Karl May
Der beiden Quitzows letzte Fahrten
Karl May

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Dieses »ja« klang so rauh, so barsch, daß Alle überzeugt waren, Suteminn hege gegen alle Wedels einen tiefgewurzelten Groll.

Der Ritter schien aber auch kein Hehl aus dieser durch die Erinnerung an Henning von Wedel in ihm hervorgerufenen Mißstimmung machen zu können, der Haß mußte zu mächtig sein, denn seine Miene blieb finster und wurde erst heiterer, als Detlev bemerkte:

»Der verheißene Besuch bleibt sehr lange aus. Sollte Chlodwig heut' nicht kommen?«

»Unnöthiger Kummer!« erwiderte er lächelnd, »Dein Freund ist seither stets sehr pünktlich gewesen und wird auch heut' nicht verfehlen, sich sobald als möglich hier einzufinden.«

Zum Grafen gewandt fuhr er fort:

»Ich sehne mich, einen Augenblick hinaus aus dem beengenden Gemach zu gehen. Die Wedels sollen mir heut' am wenigsten die Stimmung verderben können. Wollen wir nicht einen kurzen Spaziergang nach der Stadt unternehmen? Ich habe dort eine Angelegenheit zu erledigen, die ich, falls mir heut' oder morgen keine Zeit mehr bleibt, hierbei in Ordnung bringen könnte. Vielleicht begegnen uns die Grafen von Lindow«

Der Graf war ohne Weiteres bereit, ihn zu begleiten, und Beide verließen das Haus.

Dietz und Detlev waren jetzt, da die Frauen sich längst zurückgezogen hatten, allein.

»Jetzt, Freund,« begann der Erstere, »erklärt mir, weshalb Ihr so auffallend trübe gestimmt seid! Als ich bei meiner Ankunft Eure Stimmung wahrnahm und fragte, hattet Ihr offenbar keine Lust, mir genügende Auskunft zu geben. Ich drang deshalb auch nicht weiter in Euch. Da wir nun aber allein sind, bitte ich, mir, Eurem aufrichtigen Freunde, zu beichten!«

»Wenn ich Eurem Verlangen entspreche,« erwiderte Detlev ernst, »geschieht dies in der Voraussetzung, daß Ihr Stillschweigen über meine Mittheilung beobachten werdet. Ich wünsche nicht, daß, nachdem die Sache leider vollständig erledigt ist, Jemand nachträglich noch Anlaß finden könne, das arme Mädchen vielleicht gar zu verdächtigen!«

»Eine Herzensangelegenheit also ist es, die Euch so ernst, so trübe stimmt?«

»So ist es! Erinnert Ihr Euch vielleicht dessen, was ich Euch über das Mädchen mittheilte, welches ich vor längerer Zeit aus der Gewalt der Boldewin's und aus den Händen des Pfaffen zu befreien vermochte?«

»Gewiß! Ihr sprachet aber davon, daß sie eine Jüdin sei!«

»Richtig. Dieses reizende Kind konnte ich nicht vergessen. Ich habe in der Zeit zwischen dem Kampfe bei Angermünde und der Berennung von Garlosen Zeit und Gelegenheit gefunden, mich nach ihr zu erkundigen!«

»Nun? Was weiter?« fragte Dietz besorgt, als Detlev einen Moment inne hielt.

»Das unglückliche Mädchen sollte einen Mann heirathen, den sie nicht nehmen wollte. Sie hat geweint, gefleht, hat ihrer Mutter, welche mir dies Alles mitgetheilt, entdeckt, daß sie mich allein liebe, und da sie mich nicht erhalten könne, gar nicht heirathen wolle, und hat, als der Vater weder auf Mutter noch Tochter gehört, sondern hart verlangt hat, das Mädchen müsse seinem Willen gehorchen, im Wasser – Ruhe gesucht und gefunden. Wenige Stunden vor meiner Ankunft bei ihren Eltern war ihre Leiche aufgefunden worden!«

»Armes Wesen!« murmelte Dietz tief ergriffen.

Detlev aber erhob sich, um durch Bewegung die vollständig verlorene Fassung wieder zu gewinnen.

Dietz mußte erkennen, daß der Freund dem unglücklichen Mädchen herzlich zugethan gewesen, und suchte vergeblich nach Worten des Trostes. Längere Zeit verging deshalb in dumpfem Schweigen, und er athmete erleichtert auf, als Marie in das Gemach trat.

