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Elftes Kapitel.
Im katholischen Pfarrhause

»Wohnen Sie denn nicht in dem alten Prätoriusbau, Herr Pater?« fragte Theo, als sein Begleiter bei der Johannisstraße, statt links nach der Neuenburg abzubiegen, den Burstah hinuntergehen wollte.

»O nein; das alte Stammhaus unserer Familie gehört meinem Vetter in Triest. Ihm vermachte ich es, als ich Ordensmann wurde. Da die Triester aber nie nach Hamburg kommen und außerdem heutzutage niemand mehr in der dumpfigen Altstadt wohnen mag, hat man es als Geschäftshaus vermiethet. Neulich war ich einmal dort – ich habe den Schauplatz meiner Kinderspiele und Knabenstreiche kaum wieder erkannt. Sic transit gloria mundi So vergeht der Glanz der Welt.: die ehemalige Bibliothek meines Vaters und der große Speisesaal liegen voll Fässer und Kisten.«

»Sie müssen merkwürdige, wechselvolle Jahre erlebt haben! Schon als Knabe habe ich von Ihnen gehört, und ich erinnere mich ganz gut, welches Aufsehen Ihr Uebertritt zum Katholicismus machte. Der Sohn des Bürgermeisters Prätorius …«

»Ja, mein Rücktritt gefiel den guten Hamburgern wenig.«

»Warum sagen Sie Rücktritt, Herr Pater? Absichtlich?«

»Freilich. Ein Protestant, der sich der alten Kirche anschließt, kehrt ja zurück zu dem Glauben der Vorväter.«

»Die alte Kirche, sagen Sie. Die protestantische Kirche ist also in Ihren Augen eine neue

»O ganz gewiß. Sie datirt ja nicht von Christus dem Herrn her, sondern aus dem 16. Jahrhundert von Dr. Martin Luther.«

»Luther reformirte die alte Kirche.«

»Es konnte sich höchstens um eine Reformation von Mißbräuchen im Leben des Clerus oder um Abstellung eingerissener Schäden in unwesentlichen Dingen handeln. Da aber Luther die Kirchen lehre änderte, so ist die von ihm begründete Gemeinschaft nicht mehr die alte Kirche. Daraus folgt … aber solche Dinge sind kein Gesprächsstoff auf einer belebten Straße!«

»Bitte, was folgt daraus?«

»Entweder daß Jesus Christus sich geirrt hat, als er der Kirche verhieß, der Geist der Wahrheit werde stets bei ihr bleiben, oder daß Luther auf dem Irrwege war.«

Theodor schwieg und dachte über die Worte des Paters nach. Als die beiden am Ende des Burstah den Rödingsmarkt kreuzten, fragte der Student: »Aber wo wohnen Sie denn eigentlich? Ich laufe immer so mit …«

»Im katholischen Pfarrhaus hinter der kleinen Michaeliskirche.«

»Und dahin soll ich Ihnen folgen?«

»Wenn Sie die Courage haben,« lachte der Pater. »O, vor fünfzehn Jahren hätte ich mich durch nichts bewegen lassen, in ein Haus zu gehen, wo katholische Pfaffen leben. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen.. Sie scheinen solche kindische Furcht nicht zu kennen.« Theodor dachte insgeheim: Wenn du wüßtest …! Er antwortete jedoch: »Wovor soll ich mich denn fürchten, Herr Pater?«

»Sie haben recht, wovor auch! Und doch – ich hatte wie die meisten Protestanten eine unerklärliche Scheu vor einem Priester. Sonderbar – die Katholiken sind gar nicht bange vor einem protestantischen Prediger. Der ist für sie ein Mensch wie jeder andere.«

Vor dem Pfarrhause zögerte Theodor noch einen Augenblick. Sollte er umkehren? War er nicht zu weit gegangen? Vom Glockengießerwall bis hierher hatte er einen katholischen Priester mit römischem Collar durch die belebtesten Straßen begleitet: wenn ihn ein Bekannter gesehen hätte! Aber einerlei, der Pater gehörte einer vornehmen Familie an, die ehemals in der Stadt großes Ansehen genossen. Theo durfte daher schon aus gesellschaftlichem Anstand nicht wohl zurückbleiben.

