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Fünftes Kapitel.
Ein Lichtstrahl

Am ersten Weihnachtstage ließ Theodor sich bewegen, mit Doctor von Sechow und Luigi dem Hochamt in St. Hedwig anzuwohnen. Jetzt verstand er bereits alle Ceremonien, die ihm damals, am Frohnleichnamsfeste zu Speier, halb geheimnißvoll und halb zwecklos erschienen waren; jetzt wußte er, daß jedes Wort, jede Culthandlung, jedes Symbol eine tiefe Bedeutung für das Gnadenleben des katholischen Christen einschließen; jetzt erkannte sein Herz in heiliger Scheu, wie groß der Vorzug sei, an dem hochheiligen Opfer des Neuen Bundes theilnehmen zu können, welches der Prophet des Alten Bundes als das reine Speiseopfer der ganzen Erde verheißen hatte, und welches selbst nichts anderes ist als die unblutige Darbringung des einen blutigen Kreuzesopfers auf Calvaria. Um dieses eine, wahre Opfer mit dem lebendigen Gotte als gegenwärtigen Opferpriester und zugleich als Opfergabe gruppirte sich also die Geschichte, die Heilslehre und das Tugendleben der einen von Christus gegründeten, von Christus herstammenden, von ihm geleiteten, zu ihm führenden Kirche.

War das nicht die Erfüllung jenes Wortes, welches Theodor einst von den Lippen seines ungelehrten, aber klugen Jugendfreundes Hans vernommen? »Unser Herr Christus ist nur einer, daher kann es doch auch nur ein Christenthum geben.« Nun hatten Pater von Hammersteins Schriften Theodor bereits den Beweis erbracht, daß nur in der katholischen Kirche die Prophezeiungen des Alten Bundes erfüllt seien, nur in ihr die Lehre des Herrn unverkürzt überliefert werde. Daraus folgte, daß alle andern Bekenntnisse nicht das von Christus gestiftete Christenthum darstellten. Mußte dann aber nicht jeder, der die Religion Jesu Christi bekennen wollte, sich der katholischen Kirche anschließen? Während des Gottesdienstes bejahte sich Theodor diese Frage insgeheim und zu wiederholten Malen. Sobald alle andern Kirchen nur Gegengemeinden, Sonderbekenntnisse, Protestgenossenschaften und religiöse Vereine ohne zusammenhängende Traditionen und ohne Opfer waren, verloren sie den legitimen Anspruch auf den Besitz der Wahrheit, die doch nach der eigenen Verheißung Christi bei der Kirche bleiben sollte.

Die Einsicht verschaffte dem jungen Künstler nun zwar einen gewissen geistigen Genuß. Aber kaum hatte das Ange seines Verstandes das klare Bild jenes Felsens erkannt, auf welchem sich der bald zweitausendjährige Bau der katholischen Kirche in eindrucksvoller Majestät erhob, da lenkte der Geist der Verwirrung seinen Blick von dem Ewigen, Unwandelbaren ab auf das Irdische, Vergängliche. Ethel! Sie, mein Lebensglück, aufgeben? Der Wahrheit alle Hoffnungen, alle Wünsche, alle Seligkeit opfern? Einer harten, bittern Wahrheit? Und wie viele edle, gute Menschen leben im Irrthume! Haben die Katholiken die Tugend gepachtet? Gibt es nicht schlechte Katholiken und gute Protestanten? nicht sogar pflichtvergessene Priester – –?

»Nicht so brummig aussehen!« sagte Sechow, als er mit Theo über die Linden ging. Luigi hatte sich vor der Hedwigskirche von ihnen getrennt, um einen italienischen Freund zu begrüßen, den er in einem Ladengeschäfte zufällig als Verkäufer entdeckt hatte.

