebt. Wir haben ihn verbunden. Er kann nur ganz leise sprechen. Habt Ihr gehört, was mit ihm geschehen ist?« – »Ja.« – »Fluch dieser Josefa Cortejo!« – »Die Schuldigen werden ihre Strafe erhalten. Also gehen kann Señor Arbellez?« – »Daran ist nicht zu denken!« – »Nun, so mag Euch noch für wenige Minuten das Bewußtsein genügen, daß Ihr frei seid. Ich lasse die Tür offen, damit Ihr frische Luft erhaltet; ich muß wieder nach oben, werde Euch aber in kurzer Zeit holen. Bleibt einstweilen bei dem Señor zurück.« – »O heilige Jungfrau, welch eine Gnade!« sagte jetzt auch Marie Hermoyes. »Seid Ihr es denn wirklich, mein lieber, guter Señor Sternau?« – »Ja, ich bin es«, antwortete er. – »Und wir sind frei, wirklich frei?« – »Die Befreier sind da. Hört Ihr die Schüsse?« – »Ja, ich höre sie«, sagte der Vaquero. »Wer ist es? Ist vielleicht der Präsident Juarez mit seinen Leuten bereits hier?« – »Nein. Büffelstirn hat seine Mixtekas zusammengerufen. Bis Juarez konnte, hätte es zu lange gedauert.«

Sternau leuchtete jetzt ganz nieder zu dem Haziendero. Dieser lag mit offenen Augen da und hielt den Blick auf Sternau geheftet. Er bot einen fast totenähnlichen Anblick dar, aber ein glückliches Lächeln lag über seinem leichenblassen Gesicht ausgebreitet.

»Mein guter Señor Arbellez, kennt Ihr mich noch?« fragte Sternau, indem ihm eine große Träne in das Auge trat.

Der Gefragte nickte leise mit dem Kopf.

»Hat Antonio Euch erzählt, daß wir alle gerettet sind, daß wir alle noch leben und Eure Tochter Emma auch?«

Ein zweites Nicken war die Antwort.

»Nun, so tragt keine Sorge um sie. Sie befindet sich bei Juarez in vollständiger Sicherheit; Ihr werdet sie recht bald wiedersehen. Ich werde nachher sogleich nach Euren Wunden sehen; vorher aber muß ich hinauf, um mich zu überzeugen, wie die Sachen stehen.«

Sternau setzte den Gefangenen das Licht hin und begab sich wieder nach oben. Einigen Mixtekas, auf die er zuerst traf, befahl er, sich zu den drei Personen hinabzubegeben, um sie gegen etwaige Gefahren in Schutz zu nehmen. Sie beeilten sich, seiner Weisung nachzukommen.

Der Flur des Hauses bot einen gräßlichen Anblick dar. Es standen zwei Mixtekas da, die Fackeln hielten. Beim Schein derselben erblickte man die toten Anhänger Cortejos, die in allen möglichen grausigen Stellungen hoch übereinanderlagen. Der Boden bildete eine einzige Blutlache. Auch auf den Treppen lagen sie, überrascht von den schonungslosen Waffen der Mixtekas. In den oberen Räumen hörte man noch einzelne Todesschreie erschallen. Draußen im Hof und vor dem Haus aber war der Kampf noch im lebhaftesten Gange. Schüsse krachten; Rufe der Wut oder der Aufmunterung ließen sich hören, darunter Flüche, ausgestoßen von den keine Gnade findenden Mexikanern, die sich dem überlegenen Feind gegenüber rettungslos verloren sahen.

Als Sternau aus der Tür trat, konnte er die Szene überblicken. Einige vorhandene Holzhaufen waren von den Mixtekas in Brand gesteckt worden, und beim Schein dieser hoch emporlodernden Feuer ließ sich alles deutlich erkennen.

In einer Ecke des Hofes hatten sich die letzten Mexikaner zusammengedrängt. Es waren nicht mehr als zwölf bis fünfzehn Mann, die sahen, daß weder auf Hilfe, noch auf Gnade zu rechnen war, und sich daher mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte verteidigten. Man sah, daß sie trotz ihrer Tapferkeit nur noch Augenblicke zu leben hatten.

Büffelstirn stand mit dem Rücken am Palisadenzaun und sandte eine Kugel nach der anderen in diese jetzt dem Tode geweihte Schar hinein.

»Schenken wir ihnen das Leben!« rief Sternau ihm zu. »Es ist genug Blut geflossen. Wir wollen menschlich sein.« – »Ist Señor Arbellez wohlauf?« fragte der Häuptling kalt. – »Er liegt noch im Keller. Man wird ihn herauftragen.« – »Man hat ihn also geschlagen, daß er nicht gehen kann?« – »Leider!« – »So sprich nicht von Gnade! Arbellez ist mein Freund und Bruder; er soll gerächt werden!«

Büffelstirn drehte sich wieder ab, hob die Büchse und drückte sie gegen einen der Feinde ab. Sternau sah ein, daß hier eine Gegenrede keinen Erfolg haben werde.

