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Der Krüppel sah die lange, starkknochige und schnurrbärtige Frau mit einem verächtlichen Blicke an.
»Glaubst Du denn wirklich, daß sich ein vernünftiges Weibsbild in mich verlieben könne?«
»Ja, das glaube ich, das glaube ich sehr, denn ich bin Dir auch gut gewesen.«
»Daran hat mir niemals viel gelegen.«
»Das weiß ich; aber ich wollte Dich nun einmal haben, denn die Rieke Hannecken sagte, es würde nun bald Zeit, daß ich mir endlich Einen nähme. Da bin ich zu Deiner Mutter gegangen; die hat Dir den Kopf zurecht gesetzt, und so sind wir zusammengekommen.«
»Ja, die Rieke Hannecken ist an gar manchem Unheile schuld!«
»Das sagst Du, weil Du sie nicht leiden magst; ich aber weiß, was sie kann. Als ich von den zwölferlei Gicht die neunte Sorte hatte und vor Schmerz keinen Augenblick schlafen konnte, da hat sie mir in drei Tagen geholfen. Die Gicht kam zwar schon nach kurzer Zeit wieder, aber das war wieder eine andre Art, nämlich die elfte. Und dann, als ich mit dem bösen Herzgebreste beladen war, da hat sie bei mir gewartet, bis der Spuk erschienen ist, und sich eine volle, geschlagene Stunde mit ihm herumgebalgt, bis er vor ihr fliehen mußte. O, die Rieke Hannecken, sie glaubt gar Vieles, was ich nicht glaube, aber sie hat mir erst heut früh gesagt – –«
»Daß Du eine alte Ziege bist, die nichts weiter als dummes Zeug mäckert!« fiel er ihr in die Rede, indem er sich erhob, die Thür von Neuem öffnete und trotz des Regens die Hütte verließ.
Er schritt dem Strande zu, der sich an dieser Stelle nach einwärts bog und eine kleine Bucht bildete, deren Rand mit dichtem Weidengestrüpp bewachsen war. Dies war die Weidenbucht, von welcher die Frau gesprochen hatte. –
Sich gegen Wind und Strom wendend, strengte er seine Sinne an, ob sich vielleicht irgend ein ungewöhnliches Geräusch vernehmen lasse; aber das Heulen des Windes überbot jeden andern Laut, so daß ein Ruderschlag selbst aus großer Nähe wohl nur schwer hätte gehört werden können. So stand er eine ganze Zeit; da plötzlich schrak er zusammen: es hatte ihn eine kräftige Faust beim Arme gepackt.
»Bist Du es, Heinrich, oder ist es ein unberufener Lauscher, dem ich die Neugierde vertreiben muß?«
»Teufel noch einmal, laß los, Daniel! Du zermalmst mir die dünnen Knochen ja vollständig!«
»Gut, so habe ich doch recht gesehen in dieser Höllennacht. Warum hast Du mich nicht angerufen?«
»Sehr einfach: weil ich Dich weder gesehen noch gehört habe. Der alte Blasius thut heut ja über die Gebühren! Meine Hütte wackelt in allen Fugen und meine furchtsame Hausehre sieht Gespenster von allen Farben.«
»Nimm ihr das nicht übel; es geht ja oft auch ganz gespenstermäßig zu auf dem Stückchen Erde, wo Du unser Nachtkönig bist. Und so lange die Leute hier an Gespenster glauben, so lange können wir hier auch ungestört unser Wesen treiben. Ist Alles sicher?«
»Ja, bringst Du Güter?«
»Nein, diesmal nicht. Habe etwas Besseres geladen, was mir aus Hamburg zugeschickt worden ist.«
»Etwas Besseres als Güter? Hm!«
»Du denkst, es giebt überhaupt nichts Besseres als eine gute und billige Sorte von gewissen Waaren?«
»Ich habe stets so gemeint. Was hast Du?«
»Einen Pfaffen.«
»Einen Pfaffen? Pfui Teufel!«
»Nur sachte, sachte! Es scheint mir eine ganz absonderliche Art von Pfaffe zu sein.«
»Inwiefern?«
»Da, sieh einmal hinaus auf's Wasser! Möchtest Du jetzt, zu dieser Stunde, in dieser Finsterniß, bei diesem Winde und trotz des Eistreibens auf meinem morschen Kahne eine Fahrt versuchen?«
»Das möchte ich mir doch vorher erst einmal überlegen!«
»Da hast Du es! Und dieser fromme Mann hat Zeit seines Lebens noch keinen Fuß in einen Kahn gesetzt und kommt gar weit her aus dem Binnenlande. Dennoch aber hat er mir fast gute Worte gegeben, ihn herüber zu schaffen, weil seine Sache Eile habe.«
»Allerdings gehört er da nicht zu Denen, welche blos singen und beten, fasten und sich kasteien und vor lauter Angst das böse Wesen bekommen, wenn sie das Wasser nur riechen. Wo ist er denn eigentlich her?«
»Er thut in Allem sehr geheimnißvoll, aber so viel habe ich vernommen, daß er aus den Marken kommt und Pater Eusebius heißt. Er brachte mir das geheime Zeichen mit; er hat es in Hamburg bekommen, und ich muß ihm also zu Diensten sein.«
»Und was will er hier?«
»Er will nach dem Wiking.«
»Nach dem Wiking? Mir scheint, der Kerl hat Muth! Was mag er dort wohl zu thun haben?«
»Er hat kein Wort verlauten lassen. Ich übergebe ihn Dir; das Uebrige ist Deine Sache.«
»Bringe ihn her!«
Der Mann entfernte sich und kehrte bald darauf in Begleitung eines zweiten zurück.
»Wir sind mit einander fertig,« sagte er zu diesem; »von jetzt an habt Ihr Euch mit Euren Wünschen an diesen hier zu wenden!«
Pater Eusebius wollte Etwas erwidern, aber der Sprecher war nach dem letzten seiner Worte schon im Dunkel der Nacht verschwunden. Hinrich ergriff ihn bei der Kutte und zog ihn mit sich fort.
