Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23

»Nein, nein.

»Du bist es doch. Du, Du allein, ganz allein!«

Dabei schlang sie die vollen Arme um ihn, legte ihr Köpfchen an sein Herz und fragte:

»Glaubst Du es?«

»Ich? O – ah – ei – – – –«

Er brachte keine Antwort hervor.

»Liebst Du mich denn nicht auch?«

»Dich?« fragte er, wie abwesend.

»Mich, ja!«

»Mehr als mein Leben und meine Seligkeit!« entfuhr es ihm.

»Das wußte ich schon lange!«

Sie legte ihre warmen, vollen Lippen auf seinen Mund; ein Druck, ein süßer, knisternder Laut, und dann sprang sie gedankenschnell davon, denn dort, hinter den Steinen, ließ sich soeben Hilals weißer Burnus sehen.

»O Muhammed! O Allah! O Erde! O Welt! O Seligkeit! O – o – – o – – – ohhhhh!«

So stieß Tarik heraus. Er wußte gar nicht, was er sagte. Er wußte jetzt überhaupt gar nicht, wer er war, und wie ihm war. Er wußte nur, daß sie ihm gesagt hatte, daß ihr Herz ihm gehöre.

Und da stand jetzt Hilal und sagte:

»Tarik!«

Er antwortete nicht.

»Tarik!«

»Oh!«

»Was sagst Du?«

»Oh! Ah!«

»Was ist mit Dir?«

»O Allah!«

»Bist Du delil?«

»Nein.«

»Oder hejran?«

»Ja.«

Delil heißt nämlich verrückt, hejran aber verzückt.

»Hejran also! Worüber denn?«

»Oh!«

»Hörst Du nicht? Worüber Du verzückt bist?«

»Ah!«

»Da steht der Mensch mit aufgerissenen Augen, starrt mich und dann den Himmel an und ruft nur Oh oder Ah! So rede doch endlich! Was hat Dich so verzückt gemacht?«

»Oh Allah, Allah!«

»Allah ist's gewesen?«

»Nein.«

»Wer denn?«

»Oh! Ah! Allah illa Allah!«

»Gott, mein Gott, der Mensch schnappt über! Ich sah ein weißes Gewand, welches verschwand. War Jemand da?«

»Ja.«

»Wer?«

»Sie.«

»Wer ist diese Sie?«

»Sie, o sie, nur sie!«

»Etwa die alte Beni Abbas, welche wir mit Hiluja hierher gebracht haben?«

»Nein, nein, sondern die Königin.«

»Die Königin! Was wollte sie noch?«

»Es mir sagen.«

»Was?«

»Was ich nicht geglaubt und nicht geahnt habe.«

»Was hast Du denn nicht geahnt?«

»Daß sie mich liebt.«

Da seufzte Hilal erleichtert auf:

»Allah sei Dank! Jetzt weiß ich endlich, woran ich bin. Also das hat sie Dir gesagt?«

»Ja.«

»Und Du hast es nicht geahnt?«

»Nein, nie!«

»Ich habe es lange gewußt. Hast Du denn auch ihr gesagt, daß Du sie liebst?«

»Fast nein.«

»Fast nein? Tarik, Bruder, mach doch keine Dummheiten! Komm doch zu Dir! Du sprichst ja ganz so, als ob Du ein Fieber hättest.«

»Ich habe es!«

»Allah!«

»Ja, ich habe es, das Liebesfieber!«

»Nun, das wird sich legen! Also sage mir, ob Du auch ihr gesagt hast, daß Du sie liebst!«

»Sie fragte mich.«

»Weiter, weiter! Dieser Mensch hat das Antworten ganz verlernt. O Liebe, Liebe, Liebe!«

»Ja, Liebe, Liebe und zum dritten Male Liebe!«

»Schrei nicht so! Die Kameele und Schafe da unten brauchen nicht zu hören, welches Fieber Du hast! Antworte lieber!«

»Ja, ja!«

»Was denn, ja?«

»Ich habe es ihr gesagt.«

»Endlich, endlich! Allah sei gepriesen. Ihr seid also mit einander einig?«

»Ja, ja, ja, ja!«

»So gehe und lege Dich auf die Matte, um zu schlafen!«

»Nein, nein, nein, nein!«

»Was denn? Der Schlaf wird Dir Dein Gehirn am Besten wieder in Ordnung bringen.«

»Schlafen? Welch' eine Sünde! Ich könnte nicht schlafen, selbst wenn es sich um mein Leben handelte. Ich muß wachen, muß jauchzen, muß jubeln!«

»Pst. Still! Du hast zu schweigen. Es darf jetzt noch kein Mensch wissen, was geschehen ist und geschehen soll!«

»Nicht!? Aber es wird mir die Brust zersprengen, wenn ich es nicht laut hinausschreien kann!«

»Thue das später, vielleicht dann, wenn sie bereits zehn Jahre lang Deine Frau gewesen ist.«

»Spötter! Sünder! Herzloser Mensch!«

»Heute aber darf es Niemand hören!«

»Niemand? Gut, gut! Ich sehe mich auf mein Pferd und reite hinaus in die Wüste. Dort kann ich schreien und brüllen und rufen und jubeln, so viel wie ich will, ohne daß es Jemand hört.«

»Du bist verrückt!«

»Ja, beinahe!«

»Allah schütze Dich!«

»Er hat mich bereits beschützt! Er hat mir das größte Glück des Himmels und der Erde gesandt. Ich gehe. In einer Stunde bin ich wieder hier. Ich muß fort, wirklich fort, hinaus in die Wüste. Ich muß jubeln: sie liebt mich sie – sie – sie – –!«

Er war gegangen, so daß seine letzten Worte kaum noch hörbar hinter den Quadersteinen hervordrangen.

Hilal schüttelte den Kopf und flüsterte:

»Ich gönne es ihm! Er ist selig, der gute, gute Bruder. Er weiß vor Glück weder ein noch aus und ist im Stande, die größten Dummheiten zu machen. Was ist die Liebe doch für ein närrisches Ding! Ihn, den Ernsten und Bedächtigen, so zu verändern. Mit mir brächte sie das nicht fertig, nein – nein – gewiß! Ich würde ganz ernsthaft dabei sein, sehr ernsthaft!«

»Warum so ernsthaft?«

Er fuhr erschrocken herum. Er war ganz und gar überzeugt gewesen, allein zu sein. Er hatte seine letzten Worte nicht mehr blos gedacht, sondern wirklich ausgesprochen, und – – sie waren gehört worden. Vor ihm stand Hiluja's weiße, jugendliche Gestalt.

»Du bist es, Du?« fragte er, freudig erstaunt.

»Ja.«

»Und Du hast mich belauscht?«

»O nein. Als ich heraustrat, sagtest Du »sehr ernsthaft«, und darum fragte ich Dich.«

»Weiter hast Du nichts gehört?«

»Nein.«

»Wirklich, wirklich nicht?«

»Kein Wort. Es muß sich um etwas sehr Wichtiges handeln, da Du so besorgt bist, daß ich nichts gehört haben möge!«

»Es ist auch wirklich wichtig, sehr wichtig!«

»Wohl auch verschwiegen und geheimnißvoll?«

»Ja.«

»So daß ich es nicht erfahren darf?«

»Eigentlich darfst Du es nicht wissen.«

»Wenn ich es aber nun gern wissen möchte?«

»Ich würde ein Verräther sein.«

»O, ich verzeihe es Dir. Also sage es mir, um was so sehr Geheimnißvolles es sich gehandelt hat.«

»Um die Liebe.«

Er hatte es eigentlich nicht sagen wollen; nun war ihm das Wort aber doch entflohen. Jetzt war ihm um die Folgen bange.

Er hatte seit jenem Abend in Kairo auf der Dampfyacht des Engländers nicht wieder Gelegenheit gefunden, mit Hiluja allein zu sprechen. War sie ihm absichtlich ausgewichen oder nicht; er wußte das nicht zu sagen.

Erst war es ihm gewesen, als ob er sich über dieses Gespräch freuen solle; bald aber erinnerte er sich der großen Offenheit, mit welcher sie ihm gestanden hatte, daß sie beim Anblicke Steinbachs gefühlt habe, dies sei der Mann, den sie lieben könne. Dieses Geständniß machte ihm nachträglich große Schmerzen; es that ihm wehe, sehr wehe; es that ihm um so weher, je mehr und länger er darüber nachsann und grübelte.

Der gute Hilal war ein braver, tapferer Sohn der Wüste, aber kein Menschenkenner, kein Psycholog. Es kam ihm der Gedanke, daß er sich über das so offene Geständniß des schönen Mädchens nur zu freuen habe, gar nicht in den Sinn. Daß sie nur in Folge eines ganz ungewöhnlichen Vertrauens und einer herzlichen Zuneigung so zu ihm gesprochen haben könne, das sagte er sich nicht. Er war vielmehr der Ansicht, daß man ein solches Geständnis nur einem ganz und gar gleichgiltigen Menschen machen könne. Darum zog er sich in sich zurück und vermied Hiluja's Nähe. Desto heißer und mächtiger aber loderte die Liebe in seinem Innern, welches sie ganz erfüllte.

Während der Reise nach den Beni Sallam hatten sich die Beiden natürlich gesehen, auch das Nothwendige mit einander gesprochen, waren sich aber innerlich scheinbar fern geblieben. Er war vollständig überzeugt, daß sie nicht eine Spur von Zuneigung für ihn hege, und darum ärgerte er sich jetzt, daß er das verhängnißvolle Wort ausgesprochen hatte.

