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Eilftes Kapitel.

Adèles Schreiben lautet folgendermaßen:

 

»Meine liebe Valerie!

»Der Würfel liegt, und ich habe jetzt ein höchst schwieriges Spiel vor mir. Alles habe ich auf diesen einen Wurf gesetzt, und der Preis ist das Glück meines ganzen künftigen Lebens. Doch laßt mich Euch erzählen, was sich zugetragen hat, seit ich Euch zu meiner Vertrauten machte. Natürlich ist Euch der Tag bekannt, an welchem ich vermißt wurde. Ich machte damals mit ihm einen Spaziergang und bald schloß sich uns einer seiner Freunde an, den er mir als den Major Argat vorstellte. Nachdem wir etwa hundert Schritte weit gegangen waren, gelangten wir zu einer Kapelle, deren Thüre offen stand, und unter derselben befand sich der Küster, der sich augenscheinlich nach Jemand umsah.

»›Mein theurer Engel,‹ sagte der Obrist, ›ich habe den Erlaubnißschein zur Trauung in der Tasche; dort in jener Kapelle wartet der Geistliche auf uns und Alles ist bereit. Mein Freund und noch einige andere Personen werden Zeugen der Feierlichkeit sein. Ihr habt gesagt, daß Ihr mich liebet – vertraut Euch also mir an. Beweist mir jetzt die Aufrichtigkeit Eurer Gesinnung und gestattet, daß ohne weitere Zögerung unsere Hände und Herzen vereinigt werden.‹

»Oh, wie ich zitterte. Ich konnte kein Wort hervorbringen; die Laute erstarben mir auf der Lippe. Ich sah ihn flehend an. Er führte mich sanft weiter, da mein Widerstand kein wirksamer war, und eh' ich mich's versah, befand ich mich in der Kapelle, wo der Geistliche bereits auf uns wartete, während der Küster unter Bücklingen vor uns hergieng. Ein Rückzug war augenscheinlich unmöglich, und ich glaube, daß ich ihn nicht einmal wünschte; aber meine Gefühle befanden sich in einer solchen Aufregung, daß ich in Thränen ausbrach. Was der Geistliche von meinem Benehmen und von dem Umstande halten mochte, daß ich so gar nicht wie eine Braut gekleidet war, weiß ich nicht; aber der Obrist übergab den Trauschein seinem Freunde, welcher ihn dem Geistlichen aushändigte, und ich gewann dadurch Zeit, mich einigermaßen zu erholen. Endlich traten wir an den Altar. Der Kopf schwindelte mir, und ich wußte kaum, was ich sagte – indeß sprach ich die Worte nach, und ich war eine Frau. Als die Einsegnung vorüber war und ich mich von meinen Knieen zu erheben versuchte, sank ich wieder nieder und wurde von dem Obristen nach der Sacristei gebracht, wo ich vor Furcht zitternd auf einem Stuhle sitzen blieb. Nach einer Weile fragte mich der Obrist, ob ich mich so weit erholt habe, um meinen Namen in das Trauregister einzuzeichnen, worauf er mir eine Feder in die Hand gab. Ich sah nicht wohin ich schreiben sollte, denn meine Augen schwammen in Thränen. Der Geistliche führte meine Hand nach der Stelle und ich zeichnete den Namen Adèle Chabot ein. Die Besorgniß, welche Wirkung diese Unterschrift auf meinen Gatten üben könnte, überwältigte mich, und mein Kopf sank, von den Händen gestützt, auf den Tisch nieder.

»›Ich will ein Glas Wasser herbeischaffen lassen, Sir,‹ sagte der Geistliche, indem er die Sacristei verließ, um dem Küster zuzurufen, daß die Dame ohnmächtig geworden sei.

»Nachdem er sich entfernt hatte, hörte ich den Obrist bei Seite mit seinem Freunde leise sprechen. Wahrscheinlich dachten sie, daß ich nicht in einer Lage sei, auf sie zu achten; aber es stand für mich zu viel auf dem Spiele.

»›Ja,‹ sprach der Obrist, ›sie hat unterschrieben, wie Ihr sagt; aber sie weiß kaum, was sie thut. Verlaßt Euch darauf, es ist so, wie ich Euch sagte.‹

»Die Antwort des Majors vernahm ich nicht, wohl aber was der Obrist darauf erwiederte.

»›Es ist nur um so besser; die Verbindung wird ungesetzlich sein, und ich kann damit die Eltern zwingen, auf meine Bedingungen einzugehen.‹

»Aller Zweifel war jetzt beseitigt. Er hatte mich in dem Wahn geheirathet, an dem er noch immer festhielt, daß ich nicht Adèle Chabot, sondern Caroline Stanhope sei, auf die es bei ihm um ihres Vermögens willen abgesehen gewesen war. Das Blut lief mir eiskalt durch die Adern, und ich verlor für eine Weile das Bewußtsein, so daß ich unter den Tisch gesunken wäre, wenn man es nicht bemerkt und mir Beistand geleistet hätte. Die Ankunft des Geistlichen mit dem Glas Wasser brachte mich wieder zur Besinnung. Mein Gatte flüsterte mir zu, daß es Zeit zum Gehen sei und der Wagen bereits vor der Thüre stehe. Ich weiß nicht mehr, wie ich aus der Kirche kam; denn erst die Bewegung des Wagens weckte mich, und ein Strom von Thränen brachte mir Erleichterung. Wie seltsam, Valerie, daß wir zu gleicher Zeit so muthig und doch so verzagt sein können. Würdet Ihr es wohl glauben, daß ich mich freute über das Geschehene und um alle Welt nicht wieder hätte unverheirathet sein mögen, sobald ich meine Fassung gewonnen hatte, obschon ich jetzt gewiß wußte, daß mein Gatte in einer Selbsttäuschung befangen war, bei deren Entdeckung mein ganzes künftiges Glück auf dem Spiele stand? Als ich ruhiger geworden, fühlte ich, daß es jetzt Zeit war, zu handeln. Ich wischte meine Thränen weg, lächelte dem Obristen zu, während er meine Hand in der seinigen hielt, und sagte zu ihm:

»›Ich weiß, daß ich mich nicht gut – ja sogar sehr thöricht benommen habe; aber ich wußte mir in der Ueberraschung nicht zu helfen.‹

»›Glaubt Ihr, ich werde Euch weniger lieben, weil Ihr so viel Gefühl gezeigt habt, meine Theuerste?‹ versetzte er. ›Nein, nein, Ihr werdet mir dadurch nur um so werther, da ich daraus die Ueberzeugung gewinne, welches Opfer Ihr um meinetwillen gebracht habt.‹

»Sagt mir nun, Valerie, könnte eine Anrede eines neuvermählten Gatten an seine Braut hübscher oder scheinbar ehrlicher lauten? – Und doch hatte er kaum eine Viertelstunde vorher gegen seinen Freund geäußert, daß er meine Eltern in seiner Gewalt habe, weil die Verbindung ungesetzlich sei! Ich bin wahrhaftig zu glauben geneigt, daß wir zwei Seelen haben, eine gute und eine schlechte, von denen stets die eine mit der andern um die Herrschaft kämpft; die eine hat ihre Blicke auf diese – die andere die ihrigen auf die jenseitige Welt gerichtet, und die schlimme gestattet der guten nur dann einen Einfluß, wenn ihr bei unserer Leitung ein gleicher oder entsprechender Antheil bleibt. So glaube ich zum Beispiel, daß der Obrist in seinen Worten aufrichtig war und daß er mich wirklich liebt, obschon er mich für Caroline Stanhope hält, durch deren Besitz er große weltliche Vortheile errungen zu haben meint; diese besseren Gefühle seines Wesens können sich entfalten, ohne daß die anderen sich einmengen, welche ihren Mammonsantheil fordern. Aber der Kampf wird beginnen, sobald sich der böse Geist um seine Beute betrogen sieht, und dann wird es an ernstlichen Versuchen, den Einfluß des guten zu zerstören, nicht fehlen. Der Obrist liebt mich jetzt und wird wohl fortfahren, mich zu lieben, wenn nicht die getäuschte Erwartung die noch junge Sproße seiner Neigung im Keime knickt. Meine Aufgabe ist daher fortan, die zarte Pflanze zu hegen und zu schützen, bis sie feste Wurzel gefaßt hat, und in dieser Beziehung soll Alles geschehen, was in der Macht eines Weibes liegt. Dazu ist mir auch nichts nöthig, als Zeit.

»›Wohin gehen wir?‹ fragte ich ihn.

»›Nach einem Ort, etwa acht Stunden von London,‹ versetzte mein Gatte. ›Morgen will ich es Euch überlassen, über unsere künftigen Plane eine Entscheidung abzugeben.‹

»›Ich mache mir wenig daraus, wo ich mich aufhalte,‹ entgegnete ich, ›denn an Eurer Seite bin ich überall zufrieden. Nur um eine Gunst bitte ich Euch – ich hoffe, Ihr werdet mir das erste Gesuch nicht abschlagen.‹

»›Ihr mögt Euch darauf verlassen, daß dies nicht geschehen wird,‹ erwiederte er.

