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Dreizehntes Kapitel.

Nie gab es in der Welt einen schöneren Morgen, als der war, an welchem die Truppenmusterung stattfinden sollte. Der Mai gieng zu Ende, und die ganze Scenerie, sogar in den Vorstädten der großen Metropole, erglänzte von der ganzen charakteristischen Schönheit einer englischen Landschaft.

Die schönen Roßkastanienbäume und die dichten Weißdorngehäge prunkten in der schönsten Blüthenpracht, während die Luft sozusagen parfümirt war von den zahllosen Gärten, die jene Seite von London mit einem Gürtel von Blumen umgeben.

Die Parke und die Straßen der Vorstadt waren angefüllt von reinlich gekleideten und bescheiden aussehenden Kindsmädchen, die ganze Schwärme rosenwangiger, braungelockter fröhlicher Knaben und Mädchen in der frischen Morgenluft spazieren führten, und August, der neben unserem Wagen herritt, konnte nicht müde werden, Alles, was in rascher Reihenfolge seinem Auge entgegentrat, zu bewundern.

Die Bäume, die blühenden Hecken, die bunten Gärten, da und dort das Auftauchen der edeln Themse, übersäet von den weißen Segeln zahlloser Fahrzeuge, die schönen Landhäuser mit ihren kleinen, trefflich angelegten Lustparken, die hübschen Kindsmädchen und die glücklichen Kinder Londons, – Alles wurde ein Gegenstand seiner entzückten Bewunderung, und er machte dabei so lebhafte, originelle Bemerkungen über die Dinge, die an seinen Blicken vorüberzogen, daß seine heitere Stimmung gewissermaßen ansteckend auch auf uns wirkte, denn wir waren alle so fröhlich und voll Leben, wie die Jahreszeit und die Landschaft.

Als wir auf dem für die Musterung bestimmten Platze anlangten, wurde mein Bruder schweigsam, und ich sah für einen Moment seine Wange erblassen; aber sein Auge blitzte und funkelte, während es über die prächtigen Reiterreihen hinflog, die, eben erst angelangt, vor der hohen Person, welcher zu Ehren die Musterung angeordnet worden war, Parade machten. Der so geehrte Fürst saß etwas bei Seite zu Pferd neben einem schmächtigen ältlichen Gentleman in der Uniform eines Feldmarschalls, dessen Adlerauge und Adlernase in ihm sogleich den vainqueur du vainqueur de la terre erkennen ließen.

» Magnifique, mais c'est vraiment magnifique,« murmelte mein Bruder vor sich hin, als die stolzen Leibgarden mit wallenden Federbüschen, den polirten Stahlhelmen und den Brustschilden, die in der Sonne wie Silber glänzten, hinter den im Winde fliegenden Bannern vorüberritten. » Dieu de dieu! qu'ils sont géants les cavaliers, qu'ils sont colossaux les chevaux. Et les allures si lestes, si gracieuses, comme s'ils n'étaient que de juments. Mais c'est un spectacle magnifique!«

Einen Augenblick nachher defilirte ein Lancierregiment mit flatternden Fähnlein, während die Lanzenspitzen gleich Sternen über den Staubwolken blinkten, die durch die Hufe der Rosse aufgewühlt worden waren. Ihnen folgten mehrere Schwadronen Husaren mit ihrer rothen Beinkleidung und den zierlich verbrämten Dolmanen, und dann rasselte Trupp' um Truppe die berittene Artillerie vorbei, deren kräftige Pferde das schwere Geschütz mit den Munitionswagen gleich einem Spielzeug hinter sich herzogen.

Es war in der That ein schönes und prächtiges Schauspiel. Die treffliche Militärmusik, das Klirren der silbernen Cymbeln, das Rollen der Kesselpauken und die Fanfaren der Blechinstrumente – alles dies wirkte im höchsten Grade entzückend und aufregend auf mich.

Indeß muß ich doch gestehen, daß der Anblick des ruhigen alten Veteranen, welcher in diesem ganzen Gepränge unbeweglich auf seinem Rosse saß und augenscheinlich auf jede Einzelheit in der Ausrüstung und Bewegung der Soldaten achtete, ergreifender auf mich wirkte, als der ganze Prunk von Uniformen und die lärmenden Märsche der Musik.

Ich dachte mir ihn, wie er eben so ruhig und gelassen da saß in dem ehernen Hagel der Schlacht, während Tausende und Tausende der Besten und Tapfersten um ihn fielen und das Geschick der Nationen in solchen Riesenkämpfen von einer schwankenden Wagschaale abhieng. Ich dachte mir ihn, wie er allein von allen Menschen furchtlos und voll Selbstvertrauen dem Manne, der größer war als Hannibal oder Alexander, dem Welteroberer Napoleon, entgegentrat. Wohl floß mir das Blut kalt durch die Adern, wenn ich mich erinnerte, daß er die Macht meines eigenen tapferen Vaterlandes gebrochen hatte; aber ein ähnlicher Schauer erfüllt uns, wenn wir erzählen hören von großen Thaten und edlem Muthe, und ich wußte nicht, ob das Gefühl, das sich meiner bemächtigte, das der Abneigung oder das der Bewunderung war.

Wäre seine äußere Erscheinung die eines stolzen, sich überhebenden oder triumphirenden Mannes gewesen, so hätte ich ihn hassen können; aber er war so gelassen und verband mit aller Gebrechlichkeit und Schwäche des Alters einen so ruhigen und festen Blick, einen Ausdruck des Bewußtseins, recht gehandelt zu haben, daß ich mich der Betrachtung nicht zu erwehren vermochte: wenn ich auch einen Feind meiner belle France vor mir hatte, so war er nicht durch eigene Wahl, sondern durch sein Pflichtgefühl dazu geworden – ein Feind, der nichts im Hasse that, sondern alles in Ehren.

Ich mußte mir selbst sagen, daß ich den größten Mann unter den Lebenden vor mir hatte, und obgleich ich ihn weder zu lieben, noch zu verehren vermochte, fühlte ich mich doch von einer Art athemloser Scheu ergriffen, wie sie etwa den Menschen befällt, wenn er irgend ein höheres Wesen, den Bewohner einer andern Welt, in seiner Nähe wähnt.

Die Mädchen bemerkten, wie mein Auge fast verzaubert an dem gewaltigen Krieger haftete, und begannen in einem sehr natürlichen Stolze auf das augenscheinliche Interesse, das mir ihr Lieblingsheld einflößte, unter einander zu flüstern.

Ihr Kichern fesselte die Aufmerksamkeit meines Bruders, und da er ihren Blicken folgte, so wurde es ihm leicht, den Grund ihrer Heiterkeit zu entdecken. Einen Moment sah er mich mit finsterem Stirnerunzeln an; aber bald klärte sich seine Miene wieder auf, und er lächelte über sein eigenes Ungestüm, das ihn vielleicht zu einer Ungerechtigkeit verleitet hatte.

In diesem Augenblick begannen die verschiedenen Regimenter in Masse Bewegungen zu machen, die Colonnen zu öffnen und eine Menge von Manövern auszuführen, die, wenn ich auch nicht das Mindeste davon verstand, doch wegen ihrer Schnelligkeit, des Feuers der Pferde und des Waffenglanzes auch in den halbverhüllenden Staubwolken recht schön anzusehen waren. Mein Bruder übrigens gerieth, wie ich bemerken konnte, in eine große Aufregung, und aus seinen beständigen Rufen des Staunens und der Bewunderung ließ sich der Schluß ziehen, daß die Bewegungen in bester Ordnung ausgeführt wurden.

Nun begannen die Geschütze zu spielen, während sie sich vor dem Cavallerieangriff zurückzogen, und selbst ich konnte die wunderbare Schnelligkeit begreifen und würdigen, mit welcher aus der nämlichen Kanone Blitz auf Blitz, Knall auf Knall folgte – eine Geschwindigkeit, daß man es kaum für möglich hielt, wie in den Zwischenräumen das Stück, welches von den Pferden in vollem Galopp dahingeführt wurde, wieder Ladung einnehmen konnte.

Das Schauspiel hatte nachgerade so aufregend auf die Gentlemen gewirkt, daß sie uns um die Erlaubniß ersuchten, uns für eine kurze Weile verlassen zu dürfen, damit sie von einem nähern Standpunkt aus das Manövriren der Artillerie mit ansehen könnten. Auch Lionel schloß sich ihnen an, da er sich durch seinen Bedienten ein Pferd nach dem Musterungsplatze hatte nachführen lassen.

Da wir für's erste mehrere Bedienten um uns hatten und zweitens Damen nicht wohl Gefahr laufen, in einem englischen Gedränge unhöflich behandelt zu werden, wenn sie es nicht durch ihr unkluges Benehmen selbst verschulden, so hatten wir natürlich nichts dagegen einzuwenden, und unsere Cavaliere ritten von hinnen, nachdem sie uns zuvor die Zusage gegeben hatten, in einer Viertelstunde wieder zurückzukehren.