Es ging eine enge, gewundene Stiege hinauf, wie sich solche in einfachen Häusern der Altstadt häufig finden. Theo war sehr froh, daß der Pfarrer, bei welchem der Pater für die Dauer seines Hamburger Aufenthaltes abgestiegen war, gerade nicht zu Hause zu sein schien.

Die Haushälterin begrüßte seinen Begleiter: »Es ist gut, daß Sie kommen, Hochwürden. Der Pfarrer ist im Beichtstuhl und die andern Herren sind theilweise in der Schule oder aus. Könnten Sie nicht eine arme Frau hier ganz in der Nähe, in der Düsternstraße, versehen? Eben ist der Junge gekommen – man fürchtet, sie könnte die Besinnung verlieren.«

»Gewiß, gewiß. Ist der Junge noch da, daß ich das Haus finde?«

»Jawohl, Hochwürden. Er wartet in der Küche.«

»Wollen Sie auf mich warten, Herr von Göhring? Ich gebe Ihnen ein Buch – oder wenn Sie lieber in die Kirche hinübergehen mögen …?«

»Dann ziehe ich vor, hier zu warten. Oder dauert es lange?«

»In einer halben Stunde«, meinte die alte Haushälterin, »ist der Herr Pater sicher wieder da.«

»Gut denn – ich bin einmal hier, ich warte.«

Die Dame führte Theodor in das Wohnzimmer des Pfarrers und brachte einige Zeitungen. Pater Hermann kam auch noch: »Wenn Sie etwas Katholisches lesen mögen – hier ist ein Buch des berühmten Convertiten P. von Hammerstein: ›Edgar, oder vom Atheismus zur vollen Wahrheit‹, oder – vielleicht interessirt Sie dieses mehr: eine Kunstgeschichte von Dr. Fäh?«

»Danke bestens. Ich lese die Zeitung, bis Sie wiederkommen.«

Als der Pater verschwunden war, schaute sich Theodor zum erstenmal in seinem Leben in der Wohnung eines katholischen Priesters um. Leute gebildeter Stände sind zwar im allgemeinen nicht so leicht jener ängstlichen Scheu zugänglich, welche einfachere Gemüther in ungewohnten, neuen Lebenslagen beinahe zu lähmen pflegt, doch hat wohl für jeden Protestanten, selbst für den Mann von freien, ungenirten Gesellschaftsformen der Anblick eines echt katholischen Heims zum mindesten etwas Geheimnißvolles.

Zwischen den beiden Fenstern über dem Knieschemel des Pfarrers hing ein großes Crucifix, nicht viel unter Lebensgröße. Darunter ein schön eingerahmtes buntes Bild mit der Unterschrift Sancta Maria de perpetuo succursu Heilige Maria von der immerwährenden Hilfe.. Auf dem Betstuhle lagen ein Band des römischen Breviers, die Nachfolge Christi, »Betrachtungen auf alle Tage des Jahres« und ein violetter, seidener Zeugstreifen mit eingestickten Kreuzen und andern Verzierungen. Daß dies eine Stola war, davon hatte Theodor keine Ahnung. Er dachte: Das ist gewiß ein Meßgürtel, und aus der Pars aestiva Abtheilung für den Sommer. mit Goldschnitt singt der Pfarrer wahrscheinlich seine Winkelmessen.

An der Sophawand prangte in der Mitte eine Copie der Unbefleckten Empfängniß von Murillo. Theodor erklärte es sich als »Vision der Maria«. Die beiden guten Stahlstiche rechts und links kannte er: es waren die Disputa von Raffael und Dürers Allerheiligenbild.

