Karl May
Der beiden Quitzows letzte Fahrten
Karl May

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»Du, der ist ein ganz verdeiwelt perühmter Mensch geworden. Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper gegen den pin ich ungefähr ganz und gar Nichts. Der hat sich nämlich auf das Meer verlaufen und ist auf einem Schiffe, womit man Garlosen über den Haufen fahren könnte. Er war einmal auf Pesuch pei mir, als ich dazumal in Plaue lepte, und hat einem fremden Ritter peigestanden, der von dem schwarzen Dietrich überfallen worden war, ich glaupe, es war ein Herzog oder König von Arapien oder Engelland. Der hat ihn mitgenommen, und seit dieser Zeit hape ich nichts mehr von ihm gehört, aper ich kenne den Peter, und es wird gar nicht lange gedauert hapen, so wird er ein Prinz geworden sein.«

»Ein Prinz, Kaspar? Das ist ein gar grausam großes Thier! Wird er das aushalten können?«

»Der? Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper der Peter war ein ganzer Kerl und fast nach mir gerathen. Er hatte nur einen Fehler, und den hape ich ihm nie apgewöhnen können, nämlich er sprach das sanfte p grad' so aus wie das scharfe p und prachte nicht einmal seinen eigenen Namen Liepenow richtig üper die Zunge, denn er sprach ihn stets nur Liepenow, und es muß doch heißen: Liepenow. Ich hape mir viel Mühe mit ihm gegepen, aper es ist umsonst gewesen, denn der Fehler stammt von unserm Vater, der auch immer Pruder statt Pruder gesagt hat und Paum statt Paum.«

»So, also! Und ich hatte auch einen Bruder, der auf das Wasser gerathen ist. Er war ein Zwilling von mir und hieß Samuel Haberland. Wir sahen einander ähnlich wie ein Ei dem andern, und ich habe nie wieder Etwas von ihm gehört, seit er fortgegangen ist; ich glaube, er ist einmal in ein tiefes Loch gerathen und hat darin elendiglich ertrinken müssen, denn auf der See soll es ganz heillose Löcher geben, so tief wie ein halber Kirchenthurm, die bis obenheran voll Wasser sind. Es kann mir Leid thun um den armen Teufel, und ich gäbe gleich meinen Gregorimanoro – – nein, den nicht, aber diesen fetten Bock hier gäbe ich auf der Stelle darum, wenn ich erfahren könnte, an welchem Orte sie ihn dort begraben haben.«

»Das will ich Dir glaupen, Pruder Palthasar, denn für einen Pruder thut man mehr, als für einen fremden Menschen. Da Du aper doch hier auf diese Kunde nicht warten kannst, so will ich Dir das Thier jetzt wieder auf die Achseln hepen; wir müssen zurück in das Schloß, denn man weiß nicht, was da wegen des gefangenen Ritters für Dinge vorgehen können, pei denen wir gepraucht werden. Ich hape das Licht in dem Gange prennen lassen. Komm, so, prr, ist das Piest dick und schwer! Da, jetzt hast Du es open, und nun vorwärts, daß wir hinein kommen!«

»So, also, geh Du voran und mache die Sträucher auseinander, daß ich hindurch kann!« – –

Dem Lauscher war kein Wort dieses eigenthümlichen Gespräches entgangen, und wenngleich er die beiden Leute nicht kannte und ihm auch manche Aeußerungen unklar waren, so hatte er doch so viel verstanden, daß Herr Henning von Bismarck zurückgehalten worden sei und vielleicht gar als ein wirklich Gefangener behandelt werde. Hier war es nothwendig, einen schnellen Entschluß zu fassen. Wie weißlich hatte der vorsichtige Ritter gehandelt, ihn nicht mit auf das Schloß zu nehmen, denn so war es ihm nun möglich, den Seinigen schnelle Nachricht zu bringen. Jedenfalls hatten die Herren von dem Kruge so ein Derartiges vermuthet, da ihr Bote, welcher Claus von Quitzow von Stavenow holen sollte, sonst nicht den Weg durch einen verborgenen Gang gesucht, sondern die Burg auf die gewöhnliche offene Weise verlassen hätte.

Aber war es unter den vorhandenen Umständen auch rathsam, der Weisung Bismarcks sofort zu folgen und schleunigst nach Burgstall zu reiten? Der Weg war weit und die Hülfe schwer und erst spät herbei zu schaffen. Konnte dieselbe nicht vielleicht auf kürzerem, wenn auch gefährlicherem Wege geleistet werden? Detlev überlegte nicht lange. Der Muth, welcher ihn beseelte und das Bewußtsein seiner körperlichen Kraft und Gewandtheit ließen ihn von Zweiem das am nächsten Liegende wählen, und mit möglichster Vorsicht schlich er sich deshalb den beiden Männern nach.

Sie blieben vor einem dichtverwachsenen Strauchwerk stehen, welches zur Laubzeit des Sommers fast undurchdringlich sein mußte. Daß dem aber nicht so war, bewies Liebenow, denn er schob an einer Stelle das Dickicht auseinander und hielt die dadurch entstandene Lücke so lange offen, bis der Andere mit seiner Last hindurch gelangt war.

Detlev blieb noch einige Augenblicke zurück, um sie erst in den Gang, von welchem sie gesprochen hatten, eintreten zu lassen. Er mußte sich hüten, seine Anwesenheit durch das Knacken der Zweige zu verrathen und schlüpfte darum nicht eher an derselben Stelle durch das Gesträuch, als bis er sich sicher glaubte. Es war nur eine enge Felsenspalte, welche sich hinter demselben zeigte, aber sie erweiterte sich nach kurzer Zeit zu einem ausgehauenen Gange, welcher, wie an mehreren Umständen zu erkennen war, viel betreten sein mußte. Mit beiden Händen sich an den Seitenwänden forttastend, schritt er vorwärts und vernahm nun bald die Schritte der ihm Vorangehenden. Zu gleicher Zeit bemerkte er den Schein des Lichtes, welches Liebenow jedenfalls trug, und nun war es ihm möglich, immer den nöthigen Abstand zwischen sich und ihnen zu halten und auch ihnen zu folgen, ohne sich vielleicht in einen Seitengang zu verirren.

