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»Das, was Du hier thust, soll man bei den Ungläubigen thun, wenn sie Theater spielen, wie ich gehört habe. Hier aber ist nicht der Ort dazu. Ich habe jetzt Lust, Dich zu küssen, und ich möchte den Menschen sehen, dem es einfallen könnte, mich zu hindern!«
»Ich habe meine Leibwache.«
»Diese Kerls hocken draußen auf der Treppe. Oder meinst Du, daß ich mich vor ihrem Anführer fürchten würde? Er könnte hier stehen und doch würde ich Dich umarmen und küssen.«
»Versuche es!»
»Wohlan, sogleich!«
Er erhob beide Arme, sie zu umfangen. Sie erhob auch einen Arm, aber nicht zu einer Zärtlichkeit, sondern um nach dem Eingange zu zeigen.
»Blicke erst dorthin, ehe Du es wagst!«
Er zog den Fuß zurück und drehte sich um. Dort, hinter der Ecke des Einganges hervor, war der Lauf einer Flinte gerade auf ihn gerichtet. Den Besitzer des Gewehres aber konnte er nicht sehen, da derselbe im Dunkel stand, wohin der Lampenschein nicht drang.
»Hölle und Teufel!« rief er aus, schnell so weit zurücktretend, daß er aus der Schußlinie kam.
»Nun, küsse mich!« sagte sie.
»Wer ist der Kerl, der das wagt?«
»Siehe ihn an!«
»Etwa gar dieser Tarik?«
»Ich wiederhole: Gehe hin und siehe Dir ihn an!«
Er blieb aber wohlweislich in seiner Ecke stehen, sagte aber in verächtlichem Tone:
»Glaubt er etwa, mir widerstehen zu können, weil man ihn den Sohn des Blitzes nennt? Das soll er sich ja nicht unterfangen. Es wäre sein Verderben!«
»Drohe Du nicht! Nimm Dich vielmehr selbst in Acht, daß Dir nichts Böses widerfahre! Hättest Du mich berührt, so wärst Du eine Leiche!«
»Hast Du ihm etwa befohlen, auf mich zu schießen?«
»Ich habe meine Leibwache, und Jeder, der zu ihr gehört, weiß, was zu thun hat. Eines besonderen Befehles bedarf es gar nicht.«
»Aber er hat hier gestanden, hinter der Thür, während ich mit Dir gesprochen habe?«
»Ja.«
»So traust Du mir nicht?«
»Nein.«
»Welch eine Beleidigung! Sie muß gerächt werden!«
»Dein Verhalten hat bewiesen, daß mein Mißtrauen begründet ist. So oft ich allein mit Dir gewesen bin, wurde ich bewacht, ohne daß Du es bemerktest.«
»So hat dieser Wächter gehört, was wir sprachen?«
»Ja.«
»Allah verdamme ihn! Ich brauche keinen Lauscher. Will ich einen Vertrauten haben, so wähle ich mir ihn selbst. Was jetzt geschehen ist, will ich für Scherz nehmen; kommt es aber wieder vor, so mache ich Ernst. Das merke Dir! Leb' wohl, bis wir uns in der Versammlung der Aeltesten wiedersehen!«
Er wendete sich dem Eingange zu, forschte aber dabei vorsichtig nach dem Wächter.
»Du kannst gehen! er thut Dir nichts!« beruhigte ihn die Königin, indem in ihrem Tone etwas wie fröhliche Genugthuung klang. Das ergrimmte ihn.
»Willst Du mich verhöhnen?« fuhr er auf. »Einer Schußwaffe ist selbst der Stärkste nicht gewachsen. Hätte ich ein Pistol bei mir gehabt, so wäre es wohl anders geworden, als Du dachtest!«
Er ging. Er hatte geglaubt, dabei auf den Beschützer der Königin zu stoßen; dies geschah aber nicht. Draußen am Thore blieb er stehen. Neben demselben lehnte, wie vorher, Tarik neben seinem Gewehre, und that, gleichgiltig in die Ferne blickend, gar nicht, als ob er den Riesen bemerke.
»Bist Du von hier fort gewesen?« fragte dieser.
»Wie darf ich meinen Posten verlassen?« antwortete der Gefragte mit gut gespieltem Erstaunen.
»Du warst nicht da drin?«
»Ich? Ich denke, Du bist drin gewesen!«
»Höre, Jüngling, meine nicht etwa, daß Du mit mir scherzen darfst! Ich frage Dich, ob Du jetzt drin gewesen bist, wo auch ich mich befand!«
»Ich brauche Dir nicht zu antworten. Aber da Du denken könntest, daß ich mich vor Dir fürchte, will ich es Dir sagen, daß ich es war.«
»Allah! Du hast auf mich gezielt?«
»Ja.«
»Du? Du? Hättest Du geschossen?«
»Meine Kugel hätte in demselben Augenblicke, an welchem Du die Königin berührtest, Deinen Kopf zerschmettert. Du warst klug, zurückzuweichen.«
Das Gesicht des Riesen nahm einen beängstigenden Ausdruck an. Es war, als ob ein Panther sich auf sein Opfer stürzen wolle. Er rief heiser aus:
»Und das sagst Du mir – mir – mir!«
»Ja!«
»Hund und Sohn eines – –«
»Halt! Kein Wort weiter und keine Bewegung!«
Falehd hatte wirklich Tarik packen wollen; dieser aber hatte blitzschnell sein Gewehr ergriffen und einen Seitensprung gethan. Der Riese sah den Lauf auf seine eigene Brust gerichtet und hielt an. Den Finger am Drücker, fragte der muthige Jüngling drohend:
»Du sagtest das Schimpfwort Hund. Wen meintest Du?«
Der Riese schwieg. Es giebt für den Beduinen keine größere Beleidigung, als ein Hund genannt zu werden. In diesem Falle ist der Beleidigte berechtigt, den Beleidiger sofort zu tödten, ohne die Blutrache fürchten zu müssen. Falehd erkannte, daß er hier abermals trotz seiner Körperstärke nichts machen könne. Er wußte, daß im Falle der Bejahung Tarik augenblicklich losdrücken werde, und doch bäumte sich sein Stolz dagegen auf, sich zu einer feigen Lüge zwingen zu lassen.
»Wen meintest Du?« wiederholte Tarik.
»Geht das Dich etwas an?« wich Falehd aus.
»Ja; ich war es, in dessen Gegenwart Du das Wort aussprachst. Ich habe nicht lange Zeit, zu warten. Also antworte! Meintest Du mich?«
Und als der Gefragte auch jetzt noch mit der Antwort zögerte, fügte Tarik hinzu:
»Antwortest Du nicht, so muß ich das Wort auf mich beziehen. Also, hast Du mich gemeint? Eins – zwei – –«
»Halt! Nein! Dich nicht!« stieß der Riese hervor.
»So gehe ruhig weiter!«
Er nahm zwar das Gewehr von der Backe, trat aber vorsichtig noch zwei Schritte zurück, damit er nicht durch einen schnellen Sprung Falehds in die Gewalt desselben gerathen und waffenlos gemacht werden möchte.
»Ja, ich gehe!« sagte dieser, tief Athem holend. »Aber Du hast Dein Gewehr gegen mich erhoben. Weißt Du wohl, was das heißt?«
»Das heißt, daß ich Dich im Verdacht hatte, mich beleidigt zu haben, da Du mir aber bekennst, daß dies nicht der Fall war, so bin ich befriedigt. Oder hättest Du vielleicht eine Lüge gesagt, um Dich zu retten?«
»Verdamm – –« er hielt inne. Er war im Begriff, eine zweite Beleidigung auszusprechen, und dann hätte ihn sicher keine zweite Lüge vom Tode errettet. Er schüttelte sich förmlich vor Grimm und fügte hinzu: »Dennoch hast Du die Waffe gegen mich erhoben. Das werde ich Dir nicht vergessen. Es kommt die Zeit, in welcher wir uns treffen!«
»Dann hoffe ich, daß wenigstens ich nicht aus Angst eine Lüge sage. Das ist eines tapfern Mannes unwürdig!«
Falehd mußte auch das hinnehmen, ohne sich augenblicklich rächen zu können. Er stieg langsam die Stufen hinab und holte dabei laut und keuchend Athem, jedenfalls aber nicht, weil ihm das Gehen Anstrengung machte.
»Er kocht vor Grimm!« raunte einer der auf den Stufen Sitzenden Tarik zu.
»Er hat aus Angst gelogen, er, der Stärkste des Stammes! Seine Ehre ist dahin!« antwortete dieser.
»Ja, seine Ehre ist dahin. Morgen werden es alle Frauen und Kinder wissen, daß Falehd die Unwahrheit sagte, weil er sich vor dem Sohne des Blitzes fürchtete. Allah hat ihn verlassen!«
Dann wurde es auf der Treppe und am Eingange der Ruine ruhig. Desto lebhafter aber ging es unten im Zeltlager und draußen vor demselben her.
