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Siebentes Kapitel.
Des Doctors Pläne

Es waren bereits mehrere Tage verflossen, seitdem man den Freiherrn in der Familiengruft auf dem Ohlsdorfer Friedhofe beigesetzt hatte. Selbstverständlich wohnte Theodor, telegraphisch heimberufen, den Trauerfeierlichkeiten bei. Er betrauerte den Vater wie ein guter Sohn, ärgerte sich aber doch im stillen, daß Pastor Turner in seiner Leichenrede einen langen Katalog von Tugenden aufführte, die selbst die Nächststehenden niemals an dem Verstorbenen bemerkt hatten. Dann erfolgte die Testamentseröffnung, welche Theodor mit einem Schlage selbständig machte. Der junge Mann trat auf Zureden seines Bruders Carlos als stiller Theilhaber in die Firma Lacañas & Göhring ein, verweilte etwa 14 Tage an der Seite seiner Mutter und kehrte dann nach Berlin zurück, wo er von Sechow und Mallatini mit herzlicher Theilnahme empfangen wurde. Er war ernst, sehr ernst geworden; denn der plötzliche Tod seines Vaters gab ihm viel zu denken. So ging er auch mit der Absicht um, bei einem der Dominikanerpatres in Moabit katholischen Religionsunterricht zu nehmen. Aber als er diesen Entschluß der Mutter brieflich mittheilte, antwortete sie:

 

»Nachdem ich die eigensinnige Rechthaberei Deiner Schwägerin Dolores erkannt habe, will ich durchaus keinen Versuch machen, Deine katholischen Sympathien zu bekämpfen. Es würde wohl umsonst sein. Da ich aber nunmehr das Haupt der Göhringschen Familie bin, und da manchen meiner Angehörigen gegenüber mehr Festigkeit von nöthen ist, als euer seliger Vater an den Tag gelegt hat, so erkläre ich Dir rundheraus, daß Du als Katholik die Schwelle Deiner Mutter nicht wirst überschreiten dürfen. Sieh also gut zu, bevor du handelst. Deine Schwester sowie die Angehörigen Deines Onkels sind äußerst bestürzt über die Richtung, welche Du eingeschlagen hast. Onkel Senator hat sich bei seiner letzten Anwesenheit in Berlin unter der Hand nach Dir erkundigt. Dein Bruder Carlos sowie Deine Mutter wünschen, daß Du den Umgang mit dem plebejischen Künstler aufgibst und Dir ein fashionables Logis miethest, wie es sich für einen Baron Göhring ziemt. Gegen Deine Künstlerlaufbahn will ich meinerseits nichts einwenden, denn ich höre, daß Du Talent besitzest. Du scheinst indes zu vergessen, daß Du Dein Jahr noch nicht gedient hast. Ich erwarte, daß Du ein Garderegiment wählst. Generallieutenant von Suché wird sehr gern bereit sein, Dich an den Schwager seiner Schwester, den Fürsten Lachsenburg-Hechtingen, zu empfehlen. Der Fürst ist, wie Du weißt, Generaladjutant des Kaisers, und bei seiner Protection wirst Du in jedem aristokratischen Regiment zum Reserveoffizier gewählt werden. Was den Herrn von Sechow angeht, mit dem Du sehr liirt zu sein scheinst, so hat Onkel Senator in Erfahrung gebracht, daß er ein Affiliirter des Jesuitenordens ist. Pastor Turner schreibt dem Einflusse dieses ebenso gewandten wie gewissenlosen Mannes Deine religiöse Schwärmerei zu. Meine Worte werden klar genug sein, hoffe ich. So viel für heute, da ich gleich zu Gerlach fahren muß, um mir und Mathilde Trauertoiletten für das Frühjahr auszusuchen. Mathilde und Octavio wollen durchaus bald eine ganz stille Hochzeit feiern; ich bin aber dagegen. Nach Ablauf der Trauer sollte die Hochzeit besser auf Bernsloh stattfinden. Die Gräfin hat Influenza und nimmt sehr ab. Sie will nicht nach Itzehoe zurück, und nur Carlitos Geplauder macht ihr noch Freude. Der Junge will übrigens absolut auf eine katholische Schule, und Carlos ist Dolores gegenüber wirklich recht schwach. Mit herzlichem Gruße Deine recht betrübte und tieftrauernde Mutter