Nachdem der Weg eine geraume Weile grad' und eben fortgeführt hatte, stieg er nach und nach immer mehr aufwärts, krümmte sich verschiedene Male, wurde von gemachähnlichen Erweiterungen und Stufen oder Treppen unterbrochen und mündete endlich in ein Gewölbe, an dessen beiden Seiten lange Reihen von Särgen standen. Es war die Todtengruft der früheren Besitzer von Garlosen. Hier klangen die Schritte laut von den steinernen Wänden und der von schweren Bögen getragenen Decke wieder. Dieser Umstand konnte an dem Eindringlinge zum Verräther werden; er hielt unwillkürlich seinen Fuß zurück und schlich erst dann sich weiter, als er bemerkte, daß der Lichtschein vor ihm plötzlich verschwunden sei.

Da ertönte ein raschelndes Klirren hinter ihm, dem ein dumpfer Stoß folgte, als ob leere Kästen aneinander stießen. Was war das? Schnell trat er zur Seite; es war ja möglich, daß von daher eine Gefahr ihm drohe, die er an sich vorüber gehen lassen müsse. Als sich aber ein Weiteres nicht vernehmen ließ, schritt er zurück, um vor allen Dingen die Ursache des vernommenen Geräusches zu untersuchen. Sie war bald gefunden. Die Mündung des Ganges nämlich war jetzt durch eine Anzahl über- und nebeneinander gestellter und dicht zusammengefügter Särge verdeckt, die eine Wand bildeten, welche durch irgend einen Mechanismus beweglich sein mußte.

Jetzt war ihm der Ausgang versperrt; auf dem zurückgelegten Wege konnte er das Schloß nicht wieder verlassen; dies wurde ihm nur dann möglich, wenn es ihm gelang, die Vorrichtung zu entdecken, durch welche die Sargwand verschoben werden konnte. Von Neuem schritt er durch die Dunkelheit vorwärts. Sie wurde gemildert nur durch einige kleine Oeffnungen, welche von oben her schräg durch die dicke Mauer führten und dem Tageslichte einen außerordentlich spärlichen Zutritt gestatteten. Bald jedoch hatte sich sein Auge einigermaßen an den Lichtmangel gewöhnt und er gewahrte nun am Ende des Gewölbes eine Stufenreihe, welche nach aufwärts führte. Er stieg hinan. Die Oeffnung, zu welcher sie führte, war durch eine Steinplatte verschlossen, deren Gewicht ein mit nicht ungewöhnlicher Körperkraft ausgestatteter Mensch wohl kaum bewältigt hätte. Detlev aber war der dabei nothwendigen Anstrengung mehr als gewachsen. Er stemmte die eine Schulter an den Stein, hob ihn leise und nur ein wenig empor und versuchte, durch die entstandene Spalte einen Blick in den Raum zu werfen, welcher über dem Grabgewölbe lag. Leicht war es möglich, daß sich Jemand in demselben befand und durch die Bewegung des Steines auf ihn aufmerksam gemacht wurde.

Glücklicher Weise war er leer. Es war die Kapelle des Schlosses. Der letzte Schein des sinkenden Tages warf ein magisches Duster durch die kleinen runden und vielfach gefärbten Fensterscheiben; auf dem Altare brannte die ewige Lampe, und tiefe Stille herrschte rings umher. Lange aber sollte dieselbe nicht währen; ein Gemurmel nahender Stimmen schlug an sein Ohr, und kaum hatte er Zeit gehabt, sich hinter einem Beichtstuhle zu verstecken, so war die Thür geöffnet und eine Anzahl bewaffneter Männer trat herein.

»Dat is gut, daß mir der Balduwin zum Kerkermeister gemacht haben thut!« sagte der Voranschreitende. »Wat meenst Du dazu, Kaspar, daß ich den dummen Kerl so fein ausgefragt haben thue?«

»Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper einen schlauen Kopf hast Du, Pruder Schwalpe! Mir wäre es gar nicht in den Sinn gekommen, daß da unten im Holze Einer auf den Pismarck warten könnte. Aber weil ich es nun einmal weiß, so werde ich ihm Eins auf die Haupe gepen, daß er damit zufrieden sein kann!«

»So, also!« klang es von einer andern Stimme; »Ihr paßt gut zusammen: der Eine kann gut denken, der Andre gut schlagen; darum bringt Ihr auch immer etwas Ordentliches fertig, wenn Ihr mitsammen geht, und die Ritter haben ein ganz besonderes Vertrauen auf Euch geworfen.«

»Höre, Balthasar, ich muß Dich sagen, daß Du diesmal ganz außerordentlich recht gehabt haben thust; uns zwee Beide haben die Finken zusammengetragen, und seit Du mit Deinem Vierzigtausendsylbewitsch dazugekommen bist, thut uns keen Mensch niemals widerstehen werden!«

»Das ist wahr, Pruder Schwalpe, aper die peiden Gäule, welche ich mir damals geholt hape, sind auch nicht schlecht; der Meinige ist zwar etwas steif auf den Peinen, ein wenig dumm im Kopfe und leidet, wenn er langsam geht, an kurzem Athem; schnell gelaufen ist er mir noch nicht; hingegen aper der Andere, den Du Dir als freiwilliges Geschenk weggeholt hast, das ist ein Roß, auf welchem selbst der herrliche Ritter Dietrich von Quitzow sitzen und streiten könnte, wenn es noch ein wenig Fleisch hätte und fünfzehn Jahre später geporen wäre. Er ist pald so schön wie der Praune, auf welchem heut der Pismarcksche Knecht gekommen ist, den Du vorhin so herrlich ins Examinum genommen hast.«

»Er sagte mich, daß der Junker, welcher an der Straße warten gesollt haben thut, sich vielleicht ein Weniges in den Wald hineingeschlagen haben thäte. Derumwegen sollen wir durch den Gang gehen und ihn heimlich auffinden. Weißt Du, Balthasar, wie wir dat machen thun werden?«

»So, also; wenn Du es sagst, nachher weiß ich es.«

»Thust Du es vielleicht wissen, Kaspar?«

»Der Palthasar hat es mir noch nicht gesagt; wie kann ich es also wissen!«

»Und Ihr Anderen, wat thut Ihr zu die Sache meenen?«

»Wir wissen es auch nicht,« antwortete Einer für die Anderen.