Die Heerden wurden zusammengetrieben und rund um dieselben Feuer angezündet, um die wilden Thiere abzuschrecken. Das Abendgebet war, während Falehd sich bei Badija befand, gesprochen worden; es wurde schnell dunkel, und auch vor den Zelten des Lagers brannte ein Feuer nach dem anderen auf.
Dann kam ein Mann langsam die Ruinenstufen herauf. Er hatte ein langes, an einer Schnur hängendes Bret in der einen Hand und einen Hammer in der andern. Dieser Mann war der Mueddin, der Gebetsausrufer. Er hatte auch alle sonstigen Verkündigungen und Veröffentlichungen zu besorgen. Er blieb nicht da auf der obersten Stufe stehen, sondern er kletterte noch möglichst hoch an den Quadern des alten Gebäudes empor, um recht weit gehört zu werden. Dann hielt er das Bret an der Schnur frei und schlug mit dem Hammer dreimal an dasselbe. Das gab einen eigenthümlich melancholischen aber doch weithin dringenden Ton.
Sofort trat im Lager die größte Ruhe ein. Selbst die Thiere schienen diese Töne zu kennen, denn da, wo ein Hund gekläfft oder ein Schaf geblökt hatte, wurde es ebenso still. Und da ertönte die Stimme des Ausrufers von der Höhe herab:
»Hört, Ihr Gläubigen, Ihr Männer! Gesegnet seien die Weisen und gebenedeiet die Klugen! Allah giebt dem Alter die Kenntniß und dem grauen Kopfe alle Wissenschaft. Sie werden kommen und sich um das Feuer setzen, einen Rath zu halten zum Wohle des Stammes und zum Segen der Angehörigen. Allah öffne ihre Augen! Friede sei mit Allen!«
Das waren die allbekannten Worte, mit denen verkündigt zu werden pflegte, daß der Rath der Alten zusammentreten werde. Der Ausrufer stieg langsam und würdevoll wieder nieder, und nun flammte auf dem großen Zeltplatze ein Feuer empor, welches denselben vollständig beleuchtete. Von allen Seiten kamen sie herbei, die zur Versammlung gehörten, um an diesem Feuer Platz zu nehmen. Jeder Andere mußte in angemessener, ehrerbietiger Entfernung bleiben.
Tarik lehnte oben auf der Plattform der Treppe. Er hatte die Arme auf einen einzeln stehenden Steinquader gelegt und blickte herab auf die Zelte, welche, vorn von der Flamme beleuchtet, nach hinten lange, gespenstische Schatten warfen.
Er wußte, welch ein wichtiger Gegenstand nun da unten verhandelt werden solle. Es war ihm so weh um das Herz. Er hätte am Liebsten todt sein mögen, todt, nachdem er sie gerettet hatte! Er konnte die Versammelten nicht sehen; aber er hörte ihre lauten Stimmen, zuerst diejenige des Riesen, welcher die Versammlung begrüßte und zur ernsten Erwägung der wichtigen Sache ermahnte.
Da fühlte Tarik sich an der Schulter berührt. Er wendete sich um und sah die Königin vor sich stehen.
Sie trug den langen, weißen Frauenmantel. Fast ebenso weiß war jetzt ihr Gesicht. Dunkel nur schienen die Augen, in denen das kleine Bild der unten lodernden Flamme flackerte.
»Suchte er Streit mit Dir?« fragte sie.
»Ja, o Königin. Er nannte mich einen Hund.«
»Nein. Ich legte das Gewehr an, und da sagte er, daß er mich nicht gemeint habe.«
»So ist er ehrlos; aber gerade deshalb wird er die erste Gelegenheit benutzen, Dich zu tödten.«
»Ich werde auf meiner Hut sein. Willst Du wirklich in die Versammlung der Aeltesten gehen?«
»Ja. Ich muß. Ich darf nicht zugeben, daß er mir die Anhänger des Guten durch schmeichelnde Reden untreu macht. Wenn doch Hilal bald zurückkehrte! Meinst Du nicht, daß er bald wieder da sein könnte?«
»Er ist gut beritten. Ich erwartete ihn bereits gestern.«
»Meine einzige Hoffnung ruht auf ihm. Möge sie nicht enttäuscht werden. Ich gehe jetzt.«
»Allah sei mit Dir! Er segne Deine Worte!«
»Ich werde versuchen, die Aeltesten dahin zu bringen, daß sie heute noch nicht entscheiden, ob sich der Stamm für oder gegen den Vicekönig erklärt. Vielleicht kehrt unterdessen Dein Bruder zurück.«
Das Auge Tariks folgte ihrer lichten Gestalt, wie sie die Treppe hinabstieg und dann zwischen den Zelten verschwand. Nachher hörte er ihre Stimme, ohne aber die einzelnen Worte verstehen zu können. Andere Stimmen, männliche natürlich, erhoben sich für und auch gegen sie; sie antwortete wieder, und so verging eine ziemlich lange Zeit, bis man einen Entschluß gefaßt zu haben schien; denn es wurde still auf dem Versammlungsplatze, und dann kam die Königin wieder zwischen den Zelten hervor und die Treppe heraufgestiegen.
Sie trat nicht in das Innere, sondern ging um die Ecke des Gemäuers herum, an Tarik vorüber.
»Komm!« sagte sie im Vorbeigehen.
Er folgte ihr. Hier, an der breiten Seite der Ruine, gab es ein Wirrwarr von über- und durcheinander gestürzten Steinen. Mitten drin lag ein kleines, freies Plätzchen, durch hohe Quader von der Umgebung abgeschlossen. Das war der Lieblingsaufenthalt der Königin. Hier pflegte sie des Abends stundenlang zu sitzen, um mit träumerischem Blicke den Gang der Sterne zu verfolgen, welche hier im Süden ganz anders leuchten, als in dem kalten, lichtarmen Norden.
Tarik hatte in stillen, einsamen Stunden über ihre Sicherheit gewacht; nie aber war ihm das Wagniß in den Sinn gekommen, das Plätzchen zu betreten. Nur dann, wenn sie zur Ruhe gegangen war, hatte er sich hingeschlichen, um den Stein zu küssen, welcher der Herrlichen als Sitz gedient hatte. Jetzt nun forderte sie selbst ihn auf, ihr dorthin zu folgen. Er schloß daraus, daß sie ihm sehr Wichtiges zu sagen habe.
Sie setzte sich auf dem ihm so wohlbekannten Stein nieder und deutete auf einen daneben liegenden.
»Setze auch Dich, Tarik! Ich habe mit Dir zu sprechen. Meinst Du, daß man uns belauschen werde?«
»Nein. Den Weg links herauf kennt Niemand als Du, ich und mein Bruder. Und hier von rechts kann Keiner kommen, ohne die Treppe zu ersteigen. Meine Leute würden mich rufen.«
»Horch! Hast Du etwas gehört?«
»Ein Schakal bellte draußen am Rande der Wüste.«
»Nein, das meine ich nicht. Ich glaubte, daß sich etwas hier links von uns bewegt habe.«
»Das ist unmöglich. Der Hauch des Abends hat sich erhoben; er streicht durch das Gemäuer.«
»Vielleicht war es der Wind, oder es hat sich ein Stein gelöst. Hast Du Alles gehört, was Falehd heute zu mir sagte?«
»Ja, Alles, o Herrin!«
»Nenne Du mich nicht Herrin! In kurzer Zeit werde ich vielleicht elender und ärmer sein, als die niedrigste Magd oder Sclavin.«
»Das wolle Allah verhüten!«
»Ich bete ebenso. Vielleicht sendet er mir einen Engel, um mich zu erretten. Ich habe jetzt Falehd besiegt. Er und die beiden Fremden sprachen gegen den Pascha von Egypten. Sie drangen auf eine schnelle Entscheidung; ich aber habe es durchgesetzt, daß man damit warte, bis es sich zeigt, wer Scheik des Stammes sein wird. Dies ist mein Sieg. Nun aber wird das Schlimme folgen. Ich bin aus der Versammlung gegangen, denn man begann über mich zu berathen. Das Jahr ist vorüber, und der Stamm verlangt einen Anführer, dessen Weib ich sein muß. Falehd wird das sein.«
Sie schwieg eine Weile. Tarik sagte nichts. Er sah sinnend vor sich nieder. Sein Entschluß war gefaßt, er wollte sie nur vorher aussprechen lassen. Er fühlte, wie schnell ihr Athem ging, und als sein Auge an ihr langsam emporglitt, sah er aus der schweren Bewegung ihres Busens, wie erregt sie war.
»Kennst Du ein Mittel der Rettung?« fragte sie.
»Den Kampf,« antwortete er.