Noch hatte er indeß nicht vermocht, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen, als Suteminn mit dem Grafen zurückkehrte, in dessen Begleitung sich der längst erwartete Graf Lindow und dessen Sohn Chlodwig befanden.

Marie bemerkte diese gleichzeitig und zog sich, während eine glühende Röthe ihr Gesicht überflog, rasch zurück, Detlev aber ging den Ankommenden ein paar Schritte entgegen.

Nach den ersten Begrüßungen zwischen Dietz und dem Grafen Lindow, welche auf dem Schlachtfelde bekannt geworden waren, und Detlev, welcher während der Reise der Herren nach Kostnitz mit Chlodwig Freundschaft geschlossen hatte, erklärte Graf Warwick:

»Mein längeres Verweilen in Deutschland ist, nachdem ich das, was ich erstrebte, auch erreicht habe, zwecklos. Ich werde deshalb morgen mich vom Kurfürsten verabschieden und übermorgen früh wollen wir von hier abreisen. Der Herr Graf von Lindow wird uns bis Hamburg begleiten, unser Freund Suteminn aber hat mir endlich das Versprechen gegeben, mit uns nach England zu fahren!«

Detlev gab seine Freude hierüber laut zu erkennen. War es ja doch stets sein Wunsch gewesen, den Mann, der während seiner Trennung von den Eltern Vaterstelle bei ihm vertreten, auch ferner in der Nähe zu haben, und er sah erstaunt, befremdet auf, als Suteminn zerstreut antwortete und sein Augenmerk auf etwas gerichtet hielt, was hinter ihm vorging. Neugierig wandte er sich nach derselben Richtung: seine Mutter und seine Schwester waren auf Wunsch des Grafen eben eingetreten und wurden vom Grafen von Lindow und dessen Sohne begrüßt. Marie, das sonst Jedem offen in das Auge sehende, unschuldige, liebe Mädchen, stand, den Blick schüchtern zu Boden gesenkt, vor dem Grafen, während sie hocherglühend das Köpfchen leicht neigte, als vermöge sie in dieser Weise zu verbergen, was sie nicht merken lassen wollte.

Vergebliches Mühen! Weder die Mutter noch die Herren waren im Zweifel über das Gefühl, welches Marie erfüllte, und wären sie es doch noch gewesen, dann hätte ein Blick in das freudestrahlend auf dem reizenden Mädchen haftende Auge des jungen Grafen ihnen die Ueberzeugung verschaffen müssen, daß Chlodwig und Marie einander liebten.

Hindernisse schienen der Liebe des jungen Paares nicht zu erwachsen, denn die Eltern waren durch diese Wahrnehmung keineswegs unangenehm überrascht, und nur eine Person unter den Anwesenden wandte sich auffallend bleichen Angesichts ab und verließ nach einer herzlichen Verabschiedung von dem Grafen und dessen Familie, vorzüglich aber von Detlev und endlich auch von Suteminn das Haus: Dietz von Quitzow.

»Ich Thor,« murmelte er, als er in geringer Entfernung vom Hause noch einmal einen Blick auf dasselbe zurückwarf, »weshalb habe ich mich einer Hoffnung hingegeben, an deren Erfüllung ich nach dem Vorgefallenen vernünftiger Weise gar nicht hätte denken sollen? Ich muß eben die Schuld tragen für etwas, was ich nicht begangen habe! Nun – so sei es denn!«

Langsam, fast zögernd ritt er die Straße dahin, dem nicht fernen Plaue zu.

Der festgesetzte Plan der Reise erlitt indeß eine kleine Aenderung.

Der Kurfürst hatte den Grafen Warwick selbst nach Tangermünde zurückbegleitet, sich hier von den Damen und Suteminn verabschiedet, und Henning von Bismarck, welcher später noch eintraf und die Hütung und Instandhaltung des Zauberhauses freiwillig übernommen, ließ sich nicht davon abbringen, die Herrschaften bis Hamburg begleiten zu wollen.

Die alte Frau, welche vor dem Eintritt Marien's in das Haus die Leitung des Hauswesens geführt hatte, blieb allein zurück und weinte bitterlich, als die Gräfin und Marie, zu welch' Letzterer sie sich besonders hingezogen fühlte, ihr zum letztenmale die Hand boten. Aber nicht nur die Gräfin und ihre Tochter, sondern Suteminn sogar wurde weich gestimmt, als die Alte klagend ausrief:

»Gott im Himmel, nun stehe ich also gerade wieder so allein in der Welt da, wie vor langen Jahren! Damals war ich noch jung, heut' aber –? Lebt wohl, lebt wohl, Gott wird mich doch bald abrufen von dieser Welt. Ich muß ja endlich einmal Ruhe finden!«

»Sei getrost, Alte,« rief ihr Suteminn noch zu, als er sich auf sein Pferd schwang, »ich vergesse Dich nicht, und Herr von Bismarck wird, so lange ich nicht hier bin, Dir gewiß beistehen. Wir sehen uns gewiß noch einmal wieder!«

»Gott gebe es, Herr!« flüsterte die Alte bebend, während sie hinter dem zuletzt den Hof verlassenden Ritter das Thor schloß.