»Gut, wenn Ihr alle es nicht wissen wollen thut, so werde ich es Euch sagen. Bruder Kaspar, thust Du vielleicht schon einmal gehört haben, was ein Gaul machen thut, wenn een anderer ihn anwiehert?«

»Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper wenn ich das nicht weiß, so will ich gleich selper auf der Stelle ein Gaul werden!«

»Nun, wat thut er?«

»Er wiehert auch.«

»Gut, und wenn ich mir hinter den Busch stecke und wiehere ihn an?«

»So wird er denken, daß Du auch ein Gaul eist, und Dir Antwort gegen.«

»Richtig! Thust Du nun bald Etwas gemerkt haben?«

»Pruder Schwalpe, Du pist der reine Deiwelskerl! Auf diese Weise werden wir den Junker fangen und an den ersten pesten Paum aufhängen.«

»So, also, Ihr wollt ihn aufhängen? Nein, das geht nicht, denn die Ritter wollen ihn lebendig haben.«

»Höre, Balthasar, dat thut sich ganz von selbst verstehen, daß der Wachtmeister nur blos Spaß gemacht haben thun wird. Also wenn ich wiehere, und sein Pferd antwortet, so thun wir hören, wo er sich verkrochen hat. Dann schleichen wir uns leise in dieselbige Gegend hin und geben ihm zu verstehen, daß die drei Boldewins auf ihn zu warten gesonnen sind. Geht er freiwillig mit, so thut es gut sein; thut er aber sich freiwillig wehren, so muß er erst recht mitgehen werden. Wat meent Ihr dazu?«

»Pruder Schwalpe, Deine Rede in Ehren, aper sie ist gut, und wir werden uns nichts Pesseres ausdenken können.«

»So wollen wir unsern Kriegsrath schließen und nun machen, daß wir endlich fortkommen thun. Kaspar, kannst Du den Gang aufmachen werden?«

»Das will ich wohl meinen! Der junge Herr Poldewin hat es mir selper gezeigt, weil er meinte, daß sein Wachtmeister das wissen müsse. Ueprigens ist der Gang nicht heimlich, denn die Pesatzung von Garlosen pesteht aus lauter grauen Kriegsmännern, welche sich eher in Stücke reißen lassen, als daß sie irgend Etwas verrathen; darum ist der Weg für Alle offen, welche aus irgend einem Grunde nicht durch das Schloßthor gehen sollen. Aper ich hape mir sagen lassen, daß es noch einen Gang giept, von dem plos die Herren wissen, nicht wahr, Pruder Steckelpein?«

»Ja, Kaspar. So, also, jetzt wißt Ihr Alles, und nun kommt!«

Die Männer schritten der Platte zu, Liebenow aber, welcher dem Vernommenen nach auch hier auf Garlosen die Stelle eines Wachtmeisters bekommen hatte und also nach jetzigem Ausdrucke der subalterne Anführer der Schloßmannen war, trat zu dem Beichtstuhle, hinter welchem Detlev verborgen stand. Diesem klopfte bei der Annäherung des Reisigen das Herz doch ein wenig schneller, aber seine Befürchtung hob sich sofort, als derselbe die Thür des Stuhles öffnete und mit der Hand hineinlangte. Ein leises Knirschen machte sich vernehmlich, dem bald unter den Füßen des Lauschers dasjenige Geräusch folgte, welches er in dem Begräbnisse gehört hatte. Die Männer waren währenddeß mit der Beseitigung des Steines fertig und stiegen, den Wachtmeister an der Spitze, die dunkle Treppe hinab. Der Stein wurde von unten in seine frühere Stellung gerückt.

Jetzt durfte Detlev es wagen, aus seinem Verstecke hervorzutreten. Wie die Sache stand, konnte ihn das, was er gehört hatte, wenig beunruhigen. Die Männer waren zwar in Folge der Plauderhaftigkeit des mitgefangenen Knechtes ausgesandt, um nun auch ihn in die Gewalt der Ritter von dem Kruge zu bringen, aber es war nun ja über allen Zweifel erhaben, daß sie höchstens sein Pferd finden würden. Er war Mitwisser des Ganges, also eines wichtigen Geheimnisses geworden, welches ihm heut' oder später Nutzen bringen konnte, nur handelte es sich vor allen Dingen darum, auch die Mechanik kennen zu lernen. Er trat daher in den Beichtstuhl, welcher nur mit einem außen angebrachten Riegel versehen und also leicht zu öffnen war, und trat hinein, um sein Inneres einer Untersuchung zu unterwerfen. In der einen Ecke der Hinterwand war ein kleiner eiserner Drücker angebracht; er mußte mit dem Hebel in Verbindung stehen, mit dessen Hilfe die Sargwand verschoben werden konnte. Es galt eine Probe. Es war mehr als hinreichend Zeit verstrichen, daß die Knechte das Gewölbe verlassen und einen bedeutenden Theil des Ganges zurückgelegt haben konnten; daß sie das Rollen und Anschlagen der Wand hören würden, ließ sich also nicht mehr befürchten; er ergriff den Drücker und schob ihn zurück. Die Wirkung war sofort zu vernehmen; ein zweiter Druck brachte Alles wieder in seine vorige Stellung.

