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Jobst beobachtete Dietz, dessen Aufregung beim Anblicke der großen, angeblich mit Gold und Silber oder doch wenigstens mit dementsprechenden Werthgegenständen gefüllten Truhe auffallend stieg, mit Erstaunen.
Auf die Truhe zeigend, sagte er:
»Seht Ihr hier nun den dritten Nagel?«
»Ja, was ist mit ihm?«
»Bemerkt Ihr nichts Auffälliges?«
»Nein – doch er scheint nicht ganz so fest eingeschlagen zu sein, wie die übrigen.«
»Richtig. Nun sucht an der andern Seite der Truhe einen in gleicher Weise nachlässig eingeschlagenen Nagel.«
Dietz folgte dieser Weisung und rief nach kurzem Suchen:
»Ich habe ihn gefunden. Es ist der vierte Nagel in der ersten Reihe von oben.«
»Das stimmt.«
Jobst griff nun in eine kleine, unscheinbare Höhlung unter der Truhe und zog zwei eiserne Klammern hervor.
Eine derselben reichte er Dietz.
»Mit Hülfe dieser Klammer sucht den Nagel so weit als möglich herauszuziehen, ich werde hier das Nämliche thun!«
Längere Zeit mühte Dietz sich vergeblich. Der Nagel gab nicht nach. Durch eine zufällige Wendung der Hand, in welcher er die an dem Kopfe des Nagels befestigte Klammer hielt, machte er die Wahrnehmung, daß der Nagel jetzt zu weichen begann.
Dietz drehte weiter und im nächsten Augenblicke hatte er statt des vermutheten Nagels eine dünne Eisenstange herausgezogen, welche eben so lang als die Truhe war.
Jobst hatte das gleiche Experiment längst beendet, holte nun aus derselben Höhlung, in welcher die Klammern gelegen, einen Schlüssel hervor und öffnete mit Leichtigkeit und ohne irgend welche Anstrengung in der gewöhnlichen Weise die Truhe.
Dietz prallte zurück, als er einen Blick auf die in derselben aufgehäuften Schätze geworfen.
»Wahrhaftig! das ist mehr, als ich irgend hier suchen durfte.«
»Das glaube ich,« bemerkte Jobst ernst, »der »Schwarze« hat aber auch niemals eines der Gefäße oder einen Schmuckgegenstand, sobald er hier untergebracht war, wieder mit weggenommen. Er schien nur sammeln zu wollen, und ich habe mich manchmal selbst gewundert, weshalb er nur die werthvollen, kostbaren Sachen hier aufstapelt, wenn er sie nicht zu seinem Vortheil verwerthen will!«
»Ich sehe da auch eine sehr bedeutende Summe an geschlagenen Münzen. Ist von dieser Art Beute auch kein Gebrauch gemacht worden?«
»Das ist mir nicht bekannt!«
Dietz blieb einige Augenblicke sinnend vor der offenen Truhe stehen.
Plötzlich bückte er sich. Irgend einer der in der Truhe liegenden Gegenstände mußte seine Aufmerksamkeit erregt haben.
»Was befindet sich dort in dem prachtvollen, mit Edelsteinen ausgelegten Kästchen?«
»Schmuckgegenstände, die vor einer Reihe von Jahren irgend einem sehr reichen Herrn abgenommen worden sind.«
»Woher wißt Ihr das? Waret Ihr an dem Streifzuge betheiligt?«
»Nein, ich schließe aber aus dem Vorhandensein der Gegenstände an diesem Orte, daß sie auf keine andere Weise in den Besitz des »Schwarzen« gekommen sind.«
Dietz hatte während dessen das Kästchen aus der Truhe genommen und versucht, es zu öffnen, jedoch vergebens.
Unwillig reichte er es Jobst.
»Versteht Ihr das Ding zu öffnen?«
Schweigend ergriff dieser das Kästchen, drückte auf einen kaum bemerkbaren, in keiner Weise auffallenden Stift an der Seite desselben, der Deckel sprang auf und Dietz vermochte einen Ausruf des Erstaunens nicht zu unterdrücken, als er den reichen Schmuck, die einen ungeheuren Werth besitzenden Edelsteine betrachtete, welche das Kästchen barg. Ein paar Armspangen erregten namentlich sein Interesse und er würde erst noch einige Zeit mit der Besichtigung dieser Schätze zugebracht haben, wenn Jobst ihn nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, daß bei längerem Verweilen und noch weiterer Verzögerung der Rückkehr zu den die Räuber bewachenden Rittern, Letztere nicht nur besorgt, sondern auch die Ersteren aufsässig und die Ritter bei der Mehrzahl der Räuber und ihrer geringen Bekanntschaft mit der Einrichtung des unterirdischen Gelasses, in welchem sie sich befanden, in eine höchst bedrängte Lage gerathen könnten.
Dietz besichtigte, während Jobst seine wirklichen oder vermeintlichen Bedenken äußerte, die Geschmeide näher und fand auf allen eine Krone und einen Namenszug, in dem er nur den Buchstaben »W« klar zu erkennen vermochte.
»Ist Dir nie bekannt geworden,« wandte er sich zu Jobst, »wem diese Gegenstände abgenommen worden sind?«
»Nein!«
Dietz schwieg jetzt eine Weile, dann fragte er plötzlich:
»Ist Dir nichts Näheres über die Gräfin bekannt?«
»Nicht das Geringste weiß ich über diese Frau. Während sie noch bei Verstande war, bin ich nicht mit ihr zusammengekommen, später aber war es nicht mehr möglich, ein Wort mit ihr zu sprechen. Die Leute dort im Keller wissen auch nicht mehr als ich!«
»Das ist freilich sehr wenig. Doch wir wollen nun zurück!«
Dietz war im Begriff, das Kästchen zu schließen, als ein geheimes, am Deckel desselben angebrachtes Fach sich öffnete und ein Ring heraus und zu Boden fiel.