»Kommt!« mahnte er ihn; »es ist heut nicht gut sein im Freien!«
Die ganze vorherige Unterhaltung war nicht gesprochen, sondern geschrieen worden, da eine jede gewöhnliche Rede im Winde vollständig verklungen wäre. Darum gab Hinrich auch jetzt nur in kurzen Worten die einzelnen Weisungen, welche nothwendig waren, ihm durch die Finsterniß folgen zu können, und schritt über den morastigen Boden bis in die Mitte einer kleinen, mit Binsen bewachsenen Fläche, wo er sich bückte, um eine Fallthüre empor zu heben, welche mit Erde und Pflanzenwerk so verdeckt war, daß man sie selbst am hellen Tage wohl nur schwer und bei vorsätzlichem Suchen von ihrer Umgebung hätte unterscheiden können.
Er führte den Pater eine Reihe von Stufen hinab, welche aus Rasen aufgesetzt waren, brannte unten ein Licht an, dessen kleines, düsteres Flämmchen einen nur höchst zweifelhaften Schimmer um sich her verbreitete, und verließ ihn dann mit den Worten:
»So, jetzt seid Ihr geschützt vor der Unbill des Wetters. Wartet zu, bis ich nach einiger Zeit wiederkomme, um Euch weiter zu führen.«
Der Pater sah sich in einem primitiv ausgegrabenen, nassen Loche, zu dessen Boden die erwähnten Stufen hinabführten, wo sich auch eine mit Rasen belegte Erdbank befand. Jedenfalls wurde die Grube nur benutzt, um Personen oder Güter auf kurze Zeit zu verstecken und vor Späheraugen in Sicherheit zu bringen. Der nasse Moorboden eines mitten in der Elbe gelegenen Inselchens war keineswegs geeignet, einen angenehmen Aufenthalt zu bilden, und dazu kam die Unsicherheit seiner Lage, welche das Ihrige dazu beitrug, ihm den gegenwärtigen Augenblick so unbehaglich wie möglich zu machen. Gern hätte er mit dem kleinen Buckligen ein Gespräch angeknüpft, um aus demselben wenigstens zu sehen, wessen Geistes Kind der Mann sei, dem er sich hier jetzt hatte anvertrauen müssen; dieser aber hatte das Loch zu schnell verlassen und schritt nun nachdenklich seiner Hütte wieder zu.
»Ein Pfaffe, der zu Rolf Vendaskiold auf den »Wiking« will,« dachte er während des Gehens bei sich; »das ist eine so seltsame Sache, daß sie noch nicht einmal mir vorgekommen ist, und ich habe doch schon gar Vieles erlebt und erfahren. Das wird gewiß eine sehr fromme Messe werden, welche die beiden Herren mit einander lesen, und wehe Dem, der dazu die Hände falten muß! Und aus den Marken kommt er? Das soll ein schauderhaft fernes Land sein, wo sie einander zum Vergnügen die Gurgeln sammt den Köpfen abschneiden. Vielleicht ist es der Leibpfaffe des dortigen Herzogs oder Kaisers, der den Vendaskiold haben soll, damit er mit seinen Mannen einmal Ruhe und Ordnung im Lande stifte. Die Gegend muß um Afrika herum im großen Meere liegen, denn der »Wiking« kann auf dem Flusse nicht vorwärts, weil er zu groß ist, und muß immer offene See und tiefes Wasser haben. Ich wollte, ich könnte mit; da käme ich doch einmal von meinem alten Hausdrachen los, obgleich ich meine Gurgel auch noch anders gebrauchen kann, als sie mir in den Marken abschneiden zu lassen. Dort soll auch der böse Diez hausen, von dem sie hier den Kindern allerlei Grauliches erzählen, wenn diese keine Ruhe geben wollen. Nein, ich will doch lieber auf meiner Insel und bei meinem Ehekreuze bleiben, als mich von diesem vielleicht gar noch viertheilen lassen, es ist ja so nicht gar absonderlich viel zu meinem Bischen Fleisch!«
Mit diesen Schlußgedanken trat er in die Hütte. Die Frau hatte sich gelangweilt und empfing ihn mit Scheltworten.
»Du kannst es doch nicht lassen, Dich draußen herumzutreiben. Bist naß bis auf die Haut, und wenn Du Dich am Feuer wieder trocken gebraten hast, so gehst Du wieder hinaus, um von neuem naß zu werden. Ich habe nun alle Arten von den zwölferlei Gichten durchgemacht, nur die fünfte noch nicht, und halte mich doch wie ein Hühnchen; Du lebst wie ein wildes Thier, und weißt noch nicht einmal von der ersten oder zweiten Sorte etwas. Ich muß nur einmal die Rieke Hannecken fragen, wie das zugeht. Vielleicht könnten wir uns in die zwölf Gichten theilen, Du sechs und ich sechs, dann hätte ich weniger auszustehen und Du bliebest besser daheim bei mir. Ja, ja, ich muß sie einmal fragen, ob sie die Gicht theilen kann!«
»Ich wollte, sie könnte es, dann würde ich ihr meine Hälfte lassen, damit sie für ihren Hokuspokus auch etwas bekommt.«
»Hokuspokus? Das redet nur der Unverstand! Als
Du die Füße voller Leichdornen hattest und ich ihr Deine Strümpfe bringen mußte, um die Dornen einspinden zu lassen, hat es Dir da nicht wohlgethan?«
»Jawohl haben mir die Leichdornen auch fernerhin wohlgethan, aus den Strümpfen aber hat sie sich ein Busenkissen bereitet, welches gegen die bösen Dünste und giftigen Dämpfe hilft, wenn es von einem Manne kommt, dessen Weib ihm noch kein böses Wort gesagt hat.«
»Dann muß es auch helfen, denn ein so ruhiges und friedsames Weib, wie ich, giebt es gar nicht wieder. Die Rieke Hannecken hat mir erst vorgestern gesagt, daß es so ist.«
»Ich wollte nur, sie sagte es mir einmal, dann wollte ich ihr auch ohne Busenkissen für die giftigen Dämpfe thun!«
»Du kannst sie einmal nicht leiden, und darum – Jesus, Maria und der heilige Vater Joseph, was war das!« unterbrach sie sich mitten in der Rede. »Alle guten Geister loben Gott den Herrn, alle guten Geister loben – – – –«
»Sei ruhig mit Deinem Geplärr!« rief er ihr zornig zu. »Der Satan thut Dir sicherlich nichts; wenn er draußen ist, da frißt er zehnmal lieber mich!«
Es hatte einen Schlag wider die Thür gegeben, und Hinrich erhob sich, um nach der Ursache desselben zu sehen. Seine Frau trat ihm zitternd in den Weg.