»›Meine Bitte besteht darin, Theuerster, daß Ihr, welchen Wohnort Ihr auch wählen mögt, mich vor Ablauf dreier Monate nicht nach London oder in dessen Nähe zurückbringt. Ihr werdet Euch selbst den Grund denken können, warum ich dieses Ersuchen an Euch richte.‹

»›Wird mit Vergnügen zugestanden,‹ sagte er. ›Auf drei Monate bin ich der Eurige und ausschließlich der Eurige. Wir wollen nur für einander leben.‹

»›Ja; und schweigen wir diese Zeit über von unseren künftigen Aussichten, damit wir unser Vierteljährchen nur in dem Glücke der Gegenwart verbringen.‹

»›Ich verstehe Euch und gebe Euch die Zusage, daß es so gehalten werden soll,‹ versetzte er. ›Ich will sogar jeden brieflichen Verkehr unterlassen – mit einem Worte, es soll nichts vorfallen, was Euch irgendwie Anstoß geben oder Verdruß bereiten könnte.‹

»›Auf drei Monate,‹ sagte ich, indem ich ihm meine Hand hinbot.

»›Es gilt!‹ entgegnete er. ›Und um Euch die Wahrheit zu sagen, Eure Gefühle stimmen hierin ganz mit den meinigen überein. Wenn man Eisen schmieden will, muß es geschehen, so lange es heiß ist; aber will man es anfassen, so wartet man besser zu, bis es sich verkühlt hat. Ihr versteht mich – und so mag die Sache für sich ihr Bewenden haben.‹

»Mein Gatte hat bis auf den heutigen Tag, welchen Ihr aus dem Datum meines Schreibens entnehmen werdet, gewissenhaft Wort gehalten. Wir sind jetzt im Begriff, die Seen von Cumberland zu besuchen. Für die Förderung meiner Wünsche könnten wir keinen besseren Platz finden. Die feierliche Ruhe und die stille Schönheit jener Gewässer müssen sich in jedem fühlenden Herzen wiederspiegeln, und hieran fehlt es dem Obristen sicherlich nicht. Bedenkt noch ferner, daß ich all die Künste aufbiete, die in der Macht des armen Weibes liegen, um zu gefallen – nun, ich hoffe und bete zu Gott, daß es mir durch sie gelingen werde, mich unablösbar um sein Herz zu schlingen, eh' seine weltlichen Entwürfe durch die Enthüllung seines Wahns zerstört werden. Betet für mich, theure Valerie, – betet für ein Wesen, das Euch so innig liebt und stets in banger Sorge lebt, weil es fühlt, daß sein ganzes Erdenglück auf dem Spiele steht.

»Die Eurige
Adèle.«

 

»So weit wäre Alles gut gegangen, meine liebe Adèle,« dachte ich; »aber wir müssen erst das Ende abwarten. Herzlich gerne will ich für dich beten, denn du verdienst glücklich zu sein, und Niemand weiß so sehr die Herzen zu gewinnen, als du, wenn du dir Mühe gibst. Welch ein mir unbekanntes Gefühl mag wohl in den Mädchen liegen, daß sie in Beziehung auf das andere Geschlecht wie toll werden? Jedenfalls muß es ein Instinkt sein, denn der Verstand hat nichts damit zu schaffen. Meinetwegen; ich habe nichts dagegen, anderen zu ihren Thorheiten behilflich zu sein, wenn ich nur nicht selbst darein verfalle.«

Dies waren meine Betrachtungen, als ich Adèles Brief wieder zusammenlegte.

Einige Tage nachher erhielt ich von Mr. Selwyn, dem jüngeren, ein Billet, in welchem er mir mittheilte, daß sein Vater zum Unter-Richter ernannt worden sei. Ich wußte nicht, was diese Stelle zu bedeuten hatte, obschon ich mir denken konnte, daß sie eine angesehene sein müsse, da ihr Inhaber dadurch in einen der höheren Gerichtshöfe eintrat. Seinem Schreiben war das Versprechen beigefügt, daß er mich am andern Tage besuchen wolle.

»Ja,« dachte ich, »um Carolinens Musikalien in Empfang zu nehmen. Natürlich wird sie mir ihr Päckchen mitgeben, wenn ich ihr heute Musikunterricht ertheile.«

Ich hatte Recht in meiner Voraussetzung. Caroline brachte mir ein Notenheft mit einem Billet und sagte:

»Hier ist das Miß Selwyn zugehörige Musikstück, Valerie; wollt Ihr die Güte haben, es ihr gelegentlich zuzustellen? Es hat keine Eile, da sie es vermutlich nicht sogleich brauchen wird.«

Und sie erröthete, als ihr Auge dem meinigen begegnete.

Um sie zu strafen, erwiederte ich ihr:

»Ich glaube selbst, daß es keine Eile haben wird. In vierzehn Tagen oder drei Wochen mache ich einen Besuch in Kew, und dann kann ich es mitnehmen.«

»Aber dann wird mein Billet, in welchem ich Mr. Selwyn danke, von sehr altem Datum sein,« versetzte Caroline, »und ich möchte wohl das andere Notenheft erhalten, das ich in Kew liegen ließ.«

»Nun, Caroline, Ihr könnt mir doch nicht zumuthen, daß ich zu Besorgung Eurer Aufträge selbst nach der Kanzlei eines hübschen jungen Advokaten gehe? Beiläufig, ich habe diesen Morgen ein Billet von ihm erhalten, in welchem er mir mittheilt, daß sein Vater in den Gerichtssaal vorgerückt sei. Was muß ich darunter verstehen?«

»Daß sein Vater Richter geworden ist. Ist dies Alles, was er wußte?« fügte Caroline mit anscheinender Gleichgiltigkeit bei.

»Wenn ich mich recht entsinne, so zeigte er mir außerdem an, daß er mich morgen besuchen wolle. Im Falle er Wort hält, kann ich ihm Euer Notenheft übergeben.«

Bei dieser Kunde klärte sich Carolinens Gesicht auf, und sie verließ das Zimmer. Am andern Tage kam Mr. Selwyn zu mir, und ich händigte ihm das Heft mit dem Billet ein. Er theilte mir mit, daß er nun die ganze Privat- und öffentliche Praxis seines Vaters übernommen habe, weshalb er sich die Frage erlaube, ob er sich fortan auch als meinen rechtskundigen Beistand zu betrachten habe. Ich entgegnete darauf:

»Allerdings; aber Ihr dürft nicht erwarten, daß die Angelegenheiten einer Musiklehrerin sehr einträglich sein werden.«

»Dies ist auch gar nicht nöthig, denn ich mache mir ein Vergnügen daraus, Euch zu dienen,« versetzte er galant. »Vielleicht habt Ihr einiges Geld anzulegen?«

»Wohl, aber noch nicht ganz genug,« erwiederte ich. »Mit dem Schlusse des Jahres hoffe ich fünfhundert Pfund beisammen zu haben.«

»Es ist mir lieb, daß Ihr mir dies mittheilt. Es könnte in der Zwischenzeit eine vortheilhafte Gelegenheit auskommen, die ich für Euch aufbewahren will.«

Er bat mich um die Erlaubniß, Carolinens Billet lesen zu dürfen, und sagte dann, das andere Musikheft werde sich inzwischen wohl vorgefunden haben; er wolle es im Laufe der nächsten Paar Tage Monsieur Gironac zustellen. Mit diesen Worten verabschiedete er sich. Noch am nämlichen Abend erhielt ich von Lionel einen Brief, der tiefen Eindruck auf mich machte. Wie er mir mittheilte, hatte er auf dem Fechtboden die Bekanntschaft eines jungen Officiers, Namens August de Chatenœuf, gemacht, gegen welchen er sich äußerte, daß er in England eine Dame, welche den nämlichen Namen führe, kennen gelernt habe. Der Officier fragte ihn sodann nach dem Alter seiner Bekannten, das er ihm angab.

»Seltsam,« sagte der Officier. »Ich hatte eine Schwester, die mir sehr theuer war. Man meinte, sie sei ertrunken, obschon ihr Körper nie aufgefunden wurde. Könnt Ihr mir den Taufnamen der Dame nennen, von der Ihr sprecht?«

»Es fiel mir nun bei,« fuhr Lionel fort, »daß ich durch die richtige Beantwortung seiner Frage eine Unklugheit begehen konnte, und sagte ihm deshalb, daß mir Euer Vorname unbekannt sei; indeß glaube ich, daß Ihr von Euren Freundinnen als Annette angeredet würdet.

»›Dann kann sie es nicht sein,‹ versetzte er, ›denn meine Schwester hieß Valerie. Indeß wäre es doch möglich, daß sie einen anderen Vornamen angenommen hätte. Beschreibt mir ihr Gesicht und ihre Gestalt.‹

»Ich fühlte mich nun überzeugt, daß hier von niemand Anderem, als von Euch die Rede war; da Ihr mir aber nie etwas von Eurer früheren Geschichte mittheiltet, so hielt ich es für räthlich, ihn von der Spur abzuleiten, bis ich mich mit Euch darüber benommen hätte. Ich antwortete daher (und zähle dabei auf Eure Verzeihung), Ihr seiet eine sehr einfache Person mit einer Mopsnase, sehr klein und mit einer bedeutenden Anlage zur Fettbildung versehen.

»›Dann muß es jemand Anders sein,‹ entgegnete der Officier. ›Das Herz klopfte mir anfänglich, als ich Euch von ihr sprechen hörte; denn ich liebte sie innig und habe nie aufgehört, ihren Verlust zu beklagen.‹

»Er erzählte mir dann noch viel von Euch und gab mir Aufschluß über die Geschichte Eures früheren Lebens. Ich benützte diese Gelegenheit, ihn zu fragen, ob Eure unnatürliche Mutter noch lebe. Seine Antwort lautete bejahend. Auch Euer Vater lebt noch und ist wohl.

