Karl May
Der beiden Quitzows letzte Fahrten
Karl May

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»Nein! den Vorwurf verdient sie nicht, das unglückliche Verhängniß, daß wir Beide Dich liebten, glühend liebten, war die alleinige Ursache der oft genug beklagten Thatsache, daß mein einziger Bruder in unversöhnlichem Groll von mir schied und dem fluchwürdigen Geschick, welchem unsere Familie, unsere Eltern zum Opfer fielen, haben wir es nur allein zu danken, daß Wanda sich dem Zwange der Ihrigen beugte, und keinem von uns ihre Hand reichte. Wo weilt mein Bruder? Lebt er noch und hat er seinen Haß gegen mich noch nicht aufgegeben? Allgütiger,« rief er laut auf, »nur diese Frage beantworte mir, dann will ich mich gern bescheiden! Und Wanda, wo magst Du weilen?« fuhr er, am Fenster stehend und sinnend in die dunkle Nacht hinausschauend, mit weicher Stimme fort. »Hat Dir der Himmel das Loos gewährt, welches Du Dir einst erträumtest? Bist Du so glücklich geworden, als ich Dir es einst wünschte und auch heut' noch in gleichem Maße gönne?«

Lange Zeit stand er so, die Stirn an das Fensterkreuz gedrückt und den raschen Flug der vom Winde gejagten Wolkenmassen beobachtend, die den Mond nur für Augenblicke sichtbar werden ließen, und als er sich endlich gewaltsam aus seinem Sinnen emporraffte und dem Innern des Gemachs zuwandte, da waren seine Augen feucht und um den Mund zuckte es gar verdächtig: herber Schmerz um verlorenes Glück, bitteres Weh und tiefer Gram prägten sich in seinem Blick, in seinen Zügen aus und lange dauerte es, bis er die erwünschte Nachtruhe fand. –

In der Freude des Wiedersehens mit seinen Kindern hatte der Graf der Stimme vergessen, welche ihn in der ersten Stunde seiner Ankunft im Hause Suteminn's mächtig ergriffen, und wurde auch am folgenden Morgen nicht mehr an dieselbe erinnert. Er gab Suteminn den Wunsch zu erkennen, in Begleitung Detlev's die Stelle im Walde zwischen Tremmen und Zachow besuchen zu wollen, an welcher er vor Jahren namenlos unglücklich geworden war. –

Suteminn war sofort bereit, den Grafen zu begleiten und bald befanden die drei Herren sich auf dem Wege nach dem Ziele ihres Ausflugs.

Trotzdem er volle zwölf Jahre nicht mehr dahingekommen, fand der Graf doch ohne besondere Mühe jene Stelle.

»Hier war es,« rief er vom Wege abbiegend und auf einer kleinen Lichtung anhaltend, in deren Mitte sich eine riesige Eiche erhob. »Hier stand meine Frau mit den beiden Kindern und dort rechts hielt das schwarze Ungeheuer. Von dieser Seite links her kamet Ihr mir zu Hülfe! O Gott, ich erinnere mich des schrecklichen Ereignisses noch immer in allen seinen Einzelheiten –.«

Er war vom Pferde gestiegen, lehnte sich an den Stamm der Eiche und verdeckte die Augen. Die Erinnerung schien sich seiner völlig bemächtigt zu haben, denn er vergaß seiner Begleitung und verharrte regungslos in der angenommenen Stellung.

Suteminn wagte ihn nicht zu stören; er mochte offenbar fühlen, daß Trostesworte, Einflüsterungen der Hoffnung hier nicht angebracht seien, in seinem Blick sprach sich aber das innigste Mitgefühl mit dem vom Schicksal hartgeprüften Grafen aus. Detlev dagegen war sichtlich überrascht, als sie die Lichtung betraten; er ritt nach der gegenüberliegenden Seite derselben, richtete forschende Blicke ringsum und kam nach kurzem Verweilen an jener Stelle zurück zu seinem Vater und zu dem Ritter.

»Dies ist also hier die Lichtung, an welcher der schwarze Räuber eine ganze Familie zu vernichten bestrebt gewesen ist?« fragte er gedankenvoll. »Jetzt verstehe ich, weshalb gerade diese Lichtung, dieser Raum da, mir wie eine Erinnerung aus früheren Zeiten erschien!«

»Warst Du denn schon einmal hier?« fragte der Ritter erstaunt.

»Jener unglücklichen Frau, die noch in Eurem Hause lebt, sind wir, das heißt, der Herr von Bismarck und ich, hier begegnet. Als ich von jener Seite her den Platz betrat, schien es mir im ersten Augenblick und trotz der Dunkelheit doch, als wäre er mir nicht fremd. Ich hatte aber nicht länger Zeit zu grübeln, ob ich die Lichtung früher bereits gesehen, denn das Verhalten der Frau war so auffallend, so eigenthümlich, daß ich ihr sofort meine Aufmerksamkeit zuwandte!«

»Die Unglückliche wollte, wie Du damals erzähltest, nicht von diesem Baume weggehen!«

»Sie konnte nur mit Aufbietung von Gewalt fortgebracht werden und schrie anfangs jämmerlich nach ihren Kindern.«

Der Graf hatte sich bei den letzten Worten Detlev's emporgeschwungen und fragte mit Spannung in den Zügen:

»Diese Frau befindet sich ja wohl noch in Eurer Pflege?«

»Ja, Herr Graf!«

Weshalb bebte Suteminn bei dieser Frage des Grafen zusammen und strich mit der Hand über die Augen, gleich als wolle er ein plötzlich vor ihm aufgetauchtes Gebilde verwischen, oder einen Gedanken, eine Vorstellung unterdrücken?