»Um die Liebe handelte es sich?« fragte sie. »Und das war so ernst? Also war es eine unglückliche Liebe?«

»Nein, eine sehr glückliche.«

»Warum war da so sehr viel Ernst dabei?«

»O, der Ernst war ja auf meiner Seite!«

»So warst der Liebende wohl nicht Du?«

»Nein.«

»Schon glaubte ich, es handele sich um Dich.«

»Nein, sondern um meinen Bruder.«

Auch das hatte er nicht sagen wollen. Aber wie das herrliche Wesen so licht und engelgleich vor ihm stand, war es ihm, als sei die Thüre seines Herzens so weit offen, daß sie tief, tief hineinschauen könne. Konnte er ihr da Etwas verschweigen? Sicherlich nicht!

»Dein Bruder also hat eine Liebe?«

»Ja.«

»Gewiß ein Mädchen der Beni Sallah.«

»Nein, o nein!«

Er hatte den schalkhaften Zug nicht bemerkt, welcher um ihre schön gezeichneten, vollen Lippen zuckte.

»Also eine Fremde?«

»Ja und nein. Sie ist eine Wittwe, welche früher zu einem anderen Stamme gehörte, und erst seit ihrer Verheirathung eine Beni Sallah ist.«

»Eine Wittwe?« fragte sie im Tone des Erstaunens. »Habt Ihr hier so wenig junge Mädchen, daß ein so berühmter Krieger, wie Tarik ist, sein Auge auf die trauernde Frau eines Verstorbenen richten muß?«

»O, diese Wittwe ist wunderbar schön!«

»Ah! So ist er wohl ganz entzückt?«

»Er war nicht nur entzückt, sondern ganz und gar verzückt, als ich eben kam, um ihn abzulösen.«

»Jetzt eben? So hat er wohl erst kürzlich an sie gedacht?«

»Sogar mit ihr gesprochen.«

»Wie ist er da zu beneiden!«

»Ach ja!« entfuhr es ihm seufzend.

»Darf ich wissen, wer sie ist?«

»Vielleicht. Aber ehe ich es Dir sagen kann, muß ich ihn natürlich erst fragen.«

»Das ist lobenswerth. Ein Mann muß verschwiegen sein.«

»Ein Weib nicht?«

»Wir sollen es auch, aber wir sind es weniger. Wir sind so offenherzig, daß wir Alles mittheilen. Ist das ein Vorzug oder ein Fehler?«

»Zuweilen ein Vorzug, meist aber ein Fehler.«

»Das Letztere ist zu beklagen. Aber Allah muß es doch so gewollt haben, sonst hätte er uns anders geschaffen. Ich werde mir dennoch Mühe geben, gerade so verschwiegen zu sein, wie Du, obgleich ich Dir auch etwas sehr, sehr Wichtiges mitzutheilen habe.«

»Wie? Du?«

»Ja, ich Dir!«

»So sage es.«

»Nein. Du würdest sagen, daß ich die Tugend der Verschwiegenheit nicht besitze.«

»Ist es denn in dieser Angelegenheit so nöthig, die Verschwiegenheit zu bewahren?«

»Vielleicht.«

»Um was handelt es sich?«

»Um die Liebe.«

»Ach, wie bei mir.«

»Ja, ganz so.«

»Ich errathe es.«

»Nun, was erräthst Du?«

»Du willst mich um Rath fragen.«

»Um Rath? Dich? Hm! Warum denkst Du das?«

»Du willst gern erfahren, ob er Dich wieder liebt.«

»Er? Mich? Wen meinst Du?«

»Masr-Effendi.«

»Allah 'l Allah! Er soll mich lieben?«

»Wünschest Du das nicht?«

»Warum sollte ich es wünschen?«

»Weil Du ihn liebst.«

Es that ihm wehe, mit solchen Worten sich selbst zu verwunden. Er blickte darum ernst, fast düster vor sich nieder. Darum bemerkte er die schalkhaften Geister nicht, welche sich auf ihrem Gesichtchen Rendez-vous gaben.

Sie lehnte sich neben ihn an die Brüstung, faltete die kleinen Händchen klatschend in einander und sagte:

»Ich liebe ihn? Diesen Mann? Woher weißt Du das?«

»Du selbst hast es mir gesagt.«

»Wann?«

»In Kairo, auf dem Schiffe.«

Sie sann einige Augenblicke nach und sagte dann:

»Jetzt besinne ich mich. Ich habe Dir gesagt, daß Steinbach-Effendi der Mann sei, den ich lieben könnte.«

»Ja, das sagtest Du.«

»Aber, daß ich ihn nun auch wirklich liebe, habe ich das gesagt?«

»Nein,« antwortete er zögernd.

»Du siehst also, daß ich Deines Rathes, von welchem Du vorhin sprachest, nicht bedarf.«

»So liebst Du ihn nicht?«

»Nein.«

»O Allah, Allah!« sagte er, indem sich seine Brust ganz erleichtert hob und senkte.

»Du seufzest! Was schmerzt Dich so?«

»Es war kein Schmerz, sondern –« Freude, hätte er fast gesagt; doch besann er sich noch und fuhr fort – – »Verwunderung darüber, daß ich mich so irren konnte.«

»Ja, geirrt hast Du Dich da allerdings sehr.«

»Aber wen liebst Du denn?«

»Ich? Muß ich denn auf alle Fälle lieben?«

»Du sagtest doch, daß es sich um die Liebe handele?«

»Aber doch nicht um die Meinige.«

Jetzt wurde es ihm noch viel, viel leichter.

»Also nicht! Von wessen Liebe hast Du denn gesprochen?«

»Das darf ich Dir nicht eher sagen, als bis ich sie gefragt habe.«

»Wen?«

»Meine Schwester.«

»Von ihrer Liebe also redest Du?«

»Woher weißt Du das?«

»Weil Du ihren Namen genannt hast.«

»Habe ich das? Wirklich? O wehe! Das habe ich doch nicht gewollt! Nun ist's verrathen!«

»Es schadet nichts, ganz und gar nichts. Ich weiß es schon.«

»So? Weißt Du auch, wen sie liebt?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von ihm selbst. Als ich vorhin kam, stand er hier, wo ich stehe und sagte nichts als Ah und Oh und Allah!«

»Sonderbar!«

»Dann sagte er weiter: ›Sie liebt mich, sie, sie, sie!‹«

»Höchst sonderbar, sehr, sehr sonderbar!«

»Was?«

»Daß es so stimmt, fast wörtlich.«

»Willst Du mir nicht sagen, was so wörtlich stimmt?«

»Ganz gern, da Du einmal alles Andere weißt. Ich hatte mich mit der Schwester zur Ruhe gelegt. Sie warf sich von einer Seite auf die andere; sie konnte nicht schlafen, stand von ihrem Teppich auf und verließ die Stube. Sie mochte denken, ich schlafe und bemerkte also ihre Entfernung nicht. Erst nach längerer Zeit kam sie wieder. Es war finster; dennoch aber ging sie hin und her und flüsterte dabei vor sich hin. Weißt Du, was sie dabei sagte?«

»Was?«

»Immer nur Ah und Oh und Allah!«

»Ganz wie mein Bruder.«

»Dann murmelte sie: Er liebt mich; er liebt mich, er, er, er – er!«

»Ganz wie er; genau so.«

»Ja; nur mit dem Unterschiede, daß er »sie« sagt, und sie sagt »er«. Nicht?«

»Ja.«

»Weißt Du, was ich mir jetzt denke?«

»Nun, was denn?«

»Sie ist es, von welcher er spricht, und er ist es, von welchem sie redet. Meine Schwester und Dein Bruder lieben einander. Meinst Du nicht?«

»Nun, da Du es doch ahnst, werde ich es Dir sagen. Ja, sie lieben sich und haben das vorhin einander gestanden.«

»Allah segne sie. Du aber fandest diese Liebe so ganz und gar ernsthaft!«

»O, nicht die Liebe war gemeint. Mein Bruder war so verzückt, daß er sagte, er müsse sein Glück hinausschreien in die Wüste. Er hat sich auf das Pferd gesetzt und ist im Galopp davongeritten. Ich hörte es. Da dachte ich, daß ich ernster sein würde, wenn ich einmal das Glück hätte, geliebt zu werden.«

»Bis jetzt hast Du es wohl nicht?«

»Nein.«

»Hast Dich wohl auch nicht darnach gesehnt?«

»Was würde mir eine solche Sehnsucht nützen, da sie mir ja doch nicht erfüllt werden kann.«

»Ist das Letztere so gewiß?«

»Ja.«

»So ist es also doch so, wie ich vorhin dachte und sagte: Dein Herz gehört einem Mädchen, welches Dich nicht liebt. Habe ich es errathen?«

Er wendete sich ab und schwieg. Sie aber folgte ihm einen Schritt nach und sagte:

»Du darfst mir nicht zürnen, wenn ich zudringlich erscheine. Du warest in Kairo mein Retter, und ich mag Dich nicht rathlos und unglücklich sehen. Habe Vertrauen zu mir, und sage mir, ob ich Dir in dieser Angelegenheit nicht vielleicht nützlich sein kann.«

»Nein, Du nicht.«

»Warum gerade ich nicht?«

»Gerade dies ist es, was ich nicht sagen kann.«

»Ah, Du fürchtest Dich!«

Sie hatte die Arme über der Brust gekreuzt und stand hoch aufgerichtet vor ihm. Das Sternenlicht fiel wie dünnflüssiges Silber auf sie herab. Sie hatte das Aussehen einer Venusstatue, in welche Allah plötzlich menschliches Leben gehaucht habe. Er wendete den Blick von ihr ab, sonst hätte er sich nicht länger zu beherrschen vermocht, und sagte in bitterem Tone:

»Fürchten? Das glaubst Du selbst doch nicht.«

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin sogar davon überzeugt. Du fürchtest Dich!«

»Ah! Vor wem?«

»Vor mir.«

»Wieso?«

»Du fürchtest Dich, mir den Namen Derjenigen zu sagen, welche Du liebst. Gestehst Du das?«

»Nein. Du irrst.«

Es widerstrebte seinem Mannesstolz, zuzugeben, daß sie Recht habe. Sie wendete sich mit einer raschen, scharfen Bewegung ab, trat an die Brüstung und kehrte ihm den Rücken zu. Er stand abgewendet von ihr. In seinem Innern arbeitete es stürmisch. Sollte er sich von ihr verachten lassen? Das that ja tausendmal weher, als die Verachtung aller anderen Menschen.