»Ich wagte es nicht, weiter zu fragen. Habe ich recht gethan oder unrecht, meine liebe Mademoiselle de Chatenœuf? Im letzteren Falle kann ich den Irrthum leicht wieder gut machen. Euer Bruder – denn dies ist er doch – gefällt mir recht wohl. Er unterscheidet sich sehr von den Officieren der französischen Armee im Allgemeinen, da er sehr bescheiden und höflich ist: auch spricht sich in Allem, was er sagt, ein wohlwollender Sinn aus, so daß ich ihn nur um so mehr lieben muß. Ihr habt gar keine Vorstellung von der Tiefe des Gefühls, welche er kund gab, als er von Euch redete – natürlich vorausgesetzt, daß Ihr wirklich gemeint waret, obschon ich mich der Ueberzeugung nicht erwehren kann, daß dies der Fall sei. Eine seiner Bemerkungen kann ich nicht übergehen; er sagte mir nämlich, daß seit Eurem vermeintlichen Tode Euer Vater das Haupt nie wieder aufgerichtet habe, und von jener Zeit an sei jedes Lächeln aus seinem Gesichte verschwunden.«

Der mitgetheilte Auszug aus Lionels Schreiben regte mich in einem Grade auf, daß ich mich nach meinem Zimmer zurückziehen mußte, um den Sturm meines Innern vor Madame Gironac zu verbergen. Ich weinte eine Zeit lang bitterlich; denn ich vergegenwärtigte mir, was mein armer Vater gelitten und welchen Schmerz mein vermeintlicher Tod meinem Bruder August bereitet haben mußte. War es wohl recht von mir, daß ich mich durch die von meiner Mutter erlittene Behandlung zu der That, die ich begangen, hatte hinreißen lassen? Wenn sie mir auch noch so viel Leides anthat, war ich befugt, anderen, die mich liebten, solchen Kummer zu bereiten? Mein armer Vater hatte seitdem nie wieder gelächelt! Sollte ich zugeben, daß der Kummer um meinen Verlust den Rest seiner Tage elend machte? Oh nein! Ich hegte keinen Groll mehr gegen andere, die mich mißhandelt hatten, und konnte sogar meiner Mutter vergeben, wenn auch nicht ihr zu lieb, so doch um meines Vaters und meines Bruders willen. Ja, und ich nahm mir vor, es zu thun, denn ich war jetzt unabhängig von meiner Mutter und meiner Familie und konnte sogar die letztere unterstützen, wenn sie es bedurfte.

Dies waren meine ersten Gefühle – dann aber kamen Zweifel und Besorgnisse. Konnte nicht meine Mutter Ansprüche an mich erheben, mich zwingen, bei ihr zu leben, und mich an Erwerbung meines Unterhalts hindern? Oder wenn sie mir auch eine Beschäftigung gestattete, war sie nicht befugt, meinen ganzen Verdienst an sich zu ziehen? So viel ich mich erinnern konnte, sprach ihr die französische Gesetzgebung dieses Recht zu. Ferner – vergab sie mir wohl den Verdruß, den ihr mein Abhandenkommen drei Jahre lang bereitet hatte, – die Schmach, so lange unter dem Brandmal gelebt zu haben, als hätte sie durch ihre Grausamkeit das eigene Kind zum Selbstmord getrieben, – den ewigen Vorwurf, den sie in der umwölkten Stirne meines Vaters lesen mußte? Konnte sie mir es verzeihen, daß ich meine Unabhängigkeit denselben Talenten verdankte, an deren Ausbildung sie mich hindern wollte? Nein, nie, wenn ihr Herz nicht vollkommen anders wurde.

Nachdem ich mich viele Stunden mit diesen Gedanken beschäftigt hatte, faßte ich den Entschluß, meinen Bruder August von meinem Vorhandensein in Kenntniß zu setzen und es ihm zu überlassen, ob er die Kunde davon unter dem Siegel der Verschwiegenheit auch meinem Vater mittheilen wolle; so viel aber stand fest, daß ich mich nicht nach Frankreich zurückwagen und eben so wenig meine Mutter von meinem Dasein etwas wissen lassen wollte, bis ich mich überzeugt hatte, daß sie keine Macht mehr über mich auszuüben vermochte. Eh' ich jedoch irgend einen entschiedenen Schritt that, sollte mir Richter Selwyn, dem ich meine ganze Lage anzuvertrauen gedachte, mit seinem Rathe an die Hand gehen. Ich schrieb ihm daher noch mit der nämlichen Abendpost und bat ihn, mich wissen zu lassen, wann er mir Gehör schenken könne.

Die Antwort lief am anderen Tage ein. Er schrieb mir, daß er mich besuchen und nach Kew mitnehmen wolle, wo ich übernachten und am nächsten Morgen mit ihm wieder nach London zurückkehren könne. Dies war mir sehr angenehm, und sobald ich in seinem Wagen an seiner Seite saß, sagte ich ihm, daß ich ihm jetzt denjenigen Abschnitt meines Lebens, von dem er noch keine Kenntniß habe, vertrauen müsse; es sei mir nämlich in Folge einer Mittheilung, die ich kürzlich von Lionel erhalten, darum zu thun, in Betreff der von mir einzuschlagenden Schritte seinen Rath zu hören. Dann ließ ich mich auf die Einzelheiten meines früheren Lebens ein bis auf die Periode, in welcher mich Madame d'Albret aus der Kaserne fortnahm, da der Rest ihm zur Genüge bekannt war. Zugleich übergab ich ihm Lionels Brief, und nachdem er ihn gelesen hatte, setzte ich ihm meine Wünsche und Besorgnisse auseinander, ihn dabei bittend, daß er mir rathen solle, was unter solchen Verhältnissen wohl am zweckmäßigsten gethan werden könne.

»Dies ist eine ereignißvolle Geschichte, Valerie,« sagte der alte Gentleman. »Ich theile Eure Ansicht, daß es in der Ordnung ist, Euren Bruder von Eurem Dasein in Kenntniß zu setzen – meinetwegen auch Euren Vater, da er für sein feiges Benehmen zur Genüge gestraft ist. Aber ob er im Stande sein wird, das Geheimniß für sich zu behalten, – dies bezweifle ich sehr; und nach dem, was Ihr mir von Eurer Mutter erzählt habt, würde ich mich sicherlich nicht nach Frankreich wagen. Die Gesetze jenes Landes sind mir freilich nicht sonderlich bekannt; indeß ist es eine vernunftgemäße Annahme, daß minderjährige Kinder unter der Gewalt ihrer Eltern stehen bis zu ihrer Verheirathung. Ich würde daher nur als eine verehelichte Frau nach Frankreich gehen; denn dann werdet Ihr sicher sein. Wann will Lionel wieder herüberkommen?«

»Wenn ich den Wunsch gegen ihn ausdrücke, wird er dies zu jeder Zeit thun.«

»Dann laßt ihn kommen und ladet zugleich Euren Bruder ein, ihn zu begleiten. Mit ihm läßt sich die Sache in's Reine bringen. Es wäre mir in der That lieb, wenn Ihr schon unter der Haube wäret, Valerie, und auch meinen Sohn wünschte ich in den Banden der Ehe zu sehen. Ich möchte gar gerne Großvater sein, eh' ich sterbe.«

»Was mein unter die Haube Kommen betrifft, Sir, so ist hiezu wenig Aussicht vorhanden. Schon der Gedanke daran ist mir zuwider, und ich würde es vorziehen, wieder zu meiner Mutter zurückzukehren, da mir die alte Tyrannei lieber wäre, als eine neue.«

»Muß es denn gerade eine Tyrannei sein, meine liebe Valerie? Verlaßt Euch darauf, es gibt viele glückliche Ehen. Bin ich ein Tyrann in meinem Hause? Meint Ihr, meine Gattin sei eine Sclavin?«

»Es gibt allerdings viele rühmliche Ausnahmen, mein theurer Sir,« versetzte ich. »Was die Verheiratung Eures Sohnes betrifft, so braucht Ihr noch nicht zu verzweifeln, denn es kömmt mir vor, als ob diese wohl bald stattfinden dürfte, – doch dies ist ein Geheimniß und ich darf nichts weiter sagen.«

»Wirklich?« entgegnete der Richter. »Und ich weiß doch nichts davon. Ich denke nicht, daß er heirathen wird, ohne mich um Rath zu fragen.«

»Oh, Sir, aber ich denke so – und ich werde ihm selbst dazu rathen, denn es ist nothwendig, daß vor Beendigung der ganzen Geschichte nichts ruchbar werde. Glaubt mir, Sir, wenn es so weit kömmt, werdet Ihr mit der getroffenen Wahl recht wohl zufrieden sein; aber Ihr müßt mir versprechen, daß Ihr keine Sylbe darüber verlauten lassen wollt – Ihr könnt sonst Alles verderben.«

Der alte Richter warf sich nachdenksam in dem Wagen zurück und verblieb eine geraume Zeit in seinem Brüten. Endlich nahm er wieder das Wort:

»Valerie, ich glaube jetzt, daß ich Euch verstehe. Wenn es so ist, wie ich vermuthe, so habt Ihr vollkommen das Recht, von mir zu verlangen, daß ich keine weitere Frage an Euch stelle; denn es gibt viele Gründe, welche es mir wünschenswerth machen, daß es den Anschein habe, als wisse ich nichts von der ganzen Sache.«

Bald nachher langten wir zu Kew an, und nach einem sehr angenehm verbrachten Abend kehrte ich am andern Morgen früh mit dem Richter wieder nach London zurück. Ich schrieb dann an Lionel, theilte ihm so viel mit, als mir nöthig schien, und drückte den Wunsch gegen ihn aus, er möchte mit meinem Bruder näher bekannt zu werden suchen und denselben einladen, ihn bei seinem nächsten Ausflug nach England zu begleiten; unter keinen Umständen aber dürfe er ihm vorderhand das Geheimniß verrathen, daß er in London eine Schwester finden werde.