Aber auch der Graf schien durch die erhaltene Auskunft an irgend etwas erinnert zu werden, das wohl der vollen Beachtung werth sein mußte, denn er schwang sich rasch in den Sattel und sagte mit unverkennbarer Hast:

»Wir werden jetzt ohne weiteren Aufenthalt nach Tangermünde zurückkehren!«

»Gewiß, Herr Graf,« entgegnete Suteminn, »wenn Ihr dies wünscht?«

»Ich muß gestehen, daß mich darnach verlangt, die Frau zu sehen! Seid Ihr übrigens hier in dieser Gegend bekannt?«

»Ja, doch weshalb stellt Ihr diese Frage?«

»Ihr erzähltet mir, der Knecht, den Detlev mit der Frau zu Euch gebracht, sei beauftragt gewesen, die Frau dem mir ja bereits bekannten Junker Dietz von Quitzow zuzuführen. Wo hat er sie denn abgeholt?«

»Darüber habe ich Gelegenheit gehabt, mich genau zu informiren. Gelegentlich unseres Aufenthalts in Hamburg und auch auf der Rückreise habe ich mit dem Junker Dietz von Quitzow die in dieser Sache mir unklar gebliebenen Punkte besprochen und erfahren, daß er die Arme in der That aus langer Kerkerhaft befreit hat, und Herr Hans von Uchtenhagen, der durch den tollkühnen Junker gleichzeitig der Gewalt der Räuber entrissen worden, Willens gewesen ist, für die Frau fernerhin zu sorgen. Detlev und Herr von Bismarck haben, wie Euch bereits bekannt, dieses Vorhaben vereitelt!«

»Wo aber war der Kerker, in welchem die Frau festgehalten wurde?«

»In der sogenannten Wendenburg, einer an der Havel gelegenen Klosterruine!«

Der Graf verfiel wieder in's Sinnen, und da auch Suteminn sich in Gedanken mit irgend einer Angelegenheit beschäftigte, gerieth die Unterhaltung der drei Reiter völlig in's Stocken.

Mit Anbruch der Dunkelheit hielten sie wohlbehalten vor dem Thore des Zauberhauses und der Graf saß kaum mit dem Ritter in dessen Gemach, als er auch bereits anfing, von dem zu sprechen, was ihn so lebhaft interessirte.

»Die unglückliche Frau erregt, nachdem ich die Aeußerung gehört, welche sie auf der Lichtung gethan, meine Aufmerksamkeit immer mehr und ich –«

Hier hielt er plötzlich inne und sprang auf. Suteminn ahnte den Beweggrund: Diejenige, von welcher eben die Rede war, sprach im Nebenzimmer. Er erhob sich deshalb gleichfalls und öffnete die Thüre.

Die Frau stand in der Nähe derselben und plauderte mit der Alten, welche durch ihre Unaufmerksamkeit die Ungeduld der Ersteren gereizt haben mochte, denn diese brach eben in die Klage aus:

»Wenn doch Marie bei mir wäre! Kein Mensch meint es so gut zu mir, wie meine Freundin, sie versteht mich und weiß, wie schwer ich leiden muß! O Gott! –«

Der Graf war mittlerweile in die Thür getreten, um die seitwärts stehende Frau sehen zu können. Noch war dies aber nicht möglich, weil sie sich abgewandt von ihm hielt. –

Das durch sein Eintreten verursachte Geräusch wurde von ihr wahrgenommen, sie kehrte sich um und blickte den Grafen verwundert, neugierig an.

Mit diesem ging im Augenblick eine erschreckende Aenderung vor.

Mit halbgebeugtem Oberkörper stand er wie versteinert, das wehgeöffnete Auge auf die Frau gerichtet und die Hände ausgestreckt, als wolle er nach einem Halt fassen oder etwas ergreifen. Keines Wortes mächtig, starrte er die Unglückliche an und Suteminn wollte ihm eben besorgt näher treten, als er mit zitternder Stimme das eine Wort hervorstieß:

»Wanda!«

Die Frau hatte den Grafen anfangs, wie schon bemerkt, neugierig betrachtet. Diese Neugierde schien sich bald in Schreck zu verwandeln, und als sie endlich bemerkte, daß Leben in die erstarrte Gestalt kam, eilte sie, ohne den Aufschrei des Grafen zu beachten, fort und hinaus in den Hof, wo sie Marie fand.

Der Graf wollte ihr nachstürzen, Suteminn, welcher auffallend bleich neben ihm stand und selbst mit innerer Bewegung kämpfte, hielt ihn jedoch zurück.

»Faßt Euch, Herr! Ich ahne, wen Ihr in der Frau erkannt habt, und verstehe den Schmerz, der Euch in diesem Moment erfüllt. Ueberseht aber dabei nicht, daß der Himmel Eurem heißen Flehen Gewährung verheißt, vergeßt nicht, daß Rettung noch möglich, ja daß sie meiner festen Ueberzeugung nach mehr als wahrscheinlich, daß sie sicher zu erwarten ist!«

Seine Trostesworte fanden jedoch nicht die erwünschte Beachtung, denn der Graf rief leise wehmüthig, während Thränen über sein Gesicht herabrollten:

»Arme, arme Wanda, so muß ich Dich wiederfinden?!«

Einige Minuten verharrte er in verhängnißvollem Schweigen, dann richtete er sich empor und suchte seiner Stimme die frühere Festigkeit zu geben, doch gelang ihm dies nur schlecht.