Nun war das Nächste, die Thür zu öffnen, welche aus der Kapelle zu den bewohnten Räumen des Schlosses führte. Schon stand er im Begriffe, sich derselben zu nähern, als er von neuem Schritte hinter ihr vernahm. Rasch verbarg er sich in seinem vorigen Zufluchtswinkel. Es war der alte Boldewin selbst, welcher eintrat. In der einen Hand trug er die Leuchte und in der andern ein Körbchen, dessen Inhalt sich nicht genau unterscheiden ließ. Langsamen Schrittes ging er durch den Raum, verschwand hinter dem Altare, und bald war auch der Lichtschein, welcher ihn begleitet hatte, nicht mehr zu bemerken.

War hier vielleicht einem zweiten Geheimnisse auf die Spur zu kommen? Detlev hatte nicht nöthig, sich vor dem zwar als tapfer bekannten, aber doch immerhin alten Manne zu fürchten; ein einziger Schlag mit seiner kräftigen Faust mußte ihn ja niederstrecken. Rasch und leise eilte er ihm nach. Die Hinterwand des Altares war mit einem alten, halbvermoderten Heiligenbilde versehen, welches jetzt auf die Seite geschoben war und eine dunkle, ebenfalls nach unten führende Oeffnung sehen ließ, in welcher das Licht des in einiger Entfernung vorwärts schreitenden Ritters einen düsteren Schein verbreitete. Detlev folgte ihm. –

Er hatte nicht weit zu gehen, denn nach nur wenigen Schritten noch blieb Boldewin vor einer mit starkem Eisenbleche versehenen Thür stehen, nahm einen Bund Schlüssel aus dem Gürtel, öffnete das knarrende Schloß und trat in die dunkle Zelle. Im nächsten Augenblicke stand der entschlossene Jüngling hart an der Thür; es war ihm gleich, was da kommen werde, und er mußte um jeden Preis hören, was weiter geschah.

»Nun, könnt Ihr Euch nicht erheben, wenn ich komme?« hörte er die Stimme des Schloßherrn fragen.

Keine Antwort erfolgte.

»Hier habt Ihr Euer Essen und Trinken! Ich sehe, es schmeckt Euch, denn Ihr laßt nie Etwas übrig. Aber Ihr könntet es besser haben, wenn Ihr endlich auf meine Bedingungen einginget.«

Der Sprecher zögerte mit der Weiterrede; er schien eine Entgegnung zu erwarten, aber es erfolgte keine und nur das Klirren von Ketten bewies dem Horcher die Gegenwart eines zweiten Wesens. Die Stimme des Ritters nahm jetzt einen ärgerlichen Ton an.

»Glaubt Ihr mit Eurem Schweigen vorwärts zu kommen? Ihr habt es anfänglich nicht schlimm bei uns gehabt, aber Euer widerspenstiges Betragen ist Euch zum eigenen Schaden gewesen. Dabei wißt Ihr recht gut, daß ich auch nicht kann, wie ich zuweilen möchte, denn es giebt noch Mehrere, die über Euer Loos mit zu bestimmen haben. Besinnt Euch! Ich habe es satt, noch länger hinter dem Rücken meiner Knechte den Gefängnißvoigt zu machen, und beliebt es Euch, hartnäckig zu bleiben, so mögt Ihr dann auch die Folgen tragen.«

Wieder keine Antwort, und wieder lautlose Stille.

»Gut, wie Ihr wollt! Dennoch aber will ich noch einmal einen Versuch machen und Euch den frommen Vater Eusebius schicken. Der mag Euch mit der Gewalt seiner Rede zu Herzen sprechen, und ich hoffe, daß Ihr Euch dann eines Besseren besinnen werdet. Unsereiner versteht besser mit Schwert und Humpen, als mit einem verstockten Herzen umzugehen!«

Jetzt endlich erfolgte die erwartete Antwort: .

»Laßt das sein, Ritter! Euer gewissenloser Heuchler wird noch weniger ein Zugeständniß von mir erlangen, als Ihr. Hinderten mich die Ketten nicht, so hätte ich ihn schon bei seinem ersten Besuche niedergeschlagen wie einen Hund!«

Trotz der kräftigen und entschlossenen Rede klang doch die Stimme schwach und heiser. Der Gefangene mußte in dem dunkeln, feuchten Loche viel gelitten haben.

»Es ist recht von Euch, daß Ihr mir das sagt; so kann ich ihn warnen, Euch näher zu treten, als es unumgänglich nothwendig ist. Gehabt Euch wohl! Ich hoffe, daß – – –«

Weiter hörte Detlev Nichts. Der Abschieds-Gruß mahnte ihn, sich zu entfernen. Er that dies aber keineswegs eilig, sondern zog sich nur so weit zurück, daß ihn der Schein des Lichtes nicht erreichen konnte.

Boldewin trat aus der Zelle und verschloß dieselbe sorgfältig wieder; dann schritt er weiter in den Gang hinein und Detlev folgte ihm von neuem. Die Unvorsichtigkeit des Ritters, den Eingang oben hinter dem Altare offen zu lassen, war ihm unbegreiflich. Der Alte mußte entweder ganz genau wissen, daß jetzt sich Niemand demselben nahe, oder es war in dem Verschluß des Bildes ein Fehler geschehen, sodaß dasselbe nicht von beiden Seiten, sondern nur von der einen geöffnet werden konnte.

Der Weg führte diesmal in einen schmalen Seitengang und dann auf einer schmalen, schlüpfrigen Treppe nach oben. Der junge Mann hatte die letzte Stufe noch nicht erreicht, als er eine Stimme hörte, deren Klang sein Herz vor Freude erbeben machte.