An demselben Tage, an welchem ich von Kew zurückgekehrt war, machte mir der junge Selwyn einen Besuch und brachte das vermißte Notenheft mit. Ich enthielt mich jeder Bemerkung über den Umstand, daß mir die Pièce nicht von seiner Schwester übergeben worden war, da ich mir wohl denken konnte, das Paketchen enthalte eine Note, die viel musikalischer war, als irgend eine auf der ganzen Tonleiter. Der Auftrag wurde besorgt, und da ich einige Tage später an Caroline ein sehr blasses Gesicht und große Unruhe bemerkte, so erbat ich mir von der Vorsteherin der Anstalt die Erlaubniß, daß sie den Rest des Tages bei mir zubringen durfte. Ich war kaum einige Minuten zu Hause, als sich auch schon Mr. Charles Selwyn einstellte, welcher mich überhaupt während der zwei Monate, die bis zu Carolinens Abberufung aus der Schule noch fehlten, sehr fleißig besuchte.

Der Leser kann sich denken, daß ich diesen Liebeshandel nach Kräften unterstützte. Ich that dies aus Dankbarkeit gegen Mr. Selwyns Vater, der mir so viel Güte erwiesen hatte, und glaube mir dabei keinen Vorwurf machen zu können, denn Caroline war ein gutes Mädchen, das vollkommen für Mr. Selwyn paßte. Ferner war mir bekannt, daß meinem Zögling ein großes Vermögen in Aussicht stand, und wenn je die Eltern nach der Trauung unversöhnlich gegen Caroline blieben, so verdankte Mr. Selwyn seiner ausgedehnten Praxis die Mittel, sein junges Weibchen auch ohne die elterliche Unterstützung gemächlich zu erhalten. Ich glaubte, sowohl Caroline als Mr. Selwyn einen Freundschaftsdienst zu erweisen und nahm daher keinen Anstand, ihnen Vorschub zu leisten; auch hatte ich von der Sache noch eine andere Ansicht, die sich im Verlaufe als die richtige erwies, indem es gerade so gieng, wie ich mir gedacht hatte.

Am letzten Tage des September entwich Caroline aus der Anstalt und suchte mich im Hause der Madame Gironac auf, wo Mr. Selwyn sich schon mit einem Trauschein eingefunden hatte. Wir begaben uns nach der Kirche, die Feierlichkeit fand Statt, und Mr. Selwyn brachte seine Braut nach dem Hause seines Vaters in Kew. Der alte Richter war auf einen solchen Ausgang schon einigermaßen vorbereitet und nahm das Päärchen sehr liebevoll auf. Die Mutter und die Schwester hatten Caroline schon früher sehr liebgewonnen und folgten dem Beispiele des Familienhauptes. Der Tag hätte nicht ruhiger und angenehmer entschwinden können. Aus Gründen, die ich noch nicht auseinandersetzen mochte, bat ich Mr. Selwyn, von seiner Verbindung mit Caroline vorläufig den Eltern der Braut keine Anzeige zu machen, da dies später mit einem sichereren Erfolge geschehen könne, und er versprach mir, nicht nur selbst über die Sache Stillschweigen zu beobachten, sondern auch seine Angehörigen zu veranlassen, daß sie reinen Mund hielten.

Wenn Mrs. Bradshaw bei der Kunde von dem Entweichen ihrer französischen Sprachlehrerin zwei Flaschen köllnisch Wasser brauchte, um ihre Kräfte aufrecht zu erhalten, so mag sich der Leser selbst vorstellen, wie viele zu demselben Zweck erforderlich gewesen sein mochten, nachdem eine ihrer Obhut anvertraute Erbin sich desselben Verbrechens schuldig gemacht hatte!

Da Caroline nicht mit mir die Anstalt verlassen hatte, so erschien ich als unbetheiligt, und man wußte sich die Sache durchaus nicht zu erklären. Man hatte nie bemerkt, daß sie mit einem jungen Manne gegangen wäre oder einen brieflichen Verkehr unterhalten hätte. Ich gab Mrs. Bradshaw zu verstehen, daß wohl die Furcht, von dem Vater ihrem Schutz entnommen zu werden, Caroline zum Entweichen veranlaßt haben dürfte, und deutete darauf hin, daß sie wahrscheinlich zu ihrer Tante Bathurst geflüchtet sei. In Gemäßheit dieses Winkes schrieb sie an Mr. Stanhope, setzte ihn von dem Verschwinden seiner Tochter in Kenntniß und gab ihre Meinung dahin ab, daß sie sich wahrscheinlich bei ihrer Tante befinde, um der ihr unangenehmen Rückkehr in's elterliche Haus auszuweichen. Mr. Stanhope gerieth in Wuth und fuhr sogleich zu Madame Bathurst, mit der er seit langer Zeit allen Verkehr abgebrochen hatte, um ihr seine Tochter abzufordern. Madame Bathurst erklärte ihm, daß sie nichts von Caroline wisse, und da ihr Mr. Stanhope keinen Glauben schenkte, so schieden sie unter hohen Worten.

Einige Tage später kamen der Obrist und Adèle nach London, da die der letzteren zugesagte Frist von drei Monaten abgelaufen war. Ich muß jetzt berichten, was ich erst einige Zeit später erfuhr, als ich mit Adèle zusammentraf, welcher ihr Gatte den Vorgang erzählt hatte.

Der Obrist lebte bei seiner Ankunft in London noch immer der Ueberzeugung, er habe nicht Adèle Chabot, sondern Caroline Stanhope geheirathet und begab sich, ohne ihr von seinem Vorhaben etwas mitzutheilen, unverweilt nach Grosvenor Square, wo er sich bei Mr. Stanhope melden ließ. Dies geschah ungefähr zwei Wochen nach Carolinens Entweichen mit Mr. Selwyn. Er wurde vorgelassen und fand Mr. und Mrs. Stanhope in dem Besuchzimmer. Er hatte seine Charte übergeben lassen und wurde von Mr. Stanhope mit großartigem Uebermuth empfangen.

»Was mögt Ihr wohl mit mir zu verhandeln haben, Sir?« sagte Mr. Stanhope und sah auf die Charte. »Obrist Jervis nennt Ihr Euch, wie ich glaube?«

Nun war Obrist Jervis ein in der vornehmen Welt wohl bekannter Mann, und wenn man ihn nicht kannte, so schloß er daraus, daß man selbst nur einem niedrigen Kreise angehöre. Der Empfang erbitterte ihn daher nicht wenig, um so mehr, als er selbst ein Mann von sehr feiner Bildung war und ihm daher die Gemeinheit seiner vermeintlichen Verwandten besonders auffallen mußte.

»Mein Name, Mr. Stanhope, ist Jervis, wie Ihr zu bemerken beliebtet,« entgegnete der Obrist mit Stolz, »und mein Anliegen betrifft Eure Tochter.«

»Meine Tochter, Sir?«

»Unsere Tochter! Ha, Ihr wollt uns doch nicht etwa die Meldung machen, daß unsere Tochter mit Euch entlaufen sei?« kreischte Mrs. Stanhope.

»Ich bin allerdings in keiner andern Absicht gekommen, Madame. Sie ist jetzt meine Gattin und hat sich, wie ich hoffe, nicht unter ihrem Stande verheirathet.«

»Ein Obrist! – ein erbärmlicher Obrist! – Dies eine Partie für meine Tochter! Ha, mit ihrem Vermögen hätte sie einen Herzog heirathen können,« rief Mrs. Stanhope. »Die Elende soll mir nie wieder vor Augen kommen! Ja wohl da – ein Obrist! Ich schätze wohl, ein Milizenobrist. Wenn man's beim Lichte betrachtet, seid Ihr gar nur ein Capitän. Gut; nehmet sie nur in Eure Kaserne und macht, daß Ihr selber wieder dahin zurückkommt. Ihr seid hier überflüssig. Nicht einen Pfenning – ja, nicht einen Pfenning sollt Ihr erhalten. Ist's nicht so, Stanhope?«

»Keinen halben Heller,« entgegnete Mr. Stanhope pomphaft. »Geht nur, Sir; die Gesinnungen der Mrs. Stanhope sind die meinigen.«

Der Obrist, welchen die erlittene Behandlung mit hohem Zorne erfüllte, sprang jetzt auf und sagte:

»Sir und Madame, ihr scheint nichts von den Sitten einer guten Gesellschaft zu wissen, und ich gebe euch die unverholene Erklärung – wäre ich von der unerträglichen Gemeinheit der Eltern unterrichtet gewesen, so hätte mich nichts bewegen sollen, die Tochter zu heirathen. Ich sage euch dies, weil ich mich den Teufel um euch kümmere. Ihr seid zur Zeit noch auf euren Stelzen, aber ich will euch bald zur Besinnung bringen; denn ihr müßt wissen, Sir und Madame, daß ich zwar mit eurer Tochter entlief und mich mit ihr trauen ließ, – aber die Ehe ist ungesetzlich, da sie einen falschen Namen angab, ein Schritt, der ihr und nicht mir zur Last fällt. Ihr mögt euch deshalb darauf gefaßt halten, die Tochter wieder zurückzunehmen, sobald es mir beliebt, sie euch wieder zu senden – mit Schande und Schmach; und dann seht zu, wo ihr einen Herzog für sie auftreibt. Ich überlasse es euch, dieses Stückchen Nachricht zu verdauen, und wünsche euch guten Morgen. Ihr habt meine Adresse für den Fall, daß ihr mir Abbitte leisten und Gerechtigkeit widerfahren lassen wollt; dieß erwarte ich unter allen Umständen, eh' eine gesetzliche Trauung stattfinden soll.«

Mit diesen Worten verließ der Obrist das Haus, und es wäre schwer anzugeben, welche von diesen drei Personen sich in der größten Wuth befand.