»Ihr habt Recht. Ich sollte dem Allweisen dankbar sein, daß er mich endlich meine Gattin hat wiederfinden lassen. Bedenkt aber, daß der Schlag, im Moment des Wiedersehens auch erkennen zu müssen, daß die Mutter meiner Kinder, meine durch ein herbes Geschick lange Jahre von mir und den Kindern getrennt gewesene Lebensgefährtin dem Tiefsinn, dem Wahnsinn überliefert worden, zu hart ist, um ihn sofort überwinden zu können, wie es wohl nöthig sein sollte. Allmächtiger, was soll nun geschehen? Marie, Detlev, arme Kinder!«

»Was ist denn hier vorgefallen?« rief in diesem Augenblick Marie, welche rasch in das Gemach trat. »Die arme Frau kam ganz entsetzt hinaus in den Hof gestürzt und umklammerte mich. »Helft mir! Helft mir! Ich fürchte mich!« rief sie in höchster Angst und sah wiederholt scheu zurück nach dieser Thüre, als fürchte sie – um Gottes Willen, Vater,« unterbrach sie hier plötzlich ihre Mittheilung und eilte auf den Grafen zu, »Du weinst?« rief sie ängstlich, während sie ihre Arme um ihn schlang. »Was bewegt Dich? Du bist doch nicht etwa krank?«

»Nein, mein Kind,« erwiderte der Graf, ihr liebevoll in's Auge blickend, »ich fühle mich nicht krank. Aber sage mir, wo ist die Unglückliche?«

»Detlev steht bei ihr an der Thüre; sie mag nicht hereinkommen, sie fürchtet sich!«

»Du bist der Aermsten wohl recht zugethan?« fragte der Graf weiter, während Suteminn das Gemach verließ, um, wie er sagte, selbst nach der Frau zu sehen.

»Ja, Vater, ich habe sie so herzlich lieb, als wenn – wenn –«

»Nun? als wenn –?«

»Ich weiß nicht, wie ich Dir das Gefühl beschreiben soll, das mich der Frau gegenüber erfüllt. Es ist mir, als müsse ich sie schon lange, lange kennen, vom ersten Augenblick an, in dem ich sie sah, war ich ihr gut und auch sie hegt die gleiche Gesinnung gegen mich. Es thut mir unbeschreiblich weh, die Aermste, die gewiß recht viel Kummer zu ertragen gehabt hat, in diesem traurigen Zustande zu wissen! Weshalb, lieber Vater, kam sie denn jetzt mit allen Zeichen heftigen Schrecks plötzlich in den Hof gestürzt? Es kann Ihr doch hier nichts zugestoßen sein?«

»Nichts Uebles, mein Kind, sie hat mich jetzt zum erstenmale hier gesehen. Ich trat ein und – habe sie wider Willen erschreckt!«

Seine Stimme bebte hörbar und Marie sah noch einmal forschend zu ihm auf.

»Das setzt mich in Erstaunen; sie hat sich seither nie so furchtsam gezeigt. Nicht weniger fällt mir aber auch auf, daß Du so sehr bewegt bist. Hängt Deine Aufregung mit dem Schrecken der Unglücklichen zusammen?

»Ich werde bald zu ihr gehen und sie in das Gemach führen, sie wird und muß sich an Dich gewöhnen. Du bist ja so gut!«

»Versuche es, mein Kind!«

Rasch eilte sie hinaus. An ihrer Stelle kehrte aber der Ritter zurück.

»Alles gütliche Zureden selbst durch Marie scheitert an dem festen Willen Ihrer unglücklichen Gattin, Euch nicht mehr begegnen zu wollen. Ich bitte Euch deshalb, tretet in mein Wohngemach, bis ich Euch rufen werde. Vielleicht gelingt es Marie und mir, sie zum Eintritt zu bewegen. Das Weitere muß sich dann ergeben!«

»Ich stehe rathlos da; was meint Ihr, das ferner zu thun sei?«

»Meines Dafürhaltens würde ein Zusammenführen der Kinder mit der Mutter das Einzige sein, was zunächst geschehen kann. Ich werde Marie und Detlev zu Euch senden!«

Der Graf gab durch ein leichtes Neigen des Kopfes seine Zustimmung zu diesem Vorschlage und ging schweigend in das anstoßende Gemach.

Hier sank er wie gebrochen auf einen Stuhl und überließ sich, unfähig der Wirkung des soeben Erlebten länger Widerstand zu leisten, dem ihn überwältigenden Gefühl herbsten Schmerzes. Der ganze Vorgang wollte ihm oft noch als ein Traum erscheinen, seine Gedanken schienen sich gleichsam im Kreise zu bewegen und nur um die Frage zu drehen, ist es möglich, daß ich die Meinen wieder habe, ist es möglich, daß Wanda –? Er war noch nicht im Stande, sich über sein ferneres Verhalten klar zu werden, und sah mit völliger Rathlosigkeit dem entgegen, was weiter geschehen werde.

In dumpfem Sinnen saß er noch an derselben Stelle, als die nach dem Flur führende Thür aufging und Detlev mit Marie eintrat.

»Du verlangst nach uns, lieber Vater?« fragte der Erstere, fuhr aber, als er sah, in welch gedrückter Stimmung dieser sich befand, erschrocken fort: »Hat Dich die Begegnung mit der unglücklichen Frau in so hohem Grade erregt, daß Du auch jetzt noch angegriffen bist?«

»Ja, meine Kinder, dieses unerwartete Zusammentreffen war allerdings recht wohl im Stande, mich der Fassung zu berauben!«

»Was in aller Welt ist es denn aber, das uns alle so eigenthümlich berührt, sobald wir die Frau sehen? Marie ist ihr nicht weniger zugethan wie ich, und auch Du theilst, wie ich sehe, unsere Zuneigung? Woher kommt das?«

Er mochte eine Antwort erwarten, denn er hielt inne. Als er aber wahrnahm, daß sein Vater, den Kopf in die Hand gestützt, schwieg, fuhr er langsam fort:

»Oft bereits habe ich mir die Frage nach dem Grunde dieser Zuneigung zu der Unglücklichen vorgelegt und bin zu Schlüssen gekommen, die ich leider als nicht mehr berechtigt verwerfen mußte. Als wir heut auf der Lichtung waren, und ich Dich am Fuße der Eiche stehen sah, wurde aber nicht nur die Erneuerung an unsere Trennung von Dir und unserer guten Mutter recht lebhaft in mir, sondern mein Ideengang führte mich unwillkürlich wieder zu der armen Frau zurück. – Ich habe, um meiner Schwester das Herz nicht unnöthig schwer zu machen, ihr noch nichts von diesen meinen Erwägungen mitgetheilt. Jetzt jedoch kann ich nicht länger mehr schweigen. Ich mußte Dir es mittheilen, um wenn möglich zu erfahren, ob« – seine Stimme fing an zu beben und sein Auge wurde feucht – »meine Ahnung trügerisch, ob ich ohne Grund gewagt habe mich auf Augenblicke einer Hoffnung zuzuneigen, die ich seither als vergeblich erkannte!«

Marie hatte den Worten ihres Bruders mit wachsender

Unruhe gelauscht. Ihr Blick haftete bald auf dem Vater bald auf dem Bruder; als er jetzt schwieg, rief sie hastig:

»Detlev, Detlev, Du hast mir nicht sagen wollen, was Du so oft gedacht, Du hast mich nicht beunruhigen wollen? Diese Sorge war unnöthig, denn ich habe mich selbst fast täglich mit derselben Frage beschäftigt –!«

In diesem Augenblick steckte die Alte den Kopf zur Thüre herein und sprach zu der sich nach ihr umwendenden Marie:

»Unsere Kranke ist so sehr erregt, daß ich allein nicht im Stande bin, sie zu besänftigen. Wollt Ihr mir nicht behülflich sein? Auf Euch hört sie ja mehr, wie auf uns Andere alle!«

»Ja, meine Tochter,« bemerkte nun auch der Graf, während er sein thränenfeuchtes Auge zu Marie erhob, »folge dem Rufe der Frau und nimm Dich der Kranken recht warm, recht innig an, sie verdient es –!«

Ohne weiter zu fragen, aus welchem Grunde ihr Vater ihr die Pflege der Unglücklichen so warm an's Herz legte, verließ sie, gehorsam dem erhaltenen Winke, das Gemach und Detlev befand sich mit dem Grafen allein.

Ersterer ergriff jetzt die Hand seines Vaters.

»So lange Marie hier war,« begann er flüsternd, leise, als könne seine Schwester seine Worte im andern Gemach hören, »habe ich nicht gewagt, eine Vermuthung klar auszusprechen, die mehr und mehr zur Gewißheit wird.

»Sage mir, ich bitte Dich dringend darum, ist das, was eine innere Stimme mir unaufhörlich zuflüstert, richtig? Ja, ja, es muß der Fall sein, ich kann mich nicht irren, die Stimme der Natur spricht zu deutlich in mir – die Unglückliche ist –?«

»Deine von uns seit langen Jahren als todt betrauerte Mutter!« lautete die mit umflorter Stimme gegebene Antwort des Grafen, welcher sich mittlerweile erhoben hatte.

»Allmächtiger!« rief Detlev, die hervorbrechenden Thränen ungehindert fließen lassend. »Arme, gute Mutter, welche Leiden mögen Dir aufgebürdet worden sein!« fuhr er nach kurzem Schweigen in dumpfem Tone fort, »ist denn keine Rettung möglich aus der Nacht, in die Dein Geist gestürzt worden ist? – – Gewiß! ich glaube nun mehr als je daran! O wir werden nach der langen Trennung noch glücklich werden!

»Aber wie wird Marie, meine weichherzige, seelensgute Schwester diese sicher von ihr bereits geahnte Nachricht aufnehmen?«

»Wenn ich,« sprach, noch ehe der Graf zu antworten vermochte, der Ritter, dessen Eintritt von Beiden überhört worden war, »mir nach ernster, reiflicher Ueberlegung einen Vorschlag erlauben darf, so möchte ich bitten, Marie noch ununterrichtet zu lassen und zu warten, bis der letzte Versuch zur Heilung Eurer Gattin, Herr Graf, angestellt sein wird!«

»Der letzte Versuch?« fragte der Graf trübe. »Seid Ihr mit Euch selbst darüber bereits einig geworden, was gethan werden soll? Ich bin noch unfähig, geordnet zu denken!«

»Hier würde, so viel ich gesehen habe, jede fernere Bemühung in dieser Richtung unnütz sein. Marie hat sie eben so weit beruhigt, daß sie sich fortan nicht mehr weigern will, in das Wohngemach zu kommen. Von einer erneuten Begegnung aber will sie nichts mehr wissen. Dagegen scheint sie sich – und dies betrachte ich als ein besonders günstiges Zeichen – einzelner Momente der Katastrophe auf der Lichtung plötzlich zu erinnern!«

»Habt Ihr ihre Andeutungen darüber verstanden?«

»Ja, ich glaube wenigstens, daß die abgebrochenen Ausrufe, wie: »Großer Gott, stehe uns bei!« »Schütze meine Kinder!« »Sollen wir hier wirklich untergehen?« »Helft, rettet!« »Mein Gemahl!« »Edward! Edward! die Ruchlosen schleppen mich fort! Hülfe!« sich nur auf das unglückselige Ereigniß beziehen!«

Mit athemloser Spannung hatte der Graf gelauscht.