Seine Aufmerksamkeit wurde übrigens durch eine Gruppe in seiner unmittelbaren Nähe in Anspruch genommen. Am Boden lag nämlich ein verwundeter Mexikaner, der sich mit Aufbietung aller seiner geschwächten Kraft gegen einen Mixteka verteidigte, der sich bemühte, ihm das Messer in das Herz zu stoßen.

»Gnade, Gnade!« bat der Mann. – »Keine Gnade! Du mußt sterben!« antwortete der andere grimmig, indem er den jetzt fast Wehrlosen mit der Linken fest packte, während er mit der Rechten die Waffe schwang. – »Ich bin ja kein Feind. Ich habe die Gefangenen gespeist Sie hätten ohne mich verhungern und verdursten müssen!«

Auch diesen von der Todesangst diktierten Zuruf achtete der Mixteka nicht. Er stand im Begriff, dem Mexikaner den unfehlbaren Todesstoß zu versetzen, da aber wurde sein hocherhobener Arm von Sternau ergriffen.

»Halt!« gebot dieser. »Wir müssen diesen Mann erst hören.«

Der Mixteka wandte sein von der Aufregung des Kampfes verzogenes Gesicht dem Störer zu und sagte:

»Was geht es dich an! Ich habe diesen Mann niedergeworfen und besiegt; sein Leben ist mein Eigentum!« – »Wenn er das wirklich getan hat, was er sagt, so verdient er Gnade.« – »Ich habe ihn überwunden, und er soll sterben!«

Da zog Sternau seinen Revolver, ließ die Hand des Mixteka los und sagte:

»Stich zu, wenn du es wagst, ihn gegen meinen Willen zu töten!«

Dabei richtete er den Lauf seiner Waffe gegen ihn. Der Indianer konnte sich dem Eindruck von Sternaus Persönlichkeit nicht entziehen.

»Du drohst mir, deinem Verbündeten?« fragte er. – »Ja. Tötest du ihn, so bist auch du eine Leiche.« – »Gut. Ich werde mit Büffelstirn sprechen!« – »Tue das; aber versuche nicht, gegen meinen Willen zu handeln!«

Der Mixteka ließ von dem Mexikaner ab und ging zu seinem Häuptling. Sternau beachtete das nicht, sondern wandte sich zu dem Mann, der noch immer blutend am Boden lag, aber wenigstens von der unmittelbaren Todesgefahr errettet war.

»Du sagst, du habest die Gefangenen gespeist?« fragte er. – »Ja, Señor«, antwortete der Gefragte. »Ich danke Euch, daß Ihr diesem Indianer Einhalt geboten; ich wäre verloren gewesen.« – »Welche Gefangenen meinst du?« – »Die drei, die unten im Keller liegen. Ich habe ihnen täglich durch ein Loch Brot, Wasser und Licht hinabgelassen.« – »Warum?« – »Einer meiner Kameraden, der mit Cortejo fortgehen mußte, bat mich darum. Ich hoffe, daß Ihr das berücksichtigt, Señor.«

Sternau ahnte, daß der genannte Kamerad jedenfalls der Mexikaner sei, dem das Gesicht des Haziendero immer erschien und der, im Wald am Rio Grande sterbend, noch mit seinen letzten Worten gesagt hatte, daß er den Gefangenen Wasser und Brot gegeben habe.

»Gut«, sagte er, »du sollst leben. Wie steht es mit deinen Wunden?«

Sternau untersuchte ihn schnell; das Ergebnis war kein schlimmes.

»Du bist nicht gefährlich verletzt, der Blutverlust hat dich geschwächt; ich werde dich verbinden!« beruhigte er den Mexikaner, dann verband er ihn, so schnell es in der Eile gehen wollte und vertraute ihn endlich der Obhut der beiden Mixtekas an, die mit den Fackeln im Hausflur standen. Er war überzeugt, daß man seinen Befehl, diesem Mann nichts zu tun, respektieren werde.

Während sich diese Szene abspielte, war auch der Kampf beendet. Die letzten im Hof befindlichen Mexikaner waren tot. Nur draußen im freien Feld hörte man hier oder da noch einen vereinzelten Schuß fallen. Bärenherz trat zu Sternau, der beobachtend am Eingang stand.