Wir hatten sie kaum aus unserem Gesichte verloren, als ich eines großen, schönen Mannes von soldatischem Aussehen gewahr wurde, der in Civilkleidern auf einem sehr schönen Pferde an unserem Wagen vorbeiritt; ihm folgte ein Reitknecht in einfacher dunkler Kleidung mit einer Kokarde an dem Hut.

Es kam mir sogleich vor, als sollte ich diesen Mann kennen, denn seine Züge schienen mir gar nicht fremd zu sein, obschon ich um's Leben nicht hätte sagen können, wo ich ihm begegnet war.

Der Fremde war augenscheinlich ein Engländer, und ich quälte noch immer mein Gedächtniß vergeblich über diesen Gegenstand ab, da ich unter den englischen Officieren keinen Bekannten hatte, als er zum zweitenmal an uns vorbeiritt. Wie es mich däuchte, suchte er das Wappen an unserem Wagen zu entziffern, um dadurch zu erfahren, wer ich sei, denn ich bemerkte, daß er von Zeit zu Zeit unter dem Rande seines Huts hervor einen verstohlenen Blick nach mir hingleiten ließ, als glaube auch er, daß er mich kennen sollte, obschon er nicht recht wußte, was er mit meinem Gesichte machen mußte. Dasselbe geschah zum drittenmal, und dann rief er seinen Reitknecht heran, der, wie ich bemerkte, sich einen Augenblick später dem nicht weit von unserem Wagen stehenden Bedienten des Richter Selwyn näherte und eine Frage an ihn richtete, welche mit einem oder zwei Worten beantwortet wurde. Dann kehrte der Reitknecht wieder zu seinem Herrn zurück.

Als der Gentleman die Antwort vernahm, nickte er ruhig mit dem Kopf, als wollte er sagen: »ich habe mir's gedacht;« dann blickte er fest nach mir her, bis ihm mein Auge begegnete. Jetzt lüpfte er seinen Hut, machte eine halbmilitärische Verbeugung und ließ sein Roß im Schritt weitergehen.

Carolinens raschem Auge war dies nicht entgangen. Sie wandte sich plötzlich an mich und rief hastig: –

»Ah, Valerie, wer ist dies – dieser schöne Mann, der sich gegen Euch verbeugte? – Wo habt Ihr ihn früher gesehen?«

»Ich habe eben die nämliche Frage an mich selbst gestellt, Caroline. Ich weiß wohl, daß ich sein Gesicht schon gesehen habe, kann mich aber nicht auf das Wo erinnern. Es ist höchst sonderbar.«

»Wirklich?« versetzte eine fremde höhnische Stimme dicht vor meinem Ohr mit einem Accent, der etwas ausländisch klang. »Könnt Ihr mir sagen, wo Ihr das meinige gesehen habt, ingrate

Ich wandte mit Blitzesschnelligkeit meinen Kopf um, da ich, um Carolinen zu antworten, die auf der dem militärischen Schauspiel zugekehrten Seite des Wagens saß, mich ein wenig einwärts gedreht hatte. Da sah ich nun, sein weibisches Gesicht ganz blaß vor Wuth und machtloser Bosheit, Monsieur G– vor mir stehen, den ehrlosen geschiedenen Gatten der Madame d'Albret, der zu fast all' meinem Mißgeschick die erste Veranlassung gegeben hatte.

Ich faßte ihn fest in's Auge und antwortete ihm mit bitterer aber ruhiger Verachtung: –

»Ja wohl, recht gut, Monsieur G–, und ich hätte wohl kaum gedacht, daß ich Euch je wieder sehen würde. Ich vermuthete Euch an dem Platze, wohin Ihr gehört, Sir, – auf den Galeeren.«

Ich weiß wohl, daß es nicht recht von mir war, ihm so zu antworten, – denn meine Gegenrede klang vielleicht unweiblich und mußte zu weiteren Beschimpfungen reizen; aber das Blut meines Geschlechtes ist heiß und duldet keine Verunglimpfung. Dazu kam noch der Rückblick auf die Leiden der Vergangenheit, auf die über mich verhängten Prüfungen und auf die schmähliche Behandlung, die ich um dieses Menschen willen hatte erdulden müssen – was Wunder, wenn in allen meinen Adern die Leidenschaft kochte.

»Ha,« entgegnete er, vor Zorn mit den Zähnen knirschend, während sein Gesicht von der Farbe des Scharlachs glühte; dabei faßte er mit seiner Faust mein Handgelenk und schüttelte es wüthend, – »ha, auf die Galeere zuerst mit Dir selbst! – Chienne! Ingrate! Perfide! Traitresse! c'est aux galères que j'ai cru te rencontrer – ou plutôt à la –«

Welche weitere freche Aeußerung der Strolch ausstoßen wollte, weiß ich nicht; denn während seine verhaßte Stimme noch ihre ekeln Schimpfreden mir in's Ohr zischte, ehe der Bediente, der, wie ich bereits sagte, nur um einige Schritte von der andern Seite des Wagens abstand, sich in's Mittel legen konnte, hörte ich den Hufschlag eines Pferdes in vollem Galopp, und im nächsten Moment sah ich meinen Beleidiger unter dem wüthenden Griff des Grafen de Chavannes sich winden, der in dem Augenblicke des Angriffs den Rückweg zu uns angetreten hatte.

An meine Seite galoppiren, auf den Boden springen, den Buben am Kragen packen, ihn vom Wagen wegreißen und dann ihn aus voller Macht mit einer tüchtigen Hetzpeitsche bearbeiten, bis er elend um Gnade schrie, – alles dies war nur das Werk eines Augenblicks.

Und ich konnte mich später nicht genug wundern, welche Kraft der entrüstete Geist einem schmächtigen Körper und zarten Gliederbau verliehen hatte; denn an Größe war der Graf dem G– keineswegs überlegen, obschon er mit demselben umgieng, als hätte er nur ein fünfjähriges Kind unter den Händen.

Der Mangel an Athem, nicht der an gutem Willen, nöthigte ihn endlich, der Züchtigung Einhalt zu thun. Dann wandte er sich mit einer so ruhigen und lächelnden Miene, als hätte er blos eine Quadrille mitgemacht, an uns, nahm den Hut ab und sagte:

»Ich muß die Damen und namentlich Euch, Mademoiselle Valerie, um Verzeihung bitten, daß ein solcher Auftritt vor Euren Augen stattgefunden hat. Mais c'était plus fort que moi!« fügte er lachend bei. »Ich konnte nicht mehr an mich halten, als ich eine Dame in so niederträchtiger Weise beschimpfen sah.«

Caroline und die Fräulein Selwyn waren über den Vorfall so erschrocken, daß sie keine Antwort über die Lippen brachten, und auch ich fühlte mich für den Augenblick so überrascht, daß mir die Gegenrede in der Kehle stecken blieb. Jetzt näherte sich G–, von Staub und Blut bedeckt, da ihm die Peitsche an verschiedenen Stellen das Gesicht aufgerissen hatte, ohne Hut und in zerrissener, beschmutzter Kleidung, auf's Neue dem Wagen.

Er war sehr blaß – ich möchte sagen weiß bis durch die Lippen hinein – aber augenscheinlich nicht vor Schrecken, sondern vor Wuth, wie aus seinen ernsten Worten erhellte.

» Monsieur le Comte de Chavannes,« sagte er langsam, » car je vous connais, et vous me connaîtrez aussi, je vous le jure; vous m'avez frappé, vous me rendrez satisfaction, n'est-ce pas?«

»Oh, nein, nein,« rief ich, eh' er antworten konnte, indem ich in der Angst meines Herzens die Hände zusammenschlug; »oh, nein, nein – nicht um meinetwillen; ich bitte Euch flehentlich, Monsieur le Comte, – kein Leben um meinetwillen – am allerwenigsten das Eurige!«

Er dankte mir durch einen einzigen ausdrucksvollen Blick, in welchem sich für mein Herz ganze Bände aussprachen, während er seinerseits vielleicht ebensoviel aus meinem blassen Antlitz und meinen bebenden Lippen las, – wandte sich dann mit einem ruhigen Lächeln an seinen Gegner und antwortete ihm in englischer Sprache:

»Ich weiß durchaus nicht, Sir, wer Ihr seid, und kann mir nicht denken, wie ich es je erfahren sollte. Ich habe Euch vor fünf Minuten eine Züchtigung zu Theil werden lassen, weil Ihr auf's Gröblichste eine Dame von Stand beschimpftet –«

»Eine Dame von Stand,« unterbrach ihn der Elende mit einem höhnischen Lachen. »Ja wohl, eine Dame von Stand – sie möchte sie wenigstens spielen –«

Aber der Graf ließ sich nicht stören und fuhr fort, als achtete oder hörte er ihn gar nicht.