Ohne Unfall kamen die Reisenden in Hamburg an.

Der Graf von Lindow blieb mit den Frauen und seinem Sohne im Gasthofe zurück, während Graf Warwick in Begleitung Detlev's, Bismarck's und Suteminn's nach dem Hafen ging, um nach der, der erhaltenen Weisung gemäß hier noch ankernden »Schwalbe« zu sehen.

Ohne besondere Mühe fanden sie dieselbe unter der großen Masse der im Hafen vor Anker liegenden Schiffe heraus, und es war nun ihre erste Sorge, auf der »Schwalbe«, auf welcher in Abwesenheit des Kapitäns der Constabel Sam Haberland das Commando führte, an Stelle des bei der Erstürmung Garlosens um's Leben gekommenen Kapitäns einen befähigten Ersatzmann zu finden.

Langsam gingen sie, nachdem sie die »Schwalbe« verlassen, am Hafendamm entlang.

Während sie im eifrigen Gespräch dahinschritten, und Suteminn eben einige Einzelheiten des Vorfalls in Erinnerung brachte, welcher ihnen seiner Zeit beim Empfange des von England kommenden Grafen zustieß, rief Herr von Bismarck hastig:

»Da sehe ich ja auch den Mann wieder, welcher uns damals so auffällig und aufmerksam betrachtete, daß ich mich versucht fühlte, ihm mich vorzustellen. Wahrhaftig, er scheint nun, nachdem er uns gesehen, noch dieselbe Neugierde zu hegen. Sehen Sie, meine Herren, wie er bei unserem Anblick zusammenfährt und stehen bleibt! Hollah, er kommt uns geraden Wegs entgegen!«

Auch Suteminn hatte den Fremden schärfer in's Auge gefaßt. Die beiden Ritter beobachteten den Letzteren ebenso unablässig und eben so finster, wie dieser sie selbst. Noch wenige Schritte und sie standen vor einander. Während Suteminn den Fremden, wie von einer plötzlichen Regung überwältigt, ängstlich forschend betrachtete, trat Bismarck dem Fremden in den Weg:

»Ihr scheint ein besonderes Interesse an uns zu nehmen. Es ist nun schon das zweitemal, daß wir uns von Euch höchst auffälliger Weise beobachtet sehen, und sind deshalb wohl berechtigt zu dem Ersuchen um eine Erklärung Eures eigenthümlichen Verhaltens!«

Einen Moment blitzte das dunkle Auge des Fremden auf. Er schien eine scharfe Erwiderung geben zu wollen, begnügte sich schließlich aber mit einem geringschätzigen Achselzucken und wandte sich zum Weitergehen.

Dies empörte Herrn von Bismarck.

»Auf ein freundliches Ersuchen gebt Ihr nichts. Nun gut, dann verlange ich Antwort, oder, bei Gott, Henning von Bismarck wird Euch den Mund öffnen!«

Der Fremde zuckte zusammen, als er diese Worte hörte.

»Welchen Namen nanntet Ihr? Henning von Bismarck? Seid Ihr aus den Marken?«

»Gewiß, ich führe diesen Namen und bin ein märkischer Ritter. Kennt Ihr mich, und wer seid Ihr?«

»Dann habt Ihr einen Bruder, Namens Claus?«

»Auch dies ist richtig. Wer zum Teufel seid Ihr?«

»Dieses Eures Bruders wegen, mit dem ich einst befreundet war, will ich Eure Kühnheit, mich auf freier Straße aufzuhalten, übersehen. Mein Name geht Euch nichts an!«

Ohne sich weiter um die Herren zu kümmern, ging der Fremde nach der andern Seite der Straße und bog dort hastig in eine Seitengasse ein.

Bismarck wollte ihm nacheilen, ein Blick auf Suteminn, welcher einige Schritte zurückstand, veranlaßte ihn jedoch, von der Ausführung seines Entschlusses abzustehen.