»Fragt Ihr einen Bismarck, ob er sich besonnen habe? Ein Mensch Eures Gelichters kann dem Rohre gleichen, welches der leiseste Wind hin- und herweht; zögere ich doch, Euch den Ehrennamen eines Ritters zu geben, der Ihr gegen Gesetz und Menschenrecht einen Mann festhaltet, der offen und ehrlich zu Euch gekommen ist, um mit Euch zu reden und zu verhandeln. Was ich gesagt habe, gilt: Ich gehe nicht von meiner Forderung ab, und sollte ich bis zum jüngsten Tage gefangen gehalten werden. Damit begnügt Euch ein für alle Male. Und nun geht! Der Anblick eines Wegelagerers und Verräthers ist mir zuwider!«

»Das sagt Ihr mir? Mir, dem Boldewin von dem Kruge, dessen Schwert noch Jedem im Nacken gesessen hat, der es wagte, mir ein Feind zu sein? Was hindert mich, Euch für diesen Schimpf dem Verderben preiszugeben? Ich darf Euch nur einschließen und die Nahrung entziehen, so seid Ihr in wenigen Tagen eine Leiche.«

»Glaubt Ihr das wirklich? Hört, alter Mann, seid doch nicht so stolz auf Euer Können! Ehe ich zur Leiche werde, fällt Garlosen in Trümmern. Was nützen Euch Eure Thüren, wenn der Tritt meines Fußes stärker ist als sie, und was pocht Ihr auf Euer Schwert, wenn es jetzt nur meines Willens bedarf, Euch mit einem Griffe meiner Hand zu erwürgen?«

»Hoho, Ritter, das werdet Ihr wohl unterbleiben lassen. Ihr habt uns Euer Wort gegeben, Euch zu fügen und keinen Versuch zur Flucht zu machen, bis wir mit den Eurigen über die Bedingungen zu Eurer Entlassung uns geeinigt haben, und da Ihr auf den Namen eines Bismarck so außerordentlich stolz seid, so werdet Ihr auch wissen, daß noch niemals Einer Eures Geschlechtes sein Wort gebrochen hat.«

»Ich wollte Euch auch nicht rathen, das Gegentheil zu behaupten; aber da Ihr in der Geschichte meiner Familie so bewandert und mit unserem Character so vertraut seid, so laßt Euch sagen, daß ein Bismarck noch niemals ein Wort gegeben hat, dessen Bedeutung er nicht vorher wohl erwogen hätte und welches er vielleicht gezwungen sein würde zu brechen.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ich versprach bei meiner ritterlichen Ehre, keinen eigenhändigen Versuch zur Flucht zu machen und mich gegen die Zusicherung eines ritterlichen Gefängnisses so lange in meine Abgeschlossenheit zu fügen, als nicht von den Meinen Etwas geschieht, was auf meine Befreiung Einfluß hat. Entzieht Ihr mir die Nahrung, oder erfüllt Ihr Eure andern Drohungen, so ist mein Gefängniß kein ritterliches mehr, ich bin meines Wortes entbunden und werde thun, was mir beliebt.«

»Stellt Euch dies nicht so leicht vor! Es hat mancher kühne und starke Mann unsere Verließe kennen gelernt, der sich erst wie ein Löwe geberdete und dann als geduldiges Lamm in unseren Willen fügte. Die Eurigen werden mit ihrer Hilfe nicht so gar bald zur Stelle sein!«

»Meint Ihr?« erklang es hinter ihm.

Wie von einer Vieper gestochen, fuhr er herum und starrte mit vor Erstaunen und Schrecken weitgeöffneten Augen den Jüngling an, welcher ruhig lächelnd auf ihn herniederblickte.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier? Wie seid Ihr hierhergekommen?« stieß er endlich hervor und griff an die linke Seite, als wolle er nach dem Schwerte langen, welches ihm doch in diesem Augenblicke fehlte.

»Wer ich bin, das laßt Euch nicht anfechten; ich frage vielmehr, wer Ihr seid, der Ihr es wagt, mit Herrn Henning von Bismarck in diesem Tone zu sprechen.«

»Wer ich bin, junger Mensch, das sollt Ihr bald erfahren, der Ihr Euch ohne mein Wissen und Willen in diese Burg einschleicht! Also noch einmal, wer seid Ihr, was wollt Ihr, und wie seid Ihr bierhergekommen?«

»Ich bin Einer von Denen, auf deren Beistand und Hülfe Herr von Bismarck mit so festem Vertrauen wartet; ich komme auf einem Wege, den es mir gefallen hat, zu gehen, und will Euch zeigen, daß der edle Ritter hier Euch nichts als die Wahrheit gesagt hat, wenn er von Eurem Unvermögen sprach.«

»Wahrt Euch, Mann, oder Ihr seid verloren, sobald ich Hülfe rufe!«

»Also Ihr bedürft doch der Hülfe, obgleich Ihr der Herr dieses Schlosses seid, wie ich aus Euren Worten vernahm. Wir aber, die wir allein und schutzlos dastehen inmitten Eurer Mauern, wir rufen Niemanden zum Beistande herbei, weil wir desselben nicht bedürfen. Habt die Gewogenheit, Ritter, mir zu folgen! Ihr seid Eures Wortes entbunden, denn Eure Befreiung geht nicht von Euch, sondern von mir, Einem der Eurigen aus!«

Diese letzten Worte waren an Herrn Henning gerichtet, dessen Erstaunen über das für unmöglich gehaltene Erscheinen Detlevs ebenso groß gewesen war, wie dasjenige des alten Boldewin, nur daß man es in seinen Zügen nicht so leicht zu lesen vermochte, wie in denjenigen des alten Humpenstechers, dem der Schreck so stark in die Glieder gefahren war, daß das Zipperlein sich einstellte und er mit zitternden Beinen und schmerzverzerrtem Gesichte sich trotz seiner mannhaften Rede an die Wand lehnen mußte.