»Warum wendest Du Dich ab von mir?« fragte er. »Ich weiß nichts was ich gethan hätte, Deinen Zorn zu erregen.«

»Zorn? O, Zorn ist es nicht.« antwortete sie leise.

»Was Anderes denn?«

»Trauer.«

»Nicht Du bist es, sondern ich bin es, der Veranlassung hat, zu trauern. Du hast mir Furcht vorgeworfen. Jeden Anderen würde ich für diesen Schimpf niederschießen, von Dir aber muß ich ihn ruhig hinnehmen. Wer sich fürchtet, der ist feig; aber nicht Alles, was wie eine Furcht oder Angst aussieht, ist eine Feigheit. Man verlangt Muth und Tapferkeit von jedem Manne, von jedem Krieger, aber der Muth darf nicht zum Uebermuthe werden. Die wahre Tapferkeit ist mit weiser Besonnenheit gepaart. Auch der Muthige muß die Gefahr, vor welcher er sich befindet, sorgfältig abwägen. Ist sie größer als seine Kraft, so wird er es unterlassen, sich mit ihr zu messen, und nicht auf die Summe des Unverständigen hören, der ihm darob Feigheit und Furchtsamkeit vorwirft.«

Er hatte in ruhigem Tone gesprochen, mehr als ob es ihm selbst, anstatt ihr gelte. Jetzt wartete er die Wirkung seiner Worte ab. Hiluja drehte sich langsam nach ihm um und sagte:

»Deine Worte sind sehr hart gegen mich.«

»Wieso?«

»Du nennst mich unverständig.«

»Nein; das habe ich nicht gethan.«

»O doch! Nach Dem, was Du gesprochen hast, befindest Du Dich vor einer Gefahr, welche größer ist, als Deine Kraft. Nenne mir diese Gefahr, dann will ich glauben, daß Du keine Furcht besitzest.«

»Es ist die Gefahr, Dich zu beleidigen.«

»Hältst Du das wirklich für etwas so sehr Schlimmes?«

»Ja. Es giebt für mich nichts Böseres, als Deine Freundschaft zu verlieren.«

»Die wirst Du stets besitzen. Du bist mein Retter.«

»Gerade weil Du mich so oft Deinen Retter nennst, darf ich Dir nicht sagen, wen ich liebe. Du glaubst, mir Dank schuldig zu sein; darum muß ich jede Veranlassung meiden, Dich an diese Dankbarkeit zu erinnern.«

»Das ist sehr unrecht von Dir gehandelt. Die Dankbarkeit hat den Trieb, sich zu erweisen. Man darf ihr die Gelegenheit dazu nicht nehmen. Das ist ganz so grausam, als wenn man dem Dürstenden das Wasser vom Munde wegnimmt. Es giebt Leute, welche vom Danke nichts wissen wollen; sie meinen dabei, sehr edelmüthig und selbstlos zu handeln. Aber sie handeln gerade im Gegentheile höchst selbstsüchtig. Wer den Dank für eine gute That von sich weist, der nimmt dieser That ihren ganzen Werth. Das merke Dir!«

Sie hatte mit einer leisen, aber doch vernehmbaren Bitterkeit gesprochen. Er fühlte das und antwortete:

»Ich gebe Dir Recht. Aber wie nennst Du den Mann, welcher ganz zufällig einem Andern einen kleinen Dienst erweist und nun diese Gelegenheit eifrig ergreift, einen viel, viel größeren Gegendienst zu verlangen.«

»Dieser Mann ist sehr unverständig.«

»Gut. Und ich will nicht für unverständig gehalten werden.«

»Bezieht sich das auf meine Dankbarkeit?«

»Ja.«

»So gilt es einen Dienst Dir zu erweisen, welcher viel größer ist, als derjenige, welchen ich Dir zu danken habe?«

»Ja. Und damit Du siehst, daß ich wirklich nicht feige und muthlos bin, will ich Dir Alles sagen.«

Jetzt hatte sie sich wieder voll zu ihm gewendet.

»Ja, sage es!« nickte sie ihm zu. »Es ist besser, wenn Du Vertrauen zu mir hast.«

»Ich werde mich aber um das Deinige bringen.«

»O nein; das wirst Du stets besitzen, obgleich – ich Dir eigentlich zürnen und gar nicht mit Dir sprechen sollte.«

»Ah! Warum?«

»Weil Du Dich seit jenem ersten Tage in Kairo gar nicht mehr um mich bekümmert hast. Du hast ganz so gethan, als ob ich gar nicht mehr vorhanden sei.«

»Das wird Dir doch nur lieb gewesen sein.«

»Meinst Du?«

»Ja. Aber Du hast Dich getäuscht. Du warst sehr wohl für mich vorhanden; Du warst nicht nur vorhanden, sondern Du warest viel, viel mehr für mich. Ich hatte noch nie ein Mädchen gesehen, welches ich mit Dir vergleichen könnte. Du warest in mein Leben eingetreten wie ein Stern, welcher einzig und allein am dunklen Himmel steht. Kann der arme Sterbliche die Hand nach einem Sterne ausstrecken? Nein, das wäre Wahnsinn. Er wird ihn ja niemals erreichen und ergreifen können. Darum blieb ich in Demuth fern von Dir; aber ich betete zu meinem Sterne, und ich weiß, daß er das einzige Licht meines Lebens ist. Wenn er mir verschwindet, so wird es finstere Nacht um mich sein bis zum letzten Augenblicke meines einsamen Daseins. Und doch wird er mir verschwinden, nicht später, nicht bald, sondern jetzt in diesem Augenblicke. Ich habe Dich so unaussprechlich lieb. Der Gedanke an Dich ist die einzige Nahrung, von welcher jetzt meine Seele lebt. Ja, Du bist es, von welcher ich vorhin sprach, als ich von meiner Liebe redete. Das will ich Dir gestehen, damit Du mich nicht länger für einen Feigling hältst. Aber indem ich es Dir sage, weiß ich auch, daß mein Stern nun untergeht. Wäre ich von Allah mit Macht und Reichthum gesegnet, so legte ich Dir alle meine Macht und alle meine Schätze zu Füßen. Du solltest auf Diamanten und Rubinen wandeln, und alle meine Unterthanen müßten im Staube vor Dir liegen. Für Dich wäre mir nichts zu hoch und nichts zu tief. Du bist so schön, so herrlich, daß – daß – – daß – o Allah, Allah!«

Von der Größe seines Gefühles übermannt, wandte er sich schnell ab. Sie konnte es nicht sehen, aber sie hörte es seiner Stimme an, daß ihm die Feuchtigkeit des Schmerzes aus der erregten Seele in die Augen getreten war. Sie trat an ihn heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in mildem Tone:

»Nun denkst Du, ich zürne Dir?«

»Ja, Du mußt es ja. Bestrafe mich; bestrafe meine Verwegenheit! Dennoch aber werde ich Dich ewig, ewig lieben.«

»Ja, ich werde diese Verwegenheit bestrafen. Du hast mich beleidigt. Du hast mir Namen gegeben, die ich nicht dulden darf. Du hast mich sogar Deinen Stern genannt!«

»Meinen einzigen.«

»Giebt es wirklich keinen anderen?«

»Nein. Der Himmel des Menschenherzens braucht nur einen Stern; erlischt dieser, dann wird es ewig Nacht.«

»Und dennoch wendest Du Dich von mir ab? Kann Dir ein Stern leuchten, wenn Du nicht nach ihm blickst?«

»Du sprachst von Strafe?«

»Nein, Du! Aber da Du einmal Strafe haben willst, so sollst Du sie auch sofort erhalten. Horch!«

Sie legte ihm plötzlich die Arme um den Nacken, näherte ihren Mund seinem Ohre und flüsterte ihm zu:

»Hilal, wie habe ich Dich so un – un – unaussprechlich lieb!«

Das klang wie Sphärenmusik erlösend in sein Ohr. Von den warmen, nackten Armen, welche ihn umschlangen, und dem vollen Busen, den er an seinem Herzen fühlte, drang eine Wärme zu ihm über, die ihn wie ein magnetischer Strom durchfluthete. Es durchrauschte ihn wie ein Fieber; es brauste ihm durch die Stirn; sein Herz schien zerspringen zu wollen. Er ließ die Arme herabhängen und stand ohne Bewegung, als ob der Schlag ihn getroffen habe.

»Hast Du es gehört?« flüsterte sie fragend und sich noch inniger an ihn schmiegend.

O, er hatte es gehört; sein ganzes Gehör war ja nur auf ihre Worte gerichtet gewesen, so daß es ihm entgangen war, daß gerade jetzt der Hufschlag eines nahenden Reiters sich von unten herauf vernehmen ließ. Sein Bruder Tarink war zurückgekehrt.

»Ist – ist – ist es wahr?« stammelte er.