»Und würde es auf jeden Fall gethan haben, ob ich Euch nun gekannt hätte oder nicht. Auch verspreche ich Euch eine zweite ähnliche Behandlung, wofern Ihr es passend finden solltet, in Eurem ehrlosen Benehmen fortzufahren. Was die Genugthuung betrifft, so werde ich sie nie verweigern, wenn sie in passender Weise und von einer Person gefordert wird, gegen die ich mich mit Ehren stellen kann.«

»Bei diesem Burschen ist dies nicht der Fall, Sir,« ließ sich eine dritte Stimme vernehmen, und als ich aufblickte, erkannte ich in dem Sprechenden den Officier, der mir eine Verbeugung gemacht hatte. »Ich gebe Euch die Versicherung, daß Ihr Euch gegen diese Person nicht mit Ehren stellen könnt, und mein Wort pflegt in solchen Fallen Gewicht zu haben – Oberstlieutenant Jervis« – fügte er mit einer halben Verbeugung gegen mich bei – »früher bei einem leichten Dragonerregiment Sr. Majestät. Dieser Mensch ist der berüchtigte Monsieur G–, den man in den ›Travellers‹ beim Ecarté auf dem Betrug ertappte – ein Bursche, der aller Gaunerstücke voll ist, den der Jockeiclub von jedem Wettrennen wegweist und der schon in halb England die Hetzpeitsche zu kosten gekriegt hat. Er findet keinen Gentleman, der Euch die Ausforderung überbringen würde, und wenn es je der Fall sein sollte, so dürft Ihr Euch nicht mit ihm schlagen.«

Vor unmächtiger Wuth mit den Zähnen knirschend, schlich sich der entlarvte Betrüger von hinnen, während der Graf mit einer Verbeugung gegen den Obrist Jervis ruhig erwiederte:

»Ich danke Euch bestens, Obrist. Ich bin Monsieur de Chavannes und setze nicht den geringsten Zweifel in die Wahrheit Eurer Worte. Nur ein gemeiner Bube konnte sich wie dieser Mensch benehmen. Ich versichere Euch, daß es keine unbedeutende Beleidigung war, die mich bewog, in Gegenwart von Damen meine Hetzpeitsche zu gebrauchen.«

»Ich hab' es aus der Entfernung mitangesehen, Monsieur le Comte,« entgegnete der Obrist, »und war eben im Begriff, so schnell mein Roß galoppiren konnte, herbeizueilen, als Ihr mir zuvorkamt. Wie ich bemerkte, daß man meiner nicht mehr bedurfte, machte ich Halt, um mit der größten Befriedigung zuzusehen, denn ich gebe Euch mein Wort, daß ich in meinem Leben nie eine Sache besser behandeln sah. Nehmt mir's nicht übel, Graf; aber nach der Art, wie Ihr Eure Hände zu brauchen wißt, möchte ich Euch eher für einen Engländer als für einen Franzosen halten – denn wenn auch Euer Accent keinen Ausländer verräth, dürfte doch der Name auf einen Sohn Frankreichs deuten.«

»Ich bin in den Schulen Englands erzogen worden, Obrist,« versetzte der Graf lachend, »und daher mag es kommen, daß ich meine Hände brauchen lernte.«

»Ah, so wird mir die Sache allerdings begreiflich; denn bei meinem Leben, ich habe nie einen Kerl schöner durchpeitschen sehen, obschon ich in der That oft genug dabei gewesen bin. Seid Ihr nicht meiner Ansicht, Mademoiselle Valerie de Chatenœuf? – denn ich glaube, dies ist der Name der Dame, die ich anzureden die Ehre habe.«

»Ich bin nicht so glücklich gewesen, mir ein vergleichendes Urtheil über solche Leistungen bilden zu können, Obrist Jervis, denn ich sah erst einen einzigen derartigen Fall und hoffe von ganzer Seele, keinen zweiten mehr zu erleben.«

»Oh, sprecht nicht so, meine werthe Dame, sprecht nicht so. In der That, es ist ein prächtiger Anblick, wenn die Operation gut und kräftig ausgeführt wird. Außerdem scheint es sehr undankbar gegen den Grafen zu sein.«

»Ich möchte um keine Welt undankbar erscheinen,« versetzte ich, »und sicherlich bedarf der Graf hiefür nicht erst meiner Betheurung. Ich werde ihm stets verpflichtet sein für seinen so gelegen kommenden Schutz, – obschon ich zum Voraus nichts Anderes von ihm erwarten konnte.«

»Wie, daß er sich für Euch balgen würde, Valerie?« flüsterte Caroline mir boshaft zu; aber wenn sie auch nicht beabsichtigte, gehört zu werden, so erreichte sie doch nicht den Zweck einer unbeachteten Neckerei, da alle Anwesenden ihre Worte deutlich hörten.

Ich entgegnete übrigens mit aller Ruhe:

»Ja, Caroline, ich erwartete von ihm, daß er sich auch aus einer Balgerei nichts machen würde, sobald es galt, mich, oder Euch, oder überhaupt eine in seiner Gegenwart beleidigte Dame zu vertheidigen.«

» Mille grâces für Eure gute Meinung,« sagte der Graf mit einer Verbeugung und einem Blicke, der beredter war, als alle Worte.

»Ohne Complimente, wenn Ihr mir's zu gut halten wollt, Graf,« nahm nun der Obrist das Wort; »aber ich möchte diese schöne Dame um die Erlaubniß bitten, eine Frage an sie stellen zu dürfen. Hattet Ihr nie eine Freundin, Namens –«

»Adèle Chabot!« unterbrach ich ihn. »O ja, und es würde mich über die Maßen erfreuen, etwas von ihr zu hören oder vielmehr sie als Mrs. Jervis zu sehen.«

»Ihr seid mir zuvorgekommen; dies ist's, was ich sagen wollte. Wir sind gestern Abend in London angelangt, und sie beauftragte mich, unverweilt über Euren Aufenthalt Erkundigungen einzuziehen. Von den Gironacs habe ich erfahren, daß Ihr Euch in Kew befändet –«

»Ja, bei Richter Selwyn. Beiläufig,« fuhr ich – wie ich gestehen muß, etwas boshaft – fort, »erlaubt mir, euch mit einander bekannt zu machen: Mrs. Charles Selwyn, vormals Caroline Stanhope, und Obrist Jervis.«

Jervis machte eine tiefe Verbeugung; aber seine Wange und Stirne erglühte ein wenig, und er sah mich scharf aus dem Winkel seines Auges an. Ich machte jedoch ein so unschuldiges Gesicht, daß er nicht recht wußte, ob ich au fait war, oder nicht.

Ich muß Caroline die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu sagen, daß sie sich ungemein gut benahm. Ihr vor ihrer Verheirathung noch ganz ungeformter Charakter hatte Festigkeit gewonnen, und ihre Einführung in eine so gebildete Familie, wie die der Selwyns war, mußte auch ihrem Geist, Urtheil und Ton zu statten kommen. Darum auch jetzt kein Erröthen, kein Kichern, kein Anzeichen, daß sie von dem Handel des Obristen etwas wußte, obschon sie mich verstohlen in den Arm kneipte, während sie sich mit der ruhigsten Miene und mit ihrer süßesten Stimme nach Adèle erkundigte, die sie, wie sie sagte, immer sehr geliebt hatte und die sie in ihrer neuen Stellung, welche sie gewiß zum Bewundern ausfüllte, recht bald zu sehen wünschte.

»Wie ich höre, hat sie in Paris die allgemeine Bewunderung auf sich gezogen, Obrist,« fuhr sie fort. »Dies überrascht mich nicht, denn sie war in der That das hübscheste Wesen, das ich je in meinem Leben gesehen habe. Ihr seid ein glücklicher Mann, Obrist Jervis.«

»Gewiß,« versetzte er lachend. »Adèle ist ein sehr gutes kleines Geschöpf, und in Paris war man so freundlich gegen sie, ihr alle Höflichkeiten zu erweisen, namentlich Eure Freundin Madame d'Albret, Mademoiselle de Chatenœuf. Sie hätte nicht aufmerksamer gegen uns sein können. Wir müssen es Euch sehr Dank wissen, daß Ihr uns mit ihr bekannt gemacht habt. Beiläufig, sie hat Adèle einen ganzen Pack Briefe und Geschenke aller Art an Euch mitgegeben. Wann könnt Ihr Adèle besuchen?«

»Wo wohnt Ihr, Obrist Jervis?«

»Vorderhand in dem Hotel Thomas, Berkeley-Square, bis wir für die Saison ein möblirtes Zimmer finden können. Im August beziehen wir ein kleines Landhaus, das ich in den Hochlanden besitze. Und ich glaube, Adèle hat sich vorgenommen, Euch auch dahin zu entführen, damit sie Gesellschaft habe, während ich den Birk- und Haselhühnern nachstelle.«