»Dieser Angstrufe erinnert sich meine Gattin?« fragte er hochaufathmend, »sie vermag des furchtbaren Augenblicks sich zu entsinnen, als ich gebunden am Boden lag und sie von einigen der Elenden gewaltsam von den Kindern weggerissen und fortgeschleppt wurde. O es ist mir, als hörte ich jetzt noch den gellenden, herzzerreißenden Hülferuf, den sie ausstieß, als sie den letzten Blick auf die nach einer andern Richtung weggetragenen Kinder und dann auf mich richtete. – Mein Herz zieht sich heut noch bei der Erinnerung an die furchtbare Angst, die sich in ihren Augen, in ihren Zügen aussprach, krampfhaft zusammen.«

»Diese Wahrnehmung also giebt mir gegründeten Anlaß zu der Annahme, daß die gewaltige Erregung, in welche Eure Gattin vorhin gerathen, einen günstigen Einfluß auf sie hervorgebracht hat, sie hat mich weiter aber auch auf einen Heilversuch hingewiesen, der nach dem soeben Erlebten den besten Erfolg verspricht!«

»Und dieser Versuch?«

Der Ritter zögerte nicht, dem Verlangen des Grafen, Näheres anzugeben über das, was der Erstere als geeignet zur Herstellung der Gräfin erachte, zu entsprechen, und als die Herren nach einer, längere Zeit andauernden Besprechung spät am Abend sich von einander trennten, reichte der Graf froher Hoffnung voll Suteminn die Hand.

»Ich hoffe und glaube mit Euch, daß unser Vorhaben zu dem sehnlichst erwünschten Ziele führen wird!«

Marie weilte noch immer bei ihrer Mutter, welche endlich Ruhe gefunden zu haben schien, kam aber, als Detlev das Wohngemach betrat, vorsichtig, um den leisen Schlummer der Unglücklichen nicht zu stören, aus dem kleinen Nebenstübchen zu diesem heran.

Sie wollte den weiteren Verlauf des Gesprächs erfahren und besonders hören, weshalb der Vater durch die Kranke in außerordentlich, ihr unerklärlich hohem Grade erregt worden sei. Zu ihrem Erstaunen verhielt der sonst ihr gegenüber keine Geheimnisse hegende Bruder sich hier aber schweigsam.

»Später, liebe Marie, sollst und wirst Du Alles erfahren. Für heute quäle mich nicht mit Fragen, Du aber beunruhige Dich nicht unnöthig. Der Himmel meint es mit uns gut!«

»Das verkenne ich ja nicht, Detlev,« erwiderte Marie rasch; »warum verbirgst Du aber vor mir heut etwas, das ich, wie Du sagst, doch noch erfahren soll? Da dieses Geheimniß nun nach Deiner Andeutung nur etwas Gutes betreffen kann, so vermag ich nicht einzusehen, aus welchem Grunde ich nicht bald Kenntniß erhalten soll. Wolltest Du mir eine schlimme Nachricht verschweigen, dann würde ich annehmen, Du wolltest mir so lange als möglich einen Kummer ersparen: eine erfreuliche Botschaft mir aber vorenthalten wollen ist – nicht schön!«

»Kleine Neugierige!« rief Detlev wider Willen, den Eifer Mariens belächelnd; »die Nachricht betrifft Deine Pflegebefohlene! Jetzt aber frage mich nicht weiter!«

Um weiteren Fragen der Schwester zu entgehen, zog er sich, ihr, wie sie wohl fühlte, noch herzlicher, weicher wie gewöhnlich, fast wehmüthig gute Nacht sagend, bald in sein Schlafgemach zurück.

Am folgenden Morgen war Marie nicht wenig erstaunt, als der Ritter ihr mittheilte, sie werde mit der Kranken, die ihren Schreck und ihre Erregung vollständig überwunden zu haben schien, eine weitere Spazierfahrt unternehmen.

»Wir Beiden allein?« fragte Marie befremdet; »wer begleitet uns?«

»Ich selbst!« erwiderte der Ritter freundlich.

»Würden mein Vater und Detlev nicht theilnehmen an diesem Ausflüge?«

»Gewiß, liebe Marie, sie folgen uns!«

»Weshalb willst Du uns denn nicht gleich begleiten, lieber Vater?« wandte sie sich zu dem eben nähertretenden Grafen.

»Das geht nicht, mein Kind, ich werde aber so bald als möglich mit Detlev nacheilen. Fahre Du nur mit – mit – Deiner Pflegebefohlenen voraus!«

Marie schien noch weitere Fragen wegen dieser Anordnung stellen zu wollen, die so außerordentlich war, daß es ihr schwer wurde, sich mit ihr vertraut zu machen; war es ja doch seit ihrem Aufenthalt im Hause des Ritters zum erstenmale, daß sie ausfahren sollte; sie scheute sich jedoch, dieselben auszusprechen, denn Detlev's auf ihr ruhender lächelnder Blick sagte ihr ziemlich deutlich: zügele Deine Neugierde; wenn es Zeit sein wird, sollst Du ja doch Alles erfahren!«

Der Gefahr einer Abweisung durch den Vater oder durch den Ritter wollte sie sich in keinem Falle aussetzen.

Der Graf vermied, so schwer es ihm auch wurde, sorgfältig, der Kranken sich zu zeigen, welche, ohne sich irgend zu weigern, der Bitte Mariens und des Ritters entsprach und neben der Ersteren auf dem Wagen Platz nahm, und folgte, während der Ritter sein Pferd neben dem Wagen herlaufen ließ, mit Detlev dem Gefährt in geringer Entfernung.

Beiden war das Herz recht schwer, doch war Detlev sichtlich bestrebt, sich und auch dem bangenden Vater Zweifel an dem Gelingen des gewagten Unternehmens möglichst auszureden.