Die dritte Wand enthielt den Ausgang nach dem Vorplatz, einen niedrigen Rauchtisch und zwei Bücherschränke. Einer von den letztern hatte eine Glasthüre, so daß der Student die Titel der meisten Werke lesen konnte. Das war eine ganz neue, halb unverständliche Gedankenwelt für ihn; mehrere Bände Hettinger, Apologie des Christenthums; Wilmers, Handbuch der katholischen Religion; Gihr, Heiliges Meßopfer; Pruner, Moraltheologie; Scheeben, Katholische Dogmatik; Thalhofer, Liturgik; Jungmann, Theorie der geistlichen Beredsamkeit; Bering, Kirchenrecht; Janssen, Geschichte des deutschen Volkes – aha, davon hatte Dr. Ehrlich heute morgen gesprochen! – Pastor, Geschichte der Päpste; Geschichtslügen; Duhr, Jesuitenfabeln – das möchte ich doch einmal lesen! – Hergenröther, Kirchengeschichte; Hefele, Conciliengeschichte – alle Achtung, der Pfarrer muß ein gebildeter Mann sein! Sogar Dante liest er? Die Bände sind recht abgegriffen. – Weber, Dreizehnlinden – und da in dem obersten Bord: Testamentum Syriacum, Biblia Hebraica, Septuaginta – was? diese katholischen Meßpfaffen lesen die Bibel auch in der Ursprache? Hatte Pastor Turner nicht immer behauptet, die katholischen Priester verständen höchstens ein wenig schlechtes Latein? Ja, so sagte er damals in der Confirmationsstunde. Holla! Bädeker, eine ganze Reihe: London, Schweiz, Italien, Schweden und Norwegen, Palästina … ob der Pfarrer wirklich da überall herumgekommen war? Sogar französische und englische Klassiker! Und Calderon! Das hätte ich nicht gedacht! Aber was ist hier? Lauter böhmische Dörfer: De re sacramentaria; De Deo creante – wie kann man darüber ein so dickes Buch schreiben? – Der Geist der Exercitien – was heißt das? – Der seraphische Führer? Versteh' ich nicht recht. – Das eine Nothwendige; – Der Gefangene im Tabernakel – das müssen Novellen sein! – Altarblumen – aha, der Pfarrer ist Blumenfreund. Und der andere Schrank? Na, das werden wohl ähnliche Sachen sein … Pesch, Welträthsel – vielleicht ganz interessant. – Schematismus der katholischen Kirche? Vermuthlich ein Buch über Meßceremonien, – doch wozu all die Titel lesen? Was hängt denn da? Ein Christusbild mit einem flammenden Herzen? Sonderbar: Lernet von mir, denn ich bin sanft und demüthig von Herzen. Nicht übel – nein, das ist wirklich eine schöne, künstlerische, anregende Idee. Christus bietet dem Beschauer gleichsam sein Herz an, damit er es nehme und studire. Das wäre etwas für Mallatini!

Da ist der Schreibtisch des Pfarrers. Es wäre indiscret, den zu besehen. Aber dort? Was ist das? Ah so, ein Notenpult und ein Geigenkasten. Hier die angelehnte Thür? Sein Schlafzimmer. Durch den Spalt sieht Theodor auch dort wieder Statuen und Heiligenbilder.

Ganz merkwürdig; wohin der Blick fällt, wird man an etwas Religiöses erinnert. Es ist eigentlich ganz in der Ordnung, denkt Theodor, als er wieder sitzt, daß man sich mit Dingen umgibt, die einen auf gute und ernste Gedanken bringen! Diese Katholiken scheinen die Religion aus ihren Kirchen in die Wohnräume zu verpflanzen. Und Kunst und Wissenschaft, sogar Musikalien sind auch vertreten. Es ist keine reiche, elegante Wohnung, aber einfach – gemüthlich. So ein großes Crucifix z. B. ist doch ein herrlicher Schmuck! Wird man sich nicht vor manchen Sünden hüten, wenn das Bild des Gekreuzigten auf einen herabblickt? Und in trüben Stunden, wird er uns nicht ein kräftiger Trost sein? Wie nett dort das Bild mit dem Kranz von frischen Blumen: wieder eine Maria!

Auf dem Tische stand eine Visitenkartenschale, die Theodors Neugier erweckte. Ganz erstaunt fand er die Namen von mehreren in der Gesellschaft wohlbekannten Persönlichkeiten. Gab es denn selbst in Hamburg so viele gebildete Katholiken? Die Entdeckung war völlig neu. Er meinte, die wenigen katholischen Damen seien die Frauen von sogen. Ueberseern, jungen Kaufleuten, die fern der Heimat Ehen mit Katholikinnen geschlossen.