»Ein Kampf mit Falehd wird mir keine Rettung bringen. Keiner vermag ihn zu besiegen.«
»Auch ich nicht?«
»Auch Du nicht.«
»Herrin, willst Du mir wehe thun?«
»Nein, o nein! Du bist der Treueste, den ich kenne. Du würdest Dein Leben für mich wagen; aber ich weiß es, daß Du es geben müßtest, und er würde doch der Sieger sein. Ich müßte dann ihm doch gehorchen.«
»Ich bin ihm im Schießen und Messerfechten überlegen.«
»Das wissen Alle, und auch er weiß es. Darum wird er den Faustkampf wählen. Ich bin es überzeugt.«
»Ich leider auch. Ein einziger Faustschlag von ihm genügt, einem Menschen den Schädel zu zerbrechen; aber ich werde mir Mühe geben. Vielleicht schützt mich Allah!«
»Nein, das darfst Du nicht. Es giebt noch ein Mittel, außer dem Kampfe, mich zu retten.«
»Sage es! Was es auch sei, rechne auf mich!«
»Die Flucht.«
Er erschrak und zögerte darum, zu antworten.
»Hältst Du sie für unmöglich, da Du erschreckst?«
»Für unmöglich nicht, aber für gefährlich für Dich.«
»Ich hatte auf Deinen Schutz gerechnet.«
»Ich habe ihn Dir bereits zugesagt. Wohin wolltest Du Deine Flucht lenken?«
»Nach Hause, zu den Beni Abbas.«
»So bedenke, daß wir heimlich fort müßten. Nur ich und mein Bruder könnten Dich begleiten. Niemand weiter dürfte etwas ahnen oder wissen. Für eine so weite Wüstenreise aber brauchten wir viele Lastkameele, um das Wasser und den Proviant zu tragen. Wie bringen wir diese Thiere zusammen und dann fort, ohne daß man es merkt? Und selbst wenn es uns gelänge, so würde unsere Reise mit diesen Lastthieren eine langsame sein, während die Verfolger uns auf ihren Eilkameelen schnell einholen würden. Von den feindlichen Stämmen, deren Gebiet wir berühren müßten, will ich gar nicht sprechen.«
»So fliehen wir über Egypten!«
»Das könnte eher gelingen. Wohin aber wollten wir uns von Kairo aus wenden?«
»Wir würden auf einem Schiffe nach Westen fahren, oder eine Karawane nach Barka benutzen.«
»Dazu gehört Geld, viel Geld.«
»Ich habe es. Ich habe mehr, als wir dazu brauchen. Würdest Du mich begleiten?«
»Ich würde mit Dir hingehen, wohin Du willst!«
»Und Hilal, Dein Bruder?«
»Er würde mich und Dich nie verlassen. Aber welchen Weg wir auch wählen würden, er brächte Dich in große Gefahr. Bleibe hier und erlaube mir, mit Falehd zu kämpfen!«
»Er tödtet Dich!«
»So bist Du doch von ihm erlöst!«
»O nein. Ich wäre ja der Preis!«
»Willst Du nicht an die Blutrache denken? Mein Bruder hätte mich zu rächen.«
»Auch er würde besiegt.«
»O nein. Er hätte ja nicht nöthig, sich auf einen Faustkampf einzulassen. Er kann diejenige Waffe gebrauchen, welche ihm beliebt. Er kann sogar Falehd hinterrücks niederschießen, wo er ihn nur immer sieht. Für ihn würde es keine Gefahr geben. Du wärst ganz gewiß von dem Verhaßten befreit!«
»Aber Du wärst ja todt!«
»Was ist mein Leben gegen den Gedanken, Dich frei zu sehen! Ich gebe es gern hin!«
»Ich glaube es Dir. Aber das Leben ist das höchste Gut der Erde. Allah will nicht, daß man es wagt, wenn man sicher weiß, daß dieses Wagniß mißlingen werde. Und meinst Du, daß ich glücklich sein würde bei dem Gedanken, daß ich meine Freiheit nur Deinem Tode zu verdanken habe?«
»Was kann Dir an mir liegen?«
Sein Herz war zum Zerspringen voll. Er hätte gleich, in diesem Augenblicke, sein Leben hingegeben, so sehr liebte er sie. Es drängte ihn, von seiner Liebe zu sprechen. Aber durfte er das? Sie war noch nicht frei; sie war von dem Rathschlusse der Versammlung abhängig. Und durfte er einen Lohn für sein Wagniß verlangen? Das hätte er ja gethan, wenn auch indirect. Er hätte ja dann gemeint: Ich kämpfe mit Falehd, weil ich Dich liebe, und wenn ich ihn ja besiege, mußt Du mein Weib werden. Er wollte sie nicht als Lohn besitzen. Er hätte nur dann nach ihrem Besitz trachten können, wenn auch sie ihn liebte. Er wollte sie erretten, nur retten. Dann wollte er sie frei geben. Wählte ihr Herz ihn dann freiwillig, so war sein Glück ein doppeltes.
Und auch sie schwieg. Wie gern hätte sie ihm gesagt, daß sie ihm sein Wagniß verboten habe, weil sie ihn liebe. Aber grad das Geständniß ihrer Liebe hätte ihn in seinem Vorsatze bestärkt, sein Leben zu wagen. Darum sagte sie lieber nichts.
So saßen Beide stumm neben einander. Es gab eine Pause, während welcher Beide mit sich selbst kämpften, bis endlich Badija sagte:
»Was mir an Dir liegt? Du bist der treueste meiner Freunde. Dein Verlust würde mich sehr schmerzen, und darum ist es besser, wir fliehen.«
»So müssen wir vorher Hilal's Rückkehr erwarten.«
»Allah gebe, daß er schnell kommt, sonst vergehen die drei Tage, nach deren Verlauf ich Falehd gehören müßte.«
»Darum ist es besser, ich kämpfe mit ihm!«
»Nein, nein, das darfst Du auf keinen Fall. Ich verbiete es Dir!«
»O Allah! Was soll ich thun!«
»Mir gehorchen.«
»Soll ich mich vor mir selbst schämen?«
»Das brauchst Du nicht.«
»O doch! Bald wird der Ausrufer den Beschluß der Versammlung verkündigen. Er wird dreimal laut fragen, ob Einer mit Falehd kämpfen will – und ich schweige!«
»Der ganze Stamm weiß, daß ich es Dir verboten habe. Horch! Was war das für ein Geräusch da zu unserer Linken?«
»Es war ganz wie vorhin: ein Steinchen fiel von der Mauer. Der Luftzug hatte es herabgeworfen.«
Es trat wieder eine Pause ein. Diese beiden guten und schönen Menschenkinder hätten sich am Liebsten einander in die Arme geworfen. Es ist beinahe so, wie ein berühmter Arzt gesagt hat: »das Herz ist der allerdümmste Muskel im menschlichen Körper!«
Ein lebhaftes Geräusch drang vom Versammlungsplatze herauf. Tarik erhob sich von seinem Sitze und sagte:
»Man ist zu Ende. Nun wird der Beschluß verkündet. Erlaube, daß ich nach der Treppe gehe!«
Er wendete sich nach vorn; aber augenblicklich stand sie bei ihm. Ihn am Arme festhaltend, sagte sie:
»Bleibe hier! Ich lasse Dich nicht fort!«
»Man wird es vielleicht bemerken, daß ich hier bei Dir bin!«
»Mag man es immerhin erfahren!«
»Aber da vorn ist mein Platz!«
»Jetzt ist Dein Platz hier bei mir! Lasse ich Dich von hier fort, so meldest Du Dich zum Kampfe.«
Da er nicht antwortete, so ersah sie daraus, daß sie das Richtige getroffen hatte. Sie fügte also hinzu:
»Versprich' mir, Dich nicht zu melden, so will ich gehen!«
»Ich kann es nicht versprechen.«
»So bleibe ich hier und Du bleibst auch!«
Sie ergriff ihn auch mit der anderen Hand und zog ihn nach dem Steine zurück, auf welchem er vorher gesessen hatte. Dabei strauchelte sie; er legte schnell den Arm um sie, um sie fest zu halten. Dabei kam ihr Kopf an seine Schulter zu liegen. Er wußte es selbst nicht, wie es so schnell kam, aber plötzlich lag sein Mund auf ihren Lippen – ein Kuß – zwei – drei Küsse!
»O Allah! Was thun wir!« flüsterte sie.
»Verzeihe mir!« stotterte er in höchster Verlegenheit. »Ich wollte es nicht. Ich weiß nicht – es kam – es war –«
»Horch!«
Sie unterbrach mit diesem Worte seinen Versuch, sich zu rechtfertigen, denn seitwärts von ihnen kletterte jetzt der Ausrufer am Gemäuer empor. Droben angekommen, schlug er dreimal an das Bret.