»Hinrich, was willst Du thun! Heut' ist die Luft voll böser Geister, und wenn der Wind einen derselben gegen die Thür wirft und Du gehst hinaus, so faßt er Dich und fliegt mit Dir davon. Bleib hier, ich bitte Dich inständig; denke an Dein armes Weib und sieh lieber morgen am Tage nach, was es gewesen ist!«
»Mir soll es ganz recht sein, wenn er mich mit fortnimmt; dann lasse ich mich später auch einmal gegen die Thür werfen und hole Dich nach. Laß mich!«
Er befreite sich von ihren Händen und öffnete die Thür; der Wind trieb die Flamme hoch in den Schornstein hinauf und riß Alles, was nicht niet- und nagelfest war, von den Wänden herab. Die Frau flüchtete sich unter lautem Kreischen in die Ecke, Hinrich aber schloß den Eingang und schritt, wie vorhin, nach der Weidenbucht. Dort standen mehrere dunkle Gestalten, von denen eine ihm entgegenkam.
»Hast Du noch Raum?« frug der Mann, indem er die hohlen Hände an den Mund legte.
»Genug!« antwortete Hinrich in der gleichen Weise.
»So löscht die Ladung!« gebot der Erstere dem Anderen.
Trotz des Windes, der jede freie Bewegung erschwerte, begann jetzt ein reges Treiben. Säcke, Packete und allerlei Güterzeug wurden landeinwärts getragen. Kein Wort fiel dabei, kein Wink wurde gegeben, keine Pantomime, kein Zeichen gewechselt. Die Männer mußten sowohl ihre Geschäfte, als auch die Oertlichkeit sehr genau kennen. Als sie wieder bei einander am Ufer standen, frug Derjenige, welcher der Anführer zu sein schien:
»Hast Du etwas für uns?«
Hinrich nickte und winkte ihm dann, während er den Andern bedeutete, zu warten. Nach wenigen Schritten standen sie vor der Fallthür; diese wurde geöffnet und die Beiden stiegen hinab. Hier unten war das Sprechen weniger beschwerlich. Der Fremde betrachtete den Pater, welcher sich erhoben hatte, aufmerksam, dann frug er:
»Wer seid Ihr?«
»Ich kenne Euch nicht und bitte um das Zeichen!« antwortete der Gefragte.
»Ihr seid vorsichtig, frommer Herr. Hier ist es!« Er zog ein langes, breites Entermesser aus der Scheide; am oberen Theile der Klinge war ein Schiff eingegraben, unter welchem die Worte »Wiking« standen. »Wo habt Ihr das Eurige?«
Der Pater hielt ihm ein Metallstück entgegen, welches dasselbe Zeichen trug. Der Mann nahm es ihm ab.
»Alles richtig. Ihr braucht es nun nicht mehr. Nun sagt, was Euer Begehr ist!«
»Ich muß Rolf Vendaskiold sprechen.«
»Müßt Ihr das wirklich?«
»Ja. Es giebt zu Lande der Sünde und Verderbniß so viele, daß die Streiter des Herrn ihren Fuß auf die Wogen des Meeres setzen, um ihre errettenden Thaten zu thun.«
Ueber das Gesicht des Schiffers flog ein undefinirbares Lächeln.
»Das haben wir schon längst gewußt, frommer Vater, darum sind wir fortgegangen von den Sündern und haben uns auf dem Wasser der Gottseligkeit geweiht. Es wird uns hohe Freude bereiten, Euch in unserer Mitte zu sehen, denn schon längst war es unser sehnlichstes Verlangen, uns an dem Vorbilde eines heiligen Wandels zu erquicken und Trost für unsere Mühsal und Beschwerde in dem Trachten nach dem Reiche Gottes zu suchen.«
»Ihr seid auf einem guten Wege, mein Sohn; die Gnade von oben wird ihn Euch beleuchten und alles böse Gezücht versengen, welches den giftigen Stachel auf Euch wetzt. Aber mein Wandel wird Euch nicht lange zum Muster dienen, denn ich muß sehr bald wieder von Euch scheiden, nachdem ich mein frommes Werk bei Rolf beendet habe.«
»Das ist mir leid, und dazu muß ich Euch sagen, daß es ein großes Wagniß ist, den »Wiking« zu betreten, um den Herrn zu sprechen. Er ist ein strenger und finsterer Mann und mag es nicht leiden, wenn Fremde zu ihm kommen. Die Botschaft muß eine wichtige sein, wenn er des Boten schonen soll, und es sind ihrer gar Viele nicht wieder dahin zurückgekehrt, woher sie kamen, weil sie Strafe leiden mußten für die Verwegenheit, ihn mit unnützen Dingen zu belästigen.«
»Das Wort eines Priesters ist niemals unnütz; es ist mehr werth als Gold, und wiegt Edelsteine und Perlen auf. Führt mich nur immerhin zu ihm! er wird mich hören, sich meiner Worte freuen und ihnen einen kindlichen Gehorsam schenken.«
»So kommt, nehmt Eure Kutte fest um Euch, sonst werdet Ihr von dem Winde durch die Luft geführt!«
Sie verließen die Grube, welche Hinrich verschloß, und schritten der Weidenbucht zu. Dort nahm der Bucklige kurzen Abschied von den beiden Andern und schritt dem Häuschen zu.