Mathilde Freifrau von Göhring.«

 

Dieses Mal sagte Theodor nicht: Mumpitz! Er ward vielmehr traurig und ließ den Kopf hängen. Kein Wort von Ethel in dem Briefe, gerade als ob seine Mutter die zukünftige Schwiegertochter vergessen hätte! Und Sechow ein Jesuit? Die Behauptung war zu abenteuerlich, zu extravagant! Dennoch blieb im Herzen Theos ein Dorn sitzen. Zwei volle Tage trug er Sorgen und allerlei Mißtrauen mit sich herum, war träge bei der Arbeit und unfreundlich mit seiner Umgebung. Endlich beschloß er: ich zeige Sechow einfach den ganzen Brief und beobachte, welchen Eindruck er von Mamas Beschwerden und Behauptungen erhält.

Als Theodor mit Sechow Abends allein zu Hause war und der Doctor in dem zerbrochenen Schaukelstuhle der Kunstfirma Mallatini & Färber seine Vor-Tisch-Cigarre wuchte, übergab ihm der betrübte junge Mann den Brief: »Lesen Sie, Doctor, und sagen Sie mir offen Ihre Meinung.«

»Aha, aus der Wetterecke kommen die Nebel und Regenwolken der letzten Tage! Na, wollen mal sehen. Meine meteorologischen Beobachtungen stimmten also.«

»Haben Sie bemerkt, daß ich nicht so heiter wie gewöhnlich war?«

»So heiter wie gewöhnlich! Als ob Sie Mitarbeiter der ›Fliegenden Blätter‹ wären! So heiter wie gewöhnlich! Nein, noch viel unglückseliger wie gewöhnlich, als ob Sie eine Kneippkur mit Regengüssen machten.«

»War ich unfreundlich?«

»Waren Sie unfreundlich! Alles, was Mallatini und ich seit 48 Stunden behaupteten, haben Sie kurzer Hand für Mumpitz erklärt …«

»Doctor!«

»Ja, und als wir heute früh den jungen Doctor Brewer trafen, der doch nächstens Ihr Vetter werden soll, haben Sie eine Höflichkeit entwickelt, die besser für den König von Dahome paßt als für den Baron Göhring …«

»Doctor, ich …«

»Nicht aufbrausen! Sie haben jetzt gehört, was ich Ihnen zu sagen hatte. Nun ärgern Sie sich aber nicht; denn kein Mensch ist böse auf Sie. Man weiß, daß in Ihrer Seele oft veränderliches Aprilwetter herrscht. Sie haben auch Herbes genug durchzumachen, Gott weiß es; aber ein wenig sind Sie selbst schuld daran: warum sprechen Sie sich nicht aus, alter Junge?«

Sechow reichte dem erröthenden jungen Manne die Rechte und blickte ihn so herzlich an, daß Theo sofort entwaffnet wurde und bloß stotterte: »Der Brief! Sagen Sie … lesen Sie den Brief!«

Der Doctor setzte den Zwicker auf und las. Theo beobachtete ihn scharf; aber Sechow verzog keine Miene. Nur der Schaukelstuhl knackte ab und zu, vermuthlich bei den Kraftstellen der Baronin. Zweimal nahm der bedächtige Mann die Epistel durch, dann gab er sie schweigend seinem jungen Freunde zurück.

Theo wurde nervös: »Nun, was sagen Sie dazu?«

»Alles unterschreibe ich nicht, z. B. daß ich ein verkappter Jesuit sein soll.«

»Hm!«

»Erstens gibt es, soviel ich weiß, keine Affiliirten des Ordens, und zweitens thut mir Ihre Frau Mama zu viel Ehre an.«

»Zu viel Ehre?«

»Ja, so ein kosmopolitischer Landstreicher, so ein Nomade in der Wissenschaft, so ein außer Rand und Band gegangenes Lexikon wie ich! Sagen Sie, Theochen, haben Sie doch wohl so eine Ahnung Verdacht gegen mich gehegt?«

Theo schwieg. Er stand vor dem Kamin und wärmte sich.