Der Ritter starrte mit weitgeöffneten Augen dem Fremden nach, bleich und mit halbvorgebeugtem Oberkörper stand er neben einem der längs des Dammes eingerammten Pfähle und bot in so hohem Grade ein Bild hülflosen Schreckens, daß nicht nur Bismarck, sondern auch Detlev, welcher gleichfalls auf ihn aufmerksam wurde, rasch zu ihm trat.

»Um Gottes Willen, was ist Euch zugestoßen? Ist es möglich, daß der Grobian Euch in diesen Zustand zu bringen vermochte?«

Diese Fragen erschollen fast gleichzeitig, ohne indeß eine sofortige Beantwortung zu erfahren.

Als nun aber auch der Graf besorgt sich ihm näherte, da richtete er sich auf und sprach, während ein wehmüthiges Lächeln um seinen Mund spielte:

»Seid ohne Sorge, Freund. Durch den Anblick des Fremden ist die Erinnerung an Jemand in mir plötzlich wachgerufen worden, der mir sehr nahe stand und noch steht. Die Ueberraschung war sehr stark. Doch wird die Schwäche bald überwunden sein.«

»War es denn,« fuhr er leise, mehr für sich selbst fort, »wirklich eine Täuschung? Könnte Olaf nicht noch leben, sich hier aufhalten und mir jetzt begegnet sein?«

Detlev hatte den Ritter aufmerksam, forschend beobachtet und mußte die letztere Frage verstanden haben, denn er bat, als Suteminn sich zum Weitergehen anschickte:

»Erlaubt mir, den räthselhaften Fremden zu verfolgen. Er kennt Herrn von Bismarck, und Ihr kennt, wie mir nicht mehr zweifelhaft ist, ihn. Weshalb sollte sich diese Angelegenheit nicht aufklären lassen?«

»Ich begleite Euch!« erklärte Herr von Bismarck rasch, Suteminn bat jedoch nachdrücklichst, jeden Versuch, den Mann aufzufinden, zu unterlassen. »Kommen wir,« meinte er, »zufällig noch einmal zusammen, dann werde ich mir selbst Gewißheit verschaffen; begegne ich ihm aber nicht mehr, nun, dann will und werde ich ihn vergessen!«

Bismarck wie Detlev fügten sich diesem Wunsche sichtlich nur ungern und sie kehrten schweigend, langsam nach dem Gasthof zurück, in welchem Graf Lindow und die Frauen sie erwarteten.

Als sie am Hause des Kaufherrn Wilkens ankamen, blieb der Graf stehen.

»Ich bitte Euch, einen Augenblick mit mir hier einzutreten. Da ich zufällig hier vorübergehe, will ich eine Angelegenheit erledigen, die anderenfalls sich wohl noch längere Zeit verzögert haben würde!«

Gleichgültig folgten die Herren dem Grafen, welcher in das Comptoir des Handelshauses trat und eben nach Herrn Wilkens fragte, als dieser aus einem Seitenzimmer trat.

Auf seine Einladung hin traten die Herren in dieses Arbeitszimmer des Kaufherrn und Detlev wie Herr von Bismarck unterdrückten nur mit äußerster Mühe einen staunenden Ausruf, als ihnen hier der Fremde plötzlich gegenüber stand.

Suteminn stutzte nur einen Moment, dann trat er nahe an den ihn nicht minder gespannt beobachtenden Mann heran und rief mit in Folge innerer Bewegung bebender Stimme:

»Vergebt, Herr, daß ich Euch mit einer Frage behellige, und wenn ich mich in meiner Annahme getäuscht habe, dann erklärt Euch meine Bitte mit dem lebhaften Wunsche, eine mir theure Person wiederzufinden!«

»Fragt!« stieß der Fremde weniger mürrisch als scheu hervor.

»Olaf Moltke!« rief Suteminn leise, während er nach der Hand des halb von ihm abgewendet stehenden Fremden griff.

Dieser zuckte zusammen und blickte dem Ritter mit unverkennbarer Angst einen Moment nur in das Auge.

»Olaf!« rief Suteminn, die Hand des Fremden festhaltend, »kennst Du mich, Deinen Bruder, nicht wieder?«

»Otto!« schrie dieser jetzt laut auf, und in demselben Augenblick lagen beide Männer sich in den Armen.

Wortlos hielten sie sich lange, lange fest umschlungen und der Graf, wie auch Bismarck und Detlev, welche durch diese Erkennungsscene auf das Höchste überrascht waren, wandten sich feuchten Blickes ab. Es war ihnen ja ein fremder Anblick, Männer weinen zu sehen. –

Nicht minder schien aber auch der Kaufherr überrascht zu sein, denn er blieb wie erstarrt in der Thüre stehen und starrte die Gruppe an, dann trat er schleunig in das Comptoir zurück und drückte die Thüre in's Schloß.