Trotz alles Suchens gelang es ihnen nicht, diesen Ring wieder zu finden.
Sie schlossen deshalb, um sich nicht noch länger in dem Gewölbe aufzuhalten, die das Kästchen aufs Neue bergende Truhe und Dietz hatte oben die Stange wieder an der bestimmten Stelle durch die Truhe und das an der Innenseite des Schlosses befindliche Loch geschoben, als sein Blick durch etwas Glänzendes vor seinen Füßen gefesselt wurde.
Er bückte sich.
»Hah, der Ring!« rief er und hob ihn auf.
»Nun wird es wohl das Beste sein, Herr, Ihr nehmt ihn an Euch, bis Ihr wieder einmal die Truhe öffnet!« brummte Jobst und Dietrich stimmte dieser Ansicht ohne Einspruch bei.
Beide schritten nach der entgegengesetzten Seite des Gewölbes.
Ein schmaler Gang führte zwischen den aufgehäuften Waaren hindurch und Dietz blieb wiederholt stehen, um sich bei manchem der Berge von Waaren zu fragen, zu welchem Zwecke sein Vater wohl dieses großartige Waarenlager errichtet habe, das zu verwerthen oder zu verbrauchen wohl schwerlich angegangen sein würde.
Durch diese Fragen wurden keineswegs sehr erfreuliche Betrachtungen in ihm wachgerufen.
Bei seinem Eintritte in das Versammlungs-Lokal wurde durch das Verhalten der Räuber das Bewußtsein in ihm wachgerufen, sein Vater habe verstanden, diese unbändigen, wilden Gesellen in bedingungslosem Gehorsam zu erhalten und er war in Folge der gewonnenen Ueberzeugung der geistigen und körperlichen Ueberlegenheit seines Vaters über diese rohen Burschen dort gereizt, die Betheiligung desselben an dem Räuberleben weniger streng zu verurtheilen. Nachdem er aber die eingeheimsten, nutzlos aufgeschichteten und zum großen Theil dem Verderben ausgesetzten Beutegegenstände besichtigt hatte, schien er kaum mehr bereit zu sein, dieser milderen Beurtheilung des Geschehenen Raum zu geben.
Kopfschüttelnd folgte er Jobst, welcher eben emsig an der Mauer des Gewölbes suchte.
Endlich schien er gefunden zu haben, nach was er geforscht hatte.
»Seht, Herr, hier der Knopf. Drückt heftig auf ihn!«
Dietz kam dieser Aufforderung nach und in demselben Augenblicke ließ sich auch schon das knarrende Geräusch von Rädern hören. Die Wand, welche sich an dieser Stelle in nichts von der übrigen Wandfläche des Saales unterschied, theilte sich und sie standen vor einer großen, breiten in dichteste Finsterniß gehüllten Oeffnung.
»Helft mir, Herr, diese Bretter, die hier an der Wand lehnen, in der Richtung des Ganges, den Ihr vor uns seht, zu legen.«
»Weshalb? Wozu bedürfen wir der Bretter?«
»Weil hier unmittelbar hinter der Thür eine offener, sehr tiefer und unten immer breiter werdender Keller liegt. Wer in diesen Keller fällt, der ist rettungslos verloren.«
»So schlimm wird es wohl nicht sein!« bemerkte Dietz, über die im Tone der vollsten Ueberzeugung gegebene Versicherung lächelnd.
»Einer von den Leuten des »Schwarzen«, und zwar einer der Wenigen, die volles Vertrauen des Herrn besaßen, war, während er Waaren in das Gewölbe schaffte, einer unverdeckten Stelle zu nahe gekommen und in die Tiefe hinabgestürzt.«
»Man hat doch sofort Versuche zu seiner Rettung angestellt?«
»Das wohl, aber vergebens. Der Mann hat ohne Zweifel da unten sofort den Tod gefunden, denn auf das Rufen seiner Kameraden ist keinerlei Antwort erfolgt und auch das Hinablassen von Seilen war erfolglos –«
Dietz half jetzt die Bretter über die Oeffnung legen und Beide kamen auch ohne Unfall hinüber.
Nunmehr zogen sie ihre provisorische Brücke zurück und Jobst leuchtete an der Wand umher, bis er einen kleinen Haken fand.
»Diesen Haken zieht heraus, Herr!«
Dietz that dies und die beiden Flügel der Thür des Gewölbes flogen zusammen.
Jobst ging zur anderen Seite des Ganges, an welcher in derselben Höhe ein ähnlicher Haken angebracht war.
»Wenn Ihr durch diesen Gang in das Gewölbe gelangen wollt, dann müßt Ihr an dem an der rechten Seite sich befindenden Haken ziehen. Die Bretter findet Ihr hier. Der Haken an der linken Seite schließt nur die Thüre.«
Jobst schritt nun langsam voran.
Sie hatten zwar noch mehrere Thüren zu öffnen, doch war der Weg nicht mehr derart gefahrdrohend, wie dies auf dem seither zurückgelegten der Fall gewesen.
Nachdem sie noch ohngefähr zehn Minuten fortgegangen waren, fühlte Dietz, daß der Weg sanft ansteigend weiter ging, ohne daß er jedoch enger oder niedriger geworden wäre.
Schweigend folgte er dem vorangehenden Jobst, welcher plötzlich vor einer Steinwand still stand.
