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Fünftes Kapitel.

Ich blieb einige Tage ruhig in meinem kleinen Nebenzimmer, während welcher Zeit Madame d'Albret jeden Morgen ausfuhr, um mir eine geeignete Kleidung zu besorgen. Als die verschiedenen Stücke anlangten, war ich ebenso überrascht als erfreut von dem Geschmack, welchen meine gütige Beschützerin bei der Auswahl an den Tag gelegt hatte, wie denn überhaupt der Aufwand dabei sehr bedeutend gewesen sein mußte.

»Meine liebe Madame,« rief ich, als die Päckchen einzeln geöffnet wurden, »diese Kleider sind viel zu gut für mich. Bedenkt, daß ich nur eine arme Soldatentochter bin.«

»Ihr seid dies gewesen,« versetzte Madame d'Albret und fügte dann bei, indem sie mich auf die Stirne küßte – »scheint aber vergessen zu haben, daß die Tochter des armen Soldaten in der Seine ertrank und daß Ihr jetzt der Schützling von Madame d'Albret seid. Ich habe bereits allen meinen Freundinnen erzählt, daß ich mit nächstem eine junge Cousine aus der Gascogne erwarte, welche ich als Tochter betrachten wolle, da ich keine eigene Kinder habe. Euer Name ist edel, und Ihr mögt ihn unbekümmert beibehalten, da es in der Gascogne nicht an Chatenœufs fehlt und auch früher zwischen ihnen und den d'Albrets Familienverbindungen stattfanden. Wenn ich die Familienregister nachschlagen wollte, so würde ich sicherlich nachweisen können, Ihr seiet mit mir, wenn auch nur im dreihundertsten Grade, verwandt, und dies ist vollkommen hinreichend. Sobald Ihr wohl genug seid – und ich denke, eine Woche wird auch die letzte Spur der von Euch erlittenen Mißhandlung verwischt haben – so wollen wir für einige Monate nach meinem Schloß gehen und mit dem Beginn der Saison nach Paris zurückkehren. Ist Madame Paon dagewesen?«

»Ja, meine liebe Madame, und sie hat mir das Maß zu einem Anzug genommen. O, seid mir nicht böse, aber ich muß ein wenig weinen vor Freude und Dankbarkeit. Das Herz wird mir zerspringen, wenn ich mir nicht auf diese Weise Luft mache. Gott segne Euch, Madame, Gott segne Euch! Wie wenig ließ ich, ehe ich Euch kennen lernte, mir träumen, daß ich noch vor Freude weinen würde.«

Madame d'Albret umarmte mich sehr zärtlich und erlaubte mir, meinen Gefühlen Raum zu geben, was ich dadurch that, daß ich ihre Hände mit Thränen bethaute. Eine Woche später war Alles zur Abreise zugerüstet und wir brachen nach dem Schloß in der Bretagne auf. Madame d'Albret reiste mit Extrapost und einem avant courier ohne Rücksicht auf die Kosten.

Ich muß nun den geneigten Leser etwas näher mit meiner wohlwollenden Beschützerin bekannt machen. Als sie mich bei sich aufnahm, ließ ich mir nicht träumen, daß sie eine Frau von so großer Bedeutung war. Die Sache verhielt sich übrigens so: ihre Schwester hatte ihr gegenüber nur eine sehr untergeordnete Partie getroffen, weshalb sie, so lang der Obrist sich mit seiner Gattin in Paris aufhielt, aus Zartgefühl bei ihren Besuchen allen Prunk vermied und sich den Anschein gab, als gehöre sie derselben Stellung in der Gesellschaft an, was aber in Wirklichkeit nicht der Fall war.