»Schauen Sie wohl? Ich kenne meine Pappenheimer, vulgo Protestanten. Nun, Sie werden mir aufs Wort glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß ich gerade so wenig Jesuit bin wie Sie. Es ist überhaupt eine Lächerlichkeit, den aufrichtigen Katholicismus immer als ›Jesuitismus‹ zu bezeichnen. Die Jesuiten sind ja nicht mehr oder weniger katholisch als alle andern ernsten Katholiken. Mag sein, daß sie in der einen oder andern speculativen Frage ein wenig ›Schule machen‹ – meinetwegen; aber so was ganz Extraes in der Kirche sind sie denn doch auch nicht. Die Bescheidenen unter ihnen müssen sich durch diese thörichte Confrontirung von jesuitischen und nichtjesuitischen Katholiken unendlich gelangweilt fühlen.«

Theo lächelte.

»Womit ich nicht gesagt haben will, daß ich die wahren Principien des viel verleumdeten Ordens nicht sehr hoch schätze. Verstanden?«

»Hm! Und was sagen Sie sonst zu dem Briefe?«

»In manchen Dingen hat Ihre Frau Mama recht.«

»Zum Beispiel?«

»Daß Sie nächstens einmal Ihr Jahr abdienen müssen. Dann, daß Sie eine andere Wohnung nehmen sollten – freilich hätte ich an Stelle der Frau Baronin den kleinen Italiener nicht gerade Plebejer titulirt; das sind indessen Geschmackssachen – aber Ihre Wohnung hat ja nicht einmal einen anständigen Stuhl aufzuweisen, und diese geniale Unordnung, die Sie umgibt, könnte dazu führen, auch in Ihrem Kopfe eine Confusion von Begriffen anzurichten. Nein, Sie haben jetzt einen klaren Kopf nöthig! Setzen Sie sich da mal hin und hören Sie meinen Plan an! Wollen Sie?«

»Sie haben mir oft gut gerathen, Doctor …«

»Ich will es noch einmal probiren.«

Sechow nahm den Zwicker ab und machte mit demselben seine energischen Gesten, als er fortfuhr: »Mein Plan ist dieser: Sie kündigen der guten Frau Piesecke und nehmen sich eine nicht elegante, aber Ihren Verhältnissen mehr entsprechende Wohnung von drei Zimmern …«

»Was soll ich mit drei Zimmern?«

»Passen Sie auf! In einem schlafen Sie, im zweiten Luigi, und das dritte ist Ihr gemeinsames Studio und Wohnzimmer.«

»Luigi wird nie eine theuere Wohnung nehmen!«

»Sie werden zuerst die Hauptsache für ihn bezahlen. Ich nehme es auf mich, ihn für diesen Plan zu gewinnen. Der junge Mann muß in die Welt eingeführt werden und Verkehr bekommen, sonst wird es nichts mit ihm, trotz seines Talentes. Sie müssen ihm zu einer Carriere, zu Bekanntschaften verhelfen und sein censor morum sein …«

»Luigi wird niemals ein Almosen annehmen!« erwiderte Theo.

»Sie kennen meine Kriegslist noch nicht. Neulich schrieb ich, wie Sie wissen, an Lucia, seine Mutter. Es war eine delicate Sache, da ich zur Sühne einen eventuellen Schadenersatz anzubieten und um Verzeihung zu bitten hatte. Heute früh, Theo, traf eine wahrhaft noble und discrete Antwort ein …«

»Sie machen mich neugierig.«

»Ich habe den Brief hier.«

»Italienisch? Ich verstehe kein Italienisch.«

»Ich übersetze Ihnen Lucias Brief. Die Italienerin schreibt fast correct, und was den Tact angeht, tadellos. Hören Sie!

 

Sehr geehrter Herr!