Als Letzterer beim Besteigen des Pferdes ausrief:

»O Gott, in welcher Stimmung werden wir zurückkehren? Wird der Allgütige unserem Vorhaben gnädig sein? Woher die furchtbare Unruhe, die mich im Augenblick befällt?« entgegnete Detlev in einem Tone, aus dem man zu erkennen vermochte, daß das, was er sprach, auch seine innerste Ueberzeugung war:

»Unsere Hoffnung wird nicht getäuscht werden und die Mutter ihre Gesundheit wieder erlangen. Selbst wenn eine innere Stimme mir dies nicht immer zuriefe, würde ich schon deshalb allein an einen günstigen Erfolg unseres Vorhabens glauben, weil der Herr Ritter diese Gesinnung hegt!«

Ein schwaches Lächeln überflog die Züge des Grafen, als er bemerkte:

»Du scheinst das bedingungsloseste Vertrauen in das Wissen und Wollen des Herrn Suteminn zu setzen. Hat er denn auch durch die Behandlung Kranker bereits einen Ruf sich erworben?«

»Wie man in dieser Beziehung vom Herrn Ritter spricht, kannst Du am besten in Tangermünde erfahren. Jedes Kind kennt ihn dort und nur wenige Familien werden in diesem Orte leben, die nicht seine ärztliche Hülfe bereits in Anspruch genommen hätten, und stets ist durch Befolgung der durch ihn gegebenen Vorschriften der oder die Kranke wieder hergestellt worden!«

»Hoffen wir, daß dies auch hier in unserem Falle geschehen mag! Du kennst den Junker Dietz von Quitzow?«

»Ja, weshalb fragst Du jetzt gerade nach diesem jungen Manne?«

»Weil ich ihn kennen lernen und mündlich Näheres über das Gefängniß hören möchte, aus dem er die Mutter befreit hat.«

»Recht gern will ich Dich, wenn Du es haben willst, zum Ritter von Uchtenhagen, bei dem er noch weilt, begleiten. Von der Lichtung ist es nicht mehr weit bis zu dem Stammsitz der Uchtenhagener.«

»Erzähle mir doch noch einmal die Vorgänge an dem Morgen, an welchem Du die Mutter aus der Gewalt der Knechte befreitest!«

Detlev kam dieser Aufforderung so ausführlich nach, als er dies nur im Stande war, wurde aber mitten in seiner Erzählung unterbrochen durch den Ausruf seines Vaters:

»Sieh dort vor uns die Ritter! Eben sprechen sie mit Herrn Suteminn. Jetzt kommen sie uns entgegen. Wer sind sie?«

Detlev sah schärfer nach den rasch daher Reitenden aus.

»Das trifft sich ja eigenthümlich! Die beiden Junker von Quitzow sind es mit ihrem alten Leibknappen. Den anderen Knecht kenne ich nicht!«

»Dagegen,« fiel der Graf rasch ein, »ist er mir wieder genau bekannt!«

Die Reiter waren inzwischen nahe herangekommen, und Detlev und die beiden Junker, in deren Begleitung sich der Wachtmeister und sein Bruder befanden, begrüßten einander in freundschaftlichster Weise. Letztere waren im Begriff nach Brandenburg zu reiten und der Graf wandte sich zu Junker Dietz mit der Frage, wann sie von dort zurückkehren würden.

»In spätestens zwei Tagen!«

»Dann wünsche ich Euch in einer mich hoch interessirenden Angelegenheit zu sprechen.«

»Der Herr Ritter Suteminn hat mich von Eurem Wunsche bereits in Kenntniß gesetzt und ich werde nicht versäumen, auf meiner Rückreise Euch in Tangermünde bei Herrn Suteminn aufzusuchen.«

»So? Der Herr Ritter hat Euch dies schon mitgetheilt? Woher hat er Kenntniß von meinem Verlangen? Ich habe ihm doch noch nichts davon erwähnt? Doch gleichviel, es soll mich freuen, Euch recht bald in Tangermünde zu sehen!«

Die Herren wollten eben ihren Weg weiter fortsetzen, als der Capitän sich mit der Bitte an ihn wandte, ihn zurück begleiten zu dürfen.

Von keiner Seite erfolgte ein Widerspruch, und der Graf setzte, in Begleitung Detlev's und des Capitäns, nach einer freundlichen Verabschiedung von den Junkern den Weg nach der Lichtung fort.

Als sie bis zu der ersten Biegung des Weges gekommen waren, erblickten sie in weiter Ferne den Wagen und den Ritter, die ihrer zu warten schienen, nun aber langsam sich wieder in Bewegung setzten.

Schweigend wurde nunmehr der Weg fortgesetzt und nach kurzer Zeit waren sie dem langsam dahinfahrenden Wagen so nahe gekommen, daß sie den Wink des sich nach ihnen zurückwendenden Ritters, zurückzubleiben, zu beachten vermochten.

Sie hielten in unmittelbarer Nähe der Lichtung. Suteminn stieg vom Pferde und Marie verließ mit der gleichgültig ihre Umgebung musternden Unglücklichen, von der sie ja noch nicht wußte, wie nahe sie ihr stand, den Wagen.

Suteminn sprach nun zu Marie einige Worte, welche diese sichtlich zu befremden schienen, denn sie schüttelte leicht das Köpfchen und ging dann zurück in der Richtung, in der ihr Vater und Detlev hielten.

Der Ritter dagegen trat mit der willenlos ihm folgenden Frau links von der Straße ab in den Wald.

Kaum waren sie hinter den Bäumen verschwunden, als der Graf mit Detlev zu der ihrer harrenden Marie vorritt, abstieg und ohne die erstaunt fragenden Blicke seiner Tochter zu beachten, aufmerksam lauschte.

Er vermochte von seiner Stelle aus die Lichtung und besonders die Eiche deutlich zu erkennen und wagte kaum zu athmen, als er jetzt bemerkte, daß seine unglückliche Gattin den freien Platz betrat.

Sie war, ohne ihrem Wege irgend welche besondere Aufmerksamkeit zu widmen, die kurze Strecke von der Stelle, an welcher sie vom Wagen gestiegen, bis zur Lichtung selbst langsam dahingegangen.