Alle Angehörigen des Stammes wußten, über welchen Gegenstand die Aeltesten zu berathen hatten. Es galt das Glück und die Zukunft der Königin. Als jetzt die drei Schläge ertönten, richteten sich Aller Augen zur Ruine empor. Und da erklang die Stimme des Rufers:
»Hört meine Stimme und preiset Allah, der die Welt erleuchtet und dem Alter Verstand und Weisheit giebt! Es ist im Rathe der Aeltesten beschlossen worden, den verwaisten Beni Sallah einen neuen Scheik zu geben. Wer wird es sein, Ihr Gläubigen? Falehd wird es sein, der Bruder des Verstorbenen. Falehd, oder Derjenige, welcher ihn im Kampfe auf Leben und Tod besiegt. Darum wird die Stimme des Fragenden an drei auf einander folgenden Abenden ertönen, ob es einen Tapferen giebt, welcher kämpfen will. Drei Fragen an jedem Abende, macht neun Fragen. Ist die neunte ohne Antwort erschallt, so gehört Badija, die Wittwe und Königin, dem Bruder des Verstorbenen.«
Das ganze Lager harrte lautlos der folgenden Augenblicke. Ein Jeder wußte, daß sich wohl Keiner melden werde, denn eine solche Meldung war eine Anweisung an den sicheren Tod. Der Ausrufer beendete seine Kunstpause, indem er fortfuhr:
»So ertöne denn die erste Frage! Giebt es einen, welcher mit Falehd kämpfen will um den Besitz der Königin der Wüste?«
Tarik wollte aufstehen und antworten. In ihrer Herzensangst schlang die schöne, jungfräuliche Wittwe beide Arme um ihn und bat flehend:
»Still! Um Allah's willen, sei still! – Horch!«
Ein lautes »Ich!« war erklungen, vorn in der Gegend der Treppe. Kein Mensch hatte dies erwartet, selbst der Ausrufer nicht. Daher dauerte es eine ganze Weile, bis er in seinem maßlosen Erstaunen sich auf seine Pflicht besann, die weitere Frage zu thun:
»Wer bist Du? Wie lautet Dein Name?«
»Ich bin Hilal, der Sohn des Blitzes!«
Das setzte alle Hörer in Erstaunen. Alle wußten, daß Hilal einen sehr weiten Ritt unternommen hatte. Zwar war er bei seinem Scheiden so verschwiegen gewesen, ihnen nicht zu sagen, welcher Art sein Ziel sei, aber es hatte Keiner ihn wiederkommen sehen. Und nun ertönte seine Stimme von der Ruine herab.
»Hilal ist da! Er will mit ihm kämpfen!« stieß Tarik hervor. Das darf nicht sein! Laß mich, laß mich fort! Ich muß zu ihm, zu ihm!«
Er riß sich los und eilte nach vorn. Dort lehnte Hilal an ganz demselben Steine, an welchem vorhin Tarik gestanden hatte, um hinab in die Versammlung zu lauschen.
»Hilal, mein Bruder! Du bist zurück?«
»Ja. Allah grüße Dich!«
»Dich auch!«
Sie lagen sich in den Armen. Bald aber riß Tarik sich auch von ihm los, an die Gefahr denkend, in welche sich der geliebte Bruder seinetwegen stürzte.
»Um des Himmels willen! Du willst mit ihm kämpfen?«
»Ja.«
»Er tödtet Dich!«
»Warten wir es ab!«
Das klang so trotzig und so siegesgewiß. Tarik aber war nicht derselben Meinung; er entgegnete:
»Du darfst nicht. Ich werde es thun!«
»So tödtet er Dich!« lachte Hilal.
»Eher mag er mich als Dich tödten! Aber Du lachst?«
»Ja! Ich lache.«
»Die Sache ist so ernst!«
»Warte es ab!«
Das war eben so räthselhaft wie sein Lachen.
»Ich verstehe Dich nicht. Wann bist Du gekommen?«
»Vor kurzer Zeit.«
»Ich habe doch nichts gehört und nichts gesehen.«
»Ich kam heimlich und bringe gute Botschaft. Horch!«
Der Ausrufer hatte sich jetzt nun auch von seinem Erstaunen erholt, in welches er durch den Namen Hilals versetzt worden war. Er begann zum zweiten Male:
»Hört, Ihr Gläubigen! Ein Kämpfer hat sich gefunden, ein wackerer Held, welcher –«
»Welchen ich fressen werde, wie die Sonne das Wasser frißt!« ertönte von unten Falehd's laute Stimme.
»So ertönt also meine Frage zum zweiten Male: Giebt es noch Einen, welcher mit ihm kämpfen will?«
»Ja,« antwortete es auch jetzt.
»Wer bist Du?«
»Tarik, der andere Sohn des Blitzes.«
Hinter den Steinen hervor erscholl ein unterdrückter Schrei, den die Königin ausgestoßen hatte.
»Wundere Dich nicht,« flüsterte Tarik. »Badija ist dort hinten und hat unsere Namen gehört.«
»Ich weiß es.«
»Ah! Woher? Kein Mensch hat sie gesehen.«
»Ihr seid doch gesehen und gehört worden.«
Tarik wollte fragen, von wem, aber da ließ sich Falehd abermals hören:
»Er wird seinem Bruder in die Hölle nachfolgen, wo sie heulen und wimmern werden in alle Ewigkeit! Frage weiter, Mueddin, ob sich wohl ein Dritter finden wird, der so wahnsinnig ist, mit mir zu kämpfen!«
Eine solche Scene hatte es bei den Beni Abbas noch nie gegeben. Selbst der Ausrufer war unterbrochen worden, ein höchst sündhaftes Beginnen in den Augen dieser einfachen und frommen Menschen. Er hatte Falehd's Aufforderung gehört und rief abermals von oben herab:
»Es ertöne nun zum dritten Male die Frage: Giebt es noch Einen, welcher mit ihm kämpfen will?«
Die Hörer waren auf das Vollständigste überzeugt, daß sich nun Niemand mehr melden werde. Sie gaben die Brüder verloren. Welch ein Dritter hätte es wohl unternehmen wollen, ihrem Beispiele zu folgen! Aber man hatte sich da doch geirrt.
»Ja!« erscholl es laut und kräftig, ohne daß man sagen konnte, aus welcher Gegend.
Man horchte nach allen Richtungen, vergebens.
»Wer war das?« fragte Tarik.
»Du wirst es hören,« antwortete Hilal.
»Ah, Du weißt es?«
»Ja, horch!«
»Wer bist Du? Wie nennst Du Dich?« rief der Mueddin, dem es kalt über den Rücken lief, denn es kam ihm vor, als sei die Stimme aus dem Himmel herabgedrungen.
»Ich bin Masr-Effendi, den noch Keiner besiegt hat.«
Masr heißt bei den Arabern das Land Egypten. Den Namen Masr-Effendi hatte noch Niemand gehört.
»Wir kennen Dich nicht und wir sehen Dich nicht,« rief der Mueddin. »Wo bist Du?«
»Hier!«
In diesem Augenblicke stieg zischend ein Feuerstrahl aus den Ruinen empor und bildete hoch über denselben einen farbigen Flammenkranz, aus welchem leuchtende Kugeln schossen. Dadurch wurde das ganze Lager tageshell erleuchtet und man sah oben auf der Zinne des Gesteines eine hohe, breitschulterige Gestalt stehen, in der einen Hand das Gewehr und in der anderen das Messer wie drohend ausstreckend. Dann verloschen die Flammen und Kugeln, so daß es wieder dunkel wurde, scheinbar dunkler, als es vorher gewesen war.
»O Allah! Allah! O Muhammed! O Du Prophet!«
Diese und andere Ausrufe erschollen im Lager. Der Mueddin aber warf sein Bret von den Ruinen herab, schleuderte demselben den Hammer nach und sprang dann selbst mit solcher Eile von Stein zu Stein herunter, als ob er partout den Hals brechen wollte, und schrie dabei aus vollem Halse:
»Hilfe! Hilfe! Der böse Dschinn! Der böse Geist der Ruinen ist's gewesen. Eilt, Ihr Gläubigen! Flieht, Ihr Helden! Bringt Euch in Sicherheit, Ihr Väter, Euch, Eure Frauen und Töchter, Eure Söhne und Kinder und Enkel und Enkelkinder!«
Er sauste förmlich an Tarik und Hilal vorüber und schoß dann der Treppe zu. Dort stürzte er über einen der Wächter weg und fuhr dann auf der hinteren Hälfte seines Körpers wie ein Schlitten die Stufen hinab. Unten angekommen, raffte er sich aber augenblicklich wieder empor und sprang zu gleichen Beinen immer weiter, dabei rufend:
»Fort, fort! Die Hölle ist geöffnet und die bösen Geister strömen heraus wie die Heuschrecken zur Zeit ihrer Wanderschaft. Keiner kann ihnen entgehen, wenn er sich nicht augenblicklich in Sicherheit bringt!«
Er rannte mitten in die Versammlung der Aeltesten, welche noch ganz erstarrt standen, hinein und versuchte mittelst Püffe und Ellbogenstöße durchzudringen. Da aber packte ihn Falehd mit kräftigen Armen und rief:
»Halt! War das wirklich ein böser Dschinn, so mußt Du bleiben, denn nur Du kannst ihn bannen, da Du allein ein Kenner des Koran bist!« –
Das so wunderbare Ereigniß war eigentlich sehr leicht zu erklären. Steinbach war mit ausgezeichneten Reitkameelen versehen worden, und da er vorher die Dampfyacht des Lords benutzt hatte, so war seine Reise mit außergewöhnlicher Schnelligkeit von statten gegangen.
