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Dieser war nicht zu sehen. Das Frauenzelt war vollständig leer. Draußen aber, außerhalb des Lagers, erhob sich eben jetzt ein wahrer Heidenskandal. Laute Hilferufe erschollen, und Schüsse erklangen. Dorthin eilten auch die Beiden. Im Vorüberrennen blieb Steinbach bei dem Vorrathszelte stehen und öffnete es.
»Hiluja?« fragte er hinein.
»Ich bin es, Herr, Haluja.«
»Haluja? Was bedeutet das? Heute sagte Deine Dienerin, Dein Name sei Hiluja.«
»Ja, das habe ich gesagt, Herr. Was ist geschehen? Warum ruft und schießt man?«
Sie trat heraus. Sie trug den Schleier nicht. Steinbach beugte sich zu ihr nieder und erkannte trotz der Dunkelheit – die Alte, nicht die Herrin, sondern die Dienerin.
»Alle Teufel! Ein Betrug!« rief er. »Tritt sofort wieder da hinein! Da bleibst Du, bis ich wiederkomme!«
Er schob sie in das Zelt und eilte fort, hinaus vor das Lager. Dort waren aus Palmenfasern gefertigte Fackeln, welche diese Nomaden stets vorräthig haben, angebrannt worden. Diese Flammen beleuchteten eine wirre, ziellose Bewegung.
»Er ist fort!« rief der Scheik, als er Steinbach sah.
»Wer? Der Tuareg?«
»Nein, der Schimmel!«
»Teufel! Und meine Stute, die hier mit weidete?«
»Ist auch weg.«
»Hölle und Tod! Sie ist gar nicht mein Eigenthum?«
»Wir müssen den Räubern nach. Auf die Pferde Ihr Männer! Schnell, ihnen nach!«
»Halt! Halt! Wartet noch!« schrie Steinbach, so laut er nur konnte. »Alle hierher zu mir!«
Er sah ein, daß ein geordnetes, zielbewußtes Handeln jetzt die Hauptsache sei. Die Leute versammelten sich um ihn. Er gebot Ruhe, und als die nöthige Stille eingetreten war, sagte er:
»Weg mit der Aufregung! Sie schadet uns nur! Hört auf mich! Und nur Derjenige welcher genaue Antwort weiß, mag sprechen; die Andern aber schweigen. Ist der Schimmel des Scheiks fort?«
»Ja,« antwortete Einer.
»Weißt Du das genau?«
»Ich weiß es. Ich war der Erste hier vor dem Lager. Eben als ich zwischen den Zelten hervorsprang, jagten sie fort, an mir vorüber.«
»Wie viele?«
»Drei Pferde. Zwei Reiter, und auf dem dritten Pferde welches sie in der Mitte hatten, war Etwas festgebunden.«
»Jedenfalls Hiluja. Wohin ritten sie?«
»So müssen mir ihnen augenblicklich nach, sonst entkommen sie uns!« rief der Scheik. Ich muß meinen Schimmel wieder haben. Die Diebe werden den Raub mit dem Leben bezahlen!«
»Du wirst Deinen Schimmel niemals wiedersehen,« sagte Steinbach, »wenn Du die Diebe jetzt verfolgst.«
»Willst Du sie entkommen lassen?«
»Nein.«
»Das geschieht aber doch, wenn wir nicht eilen.«
»Grad wenn wir zu sehr eilen, entkommen sie uns. Kannst Du sie in dieser Finsterniß sehen?«
»Nein, sehen nicht.«
»Wie willst Du ihnen folgen, wenn Du sie nicht siehst?«
»Wir hören sie.«
»Jetzt noch, nachdem sie einen solchen Vorsprung haben? Nein. Ich bitte Dich, meinem Rathe zu folgen. Wir warten, bis der Tag angebrochen ist.«
»Dann sind sie bereits über alle Berge!«
»Wir holen sie ein.«
»Wo? Du weißt doch nicht, wohin sie sind.«
»Wir werden es erfahren, denn der Tag wird uns ihre Spuren zeigen.«
»Verstehst Du es, die Fährten zu lesen?«
»Ja. Ich schwöre Dir zu, daß sie uns nicht entgehen werden. Reitest Du ihnen aber jetzt in der Dunkelheit nach, so wirst Du mir die Fährte so verderben, daß ich sie gar nicht zu finden vermag.«
»Aber wie willst Du sie einholen? Sie haben ja unsere schnellsten Pferde.«
»Ich sah heut auf Eurer Weide einige der besten Hedschin; die sind ja schneller als die schnellsten Pferde.«
Hedschin heißt Reitkameel.
»Ja, wenn Du die Verfolgung auf den Kameelen vornehmen willst, dann werden wir sie einholen, falls Du die Spuren wirklich findest.«
»Ich finde sie. Also die Leute mögen hier bleiben, damit mir die Fährte der Diebe nicht verwischt wird. Jetzt mögen sie nur nachsehen, ob noch mehr fehlt, als nur der Schimmel und die graue Stute. Wo ist mein Diener?«
»Hier!« antwortete der wieder vollständig nüchtern Gewordene, indem er näher trat.
»Erzähle mir nochmals, was Du Alles hörtest.«
Er wiederholte seinen Bericht und fügte hinzu, daß die Beiden nach Mehediah wollten, um dort Hiluja zu verkaufen.
»Da haben wir es!« sagte Steinbach. »Jetzt wissen wir, wohin sie sind. Giebt es Einen unter Euch, welcher den Weg dahin genau kennt?«
»Ich,« antwortete der Führer. »Es gehen mehrere Wege, und ich kenne sie alle. Die Räuber haben ganz gewiß den kürzesten eingeschlagen.«
»Das ist auch meine Meinung. Am Besten wäre es, wenn wir einen Umweg machen könnten, um ihnen voranzukommen und sie zu erwarten.«
»Das können wir. Die Kameele sind ja schneller.«
»Wie geht der Weg?«
»Die Diebe werden jedenfalls von hier aus das Wadi Silliana hinaufreiten – –«
»Giebt es da Wasser?«
»Sie werden es dazu benutzen, ihre Spuren unsichtbar zu machen. Sie werden im Wasser reiten.«
»Ganz gewiß. Sie werden dann nach dem hohen Dschebel Surdsch kommen, über welchen sie hinweg müssen. Dann führt ihr Weg in eine weite Ebene, wo es nur Sand und Geröll giebt, bis die nächsten Berge kommen; das sind die Höhen des Dschebel Ussalat.«
»Wenn wir diese Berge eher erreichen könnten als sie!«
»Wir können es. Ich weiß den Weg.«
»Sie werden am Dschebel Ussalat vielleicht übernachten.«
»Das müssen sie. Sie kommen wohl heute Abend dort an. Vorher und nachher haben sie kein Wasser, ihre Pferde zu tränken. Sie sind also gezwungen, grad dort zu rasten.«
»So sind wir also über die Richtung einig. Wer aber reitet mit?«
»Ich!« antwortete der Scheik.
»Ich!« sagte auch der Oberst.
»Ich, ich – –« riefen Alle durcheinander.
»Das ist unmöglich!« sagte Steinbach. »Wir dürfen uns nur der besten und schnellsten Reitkameele bedienen. Wie viele sind ihrer hier?«
»Aechte, gute Bischarihnkameele habe ich nur vier Stück,« antwortete der Scheik.
»So können nur vier Männer reiten.«
»Ist das genug?«
»Mehr als genug. Vier gegen Zwei! Also wer? Der Führer und ich; das sind zwei.«
»Und ich natürlich!« sagte der Scheik.
»Und ich auch natürlich!« meinte der Oberst.
Steinbach machte eine Einwendung gegen den Letzteren. Er traute ihm die Fähigkeit eines so anstrengenden Rittes nicht zu; Krüger Bey ließ aber keine Einrede gelten. So bat der Deutsche denn, die Kameele zu satteln und für Wasser und Proviant zu sorgen. Dann begab er sich zu der Dienerin, den Oberst mit sich nehmend, welcher noch gar nicht ahnte, wie sich diese Angelegenheit eigentlich verhielt.
»Eigentlich bin ich Sie böse!« sagte er auf Deutsch.