»Daß ich Dich liebe? Ja, es ist wahr. Glaube es!«

»Du – Du – Du – liebst mich – mich?«

»Von ganzem, ganzem Herzen! Umarme mich!«

Da erhob er die Arme, schlang sie um ihren Leib und – er wußte nicht, wie es kam, aber im nächsten Augenblicke hatten seine Lippen sich mit den ihrigen vereinigt. Aber im nächsten Moment rang sie sich los und sagte erschrocken:

»Dort kommt Einer. Fort, fort!«

Sie verschwand in dem Eingange.

Hilal war wie berauscht. Er wendete sich um und erblickte seinen Bruder, welcher sich rasch näherte.

»Da bin ich zurück, Hilal,« sagte der Letztere.

Keine Antwort. Die Pulse Hilal's klopften so stürmisch, daß er gar nicht an Worte dachte.

»Hilal!«

Oh!«

»Du stöhnst?«

»Ah!«

»Was ist mit Dir?«

»Oh! Ah!«

»Bist Du krank? Was ist geschehen?«

»O Allah, Allah!«

»Ich glaube, jetzt bist Du delil!«

»Nein.«

»Oder hejran?«

»Ja.«

»Also hejran, entzückt! Worüber denn?«

»Oh!«

»Hörst Du nicht? Worüber Du so verzückt bist!«

»Ah! Allah, Allah!«

»Mensch, Du starrst mich so abwesend an! Es muß Etwas mit Dir passirt sein!«

»Ja, Etwas. O Allah illa Allah!«

»Aber was denn?«

»Sie hat es mir gesagt.«

»Sie? Wer denn?«

»Hiluja.«

»Hiluja war da?«

»Ja.«

»Sonderbar! Was hat sie Dir denn gesagt?«

»Daß sie mich liebt.«

»Ist das wahr? Ist das möglich?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du weißt es nicht? Mensch, bist Du des Teufels? Du hast es mir ja soeben gesagt!«

»Ja; aber ich weiß nicht, ob ich es glauben darf.«

»Natürlich, wenn sie es gesagt hat.«

»Das hat sie! Und mich umarmt.«

»Ah!«

»Und sogar geküßt!«

»Du glücklicher Mann!«

»Da aber kamst Du und sie entfloh mir.«

»Das thut mir herzlich leid; aber ich mußte ja kommen, denn die Stunde ist vorüber. Zwei Brüder und zwei Schwestern, wie herrlich das paßt!«

»Ja, herrlich, herrlich! Mir thut der Kopf weh vor Glück.«

»Ganz so wie vorhin bei mir.«

»Es summt und brummt mir die Ohren.«

»Das war auch bei mir der Fall. Geh, und lege Dich nieder.«

»Fällt mir nicht ein! Ich könnte nicht schlafen.«

»Ruhe ist aber das Beste!«

»Hast Du etwa Ruhe gesucht? Nein, ich mache es wie Du: ich gehe fort und reite. Auch ich muß jubeln.«

»Ganz mein Fall! Na, thue es. Dann wird Dir der Kopf wieder frei werden. Auch ich befand mich wie in einem Rausche. Weißt Du das Verbot des Propheten: Kullu muskürün haran – Alles, was betrunken macht, ist verboten? Dann sollte auch die Liebe verboten sein; denn sie hat mich in einen Rausch versetzt, wie ihn der Wein so groß gar nicht hervorbringen kann.«

»Bei mir ist er so groß, als ob die ganze Sahara nicht ein Sand-, sondern ein Weinmeer sei und ich hätte es ausgetrunken.«

»Man sieht es Dir an. Du wankst ja wirklich.«

»Ja, ich zittere. Ich will fort. In einer Stunde bin ich wieder zurück.«

Er ging. Tarik blickte ihm glücklich lächelnd nach und dachte bei sich:

»Allah hat es sehr wohl gemacht. Das Beste an meinem Glücke ist, daß Hilal grad auch dasselbe Glück besitzt. Zwei Brüder und zwei Schwestern! Gott ist groß! Ihm ist Alles möglich, selbst möglich das Unmögliche. Hilal hat Hiluja und ich habe Badija. Was sie wohl thun wird? Sie wird schlafen. Der Engel des Traumes senke sich sanft und glänzend auf sie nieder und überschütte sie mit seinen süßesten und herrlichsten Geschenken!«

Dieser Wunsch wurde nicht erfüllt, denn Badija schlief nicht und konnte also auch keinen Traum haben. Auch sie war vom Glücke der Liebe wie berauscht gewesen. Darum war sie unter Ah und Oh im Zimmer auf und ab gegangen, meinend, daß Hiluja schlafe und also nichts höre. Dann hatte sie sich allerdings auf den Teppich niedergelassen aber nicht geschlafen. Die leise Entfernung ihrer Schwester sehr wohl bemerkend, hatte sie dennoch gethan, als ob sie schlummere. Sie hatte gefürchtet, durch ein lautes, profanes Wort den Zustand stiller Wonne, in welchem sie sich befand, zu zerstören.

So lag sie eine lange, lange Zeit, bis Hiluja nach fast einer Stunde zurückkehrte. Sie legte sich nicht, sondern sie ging leise hin und her, zuweilen halb unterdrückte Rufe und Laute ausstoßend. Badija hatte das vorher genau ebenso gethan, dachte jetzt aber nicht mehr daran. Bei den Seufzern ihrer Schwester wurde ihr bange. Einem Seufzer, zumal wenn er nur sehr leise ertönt, ist es nicht leicht anzuhören, ob er eine Interjection der Freude oder des Schmerzes ist. Vielleicht war der armen Hiluja etwas Schlimmes widerfahren. Darum wartete Badija noch eine kleine Weile und als das Seufzen dennoch kein Ende nahm, sagte sie:

»Hiluja! Ich wache.«

»Oh!«

»Warum bist Du aufgestanden?«

»Ah!«

»Was ist mit Dir geschehen?«

»O Allah, Allah!«

»Himmel! Bist Du krank?«

»Nein.«

»Aber Du hast Schmerzen?«

»O nein!«

»Du stöhnest doch!«

»Stöhnen? Davon weiß ich gar nichts.«

»Ja, Du seufzt und stöhnst ganz zum Erbarmen.«

»Das ist kaum möglich, denn ich habe zum Stöhnen gar keine Veranlassung.«

»Aber irgend Etwas ist mit Dir.«

»Ja. Es ist ganz dasselbe, was vorhin mit Dir war.«

Da richtete Badija sich aus ihrer liegenden Stellung auf und sagte überrascht:

»Was sagst Du? Ganz dasselbe? Ja, auch ich war vorhin so aufgeregt, aber vor Glück.«

»Ich ebenso.«

»Ich meine das Glück der Liebe.«

»Ich auch. O Badija, Badija, ich habe nie gewußt und geahnt, welche Wonne es ist, geliebt zu werden.«

»Du wirst geliebt? Schwester, ist's wahr? Von wem?«

»Von Hilal.«

»Allah ist groß! Hilal liebt Dich? Hat er es gesagt?«

»Ja, soeben.«

»Gott, Gott! Was hast Du ihm geantwortet?«

»O, ich liebe ihn ja schon längst, gleich von dem ersten Augenblicke an als ich ihn erblickte.«

»Komm, komm! Lasse Dich hier bei mir nieder. Diese Kunde ist so freudig, daß ich Dich umarmen muß!«

Und Hiluja that es. Die beiden schönen Schwestern lagen sich in den Armen und erzählten sich wonnetrunken von ihrem Glücke. Ihr leises, leises Flüstern klang wie das Knistern elektrischer Funken durch den stillen Raum. Sie konnten nicht müde und nicht fertig werden und hatten selbst dann noch keinen Schlaf gefunden, als der Morgenruf des Mueddin von der Ruine herab über die Oase erschallte. Er stand hoch oben, mit dem Brete in der Hand, das Auge fest auf den Punkt gerichtet, wo die Sonne erscheinen mußte. Und als der oberste Rand ihrer glänzenden Scheibe sich über den Horizont erhob, that er drei weithin schallende Schläge an das Bret und rief:

»Ihr Gläubigen, rüstet Euch zum Gebete, denn die Sonne taucht aus dem Sandmeer empor!«

Da traten die Beduinen aus ihren Zelten und knieten nieder, das Gesicht nach Aufgang gen Mekka gewendet und beteten leise die Worte nach, welche der Mueddin laut von oben heruntersprach:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen und zu Dir wollen wir flehen, auf daß Du uns führest den rechten Weg, den Weg Derer, die Deiner Gnade sich erfreuen, und nicht den Weg Derer, über welche Du zürnest, und nicht den Weg der Irrenden!«

Dabei tauchten die Beter ihre Hände ein, um sie sich vorgeschriebener Weise zu waschen, mit Wasser oder mit Sand. Dann sprachen sie Alle mit lauter Stimme das muhammedanische Glaubensbekenntnis? nach:

»Allah il Allah, we Muhammed Rassuhl Allah – Gott ist Gott und Muhammed ist sein Prophet!«

Sie erhoben sich nun, um an ihre täglichen Geschäfte zu gehen; aber da ertönte die Stimme des Mueddin von Neuem von oben herab:

»Hört, Ihr Gläubigen, was ich Euch zu verkündigen habe!«

Die Hörer traten in neugierige Gruppen zusammen und erhoben ihre Augen zu dem Verkündiger.