Die Zeitungen wurden beiseite geschoben; denn die Berliner »Germania« war ein ultramontanes Blatt und den »Correspondenten« hatte Theo bereits beim Frühstück gelesen. Er blätterte ein wenig in dem Hammersteinschen Buche, wurde allmählich immer neugieriger und war schließlich mit höchstem Interesse bei der Lectüre. »Merkwürdig, daß dieser Edgar in manchen Dingen accurat wie Theo selbst dachte! Alle die Zweifel über die eine wahre Kirche, über den Beweis aus der Schrift, über die Heiligenverehrung wurden da behandelt und recht befriedigend gelöst. Wenn die Katholiken wirklich so dachten und lehrten, waren sie doch vernünftige Leute. Wie folgerichtig, wie bestimmt, wie gut begründet ist doch diese Religion! Ob Turner wohl das alles widerlegen könnte? Ob er überhaupt weiß, daß dies der Glaube der Katholiken ist? Was hat man uns doch in der Schule und in der Confirmationsstunde für Märchen aufgebunden! Potzelement, Unfehlbarkeit des Papstes heißt ja ganz etwas anderes, als ich dachte! Was? der Papst muß auch beichten, ist auch ein Sünder? Halt, das schreibt ein Jesuit. Hammerstein könnte da doch einen jesuitischen Kniff brauchen! Ich muß einmal Dolores oder Carlito oder Pater Prätorius darüber befragen! Wo bleibt denn der Pater? Schon ½4 Uhr? Gut, da lese ich weiter.«

Theos Gedanken wurden wieder ganz von dem Buche in Anspruch genommen. Er merkte nicht, daß der Pfarrer durch eine andere Thüre vom Corridor direct in sein Schlafzimmer gegangen war. Die Haushälterin berichtete ihm, der Herr sei ein Bekannter des Paters und scheine Protestant zu sein, da er ihren Gruß »Gelobt sei Jesus Christus« mit »Sehr angenehm, gnädige Frau«, erwidert habe. Dazu hatte der Pfarrer gelächelt und seiner Schwester gerathen: »Wir wollen ihn lieber allein lassen. Ich weiß aus Erfahrung, daß diese Leute sehr argwöhnisch sind. Wer weiß, ob wir sonst nicht dem guten Pater Hermann ins Handwerk pfuschen. Stelle mir den Kaffee lieber ins andere Zimmer, Maria.«

Endlich kam der Pater heim.

»Nun, Herr von Göhring? Ich fürchtete, die Zeit sei Ihnen zu lang geworden. Beinahe anderthalb Stunden war ich fort. Sie müssen mir das verzeihen.«

»Ich habe ein kolossal interessantes Buch gelesen. Es könnte mich beinahe katholisch machen!«

»Der Hammerstein? O nein, ein bloßes Buch macht niemanden katholisch.«

»Aber dieses Buch …«

»Ist ganz vorzüglich geschrieben, ich gebe es zu; es bietet solide Belehrung und großartige Anregung …«

»Und zerstört Vorurtheile und überzeugt den Verstand.«

»Ganz gewiß. Aber eines fehlt dem Buche.«

»Was meinen Sie?«

»Kein Buch kann Ihnen die Gnade geben; das kann nur Gott, Herr von Göhring.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Pater,« fiel Theo ein. Die Frage schien natürlich; denn dem Ex-Vangionen waren theologisch-katechetische Ausdrücke weniger geläufig.

»Der Verstand kann von einer Wahrheit überzeugt sein, ohne daß der Wille auch die praktischen Consequenzen zieht. Die Anerkennung, das freie und offene Bekenntniß ist zumeist mit solchen Opfern verbunden, daß Gott besonders helfen muß. Außerdem ist zur Einsicht übernatürlicher Wahrheit, zum Aufgeben liebgewordener, tief eingewurzelter Vorurtheile ebenfalls ganz specieller Beistand von oben nothwendig … diese Hilfe, diese Anregung, diese übermenschliche Kraft ist Gnade.«

»Sagen Sie – das heißt, ich denke natürlich nicht daran, katholisch zu werden – indes sagen Sie: wie verschafft man sich diese Gnade?«

»Sie ist ein freies Geschenk Gottes; aber durch demüthiges, eifriges Gebet kann man sie sich erflehen.«

»Hm! so? Na ja, ich sehe. Es ist mir übrigens nur darum zu thun, ungerechte Vorurtheile gegen die Katholiken los zu werden. Sonst habe ich kein Interesse an diesen Fragen.«

»O doch wohl!« sagte der Pater bedeutsam.