Adèle hatte ihre Zeit gut benützt und der Obrist sie von ganzem Herzen liebgewonnen; gleichwohl kam er jetzt in einer nicht sehr angenehmen Stimmung nach Hause, warf sich auf den Sopha nieder und redete sie verdrießlich an:

»Ich will aufrichtig gegen Dich sein, meine Liebe. Hätte ich vor unserer Verbindung Deinen Vater und Deine Mutter gesehen, so würde mich keine Welt bewogen haben, Dich zum Altar zu führen. Man muß allerdings bei Eingehung einer Ehe sein Hauptaugenmerk auf Familienverbindungen und Vermögen richten, aber so verthierte Geschöpfe, wie Deine Eltern, sind mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen. Gütiger Himmel! daß ich mit solchen Menschen in einem verwandtschaftlichen Verhältniß stehen muß!«

»Darf ich fragen, mein Theuerster, wovon Du sprichst und was Alles dies heißen soll? Mein Vater und meine Mutter! Lieber Obrist, mein Vater fiel bei dem Angriff auf den Montmartre, und meine Mutter ist schon vor ihm gestorben.«

»Dann wer und was bist denn Du?« rief der Obrist, vom Sopha aufspringend. »Bist Du nicht Caroline Stanhope?«

»Ich danke dem Himmel, daß ich's nicht bin. Habe ich Dir nicht immer gesagt, ich sei Adèle Chabot und nichts anderes? Du wirst mir dies nicht in Abrede ziehen können. Mein Vater und meine Mutter waren keine gemeine Personen, theurer Gatte, und meine Familie ist so gut, wie die meisten in Frankreich. Komm' mit mir nach Paris, und Du sollst dort meine Verwandten kennen lernen. Ich bin freilich arm, aber bedenke doch, daß die Revolution viele reiche Familien in's Elend trieb; auch die meinige mußte ihr Vaterland meiden, obschon es ihr am Ende gestattet wurde, wieder nach Frankreich zurückzukehren. Was kann Dich veranlaßt haben, in diesen Irrthum zu verfallen und allen meinen Versicherungen vom Gegentheil zum Trotz darauf zu bestehen, daß ich die Tochter dieser gemeinen Glückspilze sei, deren Mangel an Lebensart sprüchwörtlich geworden ist und die bei all' ihrem vermeintlichen Reichthum doch kaum je in eine Gesellschaft Zutritt erhalten?«

Auf dem Gesichte des Obersten drückte sich das höchste Erstaunen aus.

»Es thut mir Leid, wenn Du Dich in Deinen Erwartungen getäuscht findest, mein Theuerster,« fuhr Adèle fort, »und ich bedaure sehr, daß ich nicht Caroline Stanhope mit einem großen Vermögen bin. Aber wenn ich Dir auch keine Reichthümer zubringe, kann ich Dir doch durch meine Häuslichkeit ein Vermögen ersparen. Wenn ich nur sehe, daß Du nicht Deiner gewohnten Vergnügungen und Genüsse beraubt bist, so macht es mir wenig aus, was ich treibe oder wie ich lebe. Du wirst kein anspruchvolles Weib in mir finden, mein Lieber, das Dir Ausgaben zumuthet, die Du nicht erschwingen kannst. Ich möchte nur Dir zu Gefallen leben, und gelingt mir dies nicht, so will ich sterben – wenn es Dein Wunsch ist, meiner ledig zu sein.«

Adèle nahm ihre Liebkosungen wieder auf, während ihr Thränen über die Wangen rollten; denn sie liebte ihren Gatten zärtlich, und ihre Worte waren der treue Erguß ihres Herzens.

Der Capitän konnte ihr nicht widerstehen. Er schlang seine Arme um sie und sagte:

»Weine nicht, Adèle; ich glaube Dir – und außerdem, ich fühle, daß ich Dich liebe. Dem Himmel sei Dank, daß ich nicht Caroline Stanhope geheirathet habe, denn sie kann von ihren Eltern nicht sehr verschieden sein. Ich gebe zu, daß ich mich selbst getäuscht habe; aber dieser Irrthum hat mir zu einer bessern Frau verholfen, als ich verdiene, und ich bin in der That recht froh, daß mich mein guter Stern einem schlimmen Geschick entrinnen ließ. Um keine Welt hätte ich mit solchem Volk verbunden sein mögen. Wir wollen thun, wie Du sagst; gehen wir für eine Weile nach Frankreich und stelle mich dort Deinen Verwandten vor.«

Noch vor dem nächsten Morgen hatte Adèle den Sieg errungen. Der Obrist fühlte, daß seine Selbsttäuschung ihn zum Gespötte Anderer machen mußte und er daher nichts Besseres thun konnte, als nach Paris gehen und von dort aus seine eheliche Verbindung in den Zeitungen anzeigen. Er besaß hinreichend Vermögen, um nicht nur gemächlich, sondern sogar üppig zu leben, und war im Ganzen jetzt überzeugt, daß ein schönes, liebevolles Weib auch ohne Vermögen doch besser sei, als ein blos um des Interesses willen geschlossenes Ehebündniß. Ich muß hier noch bemerken, daß Adèle ihre Karten trefflich zu spielen wußte und der Obrist ein glücklicher, zufriedener Mann war. Sie hielt ihre Zusage, und da er bald die Entdeckung machte, er besitze bei ihrer Wirthlichkeit mehr, als ein verheiratheter Mann brauchte, so segnete er den Tag, an welchem er sie aus Versehen zu seiner Gattin gemacht hatte. Wir müssen übrigens wieder zu den Stanhopes zurückkehren.

Obschon sie nach dem Besuche des Obristen zu aufgebracht waren, um sonderlich auf seine Abschiedsdrohungen zu achten, kam doch, nachdem sie sich verkühlt hatten, eine Zeit der Ueberlegung, und die Kunde, daß ihre Tochter nicht gesetzlich vermählt sei, erfüllte das feine Ehepaar mit großem Kummer. Einige Tage verhielten sie sich ruhig; aber endlich dünkte es ihnen doch räthlich, sich auf's Unterhandeln zu legen, um die Ehre ihrer Tochter zu retten. Während dieser Zögerung von ihrer Seite hatte Adèle mit ihrem Gatten, den sie mir vorstellte, mich besucht und von dem ganzen Stand der Dinge in Kenntniß gesetzt. Sie theilten mir ihre Absicht, nach Paris zu gehen, mit, und obschon ich wußte, daß Adèle einer guten Familie angehörte, glaubte ich doch, daß der jungen Frau ein Empfehlungsschreiben an Madame d'Albret sehr zu statten kommen dürfte. Und so erwies sich's denn auch. Der Obrist wurde dadurch in die erste Gesellschaft von Paris eingeführt und war Zeuge von der Bewunderung, die seiner Gattin gezollt wurde. Als daher Mr. Stanhope endlich den Entschluß faßte, den Obristen in dem Hause aufzusuchen, welches die Adresse ihm bezeichnete, waren die Vögel bereits ausgeflogen, und Niemand wußte über ihren Aufenthalt Auskunft zu geben. Dies war ein schwerer Schlag, welcher Mr. und Mrs. Stanhope in die größte Ungewißheit versetzte. Jetzt war es für Mr. Selwyn Zeit, hervor zu treten, weshalb ich ein Billet an ihn abfertigte und ihn ersuchte nach London zu kommen. Nachdem ich ihn von Adèles Geschichte, ihrer Verheirathung mit dem Obristen und allen dem Leser bereits bekannten Einzelnheiten unterrichtet hatte, deutete ich ihm an, wie er sich zu benehmen habe, wenn er Mr. Stanhope besuche – ein Schritt, den er jetzt nicht mehr länger verschieben dürfe. Er befolgte meinen Rath und erzählte mir, als er wieder zurück kam, den Vorgang in nachstehender Weise: –

»Ich ließ Mr. und Mrs. Stanhope meine Charte hinaufbringen und wurde fast eben so höflich wie der Obrist empfangen. Dies focht mich übrigens wenig an. Ich nahm selbst einen Stuhl, den man mir nicht angeboten hatte, und sagte:

»›Ueber meinen Namen seid Ihr durch meine Charte unterrichtet, Mr. Stanhope; dem habe ich nur noch beizufügen, daß ich Advocat bin und mein Vater, der Richter Selwyn, einer der Beamten des Kings-Bench ist. In den Kreisen, die Ihr besucht, werdet Ihr ihm wahrscheinlich schon begegnet sein, obschon Ihr ihn nicht näher kennt. Eure Schwägerin, die Madame Bathurst, haben wir zu kennen die Ehre.‹

»Diese Einleitung bewirkte schon etwas mehr Höflichkeit, denn in ihren Augen gehörte ein Richter schon zu den Jemanden.

»›Der Zweck meines Hieherkommens betrifft Eure Tochter, über die ich mit Euch zu sprechen habe.‹

»›Ihr seid also von dem Obristen geschickt?‹ entgegnete Mrs. Stanhope in scharfem Tone.