Dort angekommen, schlug sie das Auge auf; einen Moment stand sie unbeweglich, dann zuckte sie zusammen und mit einem gellenden Aufschrei sprang sie auf die in der Lichtung stehende Eiche zu, lehnte sich an den Stamm und brach in die in herzzerreißenden Tönen hervorgestoßene Klage aus:

»Meine Kinder, meine armen Kinder! Wo sind sie? Wo ist mein Gemahl? Soll ich Euch denn nie mehr sehen?«

Suteminn war am Rande der Lichtung stehen geblieben und beobachtete die jammernde Gräfin.

In dem Augenblick, als Letztere durch ihre Bewegung zu erkennen gegeben, daß die Lichtung ihr nicht fremd sei, wandte der Graf sich zu Marie:

»Jetzt, mein Kind, bitte den Allgütigen um seinen Beistand!«

Er eilte in das Gebüsch und trat eben an einer der Gräfin durch den starken Stamm verdeckten Stelle auf die Lichtung, als die Unglückliche laut zu jammern und zu klagen begann.

Als sie fragend rief: »Wo ist mein Gemahl?« den Blick starr auf eine Stelle gerichtet, die Hände verzweiflungsvoll rang und eine Bewegung machte, als wolle sie Jemand umfassen, antwortete plötzlich unmittelbar neben ihr eine bebende Stimme:

»Wanda! Meine Wanda! Hier bin ich ja!«

Wie von einem electrischen Schlage berührt, fuhr sie auf und wandte sich nach der Seite, von welcher diese wenigen Worte in ihr Ohr gedrungen waren.

Groß, starr sah sie den vor ihr stehenden Grafen an, ihr Blick haftete fest auf den Zügen desselben, alles Leben schien zu stocken in ihr.

»Wanda, meine theure Wanda!« rief er noch einmal, »kennst Du mich denn nicht? Ich bin ja Dein Edward!«

Seiner selbst kaum mehr mächtig, breitete er die Arme aus. Noch immer verharrte sie aber in unbeweglicher Haltung.

Als er aber zum drittenmale fragte:

»Wanda, kennst Du Deinen Edward, Deinen Gatten nicht mehr?«

Da wich die Starrheit ihres Blickes, ein Zittern durchlief ihren Körper, verlangend erhob sie ihre Arme, ein markerschütternder Aufschrei entrang sich ihrer Brust, und sie wäre zu Boden gesunken, wenn der Graf sie nicht in seinen Armen aufgefangen hätte.

Langsam, vorsichtig ließ er die Bewußtlose auf die weiche Moosdecke und an der Stelle, wo sie gestanden, niedergleiten.

Suteminn, welcher sich in Voraussicht eines derartigen Ereignisses mit entsprechenden medicinischen Mitteln vorgesehen hatte, eilte rasch hinzu, händigte sie dem Grafen ein und dieser bemerkte nach Anwendung derselben zu seiner unaussprechlichen Freude bald die ersten Regungen des wiederkehrenden Lebens.

Ueber sie gebeugt, beobachtete er das Wachsen der neu erwachenden Kraft und endlich schlug sie das Auge auf. –

Einen Moment nur haftete ihr Blick auf dem thränenfeuchten Antlitz des sie liebevoll beobachtenden Gatten, denn schlang sie beide Arme um ihn und zog ihn zu sich herab:

»Edward, geliebter Edward, habe ich Dich wieder? Ist es auch keine Täuschung? Nein, nein, Du bist es! o Gott, wie glücklich bin ich nun!«

»Ja, meine theure Wanda, geliebtes Weib, wir sind wieder vereint!«

Die Mattigkeit überwältigte sie indeß so schnell schon wieder, daß sie den halb erhoben gehaltenen Kopf wieder zurücklegte und, ohne noch ein Wort weiter zu sprechen, unter den Liebkosungen des Gatten wieder die Augen schloß.

Mit Aufbietung der äußersten Vorsicht, um ihren Schlummer nicht zu stören, suchte er ihre ihn noch umschlungen haltenden Arme zu lösen, um sich erheben zu können.

Ungeachtet aller Behutsamkeit seinerseits, erwachte sie doch und preßte ihn, liebevoll ihm in's Auge sehend, schweigend auf 's Neue an sich.

Plötzlich schreckte sie empor.

Eine namenlose Angst prägte sich in ihren wirr umhersuchenden Blicken aus.

»Meine Kinder! Um Gotteswillen, wo sind unsere herzigen Kinder?«

»Sei beruhigt, liebste Wanda,« begütigte ihr Gatte sie unter Küssen, »unsere beiden Kinder sind bei uns! Stärke Dich erst durch ruhigen Schlummer, dann sollst Du sie bald bei Dir sehen!«

»O Gott, ja, dann bin ich ruhig, nun –«

Weiter vermochte sie nicht zu sprechen, denn im nächsten Moment bereits lag sie wieder in den Banden des Schlafes.

Nunmehr gelang es ihm auch, frei zu werden.

Mit Hülfe Suteminn's, welcher vor ihrer Abfahrt vom Hause anscheinend alle Möglichkeiten in Berücksichtigung gezogen und eine Anzahl Tücher mitgebracht hatte, wurde der Schlummernden ein bequemes Lager bereitet, und während der Ritter nun, bei dieser Wache haltend, zurückblieb, eilte der Graf zu den noch immer auf der früheren Stelle seiner harrenden Kindern zurück.

An seinen glückstrahlenden Mienen, in seinem Auge erkannten Detlev sowohl als Marie, daß er ihnen etwas besonders Frohes mittheilen werde. Ersterer bedurfte keiner Erklärung, die Thräne in seinem Auge und der halblaute Ausruf:

»Dem Himmel sei Dank für Gewährung meiner Bitte!« bekundeten hinlänglich, daß er erkannte, weshalb sein Vater so freudig bewegt sei.

Marie dagegen eilte ihm rasch entgegen.