»Nein; ich möchte wissen, welches Interesse das sein könnte!«

»Das Interesse, welches Sie an Ihrem eigenen Glücke haben müssen.«

»Wieso?«

»Ihr zeitliches und ewiges Glück hängt davon ab, ob Sie Ihrem Gott und Schöpfer gegenüber die richtige Stellung einnehmen oder nicht. Geben Sie das zu?«

»Allerdings; aber was gibt Ihnen ein Recht, anzunehmen, ich sei nicht auf dem rechten Wege?«

»Habe ich das gesagt, Herr von Göhring?«

»Nicht gerade gesagt; doch schien es mir in Ihren Worten zu liegen.«

»Was ich Ihnen zu bedenken geben möchte, ist nur dieses: Sie fühlen sich zum Nachdenken über die katholische Religion angeregt, weil Sie nicht oder doch nicht mehr überzeugt sind, daß der Protestantismus die einzige, wahre, von Christus gestiftete Kirche ist. Einiges ist Ihnen von der katholischen Lehre nun schon plausibel geworden, und zwar haben Sie lang gehegte Vorurtheile als solche erkannt. Der Katholicismus scheint Ihnen, wie Sie selbst zugeben, in dem Buche des Pater von Hammerstein sehr anziehend geschildert zu sein. Sie müssen also ein theoretisches und praktisches Interesse daran haben, weiter zu studiren.«

»Ein theoretisches, gut. Aber warum ein praktisches?«

»Weil es kaum eine religiöse Wahrheit gibt, die nicht auf das Verhältnis; des Geschöpfes zum Schöpfer bestimmend, ordnend, vorschreitend einwirkte.«

»Zum Beispiel?«

»Nun, zum Beispiel wenn die Entscheidungen, die der Papst ex cathedra in Sachen des Glaubens und der Sitte erläßt, vermöge des ihm geleisteten göttlichen Gnadenbeistandes unfehlbar sind, so muß man ihnen Gehorsam leisten.«

»Ja, wenn man das glaubt.«

»Das ist, was ich behaupte. Und wenn die Ohrenbeichte von Gott eingesetzt ist, muß man seine Sünde eben beichten. Wenn der Heiland im allerheiligsten Sacrament gegenwärtig ist, so muß man ihn daselbst anbeten und …«

»Aber ich bin doch nicht katholisch, Herr Pater!«

»Halten Sie, offen und ehrlich, den Protestantismus für die von Gott gewollte und gestiftete Kirche? Und wenn ja, welche von seinen Secten? – – Sie schweigen. Also: Sie müssen studiren, um sich diese Frage beantworten zu können.«

»Könnte ich nicht aus rein wissenschaftlichem Interesse vergleichende Confessions- oder Religionswissenschaft studiren?«

»Ja, wenn es Ihnen gleichgiltig ist, ob Ihr Studium Ihnen das Resultat bringt, daß Sie zwar theoretisch die Wahrheit erkennen, aber praktisch sie nicht bekennen.«

»Können nicht alle Religionen gleich berechtigt sein?« rief Theo unruhig.

»Antworten Sie hierauf einmal selbst, Herr von Göhring.«

»Ich weiß nicht. Der Gedanke geht mir seit letzthin immer durch den Kopf.«

»Nun, da Sie sich diese Frage nicht beantworten können, müssen Sie eben weiter forschen, ob Gott eine einzige, wahre Kirche oder mehrere einander bekämpfende und sich widersprechende gewollt hat. Sodann …«

»Sie wollen mich bekehren, Pater!«

Ganz gelassen nickte der Geistliche: »Natürlich.«

»Aber zum … aber ich bitte Sie! Gegen meinen Willen?«

»Nein, nur wenn Sie die Wahrheit hören wollen und Gott seine Gnade dazu gibt.«

»Und wenn ich nicht will

»Wenn Sie die Wahrheit nicht prüfen, Ihre Zweifel nicht aus der Welt schaffen, die Fragen, welche Ihren Geist beschäftigen, nicht beantwortet sehen wollen, dann – o Herr von Göhring, Sie ersparen mir den Nachsatz.«

»Nein, ich bitte: was dann?«

»Dann würde ich Sie für einen ebenso unglücklichen wie inconsequenten Mann halten.«

»Herr Pater, das ist aggressiv!«

»Vielleicht,« versetzte ruhig der Priester, »ja, ich attakire Sie ein wenig. Im allgemeinen ist das nicht meine Art. Ich lasse sonst die Zweifler an mich herankommen. Da ich aber selbst in Hamburg als Protestant gelebt habe und als Convertit viel mit solchen verkehre, die über religiöse Fragen und Controversen nachdenken, so besitze ich einige Erfahrung und kenne meine Charaktere.«