»Sehe ich brummig aus? So? Nun, die Welt ist auch absurd eingerichtet.«

»Am heiligen Christtage so pessimistisch! Wo, an welcher Ecke, in welchem Winkel ist's denn wieder einmal absurd?«

»Finden Sie es nicht absurd, daß die Wahrheit oft unser Lebensglück zerstören möchte? Das sollte nicht so sein dürfen.«

»Unser wahres Lebensglück, Theo, wird, kann gewiß nie von der Wahrheit zerstört werden. Es besteht ja vielmehr darin, daß wir uns bewußt sind, so zu leben, wie wir nach der erkannten Wahrheit es für recht halten. Ich gebe Ihnen aber zu, daß der Wahrheit manches eingebildete Glück geopfert werden muß.«

»Warum muß ich mir dann aber ein falsches Glück ›einbilden‹?«

»Sie müssen durchaus nicht, Freund. Sie haben nur die factische Freiheit, die Möglichkeit, etwas für ein ›Glück‹ anzusehen, das sich bei näherem Studium als ein bloßes Zerrbild der Glückseligkeit herausstellen würde. Der Weinselige meint ja, wie der welterfahrene Goethe sagt, in einem gewissen Stadium auch, ihm sei wohl wie fünfhundert … na, Sie kennen das wenig erbauliche Studentenlied! Dieses kannibalische Wohlsein verhindert indessen keineswegs den Kater am nächsten Morgen.«

»Sie reden äußerst drastisch.«

»Gut, wenn Sie mich verstehen. Es gibt in der Welt auch viele sogenannte brave Menschen, die in einem Dusel dahinleben. Sie haben ihre helle Freude an allerlei Glücksgütern, kümmern sich aber um das eigentliche, wahre, ewig dauernde Glück nicht. Wenn der endlose Jammer, die schreckliche Ernüchterung dann kommt, so ist es zu spät. Obendrein sind diese Leute selbst während ihrer kindischen Wonnezeit nicht vollkommen glücklich. Von Zeit zu Zeit, in einsamen, stillen Stunden zumal, tritt die Wahrheit sozusagen in eherner Kriegsrüstung vor sie hin und spricht: Da du mich als Bundesgenossin verachtet, meine Liebe, meine Huld und Kraft verschmäht hast, will ich gegen dich streiten und dich verfolgen bis an dein elendes Ende, bis über dein trostloses Grab hinaus. Theo, es sagt Ihnen das ein Mann, der nicht in leeren Phrasen, sondern aus dem Schatze seiner eigensten Erfahrung redet. Haben wir die Wahrheit zur Freundin, so sind wir Riesen; ist sie wider uns, so mögen wir alle Güter der Erde besitzen, sind aber doch unglücklich. Zum mindesten quält uns der Gedanke, daß unser eingebildetes Glück einmal ein Ende nimmt. Diese Sorge wächst aber mit unserer Liebe zum falschen Glücke.«

»Das ist kein Gespräch für die Straße,« meinte Theo ablenkend.

»Nun, es ist ein wenig ernst, obwohl wir die Vernunft doch beim Spazierengehen nicht daheim zu lassen brauchen. Soll ich Ihnen mal etwas sagen, Theo?«

»Was denn, Doctor?«

»Sie sind nachdenklich, weil Sie sehen, daß Sie über kurz oder lang katholisch werden müssen.«

»Wieso? Woraus entnehmen Sie das? Ich bekenne die Religion, welche ich will.«

»Nur nicht böse, Freund,« sagte Sechow äußerst gelassen; »Sie werden jedenfalls keine andere Religion wollen als die wahre.«

»Natürlich nicht.«

»Nun also. Sie werden so lange studiren, bis Sie überzeugt sind, wo die volle Wahrheit zu finden ist. Dann werden Sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, dieser erkannten Wahrheit auch öffentlich die Ehre geben und handeln, wie Sie denken. Freilich wird das noch manchen Kampf kosten – aber, offen gestanden, wünsche ich Ihnen recht viele Kämpfe, natürlich mit glücklichem Ausgange.«