»Ich stehe hier im Auftrage des mächtigen Falehd, dessen vollständiger Name da lautet Falehd Assa Omra Ibn Mi Hebschahn Nobada Ben Sulu Omor Sebuhir Ibn Dawuhd Hilub al Osimbara, und habe Euch Folgendes zu verkünden: An dem Augenblicke, in welchem die Sonne über dem Scheitel des Gläubigen steht, wird Falehd hinausgehen vor die Heerden, um zu kämpfen mit den Männern, welche gestern auf seine Forderung geantwortet haben. Er wird kämpfen zuerst mit Masr-Effendi, sodann mit Tarik, dem Sohne des Blitzes, und endlich mit Hilal, welcher auch ein Sohn des Blitzes ist. Das Ende des Zweikampfes wird sein entweder der Tod, oder das Gebet um Gnade, wie es Brauch ist in der Wüste. Falehd wollte keine Gnade walten lassen, aber er hat sich dem Gesetze des Stammes fügen müssen. Die Söhne und Töchter der Beni Sallam werden sitzen auf ihren Kameelen, um zuzuschauen dem Kampfe von Anbeginn bis er beendet ist. Dem Sieger wird gehören Badija, die Königin der Wüste, und mit ihr wird er erhalten die Würde des Anführers und den Titel eines Scheik el Urdi, welches bedeutet, Herr des Lagers. Allah sei mit ihm und mit uns Allen, jetzt und in Ewigkeit! Amen!«

Steinbach und Normann hatten ihr Schlafgemach verlassen! Sie standen auf der Mauer und hörten diese Bekanntmachung mit an. Dann sagte der Erstere: »Also bis grad um die Mittagszeit habe ich noch zu leben. Gestern um diese Stunde hätte ich nicht gedacht, daß ich so schnell dem Tode geweiht sei.«

»Sie scherzen. Sind Sie Ihrer Sache so gewiß?«

»Kein Mensch ist allwissend. Keiner kann das kleinste und einfachste Ereigniß vorherbestimmen. Der geringste Zufall, irgend eine Kleinigkeit, kann dem Kampf einen ganz unvorhergesehenen Ausgang geben. Zu schwören, daß ich Sieger sein werde, vermag ich also nicht, aber aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich es sein.«

»Werden Sie ihn tödten?«

»Nein, sondern nur zeichnen. Dieser Mensch ist nicht nur ein roher Patron, sondern geradezu ein Bösewicht. Sprechen wir nicht von ihm. Ich will mir durch den Gedanken an den Kampf nicht den Genuß verderben, den mir der jetzige Umblick bietet.«

Er deutete mit dem Arm im Halbkreise nach dem Horizonte hin.

»Ja,« sagte Normann. »Hier muß man stehen, um zu erfahren, daß die Wüste auch schön ist. Fast hätte ich Lust zu einem kleinen Morgenritte. Noch ist es nicht heiß. Möchten Sie nicht mit?«

»Sehr gern.«

»Aber woher Pferde nehmen?«

»Fragen wir Tarik. Dort steht er.«

Als sie ihm ihren Wunsch zu verstehen gaben, führte er sie zu den weidenden Pferden, aus denen er ihnen zwei kostbare Stuten wählte, welche der Königin gehörten. Er bemerkte die bewundernden Blicke, mit denen Beide diese Thiere betrachteten und sagte:

»Ich bin der Anführer der Wache und kann Euch diese Thiere anweisen. Es giebt ihres Gleichen nicht hundert Tagereisen weit. Die Königin hat diese Stuten mit aus ihrer Heimath gebracht. Die Beni Abbas sind berühmt wegen ihrer Pferdezucht. Sie haben Stuten, deren Stammbäume auf zehn Ellen langen Pergamentstreifen verzeichnet sind.«

Die Pferde wurden leicht gesattelt; die zwei Männer stiegen auf und ritten fort, nach Westen zu. Sie merkten, daß sie auf echten Vollblutrennern saßen, denn als sie sich nach fünf Minuten umblickten, lag die Oase bereits so weit hinter ihnen, daß die Ruine gar nicht mehr zu erkennen war. Dennoch zügelten sie die windesschnellen Thiere nicht. Es ist ein eigenartiger und sehr hoher Genuß, auf solchem Rosse schwalbengleich in die unbegrenzte Weite hinaus zu fliegen.

So ging es in immer schnurgerader Richtung weiter. Als sie endlich nach einer Stunde anhielten, hatten sie eine Strecke von ganz gewiß drei deutschen Meilen zurückgelegt, stets in fliegendem Galopp. Und doch zeigten die Pferde nicht die geringste Spur einer Anstrengung. Kein kleines Schaumflöckchen, kein Schweißtropfen war zu sehen oder ein unruhiger Athemzug zu hören.

»Rundum Wüste! Sand und nichts als Sand,« sagte Normann. »Steigen wir ab, um uns in dieser gottverlassenen Leere niederzusetzen. Sie thaten es. Sie und ihre Pferde, welche ruhig stehen blieben, glichen vier Punkten in einer Unendlichkeit.

»Sie sprechen von einer gottverlassenen Leere,« meinte Steinbach. »Und doch wie haben Sie so Unrecht!«

»Unrecht? Blicken Sie doch um sich! Giebt es hier eine Spur des Lebens?«

»Nicht nur eine Spur, sondern man könnte sagen, hier sei der eigentliche Urquell des Lebens.«

»Das ist mir ein Räthsel.«

»Hier befindet sich die Feuerung der Lebenslokomotive.«

»Dieser Vergleich scheint mir allerdings nicht ganz unzutreffend zu sein.«

»Er trifft sogar vollkommen zu. Von hier aus, wo sich auf einer hunderttausend Quadratmeilen großen Fläche eine ungeheure Gluth entwickelt, steigt dieselbe empor, um nach den beiden Polen zu gehen und dort wieder umzukehren, indem sie sich allmählig niedersenkt und so als kalter Luftstrom die Sahara wieder erreicht. Dieser Luftstrom nimmt alle Feuchtigkeit in sich auf, ladet sie an den Gebirgen ab, wird durch dieselben in die verschiedensten Richtungen gedrängt und ist so der Verbreiter und Unterhalter des irdischen Lebens. Die Sahara hat also eine grad unschätzbare Bedeutung für die organischen Geschöpfe, welche die Erde trägt. – Blicken Sie doch einmal da nach Süden! Sehen Sie Etwas?«

»Ja, eine Linie.«

»Sie müssen schärfer hinsehen. Diese Linie besteht aus lauter einzelnen Punkten, welche sich bewegen. Nicht?«

»Ja. Was mag das sein?«

»Leicht zu errathen.«

»Leicht? Thiere etwa? Strauße oder Gazellen?«

»O nein. Thiere würden nicht eine so regelrechte Linie bilden. Das geben Sie doch zu.«

»Also Menschen. Wohl gar eine Karawane!«

»Natürlich. Sie bewegt sich nach der Oase zu. Dort also scheint sich ein Wüstenpfad zu befinden.«

»Pfad! Weg! In diesem Sande!«

»Spuren giebt es allerdings nicht, weil der Wind jeden Tapfen wieder verweht; aber dennoch sind durch die Unwegsamkeit der See und der Wüste strenge Linien gezogen, auf denen sich dort die Schiffe und hier die Karawanen bewegen. Was wir hier sehen, ist jedenfalls eine Karawane. Anders kann es gar nicht sein.«

»Doch nicht etwa eine feindliche!«

»Schwerlich. Dennoch aber ist Vorsicht an jeder Stelle und in allen Lagen gut. Steigen wir wieder in den Sattel. Wir wollen uns die Karawane doch einmal ansehen.«

 

Anmerkung: Zu dieser Scene hat der Verleger ein Oelfarbendruckbild anfertigen lassen, welches dem Leser auf Wunsch gerahmt – fix und fertig an die Wand zu hängen – für nur wenig Geld übergeben wird.

 

Sie galoppirten der angegebenen Richtung entgegen. Die Punkte, aus denen die erwähnte Linie bestand, wuchsen; sie wurden größer und immer größer, bis die beiden Reiter deutlich unterscheiden konnten, daß es Kameele seien, eins hinter dem andern, das Halfter des nachfolgenden immer an den Schwanz des vorhergehenden gebunden. Voran schritt der Scheik el Kaffila, der Führer der Karawane. Dieser reitet fast nie; er geht stets zu Fuße, mit dem scharfen Auge immer am Horizonte vorn und am Sande zu seinen Füßen hängend. Bei einer Eilkarawane reitet natürlich auch er.

Die beiden Deutschen zählten nicht weniger als hundertundzwanzig Kameele. Die größte Zahl derselben waren Pack- und nur etwa zwanzig waren Reitkameele. Ein Pferd gab es nicht dabei. Das war ein sicheres Zeichen, daß diese Leute sehr weit herkamen.

Die Zwei waren natürlich auch bemerkt worden. Der Führer hielt an. Einige Reiter zweigten sich ab und kamen den Deutschen entgegen. Es waren dies lange, hagere, sonnverbrannte Gesellen mit scharf gezeichneten, dünnbärtigen Gesichtern, echte Söhne und Enkel des Sonnenbrandes. Als sie näher gekommen waren, hielt der Vorderste an und stieß einen Ruf der Ueberraschung aus, der wie der Raubschrei eines Geiers klang. Die Andern stimmten ein.

»Sallam aaleïkum!« grüßte er.

»Aaleïkum sallam!« erwiderten die Beiden.

»Ihr seid Beni Sallah?«

»Nein.«

Der Mann stutzte, sagte seinen Begleitern einige kurze halblaute Worte, und im nächsten Augenblicke waren Steinbach und Normann von ihnen umringt. Das war eine offenbar feindselige Bewegung. Als man dies bei der Karawane bemerkte, eilten sofort noch mehr als ein Dutzend andere Reiter herbei.