»Seht Ihr dort unten links in der Ecke den kleinen, frei in einer Höhlung liegenden Stein?«
»Ja!«
»Dann nehmt ihn heraus. Was bemerkt Ihr weiter?«
»Ein kleines Stück Holz, das aus der Erde herausragt.«
»Gut, tretet auf dieses Holz!«
Dietz hatte den Fuß kaum auf dasselbe gesetzt, als die künstliche Mauer sich öffnete, und er nahm zu seinem Erstaunen wahr, daß die Steine, nur dünn und hoch aufeinander gelegt, auf einer Art Walze gingen, die dem Auge des Nichteingeweihten vollständig verdeckt, doch aber bei der geringen Stärke dieser Schein-Mauer leicht zu regieren war.
Eilig traten sie jetzt heraus aus dem Gange.
Jobst schloß das Thor wieder, zeigte Dietz, in welcher Weise es von außen geöffnet werden könne, und verwahrte die übrigen Späne in einem Loche des unmittelbar vor ihnen aufsteigenden Trümmerhaufens.
Nachdem sie diesen überstiegen und noch etwa fünfzig Schritte weiter gegangen waren, standen sie vor dem Eingange des Gewölbes, in dem die Junker und deren Anhang mit den Räubern versammelt waren.
Ein wüster Lärm tönte ihnen entgegen und Jobst murmelte:
»Hier giebt's bald Arbeit!«
Dietz drängte vorwärts und trat in dem Augenblicke in den Keller, als der Wachtmeister und Cuno mit hochgeschwungenem Schwerte den ihnen feindlich gegenüberstehenden und sichtlich zum Angriff bereiten Räubern beweisen wollten, daß ein Kampf mit diesen Beiden zum mindesten nicht ohne Gefahren zu unternehmen sei.
Der Wachtmeister bemerkte den heftig eintretenden Dietz nicht sofort und rief mit donnernder Stimme:
»Mordelement und Mohrenplitz, komme mir keiner von Euch Deiwelspraten nahe, ich hacke Euch in kleine Stücke!«
»Halt!« rief da hinter ihm eine laute, den Lärm noch übertönende Stimme, und noch ehe er sich nach dem Sprecher umgewandt, trat Dietz zwischen die Kampflustigen.
»Was geht hier vor? Wer hat mein Gebot, Ruhe zu halten, übertreten?«
Sämmtliche Anwesenden verharrten in düsterem Schweigen.
»Antwort verlange ich,« herrschte er die Männer an, welche theils scheu zu ihm auf, theils finster vor sich hin sahen. »Nennt mir den Rädelsführer oder es erwartet Euch alle eine harte Strafe!«
Cuno, die beiden Uchtenhagen, der Wachtmeister und die aus den, auf der Landzunge befindlichen Betlöchern befreiten Räuber hatten seither schon zusammengehalten. Ihnen gesellte sich, während Dietz sprach, noch die Mehrzahl der Räuber zu, die den Eid geleistet hatten, so daß nur ein verhältnißmäßig kleines Häuflein widerwillig Gehorchender sich abseits hielt.
Zwischen beiden Parteien stand Dietz, dessen Verlangen nur von befreundeter Seite entsprochen wurde.
»Mordelement,« polterte der Wachtmeister, »op das Gezücht wohl antworten und gestehen wird, daß man mit uns Streit anfangen wollte –«
»Ruhig, Caspar,« unterbrach ihn Dietz, »ich habe schon genug gehört!«
Zu den Widerspänstigen gewandt, fuhr er fort:
»Legt die Waffen hier vor mir nieder!«
Keiner derselben rührte sich.
Dietz bemerkte jetzt den langen Thomas inmitten des Häufleins der Aufsässigen und daß dieser den neben ihm Stehenden hastig etwas zuflüsterte.
»Thomas,« befahl er ihm ruhig, aber entschieden, »tritt vor!«
»Ich gehorche Euch nicht eher,« knurrte dieser, »als bis –«
Weiter vermochte er indeß in seiner Erklärung nicht zu gelangen.
Einige der Räuber hatten, als Dietz sich an Thomas gewandt, verdächtige Bewegungen mit ihren Waffen gemacht. Der Wachtmeister und Hans Uchtenhagen hatten dies bemerkt, vielleicht schlimmer aufgefaßt, als nöthig war, und traten in dem Augenblicke mit gezogener Waffe den Räubern entgegen, als Thomas zu sprechen begann.
Dies mochte wiederum von den Aufsässigen als Zeichen zum Angriff verstanden worden sein; auch sie hoben ihre Waffen und der Schluß der Antwort des seitherigen Anführers der Räuber verhallte in dem Lärm des plötzlich mit größter Wuth entbrennenden Kampfes.
Er war glücklicherweise sehr bald entschieden.
Die Uebermacht auf Seiten der Anhänger Dietz's war zu stark, als daß der Widerstand der Gegenpartei nachhaltig hätte sein können.
Einer der Ersten unter Denjenigen, welche den furchtbaren Streichen des riesigen Wachtmeisters erlagen, war Thomas, mit dessen Fall die Kraft der Räuber zu erlahmen schien. Bald waren sie vollständig überwunden und harrten scharf gefesselt der Entscheidung, welche Dietz über sie fällen würde.
Leider war es aber auch auf der anderen Seite nicht ohne Verluste abgegangen.
Einige der aus den Betlöchern befreiten früheren Genossen der Räuber waren todt und Jobst und auch Cuno hatten Wunden davongetragen.
Beide wiesen jede Besorgniß wegen ihren Verletzungen als unnöthig zurück und Dietz befahl, die Gefesselten abgesondert von einander an Pfeiler und Pfosten des Kellers zu binden, die Todten aber vorläufig abseits zu legen.