Madame d'Albret hatte in eine der ersten und edelsten Familien Frankreichs geheirathet. Ihr Gatte war nach einer dreijährigen Ehe gestorben und hatte ihr, da keine Kinder vorhanden waren, sein großes Vermögen zur lebenslänglichen Nutznießung überlassen. Da er wünschte, sie möchte wieder heirathen, so war die Bestimmung getroffen worden, daß das Eigenthum auch auf ihre Kinder übergehe, und nur wenn sie kinderlos stürbe, sollte es an einen entfernten Zweig der d'Albret'schen Familie kommen. Wie ich hörte, beliefen sich ihre Renten auf jährliche sechszigtausend Livres, ihr Schloß auf dem Lande und das Hôtel in der Rue St. Honoré, welches ihr gehörte, obschon sie nur einen Theil davon für sich benützte, nicht mitgerechnet. Monsieur d'Albret war nun schon mehr als zehn Jahre todt, ohne daß seine Wittwe sich hatte bewegen lassen, unter den zahllosen Freiern, die sie umschwärmten, eine neue Wahl zu treffen. Sie war noch immer schön, etwa vierunddreißig Jahre alt und bewegte sich, wie ich kaum zu sagen brauche, in der besten Gesellschaft von Paris. Dies war die Frau, welche in so anspruchsloser Weise nach der Kaserne kam und deren Schutz mir mein gutes Glück verschaffte.

Ich könnte viel schreiben über die glücklichen Tage, die ich in dem Schloß verlebte. Es fehlte nicht an Gesellschaft und die réunions waren entzückend. Ich durfte während unseres Landlebens daran Theil nehmen und war von Madame d'Albret allen Gästen förmlich als ihre Cousine vorgestellt worden. Beschäftigung fand ich hinreichend. Madame d'Albret, welche bemerkte, daß ich eine gute Stimme hatte und viel Talent für Musik besaß, sorgte mir für gute Lehrmeister, und um ihr durch Aufmerksamkeit meine Dankbarkeit zu beweisen, machte ich durch meine unermüdliche Thätigkeit solche Fortschritte, daß sogar meine Lehrer überrascht wurden. Musik und Stickerei, in der ich, wie schon früher bemerkt wurde, sehr gewandt war, bildeten meine einzige Beschäftigung; namentlich machte ich von dieser letztern Kunst Gebrauch, um Madame d'Albret zu erfreuen, indem ich ihr alle meine Arbeiten, sobald sie vom Stickrahmen kamen, zum Geschenk machte. Weit entfernt, mich nach Paris zurückzusehnen, fühlte ich mich vielmehr schon bei dem Gedanken, das Schloß verlassen zu müssen, unglücklich, und wenn der Leser sich zurückrufen mag, was ich aus meinem früheren Leben erzählte, so wird er wohl einsehen, daß meine Lage von der Art war, wie ich sie nicht besser hätte wünschen können.