»Vater, lieber Vater,« rief sie, zärtlich sich an ihn schmiegend, »willst Du mich denn nicht an der Freude theilnehmen lassen, die Dich im Augenblick so ganz erfüllt? Willst Du mir nicht mittheilen, was hier eigentlich vorgegangen und« – fuhr sie, besorgt zu ihm aufsehend, rascher fort, – »wo die unglückliche Frau hingebracht worden ist? Ich sehe, ich fühle, daß jetzt Deine Erregung ebenso sehr mit ihr in Verbindung steht, wie gestern Abend Dein Kummer. Willst Du mir nicht wissen lassen, was das Alles bedeutet?«

Zufällig glitt ihr Blick über die von dieser Stelle aus vollständig zu übersehende Lichtung; sie sah in der Nähe der Eiche den Ritter stehen und bemerkte am Fuße des Baumes die schlummernde Frau.

»Großer Gott, was ist das?«

Hastig wollte sie sich dem Arm ihres Vaters entwinden, um zu der Kranken hinzueilen. Er hielt sie jedoch zurück.

»Gedulde Dich noch einen Augenblick, Marie, dann werde ich Dich selbst zu ihr führen. Beantworte mir erst eine Frage!«

»Eine Frage? und welche?«

»Worin würde die größte Freude bestehen, die Dir heut bereitet werden könnte?«

»Wenn ich – doch wozu einem Gedanken nachhängen, der sich nicht mehr verwirklichen kann? Sie ist ja sicher schon lange, lange todt!«

»Sprich nur diesen Gedanken aus!«

»Nun, wenn ich mit meiner guten, lieben Mutter zusammenkäme, wenn ich sie heut wiederfände –!«

»Bist Du wirklich so fest überzeugt davon, daß Deine Mutter nicht mehr unter den Lebenden weilt?«

Hastig richtete Marie sich empor und sah ihrem Vater groß, starr in's Auge.

»Antworte mir nur, mein Kind, woher hast Du die Gewißheit, daß Dein Verlangen nicht mehr erfüllt werden könnte?«

»Vater, um Gottes Willen,« schrie sie laut auf, »wäre es möglich, sollte meine Ahnung mich doch nicht getäuscht haben? Sollte die Stimme, welche mir seit – seit – Ha! – laß mich gehen, laß mich hin zu ihr! Jetzt weiß ich – o mein Gott und ich kann meine gute Mutter so sorglos allein lassen – vermag sie leiden zu sehen und –«

»Fasse Dich, mein Kind! Deine Ahnung hat sich bestätigt. Du hast allerdings Deine Mutter seither schon so treu gepflegt, und ohne es zu wissen, wem Du Dein Mitleiden bezeugst, ihr schweres Leiden bitter beklagt. Freue Dich nun aber auch mit uns: Die Mutter ist von ihrer bösen, von ihrer furchtbaren Krankheit geheilt. Sie ist wieder im Besitz ihrer vollen Geisteskräfte und genießt jetzt den ersten stärkenden Schlummer!«

Unfähig, weiter zu sprechen, wehrte er den hervorbrechenden Thränen nicht länger, und im stummen Dankgebet wandten die drei Ueberglücklichen sich zum Lenker der Geschicke. All' das schwere Leid, was ihnen lange Jahre hindurch aufgebürdet, die Erinnerung an die vielen trüben Stunden, die ihnen durch das über sie hereingebrochene Geschick bereitet worden, wurde verdrängt, vergessen und nur allein die unbeschreibbare Freude erfüllte sie, jetzt endlich doch so glücklich zu sein, als sie es nie mehr zu werden glaubten. –

Nun war der Graf aber auch nicht länger im Stande Marien zurückzuhalten; sie flog über die Lichtung und sank neben dem Lager der Mutter in die Kniee. Sie wagte kaum zu athmen aus Besorgniß, die Schlummernde zu stören, und vergaß in ihrer rührenden Sorge für die geliebte, endlich wiedergefundene Mutter Alles um sich her!

Vater und Sohn folgten ihr langsamer.

Der Kapitän hatte mittlerweile seinen Weg langsam fortgesetzt. Der Graf aber folgte mit Detlev der vorausgeeilten Marie. Während Letzterer zu Mutter und Schwester ging, trat der Erstere zu Suteminn, welcher, auf sein Schwert gestützt, sinnend an einem Baume lehnte.

Auf dem weichen Moose war es dem Grafen möglich, nahe zu dem Ritter heranzukommen, ohne daß dieser aus seinem Sinnen aufgeschreckt worden wäre.

Erstaunt fragend, blieb der Graf wenige Schritte von diesem entfernt stehen.

Was bewegte den Ritter zu der finsteren Miene, mit welcher er vor sich hinsah? Recht herbe, bittere Gedanken mußten es sein, die ihn beschäftigten, denn seine Lippen waren zusammengezogen, seine Stirne in Falten gelegt und der Blick nichts weniger als freundlich.

»Was ist Euch, Freund? Weshalb dieser Unmuth in einem Augenblick, in welchem Ihr Euren Freund als den glücklichsten Menschen der Erde vor Euch seht?«

Suteminn sah bei dieser Frage des Grafen auf und Letzterer schüttelte verdutzt den Kopf.

»Hat mich denn die Freude verwirrt gemacht? Ihr seid, wie ich jetzt deutlich sehe, nicht finsterer und auch nicht freundlicher gesinnt, als ich Euch stets gesehen habe. Verzeiht, daß ich Euch störte. Es geschah, weil ich im Moment wähnte, Euch trüber zu finden als gewöhnlich, und mir es doppelt weh gethan haben würde, gerade heut, gerade in diesem Augenblick Den nicht froh zu wissen, dem ich nächst Gott nur allein verdanke, daß ich noch einmal ganz glücklich werde!«


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