Nachdem dies geschehen, wandte er sich zu den, seiner Befehle harrenden Männer, die infolge des von ihnen geleisteten Eides zu ihm gehalten hatten.
»Wo sind die Gefangenen, für welche das Lösegeld noch nicht eingegangen ist?«
»Im Thurme!« entgegneten sofort Mehrere.
»Du, Hinrich, wirst mich dahin führen und Caspar mag mich begleiten.«
»Herr, laßt mich auch mit Euch gehen,« bat Jobst, »ich kenne den Weg in die unterirdischen Gelasse im Thurme ebenso genau, wie Hinrich, und meine Verwundung ist nicht so gefährlich, daß ich Euch im Nothfalle nicht dienlich sein könnte.«
»Meinetwegen,« entschied Dietz. »Euch aber,« sprach er zu den beiden Uchtenhagen und zu Cuno, »bitte ich meiner hier zu warten. Es drängt mich, die Gefangenen persönlich kennen zu lernen. Bald werde ich wieder hier sein.«
Mit diesen Worten verließ er in Begleitung der selbst erwählten drei Begleiter das nach dem eben beendeten erbitterten Kampfe einen grausigen Anblick bietende Gewölbe, auf dessen Fußboden sich große Blutlachen gebildet hatten.
Nur wenige Schritte hatten sie, auf der Oberfläche angelangt, zwischen den Steinhaufen hin zu gehen, als der Führer vor einer Ruine stehen blieb, die in früheren Zeiten wohl den unteren Bestandtheil eines Thurmes gebildet haben mochte. Die runde Bauart des kaum noch zwanzig Fuß hohen, unförmlich dicken Gemäuers gestattete wenigstens einen darauf hinzielenden Schluß, dessen Berechtigung von dem Wachtmeister auch sofort anerkannt wurde:
»Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche; wenn das Ding aper das Verließ ist, dann hapen die Pfaffen es verstanden, ihre Gefangenen zu verwahren. Das Ungeheuer hat ja keine Thüre, kein Loch zum Einsteigen, kein – kein –«
»Schweig, Caspar,« gebot Dietz, »und Du, Hinrich, führe uns weiter.«
Sie schritten unter der Führung Hinrichs nach der entgegengesetzten Seite des Gemäuers, und zwar bis dahin, wo ein dichtes, niedriges Gestrüpp unmittelbar an der Mauer wucherte.
Rasch bog Hinrich die Zweige auseinander und es wurde nur ein niedriges Loch in der Mauer sichtbar.
»Durch dieses Loch gelangen wir in die Gefängnisse.«
Dietz warf einen forschenden Blick auf Hinrich.
Er schien ungewiß zu sein, ob dieser hier im Ernst gesprochen oder ein falsches Spiel treibe.
Hinrich beseitigte jedoch im nächsten Augenblicke bereits alle Zweifel hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit dadurch, daß er durch das Gestrüpp hindurchdrang und den Wachtmeister aufforderte, zu ihm zu treten.
Ohne ein Wort der Erwiderung folgte dieser dem Wunsche Hinrichs.
»Wir müssen die Oeffnung erweitern und die Steine herausnehmen, die anscheinend fest in die Mauer eingefügt sind.«
Dies ging leichter, als der Wachtmeister erwartet hatte.
Bald war der Eingang in den Thurm frei; Hinrich brannte nun einen der in einer Mauerluke liegenden Späne an und nach wenig Schritten standen sie in einem ziemlich umfangreichen Gewölbe, an dessen Mauer rund herum hohe, schmale Thüren angebracht waren, in deren oberer Hälfte sich ein ziemlich umfangreiches Loch befand.
»Dies sind hier die Gefängnisse,« erklärte Hinrich, worauf Dietz befahl:
»Du wirst uns sämmtliche Thüren öffnen, gleichviel ob Gefangene in den Zellen sind oder nicht.«
Nicht ohne Mühe schob Hinrich die schweren Riegel der ersten Thüre zurück; diese öffnete sich und Dietz bemerkte in einer Ecke des kleinen Raumes einen älteren Mann, welcher sich weder durch das Geräusch des Oeffnens der Thüre, noch durch den Eintritt der Männer in die Zelle aus seiner Ruhe aufschrecken ließ.
Den Kopf in die Hand gestützt, blieb er, ohne den Eintretenden auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu widmen, unbeweglich sitzen.
Als er einen Zuruf Dietz's unerwidert ließ, wandte dieser sich zu Hinrich:
»Wie heißt der Mann?«
»Es ist der Kaufmann Matthisen aus Schwerin. Er ist bereits längere Zeit hier, denn das verlangte Lösegeld ist noch nicht eingegangen.«
Dietz trat dem Kaufmann näher und berührte ihn an der Schulter.
Jetzt endlich erhob dieser den Kopf und Dietz fühlte, als er in die gramdurchfurchten Züge des Mannes blickte, inniges Mitleid mit dem Opfer der Wegelagerer.
»Steht auf, Mann, Ihr seid frei!«
Matthisen schien die Worte entweder nicht verstanden zu haben oder unglaublich zu finden, denn er sah den vor ihm stehenden Dietz einen Augenblick groß an, ließ dann aber, statt sich zu erheben, den Kopf wieder sinken und verharrte in regungslosem Schweigen.
»Habt Ihr mich nicht verstanden?« fragte Dietz mit lauterer Stimme als zuvor. »Ihr seid frei!«
Langsam erhob sich nun der Mann.