Hilal hatte natürlich den Führer gemacht. Während der größten Hitze des heutigen Tages hatten sie geruht, sonst wären sie ganz sicher auf Ibrahim-Pascha und Zykyma gestoßen, deren Spuren sie schon längst gemerkt hatten, ohne zu ahnen, wer vor ihnen ritt.
Sie brachen erst wieder auf, als die Sonne drei Viertheile ihres Bogens zurückgelegt hatte. Darum kamen sie erst nach angebrochener Dunkelheit in der Nähe des Lagers an.
Da erklangen die drei Schläge des Ausrufers von der Gegend her, in welcher das letztere lag.«
»Was ist das?« fragte Normann.
»Der Mueddin jedenfalls,« antwortete Steinbach. »Unerklärlich ist mir freilich, daß er jetzt das Zeichen giebt. Die Zeit des Gebetes bei Sonnenuntergang ist ja vorüber. Wollen einmal Hilal fragen.«
Dieser erklärte ihnen:
»Das ist nicht das Zeichen des Gebetes, sondern das ist der Aufruf zur Versammlung der Aeltesten. Jetzt wird man entscheiden, ob die Beni Sallah Freunde oder Feinde des Pascha von Egypten sein sollen.«
»Ah! Wer dabei sein könnte!«
»Und ebenso wird über die Königin entschieden werden. Sie wird Falehd zugesprochen und der Mueddin wird dies später verkündigen und dabei fragen, ob Jemand mit Falehd um sie kämpfen will.«
»Wird sich Jemand melden?«
»Keiner außer Tarik, meinem Bruder.«
Während der mehrtägigen Reise hatte Hilal so viel von den Beni Sallah und ihrem Lager erzählt, daß seine Begleiter die Verhältnisse nun sehr genau kannten. Darum sagte Steinbach:
»Dein Bruder wird aber unterliegen!«
»Ich befürchte es. Allah sei Dank, daß wir noch zur rechten Zeit kommen. Auch ich werde mich melden.«
»Gut! Ich auch.«
»Du?« fragte Hilal verwundert.
»Ja,« antwortete Steinbach. »Ich bin doch begierig, zu erfahren, ob dieser Falehd wirklich so ein Held und Riese ist. Oder dürfte ich nicht?«
»Warum nicht? Niemand kann es Dir verbieten. Möchtest Du denn Scheik des Stammes werden?«
»Nein.«
»Oder die Königin zum Weibe haben?«
»Auch das nicht. Aber erkämpfen möchte ich sie mir, um sie dann Einem zu schenken, der sie und den sie liebt.«
»O Allah! Ist das Dein Ernst?«
»Natürlich!«
»Aber der Riese geht nur auf den Faustkampf ein. Er wird Dich tödten!«
»Da habe nur ja keine Sorge! Im Faustkampfe überwindet er mich nicht. Ich glaube vielmehr, daß ich es mit zwei oder drei solchen Riesen aufnehmen kann.«
»So muß Allah Dir die Kraft des Elephanten verliehen haben.«
»Das ist nicht nöthig. Weißt Du, Hilal, ich kenne einen Hieb, dem Keiner widersteht; das ist die Sache. Aber was ist das für ein hoher, dunkler Gegenstand, der da vor uns emporsteigt?«
»Das ist die Ruine, von welcher ich Euch erzählt habe.«
»Und wer kommt da?«
»Jedenfalls ein Wächter des Lagers. Dazu werden Jünglinge genommen, welche noch nicht alt und stark genug zum Kampfe sind. Sie haben während der Nacht das Lager zu umstreichen, damit dasselbe nicht plötzlich überfallen werde. Ich will ihm ein Zeichen geben.«
Er hielt sein Kameel an und ließ einen halblauten Pfiff hören. Der Wächter erkannte ihn an demselben als einen Angehörigen des Stammes und kam herbei.
»Wer seid Ihr?« fragte er an dem hochrückigen Reitkameele hinauf.
»Ich bin es, Hilal. Wie geht es im Lager?«
»Es ist Alles in Ordnung. Bringst Du Gäste?«
»Ja. Ich hörte das Zeichen des Mueddin. Was wird von den Aeltesten berathen?«
»Ich weiß es nicht genau. Aber es ist vorgestern ein Pascha der Russen gekommen und heute kam auch ein Pascha des Großsultans.«
»Kennst Du seinen Namen?« fragte da Steinbach rasch.
»Nein.«
»Welche Begleitung hatte der letztere Pascha?«
»Er kam nur mit seinem Weibe und einem Diener.«
»Wo wohnen die beiden Pascha?« fragte Hilal.
»In den Gastzelten am großen Platze. Der Andere, der Russe, ist allein gekommen. Man wird wohl über den Pascha von Egypten berathen und sodann wird Falehd die Königin begehren.«
Steinbach's Aufmerksamkeit war im höchsten Grade erregt. Ein russischer und ein türkischer Pascha, der Letztere mit Weib und Diener. Sollte es Ibrahim Pascha mit Zykyma und dem braven Arabadschi sein? Das war doch kaum denkbar. Was wollte denn Ibrahim bei den Sallah Beduinen?
Er berieth sich leise und kurz mit Normann und sagte dann zu Hilal:
»Ist es nicht vielleicht möglich, in das Lager zu kommen, ohne großes Aufsehen zu erregen?«
»Es ist möglich. Warum wünschest Du das?«
»Ich glaube, daß einer der beiden Pascha ein Mann ist, den ich suche und der mir entfliehen würde, wenn er mich bemerkt, ohne daß ich ihn sofort sehe.«
»Er ist ein Gast des Lagers. Du wirst ihm nichts Böses thun dürfen.«
»Das weiß ich sehr wohl. Ich habe auch nicht die Absicht, ihm Böses zuzufügen, so lange er sich in Eurem Lager befindet; aber ich wünsche nicht, daß er dieses Lager ohne mein Wissen wieder verläßt. Kommen wir jetzt mit unseren Reit- und Packthieren an, so erregen wir großes Aufsehen und der Mann kann mich sehen, ehe ich ihn bemerke. Dann flieht er sicherlich. Könnte ich aber heimlich –«
»Es geht, es geht!« fiel Hilal ein. »Steigt nur ab, ich werde Euch führen. Unsere Thiere mögen sich hier legen, bis wir sie holen. Dieser Wächter wird mit unseren Fellahs bei ihnen bleiben.«
Steinbach hatte nämlich mehrere Fellahs gemiethet. Sie waren zur Bedienung unumgänglich nöthig. Er stieg mit Normann, Hilal und Hiluja ab.
»Wie freue ich mich, daß ich zur rechten Zeit komme, um auf die Aufforderung zum Kampfe antworten zu können!« wiederholte Hilal. »Man ahnt gar nicht, daß ich wieder da bin. Wie wird man sich wundern, wenn ich plötzlich von der Ruine herab antworte!«
»Wie ist das möglich? Und was hat es mit der Aufforderung für eine Bewandtniß?« fragte Steinbach.
Hilal beschrieb dem Frager, wie es dabei zuzugehen pflege. Als er geendet hatte, meinte Steinbach:
»Wie werden sie sich wundern, wenn sich ganz unerwartet Zwei zum Kampfe melden!«
»Wollen Sie sich wirklich mit dem Menschen in einen Ringkampf einlassen?« fragte Normann in deutscher Sprache.