»Warum?«
»Weil Ihnen mir nicht mitzunehmen wollen jesinnt jewesen haben.«
»Ich hatte eine gute Absicht. Der Ritt ist anstrengend.«
»Soll ich mir nicht anstrengen, wenn es gilt, meiner jeschiedenen Ehefrau wiederzufinden?«
»Die finden Sie da draußen nicht.«
»Na, Ihnen sagten doch, daß uns sie einzuholen werden sicher zu sein.«
»Aber Ihre gestrige Frau Gemahlin ist nicht dabei.«
»Hiluja?«
»Die ist dabei; aber die war nicht Ihre Frau. Erinnern Sie sich noch, daß der Tuareg Haluja sagte?«
»Ja. Diesem Mullah hat auch so jeschrieben.«
»Nun, Haluja heißt die alte Dienerin, und diese haben Sie geheirathet.«
»Dienerin?«
»Ja.«
»Jott stehe mich bei! Ist ihr alt?«
»Sehr.«
»Häßlich?«
»Ziemlich.«
»Dann hole ihr das Teufel! Ihr ist noch da?«
»Ja. Sie steckt dort im Zelte. Kommen Sie!«
»Aber ich begreife noch jar nicht, wie es möglich sein kann, daß es möglich zu werden möglich jewesen ist!«
»Sie werden es bald begreifen. Dieser Tuareg hat Ihnen die Dienerin verkauft, die junge Herrin aber für sich behalten, um sie in Mehedia zu verkaufen und also abermals Geld zu lösen.
»Na, denn mal rin in diesem Zelt! Wo ist ihr?«
Steinbach hatte einem der Männer eine Fackel aus der Hand genommen; er öffnete das Zelt und leuchtete der Dienerin in das Gesicht.
»O Allah! Das ist ihr?« fragte der Oberst.
»Ja, das ist Haluja.«
»Meiner abjeschiedenen Jeliebten?«
»Ja, Ihre gestrige Gattin!«
»Alle juten Jeister und Jespenster! Und dafür hat mich diesem Schwindelmeier das viele Geld abzuverlangen die Kühnheit verwegen jewesen! Na, wenn diesem Mensch in meiner Hand jelaufen kommt, so zerbreche ich ihn der Jenick und dem Hals wie ein holländischer Tabakspfeife! Aber diesem alten Reff hier ist doch einer Betrügerin!«
»Wieso?«
»Weil sie ihr für jung ausjegeben ist!.«
»Nein. Sie hat sich nicht für jung ausgegeben. Sie hat überhaupt gar nichts gesagt.«
»Es konnte ihr aber sagen, daß ihr Haluja heißt und nie nicht Hiluja!«
»Nicht sie ist gefragt worden, sondern der Tuareg. Der sagte Haluja, wie ich mich besinne. Sie hat also keine Ahnung gehabt, daß Sie getäuscht werden sollten.«
Daß dies so war, stellte sich heraus, als Beide nicht länger Deutsch sprachen und nun von der Dienerin verstanden wurden. Sie war dem Tuareg gefolgt, weil ihr Steinbach den Rath gegeben hatte, Alles zu thun, was dieser von ihr verlange. Als sie nun jetzt erfuhr, daß der Tuareg mit ihrer Herrin entflohen sei, brach sie in lautes Jammern aus. Sie beruhigte sich nur bei Steinbach's Versicherung, daß sie sie morgen bereits wiedersehen werde.
Jetzt brach der Morgen an und die Reitkameele standen bereit, wohlgenährte Thiere, welche seit langer Zeit keiner Anstrengung unterworfen worden waren. Es stand also zu erwarten, daß der Verfolgungsritt ein ungewöhnlich schneller sein werde.
Etwa eine Stunde mochte seit dem Alarmrufe vergangen sein, als die vier Reiter auf ihren hohen Satteln das Lager verließen und mit der Eile des Sturmes nach Osten hin davonritten.
Sie hielten sich mit Absicht weiter nördlich als die Verfolgten vermuthlich geritten waren. Die freie Ebene war ihnen bei ihren Kameelen viel vortheilhafter, als die Thäler und Schluchten des Wadi Silliana.
Die Hedschin griffen mit ihren unendlich langen Beinen fürchterlich aus. Mit diesen Kameelen kann auch der allerschnellste Renner nicht Schritt halten. Sie hatten nach Verlauf einer Viertelstunde ganz gewiß bereits eine volle deutsche Meile zurückgelegt.
So verging wieder eine Viertelstunde – daraus wurde eine ganze Stunde. Da legte der voranreitende Führer die Hand beschattend über das Auge und sagte zu Steinbach:
»Herr, es ist mir, als ob da ganz draußen in der Steppe mehrere Reiter sich bewegten.«
Er deutete mit der Hand in die Richtung, welcher Steinbach mit dem Auge folgte.
»Ja, da draußen bewegen sich mehrere Punkte. Wir wollen sie uns doch einmal besser betrachten.«
Er hielt sein Kameel an und zog das Fernrohr auseinander. Er hatte es kaum auf die betreffenden Punkte gerichtet und hindurchgeblickt, so stieß er einen lauten Ruf der Ueberraschung aus:
»Allah ist groß! Das sind sie!«
»Die Gesuchten?« fragte der Oberst schnell.
»Ja.«
»Bitte, das Fernrohr!«
Er blickte hindurch und fuhr fort:
»Wahrhaftig, sie sind es! Sie sind also nicht nach dem Wadi Silliana. Auf diese Weise bekommen wir sie weit eher und weit leichter in die Hand.«
»Leichter?« meinte Steinbach. »Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht? Wir haben sie ja vor Augen!«
»Sobald sie sich einmal umdrehen, werden sie uns auch vor die Augen bekommen. Wir auf unseren großen, hohen Thieren sind viel weiter zu sehen als sie. Dann werden sie uns die Sache wohl erschweren.«
»Was wollen sie thun? Sic befinden sich mitten in der Ebene. Sie können nicht entkommen.«
»Warten wir es ab. Ich habe noch ganz Anderes erlebt. Und angenommen daß wir sie einholen, was thun wir dann?«
»Wie nehmen sie fest, natürlich.«
»Wir fangen wir das an?«
Die Drei blickten Steinbach mit großen Augen an. Sie konnten ihn wirklich nicht begreifen.
»Wie wir das anfangen?« wiederholte der Scheik. Sobald ich sie erreiche, schieße ich sie nieder.«
»Das wird nicht sehr leicht sein. Erstens werden sie ihre Thiere anstrengen. Es wird ein Wettrennen geben.«
»Wir ereilen sie doch!«
»Ja; aber schießen – nein!«
»Warum nicht, Herr? Soll ich diese Diebe schonen?«
»Sie nicht aber Deinen Schimmel und meine Stute.«
»Ah! Du hast Recht. Wir dürfen nicht schießen, denn wir könnten unsere kostbaren Pferde treffen.«
»Das meine ich Sie aber werden schießen und zwar mit Bedacht nach unseren Kameelen zielen, denn wenn das Kameel fällt, kann der Reiter ihnen nicht mehr gefährlich sein. Wir befinden uns also im Nachtheile.«
»Was räthst Du uns?«
»Wir müssen den offenen Kampf vermeiden; wir müssen sie zu überraschen, zu überrumpeln suchen.«
»Wie soll das geschehen? Sie müssen uns ja bemerken, da wir ihnen folgen.«
»So sorgen wir dafür, daß sie uns nicht bemerken. Sie befinden sich in gerader Richtung vor uns. Ganz, ganz weit da draußen ist der Horizont dunkel. Liegt dort vielleicht ein Gebirge?«
»Ja,« antwortete der Führer. »Es ist der Dschebel Surdsch, da, wo er sich nach Saïd hinzieht.«
»Es scheint, daß die Flüchtlinge da hinauf wollen.«
»Ganz sicher.«
»Nun, schlagen wir einen Bogen, damit wir noch vor ihnen dort ankommen. Wenn ich die Entfernung nach dem Gedanken messe, so werden sie ungefähr zu Mittag dort sein und also wohl Rast machen. Dabei überraschen wir sie.«
Dieser Vorschlag wurde für sehr annehmbar gehalten. Die Kameele bekamen eine andere Richtung und bald war es den Reitern nicht mehr möglich, die Verfolgten zu sehen; ebenso wenig aber konnten nun auch sie von denselben bemerkt werden.
Jetzt wurden die Thiere angespornt. Die Ebene flog nur so unter ihren Hufen weg. Stunde um Stunde verging. Die dunkle Linie des Horizontes wurde deutlicher. Sie nahm Gestalt und Form an. Höhen traten hervor, und bald war das bewaldete Gebirge zu erkennen. Es war kurz vor der Mittagszeit, als die vier Reiter den ersten der Vorberge erreichten.