»Solche Kerls giebt es doch auf der ganzen See nicht wieder; in einer solchen Nacht mit einem schwer beladenen Kahne diese Fahrt zu unternehmen, das können nur die Wikinger wagen; vor anderem Besuche bin ich vollständig sicher. Morgen Abend kommen nun die Hamburger, um die Waaren abzuholen. Das giebt wieder eine angestrengte Nacht und einige Gespensterstücke für mein Weib. – Was doch der Pfaffe will! Der Heuchler thut so fromm und sanft wie ein Täubchen, und doch lasse ich mich auf der Stelle spießen, wenn er nicht irgend eine schlimme Sache im Schilde führt. Diese Art von Leuten kennt man, und der Rolf kennt sie vielleicht am allerbesten, denn er soll in eine unbeschreibliche Wuth gerathen, wenn ihm eine Kutte vor die Augen kommt. Vielleicht haben sie ihn auch auf die See getrieben, weil die Gottlosigkeit zu Lande gar so groß und haarsträubend ist, und nun freut er sich bei dem Anblicke einer Tonsur grad' so, wie sich der Haifisch freut, wenn ihm ein fetter Bissen in den Rachen schwimmt. Da ist die Thür. Na, für heut' wird es wohl nicht viel Geisterspuk mehr geben, wenn sich die Männer nicht noch einen Spaß mit meiner Eheliebsten machen!«
Mit diesen Trostgedanken trat er ein. Die Frau kauerte noch immer furchtsam in der Ecke, in welche sie sich geflüchtet hatte. Bei dem Anblicke des Gatten erhob sie sich.
»Ich glaubte schon, sie hätten Dich zerrissen und in alle Winde gestreut. Du bist so lange weg, und ich wäre ganz gewiß gestorben, wenn ich die Nacht allein hier hätte bleiben müssen. Die Rieke Hannecken sagte mir erst vor ganz Kurzem, daß ich Dich nicht mehr hinaus lassen sollte, wenn es draußen heult und spukt. Hast Du Etwas gesehen?«
»Ja, sie spielten wie die Mücken in der Luft herum und guckten mich mit Augen an, so groß wie die Wagenräder; sie hatten Drachenschwänze und Geierkrallen und auf dem Rücken einen Kamm, auf dem die Funken spielten.«
»Jesus, Maria und der heilige Vater Joseph, und sie haben Dir nichts gethan?!«
»Nein; der Eine flog hart an mich heran, fletschte die Zähne, die bald so lang und gelb waren wie die Deinigen und grinste mir zu:
»Ich würde Dich fressen, aber Du hast schon Deinen Drachen, mit dem Du Tag und Nacht zu kämpfen hast. Gehe hin in Frieden und freue Dich über ihn in alle Ewigkeit!«
»Das sind ja fürchterliche Worte! Also den Drachen hast Du? Wo denn?«
»Hm!« machte er achselzuckend.
»Du weißt es auch nicht? Da muß ich am Tage einmal die Rieke Hannecken fragen. Die kann für den Drachen thun und wird Dich von ihm befreien!«
»Einverstanden! Sage ihr nur, sie solle mit ihm in das Wasser springen und ihn so lange unten festhalten, bis er genug hat. Auf diese Weise ist mir am besten geholfen, und dann werde ich ihr auch nicht mehr gram und böse sein!«
»Das will ich Dir wohl ausrichten, und sie wird es thun, schon allein mir zu Gefallen. Die Rieke Hannecken ist ein gar gutes und kluges Weib, wenn ich auch nicht Alles glauben kann, was sie glaubt. Sie sagte mir erst vor ganz kurzer Zeit, daß der Klabautermann, welcher auf jedem Schiffe vorn unter dem Spriete sein Wesen treibt, einst ein gewaltiger Riese gewesen sei, der vor Zeiten – – – Hilf Himmel, was ist das für ein höllisches Getöse! Lösch das Feuer aus, Hinrich, und bete ein Stoßgebetlein! Alle guten Geister loben – – –«
»Sei still! Das ist der schwarze Schiffer, der in solchen Nächten auf dem Flusse sein Wesen treibt. Lege Dich auf die Seite und laß keinen Laut hören!«
Auf dem Wasser hatte sich ein fürchterlicher Lärm erhoben. Die Töne, welche sogar das Brausen des Windes überboten, waren geradezu unbeschreiblich, und dazwischen erschollen jammervolle Hülferufe, die selbst einen sonst nicht furchtsamen Menschen mit Entsetzen hätten erfüllen können. Nachdem der Scandal eine Weile fortgedauert, endete er mit einem schrillen, vielstimmigen Schrei, der von den tobenden Lüften vielfach zerfetzt und über die Insel gerissen wurde.
Lange blieben die beiden Eheleute ruhig, bis die Frau endlich das Schweigen nicht mehr länger ertragen konnte.
»Darf ich nun wieder sprechen?« frug sie zagend.