»Ich sei frei?« erwiderte er mit leiser Stimme. »Das Lösegeld ist also doch noch eingegangen?«
»Ihr seid frei ohne Lösegeld! Wann und bei welcher Gelegenheit seid Ihr gefangen genommen worden?«
»Ich hatte in Schwerin mein Hab und Gut verkauft und beabsichtigte, mit meiner Familie nach Potsdam zu ziehen. Frau und Kinder hatte ich bereits vorausgeschickt und ich selbst folgte ihnen mit einer Wagenladung von Hausgeräth und meinem baaren Vermögen unter, wie ich bald einsehen mußte, zu schwacher Bedeckung. Etwa zwei Tage nach meiner Abfahrt von Schwerin wurden wir überfallen, meine Begleiter entweder erschlagen oder gefangen genommen wie ich und mein mühsam erworbenes Vermögen fiel den Räubern in die Hände. Meine Familie hätte aus eigenen Mitteln mich schwerlich zu befreien vermocht, und ich war mir deshalb nur zu bald darüber klar geworden, daß ich lebend aus der Gewalt der Wegelagerer kaum mehr herauskommen werde. Treibt Ihr, Herr, keinen unwürdigen Scherz mit einem Unglücklichen? Soll ich wirklich das Tageslicht, ja vielleicht die Meinigen wiedersehen?«
»Ja, Alter, Ihr werdet in wenig Augenblicken Euren Kerker verlassen. Tretet heraus und wartet. Ich will erst nach den übrigen Gefangenen sehen!«
Bebend, in größter Aufregung wankte der Mann aus der engen Zelle heraus in das Gewölbe, und der Wachtmeister vermochte ihn glücklicherweise vor dem Zusammenbrechen zu schützen. Die Freude über seine Befreiung überwältigte ihn; er wurde ohnmächtig. –
Dietz war inzwischen einer anderen Zelle nähergetreten.
Bevor Hinrich die Thür öffnete, gab er dem Junker die verlangten Aufklärungen über den Insassen der Zelle.
»In diesem und dem nächstfolgenden Gelasse befinden sich zwei reiche Herren aus Hamburg, deren Verwandte gar wohl das bestimmte Lösegeld zu bezahlen vermögen, und es ist uns Allen unerklärlich, daß man die beiden Herren so lange in unserer Gewalt läßt. Doch das geht mich nichts weiter an.«
Rasch öffnete er nun die Zellen und Dietz kündete den Gefangenen, die ihn erst mißtrauisch beobachteten, mit wenig Worten an, daß sie auch ohne Lösegeld nun ihres Weges ziehen dürften.
Während er noch mit den durch ihre Befreiung auf das Höchste erfreuten Hamburgern sprach, wurde es plötzlich in einer der zunächst gelegenen Zellen lebendig.
Eine derbe Faust hieb donnernd an die Thür und eine rauhe Stimme rief:
»Ihr Himmelh .... wollt mich wohl umkommen lassen? Euch drehe ich den Hals um, wenn ich noch einmal herauskomme aus diesem Loche!«
»Ruhe!« gebot Dietz und befahl Hinrich, die Thür dieser Zelle zu öffnen.
»Herr,« bemerkte Hinrich leise, »das ist ein Wütherich, den wir auf Befehl des »Schwarzen« hierher gebracht haben.
Wie heißt er?«
»Es ist Herr Conrad von Hohenhof.«
»Wie? Conrad von Hohenhof, der Nauener?«
»Derselbe.«
»Oeffne!«
Ein Wink von Dietz rief den Wachtmeister heran, welcher, auf sein Schwert sich stützend, mit unverhohlener Neugierde den Blick fest auf die Thür gerichtet hielt.
Die schweren Riegel wichen, die Thür flog auf und Conrad von Hohenhof stand Dietz und dem Wachtmeister gegenüber.
Im ersten Moment schien er sich auf Dietz stürzen zu wollen; ein rascher Umblick im Gewölbe belehrte ihn indeß, daß dies ein sehr unkluges Unterfangen sein würde. Er trat deshalb und als er die riesige Gestalt des Wachtmeisters unmittelbar vor sich erblickte, einen Schritt zurück und fragte, wenn auch in finster grollendem, so doch seine Unterwerfung unter die Entschließung seiner mächtigeren Gegner bezeugendem Ton:
»Was wollt Ihr denn jetzt mit mir beginnen? An eine Freilassung zu denken, wäre bei Euch lächerlich. Verlangen darf ich wohl aber, daß Ihr, wenn anders nicht etwa mein Tod beschlossen worden ist, dafür sorgt, daß ich genügend Wasser und Brod erhalte.«
»Ihr seid Herr Conrad von Hohenhof?«
»So heiße ich. War Euch das etwa noch nicht bekannt? Ein Gefangenwärter sollte doch wenigstens wissen, wer Diejenigen sind, die er ungehindert und nach eigenem Ermessen quälen darf.«
»Die Erbitterung über Eure Gefangenschaft läßt Euch alle Vorsicht vergessen, und ich will aus Rücksicht auf Eure Lage Eure Worte ungerügt lassen. Beantwortet mir nur noch die Frage, aus welchem Grunde Ihr Euch hier befindet.«
»Die Frage ist gar leicht zu beantworten. Ich wurde im Walde von den Mannen eines mir heut' noch unbekannten Gegners überwältigt, durch einen Schlag auf den Kopf betäubt, und als ich die Besinnung wieder erlangte, fand ich mich in diesem Loche. Nun wißt Ihr Alles, was mir bekannt ist, laßt mich nun aber auch wissen, was mit mir weiter geschehen soll. –«
»Ihr kennt also Euren Gegner in diesem Falle nicht? Es ist Euch nicht bekannt, auf wessen Befehl Ihr in diese Zelle gebracht worden seid?«
»Nein.«
»Dann sollt Ihr es auch nicht erst erfahren. Von diesem Augenblicke an seid Ihr frei!«
»Frei?« wiederholte der Gefangene noch immer zweifelnd.