Steinbach suchte wie ein Feldherr das Terrain mit dem Fernrohre ab. Er deutete hinaus in die Ebene und sagte:
»Den Bogen haben wir richtig hinter uns. Ich glaube, daß wir uns ungefähr da befinden, wohin die beiden Tuareg kommen werden.«
»Ganz gewiß,« sagte der Führer. »Da drüben giebt es einen Bach, welcher in die Berge führt. Ihm muß man folgen, um nach jenseits zu kommen. Dorthin also müssen sie sich sicher wenden.«
»So wollen wir ihnen voran hin. Vorwärts!«
Sie gelangten an den Bach und ritten langsam an ihm aufwärts, um einen Ort zu finden, von welchem zu vermuthen stand, daß die Flüchtlinge dort ihre Rast halten würden. Solcher Orte gab es so viele, daß es unmöglich war, vorher zu bestimmen, welchen man wählen werde. Darum rieth Steinbach, noch weiter aufwärts zu reiten, dort die Kameele zurückzulassen und wieder umzukehren, da man zu Fuße die Erwarteten besser belauschen konnte. Die Anderen gingen auf den Vorschlag ein. Die vier Reiter ritten noch eine Strecke weit am Bache aufwärts und bogen dann in die Büsche ein, wo sie die Kameele unter der Aufsicht des Führers zurückließen. Dann kehrten sie wieder um und nahmen auf einer Höhe Posto, von welcher aus sie die weite, nach rückwärts liegende Ebene weit nach vorn und auch nach rechts und links überblicken konnten.
Steinbach hatte sich in seinen Vermuthungen nicht getäuscht. Nach bereits kurzer Zeit traf sein durch das Rohr gerichteter Blick auf drei Punkte, welche sich näherten und nach und nach größer wurden, so daß sie bald mit dem unbewaffneten Auge zu erkennen waren.
»Da kommen sie!« sagte er. »Jetzt nun hoffe ich, daß sie nicht vorüber reiten, sondern da unten am Wasser absteigen.«
»Wahrscheinlich thun sie das,« sagte der Scheik. »Warten wir es ab!«
Sie standen so, daß sie von keiner Seite aus zu bemerken waren, während sie die Nahenden ganz genau beobachten konnten. Diese befanden sich jetzt bereits so nahe, daß bereits ihre Gesichtszüge zu erkennen waren. Der Tuareg ritt rechts auf der grauen Stute, der Andere links, und Hiluja befand sich auf dem Schimmel in der Mitte zwischen Beiden. Sie ritt nach Männerart, was die Töchter der Beduinen ganz gewöhnt sind.
Jetzt verschwanden diese Drei unten hinter einem Vorsprunge des Gebüsches. Bald aber erschienen sie wieder. Sie folgten einem Bogen, welchen der Bach machte, der an dieser Stelle seine Wasser an einem lauschigen Plätzchen vorübergleiten ließ, welches von mehreren Bäumen beschattet wurde und auf drei Seiten von Buschwerk eingefaßt war. Da stiegen sie von den Pferden, welche sofort zu saufen begannen und sich dann an dem saftigen Grase erlabten. Der Ort war eine liebliche Oase in der Steppe.
Hiluja ließ sich gleich auf den Rasen fallen. Ihr Gesicht war nicht zu sehen, da sie den Schleier dicht vorgezogen hatte. Der Tuareg setzte sich neben sie hin; der Andere aber hatte sein Augenmerk auf die Spuren gerichtet, welche die Kameele zurückgelassen hatten.
»Es sind Leute hier gewesen,« sagte er, auf die umgetretenen Halme deutend.
»Was geht uns das an?«
»Sehr viel!«
»Gar nichts. Wir sind nicht mehr in der Wüste. Je weiter wir der Küste nahe kommen, desto weniger haben wir zu fürchten. Es kann uns sehr gleichgiltig sein, wer hier geritten ist.«
»O, man verfolgt uns natürlich!«
»Das mag sein. Wer aber weiß, welche Richtung wir eingeschlagen haben? Man wird vielmehr glauben, daß wir grad in der Wüste unsere Zuflucht suchen. Und selbst wenn man uns in dieser Richtung folgen sollte, voran können uns die Verfolger doch nicht sein.«
»Mit Eilkameelen, warum nicht? Wenn man nun so klug gewesen wäre, einen Bogen zu reiten? Wir haben die Pferde sehr geschont.«
»Du bist doch sonst nicht furchtsam. Bitte zu Allah, daß er Dich kein Weib werden lasse!«
»Spotte Du! Ich aber will vorsichtig sein und einmal nachsehen, wohin man von hier aus geritten ist.«
Er ging den Spuren nach, langsam und vorsichtig, weiter und immer weiter, auch an der rechten Seite eines Strauches vorüber, an dessen linker sich Steinbach niedergeduckt hatte. Er ließ den Tuareg vorbei, erhob sich dann leise, zwei rasche, unhörbare Schritte, und er legte ihm beide Hände so fest um den Hals, daß er keinen Laut ausstoßen konnte.
»Pst!«
»Gleich!« antwortete der Oberst, welcher mit dem Scheik in der Nähe gewartet hatte und nun herbeikam. »Was thun wir mit ihm?«
»Arme und Beine binden. Er hat keine Besinnung mehr. Wir stecken ihm mein Tuch in den Mund und lassen ihn hier liegen, bis ich auch den Andern habe.«
Dies thaten sie. Dann schlichen sie sich nahe an den Lagerplatz heran.
»Hier steckt Euch hinter dieses dichte Strauchwerk,« sagte Steinbach leise. »Ihr könnt Alles genau sehen. Ich nähere mich ihm im Rücken. Wegen seiner zwei Messer ist er gefährlicher als der Andere. Ich werde ihn nicht sehr schonen. Also, paßt auf!«
Er verschwand im Dickicht.
Der Tuareg hatte schweigend einige Datteln verzehrt und sich mit der Hand dazu Wasser aus dem Bache geschöpft. Jetzt lauschte er aufmerksam nach der Seite hin, nach welcher sein Gefährte verschwunden war. Die Zeit bis zu dessen Rückkehr deuchte ihm zu lang. Er wollte sich die Zeit mit einem Gespräch vertreiben, deshalb sagte er zu Hiluja:
Sie antwortete nicht und bewegte sich auch nicht.
»Hast Du es gehört? Warum sprichst Du nicht?« Warum trotzest Du. Deine Lage ist ja nicht anders geworden, als sie bereits vorher war!«
»Wo ist Haluja?« fragte sie jetzt.
»O, die hat es sehr gut. Die ist verheiratet. Bald wirst Du es auch sein. In Mehediah verkaufe ich Dich an einen reichen Pascha, bei welchem Du ein Leben wie im Paradiese führen wirst.«
»Elender!«
»Schimpfe jetzt! Später wirst Du es mir danken.«
»Noch sind wir nicht in Mehediah!«
»Aber wir werden hinkommen, morgen bereits. Niemand wird es hindern können.«
»O, ich könnte Dir Einen nennen, der es hindern wird.«
»Hast Du ein Fieber? Welcher Mensch könnte das sein?«
»Er folgt Dir ganz gewiß. Allah hat ihn zu meiner Rettung gesandt; das weiß ich ganz genau.«
»Ist Allah zu Dir herabgestiegen, um Dir das zu verkündigen?« spottete er.
»Ich weiß es; er rettet mich. Er hat es versprochen.«
»Wem?«
»Haluja.«
»Beim Teufel! Hat sie mit Jemand gesprochen?«
»Ja.«
»Mit wem?«
»Ich sollte es Dir nicht sagen; aber ich weiß so genau, daß er kommen wird, daß ich es gar nicht verschweigen werde. Ich meine den Fremden, welcher gestern in das Lager kam.«
»Mit ihm hat sie gesprochen?«
»Ja. Er hat mir Rettung versprochen, und er ist ein Mann.«
Der Tuareg stieß ein lautes, höhnisches Lachen aus.
»Ja, er ist ein Mann!« höhnte er dabei. »Er ist ein solcher Mann, auf dessen Pferd ich jetzt sitze! Und wenn er jetzt käme, um Dir zu helfen, ich würde stolz hier liegen bleiben; ich würde keine Hand regen, dieser Memme gegenüber. Ein einziger Blick würde ihn verscheuchen. Er ist betrunkener als sein Diener!«
»Das lügest Du!« antwortete sie, jetzt in Zorn gerathend.