Mein geliebter Mann Cecco Mallatini und ich haben Ihren Brief gelesen und uns recht gefreut, daß der gütige Gott Sie glücklich und sicher durch das Leben geführt hat, wie auch wir glücklich sind. Glauben Sie uns, daß wir die Vergangenheit vollständig vergessen haben, lieber Herr, und daß keines von uns Ihnen zürnt. Wir haben genug, um die Gaben Gottes mit Dankbarkeit zu genießen, und leiden in keiner Weise Mangel. Daher dürfen Sie uns nicht böse sein, wenn wir Ihre edelmüthigen Anerbietungen durchaus ablehnen. Sie schulden niemanden etwas. Wenn Sie aber aus Liebe sich unseres Luigi, der ein unerfahrenes Menschenkind ist, in der großen Stadt des Nordens ein wenig annehmen wollen, so wird Ihnen unser Herr das gewiß dereinst in der Ewigkeit vergelten. Luigi hat uns von Ihnen geschrieben, und er achtet Sie sehr. Da Sie, lieber Herr, ein frommer Katholik sind und ein Mann, der viel gesehen und studirt hat, so werden Sie Luigi manchen guten Rath geben. Wir ungebildete und geringe Leute kennen uns da nicht aus. Aber beten wollen wir für Sie und den jungen Herrn aus Hamburg alle Tage. Wir haben Luigi geschrieben, er soll guten Rath von Ihnen dankbar anhören. Zu Ostern wollen wir Ihnen die Photographie von uns und allen Kindern schicken. Wir fahren nächste Woche nach Neapel, wo das Bild bestellt werden soll. Wir hoffen, daß es Ihnen eine kleine Freude macht, lieber Herr! Gott und seine Heiligen mögen Sie beschützen! Darum bitten sehr oft Ihre ganz geringen Diener

Lucia Mallatini und
† (dies Kreuz für Cecco Mallatini).«

 

»Das ist wirklich ein netter Brief, Doctor!«

»Er hat mir außerordentliche Freude gemacht.«

»Und ich freue mich mit.«

»Gott ist so gut gegen mich; eine Sorge nach der andern nimmt er mir gnädig ab! Sie ahnen jetzt, daß ich ein Mittel habe, Luigi für den Wohnungsplan zu gewinnen. Ja, Sie müssen diese Wirtschaft hier aufgeben, Theo. Und nun hören Sie weiter! Nächsten Herbst treten Sie in Berlin ein; einmal müssen Sie ja doch in den sauern Apfel beißen. Wählen Sie nur ruhig ein Garderegiment; es wird Ihrer Ethel auch recht sein, wenn der Theo ein schmucker Dragonerlieutenant ist oder sonst was Aehnliches.«

»Ach Gott, Ethel! Wenn ich nur daran denke!«

»Ich komme nun auf Ihre Braut. Sie müssen ihr zuerst reinen Wein einschenken …«

»Wieso?«

»Nun, ihr sagen, daß Sie zur katholischen Kirche zurückkehren wollen.«

»So weit ist es noch nicht!« rief Theo.

»Fragen Sie Ihr Herz, Theo. Innerlich sind Sie überzeugt. Gott wird Ihnen helfen, Ihren Entschluß zu fassen.«

»O Doctor, ich kann Ethel das nicht schreiben.«

»Nicht schreiben, sagen sollen Sie es ihr.«

»Wie das?«

»Fragen Sie an, ob Sie im Sommer, bevor Sie den Säbel umschnallten, nach Schottland kommen dürften. Und dann sprechen Sie sich offen mit Ihrer Braut aus.«

»Doctor, was wird das geben?«

»Haben Sie Gottvertrauen! Mein Rath ist, daß Sie so handeln, ja, daß Sie mit der Thatsache, bereits als Katholik vor Ethel hintreten.«

»Unmöglich!«

»Ueberlegen Sie sich das mal allein. Ihre Mutter wird sich schon mit Ihnen aussöhnen, wenn Sie als Gardedragoner Weihnachten bei ihr auf Urlaub erscheinen. Geben Sie jetzt keine Antwort, Theo! Lassen Sie sich die Sache einmal ruhig durch den Kopf gehen! Denken Sie so über alles nach, als ob Sie und unser Herrgott ganz allein existirten, und dann handeln Sie.«

Theodor schüttelte stumm das Haupt und ging an das Fenster, um auf das Straßengewühl hinabzuschauen.