»Ich danke sowohl Euch, als Adèlen, Obrist, obschon ich noch nicht weiß, wie sich dies wird einleiten lassen. Bis zum August sind es noch zwei Monate, und man kann nicht voraussagen, was im Laufe so vieler Wochen geschehen mag. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich halb und halb Lust habe, selbst einen Besuch in Frankreich zu machen, wenn mein Bruder, der jetzt auf Besuch bei mir ist, zu seinem Regiment zurückkehrt.«

»Wirklich?« fragte de Chavannes mit einem Ernste, der durch den Gegenstand nicht gerechtfertigt zu sein schien. »Von einem solchen Plane habe ich noch kein Wort gehört. Und Ihr habt wirklich im Sinn, ihn zur Ausführung zu bringen, Mademoiselle?«

»Ich weiß es selbst noch nicht. Bis jetzt ist der Entwurf erst wie ein ferner Traum.«

»Aber Ihr habt auf meine Frage noch nicht geantwortet, Mademoiselle de Chatenœuf,« sagte der Obrist. »Wann wird Adèle das Vergnügen haben, Euch bei sich zu sehen?«

»Oh, ich bitte um Entschuldigung, Obrist. Morgen früh kehre ich nach der Stadt zurück und werde dann keinen Augenblick säumen. Etwa um ein Uhr – oder lieber um zwei Uhr morgen. Caroline, der Richter war so gütig, mir zur Rückkehr nach London seinen Wagen anzubieten. Ich denke, er kann mich vor dem Hotel Thomas absetzen – oder nicht?«

»Nein, gewiß nicht, Valerie! Ja, macht nur große Augen und thut recht unwillig und entrüstet. Es geschieht Euch ganz recht. Was meintet Ihr denn, daß ich Euch zur Antwort geben würde? Warum mögt Ihr nur so thörichte Fragen stellen! Natürlich kann Euch der Wagen überall hinbringen, wohin Ihr wollt, gerade so, als wenn er Euer Eigenthum wäre.«

»Morgen um zwei Uhr also werde ich im Hotel Thomas eintreffen, Obrist; inzwischen mögt Ihr Adèle meine schönsten Grüße bringen.«

»Ich werde nicht ermangeln. Aber jetzt will ich nicht länger lästig fallen, meine Damen,« fügte er bei, indem er seinen Hut lüpfte. »In der That, ich muß sehr um Entschuldigung bitten, daß ich mir die Freiheit nahm, mich selbst vorzustellen. Ich hoffe, Ihr werdet mir Glauben schenken, wenn ich sage, daß ich unter anderen Umständen nicht so dreist gewesen wäre.«

Wir machten ihm unsere Verbeugung, worauf er ohne weitere Bemerkung seinem Pferd die Sporen gab und von hinnen trabte.

»Ein recht anständiger Mann,« sagte Caroline. »Ich denke, Adèle hat nicht übel für sich gesorgt.«

»Ich möchte Euch rathen, unter keinen Umständen dies Mr. Charles Selwyn hören zu lassen, denn es könnte sonst zutreffen, daß die Ruthe, von der wir gestern im Scherze sprachen, Euch in gutem Ernste zu Theil würde, cara mia

»Unsinn! Schämt Euch, Ihr boshaftes Ding!« versetzte Caroline mit einem leichten, obschon nicht reuigen Erröthen.

»Wer ist dieser Obrist Jervis?« fragte der Graf de Chavannes. »Ich war einigermaßen – oder vielmehr nicht wenig betroffen; denn Anfangs schien Niemand von Euch ihn zu kennen, und bald darauf stellte sich heraus, daß er Euch allen recht gut bekannt war. Ich bitte, erklärt mir dieses Geheimniß.«

»Er ist ein sehr anständiger Mann, Graf, wie Mrs. Selwyn ganz richtig bemerkt hat, und dazu auch ein sehr schöner Mann, wie Ihr selbst sehen konntet. Ferner war er Obrist in einem der aufgelösten Regimenter Seiner Majestät und lebt jetzt von seinem Halbsold. Er ist ein Mann von Ton und in den besten Gesellschaften gekannt. Endlich aber – und darin liegt das ganze Geheimniß – ist er der Gatte einer bezaubernden kleinen Französin, einer sehr vertrauten Freundin von mir und Caroline, einer der hübschesten und artigsten Personen von der Welt, welche er vor etwa sechs Monaten entführte, in der Meinung –«

»Valerie!« rief Caroline, und ihr Gesicht erglühte im feurigsten Scharlach.

»Caroline?« entgegnete ich ruhig.

»Was wolltet Ihr auch sagen!«

»In der Meinung, sie sei eine reiche Erbin,« fuhr ich fort. »Er mußte jedoch finden, daß sie etwas viel Besseres war, nämlich eine schöne, liebenswürdige und treffliche Gattin.«

»Der glückliche Mann!« sagte de Chavannes mit einem halben Seufzer.

»Warum sprecht Ihr so, Graf?«

»Mit einem Wesen verbunden zu sein, dem Ihr mit solchem Nachdruck das Wort redet – wäre das etwa ein gewöhnliches Glück?«

»Doch, ein ziemlich gewöhnliches, Graf – in letzter Zeit wenigstens,« sagte Caroline lachend. »Ihr kennt noch nicht alle die hohen Begabungen meiner Freundin Valerie – unter anderem ist sie die geschickteste kleine Ehestifterin, die es gibt. Sie verheirathet alle ihre Freundinnen so schnell – oh, Ihr könnt gar nicht glauben, wie schnell.«

»Ich hoffe – nein, ich denke, wollte ich sagen,« fügte der Graf sich selbst verbessernd bei, »daß sie nicht ganz so schlimm ist, als Ihr sie machen wollt. Für sich selbst wenigstens hat sie, wie ich glaube, noch keine Sorge getragen. Nein, nein, ich glaube nicht, daß sie so schlimm ist.«

»An Eurer Stelle möchte ich mich nicht einer solchen Sicherheit hingeben, Graf,« entgegnete Caroline, der es angelegentlich darum zu thun war, mir meine kleine Neckerei gegen sie wieder heimzugeben. »Frauenzimmer, die so viele Stränge für ihren Bogen haben –«

Jetzt kam die Reihe an mich, »Caroline!« zu rufen, und ich that es mit einem gewissen Nachdruck, mit einiger Strenge in meinem Ton, denn ich dachte, sie sei auf dem Wege, mit ihrem Persifliren die Gränzen der Schicklichkeit zu überschreiten. Sie fühlte dies selbst auch, wie ich ihr zur Ehre nachsagen muß, denn sie erröthete bei meinem Zuruf und verstummte.

Das Peinliche dieser Pause wurde glücklicher Weise durch die Rückkehr Augusts und Lionels unterbrochen, die in scharfem Trabe einhersprengten; denn die Musterung war nunmehr völlig zu Ende, und erst jetzt hatten sie Zeit gefunden, sich ihrer Zusage zu erinnern, daß sie nur eine Viertelstunde ausbleiben wollen. Statt der fünfzehn Minuten waren freilich gute zwei Stunden abgelaufen, und sie mußten sich sagen, daß wir wahrscheinlich allein wären.

Caroline begann sogleich mit August und namentlich mit Lionel, gegen den sie sehr vertraut geworden war, zu schmälen, indem sie ihnen ihren Mangel an Galanterie vorwarf, der sie bewog, uns in einem solchen Gedränge allein und schutzlos zu lassen.

»Es war ja nicht die mindeste Gefahr vorhanden,« entgegnete Lionel hastig. »Wenn wir dies nicht gewußt hätten, wären wir längst wieder zurückgekehrt.«

»Zum Beweise, daß keine Gefahr vorhanden war, sind wir alle fast auf den Tod erschreckt worden. Mademoiselle Valerie de Chatenœuf wurde aufs Gröblichste beleidigt, und ich weiß nicht, ob sich nicht am Ende gar ein französischer Chevalier d'Industrie an ihr vergriffen hätte, wenn uns nicht der ritterliche Sinn des Grafen de Chavannes zu Hilfe gekommen wäre.«

Und nun kam die ganze Geschichte des Monsieur G–, seine Züchtigung durch die Hetzpeitsche, das gelegene Erscheinen des Obristen Jervis, nebst allen übrigen interessanten Einzelnheiten des Auftritts zur Sprache.

In meinem Leben sah ich nie Jemand in so furchtbarer Aufregung, als meinen Bruder August. Er wurde bis durch die Lippen hinein leichenblaß, seine Augen sprühten Feuer, und sein Körper bebte wie von einem Fieberanfall.

» II me le paiera!« murmelte er zwischen den geschlossenen Zähnen. » II me le paiera, le scélérat! Ma pauvre soeur – ma pauvre petite Valerie!«

Und dann drückte er mit herzlicher Wärme die Hand des Grafen.