»Sehr liebenswürdig, Herr Dr. von Sechow.«

»Nicht wahr? Sie wundern sich, daß ich Ihnen Kämpfe wünsche. Nun, warum denn? Weil die katholische Religion eine Schule des Kreuzes ist, die von uns einen fortwährenden Kampf gegen das Böse in und um uns verlangt. Ein Convertit daher, der mehr aus Poesie, aus ästhetischem Wohlgefallen, aus Romantik zur alten Kirche zurückkehrt, wird sich leicht ernüchtert fühlen. Unser Verstand muß einsehen und unser Wille muß es erproben, daß das rechte Christenthum ein Militärdienst, keine Salonunterhaltung ist. Immer Drillen, Exerciren, Instructionsstunde, Manöver, Schlachten – ab und zu auch Tage der wohlverdienten Waffenruhe – und erst am Ende des Feldzuges der große Siegesjubel! Sehr nüchtern, Theo, nicht wahr? Aber es ist gut, sich darüber klar zu werden, daß die imponirende, glanzvolle äußere Erscheinung der Kirche nicht ihr Wesen ist, einmal, weil mancherorts der äußere Glanz vollständig fehlt, zweitens, weil alle Schönheit, ja selbst alle Erkenntniß der Wahrheit noch nicht zu jenem Lohne verhelfen können, den unser Herrgott nur den willensstarken Kämpfern bestimmt hat. Erlauben Sie mir daher, daß ich meine kleine Christpredigt hier unter den Linden zu Berlin mit der Mahnung schließe: nehmen Sie sich die braven Preußen zum Muster, die immer kriegsbereit sind. Nur tapfer, alter Junge, seien Sie heiter! Gott, der Ihnen offenbar das Glück des wahren Glaubens zugedacht hat, wird auch alles andere zu gutem Ende führen. Liegt nicht vielleicht bei Ihnen ein Haken darin, daß Ihre Ethel Protestantin ist?«

»Sie sind ein Menschenkenner, Doctor!«

»Nun, das herauszufinden, erheischt noch nicht gerade prophetische Gaben. Wer selbst recht Mensch ist, versteht auch meist etwas von andern. Ihre kleine Ethel muß eben auch katholisch werden.«

»Unmöglich! In Baden-Baden hörte ich einmal ein Gespräch an, welches Dolores, meine Schwägerin, mit ihr führte. Ethel ist fromm und eine überzeugte, durch und durch entschiedene Protestantin.«

»Erlauben Sie mir die Bemerkung, daß auch Sie vor noch nicht langer Zeit noch sehr wenig fromm und doch ein rechter Protestant waren …«

»Oho, ich bin noch nicht katholisch!«

»Könnten es schon sein. Jedenfalls haben Sie sich bereits in manchen Punkten bekehrt.«

»Ethel ist eine strenggläubige Protestantin … sehr fromm …«

»Um so gehorsamer wird sie der Stimme Gottes folgen.«

»Ich dürfte ihr kein Wort von meinen jetzigen Neigungen schreiben …«

»Im Gegentheil, klaren Wein müssen Sie ihr einschenken.«

»Sie würde unsere Verlobung aufheben.«

»Ueberlassen Sie das dem Geiste, der in alle Wahrheit führt. Und wenn Ihre Braut sich zurückzöge, Theo – nun, so wäre sie Ihnen nicht von der Vorsehung bestimmt.«

»Wie hart das klingt, Doctor!«

»Denken Sie daran, daß die Wahrheit eine unverwundbare stählerne Brünne trügt. Sie ist die Kriegswalküre Gottes.«

»Sie reden wie einer, der die Vernunft an der Stelle des Herzens trägt. Wissen Sie, was Liebe ist?«

»Theo, haben Sie vergessen, was ich Ihnen von Georgine erzählte? Alter Freund, ich denke noch an sie, trotzdem sie mir untreu ward. Aber nun schauen Sie, überlegen Sie einmal: wäre ich wohl aus einem Namenskatholiken ein praktischer Katholik geworden an der Seite Georginens?«

»Vielleicht wäre sie katholisch, Doctor.«

»Nun also! Da sage ich ebenso: Wer weiß, ob Ethel nicht katholisch wird!«

»Ach, Doctor, Sie sehen alles durch die rosenfarbene Brille an.«

»Und Sie alles durch die aschgraue. Wir sind hier übrigens gerade vorm Café Bauer, wollen wir nicht ein Frühstück nehmen?«

»Mir recht, obwohl ich keinen besondern Appetit habe.«

Sie gingen hinein, und trotz der Versicherung, wenig nehmen zu wollen, bestellte Theo ein belegtes Brödchen nach dem andern. Sechow dachte: für einen unglücklich verliebten Pessimisten ein gesunder Hunger! Er hatte sich übrigens erbaut, wie ehrfurchtsvoll Theo beim Hochamte gewesen war. Der mehrwöchige Verkehr mit Mallatini hatte vielleicht ebenso viel wie die Lectüre Hammersteins bei dem jungen Manne zur Klärung seiner Begriffe über Gebet und Religionsübung beigetragen. Lehre und Beispiel waren seine Führer zu gleicher Zeit, darin bestand ein unschätzbarer Vortheil.