»Welch' eine Freude, Euch frei und unverletzt hier zu sehen!« lautete die Antwort, und der Sprecher reichte dem Jünglinge, welcher vorsichtig unter der Thür stehen geblieben war, die Hand entgegen. »Ich soll Euch folgen? Steht es denn wirklich in Eurer Macht, mich von hinnen zu führen?«

»Das mögt Ihr mir wohl glauben, Herr, da ich sonst entweder gar nicht oder wenigstens nicht unverletzt hier stehen würde.«

»Nun wohl! Ich will Euch nicht fragen, wie Ihr hereingekommen seid, das werde ich ja zu passenderer Zeit erfahren, doch – – –«

»Halt,« unterbrach ihn Boldewin, der seine Schmerzen überwand, um einen Versuch der Einschüchterung zu machen. »Ihr werdet nicht von der Stelle gehen; der Gang ist besetzt!«

»Macht Euch nicht lächerlich, Herr Boldewin,« lachte ihm Detlev entgegen. »Ich bin hinter Euch hergegangen und weiß also ebenso gut wie Ihr, was wir zu fürchten haben! Uebrigens werden wir Euch kein Leid zufügen, da Ihr Herrn Henning bisher in ritterlicher Haft gehalten habt; aber es wird Euch wohl belieben, an seiner Stelle auf einige Zeit dies Wohngemach hier zu hüten, dessen Lieblichkeit ich unten in dem dunklen Gange nicht geahnt habe.«

Die Treppe nämlich, welche er herauf gestiegen war, führte in das Innere eines alten, unbewohnten Thurmes, dessen Zugang man in weiser Absicht zugemauert hatte. Niemand hätte hier ein menschliches Wesen vermuthet, und doch waren die kleinen Räume wohnlich eingerichtet und ein Blick durch die zwar engen Mauerscharten lohnte mit der prächtigsten Fernsicht. Henning von Bismarck hätte hier wenigstens in Beziehung auf des Leibes Nahrung und Nothdurft keinen Schaden gelitten, und zudem hatte seine Gefangenschaft ja auch nur einige Stunden gewährt, so daß versöhnlichere Gefühle nicht ganz ungerechtfertigt waren.

»Ich stimme Euch bei,« fügte Bismarck hinzu, »und werde aus dem Umstande, daß Ihr Euch jetzt in unserer Gewalt befindet, für meine Person keinen Nutzen ziehen. Was hindert mich, Gewalt an Euch zu legen oder Euch mit mir zu nehmen, um mich zu rächen und ein Erkleckliches von Euch zu erpressen!«

»Ich, ich selbst würde Euch hindern!« rief Boldewin, indem er sich zusammenraffte, mit einem raschen Schritte vor Detlev stand und diesem mit einem unvermutheten Griffe das Schwert zu entreißen suchte. Aber er hatte sich verrechnet, denn der junge Mann erfaßte die Hand und hielt dieselbe mit solchem Drucke umschlossen, daß er vor Schmerz aufschrie; dazu gesellten sich die Qualen der plötzlich zurückgekehrten Krankheit, die so furchtbar waren, daß er beinahe in die Kniee sank.

»Also für mich verlange ich nichts; aber wo habt Ihr die Juden? Sie sollen auch frei sein!«

»Sucht sie Euch!« klang die Antwort.

»Kommt Ritter,« sprach Detlev, den der Zustand des alten Mannes erbarmte, der in der verzweifelten Lage sich befand, an sich und den Seinen zum Verräther zu werden. »Wir werden sie wohl zu finden wissen!«

Er erfaßte Laterne und Schlüssel, schob den widerstrebenden und nach Hülfe rufenden Schloßherrn in das Gemach hinein, warf die Thür in das Schloß und schob die schweren, dicken Eisenriegel vor. Dann führte er den befreiten Gefangenen durch den Neben- und Hauptgang bis an das Bild an der Rückseite des Altars. Dasselbe war weder mit Schloß noch Riegel versehen, sondern paßte ganz genau und lückenlos in die Umfassung und konnte sowohl nach innen als auch nach außen hin wie eine Thür geöffnet werden. Boldewin hatte also vorhin nur vergessen, sie in ihre gewöhnliche Lage zurückzuschieben. Da es schwer in den Angeln ging und einem gewöhnlichen Drucke der Hand Widerstand leistete, so war diese Einrichtung trotz ihrer scheinbaren Mängel doch eine kluge und vorsichtige zu nennen. Detlev schloß die Oeffnung und bat den Ritter:

»Bleibt hier hinter dem Eingange und haltet Wache, damit wir nicht überrascht werden! Ihr habt Eure Waffen nicht?«

»Man hat sie mir abgenommen.«

»Hier ist mein Schwert; es befindet sich in kundiger und guter Hand.«

Er schritt in den Gang zurück bis an die Thür der Zelle, in welcher Boldewin vorhin gewesen war, und öffnete dieselbe mit Hülfe des Schlüsselbundes. Als er eintrat, bemerkte er einen alten Mann, welcher, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Strohlager saß und ihn keines Blickes würdigte.

»Erschreckt nicht vor der frohen Kunde, welche ich Euch bringe! Ihr seid – – –«

Der Mann blickte auf, und ein unbekanntes Gesicht erblickend, fiel er ihm in die Rede:

»Geht fort von mir und sagt Eure Thorheit Einem, der Eures Spottes würdig ist! Für mich giebt es hier keine frohe Kunde.«

Detlev hatte keine Zeit zu einer langen Erklärung; er setzte die Laterne auf den Boden und suchte sich unter den Schlüsseln den passenden aus, um die Fesseln von des Mannes Gliedern zu lösen. Erstaunt sah dieser ihm zu.

»Wahrhaftig, Ihr scheint die Wahrheit gesprochen zu haben! Sagt, seid Ihr ein Mensch oder ein Engel?«

»Ein Mensch, wie Ihr, bin ich; aber haltet still, damit wir nicht säumen, wir haben keine Zeit!«

»Dann sagt mir jetzt nur das Eine: Wer hat Euch erlaubt, meine Banden wegzunehmen?«

»Niemand. Ich bin heimlich in das Schloß gedrungen, um einen edlen Ritter zu befreien, und stand vorhin an Eurer Thür, als dieselbe geöffnet war. Da nun der Ritter frei ist, sollt auch Ihr es sein.«

»Ihr wißt aber nicht, wer ich bin?«

»Nein. Ihr bedürft meiner Hülfe, und ich biete sie Euch.«

»Du braver junger Mann, auch ich kenne Dich nicht,« rief der Gefangene; er stand jetzt von den Fesseln befreit grad und aufrecht vor Detlev, dessen Hände er erfaßt hielt, »aber Du sollst mich kennen lernen und meinen Dank empfinden, so lang mein Auge offen bleibt und weit darüber hinaus!«