»Ich werde Euch dies nie vergessen,« fuhr er mit gedämpfter heiserer Stimme fort; »nie, nie! Von dieser Stunde an, de Chavannes, sind wir Freunde für immer. Aber ich werde nie, nie im Stande sein, es Euch zu lohnen.«

»Possen, mon cher, Possen,« versetzte de Chavannes. »Was that ich denn auch? – Nichts – gar nichts. Ich wäre kein Mann gewesen, wenn ich anders gehandelt hätte.«

Dies konnte jedoch August nicht hindern, in seinen Ausrufen und den Versicherungen einer ewigen Dankbarkeit fortzumachen, und er hörte nicht auf, bis Monsieur de Chavannes ruhig das Wort nahm –

»Nun, schon gut, wenn Ihr so wollt; aber vorderhand nichts mehr davon. Es wird wohl der Tag kommen, an dem Ihr mir eine Gunst erweisen könnt, welcher gegenüber ich sogar Euer Schuldner sein werde, wofern Ihr darauf eingeht.«

» Wofern ich darauf eingehe? Seht dies vornweg als entschieden an,« rief August mit Ungestüm. »Worin besteht sie – nennt sie – ich sage Euch, sie ist Euch willfahrt!«

»Nur nicht so hastig, mon cher,« versetzte der Graf lachend. »Es ist keine geringe Gabe, um die ich bitten werde.«

»Sei nicht thöricht, August,« legte ich mich ins Mittel. »Du läßt Deine Gefühle in seltsamer Weise die Oberhand über Dich gewinnen. Caroline, wenn Ihr jetzt nicht diese Leutchen da zur Rückkehr auffordert, so wird der Richter auf das Diner warten müssen – eine Zumuthung, in die er sich, wie Ihr wohl wißt, nicht gerne fügt.«

»Ihr habt Recht, wie immer, Valerie; stets auf andere Leute bedacht. So wollen wir uns denn zum Rückweg anschicken.«

Wir waren eben im Begriffe aufzubrechen, als der Reitknecht mit der Kokarde, welchen wir dem Obristen Jervis hatten folgen sehen, zu uns heranritt, die Hand an den Hut legte und fragte:

»Ich bitte um Verzeihung, Gentleman, aber ist einer unter Euch der Graf de Chavannes?«

»Ich bin's,« versetzte der Graf. »Was verlangt Ihr von mir, Sir?«

»Von dem Obristen Jervis, Sir,« entgegnete der Bediente, indem er ihm eine Visitenkarte übergab. »Der Obrist läßt sein Compliment vermelden, Graf, und um die Gunst bitten, Ihr möchtet es ihm nach dem Hôtel Thomas zu wissen thun, im Fall Ihr etwas Weiteres von jenem Kerl hören solltet, dem Ihr die Peitsche zu kosten gabt. Der Obrist sagt, Ihr dürfet ihn nicht als einen Gentleman behandeln, und wenn er Euch weiter lästig wird, so sei der Obrist der Mann dazu, ihm das Handwerk zu legen.«

»Ich danke Euch, guter Freund,« versetzte der Graf. »Mein Compliment an Euren Herrn, und ich sei ihm für seine Theilnahme sehr verpflichtet. Ich werde mir selbst die Ehre geben, den Obristen morgen zu besuchen. Habt die Güte, ihm dies mitzutheilen.«

»Sehr wohl, Sir,« entgegnete der Bediente und ritt, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, von hinnen.

»Ihr seht, Monsieur de Chatenœuf, daß Ihr nicht daran denken dürft, diesen Kerl als einen Gentleman zu behandeln,« sagte der Graf.

»Unmöglich,« stimmte ihm Lionel fast im gleichen Athem bei, während die Damen mit ihrem absoluten »unmöglich« folgten.

Eine rasche Fahrt brachte uns nach dem Hause des Richters in Kew, wo wir das Diner beinahe bereit fanden. Wir hatten also nicht auf uns warten lassen. Bei Tisch wurden die Ereignisse des Tages besprochen und der Graf war der Held des Abends.

Am andern Morgen kehrten wir – das heißt, August und ich – nach London zurück. Monsieur de Chavannes war schon nach dem Diner in seinem eigenen Cabriolet wieder abgefahren.

Meiner Zusage gemäß besuchte ich Adèle und fand sie allein; sie freute sich sehr, mich wieder zu sehen, und war in hohem Grade aufgeräumt. Wie sie sagte, war sie die glücklichste der Frauen und Obrist Jervis Alles, was sie nur wünschen konnte, der liebevollste, zärtlichste Gatte, so daß ihr jetzt kein Wunsch mehr blieb, als auch mich passend versorgt zu sehen.

»Es ist am besten. Adèle, man läßt die Sache ihren Gang gehen,« entgegnete ich ihr. »Obschon ich nicht gerade eine Fatalistin bin, glaube ich doch, daß jedem Menschen widerfährt, was ihm gebührt. Es nützt nichts, sich zu übereilen, und eben so wenig ist es am Ort, eine Sache verzögern zu wollen. Ohne Zweifel wird es mir ergehen wie meinen Freundinnen vor mir, liebe Adèle, und ich hoffe nicht schlecht dabei zu fahren, wenn ich anders mich selbst dabei so gut berathen kann, als mir dies bei meinen Freundinnen gelungen zu sein scheint. Beiläufig, Caroline ist eben so glücklich, wie Ihr dies von Euch selbst behauptet und wie es auch ohne Zweifel der Fall ist; denn Euer Obrist gefällt mir ungemein gut.«

»Ich bin hocherfreut, dies von Euch zu hören, und auch er ist ganz bezaubert von Euch. Aber wer ist der Graf de Chavannes, den er jetzt immer im Munde führt? Er sagt, er sei von allen, die ihm je vorgekommen, der einzige Franzose, welcher Werth wäre, ein Engländer zu sein – und obschon uns dies nicht gerade als ein Compliment erscheinen kann, meint er doch, daß dies das Höchste sei, was sich zu Gunsten eines Ausländers sagen lasse. Wer ist dieser Graf de Chavannes, Valerie?«

Als Erwiederung erzählte ich ihr Alles, was ich von dem Grafen wußte und was auch dem geneigten Leser bereits bekannt ist.

» Et puis? – Et puis?« fragte Adèle lachend.

» Et puis, durchaus nichts,« antwortete ich.

»Keine Geheimnisse unter Freundinnen, Valerie,« sagte Adèle mir ernst ins Gesicht sehend. »Ich habe es gegen Euch auch nicht so gehalten, sondern Ihr giengt mir mit Eurem Rathe an die Hand. Wenn Ihr mich also liebt, so seid wenigstens offen gegen mich.«

»An meiner Liebe zu Euch dürft Ihr nicht zweifeln, Adèle, und es handelt sich bei mir nicht um Geheimnisse. Wenigstens weiß ich von keinen.«

»Von keinen? – auch nicht in Betreff dieses hübschen, wackeren Grafen?«

»Nein.«

»Und Ihr geht nicht darauf aus, Madame la Comtesse zu werden?«

»Gewiß nicht.«

»Wirklich – in der That?«

»Ja, ja – in der That.«

»Nun, das begreife ich nicht. Nach dem, was Jervis mir erzählt hat, glaubte ich, die Sache sei schon vollständig im Reinen.«

»Obrist Jervis hat sich getäuscht. Es ist nichts weder im Reinen noch im Unreinen.«

»Und er gefällt Euch nicht?«

»Dies behaupte ich nicht, Adèle. Er gefällt mir im Gegentheil sehr wohl, denn er ist ein sehr angenehmer Gesellschafter für ein Stündchen oder zwei und ein vollkommener Gentleman.«

»Dies hat er mir Alles gesagt. Aber wenn er Euch so wohl gefällt, warum geht Ihr nicht noch ein wenig weiter? Warum ihn nicht lieben.«

»Ich will wahr und offen gegen Euch sein, Adèle. Es steht mir überhaupt gar nicht zu, Betrachtungen darüber anzustellen, ob ich ihn lieben könnte, oder nicht. Er hat mich nie darum befragt, nie von Liebe mit mir gesprochen, und wenn es vielleicht auch zweifelhaft erscheinen mag, ob es nicht unjungfräulich sei, da zu lieben, wo Liebe nicht begehrt wird, so halte jedenfalls ich es für sehr unklug.«

»Ich verstehe, ich verstehe. Aber er wird Euch darum angehen – dies ist gewiß; und wenn es so weit kömmt, was gedenket Ihr darauf zu erwiedern?«

»Dann ist es immer noch Zeit, über die Antwort mit mir zu Rathe zu gehen.«

»Ah, nur eine andere Wendung, um nicht gerade heraus zu sagen: ›Ich werde nicht entgegen sein.‹ Aber, Valerie, Ihr müßt mir versprechen, daß Ihr zu mir kommen wollt, wenn Ihr meines Beistandes bedürft. Ihr wißt wohl, daß ich bereit bin. Alles für Euch zu thun, was in meinen Kräften steht, ohne einem anderen Gedanken Raum zu geben, als wie ich Euch am besten dienen kann; und ebenso ergeht es Jervis, denn er ist mit mir der Ansicht, daß wir unser Glück nur Euch zu danken haben.«