»Ich glaube, es bereits ausgesprochen zu haben.«
»Und darf auch sofort weggehen?«
»Caspar,« befahl Dietz als Antwort auf diese Frage dem Wachtmeister, »Du wirst, ehe wir den Thurm verlassen, dem Herrn die Hände fesseln, die Augen verbinden, ihn dann herausführen und ihn so lange bewachen, bis ich mit den Uebrigen zurückkehre.«
»Soll geschehen, Herr!« erklärte der Wachtmeister und begann seinen Auftrag ohne Zögern auszuführen.
Zu seinem Erstaunen leistete Conrad von Hohenhof keinen Widerstand und er fragte spöttisch:
»Die Freude, aus dem Mordloch endlich herauszukommen, hat Euch wohl so ungewöhnlich nachgiepig gestimmt. Na, verdenken kann ich es Euch gerade nicht, daß Ihr Euch fort von hier sehnt, – Oh – was ist denn das?« unterbrach er sein Gespräch und wandte sich zu dem mit einem Ausruf der Ueberraschung von einer geöffneten Zelle zurückprallenden Junker.
Eine schneidende Frauenstimme wurde hörbar.
»Kommst Du, Henkersknecht, wieder, mich zu quälen? Komm mir nicht nahe, wenn Dir Dein Leben lieb ist!«
Dietz suchte die Gefangene, welche nach Aussage Hinrich's die sogenannte Gräfin war, durch freundliche Worte zum Verlassen ihrer Zelle zu bewegen.
Seine Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg.
»Ich komme nicht heraus. Ihr wollt mich wohl gar ermorden? Gebt mir erst meine Kinder wieder. Wo habt Ihr meinen Gemahl?«
Im wirren Durcheinander klagte und drohte sie, und Dietz sah sich schließlich gezwungen, die Aermste, deren beklagenswerther geistiger Zustand ihm ja längst klar geworden, mit Gewalt aus der Zelle herausholen zu lassen.
Wohl schrie sie und sträubte sich gewaltig, jedoch vergebens. Der Wachtmeister hatte sie schnell bis in die Mitte des Gewölbes geschleppt und erwartete dort weitere Befehle des Junkers, welcher inzwischen noch einmal sich die Ueberzeugung verschaffte, daß sämmtliche Zellen leer und kein Opfer der Räuber mehr in den Thurmgefängnissen schmachte.
Befriedigt durch das Ergebniß seiner Untersuchung, wandte er sich zu Caspar, Jobst und Hinrich:
»Verbindet außer der Gräfin sämmtlichen Befreiten die Augen und führt sie alle dann auf den nach den Betlöchern führenden Weg bis zum Thore. Dort erwartet mich!«
Während der Wachtmeister, Jobst und Hinrich dem erhaltenen Befehle nachkamen, ging der Junker nach dem Versammlungslokale zurück, in welchem Cuno und die beiden Uchtenhagen seiner harrten.
Verwundert sahen diese auf, als Dietz allein in das Gewölbe trat, in welchem seit der Ueberwindung der aufsässigen Räuber eine unheimliche Ruhe herrschte.
»Du kehrst ohne Caspar und Jobst zurück?« fragte Cuno erstaunt, »und bist sichtlich erregt? Ist Dir etwas Unangenehmes zugestoßen?«
»Nein, doch unterläßt jetzt das Fragen.«
Mit lauter Stimme fuhr er fort:
»Haben die Empörer sich ruhig verhalten?«
»Ja!«
»Dann schafft,« befahl er den auf seiner Seite stehenden Mitgliedern der Bande, »die Gebundenen in den Thurm und werft dort Jeden derselben in eine der Zellen. Dort mögen sie bleiben, bis ich ihnen die eigentlich verdiente Strafe auferlegen werde. Die Todten verscharrt an Ort und Stelle!«
Ohne Zögern schritten die Männer an die Ausführung des ihnen ertheilten Auftrags und eine Stunde später verließen Dietz und Cuno mit den beiden Uchtenhagen den Schlupfwinkel der Räuber, denen nach Vollendung ihrer Aufgabe Dietz noch befahl, seine demnächst zu erwartende Rückkehr abzuwarten.
Am bezeichneten Platze fanden sie die Befreiten und deren drei Wächter.
»Hinrich,« befahl diesem Dietz, »Du wirst nun sofort zu den Genossen zurückkehren und ihnen meinen strengen Befehl überbringen, sich bis zu meiner Rückkehr jedes Zuges zu enthalten.«
Nachdem Hinrich in dem Gemäuer und zwischen den Trümmerhaufen verschwunden war, wandte der Junker sich zu dem Wachtmeister:
»Du, Caspar, wirst dafür sorgen, daß die Befreiten sämmtlich zu der Stelle gelangen, an welcher wir Jobst fanden. Dort nimm ihnen die Binden und,« auf Conrad von Hohenhof weisend, »auch diesem die Fesseln ab und laß sie ihres Weges ziehen, uns aber erwarte!«
»Gut, Herr, was soll aber mit der unglücklichen Frau geschehen?«
»Halte sie nur so lange fest, bis wir mit Euch zusammentreffen, das Weitere wird sich dann schon finden.«
Ohne Widerspruch ließen sich die vier Männer durch den Wachtmeister und Jobst abführen, die »Gräfin« folgte ihnen freiwillig.