Das sah sehr gefährlich aus. Die beiden Deutschen hatten ihre Büchsen nicht mit, während die Fremden bis an die Zähne bewaffnet waren. Dennoch bewahrten die Ersteren ihren Gleichmuth. Steinbach fragte:

»Was wollt Ihr von uns?«

»Ihr seid Räuber,« antwortete der Anführer.

»Warum vermuthet Ihr das?«

»Willst Du etwa leugnen? Hier meine Kameelpeitsche wird Dich leicht zum Geständnisse bringen.«

»Laß die Peitsche fort und sag lieber, aus welchem Grunde Ihr uns für Räuber haltet.«

»Ihr reitet geraubte Pferde.«

»Das klingt seltsam. Es pflegt unmöglich zu sein, eine echte Kohelistute zu rauben.«

»Aber diese sind geraubt. Ihr habt sie den Beni Sallah entführt. Wir werden sie ihnen wiederbringen.«

»Dagegen haben wir nichts.«

»Wie? Ihr wollt Euch nicht vertheidigen?«

»Nein.«

»Euch gutwillig gefangen geben?«

»Ja.«

»Das wird eine Heimtücke sein. Wir aber werden uns nicht von Euch betrügen lassen.«

»Es fällt uns gar nicht ein. Euch zu betrügen. Wollt Ihr zu den Beni Sallah?«

»Ja.«

»Wir sind Gäste der Beni Sallah und werden Euch begleiten.«

Da flog ein Zug von Aerger über das Gesicht des Anführers. Er sah ein, daß er einen bedeutenden Fehler begangen hatte. Als ehrlicher Beduine zögerte er aber keinen Augenblick, ihn einzugestehen:

»Verzeihung! Ihr sagtet, daß Ihr keine Beni Sallah seiet und rittet doch die besten Pferde derselben; es war also leicht, Euch für Pferderäuber zu halten.«

»Kennt Ihr denn diese Pferde so genau?«

»Ja; sie wurden bei uns geboren und erzogen.«

»Das ist wohl ein Irrthum.«

»Nein. Ich sage die Wahrheit.«

»Dann gehörtet Ihr ja zu dem Stamme der Beni Abbas, welcher in weiter Ferne von hier wohnt!«

»Wir sind Beni Abbas und kommen, die Beni Sallah zu besuchen. Dort in der Sänfte sitzt unser Scheik.«

Er deutete nach einem Kameele, welches eine kostbare Sänfte trug. Zwischen den auseinander gezogenen seidenen Vorhängen der Letzteren blickte ein ehrwürdiges, graubärtiges Gesicht herüber.

»Wie! Ist's wahr? Der Vater von Badija und Hiluja?« rief Steinbach erfreut.

»Ja. Der Vater von Badija ist er; der Vater von Hiluja aber war er.«

»Wieso?«

»Hiluja ist todt, ermordet von den Tuareg. Wir aber haben sie gerächt.«

Erst jetzt dachte Steinbach daran, daß die Beni Abbas noch gar nicht wissen konnten, daß Hiluja gerettet sei. Schon hatte er die Bemerkung, daß sie lebe, auf der Zunge; er hielt sie aber noch zurück, denn er fragte sich, ob der ehrwürdige Greis wohl stark genug sein werde, eine so plötzliche Freudenbotschaft ohne Schaden zu ertragen. Darum gab er Normann in einigen deutschen Worten die Absicht, es augenblicklich zu verschweigen, kund, und sagte dann zu dem Führer:

»Wollt Ihr uns wohl erlauben, den Scheik zu begrüßen?«

»Seid Ihr denn auch wirklich Gäste der Beni Sallam?«

»Ganz gewiß.«

»Von welchem Stamme seid Ihr?«

»Wir kommen von fern her, vom Abendlande, wo es keine kleinen Stämme, sondern nur große Völker giebt.«

»So seid Ihr wohl Inglesi?«

»Nein, sondern Nemtsche.«

»Nemtsche seid Ihr? Ich habe noch Keinen gesehen, aber ich habe gehört, daß die Deutschen gut seien, viel besser als die Franken und die Inglesi. Ich werde es dem Scheik sagen, daß Ihr ihn begrüßen wollt. Folgt mir langsam nach!«

Er ritt voran. Der Scheik hörte seine Worte an und gab dann durch den lauten Ruf »Rree, rree« seinem Kameele den Befehl, niederzuknieen. Darauf stieg er aus der Sänfte, um die beiden Freunde stehenden Fußes zu erwarten. Dies war eine seltene Ehre, so selten, daß sie einen ganz besonderen Grund haben mußte.

Natürlich stiegen auch Normann und Steinbach von ihren Pferden. Der Scheik war eine hohe, achtunggebietende Gestalt. Er betrachtete die Beiden mit wohlwollenden Blicken, streckte ihnen die Hand entgegen und sagte:

»Sallam! Ihr seid Deutsche?«

»Sallam!« antwortete Steinbach. »Ja, wir sind es.«

»Das ist gut. Kennt Ihr Vogel?«

Das war eine Frage, über welche die Beiden in ein sehr wohl berechtigtes Erstaunen geriethen. Und dieses Erstaunen war nicht etwa ein unangenehmes, sondern ein freudiges. Der Scheik meinte jedenfalls den berühmten Forscher und Afrikareisenden Vogel, welcher sich bis nach Kanem, der Hauptstadt des Königreiches Bornu, vorgewagt halte und während seines beschwerlichen und gefährlichen Rittes durch die Sahara mit mehreren Stämmen der Beduinen in Beziehung getreten war. Darum antwortete Steinbach:

»Wir kennen ihn sehr gut, obgleich er jetzt todt ist. Er war ja einer der Unserigen.«

»Das freut mich. Er war ein kluger, guter und muthiger Mann. Er hat mir sehr viel von dem Lande und dem Volke der Deutschen erzählt. Es ist das zwar seit vielen Jahren her, aber ich habe es doch nicht vergessen. Darum freue ich mich, daß Ihr Deutsche seid. Wie aber kommt Ihr denn aus so fernem Lande hier her als Gäste zu den Beni Sallam?«

»Wir waren in Tunis bei dem Beherrscher Mohammed es Sadok Pascha und erhielten von dort eine Botschaft an die Königin der Wüste.«

»So kennt Ihr die Königin?«

»Natürlich kennen wir sie. Wir sind zwar erst gestern Abend angekommen, aber doch –«

»Und dennoch,« fiel der Scheik schnell ein, »müßt Ihr bereits ihr ganzes Vertrauen besitzen, sonst hätte sie Euch nicht erlaubt, die kostbarsten ihrer Pferde zu besteigen. Sie ist meine Tochter, meine einzige Tochter. Wie geht es ihr? Befindet sie sich wohl?«

»Sie ist eine weise Anführerin des Stammes und befindet sich wohl. Du nennst sie Deine einzige Tochter, aber sie sprach doch davon, daß sie noch eine Schwester habe.«

»Sprach sie von ihr? Liebt sie sie noch?«

»Sie sprach von ihrem Vater und von ihrer Schwester Hiluja, welche sie Beide von ganzem Herzen liebt.«

»Allah hat die Trauer bis heute von ihrem Herzen fern gehalten. Sie weiß noch nicht, was geschehen ist. Hiluja weilt nicht mehr unter den Lebenden. Diese böse Botschaft muß ich der Königin bringen.«

»Hier dieser Mann, den Du mir entgegensandtest, sprach schon davon, daß Hiluja nicht mehr lebe. Er sagte, sie sei von den Tuareg ermordet worden.«

»Ja. Sie machte sich auf, ihre Schwester zu besuchen. Unterwegs wurde sie überfallen. Die Feinde tödteten mein Kind und alle meine Leute außer Einem, welcher glücklich entkam und mir die traurige Kunde brachte. Wir haben uns zu einem Rachezug gerüstet und fast den ganzen Stamm, der Hiluja überfiel, von der Erde vertilgt und alle ihre Thiere mit uns fortgenommen. Mein Herz ist krank geworden aus Gram über die Ermordung meiner Tochter. Ich bin alt und die Trauer zehrt an meinem Leben. Wie lange wird es währen, so gehe ich hinüber zu meinen Vätern. Vorher aber will ich das Kind, welches mir geblieben ist, noch einmal mit meinen alten, trüben Augen sehen und es an meine kranke Brust drücken. Dann mag man mich in die Grube legen und mit dem Sande der Wüste bedecken. Meine Seele wird eingehen in das Reich der Seligen und dort begrüßen das Kind, welches nun im Schooße Allahs wohnt.«

Der Beduine schämt sich, Thränen sehen zu lassen. Auch der alte Scheik gab sich Mühe, das aufsteigende Naß niederzukämpfen. Es gelang ihm; dennoch aber war ihm die Größe und Tiefe seiner Trauer deutlich anzusehen. Die beiden Deutschen fühlten natürlich die aufrichtigste Theilnahme für ihn. Die unvorbereitete Kunde, daß seine Tochter noch lebe, konnte ihm Schaden verursachen; darum waren sie nicht sogleich damit vorgegangen. Aber vorbereiten mußten sie ihn doch. Es stand mit Sicherheit zu erwarten, daß die beiden Töchter ihm bei seinem Einzug in das Lager schleunigst entgegeneilen würden. Der Anblick der Todtgeglaubten konnte sehr leicht von schädlicher Wirkung auf ihn sein. Darum sagte Steinbach:

»Diese Tuareg scheinen sehr schlimme Leute zu sein; dennoch aber kann ich kaum glauben, daß tapfere Krieger ein Weib tödten. War Hiluja schön?«