»Ich verspreche Euch dies.«

»Genug; ich will nicht weiter fragen. Kommt jetzt mit mir auf mein Zimmer, damit ich Euch Madame d'Albrets Briefe und die Geschenke, die sie Euch schickt, übergeben kann. Ihr müßt wissen, Valerie, daß sie uns auf das Gütigste aufgenommen hat. Ich glaube, daß sie ihre Lieblosigkeit gegen Euch bitterlich bereut. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sie in Beziehung auf Euch des Lobes und der Bewunderung gar kein Ende zu finden wußte.«

»Und wißt Ihr auch, daß es ihr schändlicher, elender Gatte, Monsieur G–, war, den der Graf gestern durchpeitschte, weil er mich beschimpft hatte?«

»Wirklich? Was Ihr da sagt! Der Groll dieses Menschen gegen Euch wird, wie es scheint, nur mit seinem Leben aufhören. Jervis hat mir nicht gesagt, wer er war, wahrscheinlich weil er dachte, daß sein Name weder für Euch noch für mich Interesse haben könne. Doch kümmert Euch nicht weiter um den Elenden. Hier ist der Brief von Madame d'Albret.«

Das Schreiben war so freundlich, als nur immer möglich und voll Dankes für die Gunst, die ich ihr erwiesen hatte, indem ich ihr meine Freunde empfahl; sie drückte zugleich die Hoffnung aus, mich eines Tages wieder zu sehen, wann alles Vergangene vergessen sein und ich die mir gebührende Stelle in der Gesellschaft meines Vaterlands einnehmen würde. Sie bat mich, die Spielereien nicht zu verschmähen, die sie mir sende und die sie nicht um ihres Werthes willen, sondern weil sie hübsch seien, für mich ausgelesen habe. In der Nachschrift fügte sie bei, was natürlich den ganzen übrigen Inhalt ihres Briefes an Belang und Wichtigkeit überbot, wie sie nämlich erst vor kurzem gewissermaßen zufällig in sichere Erfahrung gebracht habe, daß die Gesundheit meiner Mutter ernstlich angegriffen sei und sie wohl nicht mehr lange leben werde, obschon ihr Zustand sie nicht gerade mit augenblicklicher Gefahr bedrohe. »Es kann allerdings Niemand so unnatürlich sein,« fuhr sie fort, »den Tod einer Mutter zu wünschen, wie grausam und unmütterlich sie sich auch benommen haben möge. Wenn jedoch dieser Fall eintritt, Valerie, so kann man von Euch nicht erwarten, daß Ihr das Hinscheiden der Madame de Chatenœuf anders als mit dem gebührenden Ernst und Anstand betrauert. Wir werden Euch dann wieder in unserer Mitte sehen, und Ihr könnt in Eurer Heimath, im Kreise Eurer Freunde das kleine Vermögen genießen, das Ihr Euch, wie ich höre, so wacker erworben habt.«

»Dies wird nie geschehen,« sagte ich laut vor mich hin, theilweise als Antwort auf den Brief, theilweise meine eigene Gesinnung aussprechend. »Dies wird nie geschehen. Ich besuche wohl Frankreich einmal – vielleicht auch öfter; aber in England werde ich bleiben. Frankreich hat mich ausgestoßen und wie eine Stiefmutter behandelt – England aber nahm mich auf wie eine Mutter – freilich viel gütiger, als es die meinige gethan haben würde. In England will ich bleiben.«

»Wartet nur, bis der Herr Eurer Bestimmung über Euch kömmt, und erfahret dann, wo Ihr bleiben werdet. Es wird dann bei Euch wie bei uns allen heißen: ›Dein Land soll mein Land und Dein Gott mein Gott sein,‹« bemerkte Adèle mein Nachdenken unterbrechend.

»Das erstere vielleicht – das letztere nie! Nie! Ich bin als Katholikin geboren und will als Katholikin sterben. Damit will ich zwar nicht sagen, daß ich keinen anderen als einen Katholiken heirathen würde; aber der Mann meiner Wahl dürfte mich in keiner Weise daran hindern, meinen Gott nach meinem Gewissen anzubeten.«

»Ist der Graf de Chavannes katholisch?«

»Ich weiß dies in der That selbst nicht. Aber er ist aus der Bretagne, und die Bretonen sind ein treuer Volksstamm sowohl gegen ihren König als gegen ihren Gott.«

Ich nahm den Brief wieder auf, in dessen Lektüre ich mich selbst unterbrochen hatte, und las ihn zu Ende.

»Ich habe in der That längst gefühlt, meine liebe Valerie,« schloß Madame d'Albret ihr Schreiben, »daß es kaum verzeihlich von uns war, so lange den Glauben an eine Unwahrheit zu erhalten, die sicherlich Euern Eltern, dem schuldigen Theile eben so gut wie dem unschuldigen, viel Schmerz und Leiden bereitete, wie sehr auch die Schritte, welche wir damals einschlugen, durch die Umstände gerechtfertigt wurden. Ich weiß, Eure Mutter wird es mir nie verzeihen, daß ich Euch dazu behilflich war, dem Drucke zu entfliehen, den Ihr unter ihr littet; aber was mich betrifft, so will ich gern ihren Groll auf mich nehmen – viel lieber, als auf dieser Verheimlichung beharren, so daß Ihr also keine Rücksicht auf mich zu nehmen braucht, im Falle es Euch gut und räthlich dünkt, Einleitungen zu einer Versöhnung zu treffen. Ich bin in der That der Ansicht, Valerie, daß Ihr, wofern es nur mit gebührender Rücksicht auf Euer Glück und Eure Sicherheit geschehen kann, Euch Euren beiden Eltern entdecken solltet, und vielleicht wäre es am Ort, wenn Ihr den unglücklicheren, weil schuldigeren Theil selbst besuchtet vor ihrer Auflösung, die, wie ich glaube, nicht mehr ferne ist. Jedermann weiß zu gut, was Ihr durchgemacht habt, als daß Euch irgendwie ein Vorwurf treffen könnte. Für den Fall nun, daß Ihr, wie ich hoffe, Euch zu entschließen vermögt, nach Frankreich zurückzukehren, erlaube ich mir beizufügen, daß ich es Euch nie verzeihen würde, wenn Ihr nicht mein Haus als Eure Heimath ansähet.«

Man wird mir wohl glauben, daß mir diese Nachschrift mehr Stoff zum Ueberlegen gab, als der ganze übrige Brief, und daß ich sehr unruhig darüber wurde. War ich schon vorher nicht sonderlich zufrieden gewesen mit der Verheimlichung meines Daseins und meiner Verhältnisse, so steigerte sich jetzt diese Unzufriedenheit noch mehr, und ich fühlte mich recht unglücklich. Ich war fest entschlossen, auf jede Gefahr hin mit August nach Frankreich zurückzukehren, und Adèle, die ich darüber zu Rathe zog, neigte sich so ziemlich zu derselben Ansicht hin. Um jedoch nicht übereilt zu handeln, nahm ich mir vor, nicht bloß mit meinem Bruder, sondern auch mit dem Richter darüber Rücksprache zu halten, da ich in die Weisheit des Letzteren ein eben so großes Vertrauen setzte, wie in seine Freundschaft und Rechtschaffenheit.

Es traten jedoch Ereignisse ein, welche einigermaßen meine Schritte abänderten und beschleunigten, denn noch am nämlichen Abend, als die Gironacs sich schon zurückgezogen hatten und ich mit meinem Bruder mich berathen wollte, redete mich August folgendermaßen an –

»Schenke mir einen Augenblick Gehör, ehe Du mir von Deinen Briefen aus Frankreich erzählst oder Deine Rückkehr zur Sprache bringst. Aber ich bitte Dich, antworte mir offen und laß alle falsche Bescheidenheit, alle mädchenhafte Ziererei bei Seite. Durch solche Thorheit ist, wie ich mir sagen ließ, schon manches Leben elend geworden, und da Du so zu sagen mit einem einzigen Bruder allein in der Welt dastehst, so sehe ich nicht ein, gegen wen sonst Du Dich so frei solltest aussprechen können.«

»Du bedarfst keiner so langen Umschweife, mein lieber August,« versetzte ich lächelnd. »Natürlich werde ich Dir Rede stehen, und wenn ich Dir etwas sage, so magst Du Dich darauf verlassen, daß es der Wahrheit gemäß ist.«

»Wohlan denn, Valerie, gefällt Dir dieser Graf de Chavannes?«

»Dies ist eine wunderliche Frage, und – Doch ja. Er gefällt mir.«

»Liebst Du ihn, Valerie?«

»Oh, August – dies ist kein ehrliches Spiel. Außerdem, er hat nie von Liebe mit mir gesprochen. Ich weiß nicht, ob er mich liebt, und habe auch keinen Grund, dies anzunehmen.«

»Keinen Grund?« rief er halb überrascht, halb unwillig – »keinen Grund! Sollte man doch meinen – aber gleichviel. Beantworte mir nur dies – wenn er Dich liebt, könntest Du ihn wieder lieben oder doch ein hinreichendes Wohlgefallen an ihn finden, um ihn zum Manne zu nehmen?«

»Er hat mit Dir gesprochen, August – er hat mit Dir gesprochen!« rief ich mit hohem Erröthen, aber unfähig, meine Freude zu verbergen.