»Ja, aber von der Rieke Hannecken nicht.«
»Warum nicht von dieser?«
»Weil sie mit den Geistern nicht auf einem guten Fuße steht. Wenn der schwarze Schiffer ihren Namen hört, so lenkt er den Kiel gegen die Insel und fährt mitten durch unser Häuschen hindurch.«
»Heilige Maria, wäre das ein Entsetzen! Wer ist der Furchtbare denn eigentlich bei Lebzeiten gewesen?«
»Er war ein guter und tüchtiger Seemann, der aber ein böses Weib hatte. Er ist in den Himmel gekommen und sie in die Hölle, und nun fährt er immer des Nachts auf seinem Kahne hinunter bis an die Teufelspforte, um sich über die Gesichter zu freuen, die sie in den Flammen schneidet. Wenn ihm unterwegs ein weibliches Wesen begegnet, oder wenn er auch nur den Namen eines Weibes nennen hört, so fährt er auf sie los, nimmt sie mit und wirft sie in den Schwefelpfuhl. Darum werden jetzt immer weniger Frauen und immer mehr Männer. Er wird nicht eher aufhören, als bis alle Weiber auf der Erde ausgerottet sind.«
»Gott stehe uns bei! Das muß ich der Rieke Hannecken sagen, damit sie sich in Acht nimmt. Sie sagte mir vor einigen Tagen, daß – – –«
»Willst Du wohl gleich von Deiner Rieke Hannecken schweigen! Ich habe Dir ja gesagt, daß Du die ganze Insel unglücklich machst und uns alle in's Verderben bringst, wenn Du jetzt von ihr sprichst.«
»Heilige Jungfrau und heiliger Vater Joseph, das hatte ich ganz vergessen! Ich glaube, es ist besser, wenn wir lieber ganz schweigen und uns zur Ruhe legen, denn wenn ich mit Jemandem rede, so fällt mir immer die Rieke Hannecken ein und – – –«
»Ruhig, sage ich Dir, sonst sind wir verloren!«
»Hinrich, das geschah wahrhaftig ohne meine Schuld! Komm, leg Dich nieder. Der heilige Michael, welcher den Drachen erstochen hat, möge bei uns sein und uns beschützen vor allen Rathschlägen Beelzebubs. Gute Nacht!«
»Gute Nacht!« – – –
Mit dem kommenden Morgen schienen die Winde ihre Kraft zu verlieren und eine ruhigere und weniger gefährliche Fahrt zu ermöglichen. Das Boot, welches während der Nacht an Neuwerk angelegt hatte, war nach Form der jetzigen Kutter gebaut, trug auf schräg nach vorn stehendem Maste ein dreieckiges Segeltuch und führte an jedem Borde acht Ruder, welche von sechszehn kräftigen Armen bewegt wurden, unter deren Drucke das Fahrzeug ganz zufriedenstellend gegen den Wind anhielt. Das Steuer wurde von zwei Männern bedient und vorn am Buge saß der Schiffer, welcher den Pater aus der Grube geholt hatte. Dieser Letztere war jetzt nicht zu sehen; er lag unter dem
Halbdecke und ruhte sich von den gehabten Anstrengungen aus.
Schon längst waren die Ufer des Stromes zu beiden Seiten zurückgetreten und die Wogen breiter, höher und mächtiger geworden. Das Kurzeis, welches die Elbe geführt hatte, breitete sich über die Fläche aus, so daß es dem Fortkommen kein Hinderniß mehr bereitete und als eine weißgraue, breiartige Masse auf den sich hebenden und senkenden Wassern auf- und niederstieg.
»Steurer, laßt ab zwei Strich nach Backbord!« kommandirte der Bootsmann vorn am Buge und kam dann zwischen den Ruderern hindurch langsam nach hinten.
Die Steuerleute folgten überrascht der unerwarteten Weisung, indem sie ihr Auge mit scharfem Blicke über den vor ihnen liegenden Horizont schweifen ließen.
»Etwas in Sicht, Bootsmann?« fragte der Eine.
»Ein Schiff,« antwortete dieser, indem er den Arm erhob, um ihnen die Richtung anzudeuten. Ganz draußen am äußersten Rande des Gesichtskreises war ein dunkler Punkt zu erkennen, welcher sich langsam und fast unmerklich fortbewegte.
»Er ist noch etwas weit vor uns. Macht, daß wir ihm näher kommen. Legt Euch in die Pinnen, Ihr Männer,« rief er den Ruderern zu; »ich möchte gern sehen, was für ein Mann es ist!«
Zu gleicher Zeit gab er dem Mann am Maste einen Wink; dieser griff an das Tau, das Segel breitete sich aus, und das Schiff flog mit bedeutend erhöhter Geschwindigkeit weiter. Niemand sprach ein Wort; Viertelstunde auf Viertelstunde verging. Endlich wandte sich der Bootsmann wieder an die Steurer.
»Es ist ein Däne, den das Lüftchen von den Friesländern hergetrieben hat. Ein schlechter Segler; hat aber vielleicht Etwas im Leibe. Seht, er bemerkt uns und hält frisch auf uns zu! – – Hm!« machte er nachdenklich, indem er den Horizont ringsum abmusterte, »möchte wohl wissen, wie viel Seelen er an Bord hat! Es wäre doch ein verteufelt hübscher Streich, wenn ein kleines Boot – – – na, und von ihm wegkommen können wir allemal noch zu rechter Zeit. Wollen einmal den Versuch machen. Laßt ab vom Rudern und legt vier Bänke bei! Ein Mann am Ruder ist genug!«
Die Ruder wurden eingezogen, die Hälfte der Bänke maskirt, und nun hatte das Boot gegen früher nur die Hälfte der thätigen Mannschaft.
»Legt Beil und Messer zur Hand! Greift wieder an! So, meine Jungens! Die Anderen gehen unter Deck!«
Man sah, der Bootsmann wollte den Dänen über die Größe der Bemannung täuschen, eine List, die unter allen Umständen von Nutzen sein mußte. Man war ihm unterdessen so weit nahe gekommen, daß man sich eher ein sicheres Urtheil über ihn bilden konnte, und die Leute im Boote warteten mit Spannung auf den Ausspruch ihres Vorgesetzten, den sie als einen Mann kannten, der allen an ihn gemachten Ansprüchen gewachsen war.