Nach einer Weile fragte Sechow: »Sollen wir morgen früh einmal zusammen Zimmer besehen?«

»Was hat die gute Frau Piesecke verbrochen, daß ich ihr aufkündigen soll?«

»Sie vermiethet dieses Zimmer im Handumdrehen wieder. Allenfalls bezahlen Sie ihr einen Monat extra, aus purer Güte. Sie sollten mit Luigi ein freundliches Logis beim Thiergarten beziehen oder irgendwo in der Nähe der Gardedragonerkaserne.«

»Wenn Sie Luigi gewinnen könnten!«

»Noch heute Abend, Theo.«

»Sind Sie sicher?«

»So ziemlich.«

»Na, meinetwegen. Mir ist der Lärm hier ohnehin zu wüst.«

»Das ist vernünftig. Morgen früh gehen wir auf die Suche, und übermorgen dampfe ich ab nach Plinkenau.«

»Wie, Sie wollen fort?«

»Ja, ich muß; theilweise in Ihrem Interesse.«

»In meinem Interesse?«

»Hahaha, jawohl. Sie werden später hören. Und nun noch, Theo: was denken Sie über die Reise zur Braut?«

»Morgen suchen wir Zimmer aus. Alles andere überlege ich mir erst.«

»Brav so!«

»Wenn Luigi bald käme, könnten wir zum Essen gehen.«

»Wenn er noch nicht bald kommt, gehen wir ein wenig später.«

»Sie sind ein merkwürdiger Mann, Doctor!«

»Warum?«

»So gelassen und vernünftig.«

»Wozu hat man denn sein bißchen Verstand?«

»Sie sind ein Lebensphilosoph. Haben Sie überhaupt eine Philosophie? Oder reicht bei Ihnen der Glaube für alles aus?«

»Sie stellen da eine Frage, auf die man nicht mit zwei Worten erwidern kann, wie man erwidern sollte.«

»So kramen Sie doch einmal mit Ihrer Philosophie aus! Ich habe schon lange gedacht: ein Mann wie Sie muß die Welt von einem ganz sichern, festen Standpunkt aus betrachten. Ich sehe so viele Räthsel, so viel Disharmonie überall, daß ich gern einmal hören möchte, ob es andern ähnlich geht.«

»Das größte Räthsel ist, daß der Mensch so oft Frieden und Wahrheit sucht und sie doch nicht dort finden will, wo sie einzig zu finden sind.«

»Entwickeln Sie mir doch einmal Ihre Ansichten, z. B. über die Seele, über Wahrheit, Schönheit, Natur und Welt und …«

»Viel verlangt auf einmal, Theo! Haben Sie Geduld?«

»Ich hoffe. Fangen Sie nur an! ich will nicht mit Ihnen disputiren, sondern nur hören.«

»Da muß ich Sie aber zuerst darauf hinweisen, daß ich kein Philosoph ex professo sein will. Ich philosophire nur für meinen Hausbedarf, verketzere niemanden, der anderer Meinung ist, und achte alle, die sich redlich bemühen, die Wahrheit zu finden und nach dieser Erkenntniß zu leben. Räthsel, die mir mein Verstand nicht lösen kann, suche ich mir durch die Lehren der christlichen Offenbarung zu erklären. Diese Offenbarung ist für mich, wie Sie wissen, ebenso eine Thatsache wie die Existenz Cäsars oder Napoleons. Daher schäme ich mich auch gar nicht, in solchen Fällen, wo die Offenbarung in Widerspruch zu meinen persönlichen Schlüssen und Speculationen tritt, meinen eignen endlichen Geist der Lehre des unendlichen göttlichen Geistes unterzuordnen. Anders zu handeln, d. h. die Ergebnisse der in ihrer Natur beschränkten Erkenntniß als unfehlbar anzusehen, scheint mir unphilosophisch. Im übrigen nehme ich das Gute, wo ich es finde. Systeme um des Systemes willen anzunehmen, fällt mir nicht ein. Auch bin ich weder so ehrgeizig, daß ich alles zu wissen verlange, noch so stumpfsinnig, daß ich an den Studien, Erfindungen und Fortschritten der Menschheit keinen Antheil nähme. Wenn Ihnen diese Einleitung nicht zu trocken war, will ich fortfahren, Theo.«

»Nur zu, es wird schon interessant, originell sein.«



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