»Ich habe meine Antwort, Valerie – ich lese sie in dem Funkeln Deiner leuchtenden Augen. Ja, er hat mit mir gesprochen, theuerste Schwester; er bat mich, bei Dir meinen Einfluß zu seinen Gunsten geltend zu machen – bat mich um die Erlaubniß, um Dich werben zu dürfen.«

»Und Du antwortetest ihm –?«

»Ich antwortete ihm, daß meine Zustimmung hier von keinem Belang sei, denn Du seiest ganz Deine eigene Herrin. Was ferner meinen Einfluß betreffe, so dürfe er Dich nur veranlassen, Deinem Urtheil und Deinem Herzen zu folgen, die Dir am sichersten den Weg zu Deinem Glücke zeigen würden.«

»Gesprochen, wie es einem guten und weisen Bruder geziemt. Und dann er –?«

»Er fragte mich, ob ich mir keine Ansicht über den Zustand Deiner Gefühle bilden könne. Meine Antwort lautete, ich wisse ihm hierauf nichts zu entgegnen, als daß ich Grund zu der Annahme habe, Herz und Hand sei bei Dir noch frei, das Feld also offen, und er möge einen Versuch machen. Bis jetzt habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, mir ein Urtheil zu bilden, wie Du gegen ihn gesinnt seiest. Ich erklärte ihm auch, daß ihr meiner Ansicht nach einander noch zu wenig kennet und daß seine Neigung zu schnell aufgeschossen sei, als daß sie schon konnte tiefe Wurzeln geschlagen haben. In dieser Beziehung fand ich übrigens, daß ich im Irrthum war, denn er gab mir die Versicherung, daß nicht bloß Dein hübsches Gesicht und Dein anmuthiges Benehmen, sondern hauptsächlich Dein Charakter, der ihm Achtung und Bewunderung einflößte, Deine Thatkraft, Dein Muth und Deine Festigkeit in Widerwärtigkeiten den zündenden Funken der Liebe in sein Herz gelegt hätten. Ich habe mich nun auch überzeugt, daß er sich fast von jeder Einzelnheit aus Deinem Leben Kenntniß zu verschaffen wußte und daß er dies in der zartesten und vorsichtigsten Weise einleitete. Ich muß gestehen, Valerie, daß er in meiner Achtung sehr gewonnen hat, als ich fand, wie ernst und feierlich er den Ehestand nimmt. Er ist keiner von denen, die bloß eines hübschen Gesichtes und einiger gewinnenden Eigenschaften willen darauf losstürzen.«

»So kömmt er mir auch vor, August,« versetzte ich. »Aber es wäre mir doch lieb, wenn wir etwas mehr von ihm wüßten – von seinem Charakter und von seinen Grundsätzen, meine ich.«

August sah mich einen Augenblick mit großer Ueberraschung an.

»In der That, Valerie, ich bemerke, daß Du aufs Reelle hältst, und es ist mir nie ein Mädchen wie Du vorgekommen. Höre nur – ich fürchte, Du bist ein wenig –«

Und er hielt inne, als wüßte er nicht, wie er fortfahren sollte.

»Ein wenig hart und kalt, willst Du sagen, lieber August?« entgegnete ich, während ich meine Arme um ihn schlang. »Nein, gewiß nicht! Aber ich bin so lang einzig auf meine eigenen Hilfsquellen angewiesen gewesen und konnte mich nur auf meine Thatkraft und mein helles Auge verlassen, so daß ich immer beide Seiten einer Frage ansehen muß und den Gefühlen nicht die Oberhand über mich gestatten mag, bis ich mich überzeugt habe, es sei gut und weise, dies zu thun. Vergiß dabei nicht, August, daß es sich um einen Schritt handelt, von dem das ganze Glück oder Elend in dem Dasein des Weibes abhängt.«

»Du hast Recht, Valerie, und ich gebe mich gefangen. Aber sage mir – liebst Du ihn?«

»Ja, August. Er gefällt mir besser, als irgend ein Mann, den ich je gesehen habe. Er ist der einzige, den ich mir als meinen Gatten denken möchte – und ich fürchtete schon seit einiger Zeit, daß er meinem Herzen allzunah stehe, obschon ich nicht wußte, wohl aber es hoffte und glaubte, daß er meine Gefühle erwiedere. Wenn ich nun nur noch ein wenig mehr von seinen Grundsätzen und von seinem Charakter wüßte, so würde ich nicht zögern.«

»Dann brauchst Du in der That Dir keine Bedenken mehr zu machen, theuerste Valerie; denn als hätte er diesen Einwurf vorausgesehen, theilte er mir in der zartesten Weise Privatbriefe von seinen ältesten und vertrautesten Freunden mit, namentlich von Mr. –, einem sehr achtbaren Geistlichen zu Hendon, von dem er erzogen wurde und mit dem er stets einen warmen Verkehr und Briefwechsel unterhalten hat. Dies allein schon spricht sehr zu seinen Gunsten, und die Ausdrücke, in denen er an seinen Zögling schreibt sind von der Art, daß der hohe Werth, die Rechtschaffenheit und Tugend des Lehrers sowohl als des Schülers daraus zu erkennen sind. Er hat mir noch außerdem den Vorschlag gemacht, daß ich morgen mit ihm nach Hendon reiten und Mr. – einen Besuch machen solle, damit ich mir selbst aus dem Charakter des Mannes ein Urtheil über seine Glaubwürdigkeit bilden könne – das heißt, unter der Voraussetzung, daß ich in der Lage sei, ihm für einen schließlichen Erfolg seiner Bewerbung einige Hoffnung zu geben.«

»Gut, August,« versetzte ich. »Wir sind darin mit einander einverstanden, daß alles dies sehr für Deinen Freund spricht, und ich denke, Du kannst nichts Besseres thun, als diese Einladung annehmen, damit Du selber mit seinem Erzieher sprechen kannst. Inzwischen will ich nach Kew fahren und mich bei unserem guten Freund, dem Richter Selwyn Raths erholen. Morgen Abend magst Du dann den Grafen zu mir bringen, damit ich höre, was er mir zu sagen hat.«

Dies war allerdings eine sehr geschäftsmäßige Art, die Sache zu behandeln; aber August hatte ganz Recht, wenn er mich für ein Mädchen erklärte, das aufs Reelle hielt. Auch habe ich nie gefunden, daß ich übel dabei gefahren wäre. Weltlichkeit und Selbstsucht konnte man mir dabei nicht zum Vorwurf machen: aber sicherlich ist es immerhin gut, wenn man die Gefühle unter die Herrschaft und Leitung des nüchternen Verstandes stellt.

Nachdem wir zu diesem Schlusse gekommen waren, zeigte ich August den Brief der Madame d'Albret, und es wurde nun ausgemacht, daß unter den obwaltenden Umständen mein Bruder sogleich nach seiner Rückkehr an den Vater die Mittheilung machen solle, ich sei noch am Leben und in guten Verhältnissen; letzterem wäre dann anheimzustellen, diese Kunde auch der Mutter beizubringen, oder es zu unterlassen, je nachdem er es für gut hielt.

Am andern Morgen zu einer frühen Stunde nahm ich eine Glaskutsche und fuhr nach Kew hinunter, wo ich zur nicht geringen Ueberraschung der Familie anlangte, als diese eben beim Frühstück saß. Nachdem ich dem Richter mitgetheilt hatte, daß ich wegen eines dringenden Geschäftes zu ihm gekommen sei, forderte er mich auf, meinen Wagen nach London zurückkehren zu lassen, da er mich selbst mitnehmen könne; er tödte auf diese Weise zwei Fliegen mit einem Schlage, denn die Berathung könne dann stattfinden, während er nach dem Gerichtshof fahre.