Endlich fanden die Brüder wieder Worte.

Der Graf hatte bereits das Zimmer verlassen und

Bismarck folgte nun mit Detlev, so daß Beide allein waren.

In fliegender Hast erzählte Suteminn, daß er nach seiner Trennung vom Bruder erst in Westphalen bei einem dem Vater befreundet gewesenen Ritter Unterkunft gefunden und dort auch seine weitere Ausbildung erhalten, daß er dann weit in fernen Ländern umhergezogen und endlich seit einer langen Reihe von Jahren in den Marken wohne. »Durch Zufall habe ich in der Nähe unseres einstigen Heim's das ehemalige Kammermädchen unserer Mutter aufgefunden, sie mit mir genommen, und das mittlerweile hochbejahrt gewordene Weib führt mir nun nahezu eben so lange Zeit, wie ich in den Marken und zwar in Tangermünde lebe, das Hauswesen. Demnach habe ich doch wenigstens eine Person bei mir gehabt, die Vater, Mutter und Bruder gekannt hat. Wie aber,« schloß er seine Mittheilungen, »ist es seither Dir ergangen, lieber Bruder? Was treibst Du hier? Sprich, erzähle; ich vermag Dir nicht zu sagen, wie sehr ich mich nach dem Wiedersehen mit Dir gesehnt habe, wie oft ich den Himmel um die Gunst gebeten, Dich noch einmal in meine Arme schließen zu dürfen. Er hat meine Bitte erhört! Ihm sei Dank!«

»Als ich thöricht genug gewesen war,« antwortete nun Olaf, »eines Mädchens wegen, die wir zwar mit gleicher Stärke liebten, die uns aber doch entrückt wurde durch einen Engländer, mich von Dir zu trennen, wandte ich mich nach Schleswig, ging von da zur See und bin heut' als Befehlshaber des Wiking und unter dem Namen Rolf Vendaskiold, wie ich glaube, nicht mehr ganz unbekannt!«

»Wie?« fuhr Suteminn, den wir als Otto von Moltke erkennen, auf, »Du bist das gefürchtete Oberhaupt der Vitalienbrüder?«

»Nein, mein Junge, das bin ich nicht. Ich lebe für mich allein und habe mich nie unter die Regeln einer Genossenschaft oder die Gesetze eines besonderen Staates gestellt, die Fürsten mehrerer Nordseestaaten sind vielmehr zu mir gekommen und haben meine Hülfe unter den von mir aufgestellten Bedingungen nachgesucht! Doch laß uns zunächst von Naheliegendem sprechen. Du warst von drei Herren begleitet. Der Eine derselben war angeblich ein Herr von Bismarck, den jungen Mann kenne ich nicht, der Aeltere aber ist ein Graf Warwick aus England. Wie kommst Du zu diesem Manne, mit dem ich wegen des auf Neuwerk mir zugefügten Schadens ein ernstes Wort zu sprechen habe?«

»Graf Warwick ist mein Freund. Ich will ihn für einige Zeit nach England begleiten und bitte Dich, das, was Du mit ihm abzumachen hast, so lange zu verschieben, bis Du ihn näher kennen gelernt haben wirst. Die Neuwerker Angelegenheit trifft ja überdies auch mich, denn ich war bei derselben betheiligt.«

»Du? In welcher Weise?«

Suteminn erzählte nun die Ereignisse nach der Ankunft des Grafen in Hamburg, und Olaf sprang erregt auf. –

»Der Hergang der Sache ist mir in anderer Weise erzählt worden. Nach Deiner Mittheilung trifft die Schuld der Begegnung auf Neuwerk nur meine Leute, welche ihre Strafe übrigens bereits erhalten haben. Daß es aber dem Grafen gelungen ist, glücklich zu entkommen, bedaure ich, und er hat es nur allein Dir zu danken, daß er nach England zurückzukehren vermag. Seine Ankunft in Hamburg war mir bereits bekannt, als ich Euch begegnete und, als ich Euch auf der »Schwalbe« bemerkte, war mir sofort klar, daß nur er der lang herbeigesehnte Graf sein könne.«

»Wodurch hat der Graf Deinen Groll in so hohem Grade erregt, daß Du ihm den Untergang zugedacht hattest?«