»Wie finden Sie eigentlich unsern Luigi?« fragte Theo den Doctor.

»Er thut Ihnen viel Gutes.«

»Und wie finden Sie ihn?«

»Sie könnten ihm indes auch ein wenig nützlich sein.«

»Warum weichen Sie aus? Wieso kann ich ihm nützlich sein?«

»Sehen Sie, Luigi ist ein Prachtcharakter. Seine heitere Frömmigkeit dient Ihnen. Aber er ist gesellschaftlich wenig erzogen, und wie die Welt nun einmal ist, verlangt sie auch äußern Schliff bei demjenigen, der in ihr seinen Weg finden will. Da Sie, liebster Theo, die gesellschaftlichen Formen nicht überschätzen, sondern sogar oft durchschauen und als das ansehen, was sie im Grunde sind, so wären Sie der geeignete Lehrmeister, um Mallatini etwas zu corrigiren, wenn er z. B. mit dem Messer Fisch ißt oder seine kunstfertigen Hände nur einmal am Tage wäscht und dann bis zum Abend mit Trauerrändern an den Fingernägeln – verzeihen Sie den nicht sehr edeln Vergleich – herumläuft.«

»So etwas muß ich von dem vorurtheilsfreien Dr. Lexikon vernehmen?«

»Ich möchte nicht, daß der begabte und fleißige junge Künstler sich durch Lappalien seine Carriere verdürbe. Das wird er aber leicht thun, wenn er nicht lernt, auf Manieren und äußere Erscheinung mehr acht zu geben. Gesellschaftlicher Anstand ist das ›Sesam, thu dich auf!‹ und ›Tischlein deck dich!‹ bei den Gebildeten.«

»Er ist ein armer Schlucker, Doctor!«

»Seine Eltern, lieber Freund, sind nicht so arm, wie Ihr guter Freund Hans war. Aber wie sauber sah der immer aus!«

»Es ist wahr; seine Hände waren hart von Schwielen und seine Kleider grob; aber nach der Arbeit erschien er immer blank und sauber. Freilich hatte er eine Schwester, die für ihn sorgte.«

»Aber die guten Manieren, woher hatte er die? Einigen ist es angeboren, sich überall edel und gefällig zu geben, andere müssen diese Kunst erst erlernen. Wenn auch dergleichen Aeußerlichkeiten vor Gott keinen wesentlichen Werth besitzen, so ist es doch nicht nur keine Sünde, sondern geradezu eine lobenswerthe Klugheit, sich in die Forderungen des Wohlanstandes zu schicken. Ein Maler, ein Künstler kann kein Bauer bleiben. Er mag originell, sonderbar, phantastisch, unmodisch austreten; aber daß er sich im Gespräch mit einer Dame drei Minuten lang den Kopf kratzt oder beim Lachen mit der flachen Hand auf den Schenkel schlägt, das verzeiht ihm die gute Gesellschaft schwerlich. Haben Sie ihn nicht gestern Abend bei Dressel beobachtet? Die Professorin Bohrmann, die doch wahrhaftig keine kokette Modedame ist, schaute ganz entsetzt zu, wie der brave Luigi auf seinem Messer erst die Tomatensardinen mit Haut und Haar hinter das Gehege seiner Zähne expedirte und dann mit derselben Waffe in die allgemeine Butterdose fuhr. Als ich ihm das Buttermesser zuschob, rief er unverfroren: ›Nix nothwendig, ich aben bereits.‹ Und ist Ihnen die Miene der Professorin entgangen, als sie beim Dessert um eine Apfelsine bat und der Pittore ihr lächelnd eine über das Tischtuch zurollte? Wahrscheinlich wollte er sie nicht mit der Hand reichen, da noch Ocker und Kohle und Deckweiß und alle Farben des Regenbogens an seinen Fingern strahlten. Auf die Idee, die ganze Fruchtschüssel anzubieten, kam er nicht …«

»Wie können Sie mit einemmal so boshaft sein!«

»Ich meine es wirklich gut, Theo. Sie müssen Luigi erziehen. Das heißt noch lange nicht, einen Geck, Modelaffen oder parfümirten Ladenschwengel aus ihm machen. Denken Sie nur, was würde es gegeben haben, wenn ich als junger Tedesco seine Mutter wirklich geheiratet hätte, nachdem ich mich in ihr hübsches Gesicht vergafft! Nein, ich bleibe dabei: die Vorsehung ordnet alles weise an.«

»Das sagen Sie so ruhig und gelassen!« versetzte Theo ärgerlich.