»Ja, ein Däne ist's,« sagte er endlich, »und zwar ein Holsteingänger, der für den Dänenkönig Erik nach Kräften raubt und stiehlt. Wer weiß, was für ungehörig Gut er in seinem Raume birgt! Fast könnte man ihn ein wenig leichter machen, oder gar – – Hm, ich schätze ihn auf dreißig Mann, und wir sind ohne einen, der am Steuer bleiben müßte, unserer neunzehn. Die Sache könnte gehen, wenn alles glücklich steht. Am besten ist's, wir lassen ihn an uns kommen. Hat er Vernunft, so fahren wir vorüber; will er uns aber an den Kragen, so mag er sehen wie es kommt!«
Das Boot folgte unverändert seinem Cours und kam bald in die Nähe des Dänen. Es war eine kleine Galeote mit hohem Vorder- und Hintercastell, schwerbauchig gebaut und trug das unbehilfliche Segelwerk der damaligen Zeit. In den Raaen und Wanten hingen einige Leute, welche eifrig damit beschäftigt waren, die Schäden auszubessern, welche man während der Nacht erlitten hatte; neugierige Köpfe blickten über die hohe Brustwehr, und auf dem Quarter stand ein Mann, der das Kommando führte und das herannahende Boot mit scharfem Blicke musterte. Als es in Sprechweite gekommen war, legte er die Hände an den Mund und rief:
»Boot, ahoi, laß das Segel fahren!«
»Laß fahren!« kommandirte der Bootsmann mit schallender Stimme, und leiser setzte er hinzu: »Du sollst Deinen Willen haben, Alter; sprich Dich nur aus!«
»Wendet zur gleichen Fahrt!« schallte es vom Dänen herab.
»Legt um!« rief der Bootsmann seinen Leuten zu, indem er zum Steuermanne trat und leise hinzufügte: »Gieb her; will's selbst einmal versuchen!«
»Woher den Kurs?«
»Von Hamburg.«
»Wohin?«
»Nach Helgoland.«
»Was habt Ihr geladen?«
»Proviant für die Inselleute.« Und leiser klang es: »Den können wir kaufen; wir haben kaum zwei Handbreit vom Boote unter Wasser, und dennoch fragt er nach der Ladung.«
»Proviant? Den brauche ich nothwendiger, als die da drüben: ich werde ihn Euch abkaufen. Nehmt das Tau und macht Euch fest!«
»Geht nicht, Herr! Der Proviant ist schon bezahlt; ich kann die Leute nicht hungern lassen.«
»Ich die meinen auch nicht. Werde Euch das Zeug nochmals bezahlen.«
»Womit?«
»Das werdet Ihr sehen. Laßt das Geschwätz und nehmt das Tau!«
»Gut, so werft es!«
Das Tau wurde geworfen; der Bootsmann fing und befestigte es.
»So, jetzt hat er entweder uns oder wir ihn. Wir sollen sehen, womit er zahlt? O, das wissen wir schon! Nun, wir werden ihm vielleicht nichts schuldig bleiben!« brummte er.
Der Däne ließ einige Reffs in die Segel fallen und drehte bei, ein Manöver, welches damals noch bei Weitem schwieriger war als jetzt, ja, es wäre wohl ganz unmöglich gewesen, wenn der Wind sich nicht so sehr gemildert gehabt hätte. Das Boot lag hart im Lee des Schiffes; ein Ruderschlag genügte, um Planke an Planke zu bringen. Die Leute, welche ihren Bootsmann gar wohl verstanden hatten, warteten nur auf den Befehl desselben, um statt der Ruder die Enterbeile in die Hand zu nehmen.
»Der Bootsmann herauf!« erscholl es von oben.
»Gleich, Herr! Aber laßt doch das Fallreep herab, ich bin krank zum Klettern!«
Wirklich wurde ganz wider Erwarten die Schiffstreppe herabgelassen, so daß jetzt dem Besteigen der hohen Borde gar keine Schwierigkeiten im Wege standen.
»D'rauf, Ihr Mannen. Schlagt sie nieder, aber schont das Leben!« rief der Bootsmann und stand, allen Anderen voran, im nächsten Augenblicke droben auf dem Verdecke.
Mit einigen raschen Sprüngen hatte er den Befehlshaber erreicht, den er mit der Axt vor die Brust stieß, daß er hintenüber stürzte.
»So, nun können wir über den Preis reden, Alter! Einstweilen liegst Du gut.«
Mit kräftigen Streichen wehrte er einige der Feinde ab, welche herbeigeeilt waren, um ihren Herrn zu decken, dann stürzte er sich mitten in den wirren Knäuel hinein, welchen die Kämpfenden bildeten. Die Dänen waren auf einen Angriff nicht gefaßt und also auch meist unbewaffnet gewesen; dieser Umstand kam den Angreifern so zu statten, daß sie in kurzer Zeit den Feind überwältigt hatten.
Todte gab es keine, vielmehr waren die Meisten der auf dem Decke Umherliegenden von den Schlägen der Axthelme nur betäubt oder kampfunfähig gemacht worden. Die erste Sorge der Sieger war, die Besiegten unten in dem Kielraume gut zu verwahren, dann wurde das Boot ins Schlepptau genommen, und die Galeote strebte eine neue Fahrt in der Richtung auf Helgoland zu an.
Der Bootsmann stand auf dem Quarterdecke, wo vorher der Däne seinen Platz gehabt hatte, und rieb sich vergnügt die Hände.
»Das war ein Streich, den uns nicht gleich ein Anderer nachmachen wird, und es soll mich verlangen, was der Capitain dazu sagt. Viel wird es freilich nicht sein, vielleicht nicht einmal ein einziges Wort, aber ich kenne seine Weise; er spricht blos dann, wenn er entweder Glück oder Verderben spendet; was zwischen diesem beiden liegt, das ist ihm zu gewöhnlich, als daß er viele Worte darüber verlieren sollte. Der alte Kasten hier geht tief, er muß also schwer geladen haben, aber ich kann nicht einmal nachsehen, welche Sorte von Dingen es sind, die wir so billig in die Hand bekommen haben, denn wir sind durch die Fahrt und die Bewachung der Gefangenen vollauf beschäftigt.«
Er spazierte in heiterster Laune über das Deck nach dem Hintertheile des Schiffes und blickte in das Boot hinab, wo außer dem Manne am Steuer jetzt Niemand mehr zu sehen war.