»›Nein, Madame; ich habe keine Bekanntschaft mit dem Obristen.‹

»›Aber wie habt Ihr meine Tochter kennen gelernt, Sir?‹

»›Ich hatte das Vergnügen, in dem Hause meines Vaters mit ihr zusammen zu treffen. Sie war eine Weile auf unserem Landsitz zu Kew, wohin sie von meiner Familie eingeladen worden.‹

»›Wirklich?‹ rief Mrs. Stanhope. ›Davon haben wir ja nicht das Mindeste gewußt. Der Herr Richter war da sehr gütig. Aber Ihr werdet wissen, Sir, daß sich meine Tochter recht unglücklich verheirathet hat.‹

»›Daß sie geheirathet hat, ist mir bekannt, Madame; aber ich hoffe nicht, daß die Ehe unglücklich ist.‹

»›Ei, Sir, sie hat sich an einen Obristen weggeworfen – an einen Kerl, der sogar noch zu uns herkam, um uns zu sagen, daß die Ehe gar nicht gelte.‹

»›Eben um diesen Irrthum zu berichtigen, bin ich hergekommen, Madame. Der Obrist hatte gehört, Eure Tochter befinde sich in der Anstalt der Mrs. Bradshaw, und da er sie für eine reiche Beute hielt, so wünschte er sie zu entführen. Dabei begieng er jedoch ein kleines Versehen, Madame; denn statt mit Eurer Tochter lief er mit der französischen Sprachlehrerin, die keine sechs Pence besitzt, davon und heirathete sie. Er hat jetzt seinen Mißgriff entdeckt und ist auf und davon nach Paris, um sich dort vor dem Gelächter der Stadt zu verbergen.‹

»Diese Nachricht setzte Mr. und Mrs. Stanhope in die heiterste Stimmung von der Welt; ja letztere schrie laut hinaus vor Freude, und ich säumte nicht, mich ihrer Fröhlichkeit anzuschließen. Sobald sich das Ungestüm ihrer guten Laune gelegt hatte, nahm Mrs. Stanhope wieder das Wort:

»›Aber Ihr habt gesagt, Mr. Selwyn, daß meine Tochter verheirathet sei. Wie muß ich dies verstehen?‹

»›Einfach so, Madame: Das Herz Eurer Tochter war um die Zeit jener Geschichte mit dem Obristen bereits gefesselt, und sie hatte im Sinne, Euch davon in Kenntniß zu setzen, indem sie der Hoffnung Raum gab, daß Ihr der Wahl, die sie getroffen, Eure Zustimmung nicht versagen würdet; aber als die Entführung stattfand und sogar ihr Name mit derselben in Verbindung gebracht wurde, gestaltete sich ihre Stellung sehr unangenehm, um so mehr, da man in Folge einer Erklärung des Obristen wissen wollte, daß die Verbindung ungültig sei. Sie gieng deshalb mit dem Gentleman ihrer Wahl zu Rath, und das Ergebniß davon war: – Wenn nach jenem Gerücht, welches die Ehe für ungesetzlich erklärt, Caroline Stanhope in das Haus ihrer Eltern zurückkehrt, so wird man glauben, der Obrist habe, nachdem er seine Plane gescheitert sah, sie entehrt wieder ihren Angehörigen zurück gegeben, und keine spätere ehliche Verbindung wird im Stande sein, diesen Eindruck zu verwischen. Unter solchen Umständen hielten sie es, sowohl in Anbetracht der Eltern, als ihrer selbst, für das Räthlichste, gleichfalls einen geheimen Ehebund zu schließen, weil sich dadurch am besten der Beweis führen ließ, daß Jemand anders mit dem Obristen davon gegangen sein müsse. Miß Stanhope wurde demgemäß vor achtbaren Zeugen in der Kirche getraut und unmittelbar darauf von dem Bräutigam in das Haus seines Vaters geführt, der das Geschehene guthieß, in so fern nun weder auf Miß Stanhope, noch auf deren achtbare Eltern ein falsches Licht fallen konnte.‹

»›Und wer ist denn die Person, mit welcher sie sich verheirathet hat?‹

»›Ich selbst, Madame, und Eure Tochter befindet sich dermalen in dem Hause des Richters Selwyn, wo sie sich seit der Trauung im Kreise meiner Mutter und meiner Schwestern aufgehalten hat. Mein Vater würde mich begleitet haben, um die erforderlichen Aufklärungen zu geben, wenn er nicht gerade jetzt von seinem hohen Berufe zu sehr in Anspruch genommen wäre, um abkommen zu können. Er wird sich jedoch glücklich schätzen, Mr. Stanhope, der über seine Zeit verfügen kann, entweder in seiner Stadtwohnung oder auf seinem Landsitze willkommen zu heißen. Da ich die Ehre habe, Euer Schwiegersohn zu sein, Madame, so hoffe ich, Ihr werdet mir gestatten, Euch die Hand zu küssen.‹

»›Caroline hätte etwas Schlimmeres thun können, mein Lieber,‹ sagte Mrs. Stanhope zu ihrem Gatten, der noch immer zögerte. ›Bedenke nur, Mr. Selwyn kann selbst Richter oder gar Lord Kanzler werden. Mr. Selwyn, Ihr seid willkommen, und ich werde mich glücklich schätzen, Euren gnädigen Herrn Vater bei mir zu sehen. Mein Gatte wird nicht säumen, ihm seine Aufwartung zu machen, so bald wir wissen, wann Seine Gnaden Muße hat. Oh, dieser Obrist! – aber es ist ihm Recht geschehen – eine französische Sprachlehrerin – ha, ha, ha!‹

»Und Mrs. Stanhopes Heiterkeit gieng auch auf ihren Gatten über, der mir jetzt mit einer Gönnermiene seine Hand entgegenhielt.

»›Wohlan, Sir, ich wünsche Euch Glück. Ich glaube, Ihr habt den guten Ruf meiner Tochter gerettet, und, meine Liebe,‹ fügte er in pomphafter Weise bei, ›wir werden wohl für die jungen Leutchen etwas thun müssen.‹

»›Ich hoffe, Sir, daß ich Caroline Eure Vergebung bringen darf.‹

»›Ja, wir ermächtigen Euch dazu, Mr. Selwyn,‹ sagte Mrs. Stanhope, ›und bringt sie selbst zu uns, so bald es Euch beliebt. Oh, dieser Obrist! – Ha, ha, ha! Ist es nicht vortrefflich? – Eine französische Sprachlehrerin. Ha, ha, ha!‹«

Einen solchen Ausgang hatte diese zweite Heirath genommen; aber wahrscheinlich wäre die Geschichte ganz anders abgelaufen, wenn die Nachricht des Obristen von der Ungesetzlichkeit der geschlossenen Verbindung das störrische Paar nicht vorläufig gedemüthigt hätte, während jetzt die Kunde von dem Irrthum des verhaßten Mannes dazu beitrug, ihre Gemüther zur Heiterkeit und somit auch zur Versöhnlichkeit zu stimmen. Ich habe nur noch zu bemerken, daß Mr. Stanhope, der seiner Gattin in allem Gehorsam zu leisten schien, mit seinem Besuche bei dem Richter nicht zögerte und von demselben auf's freundlichste empfangen wurde. Als der Richter seinem Gegenschwäher erklärte, daß sein Sohn ein hinreichendes Einkommen besitze, ward Mr. Stanhope mit einmal über die Maßen freigebig und sicherte seiner Tochter ein jährliches Leibgeding von zweitausend Pfunden zu, mit der Zusage, es nach Erfund der Umstände noch zu erhöhen. Caroline fand bei ihrer Mutter eine sehr gnädige Aufnahme und erhielt von ihr einige prächtige Diamanten zum Geschenk. Der Richter bemerkte gegen mich, indem er den Finger nach mir schüttelte, er wisse wohl, welche Rolle ich in der ganzen Geschichte gespielt habe.

So endigte diese Angelegenheit, und als Madame Gironac hörte, wie sehr ich bei den beiden Entführungen betheiligt gewesen war, sagte sie zu mir:

»Ah, Valerie, Ihr fangt damit an, andere Leute an den Mann zu bringen; zuletzt wird sich auch einer für Euch selbst finden.«

»Das ist etwas ganz Anderes, Madame,« versetzte ich. »Wenn ich nichts dagegen einzuwenden habe, Anderen zu Erfüllung ihrer Wünsche behilflich zu sein, so folgt daraus noch nicht, daß ich für mich selbst suche, was mir zuwider ist.«

»Valerie, ich bin eine Prophetin. Ihr werdet verheirathet sein, ehe das nächste Jahr abgelaufen ist. Denkt an meine Worte.«

»Ich will sie nicht vergessen, und das Ende des Jahres wird zeigen, wer Recht und wer Unrecht hatte.«

Nach all' diesem rührigen Treiben trat eine Windstille ein, welche den ganzen Winter über währte. Ich gieng wie gewöhnlich meinen Geschäften nach, und da ich so viele Zöglinge hatte, als ich überhaupt besorgen konnte, so mehrten sich meine Ersparnisse sehr. Der Winter entschwand, und mit dem Frühling sollte Lionel im Geleite meines Bruders eintreffen. Ich sah der Ankunft Augusts mit Ungeduld entgegen, und der Gedanke an ihn beschäftigte mich Tag und Nacht. Wie sehnte ich mich nach Nachrichten von meinem Vater, von meinen Brüdern und Schwestern, und von Allem, was unsere Familie betraf; ja selbst meine Mutter war für mich ein Gegenstand des Interesses, wenn auch nicht der Liebe, denn nachdem ich allen anderen, die mich übel behandelten, vergeben hatte, konnte ich auch ihr gegenüber verzeihen und vergessen, falls sie sich nur als eine Mutter gegen mich benehmen wollte. Von Madame d'Albret und Adèle hatte ich sehr freundliche Briefe erhalten; namentlich waren die Mittheilungen der letzteren sehr unterhaltlich. Madame Bathurst hatte mich zu wiederholtenmalen besucht. Ich lebte jetzt im Frieden mit mir selbst und mit der ganzen Welt. Endlich erhielt ich von Lionel ein Schreiben, in welchem er mir anzeigte, daß ich ihn nach einigen Tagen erwarten dürfe; es habe ihn viele Mühe gekostet, meinen Bruder zur Mitreise zu bewegen, da derselbe nicht bemittelt genug sei, den Aufwand selbst zu bestreiten, und sich doch auch keine Verbindlichkeiten auferlegen wolle; aber endlich habe er sich doch bereden lassen, und er werde ihn mitbringen.