»Mädchen, beleidige mich nicht!«
»O, ich fürchte Dich nicht! Mehr, als Du mir bereits gethan hast, kannst Du mir doch nicht thun! Aber der Retter wird erscheinen. Ich habe ihn nur einmal gesehen, nur eine Secunde lang. Nur ein einziger Blick seines Auges ist auf mich gefallen, und doch weiß ich, daß er ein Held ist, vor welchem Du Angst haben würdest. Wenn er jetzt hier erschien, würdest Du vor Schreck laut schreien.«
»Soll ich Dir den Mund stopfen! Ich wollte, er käme! Ich wiederhole es, daß ich hier liegen bleiben würde. Ich schwöre es bei Allah, daß ich mich nicht bewegen würde, ihn auch nur anzusehen. Er mag doch kommen!«
»Da ist er!
Diese Worte erklangen hinter ihm. Er fuhr herum und das Mädchen auch.
»O Allah, Allah!« rief sie. »Da ist der Retter, da ist er!«
Sie sprang empor und schlug jubelnd die Hände in einander. Der Tuareg war auch aufgesprungen. Sein Gewehr hing am Sattel, aber er hatte die Griffe seiner beiden Messer erfaßt und zückte sie.
»Hund, Du hier!« knirschte er.
»Wunderst Du Dich? Du hast mich ja gerufen,« antwortete Steinbach lächelnd.
»So mußt Du sterben!«
Er steckte den Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus.
»Du rufst Deinen Genossen zu Hilfe?« fragte der Deutsche.
»Ich denke. Du willst liegen bleiben und Dich nicht bewegen. Du hast es sogar bei Allah geschworen!«
»Trotz dieses Schwures fährst Du zur Hölle!«
Er erhob den Arm, ließ ihn aber unter einem lauten Schrei wieder sinken. Mit einem blitzschnellen Griffe hatte Steinbach seine Pistole gezogen und abgedrückt. Die Kugel war dem Tuareg in die Hand gedrungen. In demselben Moment hatte der Deutsche ihn aber auch bereite bei den Hüften, erfaßt, hob ihn hoch empor und schmetterte ihn zur Erde, so daß er gleich liegen blieb. Das war so schnell gegangen und mit solcher Leichtigkeit und Accuratesse geschehen, als ob er nur eine Fliege von sich abgeblasen habe. Er würdigte den Tuareg keines Blickes mehr, sondern er reichte dem schönen Mädchen die Hand entgegen und sagte:
»Dein Glaube hat Dich nicht betrogen. Du bist frei.«
Ihr Schleier hatte sich verschoben. Sie blickte mit Bewunderung zu ihm empor.
»Frei,« wiederholte sie, noch gar nicht im Vollbewußtsein der Bedeutung dieses Wortes.
»Ja, frei, vollständig frei.«
Da glänzten ihre Augen auf, um gleich nachher sich mit Thränen zu füllen.
»Ganz, ganz frei?« fragte sie zaghaft.
»Ganz!«
»Ich kann hingehen, wohin ich will?«
»Allüberall hin, zu Deinem Vater, zu Deiner Schwester, der Königin der Wüste.«
Da ergriff sie seine Hand, und ehe er es nur zu verhindern vermochte, hatte sie dieselbe an ihre Lippen und an ihr Herz gedrückt.
»Du bist der Engel Allah's, den er vom Himmel sendet! Ja, so wie Du bist, sind die Engel!«
Es war ein Blick voll schwärmerischer Begeisterung, mit welchem ihr Auge an seinem Angesichte hing. Er schüttelte lächelnd den Kopf und antwortete:
»Ich bin nur ein Mensch, grad wie diese hier, die Du noch gar nicht bemerkt und gesehen hast.«
Sie drehte sich um und sah den Scheik und den Obersten, welche Beide neben dem Tuareg knieten, um zu sehen, in wieweit er verletzt sei. Ihre Freude war natürlich eine große. Sie reichte auch diesen Beiden ihre Hände dar, und der Oberst meinte dabei:
»Nun kann ich wieder heirathen!«
»Wohl nicht, mein bester Herr,« antwortete Steinbach auf Deutsch.
»Warum denn denne wohl nicht?«
»Sie gehört nun sich selbst, und ich glaube nicht, daß sie sich verkaufen wird.«
»Dunderwetter! Dann kann ich ihr auch nicht dieses Muhammed es Sadak Bey schenken. Aber ich werde mich einmal nachsehen, in wiefern und obwohl dieses Tuareg dem Mariatheresienthalersack noch bei sich zu haben jewohnt zu werden pflegt.«
Das Geld fand sich in einer der Satteltaschen. Der Oberst beschloß natürlich, es dem Scheik zurückzugeben, welcher es auch gleich an sich nahm.
Schaden genommen hatte der Tuareg nicht. Als er wieder zu sich kam, war er gefesselt, und sein Begleiter lag ebenso gebunden neben ihm. Der Scheik spie ihm nach Art der Beduinen in das Gesicht und sagte:
»Du bist ein Hund und der Sohn und Enkel eines Hundes. Du hast die Gastfreundschaft gebrochen und die bestohlen, deren Brod Du aßest. Man wird Dir Deine Strafe geben. Ueber Dich werden zu Gericht sitzen die Aeltesten des Stammes und auch Hiluja und Haluja, deren Krieger Du ermordet hast.«
»Und ich auch,« fügte Krüger Bey hinzu. »Er hat mich betrogen und mir anstatt einer Venus oder Huri ein altes Weib gegeben. Seine Seele soll braten in aller Ewigkeit, so lange in der Hölle Feuer brennt. Bindet die beiden Hunde auf die Kameele, und laßt dieselben Galopp laufen!«
Mit einem Kameele Galopp zu reiten, ist nämlich eine reine Unmöglichkeit. Kein Mensch würde das aushalten können.
Es wurde noch länger Rast gehalten, damit Hiluja sich erholen könne, und dann kehrten die vier Männer mit ihrem wieder erbeuteten Eigenthum und dem geretteten Mädchen nach dem Lager der Beduinen zurück, in welchem sie bereits am Abende eintrafen. –
Die Hauptstadt Tunis liegt nicht direct am Meere sondern am Ufer eines Sees, welcher es von dem Meere trennt. Daher giebt es an der Küste einen besonderen Hafen, welcher für Tunis ganz dasselbe ist wie Bremerhaven für Bremen oder Kuxhaven für Hamburg. Er heißt Goletta.
Von Tunis nach Goletta kann man zu Wagen, zu Pferd, per Kahn und auch als Spaziergänger gelangen, in neuerer Zeit sogar per Bahn. Die Straße, welche nach dem Hafen führt ist stets belebt. Und besonders wenn neue Schiffe signalisirt sind, strömen die Interessenten und Neugierigen dem Hafen zu.
Diese Neugierigen, welche auch heut am Ufer standen, konnten gar nicht recht klug werden aus dem kleinen Dinge, welches vor ungefähr zwei Stunden herangedampft gekommen war und sich zwischen die großen Schiffe gelegt hatte, als ob es mit ihnen ganz und gar gleichberechtigt sei.
Besonders angestaunt wurde die wunderbare schwarz und grau carrirte Gestalt, welche vorn am Buge abgebildet war. Niemand hielt es für möglich, daß es einen solchen Menschen geben könne. Als sich aber jetzt die Kajüte öffnete und das lebendige Original dieses Bildes aus derselben hervortrat, wurde das Staunen zur starken Verwunderung.
Lord Eagle-nest aber machte sich nicht das Mindeste aus den auf ihn gerichteten Blicken; er fragte den Capitain, welcher sofort zu ihm getreten war:
»Haben Masters Normann oder Wallert bereits Nachricht geschickt, wo sie logiren werden?«
»Noch nicht. Euer Lordschaft.«
»Schadet nichts, werde es erfahren.«
»Euer Herrlichkeiten gehen an Land?«
»Ja.«
»Wann dürfen wir Sie zurückerwarten?«
»Ist unbestimmt. Will einmal sehen, wie es hier in Tunis mit den Harems steht. Vielleicht hat man hier eher einen Treffer als in dem dummen Constantinopel, wo sie Einem die schönsten Weiber grad dann wegholen, wenn man schon im Garten kauert, um mit ihnen auf und davon zu gehen. Dummes Volk!«
Er schritt über die Landungsbrücke nach dem Ufer und mitten in den Menschenschwarm hinein, welcher vor ihm zurückwich, um ihn besser betrachten zu können.