»Sie war schön, wie der junge Morgen, welcher den Thau auf den Wedeln der Palmen beleuchtet.«

»So wäre es doch sehr leicht zu denken, daß man sie geschont habe, damit sie das Weib eines ihrer Anführer werde. Bist Du denn nicht auf diesen Gedanken gekommen?«

»Nein; dies war unmöglich. Der Mann, welcher als der Einzige entkommen ist, hat es ganz genau gesehen, daß einer der Feinde meiner Tochter Kopf spaltete.«

»Vielleicht aber hat er sich geirrt?«

»Nein. Seine Augen sind scharf.«

»Dann wundert es mich, daß die Tuareg andere Frauen leben lassen. In Tunis hörte ich, daß sie eine Karawane überfallen hatten, bei welcher sich Frauen befanden, eine junge und eine alte. Die Erstere soll ein sehr schönes Mädchen gewesen sein und die Letztere war ihre Dienerin.«

»Auch Hiluja hatte eine alte Dienerin bei sich.«

»Die Begleiter wurden getödtet, aber die Frauen schonte man. Einer der Tuareg hatte sich mit ihnen nach Tunis aufgemacht, um sie zu verkaufen.«

»O Allah! Eine Tochter der Wüste als Sclavin zu verkaufen! Welch eine Schändlichkeit! Hat er eine große Summe für sie erhalten?«

»Nein. Der Streich ist ihm gar nicht gelungen, denn die beiden Gefangenen fanden einen Beschützer, welcher sie errettete. Das Mädchen war die Tochter eines Scheiks.«

»Eines Scheiks! Was sagst Du?«

»Sie hatte ihre Schwester besuchen wollen.«

»O Allah, Du Beherrscher des Himmels und der Erde? Was höre ich? Was sagst Du? Sie war die Tochter eines Scheiks und hat ihre Schwester besuchen wollen? Das ist ja ganz genau dasselbe wie bei meiner Tochter! Hast Du nichts Weiteres von diesem Mädchen gehört?«

»Ich hörte, daß der Beschützer dann mit den beiden Geretteten abgereist sei, um sie zu der Schwester zu bringen.«

»Wo wohnt diese Schwester?«

»In einer Oase nicht weit von der Grenze Egyptens.«

»O, Ihr Heiligen! O, Ihr Seligen!«

Steinbach flößte ihm die Arznei langsam, vorsichtig und tropfenweise ein. Er fuhr fort:

»Diese Schwester, zu welcher die Geretteten wollten, soll die Wittwe eines Scheiks sein.«

Da schlug der Alte die Hände zusammen, wich einen Schritt zurück und rief:

»Die Wittwe eines Scheikes! Sollte Badija gemeint sein? Dann wäre Hiluja gerettet. Sprich weiter, sprich weiter! Was hast Du noch von ihr gehört?«

»Ich muß erst nachdenken. Ich habe nicht weiter auf die Erzählung geachtet.«

»Hast Du nicht den Namen des Scheiks gehört, dessen Wittwe die Schwester sein soll? Weißt Du nicht, wie der betreffende Stamm heißt und die Oase, welche er bewohnt?«

Der Scheik war außerordentlich erregt. Seine Leute hatten einen Kreis um die Sprechenden gebildet und hörten natürlich mit größter Spannung zu. Steinbach sagte: »Ich kann mich leider jetzt nicht mehr auf ein jedes Wort der Erzählung besinnen. Ich habe, als ich sie hörte, nicht wissen können, daß ich einmal nach ihr gefragt werden könne. Eins aber fällt mir ein, nämlich daß die beiden Namen des Mädchens und ihrer Dienerin sehr ähnlich klangen; sie lauteten fast gleich mit einander.«

Da rief der Scheik:

»Hört Ihr es, Ihr Männer? Die beiden Namen lauteten gleich! Das war auch bei meiner Tochter der Fall. Hiluja und Haluja! Allah, Allah! wenn mein Kind noch lebte! Wenn es nicht ermordet, sondern gerettet worden wäre! Besinne Dich, besinne Dich, o Fremdling! Sage mir, ob Du weiter nichts erfahren hast!«

»Ich würde es verschweigen, selbst wenn ich mich besinnen könnte.«

»Verschweigen? Warum?«

»Ich sehe, in welcher Aufregung Du Dich befindest. Deine Augen glühen und Deine Kniee zittern. Deine Stimme bebt und Deine Stirn färbt sich dunkler. Das Blut steigt Dir in den Kopf. Wenn ich mehr wüßte, wenn ich weiter sprechen könnte, so müßte ich befürchten, daß meine Worte Dich überwältigen möchten.«

»Nein, nein! Ich lasse mich nicht überwältigen. Ich bin stark; ich kann Alles ertragen. Alles! Sprich weiter!«

Er streckte Steinbach beide Arme bittend entgegen. Dieser aber antwortete zurückhaltend:

»Ich kann Dir wirklich weiter nichts sagen, gar nichts, als – ah, da fällt mir noch etwas ein!«

»Was? Was? So rede doch!«

»Ja, man hat von dem Stamme gesprochen, nach welchem Du mich fragst. Es wurde von ihm erzählt. Unter den Kriegern dieses Stammes soll sich Einer befinden, ein Riese wie Simson, stark aber auch hinterlistig.«

»Ein Riese, ein Riese! Hört Ihr es, Ihr Männer? O, sage mir, ob man seinen Namen genannt hat!«

»Ja; er lautete Fa– Fa– Fa– – ich kann mich doch nicht so genau besinnen.«

»Falehd etwa?« sagte, nein, rief, nein, sondern schrie der alte Scheik förmlich.

»Falehd. Ja, so lautete der Name.«

»Allah illa Allah! Wie wird mir denn! Es ist mir, als ob sich der Himmel öffne, als ob die Seligen herniederstiegen, um mir die Botschaft zu verkündigen, daß Allah mir meine Tochter wiedergeschenkt habe! Weißt Du von diesem Falehd nichts Genaueres?«

»Er soll der Bruder des Scheikes sein.«

»O Gott! O Beherrscher, o Gnädiger und Allbarmherziger! Welche Worte höre ich!«

»Kennst Du denn vielleicht einen Riesen, welcher Falehd genannt wird?«

»Ob ich einen kenne? Das fragst Du? Natürlich kenne ich einen. Er war es ja, welcher zu uns kam, um meine Tochter für seinen Bruder zu begehren. Es stimmt, es stimmt Alles, Alles! Hiluja ist gerettet worden. O Allah, Allah! Aber wo ist sie? Wo finde ich sie? Wenn Gott mir das Glück verleiht, mein Kind lebend wieder zu sehen, so gelobe ich, die Hälfte meiner Heerden unter die Armen unseres Stammes zu vertheilen! Sage mir, o Fremdling, ob ihr nicht vielleicht doch noch ein Unglück begegnet ist!«

»Wenn dieses Mädchen wirklich Hiluja, Deine Tochter, war, so kann ich Dich trösten. Der Retter ist mit ihr auf ein Schiff gegangen, um nach Egypten zu fahren. Von Kairo aus wollte er sie dann zu dem Stamme ihrer Schwester bringen. Das Schiff war ein Dampfschiff, so daß die Reise wohl sehr schnell und auch glücklich gegangen ist.«

»Aber von Egypten dann in die Wüste, das ist gefährlich, sehr gefährlich!«

»Der Retter war ein Freund des Vicekönigs, welcher wohl dafür gesorgt hat, daß auch dieser Theil der Reise ohne Unfall beendet werden kann.«

»Das ist Balsam für mein Herz und Thau für meine vertrocknete Seele. Sagt, Ihr Männer, was meint Ihr, was denkt Ihr? Ist Hiluja die Gerettete?«

»Sie ist es, sie ist es!« ertönte es rund im Kreise.

»Ja,« sagte Normann jetzt, zum ersten Male das Wort ergreifend, »es ist wahrscheinlich, daß sie es ist.«

»Warum? Warum? Hast auch Du davon gehört?«

»Auch ich war dabei, als davon erzählt wurde. Jetzt besinne ich mich ganz genau, daß das gerettete Mädchen Hiluja geheißen hat und eine Tochter der Beni Abbas war. Ich weiß es ganz genau.«

Da stieß der alte Scheik einen lauten Jubelruf aus:

»O Allah, Allah! O Kadidscha, Du Freundin und Versorgerin des Propheten. Du bist die Heilige unter den Weibern und die Beschützerin der Frauen. Du hast Deine Hände gehalten über meine Tochter, daß sie errettet worden ist vom Tode und von der Sclaverei! Ihr Männer, Ihr Freunde und Verwandten, beugt Eure Kniee mit mir, um Allah zu danken für die Kunde, welche er mir aus dem Munde dieser Fremdlinge gesandt hat!«

Er kniete nieder und augenblicklich folgten die Anderen seinem Beispiele.

Die Ansicht der meisten Christen über die Moslemins ist eine durchaus irrige. Der Anhänger des Islam ist fromm. Seine Frömmigkeit hat Etwas von der Gluth der Wüste; sie ist eine fanatische. Er läßt keine Gelegenheit vorübergehen, mit Allah zu sprechen. Er überwindet dabei alle Schwierigkeiten. So zum Beispiel sind ihm die täglichen Waschungen vorgeschrieben. Er hält sie genau und pünktlich ein. Was aber soll der Beduine thun? Er soll und muß sich waschen, und doch fehlt ihm in der Wüste das dazu nöthige Wasser! Es fällt ihm trotzdem nicht ein, die Waschungen zu unterlassen. Seine Frömmigkeit hat ihm ein Auskunftsmittel gezeigt: er wäscht sich nicht mit Wasser, sondern mit Sand.