Mit leichtem Spott fragte Theodor: »Und was bemerken Sie denn in meinem Charakter, daß Sie meinen, aggressiv vorangehen zu sollen?«

»Sie sind etwas Pessimist, glaube ich.«

»Haha! Nun – und?«

»Daher nehmen Sie leicht an, daß andere die Sonne für heller halten, als sie wirklich ist. Infolgedessen müssen diese andern Sie veranlassen, einmal Ihre Aufmerksamkeit auf das Licht und die wohlthätige Wärme des Taggestirns zu richten.«

»Sie meinen, ich solle die schützende blaue Brille meiner kühl überlegenden Vernunft ablegen und die Sonne anstarren, um mich sofort blenden zu lassen. Das fehlte noch.«

»Nein, durchaus nicht. Um bei dem Bilde zu bleiben: die Brille der Vorurtheile färbt die ganze Welt dunkler, als sie ist. Durch dieselbe schauen Sie sich die Verhältnisse der katholischen Kirche an. Gelänge es jemanden. Ihnen die Brille zu nehmen, so würden Sie die ganze Gegend im Sonnenlicht und in den richtigen Farben sehen. Sie selbst haben vielleicht ab und zu versucht, die gefärbten Gläser einen Augenblick fortzuthun; aber das ungewohnte Licht blendete Sie, und da setzten Sie die Brille schnell wieder auf. Könnten Sie sich daran gewöhnen, alles im rechten, warmen Sonnenschein leuchten, wachsen und gedeihen zu sehen, so wäre Ihnen geholfen. Ja, am Ende, wenn Ihr Auge dereinst verklärt wird, wenn Sie von dieser Erde scheiden, ist Ihre geistige Sehkraft so stark, daß Sie dem Lichtkern selbst, der Sonne selbst, der ewigen Gottheit ins Angesicht zu schauen vermögen.«

Theodor senkte den Blick und erwiderte nur: »Sie reden in einem Vergleiche, aber sehr offen und deutlich.«

»Soll ich als Priester der Wahrheit nicht offen sein? Daß ich ein wenig mehr urgire, als andere an meiner Stelle es wagen würden, kommt daher, daß ich selbst Convertit bin. Ich lese auf Ihrer Stirne, in Ihrem Auge, Herr von Göhring, daß Ihre Seele mit Zweifeln ringt, die mir selbst manche schlaflose Nacht bereitet haben. Und glauben Sie mir: die Zeit des Kampfes ist eine Zeit der Gnade. Nie habe ich jene beneidet, denen Wahrheit und Irrthum gleichsam indifferente Begriffe sind; nie mit dem Frieden derjenigen tauschen mögen, die in ihrem Geiste Christus mit Belial verbunden sehen. Es gibt in unserer guten Vaterstadt Hamburg manches Gewissen, das nie von Zweifeln beunruhigt wird – mir war ein solches Gewissen immer ein schauriger Abgrund voller Finsterniß, in den man zitternd hineinblickt, um nichts zu sehen als tiefe Nacht, nichts zu hören als die unheimliche Stille des Todes. Aber wo geistiges Leben, wo Kampf, wo männliches Ringen möglich ist, da ist Gott nahe. Menschen, die nicht wissen, daß fast jede Stunde des Lebens uns vor eine Entscheidung von großer Wichtigkeit stellt, haben sich meist schon für denjenigen entschieden, dem sie ihre moralische Niederlage verdanken. Nein, Herr von Göhring: wenn mich nicht alles täuscht, dürfen Sie Gott danken, von ganzem Herzen, daß er Sie in den Kampf hineingeworfen hat. Das ist ein Zeichen der Auserwählung. Ich bin sehr offen, ich fühle es recht wohl; aber mich ermuthigt der Umstand, daß Sie mich selbst besuchen wollten. Ich hatte durchaus nicht die Absicht, im Hause der Frau Senatorin, Ihrer gütigen Tante, ein religiöses Thema zu berühren. Als jedoch die Umstände uns auf ein solches brachten, nahm ich auch das rege Interesse wahr, mit welchem Sie alles, was gesagt wurde, verfolgten. Hab' ich mich Ihnen, in dem Verlangen, meinem Nächsten zum Frieden zu verhelfen, ein wenig aufgedrängt?«