Langsam schritten auch die beiden Brüderpaare in den Wald.
Hans von Uchtenhagen unterbrach zuerst das Schweigen.
»Herr Dietz, Ihr habt nun wirklich das beispiellos kühne Unternehmen unserer Rettung glücklich durchgeführt. Ihr habt uns nicht nur die Freiheit wiedergegeben, sondern, wie ich alle Ursache habe zu glauben, auch das Leben erhalten. Nehmt nochmals unseren herzlichsten Dank und gebt uns recht bald Gelegenheit, zu beweisen, wie sehr wir uns Euch verpflichtet fühlen!«
»Ueberschätzt nicht die Bedeutung dieser That,« erwiderte Dietz rasch; »ich habe in Gemeinschaft mit meinem Bruder und mindestens einem uns treu ergebenen Manne nur das gethan, was Ihr an meiner Stelle ebensowenig unterlassen haben würdet. Ich bitte Euch deshalb, die Sache als erledigt zu betrachten und Euch nur allein mit mir zu freuen, daß ein glücklicher Zufall das Gelingen des Unternehmens begünstigte. Eurem Bruder zu Liebe werden wir übrigens langsamer gehen müssen. Seine Wunden scheinen doch nicht so unbedeutend zu sein?«
»Nein, nein,« rief Karl von Uchtenhagen eifrig; »seid meinetwegen unbesorgt. – Ob wohl,« fügte er langsamer an, »mein Pferd noch in der Hütte stehen mag, in welcher ich es untergebracht habe, bevor ich den Weg nach der Halbinsel einschlug?«
»Davon können wir uns ja leicht überzeugen,« bemerkte Dietz hierzu. »Würdet Ihr die Hütte bald wiederfinden?«
»Sie kann nicht weit von hier sein, denn sie liegt an dem, der Landzunge gegenüber liegenden Ufer.«
Ohne ein Wort der Erwiderung schlug Dietz, welcher als der Führer des kleinen Zuges anerkannt wurde, die Richtung nach der bezeichneten Seite der Bucht ein. Zur Genugthuung des sich schnell orientirenden Karl, fanden sie ohne Mühe die Hütte und in dieser wohlverwahrt das Pferd, das beim Anblick seines Herrn freudig wieherte.
Nunmehr wurde der Marsch in schnellerem Tempo fortgesetzt, und nach kurzer Zeit schon hatten sie die Stelle erreicht, an welcher der Wachtmeister sie erwarten sollte.
Verwundert sahen die Junker, welche den Caspar ertheilten Befehl ja gehört hatten, sich ringsum.
Weder Caspar, noch Jobst, noch auch einer der Befreiten war zu sehen.
Stille herrschte, soweit sich dies unterscheiden ließ.
Dietz glaubte anfänglich die richtige Stelle verfehlt zu haben. Nach einem flüchtigen Umblick aber und nachdem er weiter auch die am vorhergehenden Abende von ihnen im Schnee hinterlassenen Spuren bemerkt, gab er seinem Befremden über das Ausbleiben der Erwarteten offen Ausdruck.
Sein mehrmaliges Rufen blieb völlig erfolglos, von keiner Seite wurde eine antwortende Stimme vernehmbar, und im Geheimen vermochte er Karl von Uchtenhagen keineswegs Unrecht zu geben, als dieser im Tone größter Besorgniß erklärte:
»Eure beiden Leute scheinen mit den durch Eure Großmuth aus ihren Gefängnissen Befreiten in's Gedränge gerathen zu sein, oder sie haben eine anderweite unerwünschte Begegnung gehabt.«
»In diesem Falle,« bemerkte Hans von Uchtenhagen, dürfte es gerathen erscheinen, den Weg eine Strecke zurückzugehen. Hoffentlich finden wir eine Spur der Leute. Was meint Ihr dazu, Herr Dietz?«
»Ich bin ganz Eurer Meinung und bitte Euch, mich zu begleiten; Euer und mein Bruder könnten für alle Fälle uns hier erwarten.« .
Nach einigem Widerstreben Cuno's und Karl von Uchtenhagens wurde dieser Vorschlag schließlich angenommen und Dietz und Hans von Uchtenhagen gingen, zu beiden Seiten des Weges scharf auslugend, den Weg in der Richtung entlang, welche der Wachtmeister daherkommen mußte.
Eine halbe Stunde waren sie langsam und vorsichtig vorwärts geschritten. Es fing bereits an heller zu werden und man vermochte auf weitere Entfernungen schon Gegenstände zu erkennen.
Von den Gesuchten war indeß keine Spur zu entdecken.
Mißmuthig erwog Dietz den immer lebhafter in ihm aufsteigenden Gedanken, daß es, da er den Wachtmeister, wenn irgend möglich, auffinden und bei sich behalten wollte, wohl am Gerathensten sein dürfte, von den ihm ergebenen Leuten der Bande sich einige der anscheinend Zuverlässigsten zu holen und diese mit der Aufsuchung der Verschwundenen zu beauftragen, als sein Gefährte plötzlich still stand und im Schnee deutlich ausgeprägte, quer über den Weg laufende Fußspuren betrachtete.