»Sprecht nicht von Dank, sondern eilt, daß Ihr von hinnen kommt. Geht hier nach vorn, da steht der Ritter, um den Ausgang zu behüten, und Ihr mögt mit ihm auf mich warten!«

Nun klopfte er an jede der anderen Thüren, welche sich in dem Gange befanden und frug, ob Jemand hinter ihnen sich befinde, der frei zu sein wünsche. Bei allen, außer der letzten, war dieses Klopfen vergeblich, dort aber ertönte eine Antwort, die allerdings wegen der Dicke und Festigkeit des Verschlusses nicht deutlich verstanden werden konnte. Nach langem Bemühen gelang es ihm, zu öffnen, und kaum hatte er die Thür zurückgezogen, so traten zwei Männer mit solcher Eile in den Gang, daß sie ihn fast umgerissen hätten.

»Ist es möglich, was wir haben gehört,« rief der Eine, »daß der Gott unserer Väter schickt seine Jerubim und Seraphim, welche klopfen an die Thüren der Hölle, um zu befreien die frommen Männer Aron Itzig und Veit Schmuel aus den Schatten des Todes und der Finsterniß?!«

»Schreit nicht so laut,« raunte ihnen der Jerubim mit dem Schlüsselbunde zu, »sonst stecke ich Euch auf der Stelle wieder hinein!«

»Um Gott, Herr Ritter, was Ihr doch könnt machen für einen Spaß mit zwei armen Juden aus der Stadt Gardelegen! Ihr klopft an die Thüren, um zu erlösen die Gefangenen, und nun wir Euch leisten Gehorsam, wollt Ihr uns wieder bringen zurück in das grausame Loch!«

»Wo habt Ihr Eure Tochter?«

»Meine Tochter?« antwortete Itzig, »welche ist schön wie Sulamith und herrlich wie Judith zu Bethulia? Die haben gerissen die Räuber von mir, und ich weiß nicht, wo hingekommen ist der Stolz und die Freude meines Lebens; aber Sarah, mein Weib, das mir geboren hat fünf Söhne und sieben Töchter, ist in meinem Hause zu Gardelegen und wartet mit Schmerzen auf Aron, ihren Geliebten, welchen sie – –«

»Schweigt mit Eurer Sarah. Ich frug nach Eurer Tochter, um zu wissen, ob sie Euch wiederzugeben sei! Wenn heut nicht, so wird es doch später wohl geschehen; jetzt aber kommt mit mir zu Herrn Henning von Bismarck!«

»Herr Henning von Bismarck ist gekommen, zu gedenken der Kinder Juda, welche da sitzen unter den Weiden zu Babylon und hängen ihre Harfen – – –«

»Schweigt und kommt!«

Der Ton dieser Unterbrechung klang jetzt so barsch, daß sie endlich beherzigt wurde. Die beiden glücklichen Kinder Israels folgten dem Voranschreitenden bis an den Ort, an welchem Bismarck stand, dem gegenüber sie sich zu voluminösen Lobes- und Dankesüberhebungen anschickten, dabei aber von ihm mit zwar leiser, jedoch scharfer Mahnung abgewiesen wurden:

»Was schreit Ihr da in dem Gange, als stäkt Ihr an dem Spieße? Es gilt hier, vorsichtig zu sein, und mir scheint, ich habe Stimmen in der Kapelle vernommen.«

Keiner wagte auf diese Warnung ein Wort zu sagen. Der Ritter und Detlev öffneten die Thür, um zu lauschen. Wirklich vernahmen sie ein Wechselgespräch zwischen einer männlichen und weiblichen Stimme, und als sie es wagten, bis an die Ecke des Altares vorzutreten, sahen sie den Pater Eusebius, welcher vor einer weiblichen Gestalt stand, die in einem der Kirchenstühle Platz genommen hatte.

»Ja, es ruht ein schwerer Fluch auf Euch und Eurem irren Glauben. Ihr habt Eure Gesetze unter Donner und Blitz vom Sinai empfangen, und das Wetter hat seit jener Zeit fortgeleuchtet über Eurem starren Haupte bis auf den heutigen Tag. Der Messias ist gekommen, Euch das Heil zu bringen; Ihr aber wolltet ihn nicht erkennen, sondern habt ihn verfolgt, an das Kreuz geschlagen und gemartert bis zum Tode. Der Sohn Gottes mußte sterben wie ein gewöhnlicher Verbrecher, und diese Schuld liegt auf Euch und Eurem Volke bergesschwer. Und dennoch streckte die heilige christliche Kirche ihre versöhnende Hand aus auch nach Euch; sie will Euch von dem Fluche erlösen, Euch Gnade und Vergebung bringen; Ihr aber weist die Barmherzigkeit Gottes von Euch und schleppt Eure Last unter Seufzen und Weinen weiter. Willst auch Du so thöricht sein wie die Anderen, meine Tochter? Siehe, die Liebe sucht Dich, und das Erbarmen des Lammes, welches aller Welt Sünde trägt, will Dich erreichen. Du kannst Heil und Segen bringen auf Dich und die Deinen; warum willst Du die Langmuth Gottes in schnödem Eigensinne in Zorn und Rache verwandeln?«

»Laßt mich gehen mit Euren Reden,« hauchte es zurück. »Ich verstehe sie nicht und werde lieber sterben, als daß ich von dem Glauben meiner Väter weiche!«

»Gott der Gerechte,« stieß Itzig hervor; »das ist das Kind meines Herzens, Fleisch von meinem Fleische und Blut von meinem Blute! Der Baalspfaffe hat sie genommen in seine Krallen, um sie untreu zu machen, daß sie verläßt ihren Glauben und bringt Schande auf das graue Haupt ihres Vaters!«