»Ich glaube gar, der Pfaffe hat das ganze Abenteuer verschlafen! Der Mann muß entweder ein sehr gutes Gewissen oder gar keins haben, sonst hätte es ihm schon längst die Augen aufgerissen. Vielleicht ist es das letzte Mal, daß er so ruhig schläft, denn führt er eine Schurkerei im Schilde oder behelligt er den Capitain mit unnützen Dingen, so mag ich nicht in seiner Haut stecken!«
Er stieg wieder auf das Hinterdeck, warf einen Blick über den Horizont und eilte dann zum Steuermann.
»Siehst Du Etwas?« fragte er diesen.
»Wo?«
»Dort!«
Der Mann beschattete die Augen mit der Hand und blickte nach der bezeichneten Richtung.
»Nun?«
»Wenn ich mich nicht irre, so ist das der »Wiking«,«
»Freilich ist er es. Dem Capitän ist es bei dem Wetter bange um uns geworden, und so hat er auf die Elbe zugehalten, um uns im nothwendigen Falle nahe zu sein.«
»Er wird schöne Augen machen!«
»Habe es auch schon gedacht. Wollen doch einmal sehen, ob er Spaß versteht!«
Der helle Punkt, auf welchen die Beiden ihr Augenmerk gerichtet hatten, vergrößerte sich zusehends und kam näher und näher. Schon waren die drei Mastenspitzen deutlich zu unterscheiden, dann trat das untere Segelwerk hervor, und endlich ließ sich auch der Rumpf erkennen, welcher schließlich zu einer colossalen Größe anwuchs und in seiner damals üblichen Bauart wie eine aus den Fluthen ragende Festung ausschaute.
»Laßt die Windsegel auf!« rief der Bootsmann, und dem Mann am Steuer bedeutete er: »Falle ein wenig nach Lee ab, damit er meint, wir wollen uns vor ihm davonmachen!«
Der Wind legte sich in die neu beigesetzten Segel, und das Schiff verfolgte mit erhöhter Geschwindigkeit die abweichende Richtung. Sofort flog eine wahre Fülle von Leinwand auf dem »Wiking« in die Höhe, und er fiel von dem bisher eingehaltenen Curse ab, um die Bahn der Galiotte im Bogen zu durchschneiden.
»Siehst Du? Er will uns haben. Jetzt zeigt er die Flagge. – Zieht den dänischen Fetzen in die Höhe!«
Der Befehl wurde befolgt und erregte auf dem Wiking allgemeines Erstaunen. Die ganze seefahrende Welt wußte, daß Holstein sich mit der Hansa, besonders mit Hamburg gegen die Dänen verbunden hatte; auch waren von dem ersteren Staate die Vitalienbrüder gewonnen worden, deren berühmtestes Fahrzeug der »Wiking« war. Und hier wagte es eine armselige dänische Galeote, diesem gegenüber die Flagge zu behaupten, anstatt sich ruhig zu ergeben? Das hieß nichts anderes als wahnsinnig sein.
»Schau, wie sie sich wundern! Jetzt wird der Schiffer den Capitän rufen, um ihn zu fragen, ob er uns nicht einfach in den Grund segeln soll!«
»Wenn mich mein Auge nicht trügt, so hängt er schon droben in den Wanten. Kennst ja die Stelle, wo er immer Ausguck nimmt!«
»Ja, die Füße in den Sprossen, die Linke am Taue und die geballte Rechte in der Hüfte, wie das so seine Stellung ist. Da dürfen wir den Spaß nicht übertreiben, sonst legt sich die Stirn in Falten, und wenn diese sich sehen lassen, so giebt es stets etwas, was lieber ungeschehen bleibt. Wir haben diese Nacht dem Hinrich zu Liebe Gespenster gespielt; wollen dafür sorgen, daß wir selbst nicht etwa welche zu sehen bekommen! Lege das Steuer auf seinen Back! Hört, Ihr Mannen, laßt die Flagge mit den Windsegeln fallen!«
Sobald dieser Befehl ausgeführt war, segelte die Galeote in langsamer Fahrt gerade auf den »Wiking« zu. Sobald dieser das veränderte Benehmen des vermeintlichen Dänen bemerkte, nahm auch er die überflüssigen Segel ein und erwartete das vollständige Herannahen des fremden Fahrzeuges. Rolf Vendaskiold war jetzt aus den Wanten herabgestiegen; der Schiffer trat auf ihn zu.
»Was meint Ihr, Capitän, zu dem Dänen? Wird es
Etwas für uns werden, oder lassen wir ihn mit einer scharfen Zwiesprache davongehen?«
»Schiffer!«
Nur dies eine Wort sprach der Befehlshaber, aber es enthielt eine ganze Strafrede, und aus dem Tone, in welchem es erklang, hörte man die unverhohlenste Verwunderung heraus.
»Zeiht Ihr mich eines Fehlers, Capitän?«
»Seht Ihr nicht das Boot am Schlepptau der Galeote?«
»Wohl sehe ich es.«
»Und den Mann in der langen Jacke, welcher bei dem Steurer steht?«
»Auch diesen sehe ich.«
»Nun?«
Der Schiffer strengte sein Auge um ein Weniges mehr an und rief dann, vor Scham erröthend:
»Verzeiht, Capitän; so einen falschen Cours haben meine Gedanken noch niemals eingeschlagen. Das ist ja der Bootsmann Clas, welcher das Schiff führt, und hinten hängt sein Ruderkasten!«
»Endlich! Der hat wieder einmal einen seiner Streiche begangen und bringt uns einen Zweimaster zum Geschenk, den er mit seinem Spielzeug von einem Boote genommen hat. Ich gehe wieder in die Cajüte. Bringt die Sache in Ordnung und sagt dem Clas, daß er von heut an Hochbootsmann sei!«
Damit war für ihn die Sache erledigt; er schritt die Cajütentreppe hinab und kehrte wieder in den kleinen Raum zurück, von welchem aus das freie Fürstenthum »Wiking« regiert wurde.