»Ja. Warum nicht? Gönnen Sie mir das Vergnügen nicht?«
»Sehr gern, wenn es beim Vergnügen bleibt.«
»Was sollte es sonst sein?«
»Sie wissen, daß ich keineswegs ein Hasenfuß bin, aber nach der Beschreibung Hilal's ist dieser Falehd wirklich eine Art Simson, vor dem man sich in Acht zu nehmen hat. Da kann aus dem Spaße leicht Ernst werden.«
»Pah! Sie kennen mich. Ich habe Ihnen ja bereits Proben meiner Körperkraft gegeben. Und in Beziehung auf die Gewandtheit nehme ich es sicher mit diesem halbwilden Araber auf. Ich will Ihnen anvertrauen, daß ich ein ausgezeichneter Boxer bin. Davon versteht dieser Falehd wohl gar nichts. So ein richtiger Augen-, Mund-, Achselgruben- oder Magenhieb wird ihn wohl nicht nur aus der Fassung bringen. Wie gesagt, ich freue mich auf diese Prügelei. Man hat so wenig Gelegenheit, einen richtigen Hieb anzubringen, daß es die reine Sünde wäre, diese jetzige unbenutzt vorübergehen zu lassen.«
»Nun, thun Sie, was Sie wollen!«
»Das werde ich allerdings. Uebrigens giebt es auch einen sehr menschlichen und moralischen Grund. Nämlich Tarik und Hilal sind prachtvolle Kerls, dem Riesen aber im Faustkampfe nicht gewachsen. Die Königin wäre für Tarik verloren. Ich werde mich also seiner annehmen und sie für ihn erkämpfen.«
»Das ist allerdings ein Grund, den ich gelten lassen muß. Und da kommt mir ein Gedanke. Wenn wir uns auf eine ungewöhnliche Art und Weise einführen, wird man doppelten Respect haben. Der Khedive hat uns zu den Gewehren und der Munition, welche als Geschenk für den Stamm bestimmt sind, einiges Feuerwerk mitgegeben. Wie wäre es, wenn Sie sich unter dem Lichte eines Schwärmers, einer Rakete oder verschiedener Leuchtkugeln präsentirten?«
»Ah, das ist nicht übel! Nehmen wir also so Etwas mit!«
Dies geschah. Als dann Steinbach meinte, daß Hiluja wohl bei den Kameelen zurückbleiben müsse, sagte Hilal:
»Nein. Sie geht mit uns. Das giebt eine sehr große Ueberraschung für die Königin. Diese wird in der Versammlung erscheinen und also nicht in ihrer Wohnung sein. Dorthin bringen wir Hiluja. Wenn die Königin zurückkehrt, findet sie ihre Schwester.«
Nachdem die Zurückbleibenden gehörig instruirt worden waren, setzten sich die drei Männer mit der Araberin in Bewegung. Diese Letztere zitterte förmlich vor Freude, nun endlich die Schwester zu sehen. Als sie sich gehörig weit von ihren Kameelen entfernt hatten, erklärte Hilal:
»Ich konnte Euch unseren Weg nicht beschreiben, da der Wächter nichts von ihm hören darf.«
»Ist denn ein Geheimniß dabei?«
»Ja. Ich habe ihn entdeckt und dieß nur meinem Bruder und der Königin mitgetheilt. Die Männer des Stammes werden sich, außer den Wächtern, in der Nähe des Versammlungsplatzes befinden. Wir können also unbemerkt bis an den Fuß der Ruine gelangen. Dort befindet sich der verborgene Eingang, den ich meine. Es ist gut, solche Geheimnisse zu bewahren.«
Sie schlugen einen Bogen um das Lager herum bis dahin, wo die Zelte nicht mehr nahe beisammen standen. Hilal's Voraussetzung erwies sich als richtig: Es war kein Mensch zu sehen. Dennoch suchten sie nur die schattigen Stellen auf und gelangten ganz unbemerkt bis an den Fuß des einstigen festungsartigen Gebäudes.
»Hier ist der Stein,« sagte der Beduine, auf einen der riesigen Quadern deutend, aus denen der untere Theil der Mauer bestand.
»Läßt er sich denn bewegen?«
»Nur von Dem, der es weiß.«
Er kniete nieder und drückte an einer Seite des Steines. Der letztere wich nach innen, und nun zeigte es sich, daß er nicht ein kubischer Quader, sondern eine verhältnißmäßig dünne Platte war, welche auf unsichtbaren Rollen zurückgewichen war. Es öffnete sich vor ihnen ein schmaler und so hoher Gang, daß ein Mann da gehen konnte. Die Platte wurde zurückgeschoben und die Vier schritten langsam in den Gang hinein, Hilal voran, sie darauf aufmerksam machend, wie sie zu gehen hatten.
Sie hatten sich noch nicht weit in gerader Linie fortbewegt, so führte eine Treppe sie aufwärts. Oben angekommen, sagte Hilal:
»Hier wollen wir eins von den Hölzern anbrennen, die Ihr bei Euch habt.«
Dies geschah, und beim Scheine des Wachshölzchens sahen sie, daß ein Gang geradeaus, ein anderer nach links und eine Treppe weiter aufwärts führte.
»Dieser Gang geradeaus führt nach der Wohnung der Königin,« erklärte Hilal. »Dorthin werde ich Hiluja führen. Die Treppe geht hinauf zur Spitze der Ruine. Da Niemand sie kennt, ist auch noch Niemand außer uns hinaufgekommen. Und der andere Gang führt nach einem Theile der Ruine, wo Ihr den Platz der Versammlung überblicken könnt. Folgt mir dorthin. Hiluja mag hier warten, bis ich wiederkomme.«
Er schritt den Beiden voran, in das Dunkel hinein, aus welchem ihnen endlich die Sterne wie aus einem Fernrohre entgegenfunkelten. Ihr Führer bat, hier einige Augenblicke zu warten, und schlich allein weiter. Als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, sagte er:
»Es war sehr gut, daß ich erst erforschte, ob uns Jemand bemerken würde. Ich bringe Euch an einen Ort, in dessen Nähe sich gerade jetzt die Königin mit meinem Bruder befindet. Ihr müßt sehr leise auftreten, um nicht gehört zu werden, wenn Ihr Euch die Freude der Ueberraschung nicht verderben wollt. Kommt jetzt.«
Sie folgten ihm hinaus, wo die Steinquader wirr über- und durcheinander lagen.
»Da sitzen sie,« flüsterte er, nach rechts deutend. »Wirst Du Dich wirklich zum Kampfe melden, wenn der Mueddin fragt?«
»Ja, ganz gewiß.«
»So thue es erst nach mir. Du bist der Fremde und wirst mir das Vorrecht lassen. Jetzt gehe ich, um Hiluja weiter zu führen.
Er ging und die beiden Zurückbleibenden hatten Gelegenheit, Tariks Unterhaltung mit der Königin zu belauschen. Bald aber zog Steinbach Normann eine Strecke nach links hin mit sich fort, um von den Belauschten nicht selbst gehört zu werden, und sagte dort:
»Wissen Sie, lieber Freund, ich denke, wenn ich mich bei magischer Beleuchtung präsentiren will, so würde das am Besten da oben auf der Spitze sein. Das macht Eindruck, weil die Leute hier nicht denken, daß man da hinaufzukommen vermag. Meinen Sie dasselbe nicht auch?«
»Ja. Steigen wir also nach oben!«
»Nein, Sie müssen hier bleiben. Wollten wir die Racketen von oben abbrennen, so würde der Effect verfehlt werden. Die Füllung darf nicht allzu hoch über mir platzen. Ich gehe also allein, und Sie bleiben hier, um das Dings hier in Brand zu stecken.«
»Werde ich den geeigneten Augenblick auch treffen?«
»Ich denke es. Der Mueddin ruft ja laut und ich antworte auch laut. Sie werden also sehr leicht wissen, wann die richtige Zeit gekommen ist.«
»Und wie finden wir uns dann wieder? Soll ich vielleicht hinauf kommen?«
»Nein, sondern ich komme herab. Das ist das Beste. Also, passen Sie auf!«
Er ging und Normann traf seine Vorkehrung. So leise sie sich bewegt hatten, sie waren doch von Tarik und der Königin gehört worden, nur hatten die Beiden geglaubt, daß sich irgendwo ein Steinchen gelöst habe und herabgefallen sei.
Das Zündhölzchen in der Hand wartete Normann. Er hörte die Töne des Hammers auf dem Brete, die erste und zweite Frage des Mueddin nebst den beiden darauf folgenden Antworten. Dann, als Steinbach oben auf der Höhe sein »Ich« erschallen ließ, brannte er das Hölzchen an und die feurige Garbe stieg gerade am geeignetsten Augenblicke empor. Als die Helligkeit verschwunden war, kam Steinbach herab.
»Nun, wie war es?« fragte er. »Haben Sie mich gesehen?«
»Ja. Der Anblick war für diese Leute wirklich ein unbeschreiblicher, ein gespenstischer. Man hielt Sie für den bösen Geist der Ruine.«
»Desto besser! So habe ich mich also in Achtung gesetzt. Was aber thun wir nun?«
»Wir müssen auf alle Fälle hier warten, bis Hilal uns holt. Wir kennen keinen Weg.«
Er hatte das kaum gesagt, so hörten sie Schritte in dem Gange und der Genannte erschien.
»Kommt zur Königin,« sagte er.
»Weiß sie Alles?«
»Nein. Es geht so schnell, daß es zum Erklären keine Zeit giebt.«
Er hatte vorhin Hiluja in die Wohnung ihrer Schwester geleitet und war dann weiter gegangen, um hinaus an die Treppe zu gelangen. Dort waren die auf den oberen Stufen sitzenden Wächter nicht wenig erstaunt, den abwesend Geglaubten so unerwartet hier mitten im Lager zu sehen; hatten aber auf seinen kurzen, warnenden Zuruf hin ihrer Ueberraschung keinen lauten Ausdruck gegeben. Er hörte von ihnen, daß sein Bruder sich in der Nähe befinde; dieser kam ja dann auch sogleich herbeigeeilt.
Als aber dann die Feuergarbe emporstieg, klärte Hilal Tarik in kurzen Worten auf und war damit kaum fertig, als auch die Königin herbeikam.