»Seien Sie unbesorgt, Herr Pater; ich bin allerdings mit Ihnen gekommen, um Aufschluß über einige Fragen zu erhalten, die mir heute früh mein lutherischer Pastor nicht lösen konnte. Ich brauche Sie indessen nicht weiter zu behelligen …«

»O was das betrifft, Herr von …«

»Und außerdem ist es spät geworden. Ich möchte den 5 Uhr-Zug vom Dammthor-Bahnhof nach Flottbek benutzen, um zum Essen daheim zu sein. Dieses Buch von Hammerstein würde mir vielleicht der Herr Pfarrer auf ein paar Tage leihen …«

»Das Buch gehört mir, Herr von Göhring. Darf ich es Ihnen als Geschenk anbieten?«

»Sie sind außerordentlich gütig, Herr Pater; doch schäme ich mich, es Ihnen abzubetteln.«

»Bitte, nehmen Sie es. Ich habe es bereits durchstudirt, und ich darf hinzufügen, zum Theil selbst erlebt.«

»Ja,« meinte Theodor mit einem tiefen Seufzer, »wer eine reine und fleckenlose Jugend hinter sich hat! Sie, Herr Pater, werden die Ideale Ihrer Jugend als Priester nicht verloren haben, sondern sie verklärt finden.«

Pater Hermann errieth den Gedankengang des Studenten. Er sagte in mildem Tone: »Herr von Göhring, ich bin unter ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen wie Sie. Glauben Sie mir daher, daß auch ich als echter Hamburger Junge den Weg der Buße gehen muß. Er macht mich froh und glücklich, ganz gewiß; aber ich wollte, ich hätte Gott meine Kräfte und meinen Willen früher geweiht, als es leider geschah. Ich würde das andern nicht leicht sagen; aber es mag Sie am Ende trösten, daß … nun, Sie verstehen mich.«

Theodor stand auf und drückte dem Priester die Hand. Leise fragte er: »Sie glauben, daß Ihre Kirche aus uns bessere Menschen machen kann?«

Pater Hermann erwiderte, die Augen auf das große Crucifix geheftet: »Ich weiß es – durch die Gnade des barmherzigen Gottes.«

»Und wenn einer katholisch würde, müßte er alle Andachten, alle Gebräuche, alle Gewohnheiten des Volkes billigen und annehmen?«

»Es gibt auch im Katholicismus wesentliche und unwesentliche Dinge. Alles, was die Kirche als solche vorschreibt und lehrt, müssen Sie unbedingt annehmen, so wie die Kirche es angenommen wissen will. Das wird Ihnen einleuchten, sobald Sie erkennen, daß und warum und wann Gott durch den Mund der Kirche spricht. Ich will Ihnen indessen nicht vorenthalten, daß gebildete Convertiten oft Schwierigkeiten haben, gewisse unwesentliche Gewohnheiten des Volkes oder gewisse unwesentliche Anschauungen fremder Nationen in Bezug auf religiöse Dinge gutzuheißen. Damit mag man es halten, wie man will. Außerdem kommen Sie, gerade wie einst der göttliche Heiland selbst, als Katholik häufiger mit Leuten zusammen, die nicht den höhern und wohlhabendern Klassen der Gesellschaft angehören. Nicht als ob die höchste Intelligenz und alle zeitlichen Güter auf katholischer Seite nicht auch vorhanden wären, bewahre – aber da die Katholiken den eigentlichen Mittelpunkt ihres Daseins, ihr Ziel und ihr ewiges Glück nicht auf dieser vergänglichen Welt finden, so werden Sie hier und da Menschen unter ihnen antreffen, welche nicht jene gesellschaftliche Routine, nicht jene ausgebildete, raffinirte weltmännische Art, nicht jene Ansichten von Bildung und Civilisation besitzen, die innerhalb der protestantischen Elite traditionell geworden sind. Dazu kommt, daß in der That manche Katholiken unerbaulichen Sitten huldigen, die von der Kirche selber nie gebilligt würden. Wie es edle Protestanten – Gott sei Dank, viele! – gibt, die weit besser sind als ihr Bekenntniß, so gibt es leider auch viele Katholiken, deren Leben fast wie eine Negation ihrer erhabenen Glaubens- und Sittenlehre aussieht. Daß selbst in geistlichen Kreisen Skandale Vorkommen, kann nur ein Blinder abläugnen. Der Convertit oder derjenige, der die Confessionen vergleicht, beobachtet mit Argusaugen. Der Empfindsame wird leicht kopfscheu; der Mann raschen Urtheils wird oft ungerecht urtheilen. Der beste Rath, den man solchen Leuten geben kann, ist dieser: halten Sie sich unbedingt an die wahre Lehre der Kirche und folgen Sie ihr in allen wesentlichen Dingen; betrachten Sie es im übrigen, wo Sie etwa zweifeln, immerhin als sicherer, sich ihr auch in den nicht gerade gebotenen Dingen anzuschließen; hüten Sie sich, an Ihnen befremdlich erscheinende Zustände den protestantischen Maßstab anzulegen – kurz, beurtheilen Sie Menschen und Dinge katholisch, im Lichte der katholischen Glaubenslehre. Ehe Sie verdammen, hören Sie alle Parteien.«