»Ich werde dich also wieder sehen, mein theurer August!« dachte ich. »Dich, der du mich stets liebtest, beschütztest und meinen vermeintlichen Tod so lange betrauertest!«

Und meine Gedanken kehrten zu der Zeit zurück, als ich mit ihm bei der Großmutter in dem Schlosse wohnte. Die Bilder jener früheren Tage traten vor meine Seele. Meine arme Großmutter! – wie sehr hatte ich sie geliebt, und wie sehr verdiente sie, geliebt zu werden! Und dann vergegenwärtigte ich mir, was wohl aus mir geworden, wenn ich bei ihr geblieben wäre und ihr kleines Eigenthum geerbt hätte. Sicherlich hatten meine Führungen mich in eine bessere Lage versetzt. Ich gedachte der Zukunft und an die Wahrscheinlichkeit, ob ich je heirathen werde; aber mein Entschluß stand fest, meine Freiheit zu bewahren, und wenn ich je zu meiner Familie zurückkehrte, wollte ich meinen Schwestern Beistand leisten und versuchen, ob ich sie nicht glücklich machen könne.

»Ja,« dachte ich, »heirathen werde ich nie – dies ist entschieden. Nichts soll mich je dazu veranlassen.«

Meine Träumereien wurden durch den Eintritt eines Fremden unterbrochen, der sich gegen mich entschuldigte und nach Monsieur Gironac fragte, den er zu besuchen gekommen sei.

Ich antwortete ihm, Monsieur Gironac sei ausgegangen, und es werde wohl noch eine halbe Stunde anstehen, bis er zum Diner zurückkehre.

»Wenn Ihrs erlaubt, Mademoiselle, so will ich seine Zurückkunft abwarten,« versetzte er mit einer anmuthigen Verbeugung. »Ich will Euch jedoch in keiner Weise lästig werden. Das Dienstmädchen kann mich vielleicht inzwischen irgendwo mit einem Stuhle versehen.«

Ich bat ihn Platz zu nehmen, da in keinem andern Zimmer Feuer angemacht sei, und er ließ sich auf einen Stuhl nieder. Der Fremde war ein Franzose, der übrigens gut englisch sprach, und so bald er in mir eine Landsmännin entdeckte, wurde die Unterhaltung in der Zunge unseres gemeinsamen Vaterlandes fortgeführt. Er gab sich mir als einen Grafen de Chavannes zu erkennen. Ich muß übrigens eine Schilderung von ihm geben. Er war etwas klein von Statur, aber sehr elegant gebaut; auch hatte er ein sehr schönes, dabei freilich ein mehr frauenhaftes Gesicht, dessen weibischer Charakter nur durch den seidenweichen krausen Schnurrbart etwas in den Hintergrund gedrängt wurde. Sein Benehmen war in hohem Grade ansprechend und seine Unterhaltung voll Geist und Leben. Die halbe Stunde unseres Zusammenseins entschwand mir recht angenehm. Monsieur Gironacs Ankunft setzte unserem tête à tête ein Ziel, und nachdem der Fremde sein Anliegen an meinen Hausherrn, welches die Herausgabe einer Composition für die Flöte betraf, bereinigt hatte, nahm er nach einer kurzen weiteren Unterhaltung Abschied.

»Dies wäre ein Mann, wie ich ihn für Euch zum Gatten auslesen würde, Valerie,« sagte Monsieur Gironac, nachdem der Graf sich entfernt hatte. »Ist er nicht ein sehr angenehmer Gesellschafter?«

»Allerdings,« versetzte ich. »Er verbindet mit einer feinen Bildung die Gabe der Unterhaltung. Wer ist er?«

»Seine Geschichte läßt sich in wenige Worte zusammen fassen,« entgegnete Monsieur Gironac. »Sein Vater wanderte mit den Bourbonen aus, folgte aber nicht dem Beispiel der meisten Emigrirten, welche Musiklehrer, Tanzmeister, Haarkräusler oder Lehrer der französischen Sprache wurden. Da er noch einiges Geld besaß, so legte er es im Handel an. Zuerst übernahm er die Stelle eines Supercargo, reiste dann als Associé eines Hauses nach Amerika, nach der Havannah und Westindien, und nachdem er im Laufe des Krieges den atlantischen Ocean wohl zwanzigmal gekreuzt hatte, war sein Vermögen bis zu einer Summe von ungefähr vierzigtausend Pfunden angewachsen. Bei der Restauration kehrte er nach Paris zurück, nahm den Titel, den er für die Dauer seiner kaufmännischen Unternehmungen abgelegt hatte, wieder an und wurde von Ludwig XVIII. sehr gut empfangen, ja, von ihm sogar zu einem Obristen der Ehrenlegion ernannt. Um seine Angelegenheiten ins Reine zu bringen, machte er wieder eine Reise nach England; aber eh' er nach der Bretagne zurückkehren konnte, wurde er plötzlich vom Tode weggerafft. Er hinterließ einen einzigen Sohn, den jungen Mann, welchen Ihr eben gesehen habt, und dieser trat, so bald er volljährig war, in den Besitz des nicht unbedeutenden Vermögens ein. Um die Zeit, als sein Vater starb, war er noch auf der Schule. Jetzt ist er vier und zwanzig Jahre alt und seit drei Jahren im Genuß des väterlichen Erbes, das noch immer in englischen Staatspapieren angelegt ist. England scheint ihm besser zu gefallen, als Frankreich, denn er verbringt seine Zeit meistens in London. Er ist sehr talentvoll, besitzt schöne musikalische Kenntnisse, componirt gut und ist überhaupt ein recht angenehmer, junger Mann, der vortrefflich zu einem Gatten für Mademoiselle Valerie de Chatenœuf passen würde. Nun habt Ihr die ganze Geschichte – es fehlt nur noch die Hochzeit.«

»Eure letztere Bemerkung ist ganz richtig – oder vielmehr nicht, da die Hochzeit, welche Ihr meint, nie stattfinden wird.«

» Mais que voulez-vous, Mademoiselle?« rief Monsieur Gironac. »Müssen wir für Euch etwa den Erzengel Gabriel kommen lassen?«

»Nein,« versetzte ich, »denn der ist eben so wenig zum Heirathen, als ich. Genügt es Euch nicht, daß ich Euch zugestehe, der Graf sei ein recht angenehmer Mann? Damit könntet Ihr Euch doch zufrieden geben. Ihr wollt mich an einen Menschen verheirathen, mit dem ich nur eine halbe Stunde verkehrt habe – seid Ihr bei Sinnen, Monsieur Gironac?«

»Er besitzt Rang, Reichthum, ein hübsches Aeußere, Talent und Anstand; dabei gebt Ihr zu, daß er Euch nicht mißfällt – was wollt Ihr denn mehr?«

»Er ist weder in mich, noch bin ich in ihn verliebt.«

»Mademoiselle Valerie de Chatenœuf, Ihr seid une enfant. Ich will mich nicht länger damit bemühen, für Euch einen Mann aufzusuchen. Mögt Ihr meinetwegen als eine versauerte alte Jungfer sterben!«

Mit diesen Worten verließ Monsieur Gironac, welcher dergleichen that, als ob er höchlich erzürnt sei, das Zimmer.

Einige Tage nach diesem Zusammentreffen mit dem Grafen de Chavannes langte Lionel an. Mein Herz schlug hoch auf, als ich ihn willkommen hieß.

»Er ist hier,« sagte er, meiner Frage zuvorkommend, »und ich bin vorausgeeilt, um zu fragen, wann ich ihn bei Euch einführen soll und ob es nicht gut wäre, ihn einigermaßen auf das Wiedersehen vorzubereiten.«

»Nein, nein – Ihr müßt ihm noch nichts sagen. Bringt ihn sogleich hieher. Wie lange wird es anstehen, bis Ihr wieder zurückkommt?«

»Keine halbe Stunde. Ich habe mein altes Quartier in Suffolkstreet bezogen, und so will ich mich vorderhand von Euch verabschieden.«

Mit diesen Worten entfernte sich Lionel.

Monsieur und Madame Gironac waren nicht zu Hause und kehrten wohl erst nach einer oder zwei Stunden wieder zurück. Ich meinte, die halbe Stunde wolle kein Ende nehmen; endlich aber war es doch der Fall, und ich hörte das Klopfen an der Thüre. Lionel trat ein und mein Bruder August folgte ihm. Seine hohe Gestalt und sein gutes Aussehen überraschten mich.

»Madame Gironac ist nicht zu Hause, Mademoiselle?« begann Lionel.

»Nein, Monsieur Lionel.«

»Erlaubt mir, Euch Monsieur August de Chatenœuf, Lieutenant im Dienste seiner Majestät, des Königs der Franzosen, vorzustellen.«

August verbeugte sich, betrachtete mich, während ich sein Kompliment erwiederte, sehr ernst und wich einen Schritt zurück.

»Entschuldigt mich, Mademoiselle,« sagte er, indem er mir wieder näher trat, mit einer vor Aufregung bebenden Stimme, »aber – ja, Ihr müßt Valerie sein.«

»Ja, mein theurer August,« rief ich und breitete meine Arme aus.