»Weil ich klar einsehe, daß man dem braven Jungen etwas Cultur angedeihen lassen muß. Glauben Sie ja nicht, daß ich einen so ehrlichen, treuherzigen Burschen verachte, Theo. Im Gegentheil, ich meine zu erkennen, daß Gott ihm in seinen Talenten die Mittel gegeben hat, ein bedeutender Maler zu werden. Da Luigi tief religiös ist, wird er dereinst durch seine Kunst ein wahres Apostolat ausüben können; wie schade wäre es, wenn er sich durch lächerliche Ungeschicklichkeit eine solche Aussicht verdürbe!«

Damit nahm das Gespräch ein Ende; denn die beiden Freunde vertieften sich in die Zeitungen, welche der Kellner gebracht hatte. Nach kurzer Zeit entdeckte Theo in den »Hamburger Nachrichten« einen »Mumpitz«, den er im Tone tragikomischer Entrüstung dem Doctor vorlas: »Nun hören Sie doch diese fashionable Langweilerei! Da steht hier:

 

Am 8. Januar wird in der neuen, schloßartig ausgebauten Winterwohnung des Herrn Baron von Göhring am Harvestehuder Weg ein glänzendes historisches Kostümfest stattfinden, zu welchem über 300 Einladungen an die Elite der Gesellschaft in Hamburg und Altona ergangen sein sollen. Die künstlerische Leitung der Aufzüge und lebenden Bilder liegt in den Händen des Herrn Professor Windisch vom culturhistorischen Museum, des Herrn Premierleutnant von Essen-Immerum aus Wandsbeck und des Herrn Balletmeisters Jumper vom hiesigen Stadttheater. Die Musik wird von der Kapelle des 76. hanseatischen Infanterieregiments unter Direction des Herrn Kapellmeisters Ganzer gestellt. Die Beleuchtung der Säle wie der Bühnenräume ist der renommirten Firma Glülich und Brenner übertragen, die erforderlichen Kostüme und Decorationen entstammen den Ateliers von Röper und Messerschmitt, Reinwein, Gerlach und andern renommirten Häusern. Die Grundidee des Festes ist ›Der Hof der Königin Elisabeth von England‹.

 

Ist das nicht ein vollendeter Mumpitz, Doctor?«

»Ein farbenprächtiger Renaissance-Mumpitz, der Ihren Eltern ein hübsches Sümmchen kosten wird, vermuthe ich. Aber ärgern würde ich mich nicht, das ist die Geschichte nicht Werth, und es hilft auch nichts. Sie können daraus übrigens schließen, daß Ihr Papa wieder wohl ist. Wenn er sich nicht vollständig erholt hätte, würde Ihre Frau Mutter keine solche Fête ansagen.«

»Man sollte es denken. Nun, Gott sei Dank, brauch' ich an der Maskerade nicht theilzunehmen.«

»Sie sollten extra zu diesem Zwecke gen Hamburg dampfen,« neckte Sechow.

»Das fehlte noch!«

»Um Ihren aus Guatemala zurückgekehrten Bruder zu begrüßen.«

»Jawohl, wenn Carlos mir seit seinem Hiersein noch nicht ein Wort geschrieben hat! Nur durch Carlito weiß ich, daß mein Bruder in Europa ist.«

»So? Schreibt Ihnen der kleine Mann?«

»Zwei Briefe erhielt ich von ihm. Er will absolut auf eine katholische Schule. Im Hamburger Johanneum gefällt es ihm nicht. Seine Mama wäre mit einem Wechsel sehr einverstanden, aber mein Bruder und meine Eltern wollen das absolut nicht zugeben.«

»Da sehen Sie, wie weit die Toleranz des liberalen Christenthums geht, Theo. Ein katholischer Knabe will katholische Lehrer haben, seine Mutter hält es für ihre Pflicht, dasselbe zu verlangen, aber die Toleranz der Protestanten muß das verhindern.«