So auch jetzt in diesem Falle. Der Scheik griff, am Boden knieend, mit beiden Händen in den Sand und ließ denselben zwischen den Fingern hindurchgleiten, die Bewegung des Waschens nachahmend. Dabei betete er die Worte, welche einer jeden Sure des Kuran als Ueberschrift dienen:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes!«

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes!« wiederholten seine Begleiter im Chore, indem auch sie die Bewegungen des Händewaschens machten.

»Danket Gott mit mir, an dem er so große Dinge gethan hat. Er ist der Allerbarmer!«

»Der Allerbarmer!«

»Der Retter!«

»Der Retter!«

»Der Erlöser und Befreier!«

»Der Erlöser und Befreier!«

So betete er die hundert Namen Gottes nach der Reihe her und sie sprachen sie andächtig nach. Es war für die beiden Deutschen ein ergreifender Anblick, diese halb wilden, sonnverbrannten Gestalten in der Einsamkeit der Wüste knieend und in melancholischen Unissone die göttlichen Namen betend. Sie Beide wurden so hingerissen, daß auch sie die Kniee beugten und die Namen laut mit aussprachen. Dieses, Gebet endete mit den Worten:

»Du herrschest über die Erden und über die Himmel. Der Sterbliche kann Dich nicht sehen und nicht begreifen; aber Du bist voller Gnade, Liebe und Barmherzigkeit, und Alles, was Du thust, das ist gut. Dir allein sei Preis, Lob und Dank in alle Ewigkeit. Allah illa Allah, we Muhammed Rassuhl Allah. Gott ist Gott und Muhammed ist sein Prophet! Amen!«

Sie erhoben sich wieder. Und nun trat der Scheik zu Steinbach heran und sagte:

»Blicke mich an! Leuchten meine Augen noch? Zittern meine Kniee noch und steigt mir das Blut noch gefahrdrohend in den Kopf? Nein! Im Gebete habe ich Ruhe, Fassung und Stärkung erhalten. Du darfst mir Alles sagen. Nicht wahr. Du weißt noch mehr, als Du uns hier mitgetheilt hast?«

»Ich will es gestehen, ja. Ich sehe Dich ruhig und gefaßt: ich glaube, daß ich es wagen kann. Dir Alles zu sagen.«

»So sage es, sage es! Nicht wahr, Hiluja ist wirklich gerettet worden?«

»Du sollst es wissen; ja, sie ist gerettet.«

»Lebt sie noch?«

»Sie lebt.«

»Sie ist bereits bei den Beni Sallah angekommen?«

»Ja. Sie ist wohlbehalten angekommen und wird sehr glücklich sein, Dich wiederzusehen.«

Da brach der Alte doch in sich zusammen. Er fiel vor Steinbach auf eins seiner Kniee, erhob die gefalteten Hände zu ihm empor und sagte:

»Nur vor Allah soll man knieen. Ich habe noch vor keinem Menschen mein Haupt oder mein Kniee gebeugt, vor Dir aber thue ich es, denn Du bist Allahs Bote, sein Gesandter, der mein Herz befreit hat von der tödtenden Traurigkeit. Es war mir verboten, vor Schmerz zu weinen, vor Freude aber zu weinen, dessen braucht auch der Tapferste sich nicht zu schämen. Siehe meine Thränen! Sie mögen in der Stunde Deines Todes vom Himmel zu Dir herniederträufeln, um Deine Seele rein zu waschen, damit Du eingehen kannst in das Land der Seligen!«

Steinbach hatte ihn ergriffen und zu sich emporgehoben. Der alte, ehrwürdige Greis umschlang ihn, legte den Kopf an seine Brust und schluchzte laut. Dann aber trat er zurück, wischte sich mit dem Zipfel seines weißen Burnus die Thränen aus den Augen und sagte:

»Ihr habt gehört, daß ich die Hälfte meiner Heerden den Armen versprochen habe. Ich werde mein Wort halten, sobald ich zurückkehre zum Lager unseres Stammes. Erinnert mich gleich im ersten Augenblicke des Wiedersehens daran. Eurem Scheik und Eurem Stamme ist heute große Freude widerfahren. Dieser Tag soll gesegnet sein und unvergessen für Kind und Kindeskinder. Gebt mir mein Gewehr und nehmt auch die Eurigen zur Hand!«

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Ein Beduine läßt keine Gelegenheit, einige Loth Pulver zu verpuffen, vorübergehen. Sie stellten sich mit ihren langen, krummkolbigen Flinten im Kreise auf, den Scheik und die beiden Deutschen in der Mitte. Der Erstere rief:

»Allah hat sich unserer erbarmt in unserer Trauer. Ihm sei Preis und Anbetung! Allah hu – hu – hu!«

»Allah hu – hu – hu!« brüllten sie jauchzend und dabei schossen sie ihre Flinten ab und sprangen im Kreise, einen wilden, abenteuerlichen Reigen bildend.

Mitten im Springen wurde geladen. Auf einen Wink des Anführers blieben sie halten und er rief:

»Diese beiden Fremdlinge sind uns erschienen als Boten des Trostes und der Erhörung. Allah gebe ihnen tausend Gnaden und zuletzt die Seligkeit. Allah hu – hu – hu!«

»Allah hu – hu – hu!«

Sie wiederholten dieses Allah-hu, welches sie an Stelle unseres Hurrah oder des ungarischen Eljen gebrauchen. Dabei wurde der Tanz und das Laden der Gewehre wiederholt, bis der Scheik abermals rief:

»Es ist Hiluja, meinem Kinde, der Tochter der tapferen Beni Abbas, ein Retter erschienen, welcher sie vom Tode und der Sclaverei befreite. Diesem Tapferen sei Preis und Ruhm gebracht, daß sein Name genannt und von seiner That erzählt werde Jahrhunderte lang an allen Lagerfeuern der Anhänger Muhammeds. Allah hu!«

»Allah hu – hu – hu!«

Es war eine wilde Scene. Während diese Männer vorher in tiefer, ernster Andacht gekniet hatten, die Gesichter nach Mekka gerichtet, sprangen sie jetzt wirr durch einander. Ihre Rufe schrillten kreischend über die Ebene, die Schüsse krachten, die Burnus wehten. Die Kameele erhoben, von der Freude ihrer Herren angesteckt, ihre häßlich brüllenden Stimmen. Der Sand wirbelte hoch auf unter den Füßen der Tanzenden. Es war, als hätte sich eine Bande höllischer Geister zusammengethan, um den bösen Dschinns und Geistern der Wüste ein Ständchen zu bringen. Selbst der Alte tanzte, schrie und brüllte mit. Endlich aber gab er ein Zeichen und sofort trat tiefe Stille ein.

»Wir haben fast das Wichtigste vergessen,« sagte er, zu Steinbach gewendet. Wir haben zu Ehren des Retters eine Salve geopfert, aber wir haben seinen Namen noch nicht erfahren. Weißt Du ihn?«

»Dieser Name ist ein fremder, man kann ihn nicht leicht merken und aussprechen. Du wirst ihn von Deinen Töchtern erfahren.«

»Der Retter selbst hat Hiluja zu den Beni Sallam gebracht?«

»Ja, er hat sie begleitet.«

»Befindet er sich noch dort?«

Du wirst ihn noch heute sehen und mit ihm sprechen können. Er kennt Dich bereits sehr gut, da Hiluja viel von Dir und allen den Ihrigen erzählt hat.«

»So laßt uns eilen, das Lager zu erreichen. Steigt auf Eure Thiere, Ihr Männer. Unsere Kameele sollen alle ihre Schnelligkeit zeigen. Wir dürfen keinen Augenblick zögern, die verloren Geglaubte wiederzusehen.«

»Halt!« bat Steinbach. »Warte noch einen Augenblick. Deine Töchter ahnen von Deiner Ankunft nichts. Willst Du nicht vorsichtig sein und sie vorher benachrichtigen?«

»O, die Freude tödtet nicht! Das hast Du ja auch an mir bewiesen gesehen.«

»Wenn sie auch nicht geradezu tödtet, so kann sie doch schaden. Eine plötzliche große Freude gleicht dem Schrecke, welcher wie ein Schlag auf das Herz und den Kopf des Menschen fällt. Bedenke, was Hiluja gelitten hat!«

»Du magst Recht haben. Ich werde also einen meiner Leute voraussenden.«

»Willst Du das nicht mir überlassen? Eure Thiers sind von der langen, weiten Wanderung angegriffen: unsere Pferde aber haben noch ihre frischen Kräfte.«

»Gut, so reite Du voran! Aber Deinen Gefährten mußt Du mir hier lassen, damit ich mit ihm sprechen kann von der wiedergefundenen Tochter.«

Steinbach stieg auf und ritt fort. Er brauchte die Sporen gar nicht; ein leiser Druck der Schenkel und das Pferd flog über die Ebene dahin, dem Lager entgegen, so daß es mit dem Bauche fast den Boden berührte.

Der Reiter freute sich natürlich außerordentlich, den beiden Schwestern diese Botschaft bringen zu können.

Die Letzteren, welche erst zur Zeit des Morgengebetes den Schlaf gefunden hatten, waren später als gewöhnlich aufgestanden. Falehd hatte mit der Königin sprechen wollen, war aber abgewiesen worden. Jetzt nun, als die Beiden das Innere der Ruine verlassen hatten und oben zwischen den Quadern neben einander saßen, die Blicke auf die Unendlichkeit der Wüste gerichtet, kam er abermals herauf. Tarik ließ ihn nicht direct zu der Königin, sondern er meldete ihn.

*


 << zurück weiter >>