»Er ist ein Engländer! Das genügt!«

»Ich verstehe Dich noch nicht!«

»Nun; ein Engländer hat uns unglücklich gemacht und uns zum Aufenthalt in der Fremde gezwungen. Ein Engländer hat uns aber auch Wanda geraubt –«

»Du scheinst in einem Irrthum befangen zu sein. Der Fürst von Waren war es, wie ich sicher erfahren habe, welcher uns im Verein mit den Wedels betrogen hat; er trägt die Schuld an dem frühen Tode unseres Vaters, und ihm verdanken wir es, daß wir nur zu früh schon eltern- und heimathlos umherirren und uns in der weiten Welt einen schwachen Ersatz für das Verlorene suchen mußten. Er hat seinen Lohn erhalten!«

»Inwiefern?«

»Durch unfreiwilligen mehrjährigen Aufenthalt in den Gefängnissen eines Raubritterhorstes, Garlosen, war seine Gesundheit derart zerrüttet, daß er bald nach seiner Befreiung aus dem elenden Käfige, in den die Besitzer von Garlosen ihn gesperrt hatten, auf der Reise nach Waren hülflos im Walde umkommen mußte.«

»Recht so! Deine Ansicht jedoch hinsichtlich der Theilnahme der Wedels an dem gegen unsern Vater verübten Bubenstück ist, wie ich bestimmt weiß, nicht genau. Ich habe selbst Friedrich von Wedel auf – ich glaube Altenwedel gesprochen und von ihm gehört, daß ihr Name fälschlich in dieser Sache genannt worden sei. Der Fürst von Waren sei ihnen nicht einmal persönlich bekannt!«

»Hm! Es sollte mich freuen, wenn die Wedels nicht die Leute wären, als welche ich sie seither erachten mußte. Doch! Hast Du von Wanda nie etwas erfahren? Lebt sie noch? Wo ist sie? Wie geht es ihr?«

»Ich weiß nichts weiter, als daß sie, wie ich Dir bereits mittheilte, mit einem Engländer verheirathet ist, einem Mitgliede der Krämerzunft, die ich hasse bis in den Tod!«

»Ich bitte Dich, den Grafen Warwick auszunehmen. Er verdient diesen Haß wirklich nicht.«

»Dir zu Liebe will ich mich zwingen, dem Manne meine wahre Gesinnung nicht zu zeigen. Falls ich mit ihm zusammenkomme, dann verschweige ich meinen seither geführten Namen.«

»Gut. Der Graf wird jedenfalls seine Angelegenheit mit Wilkens bereits erledigt haben und mich erwarten. Herr von Bismarck wird ebenfalls nicht wenig gespannt auf die Nachricht sein, mit wem er am Hafen gesprochen. Du begleitest mich doch?«

»Meinetwegen. Mit Wilkens kann ich ja später das abmachen, was mich hierhergeführt hat.«

Beide verließen das Zimmer und fanden die drei Herren im Comptoir ihrer noch wartend.

Der Graf verfärbte sich leicht, als er jetzt den wahren Namen Suteminn's hörte, Bismarck aber bot Olaf beide Hände dar.

»Mein Bruder Claus spricht heut' noch sehr oft von Euch und hegt die Hoffnung, Euch noch einmal wiederzusehen. Er wird sich sehr freuen, zu hören, daß sein Verlangen doch noch erfüllt werden kann und – darf ich ihm dies sagen? – wird!«

»Ja, ich werde meinen alten Freund aufsuchen!«

Im lebhaften Gespräch, an welchem der Graf sich auffallender Weise indeß nur wenig betheiligte, kamen sie in dem Gasthofe an, und Olaf unterhielt sich eben mit dem Grafen von Lindow über die Kämpfe zwischen der Hansa und den Dänen, als die Thüre aufging und die Gräfin mit Marie in den Saal trat, in welchem die Herren sich befanden.

Olaf bedurfte der äußersten Anstrengung, die Aufregung zu verbergen, welche ihn bei dem Anblick Marien's und der Gräfin zu überwältigen drohte. Einen Augenblick starrte er sie fassungslos an, dann aber grüßte er zwar höflich, doch so kurz, daß nicht nur sein Bruder, sondern auch Bismarck darauf aufmerksam wurden. Die Gräfin schien im ersten Moment selbst mit einiger Verlegenheit zu kämpfen, überwand diese jedoch so schnell, daß keiner der Herren den Wechsel der Stimmung der Gräfin bestimmt wahrzunehmen vermochte.