Die Augen seiner Untergebenen hatten ihn verfolgt, bis der letzte Zipfel seines Gewandes in der Luke verschwunden war. Mit von inniger Liebe, felsenfestem Vertrauen und scheuer Furcht getheiltem Gefühle hingen sie an dem seltenen Manne, der es verstanden hatte, eine zahlreiche Bande der rohesten und abenteuerlichsten Gesellen zu besseren Gesinnungen zu führen und die Gewässer des Nordens mit seinem gefürchteten und doch vielgesuchten Namen zu erfüllen. Sein ganzes Aeußeres schon zeigte den Mann, der zum Gebieten geboren und selbst den schwierigsten Aufgaben seines gefahr- und anspruchsvollen Lebens gewachsen war. Keine Stimme klang wie die seine, kein Auge blickte so, wie das seine, und wenn er mit elastischem und doch so kraftvoll sicherem Gange über das Verdeck schritt, so fühlten und verstanden Alle die Sprache, welche in jeder seiner Bewegungen lag. Und wie sein Aeußeres, so war auch sein Inneres. Nie hatte er einen Befehl zurückgenommen, nie einen bemerkbaren Irrthum begangen; sein strafendes Wort fiel wie eine zerschmetternde Faust auf den Fehlenden, und mit einem einzigen kurzen Winke hatte er oft den lautesten Tumult zum Schweigen gebracht. Darum war auch ein Lob aus seinem Munde ein gar kostbares Geschenk, nach dessen Besitz Alle strebten; und wer es gehört, dem klangen die weichen, wohlwollenden Laute für immer in den Ohren. Was Wunder, daß eine Ordnung, ein Gehorsam, eine Tapferkeit und ein Opfermuth auf dem Schiffe herrschte, der dem Befehlshaber alles nur irgend Mögliche erreichen ließ und dem »Wiking« eine Macht verlieh, die selbst die berühmten Hansestädte anerkannten und für ihre Pläne zu gewinnen suchten!
Der Tisch, an welchem er sich niederließ, war mit Karten und Plänen belegt, und an den Wänden rings herum erblickte man eine Menge von Büchern und Pergamenten, wie sie in damaliger Zeit selten, am seltensten jedenfalls aber auf einem Schiffe zu finden waren, welches keinen anderen Zweck, als den der Waffen verfolgte. Vor seinem Sitze jedoch waren die Karten zurückgeschoben und auf der freien Stelle stand ein schwarzes Ebenholzkästchen, welches mit allerlei an sich geringfügigen, für den Besitzer aber doch werthvollen Gegenständen angefüllt war, denn sonst hätte er sie nicht einer so liebevollen Bewahrung unterworfen.
Er schien durch das Nahen der Galeote in der Betrachtung dieser Gegenstände gestört worden zu sein und griff jetzt wieder zu einer kleinen, feinen Elfenbeinplatte, welche er vorhin in der Eile von sich gelegt hatte. Sie enthielt das Bildniß eines in der Blüthe der Jugend und Schönheit stehenden Mädchens.
»Walda!« klang es leise von seinen Lippen, während aus seinem Auge ein helles, sonniges Licht leuchtete. »Dich habe ich geliebt wie noch selten ein Mannesherz liebte, ich und der Bruder. Auch seine Liebe kam aus dem tiefsten, heiligsten Leben. Wo er nur weilen mag? Ich habe ihn gekränkt bis auf das Blut und seine Bitten um Versöhnung von mir gewiesen – umsonst, umsonst, denn Keiner von uns Beiden hat die Hoffnungen, die er hegte, in Erfüllung gehen sehen. Unser beider Glück ist an dieser Liebe zu Grunde gegangen und begraben worden, das meinige in den Fluthen des Oceans, das seinige in der weiten, wilden Fremde, in die ich ihn hinausgestoßen habe. O, wie hasse ich seit jener Zeit diesen kalten, steifen Engländer! Er kam, sah die Holde, Reine, Herrliche und nahm sie uns weg. Er betrog uns um Alles, was wir hatten und besaßen, verleumdete uns bei dem Fürsten und freute sich, als wir fortgehen mußten aus dem Hause unserer Väter, welches unsere Jugend geschützt hatte und sich über unser Alter wölben sollte. Ja, ich hasse sie, hasse sie mit jeder Faser meines Herzens, in jeder Sekunde meines Lebens, mit jedem Tropfen meines Blutes, mit jedem Hauche meines Athems, mit jedem meiner finsteren Gedanken! Rolf Vendaskiold ist der Einzige unter den Brüdern, welcher nicht mordet, welcher Gnade nach dem Kampfe walten läßt, aber wehe dem Fahrzeuge, welches ihm unter der verhaßten Flagge des Insellandes begegnet; sein Hafen ist der Grund des Meeres und seine Mannen sind verloren, sind Kinder des Todes vom Ersten bis zum Letzten!«
Er warf sich in das Kissen zurück, welches ihm als Sitz diente, und starrte finster vor sich hin, den Gedanken Raum gebend, welche in seinem Inneren auf- und niederstiegen. Es war keine gute Stunde für den, welcher jetzt in seine Nähe treten mußte, und doch tönten nahende Schritte die kurze Treppe herab und die Thüre wurde geöffnet. Es war der Schiffer, welcher eintrat.
Aus seinem Sinnen emporfahrend, sah der Capitän ihn fragend an.
»Verzeiht, Herr, wenn ich Euch störe! Clas hat von Neuwerk einen Mann mitgebracht, welcher Euch zu sprechen wünscht!«