Wir stiegen in die Kutsche, und ich gieng noch mit mir zu Rathe, wie ich das Eis brechen sollte, da der Gegenstand für ein junges Mädchen von etwas verfänglicher Natur war, als der Richter folgendermaßen anhub:

»Ich denke mir, Valerie, Ihr werdet das Ergebniß der Nachforschungen zu erfahren wünschen, die ich so sehr gegen Eure Neigung wegen des Grafen von Chavannes anstellen lassen wollte. Ist's nicht so?«

»Allerdings, Richter – obschon ich mir nicht vorzustellen vermag, wie Ihr dies errathen konntet.«

»Insofern wäre es ein Glück, daß ich mehr meinem Urtheil als Eurer Laune folgte; denn in letzterem Falle wäre ich nicht im Stande, Euch Auskunft zu geben.«

»Und wie steht die Sache, Richter?«

»Ei, Mademoiselle Valerie, sie steht so, daß Ihr ihn heirathen könnt, sobald er Euch darum angeht, und habt dabei noch Ursache, Euch für ein sehr glückliches Frauenzimmer zu halten. Er steht in einem Rufe, wie er unter fünfzigen nicht Einem zu Theil wird. Er ist reich, freigebig, ohne ein Verschwender zu sein, spielt nicht, haßt Ausschweifungen und hat in jeder Beziehung das Lob eines sehr fähigen, charakterfesten Ehrenmannes. Soviel habe ich von einer Seite her erfahren, die ich als zuverlässig bezeichnen kann.«

Ich fühlte mich für eine Weile sehr ergriffen und war nahe daran, in Thränen auszubrechen. Der gute Richter faßte meine Hand mit der seinigen, sprach mir mit beschwichtigenden, fast liebkosenden Worten zu und hieß mich volles Vertrauen in ihn setzen, da er mich wie ein Vater berathen wolle.

Ich entsprach seiner Aufforderung, und während er mein bisheriges Benehmen, wie auch das Zartgefühl und das gentlemanische Verhalten des Grafen höchlich lobte, rieth er mir, offen und frei gegen ihn zu handeln.

»Ihr liebt ihn, Valerie – dies unterliegt keinem Zweifel; auch glaube ich, daß ich dies bemerkte, noch eh' Ihr es selbst wußtet, und bin der Ansicht, daß er einen trefflichen Gatten für Euch geben wird. Sagt ihm alles, zeigt ihm diesen Brief Eurer Freundin, der Madame d'Albret, unterrichtet ihn von Eurem Verhältniß zu Eurer Mutter und gebt ihm ohne Umstände Euer Jawort, wenn er Euch, wie voraussichtlich, darum angeht. Ihr könnt dann August mit dem Ablauf seines Urlaubs nach Frankreich begleiten und als Eheleutchen in Paris einziehen. Sobald Ihr einmal verheirathet seid, haben Eure Eltern keine Macht mehr über Euch, und ich glaube selbst auch, daß die Pflicht Euch zu diesem Besuche auffordert.«

Ich war mit ihm vollkommen einverstanden. Als Abends August mit dem Grafen von dem Besuch bei dem früheren Lehrer des letzteren, welcher in jeder Beziehung befriedigend gewesen war, zurückkehrte, ließ er mich mit Monsieur de Chavannes allein, und unsere Besprechung führte ohne Schwierigkeit zu dem voraussichtlichen Resultate.

Liebesscenen und Werbungen mögen zwar für die Betheiligten vom allerhöchsten Interesse sein, sind aber stets das Langweiligste von der Welt für die Zuschauer. Ich will daher dem Ende zueilen und nur bemerken, daß der Graf Alles war und Alles that, was die anspruchvollste Frau nur verlangen konnte – daß er sich vom Anfang an bis auf den letzten Augenblick im höchsten Grade zartfühlend und ehrenhaft bezeigte, und daß ich während einer zwölfjährigen glücklichen Ehe mit ihm keinen Augenblick Ursache hatte, zu bereuen, daß ich ihm die Hand gereicht hatte, nach der er so sehnlich verlangte.

Die Freude der Madame Gironac läßt sich besser vorstellen, als schildern, ebenso die Art, wie sie sich wegen der trousseaux und meiner Ausstattung für die Reise nach Frankreich umtrieb; denn es wurde beschlossen, daß der Plan des Richters nach dem Buchstaben zur Ausführung kommen sollte, und daß wir unmittelbar von Saint George aus nach Dover und Calais reisen wollten.

Nie vielleicht gieng es bei einer ehlichen Verbindung so rasch mit der Uebereinkunft und der Vollziehung. Derjenige Theil, welcher in das Notariatsfach einschlug, wurde mit aller Eile von Mr. Charles Selwyn bereinigt. Nur Madame Bathurst, die Jervise, die Gironacs und die Selwyne waren bei der Trauung zugegen, und obgleich theure Freundschaftsbande mich mit allen verknüpften, fand doch keine Schaustellung von Thränen oder herzzerreißendem Abschiedsleid statt. Wußten wir ja, daß wir uns, so der Himmel es wollte, nach einigen Monaten wieder sehen würden, denn Monsieur de Chavannes hatte sich vorgenommen, nach Beendigung der Hochzeitsreise wieder nach England, dem Lande seiner Wahl und seiner Erziehung, zurück zu kehren.

Kein Bischoff verrichtete die Trauungsceremonie und kein Herzog war zugegen, um die Braut zu vergeben. Man sah keine lange Reihe von bordirten Lakaien mit Festschleifen in den Knopflöchern und auf den Hüten – man las keinen schwunghaften Artikel in den Morgenzeitungen, der die Schönheit der hochgebornen Braut und die Kleider der aristokratischen Brautjungfern beschrieb – aber zwei Herzen waren vereinigt wie die Hände, und der Himmel lächelte dem Bund.

Eine rasche angenehme Fahrt brachte uns nach Paris, wo wir von meiner alten Freundin Madame Paon mit Entzücken aufgenommen wurden. Auch Madame d'Albret hieß uns herzlich willkommen und war stolz darauf, ihre alte protégée in der neuen Eigenschaft einer Gräfin de Chavannes begrüßen zu können, da sie sich einbildete, meine nunmehrige Stellung gereiche ihrem früheren Schutze und ihrer Gönnerschaft nicht wenig zur Ehre.

Die vermeintliche émeute war unterblieben, und August erhielt leicht eine Erneuerung seines Urlaubs zu einem Besuch bei seiner Familie in Pau. Er war drei Tage vor uns abgereist und, da er die schnellsten Gelegenheiten benützte, fast eine Woche vor uns zu Hause angelangt. Als wir eintrafen, fanden wir Vater und Mutter zu unserer Aufnahme vorbereitet und hoch erfreut über die glücklichen Nachrichten.

Meine Mutter war in der That dem Tode nah. Zwei Tage nachher wären wir schon zu spät gekommen, denn sie starb den Tag nach unserer Ankunft in meinen Armen, glücklich in dem Bewußtsein, daß das schwere Verbrechen nicht auf ihr lastete, dessen sie sich bisher für schuldig gehalten hatte, und mich segnend mit sterbender Lippe.

Mein Vater, der mich stets geliebt und nur aus Schwäche gefehlt hatte, schien es nie satt werden zu können, an meiner Seite zu sitzen, meine Hand in der seinigen zu halten und mir ins Gesicht zu sehen. Mit Zustimmung des Monsieur de Chavannes wurde ihm die Nutznießung meiner kleinen Ersparnisse, die sich nahezu auf dreitausendfünfhundert Pfund beliefen, auf Lebensdauer zugewiesen, und die daraus fließende Rente, die zwar in England eine bloße Kleinigkeit war, reichte doch neben seinem eigenen Besitzthum in jener wohlfeilen Gegend vollkommen zu, ihm ein sorgenfreies glückliches Alter zu bereiten.

So hatten nun alle meine Prüfungen ein Ende genommen, und wenn auch der Beginn meiner Laufbahn peinlich und trüb gewesen war, so wurden doch die Leiden und Sorgen der Valerie de Chatenœuf mehr als aufgewogen durch das Glück der Valerie de Chavannes.

Ich muß hier noch berühren, daß einige Jahre später Lionel Dempster meine zweite Schwester Elise heirathete, die ein sehr hübsches gewinnendes Mädchen war. Er wohnt in der Nähe des Landhauses, das der Graf nach seiner Rückkehr aus Frankreich bei Windsor am Ufer der lieblichen Themse gekauft hat, eine Nachbarschaft, die nicht wenig dazu beiträgt, das Glück unseres friedlichen Lebens zu erhöhen.

Mein ältester Bruder August ist jetzt Obristlieutenant in der Linie, da er in Algier mit großer Auszeichnung diente. Nicolas kehrte nie wieder nach Frankreich zurück, hat sich aber durch seine musikalischen Talente Ruhm und Vermögen erworben. Auch sämmtliche jüngere Glieder der Familie sind glücklich versorgt.

Ich habe drei holde Kinder, einen Knaben und zwei Mädchen, und so werden mir jetzt auch die Mühsalen und Sorgen, die in Folge einer schlimmen und unverständigen Erziehung über mich ergangen, von Nutzen, indem sie mich lehren, um wie viel besser es sei, die Kinder zur Liebe und Achtung gegen die Eltern, als zu strengem Gehorsam heran zu bilden.

Vollkommenes Glück wird dem Menschen hienieden nicht zu Theil; aber selten und kurz waren meine späteren Sorgen, unendlich aber die Segnungen, von einer gütigen Vorsehung verhängt über die einst arme und obdachlose, jetzt aber reiche, geehrte und – was vor allem den Vorzug verdient – geliebte Valerie.

 


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