Olaf vermied sichtlich, die Gräfin anzusprechen, schien sich überhaupt beengt im Saale zu fühlen, und athmete erleichtert auf, als er mit dem Bruder ein paar Worte allein zu sprechen vermochte.

»Kennst Du die Gräfin?« fragte dieser neugierig.

Olaf sah erstaunt, fragend auf.

»Du scheinst die Ursache unseres einstigen Streites vergessen zu haben!«

»Nicht möglich! Wanda?«

»Gewiß! Wanda von Löwenholm nennt sich heut' Gräfin von Warwick!«

Suteminn war im Augenblick so verblüfft, daß er keine Worte fand. Endlich brummte er unwillig:

»War ich denn mit Blindheit geschlagen, daß ich sie, die so lange unter meinem Dache gelebt hat, nicht zu erkennen vermochte?«

»Unter Deinem Dache hat sie gelebt? Was heißt das?«

Suteminn, oder vielmehr Otto von Moltke erzählte ihm nun im Zusammenhange das, was er aus eigener Erfahrung von dem Geschicke der Gräfin in den Marken wußte, und Olaf rief, als der Bruder schwieg, erschüttert:

»Arme Wanda, welche Leiden hast Du zu ertragen gehabt! Aber auch der Graf,« fügte er sinnend hinzu, »ist vom Schicksal hart, sehr hart heimgesucht worden. Der Himmel hat das Rächeramt übernommen – ich stehe von fernerem Verlangen nach Rache, nach Vergeltung ab!«

Zufällig fand er bald Gelegenheit, die Gräfin selbst zu sprechen, und nun hörte er, daß er wie sein Bruder nicht von ihr vergessen, oder vom Grafen selbst durch Hinterlist oder Verleumdung von ihr verdrängt worden sei, daß vielmehr die Ihrigen sie zu der Verbindung gezwungen hätten und sie Gott sei Dank nie Ursache erhalten habe, diesen Schritt zu bereuen.

Ueber das Geschick der im Geheimen immer noch Geliebten nunmehr beruhigt, übernahm er zur Freude des Bruders wie des Grafen die Besetzung der Stelle des Capitäns auf der »Schwalbe« und verabschiedete sich dann, nachdem er Herrn von Bismarck sein Versprechen eines Besuchs wiederholt und den Bruder bewogen hatte, seinen Aufenthalt in England abzukürzen und ihm Nachricht von der Zeit seiner Rückkehr zu geben. Den Vorschlag des Grafen von Warwick, selbst mit nach England zu fahren, wies er mit Entschiedenheit zurück.

Die Reisenden erreichten ungefährdet England und das Endziel ihrer Fahrt, das Stammschloß der Grafen von Warwick, und Otto von Moltke war nicht zu bewegen, seinen Aufenthalt bei den Freunden länger auszudehnen, als bis nach der Trauung Mariens und des Grafen Chlodwig von Lindow, welcher ihm einen langen Brief von Herrn von Bismarck überbrachte, in dem eine Stelle Detlev namentlich interessirte. Bismarck schrieb nämlich:

»Dietz von Quitzow ist vor einigen Wochen einer großen Gefahr glücklich entronnen, von deren Bestand außer mir Niemand eine Ahnung gehabt hat. In der Schatzkammer der Räuber fanden wir seiner Zeit eine große Kiste mit Gold und Werthsachen, welche der Kurfürst in Verwahrung nahm. Unter diesen Sachen befand sich ein kleines schwarzes Kästchen, das Niemand zu öffnen vermochte. Es wurde vor etwa vier Wochen deshalb in Gegenwart des Kurfürsten von mir aufgebrochen, und wir fanden eine Anzahl Papiere, aus denen nichts Geringeres hervorging, als daß Dietrich von Quitzow, Dietz' Vater, sich durch ein Verbrechen in den Besitz der einst ihm gehörenden Burgen zu bringen vermocht hat. Er ist die Frucht eines ungesetzlichen Verhältnisses seines Vaters Cuno von Quitzow mit einer Brandenburger Bürgerstochter, hat seinen eigenen Bruder Dietrich in der Lendenburggefangen gehalten, woselbst dieser gelegentlich der Erstürmung dieses Schlupfwinkels des schwarzen Dietrich durch die Berliner Bürger erschlagen worden ist und sich derart meine Stellung emporgeschwungen, in die er rechtmäßig nicht gehörte. In Berücksichtigung der edlen Gesinnung und der bewiesenen Treue und Tapferkeit Dietz von Quitzow's hat der Kurfürst diese Papiere cassirt und, da verdientere nähere Angehörige dieser Familie nicht vorhanden, beschlossen, die ganze Angelegenheit der Vergessenheit anheimzugeben, und außer mir hat in der That auch Niemand Kenntniß von der Angelegenheit erhalten. Ihr seid der Erste und Einzige, dem gegenüber ich das Schweigen breche. Dietz, welcher keine Ahnung von der Sache besitzt, hat nun seine Mutter von Burg Saida nach Plaue geholt und aus seinem lebhaften Verkehr mit dem Thümener folgere ich wohl nicht mit Unrecht, daß er das liebliche Töchterchen des alten Haudegens bald als Herrin auf der Plauenburg einführen wird.«