Er eilte auf mich zu und bedeckte mich mit Küssen; dann wankte er nach einem Stuhle hin, setzte sich nieder und weinte. Ich folgte seinem Beispiel, und auch Lionel machte aus Theilnahme und Gesellschafts halber mit.

»Warum habt Ihr dies vor mir geheim gehalten, Lionel?« rief August nach einer Weile. »Seht nun, wie Ihr mich zum Weibe gemacht habt!«

»Ich gehorchte bloß gemessenen Befehlen, August,« versetzte Lionel. »Aber nun ich meinen Auftrag besorgt habe, will ich Euch allein beisammen lassen, denn Ihr werdet einander viel zu sagen haben. Beim Mittagessen werde ich wieder die Ehre haben, vorzusprechen.«

Lionel entfernte sich und ließ uns allein. Wir erneuerten unsere Umarmungen und giengen, nachdem wir ruhiger geworden waren, auf Erklärungen über. Ich erzählte ihm in möglichst kurzen Worten meine Geschichte, indem ich mir die weitere Ausführung auf eine spätere Zeit vorbehielt, und erkundigte mich dann nach meiner Familie.

»Ich will mit der Zeit Deines Verschwindens anfangen,« entgegnete August. »Niemand hegte auch nur entfernt den Argwohn, daß Madame d'Albret Dich weggehext habe, da sie, wie Du wohl weißt, beständig sich in der Kaserne aufgehalten hatte, bis unser Vater abreiste. Sie war es, die zuerst sich darüber äußerte, daß Du selbst Dir den Tod gegeben habest. Der Groll gegen die Mutter war allgemein, so daß sie sich nirgends blicken lassen durfte, und unser Vater befand sich in einem Zustande, der wirklich Mitleid verdiente. Vier- oder fünfmal des Tags machte er seinen traurigen Gang nach der Morgue hinunter, um nachzusehen, ob sich Dein Leichnam nicht vorgefunden habe. Er wurde schwermüthig, mürrisch und in einem Grade reizbar, daß man fürchtete, er werde am Ende sich selber das Leben nehmen. Nie kam er zu der Mutter nach Hause, ohne daß es zum Spektakel für die ganze Kaserne einen Auftritt gab, in welchem er sie mit Vorwürfen überhäufte, und sie ihm nach Kräften Widerpart hielt. Von dieser Zeit an hatte alle ihre Macht über ihn aufgehört, und Du weißt vielleicht, daß er sich vom Dienst zurückgezogen hat.«

»Wie sollte ich dies wissen, August?«

»Er konnte den anderen Officieren nicht mehr ins Gesicht sehen, und wie er mir sagte, betrachtete er sich um seiner Thorheit und Schwäche willen als den Mörder seines Kindes. In seinen Augen kam er sich so verächtlich vor, daß er nicht mehr bei dem Regimente bleiben konnte. Letzteres war kaum in Lyon angelangt, als er um seine Entlassung einkam. Seitdem hält er sich zu Pau im südlichen Frankreich auf, wo er von seiner Pension und von seinem übrigen Vermögen lebt.«

»Mein armer Vater!« rief ich, und ein Strom von Thränen rollte mir über die Wangen.

»Was mich betrifft, so ist Dir bekannt, daß ich die Erlaubniß erhielt, das Regiment zu verlassen, und seitdem diene ich im Einundfünfzigsten der Linie, in welchem ich meinen Grad als Lieutenant erhielt. Den Vater habe ich, seit ich in Paris von ihm Abschied nahm, nur ein einziges Mal wieder gesehen. Er hat sich sehr verändert und seine Haare sind grau geworden.«

»Geht es ihm gut an seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort, August?«

»Ja, Valerie. Ich glaube, er hat wohl daran gethan, daß er seinen Abschied nahm; denn das oftmalige Umziehen mit so vielen Kindern kann einen Mann wohl zu Grunde richten. Er hat sein Auskommen und ist, glaube ich, so glücklich, als er sein kann. Oh, wenn er wüßte, daß Du noch lebtest – diese Kunde würde seinem Dasein zehn Jahre zulegen.«

»Er soll es erfahren, mein lieber August,« rief ich, und aufs Neue entströmten Thränen meinen Augen. »Ich fühle jetzt, daß ich sehr selbstsüchtig handelte, als ich auf Madame d'Albrets Vorschlag eingieng; aber ich war damals kaum bei Sinnen.«

»Es nimmt mich nicht Wunder, daß Du jenen Schritt thatest, und ich kann Dir auch keinen Vorwurf darüber machen. Dein Leben war eine Hölle, und die Behandlung, die Dir zu Theil wurde, wirkte auch auf andere, die Zeuge davon sein mußten, wie eine Folter.«

»Um den Vater thut es mir leid, denn wenn er sich auch schwach benahm, war die Strafe doch zu hart für ihn.«

»Nun, Du kannst ihn noch jetzt glücklich machen und seine alten Tage erfreuen.«

»Erzähle mir auch von Nicolas, August. Er hat mich zwar nie geliebt, aber ich vergebe ihm – wie geht es ihm?«

»So viel ich weiß, ist er wohl. Er hat die Heimath verlassen.«

»Die Heimath verlassen?«

»Du weißt, wie gütig die Mutter stets gegen ihn war – ich darf wohl sagen, daß sie mit einer Affenliebe an ihm hieng. Eines Tages kündigte er ihr an, daß er mit einem Freunde, den er irgendwo aufgelesen und der von Neapel war, nach Italien zu gehen beabsichtige. Die Mutter gerieth über diesen Einfall ganz außer sich; aber er lachte sie aus und benahm sich überhaupt auf eine sehr herzlose Weise. Die Mutter fühlte sich dadurch aufs Tiefste verletzt und hat sein Benehmen noch immer nicht verschmerzen können; aber es geht in der Regel so, Valerie, daß Kinder, die man durch Nachsicht verderbt, sich als die undankbarsten erweisen.«

»Hast Du seitdem nichts mehr von ihm gehört?«

»Doch. Er schrieb mir, daß er in einer kleinen Stadt ein Orchester dirigire und sich rasch vorwärts arbeite – Du kennst sein Talent für Musik – aber die Mutter hat er noch mit keiner Zeile bedacht.«

»Ach!« seufzte ich. »Ist das der Dank für die Nachsicht, die sie ihm zu Theil werden ließ? Erzähle mir jetzt von Clara.«

»Sie hat eine gute Partie getroffen und lebt jetzt zu Tours. Ihr Gatte ist ein employé, obschon ich nicht gerade weiß, bei was.«

»Und Sophie und Elise?«

»Sie sind beide wohl und versprechen hübsche Mädchen zu werden – freilich nicht so schön, wie Du, Valerie. Ich kann mich nicht genug wundern, wie Du Dich in Beziehung auf Dein Aeußeres vervollkommnet hast, und dies war auch die Ursache, warum ich bei Deinem ersten Anblicke zweifelhaft wurde.«

»Und der liebe kleine Pierre, der arme Schelm, den ich zu kneipen pflegte, wenn ich gerne ins Freie gegangen wäre?«

»Er ist ein recht hübscher Knabe und spricht viel von Dir, so daß der Vater dabei schwermüthig und die Mutter zornig wird.«

»Und nun noch eine weitere Frage, August. In welchem Verhältniß stehen Vater und Mutter zu einander und wie benimmt sie sich gegen ihn?«

»Der Vater behandelt sie sehr förmlich und höflich, aber die Liebe fehlt dabei. Sie hat alle mögliche Mittel versucht, um sich ihre Gewalt über ihn wieder zuzueignen; doch da ihr dies nicht gelang, so ist sie fromm geworden. Sie schlafen in gesonderten Zimmern, und wenn der Vater seinen Anfall hat, begegnet er ihr mitunter recht hart und strenge. In der That, Valerie, wenn es Dir um Rache zu thun war – ich weiß zwar, daß dies nicht der Fall ist – so hast Du deren zur Genüge gefunden; denn ihr Gesicht ist jetzt voll Runzeln vor Sorge und Gram.«

»Aber glaubst Du wohl, daß sie ihr früheres Benehmen bereue?«

»Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß dem nicht so ist. Ich glaube, sie beklagt nur die Folgen, und ihre Gehäßigkeit gegen Dich würde größer sein als je, wenn sie wüßte, daß Du noch am Leben bist. Kämest Du gar wieder in ihre Gewalt, so würde sie doppelte Rache an Dir nehmen. Es hat sich allerlei zugetragen, was mich in diesem Glauben bekräftigt. Du hast ihre Macht über den Haufen gestürzt – ein Verbrechen, das sie Dir nie verzeihen wird, und was ihre Frömmigkeit betrifft, so setze ich auch in diese kein Vertrauen.«

»Es ist also, wie ich fürchtete, August, und wenn auch der Vater von meinem Vorhandensein in Kenntniß gesetzt wird, muß es doch vor der Mutter aufs sorgfältigste geheim gehalten werden.«

»Ich bin hierin mit Dir einverstanden, denn man kann nicht wissen, zu welchen Maßregeln der Wunsch nach Rache eine unnatürliche Mutter hinzureißen im Stande ist. Doch lassen wir vorderhand wenigstens diesen Gegenstand beruhen und erzähle mir lieber ausführlicher, wie es Dir ergangen ist.«

»Gut – doch ich höre Lionel klopfen; wir müssen daher die Erzählung auf eine andere Gelegenheit verschieben. Lieber August, gib mir noch einen Kuß, so lange wir allein sind.«


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