Theodor meinte: »Was mich am meisten dabei ärgert, ist eigentlich dieses: Carlos mußte vor der Heirat mit Dolores die katholische Erziehung aller Kinder feierlich versprechen. Daß er dieses Versprechen nicht hält, kommt mir – ich kann mir nicht helfen – ebenso unmännlich wie treulos vor.«

»Es ist schwer, einer solchen Handlungsweise einen euphemistischeren Namen zu geben.«

Theo nahm die Zeitung wieder vor und sagte: »Ich möchte nur wissen, wer bei diesem Kostüm-Mumpitz die Königin Elisabeth vorstellen soll.«

»Das werden Sie schon später erfahren. Aber sagen Sie mal: wann ist denn die Hochzeit Ihrer Schwester?«

»Mathildens Hochzeit wurde wegen Papas Schlaganfall verschoben. Ich denke mir, jetzt wird sie wohl bald stattfinden.«

»Hat man Ihnen nichts geschrieben?«

»Nein, meine Cousine Olga – Sie kennen sie?«

»Habe nicht das Vergnügen. Sie ist die Tochter des Senators, nicht wahr?«

»Ja. Ich habe Ihnen erzählt, daß sie mit Dr. Brewer verlobt ist. Die Hochzeit soll Ende Januar sein, und dann zieht das junge Paar hier nach Berlin.«

»Georginens Sohn!« rief der Doctor und hielt die Zeitung wieder vor sein Gesicht.

Gegen ½1 Uhr brachen die zwei auf. Sechow wollte den Brief an Lucia, Luigis Mutter, schreiben, und Theodor hatte eine lange Epistel an Ethel bereits in Gedanken fix und fertig. Am Nachmittage, gegen 4 Uhr, gedachten sie Bohrmanns in der Wohnung des Herrn von den Blenden, Dorotheenstraße NW., aufzusuchen. Höchst wahrscheinlich würde man sie dort zu Tische bitten.

Mallatini kam ganz traurig heim.

»Ach,« erklärte er auf Befragen der Freunde, »ich abe besucht der Freund aus meine Gegende, Girolamo Roberti. Er ist ein junger Mann in ein großes Weingeschäfte. Aber er at geeiratet eine protestantische Frau, und er ist auk mit seine Kinderen gefallen von der Kirche. O diese schlekte, erbärmeliche Berlin, diese äßliche große Auptstadt mit ihre Soldater und Juden und ungläubige Weibern! Roberti at gedient mit mir Messe auf Capri, wann wir waren zwei kleinen Knaben – o und er war so fromm geglaubt bei alle Mensche, è un angelo, questo ragazzozzo Dieser Bursche ist ein Engel., sie aben gesagt. Aber er war noch nix groß, als er at schon erzällt kleine Lugen. Die kleine Lugen sind geworden große Lugen und immer mehr große. Und nun er at verlassen Wahreit ganze. Fünfe Jahre er ist in dieses babilonische Stadt und viere er at nix mehr emfangen die eilige Communione und nix gemakt seine Confessione. Misericordia, wie ist er moglich! Aber auch: wie ist moglich zu bleiben ein angelo ohne die Sacramenten der Kirche! Und es ist mehr böse: seine Frau ist nix eine gute, ehrliche Protestante – no, io l'ho saputo bentosto Nein, ich hab' es bald herausgemerkt. – sie ist eine ganze ungeehrte, niedrige Weib. Sie ereinkam in das Istube, wo Girolamo und ich aben getrinket vino d'Asti spumante, und at geredet mit eine Weise, mit welche ich nix aben gewollt reden zur Antewort. O Girolamo mio, poveretto tu! perchè non sei stato da noi altri!« O mein armer Girolamo, warum bist du nicht bei uns andern geblieben!