»Gott sei Dank!« bemerkte Detlev, als er diese Stelle des Briefes gelesen, »der arme Dietz kommt endlich zur Ruhe und findet Frieden. Er verdient ihn und das hiernach ihm blühende Glück!«

Und auch der Graf stimmte diesem Ausspruch seines Sohnes bei.

Suteminn verlängerte seinen Aufenthalt in England auf Bitten der Freunde bis zur Abreise des jungen Paares nach Deutschland, kam nach vorhergetroffener Verabredung in Hamburg mit seinem Bruder zusammen und wußte diesen zu bewegen, das Leben zur See aufzugeben.

Olaf von Moltke verkaufte den »Wiking« an die »Hansa«, ließ sich in Waren, seinem Heimathsorte, nieder und vermochte durch Opferung großer Summen nicht nur das fast ganz in Ruinen liegende Schloß seiner Väter zu erwerben, sondern auch wieder herzustellen, und nun zögerte auch Suteminn, welcher abwechselnd bald in Tangermünde, bald bei dem Grafen von Lindow weilte, nicht länger, dem Wunsche des Bruders zu entsprechen. Er gab seine Wohnung in Tangermünde auf und zog, da seine langjährige Dienerin inzwischen gestorben war, allein nach Waren. Dort lebten sie nach langer Trennung wieder vereint noch eine Reihe von Jahren in glücklichster Eintracht, und oft herrschte recht lustiges Leben in den Hallen des Schlosses: die beiden Ritter von Bismarck, die Uchtenhagener, Dietz von Quitzow, besonders aber Graf Chlodwig von Lindow waren häufige, gern gesehene Gäste der beiden Brüder, welche sich außerdem aber auch der unwandelbaren Freundschaft des Kurfürsten Johann und seines Sohnes, des nachmaligen Kurfürsten Joachim erfreuten.

Detlev wurde nach der Abreise seiner Schwester mit ihrem Gatten und Suteminn's von seinem Vater an den Hof des Königs von England geführt. Dort lebte er bereits mehrere Jahre, als er durch die Nachricht von der gefährlichen Erkrankung seines Vaters zur schleunigen Rückkehr in die Heimath veranlaßt wurde.

Noch am Tage seiner Ankunft schloß Graf Warwick die Augen für immer; seine ohnehin seit einiger Zeit bereits leidende Gattin traf dieser Schlag so hart, daß sie nach wenig Tagen schon ihrem Gatten in das dunkle Jenseits folgte, und als Marie, welche sofort Nachricht von der Erkrankung des Vaters erhalten, dort ankam, vermochte Detlev sie nur noch zum Sarge des Vaters und zu der ihrer Beisetzung harrenden Leiche der Mutter zu führen.

Der Schmerz Mariens, welche mit rührender Liebe an ihren Eltern hing, war so heftig, daß Detlev wie auch Chlodwig ihretwegen besorgt wurden. Zur Erleichterung derselben vermochte sie sich endlich wieder zu beherrschen und, sich in das Unvermeidliche fügend, mit ihrem Gatten nach Deutschland zurückzukehren.

Detlev kehrte nicht mehr an den Hof zurück. Er vermählte sich später mit der Tochter des Grafen Leicester und erfreute seine Schwester wie auch Suteminn und seine übrigen Freunde, namentlich Dietz von Quitzow, durch einen längeren Besuch.

Auch nach seiner Rückkehr nach England, wo er sich ausschließlich den Seinen und der Verwaltung seiner Güter widmete, blieb er mit seinen Verwandten und Freunden in den Marken in regem, freundschaftlichem Verkehr und oft erzählte er im Familienkreise von den Leiden seiner Eltern und von seinen Erlebnissen in den Marken und dem furchtbaren Treiben des »schwarzen Dietrich«, dessen Verbrechen zu sühnen, die Söhne zwar den redlichen Willen, jedoch nicht die Kraft besaßen. –


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