Da gab es Mauren, Araber, Tuareg, Tibbus, Neger, Juden, Christen aus allen Ländern, in allen Farbenabstufungen, männlichen und weiblichen Geschlechtes, in den verschiedensten und grellbuntesten Trachten und Kostümen.
Packträger, Eselsjungen, Kutscher, Lohndiener und Ruderer drängten sich an ihn heran, vielleicht in der Meinung, daß dieser außerordentlich gekleidete Mann wohl auch außerordentliche Trinkgelder geben werde. Er schob sie aber Alle mit dem riesigen Regenschirm von sich fort, und als das nicht genug half, nahm er den Schirm in die rechte, das Fernrohr in die linke Hand und schlug damit so lange zu, bis er Platz bekam.
Er sah Tunis hinter den Wellen des Sees herüberleuchten, er war jetzt auf sein Schiff beschränkt gewesen und wollte seinen langen Beinen wieder einmal eine gesunde Bewegung gönnen, das heißt, er wollte zu Fuße nach Tunis gehen.
Indem er nun langsam dahin schlenderte und die Augen überall hatte, wo es etwas zu sehen gab, fiel sein Blick auf eine Frauengestalt, welche bereits vorhin am Ufer gestanden hatte und nun, gleich ihm, die Absicht zu haben schien, nach der Stadt zu spazieren.
Sie war hoch, voll und sehr üppig gebaut, aber dennoch von jugendlich elastischen Bewegungen. Unter den seidenen Hosen blickte ein kleines in Saffianpantoffeln steckendes Füßchen hervor. Ueber den runden, fleischigen Hüften hielt ein goldgestickter Gürtel eine kräftig schlanke Taille zusammen. Die herrliche Büste, die lockenden Schultern, das Alles konnte von dem dünnen, durchsichtigen, schleierartigen Obergewande nicht verhüllt werden. Dieses Gewand schien vielmehr da zu sein, die Schönheiten mehr zu verrathen als zu verhüllen. Einzig verhüllt war nur das Gesicht.
»Donnerwetter!« brummte er. »Das ist Eine, und was für Eine! Verteufelt! Verteufelt! Wenn ich deren Harem erfahren könnte! Leider aber bin ich allein und kann nicht türkisch sprechen. Wenn Normann da wäre oder Wallert. Doch die! Die schnappten mir diese Sultana doch vor der Nase weg. Ich werde einmal versuchen, ob sie französisch versteht. Die Prinzessinnen lernen doch alle Französisch.«
Er zog im Vorübergehen den Hut.
»Bon jour, mademoiselle!«
»Bon jour, monsier!« antwortete sie.
»Ah, Sie sprechen Französisch?«
»Wie Sie hören!«
»Dürfen Sie dann mit einem Manne sprechen?«
Sie schien ihn durch den Schleier erstaunt zu betrachten. Dann antwortete sie zögernd:
»Nein.«
»Warum sprechen Sie da mit mir?«
»Weil Sie mir gefallen.«
»Sapperment! Nicht übel!«
»O nein! Uebel sind Sie nicht.«
»Richtig!«
»Aber hier ist es so auffällig, wenn ich mit Ihnen spreche!«
»Das stimmt. Eine Haremsdame – – Sie gehören doch in einen Harem?«
»Natürlich!« antwortete sie, nachdem sie ihn abermals einige Augenblicke lang betrachtet hatte.
»Hm! Giebt es nicht einen Ort, an welchem wir besser sprechen können als hier?«
»Wünschen Sie das denn, Monsieur?«
»Von ganzem Herzen.«
»Nun so will ich Ihnen etwas sagen. Sie warten hier, bis ich ein großes Stück am Ufer hin bin, und winken dann einem dieser Kahnführer zu. Er wird Sie einsteigen lassen, und Sie sagen ihm das Wort »Karthago.«
»Wozu?«
»Die Ruinen von Karthago liegen da drüben. Dorthin wollen wir, denn dort sind wir unbeachtet.«
»Herrlich! Göttlich!«
»Dann, wenn der Mann da rudert, wo ich am Ufer gehe, zeigen Sie auf mich und sagen zu ihm »beraber almak.«
»Was heißt das?«
»Mitnehmen. Er wird anlegen und mich einsteigen lassen. Dann sind wir beisammen.«
»Ja, beisammen! Verteufelt! Verteufelt! Na, laufen Sie jetzt hin! Ich werde meine Sache machen. Also winken und beraber almak. Schön!«
Sie ging weiter. Er bemerkte die vielen, vielen Blicke gar nicht, welche auf ihm ruhten. Er sah ihr nach und murmelte ganz entzückt:
»Ein Stelldichein in den Ruinen von Karthago! Das werden die Karthager auch nicht vermuthet haben, daß ich in ihren Ruinen eine Entführung anzettele! Na, los?«
Er winkte einen Schiffer und stieg ein. Als er ihm das Wort »Karthago« sagte, nickte der Mann und warf einen schlauen, verständnißvollen Blick auf das voranschreitende Mädchen. Er schien in diese Art von Geheimniß sehr tief eingeweiht zu sein.
»Beraber almak!« befahl der Lord, als es Zeit dazu war, diesen türkischen Befehl auszusprechen.
Der Schiffer lenkte an das Ufer, und die Schöne wurde aufgenommen. Sie setzte sich dem Lord gegenüber.
Nun ging es in sehr langsamem Tempo quer über den Binnensee hinüber.
»Sie sind wohl nicht Türke?« fragte sie sehr unschuldig.
»Nein. Ich bin Engländer.«
»O Allah! Ein Giaur!«
»Bitte, erschrecken Sie nicht darüber. Wir Christen sind keine Menschenfresser.«
»Nicht? Das beruhigt mich,« sagte sie kindlich ernst.
»Ich bin vielmehr bereit, Ihnen alles Gute zu erweisen. Sie dürfen mir nur Gelegenheit dazu geben.«
»O Allah, die könnte ich Ihnen geben.«
»Vorher aber müssen Sie mir eine Bitte erfüllen.«
»Welche? Sprechen Sie!«
»Gewähren Sie mir die Seligkeit, Ihr schönes Angesicht sehen zu dürfen. Sie sehen ja das meinige auch!«
»Wissen Sie nicht, daß dies verboten ist?«
»Ich weiß es. – Aber wir sind ja ganz allein.«
»Der Schiffer – – –!«
»O, der ist so stumm wie die Fische in seinem Wasser hier.«
»Nun, ich will es wagen! Sie sind ein Mann, dem man einen solchen Gefallen thun kann.«
Sie zog den Gesichtsschleier auseinander. Er erhob das neugierige Auge. Sie war nicht übel. Die dunkeln, herausfordernden Augen waren zwar an ihren Lidern Etwas geröthet, wie man es bei Frauenzimmern, welche der Liebe huldigen, so oft findet, aber das bemerkte der Engländer gar nicht. Der Mund war voll, die Wange weich gerundet; die Züge hatten etwas angenehm Schmachtendes. Das Mädchen gefiel ihm außerordentlich.
»Nun, sind Sie zufrieden?« fragte sie.
»Ja, sehr,« antwortete er in aller Aufrichtigkeit.
»Nun, dann kann ich mich wieder verschleiern.«
Sie erhob die Hand, um die Hülle wieder vorzuziehen, aber da fiel er schnell ein.
»Nein, bitte! Lassen Sie das Gesicht frei!«
»Wozu? Das ist doch genug.«
»Nein, das ist nicht genug! Sie sind so schön, daß man sich nicht so schnell und leicht satt sehen kann.«
»Ach so! Und satt wollen Sie wohl werden?«
»Das versteht sich!«
»Was haben Sie aber davon?«
»Sonderbare Frage! Was habe ich davon, wenn ich dürste und trinke dann so viel, daß ich satt bin? Ich habe eben keine Schmerzen mehr im Magen!«
»Und Schmerzen haben Sie jetzt wohl?«
»Und ob! Fürchterliche!«
»Im Magen?«
»Etwas weiter oben – im Herzen.«
»Und wer macht Ihnen diese Schmerzen?«
»Sie!«
»Davon weiß ich nichts. Ich bin ja so freundlich und nachgiebig gewesen, wie ich es eigentlich gar nicht sein darf.«
»Grad diese Freundlichkeit ist es, sie macht mir Schmerzen; sie hat einen riesigen Appetit in mir erweckt, einen furchtbaren Hunger und Durst. Wenn ich da nicht essen oder trinken darf, so verschmachte ich wie ein Fisch, den man auf das Trockene, in die Sonne gelegt hat.«
»Nun, so essen und trinken Sie!«
»Hm! Das ist bald gesagt. Dazu müßte der Tisch gedeckt sein.«
»Ist er es denn nicht?«
»Es scheint fast so, doch weiß ich nicht, ob ich auch wirklich zulangen darf.«
»Wer will Sie hindern?«
»Das fällt mir gar nicht ein. Greifen Sie getrost zu. Nur sehe ich wirklich nichts, was Sie genießen könnten.«
Sie blickte sich in scherzhafter Weise um. Er antwortete:
»Desto mehr aber sehe ich.«
»Was denn?«
»Sie!«
»Was? Mich? Mich wollen Sie essen und trinken?«
»Am Allerliebsten gleich ganz verschlingen.«
»Menschenfresser!« rief sie, indem sie sich den Anschein gab, als ob sie schaudere.