»Sei ruhig, Jude,« befahl ihm Detlev. »Willst Du Dich und uns verrathen?«

»Was soll ich sein? Ruhig soll ich sein, wenn zerrissen wird meine Taube von dem Geier, welcher sie verschlingen will mit seinem Rachen?«

»Wenn Du nicht schweigest, so stecke ich Dich wieder hinter in das Loch; da magst Du schreien, so viel Du nur immer willst!«

»Gott Abrahams, Isaaks und Israels, was wollt Ihr thun? In das Loch wollt Ihr mich stecken? Ich werde schweigen und meine Zunge halten bis in alle Ewigkeit, Sela!«

»Du willst meine Rede nicht verstehen?« fuhr der Pater fort, indem er seine Hand hart auf die Schulter des Mädchens legte. »Gut, so werde ich auch Dein Weinen nicht verstehen, wenn Du um Deinen Vater jammerst, über den der Tod beschlossen ist! Deines Herzens Härtigkeit ist es zuzuschreiben, daß ich ihm meine Hilfe entziehe, wenn das Gericht über ihn ausgeführt wird.«

»Nein, nein,« weinte das Mädchen; »das werdet Ihr nicht thun! Ihr sprecht von der Liebe Eures Gottes und von seiner Gnade und Barmherzigkeit, und wenn Eure Worte Wahrheit enthalten, so könnt Ihr nicht grausam handeln an Denen, die Euch kein Leides zugefügt haben.«

»Du sprichst thöricht! Auch die Liebe muß streng sein, wenn ihr widerstrebt wird. Sie will den irrigen Sünder nicht fallen lassen und bringt ihn, wenn er sich gegen ihren heiligen Willen sträubt, mit Gewalt zum Heile. Ich werde Dich unterrichten in den Sätzen unseres alleinseligmachenden Glaubens und für Deine Seele sorgen, wie der Bräutigam sorgt für das Glück seines süßen Bräutleins. Du wirst die Gnade erkennen, die Dich ergreifen und zur Seligkeit führen will, und Deine Seele wird mit der meinigen verbunden sein, wie das Herz des Weibes hängt an dem des geliebten Mannes, denn mich erbarmt des verirrten Schäfleins, und ich will es zurückführen zur fetten Weide und es lieben und leiten, damit es sich nicht wieder hinaus in die Wüste verlaufe!«

Er bog sich tief zu ihr nieder und versuchte, den Arm um sie zu schlingen; sie aber schnellte empor und stieß ihn mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft von sich.

»Geht, Scheinheiliger! Ich habe Nichts mit Euch zu schaffen. Nie mag ich Eure Lehren hören, denn Ihr verbergt hinter ihnen nur die Tücke und Falschheit Eures Herzens!«

»Nein, mein süßes Jungfräulein, nicht Tücke ist es und Falschheit, welche in meinem Herzen wohnt, sondern Deine Schönheit hat mir den Sinn gerührt, daß ich Dich nicht möchte in das Verderben laufen lassen. Dein Zorn hilft Dir Nichts, denn die Hand des Heiles hat Dich erfaßt und wird Dich nicht wieder von sich lassen. Wehre Dich also nicht, sondern vertraue Dich meinem Arme an; er ist stark und warm, und es wird Dir behaglich dünken, von ihm geschützt und gehalten zu werden.«

Er trat wieder auf sie zu; sie aber wich zurück.

»Geht, sage ich Euch, Elender; ich mag von Euch Nichts wissen!«

»So sagt Ihr alle, die Ihr nicht erkennen wollet, was zu Eurem Frieden dient; aber das währt nur kurze Zeit, und bald wirst Du Dich an mich gewöhnt haben!«

Er ergriff sie mit beiden Händen und zog sie an sich; sie strengte sich vergeblich an, von ihm loszukommen; ihre Kräfte waren denen des frommen Mannes nicht gewachsen.

»Laßt mich, oder ich rufe um Hilfe!«

»Hilfe? Hier giebt es für Dich keine, außer bei mir!«

»Meinst Du?« klang es neben ihm, und zu gleicher Zeit fiel eine Faust so kräftig auf seinen Schädel, daß er mit den Händen suchend um sich griff und dann zu Boden stürzte.

Es war Detlev gewesen, welcher den guten Hieb geführt hatte; er bückte sich nieder und schnürte dem Mönche mit dem Stricke, welchen derselbe um die Kutte trug, Hände und Füße zusammen.

»Mein Kind, meine Tochter!« rief der Jude. »Ich werde singen, spielen wie David auf dem Psalter und mit neun Saiten: Lobe den Herrn, meine Seele, der dir hat wiedergegeben den Liebling, der verloren war! Wie wird erschrecken und staunen mein Weib, wenn sie wird hören von den großen Thaten, die wir haben gethan unter den Philistern! Es wird sich erheben ein Lob im Gebirge, und in den Thälern wird erklingen der Ruhm von Aron Itzig und Veit Schmuel aus Gardelegen.«

Jetzt erhob sich Detlev aus seiner gebückten Stellung und sein Auge fiel zum ersten Male auf die Jüdin, deren Gesicht er bisher noch nicht erblickt hatte. Hoch und stolz stand ihre herrliche Gestalt vor ihm, beleuchtet von dem ewigen Lichte und dem Scheine der Laterne, welche jetzt Schmuel in der Hand trug. Ihr großes, orientalisch geschnittenes, dunkles Auge ruhte mit einem Ausdrucke auf ihm, der ihn im tiefsten Innern erbeben machte, und als sie jetzt ihre Stimme erhob, war ihr Klang ein ganz anderer, als vorhin dem Pater gegenüber.

»Dank Euch, Herr, für die Hilfe, die Ihr mir geleistet habt! Ich weiß nicht, wer Ihr seid, aber mein Herz wird an Euch und diese Stunde denken, so lange ich lebe!«

Sie ergriff seine Hand und drückte sie dankend an sich. Er fühlte die Fülle des Busens unter ihr erbeben; nie gekannte Regungen durchflutheten ihn, und es geschah ihm zum ersten Male in seinem Leben, daß er vor Verwirrung keine Worte fand.


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