»Der Sieg ist unser«, meldete er in seiner einfachen, wortkargen Weise. – »Sind Feinde entkommen?« fragte Sternau. – »Nur einige.« – »Man mag sie immerhin entwischen lassen. Die Rache ist blutig genug ausgefallen.« – »Lebt Señor Arbellez?« – »Ja. Wir wollen hinab zu ihm.«

Auch Büffelstirn trat hinzu. Er erwähnte kein Wort darüber, daß Sternau einen der Feinde in Schutz genommen hatte. Die drei begaben sich nach dem Keller, wo sie die befreiten Gefangenen unter dem Schutz der Mixtekas fanden, die Sternau hinabgesandt hatte.

Büffelstirn kniete neben Arbellez nieder.

»Kennt Ihr mich, Señor?« fragte er.

Der Haziendero nickte.

»Wer hat Euch schlagen lassen? Die Tochter des Cortejo?«

Ein zweites Nicken diente als Antwort.

»Leidet Ihr große Schmerzen?«

Der Verwundete antwortete durch ein leises Stöhnen, das mehr verriet als viele Worte. Er mußte Fürchterliches ausgestanden haben.

»Es sind viele der braven Mixtekas im Kampf verletzt worden«, sagte Sternau, »aber Señor Arbellez soll der erste sein, dem ärztliche Hilfe zuteil wird. Tragen wir ihn hinauf in ein ruhiges Zimmer.« – »Er soll von mir gepflegt werden«, meinte Marie Hermoyes. »Ich werde nicht ruhen, bis seine Wunden wieder geheilt sind.«

Sternau eilte voraus, um ein passendes Zimmer auszusuchen, in das der Haziendero getragen wurde. Als Sternau ihn untersuchte, sah man, wie geradezu teuflisch er mißhandelt worden war. Er mußte fürchterliche Schmerzen ausgestanden haben.

Als er von Sternau kunstgerecht verbunden worden war, ließen diese Schmerzen nach. Man sah es ihm an, welche Erleichterung er fühlte. Er ergriff die Hand des Arztes, drückte sie leise und flüsterte:

»Dank, Señor!«

Mehr konnte er nicht sagen. Büffelstirn legte ihm die Hand auf den Kopf.

»Ich werde meinen Bruder Arbellez rächen«, beteuerte er. »Niemand soll mich daran hindern. Wo ist die, die ihn hat schlagen lassen?«

Am besten konnte der antworten, der soeben eingetreten war, nämlich Helmers. Er hatte die Anwesenden gesucht und bei seinem Eintritt die Frage gehört.

»Sie liegt gefesselt in Emmas Zimmer«, antwortete er. »Wir werden sofort Gericht über sie halten. Vorher aber muß ich den Vater begrüßen.«

Helmers bog sich über Arbellez und küßte ihn auf die bleichen Lippen.

»Das ist der Augenblick, nach dem ich mich lange Jahre gesehnt habe«, sagte er. »Jetzt ist mein Wunsch erfüllt, und nun kann die Rache beginnen.«

Arbellez hatte jetzt so viel Kraft, daß er die Arme langsam erheben konnte. Er legte sie Helmers um den Hals und erwiderte flüsternd:

»Gott segne dich, mein Sohn!«

Mehr zu tun oder mehr zu sagen, war er zu schwach, aber auf seinem Gesicht sprach sich deutlich das Glück aus, den Sohn wiedergefunden zu haben und nun bald auch die Tochter wiedersehen zu können. Dieser Ausdruck des Glückes mit dem Zuge des Leidens, unter dem er niederlag, war so rührend, so ergreifend, daß keiner der Anwesenden die Tränen zurückhalten konnte. Selbst Bärenherz sagte:

»Unser kranker Bruder soll wieder gesund werden und glücklich sein. Aber die, die ihn gepeinigt hat, soll unsere Rache fühlen!« – »Man hole sie!« meinte Büffelstirn. »An seinem Lager soll sie erfahren, welche Strafe sie erwartet.« – »Sie ist ein Weib!« mahnte Sternau.

Sein Ton war ein begütigender. Ihm graute im voraus bei dem Gedanken an die Strafe, die der Angeklagten bevorstand, wenn diese von Rache erfüllten Männer zusammentraten, um ihr Schicksal zu bestimmen.

Da aber legte Büffelstirn ihm die Hand auf den Arm und sagte:

»Sie ist kein Weib, sie ist ein Teufel. Mein Bruder hat es von mir verlangt, daß vorhin einer der Feinde sein Leben erhielt. Mehr aber verlange er nicht. Dieses Weib ist schlimmer als alle unsere Feinde. Es ist der böse Geist, der seinen Vater beherrscht. Josefa ist es, der wir alle Leiden zu verdanken haben. Sie werde gerichtet nach dem, wie sie gehandelt hat. Ich selbst werde sie holen.«

Damit ging Büffelstirn und brachte nach wenigen Minuten Josefa geführt.


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