»Halten Sie sich etwa für nicht appetitlich genug?«
»Darüber habe ich selbst kein Urtheil.«
»Nun, so habe ich es. Sie sind so appetitlich, so sauber, so allerliebst, daß mein Herz eine einzige große, ungeheure Wunde ist, seit ich Sie gesehen habe.«
»O Allah! Bin ich so gefährlich?«
»Ja, höchst gefährlich. Ich verlasse Sie nicht eher, als bis Sie mir das Versprechen gegeben haben, diese Wunde zu heilen.«
»Das werde ich gern thun, denn Sie dauern mich!«
»Welch ein Glück! Ich habe es Ihnen aber auch sofort angesehen, daß Sie ein gutes, mitleidiges Herz besitzen.«
»Das ist richtig. Nur weiß ich nicht, wie ich es anfangen soll, Sie zu heilen. Vielleicht – ein Pflaster?«
»O wehe!«
»Eine Salbe? Die ist gelinder.«
»Auch nicht.«
»Was denn? Etwa ein – – Klystier?«
»Donnerwetter! Was fällt Ihnen ein!«
»So nennen Sie mir die Arznei selbst, mit deren Hilfe Ihr wundes Herz geheilt werden kann!«
»Es ist die Liebe.«
»Die Liebe? Ah! Ist das wahr?«
»Ganz gewiß!«
»Nun, so lieben Sie doch!«
»Das thue ich ja bereits; aber meine Liebe kann mir doch keine Linderung bringen. Meine Liebe ist es ja gerade, welche mir die Wunde geschlagen oder gebissen hat!«
»Welche Liebe meinen Sie denn?«
»Die Ihrige.«
»O Ihr heiligen Propheten und Kalifen! Meine Liebe wollen Sie haben? Die meinige?«
»Ja, gewiß!«
»Und die wird Sie heilen?«
»Natürlich! Ich werde so gesund sein wie ein Vogel in der Luft, wie ein Fisch im Wasser. In Ihrer Liebe würde ich schwimmen und fliegen und gar nicht mehr an die Wunde denken, welche Sie mir beigebracht haben.«
»Dann freilich bleiben Sie ungeheilt, Monsieur.«
»Sapperment! Warum? Weshalb?«
»Weil ich Ihnen meine Liebe nicht geben kann!«
»Verteufelt, verteufelt! Ja, ich werde Ihnen wohl nicht jung und hübsch genug sein.«
»Darnach frage ich nicht. Sie sind in den besten Jahren. Ich frage nicht nach Schönheit, sondern nach dem Herzen und nach dem Gemüthe. Ist das gut, so ist alles Andere auch gut.«
»Prächtig, prächtig! Hören Sie, Sie sind nicht nur ein hübsches, sondern auch ein höchst verständiges Kind. Ich gefalle Ihnen also wohl so leidlich?«
»Ja, Sie sind nicht übel.«
»Nun, warum können Sie mir denn da nicht Ihre Liebe schenken, die ich so nöthig habe?«
»Das können Sie sich doch denken!«
»Hm! Haben Sie etwa schon einen Mann?«
»Nein.«
»Einen Verlobten oder Geliebten?«
»Auch nicht.«
»Dann giebt es ja gar kein Hinderniß, mir Ihr Herz zu schenken. Ich wenigstens sehe keins.«
»O doch! Wissen Sie nicht, daß uns die Liebe verboten ist?«
»Ich weiß es; aber dieses Verbot ist ein sehr großer Unsinn. Sagen Sie einmal, ist Ihr Harem groß?«
»Ja.«
»Wie Viele sind drin?«
»Zwölf.«
»Wer ist der Besitzer?«
»Mein Vater.«
»Nun, so hat dieser alte Mann der Schönheiten genug, wenn er Elf behält. Sie werden sich doch nicht etwa in ihn verlieben sollen! Sie sagen, daß ich nicht ganz übel sei. Ich gefalle Ihnen also. Da begreife ich nicht, warum Sie sich nicht vollends an mich verschameriren sollen.«
»Das würde ich auch thun, aber es giebt da leider ein unüberwindliches Hinderniß. Sie sind ein Engländer.«
»Ja, gewiß.«
»Und ich bin Türkin.«
»Das ist ja grad sehr gut. Wären Sie eine Engländerin, so fiele es mir ja gar nicht ein, mich in Sie zu verlieben. Ich will eine Türkin haben, partout eine Türkin.«
»Da aber legt sich das große Hinderniß dazwischen, nämlich der Glaube.«
»Der? Was hat denn der mit der Liebe zu thun?«
»Sehr viel!«
»Nur in dem Sinne, daß man an Denjenigen glaubt, den man eben liebt.«
»Nein. Mein Glaube verbietet mir, einen Christen, einen Ungläubigen zu lieben.«
»Hören Sie, das ist Unsinn! Dieses Hinderniß ist lächerlich klein; es läßt sich sehr leicht umgehen oder überspringen.«
»Wieso?«
»Ich liebe Sie christlich und Sie lieben mich muhammedanisch.«
»Ah, daran habe ich nicht gedacht!« sagte sie im Tone des Erstaunens, welches allerdings ein künstliches war.
»Nicht wahr? Ist das Mittel gut?«
»Ganz übel scheint es allerdings nicht zu sein.«
»Na, sehen Sie. Wenn Sie diesem Rathe folgen, so ist Alles gut. Wir bleiben Beide bei unserem ursprünglichen Glauben und haben uns dabei so lieb, daß die Engel im Himmel ihre Freude daran erleben sollen.«
»Das – – würde angehen – vielleicht,« sagte sie in einem sehr nachdenklichen Tone.
»Vielleicht? Warum nur vielleicht?«
»Weil es sehr verschiedene Arten von Liebe giebt, und ich weiß nicht, welche Sie meinen.«
»Na, welche soll ich denn meinen! Die richtige natürlich.«
»O, eine jede Liebe ist die richtige. Da giebt es zum Beispiel die Liebe der Alten zu den Jungen – –«
»Donnerwetter! Die meine ich doch nicht etwa!«
»Oder der Jungen zu den Alten.«
»Auch die nicht.«
»Der Geschwister zu einander?«
»Nein.«
»Der Freunde?«
»Nicht. Das ist keine Liebe, sondern Freundschaft.«
»Also die Liebe des Mannes zur Frau?«
»Ja, das ist der wahre Jacob. Diese meine ich.«
»So wünschen Sie, daß ich Ihre Frau werde?«
»Ja, das wäre – – hm! Verdammt!«
»Nun, bitte, antworten Sie!«
»Mädchen, Mädchen! Muß denn gleich geheirathet sein?«
»Gleich? Nein, das ist nicht nöthig. Das kann ja überhaupt gar nicht so rasch gehen.«
»Richtig, sehr richtig! Ihr Weibsleute denkt immer gleich an die Hochzeit und an den Polterabend, wenn man von Liebe zu Euch spricht. Du scheinst mir verständiger zu sein. Wir lieben uns und warten ganz einfach ab, was sich daraus entwickeln wird. Aber da ist die Fahrt zu Ende. Was nun?«
»Wir steigen aus und gehen spazieren.«
»Herrlich! Jetzt muß dieser Mann bezahlt werden. Wie viel hat er zu verlangen? Ich kann ihn nicht fragen, da ich nicht türkisch verstehe.«
»Geben Sie ihm fünf Francs.«
»Francs? Giebt es hier auch französisches Geld?«
»Hier in der Hauptstadt gelten alle Münzen.«
Der Engländer zog den Beutel und gab dem Ruderer die angegebene Summe.