Dietz trat ihm näher und Hans von Uchtenhagen meinte, sich wieder aufrichtend:
Der eine der Männer, die hier in höchster Eile über den Weg gesprungen sind, scheint nicht nur groß zu sein, sondern auch colossale Füße zu haben. Seht nur diese riesenhaften Fußspuren.«
Dietz betrachtete diese Spur aufmerksam und seine Miene verdüsterte sich zuletzt sichtlich:
»Kein Zweifel,« murmelte er, »der Riese, welcher diese Spur hinterlassen, verfolgte entweder irgend Jemanden oder er wurde verfolgt. Dieser Riese war Niemand anderes, als der Wachtmeister!«
»Mit wem sollte der Mann aber in einen unglücklich abgelaufenen Kampf verwickelt worden sein? Die vier Befreiten waren ohne Waffen, und wenn auch im schlimmsten Falle vier gegen zwei Mann gestanden wären, so glaube ich, daß das den riesenhaften Wachtmeister doch ruhig und unbesorgt gelassen haben würde. –«
»Das will ich meinen, Caspar Liebenow fürchtet sich nicht, und wenn ihm noch zweimal mehr Gegner gegenübertreten. Doch laßt uns der Spur ein wenig folgen. Vielleicht gelingt es uns, Aufklärung zu erhalten. –«
Bereitwillig folgte ihm Hans von Uchtenhagen in den längs des Weges sich hinziehenden Wald. Bald aber erkannten sie ihr Beginnen als ein aussichtsloses. Bei dem Mangel an Schnee im Innern des Waldes war es unmöglich, die Fußspuren weiter zu verfolgen, und sie kehrten nach dem Wege und auf diesem zu Cuno und Karl zurück.
Dietz machte sich jetzt Vorwürfe, den Wachtmeister von den Ruinen aus nicht begleitet zu haben, und Hans von Uchtenhagen schien diese Gelegenheit zu einer Frage zu benutzen, die ihm schon lange auf den Lippen geschwebt haben mochte.
»Weshalb ließet Ihr denn den Wachtmeister mit den Männern allein gehen? Ich urtheile wohl nicht falsch, wenn ich annehme, daß Ihr einen besonderen Zweck dabei im Auge gehabt habt. Verzeiht meine Neugierde,« fügte er rasch an, als er bemerkte, daß sein Begleiter finster blickend vor sich hin sah, »und hegt nur eben so fest wie ich die Zuversicht, daß Caspar wie auch der Andere von Euren Mannen bald wieder bei Euch sein werde. Meiner festen Ueberzeugung nach ist Keinem etwas besonders Nachtheiliges zugestoßen.«
»Ich will es hoffen,« brummte Dietz und schritt, sich öfters umblickend, rüstig vorwärts.
Schweigend langten sie bei Cuno und Karl an, die während der Abwesenheit ihrer älteren Brüder nichts Auffälliges bemerkt, aber auch keinen der Verschwundenen gesehen hatten.
»Herr Dietz,« nahm Hans von Uchtenhagen jetzt das Wort. »Ihr erwähntet in der Räuberhöhle, auf dem Wege nach Potsdam gewesen zu sein, als ein glückliches Geschick Euch zu unserer Rettung herbeiführte.«
»Ja!«
»Nun, der Weg nach Potsdam ist noch weit. Ihr seid zu Fuß, und wie leicht könnten Euch trotz Eures beispiellosen Muthes und Eurer Kühnheit auf dem sich keiner besonderen Sicherheit erfreuenden Wege von hier nach Tremmen und Wustermark Gefahren entgegenstellen, die Euch zwar nach dem, was ich gesehen und gehört habe, nicht im Geringsten zurückzuschrecken vermögen, die sich andererseits aber leicht umgehen lassen. –«
»In welcher Weise?«
»Dadurch, daß Ihr mir eine Bitte gewährt!«
»Und diese Bitte lautet?«
»Begleitet mich noch die verhältnißmäßig geringe Strecke bis nach meiner Burg. Dort werde ich Euch und Eurem Bruder Pferde und vollständige Ausrüstung mit Freuden zur Verfügung stellen und Ihr könnt dann bequem an das Ziel Eurer Reise gelangen. Wollt Ihr mir diese kleine Bitte erfüllen? Ich werde Eure Zustimmung als einen Beweis dafür ansehen, daß Ihr meine Freundschaft und die meines Bruders nicht zurückweist!
Noch schien Dietz unentschlossen, ob er diesem Anerbieten Folge leisten solle oder ob es nicht besser sei, seine Fußwanderung nach Spandau und Potsdam ungesäumt fortzusetzen.
Auch das ihm unbekannte Geschick des ihm treu ergebenen Wachtmeisters wie auch Jobst's, dessen Anhänglichkeit ihm erprobt schien, beunruhigte ihn.
Als aber Cuno dem Vorschlage Hans von Uchtenhagens zustimmte und auch der Bruder des Letzteren Dietz mit Bitten bestürmte, da entschied er sich:
»Wohlan, Herr Hans, ich begleite Euch mit meinem Bruder und nehme Euer Anerbieten mit Dank an. Hoffe ich doch bei der Gelegenheit, Erkundigungen nach dem Verbleiben meiner Leute einziehen zu können.«
Sichtlich hocherfreut ergriff Hans von Uchtenhagen die Hand seines Retters und rief, auf die Stimmung des Letzteren Rücksicht nehmend:
»Gewiß werdet Ihr hier am ersten Gelegenheit dazu finden.«
»Ich hoffe auf einen Erfolg, um den in der Absicht, den Befreiten jede Möglichkeit zu unserer Wiedererkennung zu nehmen und uns auf diese Weise lästige Fragen fern zu halten, begangenen Fehler, Caspar allein fortgeschickt zu haben, wieder gut machen zu können!«
Hans von Uchtenhagen erwiderte hierauf nichts und die Freunde zogen nun die in der Richtung nach Brandenburg führende Straße weiter.
Ohne weiteren Unfall, ja sogar ohne irgend welche Begegnung erreichten sie die Burg der Uchtenhagen. –