Die großen, dunklen Augen standen voller Thränen, als er seinem Kummer so offen Luft machte. Theo war ganz ergriffen von diesem Schmerze, der mehr den Fall einer christlichen Seele als den persönlichen Verlust eines Jugendfreundes zu beklagen schien. Er fragte Luigi: »Du hast deinen Landsmann wohl recht lieb gehabt?«

»Ich wollen nix lugen: no, Theo, ich aben immer geabt einen eigentumlichen Furcht vor Girolamo. Aber ich auch aben gedenket: Luigi, du thuest unrechte, er ist ein guter Knabe! Nun ich dennoch aben rechte.«

»Dann brauchst du dich über sein Schicksal auch nicht allzusehr aufzuregen. Solche Fälle werden in Berlin wohl häufiger sein.«

»O Theo, du reden mit vieles Unverstandnisse. Aber du nix kannest wissen, was ist eine Fall aus der Wahreit. O, ich beklagen seine ungeluckliche Seele, und das ich wollten thun, wenn auch er ätte mich gemordet. Du bist nix katholisch, Theo, no, du nix könnest verstehn von diese Dingen.«

»Sie sehen, Theodor,« sagte der Doctor bedeutungsvoll, »was wir Katholiken von denen denken, die vom Wege der Wahrheit abweichen. Signore Mallatini, Sie dürfen Ihren Landsmann nicht aus den Augen lassen. Wir wollen ihn im Gebete nicht vergessen.«

»O no, Err Dottor! Un ich versprechen Maria, daß ich werde malern eine Concezione, wenn Girolamo zurückekommet, für die Cappella der Dominicani in Moabite, nix für Geld, ganze umsonste.«

»Warum wendest du dich an Maria? Warum nicht an Gott selbst?« meinte Theo.

»Ich wenden an Gott, gewiß, gewiß. Aber Maria muß elfen, mitbeten; weil Gott sie liebt mehr als mich, er ganze gewiß ört ihr Gebete.«

Da dachte Theo bei sich: Ob diese von den Katholiken so gläubig verehrte Mutter Christi nicht auch mir helfen könnte? Ob sie wohl wirklich auf die Geschicke der Menschen durch ihre Fürbitte irgendwelchen Einfluß ausüben kann? Ist dieses Vertrauen der Katholiken mehr als ein frommer Aberglaube … Ein Versuch wird nicht schaden, schloß Theo, als er Luigi wieder vor der Staffelei stehen sah und Sechow das Zimmer verlassen hatte. Nein, ein Versuch kann nichts verderben. Aber o! du armer Protestant, dessen Seele von Jugend auf mit Vorurtheilen gegen das edelste, süßeste, liebenswürdigste Geschöpf Gottes genährt wurde, wie schwer, wie ungern beugt sich dein Knie, dein Stolz, dein harter Wille! Vielleicht würdest du nicht zaudern, vor einer sterblichen Fürstin dich tief, tief zu neigen oder selbst zu den Füßen einer eitlen, gefallsüchtigen Schönen nicht von Verehrung, nein von ›Anbetung‹ zu schwindeln und zu phantasiren; vielleicht ließest du dich um eines geringen Vortheils willen bewegen, vor der Macht des Geldes, des Einflusses, des Genies deinen männlichen Rücken zu krümmen; vielleicht könntest du dich dazu verstehen, dem Götzen der Ehre und selbst des eitlen, vergänglichen Ruhmes Weihrauch zu streuen – – warum ist die Kehle wie zugeschnürt, wenn du die Jungfrau grüßen sollst, zu welcher ein Engel, ein Bote des Allerhöchsten gesprochen: »Ave Maria«?

Theodor, der Cultus der Eitelkeit hat den Spiegel deines Herzens kaum getrübt! Du hast früh gelernt, mancher Thorheit der Welt die Larve von dem fahlen, kranken Antlitz herunterzureißen. Glaubst du, es würde deine Seele erniedrigen, wenn du jetzt der reinsten Gottesmutter die Huldigung deines Vertrauens darbrächtest? …

Mitten im lärmenden Treiben der Weltstadt vollzieht sich ein seelisches Wunder. Oben im fünften Stocke, in der ärmlichen Künstlerwohnung hoch über dem Straßengewühl der Friedrichstraße, feiert in einem Augenblicke die Gnade ihren stillen, herrlichen Triumph. O gebenedeiter Tag des Herrn, o denkwürdiges Christfest! Heimlich und ungesehen von den Menschen kniet der Sohn eines Hamburger Millionärs an seinem Lager und spricht tief aus dem Herzen, das mit einem Zauberschlage guten Willens ward: »Ave Maria! Erflehe meiner geliebten Braut den wahren Glauben und – ich bin dein auf ewig.«



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