»Hilal, Du hier?« fragte sie. »Wann kamst Du?«
»Vor ganz Kurzem.«
»Was war das für ein Feuer und für ein Mann? O Allah, bin ich erschrocken! Weißt Du es?«
»Ja. Es ist ein Gast, den ich bringe.«
»Masr-Effendi?«
»Er heißt anders. Er hat sich so genannt, weil dieser Name ihm augenblicklich eingefallen ist, und wohl auch, um anzudeuten, daß er ein Freund Egyptens ist.«
»Will er wirklich kämpfen?«
»Ja. Und das ist gut. Das Feuer hat Dich erschreckt? Es ist Pulver und Farbe, weiter nichts.«
»Ist dieser Mann noch oben?«
»Ja. Ich werde ihn holen. Befinden sich der russische und der türkische Pascha noch hier?«
»Sie sind unten. Sie haben an der Berathung theilgenommen. Warum fragst Du?«
»Das werdet Ihr später hören. Es ist jetzt zu langen Erzählungen keine Zeit. Tarik mag hinuntergehen und aufpassen, daß diese Pascha's nicht entfliehen.«
»Entfliehen?« fragte Tarik erstaunt.
»Ja. Frage nicht, sondern gehe.«
Tarik gehorchte, und Hilal führte die Königin in ihre Wohnung. Er hatte Hiluja in dem hintersten Gemache gelassen. Sie aber war von der Neugierde getrieben worden, weiter zu gehen. So kam es, daß sie hüben in die vordere Stube trat, als die Königin von drüben herein kam. Die Letztere blieb stehen, fast starr vor Ueberraschung.
»Allah, Allah! Hi – Hi – Hiluja!« stotterte sie, mit weit aufgerissenen Augen die Schwester betrachtend.
»Badija! Endlich, endlich bin ich bei Dir!«
Sie breitete die Arme aus, stürzte auf die Schwester zu und zog sie stürmisch an sich.
»O Gott, o Gott! Wirklich, wirklich?« stammelte die Königin. »Du bist es, Du?«
»Ja, ja! Siehst Du es denn nicht? Fühlst Du meine Küsse nicht?«
»Wirklich, wirklich?«
»Ja! Glaube es doch!«
Jetzt erst verschwand der Zweifel. Sie stieß einen lauten Jubelschrei aus und riß nun ihrerseits die Schwester an sich. Beider Entzücken machte sich in lautem Weinen Luft. Sie gaben sich unter Schluchzen die süßesten Kosenamen und umarmten sich immer wieder, um sich von Neuem fahren zu lassen und mit leuchtenden Augen zu betrachten.
Hilal hatte sich schweigend entfernt, um Steinbach und Normann zu holen. Sein Bruder Tarik war, wie bereits gesagt, fortgegangen, um nach dem Willen seines Bruders zu handeln, obgleich ihn dessen Verlangen ein vollständig unerklärliches war.
Als er auf dem Versammlungsplatze anlangte, fand er die Aeltesten des Stammes umgeben von einem dichten Menschenknäuel, in ihrer Mitte Falehd, welcher noch immer den Ausrufer festhielt, um ihn an der Fortsetzung seiner Flucht zu verhindern. Auch die beiden Paschas befanden sich in der Nähe. Tarik machte sich sogleich hin zu ihnen, um sie fest im Auge zu behalten.
»Laßt mich!« brüllte der Mueddin. »Es ist fürchterlich, in die Hände eines Geistes zu fallen.«
»Feigling!« antwortete Falehd. »Das war kein Geist. Der da oben stand hatte Fleisch und Bein.«
»Er spie doch Feuer!«
»Das wurde unten angebrannt. Du warst niemals in Kairo und weißt also auch nicht, was eine Rackete ist. Hier handelt es sich um irgend einen Streich, den man uns spielen will. Hilal ist plötzlich zurück. Er wird diesen Masr-Effendi mitgebracht haben. Sie sind oben in der Ruine. Ach, Teufel! Was wollen sie bei der Königin? Hinauf zu ihr! Haltet Ihr diesen Feigling fest, damit er nicht auch Andere mit seiner Angst ansteckt.«
Er hatte nicht bemerkt, daß Tarik herbeigekommen war, und rannte davon, die Stufen hinauf. Da er von keiner Wache angehalten wurde, gelangte er ungehindert in den kleinen Vorhof und auch weiterhin in die Stube, in welcher er heute bereits mit der Königin gesprochen hatte. Dort stürmisch eintretend, prallte er sofort zurück. Er sah die beiden Schwestern vor sich. Hiluja in ihrem weißen Reisegewande mit den lang herabhängenden Zöpfen und die Königin in dem weißen Mantel, die Zöpfe ebenso lang und stark über den Rücken gehend.
»Allah l'Allah!« rief er aus.
»Was willst Du?« fragte Badija.
»Wer ist Diese hier?«
»Meine Schwester.«
»Wunder über Wunder! Ist sie vom Himmel herabgekommen?«
»Vielleicht. Was aber geht es Dich an!«
Diese stolzen Worte brachten ihn aus seiner Verwunderung heraus. Er zog die Brauen finster zusammen und antwortete:
»Was es mich angeht? Sehr viel! Ich bin der Führer des Stammes; ich muß wissen, wie die Leute zu uns kommen!«
»Ich bin der Scheik! Verstanden! Wenn ich weiß, wie die Gäste zu mir kommen, so genügt das!«
»Du sprichst sehr stolz! Aber Du wirst anders und höflicher reden, wenn man mit Dir und Deinem Anhange in das Gericht geht. Werde erst mein Weib, dann wirst Du gehorchen lernen.«
»Warte, bis ich es bin!«
»Du wirst es sein! Jetzt aber muß ich wissen, wer dieser Masr-Effendi ist. Du mußt es wissen.«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Er ist ja hier bei Dir in der Ruine. Er ist ein Gaukler und Betrüger; ich muß mit ihm sprechen, jetzt, sogleich! Er soll mir sagen und gestehen, wann und wie er hierher gekommen ist.«
»Wann? Soeben jetzt. Wie? Durch diese Thür!«
Diese Worte wurden hinter ihm gesprochen. Er fuhr herum und stand nun vor Steinbach, welcher eingetreten war, hinter sich Normann und Hilal.
»Hölle und Teufel! Ist er das?« rief Falehd.
»Ja, ich bin es,« antwortete Steinbach.
»Wen suchst Du hier?«
»Dich nicht. Du kannst also gehen!«
Falehd stieß einen lauten Fluch aus, ballte die beiden Fäuste, trat einen Schritt auf Steinbach zu und rief:
»Das wagst Du, mir zu sagen? Mir, mir!«
»Ja, Dir!« lachte Steinbach. »Hältst Du das für ein so gar großes Wunder?«
»Mir, dem Anführer des Stammes, sagst Du, daß ich gehen soll!«
»Der Anführer steht hier, dem hast Du zu gehorchen!«
Er deutete dabei auf die Königin. Der Beduine lachte höhnisch auf und antwortete:
»Du bist ein Fremder und weißt also nicht, was heute über diese Frau beschlossen worden ist. Du willst zwar mit mir um sie kämpfen, doch ist Dir unbekannt, daß sie von dem Augenblicke an, in welchem die Versammlung der Aeltesten diesen Kampf beschlossen hat, nicht mehr Scheik des Stammes ist. Sie gehört dem Sieger, welcher dann der Anführer sein wird.«
»Aber noch giebt es keinen Sieger, sie ist also jetzt noch ihre eigene Herrin. Ich habe mit ihr zu sprechen und bin nicht gewohnt, dies vor Zeugen zu thun; deshalb wirst Du jetzt diesen Ort verlassen, wenn Du nichts Nothwendiges vorzubringen hast.«
Falehd machte eine Bewegung, als ob er sich auf den Redner stürzen wolle, hielt aber doch noch an sich. Aber er maß ihn vom Kopfe bis zu den Füßen herab, und zwar mit einem Blicke, wie man einen armen, verächtlichen Menschen betrachtet, schnippste mit den Fingern und sagte:
»Allah hat es zugegeben, daß die Sonne Dir den Verstand verbrannt hat. Du dauerst mich, sonst würde ich mit Dir reden, wie es Deinen Worten angemessen ist, nämlich mit der Zunge nicht, sondern mit der Waffe.«
»Dazu wirst Du ja bald Gelegenheit haben.«
»Ja, und das wird Dein Verderben sein, denn ich werde Dich zerschmettern, wie man eine Fliege mit einem einzigen kleinen Schlage der Hand todtschlägt. Du bist ein Wurm, und ich werde Dich zertreten, so wie ich auch die beiden anderen Würmer, welche sich Söhne des Blitzes nennen, unter meinen Füßen zermalmen werde. Morgen um diese Zeit bratet Ihr Drei in den tiefsten Tiefen der Hölle!«
Er drehte sich um und ging. Man hatte den Bescheid erwartet, den er bringen werde. Darum befanden sich Alle noch auf den Plätzen, welche sie vor der Katastrophe eingenommen hatten. Er konnte ihnen nichts Genaues sagen. Er wußte auch weiter nichts, als das dieser Masr-Effendi kein Geist, sondern ein Mensch sei, aber als Feind des Stammes gekommen, wie er sich überzeugt habe.
»Ist er denn ein Beduine?« fragte Ibrahim Pascha, welcher sich in der Nähe befand.
»Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube es auch nicht. Er hatte nicht das Aussehen eines Wüstensohnes. Vielleicht ist er ein Sclave des Pascha von Egypten. Er wird um die Gastfreundschaft des Stammes bitten. Ich verbiete aber, ihn als Gast aufzunehmen!«
Da trat einer der silberhaarigen Araber zu ihm heran und erklärte:
»Vergiß nicht, daß Du nichts Anderes bist als wir Andern sind! Selbst wenn Du der Scheik des Stammes wärest, könntest Du Keinem verwähren, einen Gast bei sich aufzunehmen.«
»Auch nicht, wenn der Gast ein Feind des Stammes ist?«
»Nein, selbst dann auch nicht. So lange sich der Feind in unseren Zelten befindet, ist er unantastbar. Hast Du diesen Fremden in der Wohnung der Königin gefunden?«
»Ja. Und er wagte es, mich von dort fortzuweisen.«
»So scheint er ein sehr tapferer, furchtloser Mann zu sein und die Gastfreundschaft der Königin zu besitzen. Du wirst ihn also als Gast ehren müssen!«
»Der Teufel soll ihn ehren! Schon sein Name beweist, daß er ein Freund und Anhänger des Vicekönigs von Egypten ist. Wir brauchen ihn nicht.«
»Darüber hat die Versammlung der Aeltesten zu entscheiden, Du nicht. Bis jetzt kann noch kein Mensch sagen, daß der Khedive unser Feind ist.«
»Ich sage es!« rief Graf Polikeff, welcher neben Ibrahim Pascha stand und Alles gehört hatte.
»Würdest Du es auch beweisen können?«
»Ja. Ich hätte es bereits heute Abend bewiesen, wenn mir die Gelegenheit zum Sprechen geboten worden wäre.«
»Wir werden über diese Sache erst dann berathen, wenn wir einen neuen Scheik haben. Der Vicekönig wohnt uns näher, als der Sultan von Rußland. Diesen Letzteren kennen wir nicht. Wir haben noch keinen seiner Leute gesehen und auch noch keinen Piaster oder Para an ihm oder ihnen verdient.«
»Er wird Euch Leute senden, tapfere Offiziere, berühmte Anführer und reiche Kaufleute, welche es mit Euch ebenso gut meinen wie ich. Ich bin Euer bester Freund!«
»Aber doch ein ungeheurer Schuft!« erklang es laut und deutlich hinter ihm.
Er fuhr herum, um den Sprecher zu sehen.
»Herr, mein Heiland,« rief er in russischer Sprache. »Alle guten Geister! Wer – – wer – – wer – –«
Er streckte die beiden Hände mit weit ausgespreizten Fingern weit von sich, als ob er wirklich ein Gespenst von sich abzuwehren habe. Seine Augen waren weit geöffnet. Sein Gesicht zeigte in fürchterlicher Verzerrung den Ausdruck des größten Entsetzens. Steinbach stand hinter ihm. Er hatte sich durch die Umstehenden gedrängt und die betreffenden Worte gesprochen. Jetzt sagte er:
»Fühlst Du die Rache kommen, Mensch?«
»Wie – wo – was – wer – –« stammelte der Graf, seiner noch nicht wieder mächtig.
»Rede arabisch, Kerl, daß diese braven Leute verstehen, was wir einander sagen. Kennst Du mich?«
»O – – wie – warum – – nein.«
»Nicht? Du bist doch Graf Polikeff?«
»Nein.«
Er faßte sich jetzt und warf dem Riesen einen Blick zu, diese Lüge zu unterstützen.
»Leugne nicht!«
»Ich bin kein Graf. Frage Den da!«
Er zeigte auf Falehd.
»Den soll ich fragen? Fällt mir nicht ein. Hier stehen viele ehrwürdige Männer, deren graues Haar mir dafür bürgt, daß sie mir die Wahrheit sagen werden.«
Und sich an den Alten wendend, welcher bereits vorhin gesprochen hatte, fuhr er fort:
»Ich bin Derjenige, welcher sich Masr-Effendi nannte. Die Königin hat mich soeben ihrer Gastfreundschaft versichert. Ich habe ihr Hiluja, ihre Schwester, gebracht. Kennt Ihr den Namen dieses Mannes?«
»Ja, wir kennen ihn,« antwortete der Alte.
»Ich hoffe nicht, daß Ihr einen Grund haben werdet, ihn einem ehrlichen Manne zu verschweigen. Ist er ein Graf oder nicht? Er behauptete das Letztere.«
»Wir sind einfache Leute und wissen nicht, was ein Graf ist; aber er hat sich während der Versammlung einen Grafen genannt. Er heißt so, wie Du sagtest, nämlich Polikeff, und ist aus Rußland.«
»So seht Ihr, daß er ein Lügner ist. Zu Euch hat er die Wahrheit gesagt und gegen mich verleugnete er sie, weil er sich vor meiner Rache fürchtet.«
»Rache?« fragte der Russe. »Ich habe Dir nichts gethan. Ich kenne Dich ja gar nicht.«
»Willst Du wirklich leugnen, daß Du mich morden wolltest?«
»Morden? Ist mir nicht eingefallen!«
»Denke an jenen Abend am goldenen Horn! Du warst als Ruderer verkleidet und schlugst mich von hinten über den Kopf, daß ich die Besinnung verlor und in's Wasser stürzte.«
»Ich weiß nichts davon.«
»Dein Schreck beweist das Gegentheil. Du hast mich für todt gehalten und wärest jetzt bei meinem Anblicke ja beinahe vor Angst umgefallen.«
»Das war nur Erstaunen.«
»Erstaunen? Doch darüber, daß ich noch lebe!«
»Nein, sondern darüber, daß ein Mann, den ich gar nicht kenne, es wagt, mich zu beschimpfen.«
»Pah! Wo ist Gökala?«
»Gökala? Wer ist das?«
»Das weißt Du sehr genau.«
»Ich kenne keine Person, welche Gökala heißt!«
»Und doch weißt Du, daß ich von einer Person spreche, nicht von einer Sache. Du verräthst Dich selbst. Gökala wird sich nicht weit von da befinden, wo Du bist. Ist dieser Mann mit einem Weibe hier?«
»Nein,« antwortete der Alte, an den Steinbach sich mit seiner Frage gerichtet hatte. »Er ist allein gekommen.«
»Nun, so werde ich sie dennoch finden. Was ist das?«
Nämlich hinter ihm erhob sich in diesem Augenblicke auch ein lauter, von zwei Stimmen geführter Zank. Ibrahim Pascha hatte, wie bereits gesagt, in der Nähe des Russen gestanden. Auch er war bei Steinbachs Anblicke auf das Heftigste erschrocken. Er hörte das Gespräch zwischen den beiden Feinden und hielt es, sich unbeachtet wähnend, für das Beste, sich still zurückzuziehen.
So unbeachtet, wie er geglaubt hatte, war er aber nicht. Er wurde am Arme erfaßt und eine Stimme, welche ihm sehr bekannt vorkam, sagte in befehlendem Tone:
»Halt, Ibrahim Pascha! Bleibe da, wo Du gebraucht wirst! Das ist hier bei uns!«
Er starrte dem Sprecher in das Gesicht, welches jetzt vom Feuer beleuchtet wurde, und erkannte Normann.
»Allah, Allah!« stieß er hervor, indem er gleich um mehrere Schritte zurückwich.
»Ah, Du kennst mich?«
»Nein,« antwortete der Gefragte, sich schnell fassend.
»Ich denke aber, daß wir uns in Stambul gesehen haben!«
»Ich weiß nichts davon.«
»Und dann in Tunis?«
»Das ist nicht wahr.«
»O besinne Dich nur! Du wolltest den Bey von Tunis, Mohamed es Sadok Pascha, ermorden.«
»Welch eine Lüge!«
»Wir verfolgten Dich, aber Du entkamst.«
»Hast Du das Fieber oder den Sonnenstich?«
»Ich nicht. Aber Du scheinst verrückt zu sein, da Du Sachen leugnest, welche wir beweisen können. Wir haben wirklich nicht geglaubt, Euch Kerls hier zu finden. Da wir aber einmal an Eurem Neste sind, so werden wir die Galgenvögel auch ausnehmen.«
»Keine Beleidigung! Ich dulde das nicht.«
»Pah! Du wirst noch ganz Anderes erdulden müssen.«
»Ich stehe jetzt unter dem Schutze dieser Beni Sallam. Wer mich beleidigt, beleidigt auch sie!«
»Ja,« fiel hier der Riese ein, seine Augen drohend auf Normann richtend. »Wie kannst Du es wagen, einen meiner Gäste zu beleidigen.«
»Nimm keine Schurken bei Dir auf.«
»Deine Sprache ist so, daß sie Dich um das Leben bringen wird. Ich kenne Dich nicht. Wer bist Du?«
»Der Gast der Königin. Das wird genügen.«
»Das genügt nicht. Du hast meinen Gast einen Schurken genannt. Du wirst es büßen müssen.«
*