»Ich werde studiren,« sagte Theodor, »und mit diesem Buche, das ich Ihrer Güte verdanke, den Anfang machen.«

»Bravo, Herr von Göhring! Aber eines ist noch wichtiger: beten Sie um Erleuchtung! Beten Sie in der Einsamkeit Ihres Zimmers, beten Sie auf Ihren Knieen!«

»Ich will es versuchen.«

Pater Hermann ging mit dem Hammersteinschen Buche an den Tisch, ergriff die Schreibfeder und schrieb auf das weiße Blatt vor dem Titel: »Herr, was willst du, daß ich thun soll? Apostelgesch. 9, 6.«

Theodor las es und lächelte wehmüthig. »Ich fürchte, ich werde den Frieden vergebens suchen.«

»Warum fürchten Sie? Haben Sie Vertrauen!«

»Sie hatten recht, als Sie sagten, ich sei ein Pessimist. Ich werde auch bei diesen Studien mehr Schatten als Licht entdecken.«

»Stimmen Sie sich ganz indifferent und nehmen Sie sich vor, nichts zu suchen als Wahrheit. Sobald Sie Gott finden, werden die Schatten weichen. Er ist nur Licht und Klarheit. Jedes Dunkel, jede Unruhe kommt nicht von ihm. Die Wahrheit wird Sie frei machen, auch von dem Banne des Pessimismus, wenn er Sie wirklich gefangen hält.«

»Sie behaupteten ja selbst, ich sei ein Pessimist.«

»Aber kein unheilbarer. Machen Sie sich frei von jener Weltanschauung, deren Princip im Grunde der Protest, die Negation ist!«

»Ich will es versuchen. Nun haben Sie herzlichen Dank, Herr Pater. Was soll ich nach dem ›Edgar‹ studiren?«

»Ich würde Ihnen rathen, alle übrigen Bücher Hammersteins zu lesen. Sie finden dieselben am Schluß des Bandes angezeigt.«

»Hm! Aber Hammerstein ist Jesuit!«

»Das bringt Sie doch nicht um Ihren Verstand und Ihren freien Willen! Glauben Sie dem Jesuiten nur, was er Ihnen beweist. Unbewiesene Behauptungen anzunehmen, sind Sie nicht verpflichtet.«

Theodor erröthete. An der Thüre fragte er: »Darf ich Ihnen einmal schreiben, Herr Pater?«

»Ganz gewiß. Das wird mich sehr freuen. Da ich aber meiner Sammlungen wegen durch ganz Deutschland, Oesterreich und einen Theil von Frankreich reise, warten Sie besser, bis ich Ihnen eine sichere Adresse angebe. Ich werde mir erlauben, zuerst zu schreiben.«

»Recht so. Leben Sie wohl, Herr Pater!«

»Gott geleite Sie, Herr von Göhring!«

Nach Theos Verschwinden holte Pater Hermann den Pfarrer: »Kommen Sie wieder in Ihre Wohnstube, Hochwürden!«

»Hatten Sie einen Convertiten da?«

»Jedenfalls einen Herrn, der zum erstenmal in einem katholischen Pfarrhause war! Sie hätten nur die neugierige Scheu sehen sollen! Uebrigens, mir ging es vor Jahren g'rad so!«



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