» Merci, monsieur!« meinte der Mann sehr freundlich und setzte französisch hinzu: »Amüsiren Sie sich gut, damit Ihr verwundetes Herz geheilt werde.«
Der Lord erschrak, antwortete aber nichts und stieg mit dem Mädchen an das Land. Erst als sie sich eine Strecke entfernt hatten, sagte er ärgerlich:
»Dieser Kerl spricht also auch französisch!«
»Die Gondelführer verstehen alle französisch und italienisch, da sie sehr viele Fremde bedienen.«
»So hat er verstanden, was ich zu Ihnen sagte?«
»Alles.«
»Verteufelt, verteufelt! Warum haben Sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht?«
»Das hätte er doch gehört.«
»Richtig. Na, ich mache mir nichts daraus; aber Ihnen kann es Ungelegenheiten machen.«
»O nein; er kennt mich ja nicht.«
Aber es war das gerade Gegentheil der Fall; dies hätte der Engländer sicher vermuthet, wenn er den außerordentlich pfiffigen Gedichtsausdruck gesehen hätte, mit welchem der Ruderer ihnen nachblickte, dabei in den Bart murmelnd:
»In das Netz gegangen! Dieser Engländer wird für diesen Lockvogel zu jeder Dummheit bereit sein!«
Diesseits des Wassers war die Gegend nicht sehr belebt. Man erblickte nur von Weitem hier und da einen einsamen Wanderer, welcher in den Ruinen Karthago's, der einstigen mächtigen Stadt, umherstrich. Darum wagte es der Lord, die Hand seiner reizenden Begleiterin zu ergreifen. Sie ließ ihm dieselbe; ja er fühlte sogar, daß sie ihm die seinige liebevoll drückte. Das machte ihn außerordentlich glücklich und versetzte ihn in eine Laune, in welcher er zu jedem Opfer bereit war.
»Wohin nun also?« fragt? er.
»Sehen Sie da drüben die Seuben? An ihrem Fuße befindet sich eine kleine Hütte, wo wir eintreten können.«
»Wem gehört sie?«
»Einem sehr guten Bekannten von mir.«
»Alle Wetter! Darf der denn sehen, daß Sie mit einem Fremden sprechen?«
»Wenn er es aber Ihrem Vater sagt!«
»O nein, das thut er nicht. Er ist treu und verschwiegen und wenn Sie ihm ein gutes Bakschisch geben, so geht er für Sie durch das Feuer.«
»Nun, durch das Feuer braucht er nicht zu gehen, wenn er nur überhaupt fortgeht, so lange wir bei ihm sind. Wie aber haben Sie denn seine Bekanntschaft gemacht?«
»Er war meines Vaters Sklave, wurde aber später zum Lohne seiner Treue frei gegeben.«
»Hat er etwa den Harem bedient?«
»Ja.«
»So ist er ein Eunuch, ein Verschnittener?«
»Ja. Sie werden es ihm auch sogleich ansehen, daß er kein eigentlicher Mann ist. Dort liegt die Hütte. Warten Sie hier ein Wenig. Ich will erst einmal hingehen, um nachzusehen, ob vielleicht Fremde dort sind.«
Sie ging und er wartete.
»Ein famoses Kind!« sagte er zu sich, ihr nachblickend. »Dieser Gang, dieser Beine, diese Hüften! Sapperment, diese werde ich entführen! Wie werden sich diese Beiden ärgern, Normann, und Wallert, wenn ich ohne ihre Hilfe so einen herrlichen Vogel aus dem Harem geschafft habe!«
Er lehnte sich an einen gewaltigen, seit vielen Jahrhunderten hier liegenden Steinblock und behielt die Hütte im Auge. Das Mädchen war eingetreten. Es währte eine ziemliche Weile, ehe er sie wieder sah. Sie kam mit einem zweiten Mädchen und einer männlichen Person heraus und deutete mit der Hand nach dem Lorde. Er wurde sehr angelegentlich betrachtet und glaubte ein kurzes aber kräftiges Lachen des Mannes zu hören.
»Der freut sich, daß ich komme,« dachte er. »Na, dafür soll er ein gutes Bakschisch haben, ein sehr nobles Trinkgeld!«
Jetzt kam seine Begleiterin zurück. Sie hielt das Gesicht entblößt und erschien dem Lord noch weit schöner als vorher. Der Grund davon war das unterdrückte Lachen, welches sie nur mit Mühe zurückhalten konnte.
»Nun, wie steht es, schönes Kind?^
»Wir sind sicher. Kommen Sie.«
»Das war der Verschnittene?«
»Ja.«
»Aber es war ja ein Frauenzimmer bei ihm!«
»Das braucht Ihnen keine Sorge einzuflößen. Es ist meine Schwester, meine Lieblingsschwester, welche ebenso wie ich einen Spaziergang nach den Ruinen gemacht hat.«
»Ah! Schwester! Ist sie hübsch?«
»Sogar schön. Viel schöner als ich.«
»Verteufelt, verteufelt! Jung?«
»Zwei Jahre jünger als ich.«
»Ah! Hat sie einen Mann oder Geliebten?«
»Gut! Schön! Kommen Sie; kommen Sie!«
Er ergriff sie bei der Hand und zog sie fort. Er war wie elektrisirt. Zwei Haremsdamen anstatt nur einer! Das war ja ein Zufall, ein Ereigniß, von welchem er später in London mit großem Stolze erzählen konnte! Und wenn es ihm gelang, alle Beide zu entführen! Er sagte nichts, aber er hätte seine Begleiterin vor Wonne umarmen mögen.
Die Hütte war aus rohen Steinen aufgeführt und machte keineswegs einen anheimelnden Eindruck. Vor der Thür stand der Mann, ein langer, hagerer, knochiger Kerl mit schief liegenden Augen und in eine Kleidung gehüllt, für welche der Ausdruck Lumpen am bezeichnendsten gewesen wäre. Sein Aussehen war gar nicht Vertrauen erweckend, zumal in dem Stricke, welcher ihm als Gürtel diente, zwei lange Messer steckten; doch kümmerte das den Lord nicht. Diesem fiel es sogar nicht einmal auf, daß der Mensch, der doch ein Verschnittener sein sollte, so lang und hager war, die allergrößte Seltenheit bei einem Eunuchen.
»Sallam aaleikum!« grüßte er, sich höchst demüthig vor dem Lorde verneigend.
»Guten Tag!« antwortete dieser französisch. »Da!«
Er zog ein Goldstück aus seiner wohlgefüllten Börse und gab es ihm. Das Gesicht des Menschen grinste jetzt förmlich vor Vergnügen. Er machte eine noch viel tiefere Vorbeugung als vorher und sagte, jetzt französisch:
»Tausend Dank, Monsieur! Treten Sie ein in meine arme Hütte. Ich bin Ihr Beschützer und werde wachen, daß kein Mensch Sie stören soll!«
Der Brite mußte sich tief bücken, um durch die niedrige Oeffnung zu gelangen. Das Innere der Spelunke bestand aus einem einzigen viereckigen Raume, welcher nichts enthielt als eine lange Strohmatte, auf welche zur Verschönerung ein alter Teppich lag. In einer Ecke sah man ein paar zerbrochene Töpfe und andere schmutzige Geschirrsachen, und in der anderen Ecke standen einige Flaschen, bei ihnen ein Weinglas, welches mehrere Sprünge hatte.
Auf dem Teppiche saß die zweite Haremsdame. Vorhin, als sie vor der Hütte stand, war sie verhüllt gewesen, jetzt aber hatte sie die Hülle abgelegt. Der dünne Stoff, welchen sie trug, ließ fast ihren ganzen Körper durchscheinen. Hätte der Lord sie in London so gesehen, so würde es ihm vor ihr gegraut haben, denn er hätte sofort gewußt, welcher Frauenklasse sie angehören, hier aber in Tunis machte sie auf ihn einen ganz anderen Eindruck. Das Fremde wirkte.
Sie begrüßte ihn in französischer Sprache:
»Meine Schwester hat mir von Ihnen erzählt. Eigentlich dürfen wir uns von Keinem sehen lassen und auch mit Keinem sprechen, aber meine Schwester hat mich gebeten, eine Ausnahme zu machen, denn sie liebt Sie.«
»Sie liebt mich?« fragte er, freudig überrascht.
»Ja. Sie hat es mir gestanden.«
»Verteufelt, verteufelt! Ist das wahr, he, wie?«
Diese Frage war an seine erste Bekanntschaft gerichtet.
»Ja,« antwortete sie in gut gespielter Verschämtheit.
Dabei schlang sie die Arme um ihn und drückte ihren Kopf an seine Brust.
»Mädchen, machst Du denn da keine Lüge?«
»Nein, o nein. Ich schwöre es Dir bei Allah und seinem Propheten, daß ich Dich liebe, obgleich mich noch kein Mann hat anrühren dürfen.«
»Donnerwetter! Nicht übel! Ich bin Dir auch gut.«
»So komm und küsse mich!«
Sie hielt ihm den Mund entgegen. Das kam ihm denn doch etwas »spanisch« vor; er sagte abwehrend:
»Na, na, nicht gleich zu hitzig, Kind! Es ist doch sonderbar. Man braucht Einer nur zu sagen, daß man ihr gut ist, so will sie gleich geherzt, gedrückt, gequetscht und geküßt sein. So sind sie Alle. Alle mit einander, in England ebenso wie in Tunis. Kind, laß mich jetzt damit noch in Ruhe, und sag mir lieber, wohin ich mich setzen soll. Du siehst ja, daß ich hier nicht stehen kann. Ich stoße sonst mit dem Kopfe die Decke und das ganze Haus ein.«
Wohin Du Dich setzen sollst? Welche Frage! Natürlich zwischen uns, hier auf den Teppich.«
»Da her? Na, Kinder, solch ein orientalisches Sitzen bin ich eigentlich nicht gewöhnt; aber ich will es Euch zu Gefallen thun, wenn Ihr mir Etwas versprecht.«
»Was?«
»Ihr dürft es mir nicht gar zu heiß machen.«
»Habe keine Sorge! Ich verlange nicht noch einmal, daß Du mich küssest.«
Das klang schmollend, fast beleidigt, so daß er sich beeilte, zu antworten:
»Na, na, nur nicht Alles übel nehmen. Wenn Du gern einen Schmatz haben willst, so sollst Du einen bekommen; aber das darf doch nicht gleich losgehen, wie ein Schnellfeuer bei einem Reiterangriff!«
Er legte Hut, Regenschirm und Fernrohr ab und setzte sich auf den Teppich, nahe an seine zweite Bekanntschaft heran, so daß die Erste auch noch Platz finden möge. Diese aber machte noch keine Miene, sich zu setzen. Sie blickte erst noch einmal zur Thür hinaus, dann sagte sie:
»Weißt Du, daß es hier in Tunis Sitte ist, einen lieben Gast zu bewillkommnen?«
»Das ist überall Sitte, und Ihr habt es ja auch schon gethan.«
»Ganz noch nicht. Den Willkommentrunk haben wir Dir noch nicht gereicht.«
»Ach so! Einen Trunk! Was giebt es denn?«
»Wasser der Liebe.«
»Donnerwetter! Das habe ich noch nicht getrunken. Wo habt Ihr es denn?«
»Da in den Flaschen. Willst Du eine haben, damit wir mit Dir trinken dürfen?«
»Ja, freilich.«
»Aber der Besitzer dieser Hütte ist arm; er darf dieses Wasser der Liebe nicht umsonst geben.«
»Ach so! Ich soll einen Willkommentrunk erhalten, und ihn auch bezahlen. Gern. Was kostet dieses Liebeswasser?«
»Zehn Franken. Ist es Dir zu viel?«
»Das kann ich natürlich noch nicht sagen, da ich nicht weiß, wie es schmeckt und was es werth ist. Aber Euch zu Gefallen ist es mir auf keinen Fall zu viel.«
»So bezahle.«
»Ah! Gleich?«
»Ja.«
»Also Credit bis zum Fortgehen giebt es nicht. Gut, hier ist das Geld, kleine Hexe.«
Er gab ihr die zehn Franken, und sie brachte nun eine der Flaschen nebst dem Glase. Als sie dieses gefüllt hatte, bot sie es ihm und sagte:
»Hier, trink! Allah erhalte Dich recht lange unserer Liebe!«
»Trinke nur vorher.«
Sie setzte an und leerte das Glas in einem Zuge.
»Nicht übel!« sagte er erstaunt. »Du hast einen sehr guten Zug, fast so wie mein Steuermann. Gieb Deiner Schwester auch.«
»Nein; erst kommst Du. Du bist der Gast.«
»Na, so gieb her.«
Er führte das wieder gefüllte Glas an sein kleines Stumpfnäschen. Seine Augen zogen sich zusammen, und es kam ihm an, als ob er niesen müsse. Doch setzte er das Glas an und that einen Zug. Die Folge davon war ein ganz und gar unbeschreibliches Gesicht. Kaum war der Schluck hinab, so schüttelte es ihn am ganzen Körper; er begann in einem Athem zu husten und zu niesen; es war ein Ausbruch, den man hätte vulkanisch nennen mögen. Wahrend ihm das Wasser in hellen Strömen über die Wangen lief, lachten die beiden Mädchen herzlich über diese Wirkung ihres Willkommens.
»Was habt Ihr zu – – abzieeh! – – zu lachen, Ihr Kobolde!« zürnte er. »Dieses verteufelte – – abzieeh! – verteufelte Zeug brennt ja – – abzieeh ja wie die Hölle! Und das nennt – – abzieeh – das nennt Ihr einen Willkommen? Aus was ist denn dieser Trank gemacht?«
»Aus Spiritus.«
»Das merke ich! Und aus was für welchem! Herrgott! Aber was ist drin in dem Spiritus?«
»Apfelsinenschalen, Koloquinthen und Knoblauch.«
»Koloqu – – und Knobl – – Donnerwetter, seid Ihr verrückt? Dann ist es freilich kein Wunder, daß es mich zerreißen will! Und diesen Schnaps trinkst Du wie ein alter Wachtmeister?«
»Meine Schwester auch. Schau!«
Sie hatte das Glas der Schwester gegeben, welche es auch in einem Zuge leerte.
»Mädchen! Halte ein! Du vergiftest Dich ja!«
»O nein! Das schmeckt gut.«
»Na meinetwegen! Euer Schlund muß beschaffen sein wie ein alter Kanonenstiefelschaft! Und das nennt Ihr Wasser der Liebe!«
»So heißt es!«
»Koboquinthen und Knoblauch! Zehn Francs!«
»Ist es Dir zu theuer?«
»Na, Euretwegen nicht. Aber dürft Ihr als Muhammedanerinnen denn solches Zeug trinken?«
»Ja, es ist kein Wein.«
»Da wäre Muhammed doch gescheidter gewesen, wenn er Euch den Wein erlaubt und diesen Höllentrank verboten hätte! Wunderbar! So schöne, zarte Mädels und bringen dieses Fegefeuer hinunter. So aber ist's im Orient; da ist eben Alles anders, und man darf sich über gar nichts wundern. Na, setze Dich nun.«
»Sie nahm an seiner anderen Seite Platz und da der Teppich nicht sehr lang, war, saßen sie sehr eng nebeneinander. Dazu kam, daß die Eine sich an ihn schmiegte und die Andere diesem Beispiele folgte. Es wurde ihm wirklich warm. Er hatte es ja nicht auf eine Liebesscene abgesehen. Ihm lag nur daran, eine Haremsdame zu finden, welche er entführen könne.
»Na, Kinder,« sagte er, »zutraulich seid Ihr, das ist sehr richtig. Aber wie steht es denn? Ich habe erst mit dieser da von Liebe gesprochen.«
»Bei mir ist das gar nicht nöthig!« meinte die Zweite.
»So? Warum nicht?«
»Wenn meine Schwester Dich liebt, so versteht es sich ja ganz von selbst, daß ich Dich auch liebe.«
»Das ist kein übler Grundsatz! Bei mir daheim pflegen die Schwestern eifersüchtig zu sein. Bei Euch aber könnte Einer wohl gleich zwanzig Schwestern heirathen?«
»Ganz gut.«
»Das ist eben wieder der Orient! Also Ihr habt mich Beide lieb. Was ist da zu machen?«
»Heirathe uns!«
»Schon? Donnerwetter! Noch nicht geküßt und schon heirathen! Ich will Euch ganz aufrichtig sagen, daß ich für das schnelle Heirathen gar nicht eingenommen bin. Und für das leichte Heirathen auch nicht. Ich wünsche, daß es mir Mühe macht, eine Frau zu bekommen.«
»Also sie soll Dich nicht lieb haben? Du willst Dir ihre Liebe erringen, erkämpfen?«
*