Ehe ich bei Madame d'Albret Aufnahme fand, hatte ich ein Leben voll Verfolgung geführt und nicht viel von Liebe erfahren dürfen. Furcht war die stete Triebfeder meiner Handlungen gewesen und dadurch sowohl mein Körper als mein Geist niedergedrückt worden; jetzt kannte ich nichts mehr als Liebe und Wohlwollen. Lob, das mir früher nie zu Theil wurde, überschüttete mich jetzt; ich fühlte meine Thatkraft, meine Talente geweckt, und sie entfalteten sich in einer Weise, daß ich selbst darüber erstaunte. Ich hatte nicht gewußt was ich war oder welche Fähigkeiten in mir lagen. Es fehlte mir am Selbstvertrauen, und ich hatte beinahe selbst geglaubt, ich sei wirklich die unfähige Person, für die mich meine Mutter bei allen Leuten ausschrie. Der plötzliche Wechsel in der Behandlung hatte eine überraschende Wirkung. Im Laufe einiger Monate war ich fast um drei Zoll größer geworden, und nicht nur meine Figur, sondern auch mein Gesicht hatte sich in einer Weise vervollkommnet, daß ich, obschon ich nicht eitel war, nothwendig glauben mußte, was mir der Spiegel und andere Leute sagten. Ich galt für sehr schön, und man stellte mir in Aussicht, daß ich bei meinem Erscheinen in den Pariser Cirkeln Aufsehen machen würde. Aber obgleich ich alles dies glaubte, trug ich doch kein Verlangen nach der Hauptstadt. Ich fühlte mich in meiner dermaligen Lage so glücklich, daß ich das Wohlwollen der Madame d'Albret nicht gegen den besten Mann von Frankreich hätte vertauschen mögen, und wenn je die Damen, welche Madame d'Albret besuchten, auf meine etwaige künftige Verheirathung zu sprechen kamen, so pflegte ich stets mit einem »je ne veux pas« darauf zu antworten. Ich hatte immer mein Bedauern ausgedrückt, daß wir während der Saison nach Paris gehen müßten, und Madame d'Albret, der es natürlich nicht darum zu thun war, sich so bald von mir zu trennen, und mit mir die Ansicht theilte, ich sei jung genug, um noch einige Jahre unvermählt zu bleiben, machte mich ganz glücklich durch die Erklärung, sie gedenke sich nicht lange in der Hauptstadt aufzuhalten, und wenn sie auch wünsche, daß ich mich bei ihren Gesellschaften zeige, liege es doch nicht in ihrer Absicht, mich viel an öffentliche Plätze mitzunehmen. Und so gieng es auch wirklich. Wir reisten nach Paris, wo Madame d'Albret mir für die besten Lehrer besorgt war; aber sie nahm mich nur gelegentlich bei ihren Morgenspazierfahrten und einigemal in die Oper oder in's Theater mit sich. Den größten Theil meiner Zeit verwandte ich auf Musik, und da ich den Wunsch geäußert hatte, englisch zu lernen, so erhielt ich auch hiefür einen guten Sprachlehrer. Dazu kam noch eine andere Quelle des Zeitvertreibs, die ich meiner Bekanntschaft mit Madame Paon verdankte. Der Leser wird sich erinnern, daß ich dieser Frau schon früher als einer der ersten Putzmacherinnen in Paris Erwähnung that.

Diese Bekanntschaft, welche sich bis zu einem vertraulichen Verhältniß steigerte, kam in folgender Weise zu Stande. Da ich mit der Nadel gut umzugehen wußte und viel Geschmack in Putzsachen besaß, so pflegte ich mich in dem Schloß damit zu unterhalten, daß ich – nicht für mich, sondern für Madame d'Albret – neue Schnitte erfand, und ich bereitete meiner Gönnerin oft eine angenehme Ueberraschung, indem ich an ihrem Anzug Veränderungen oder Zugaben vornahm, die stets bewundert und für in dem besten Geschmack gehalten erklärt wurden. Als wir in Paris anlangten, wurde natürlich auch Madame Paon besucht und von ihren neuesten Moden Einsicht genommen, bei welcher Gelegenheit sie sogleich meine kleinen Erfindungen bemerkte und lobend anerkannte. Ich wurde daher zu Rath gezogen, so oft für Madame d'Albret ein neuer Artikel angefertigt werden sollte, und da Madame Paon eine sehr achtbare gebildete Frau von einer zwar verarmten, aber guten Familie war, so griff bald zwischen uns ein freundschaftliches Verhältniß Platz. Wir hatten uns einige Monate in Paris aufgehalten, als eines Morgens Madame Paon gegen Madame d'Albret bemerkte, es wäre, da ich Englisch lerne, nicht übel, wenn Madame d'Albret mich während ihrer Morgenbesuche in ihrem Etablissement ließe, denn sie habe zwei sehr achtbare englische Modistinnen in ihrem Geschäft, die sie um ihrer englischen Kunden willen halte, und ich könne durch die Conversation mich weit besser in dieser Sprache ausbilden, als dies durch den Unterricht eines Lehrers möglich sei. Madame d'Albret war mit ihr hierin einverstanden, und mir gefiel der Gedanke so gut, daß ich später regelmäßig drei oder vier Morgen in der Woche bei Madame Paon verbrachte.

Doch ich muß den Leser in das Etablissement der Madame Paon einführen, da er sonst glauben könnte, daß sich eine junge Dame in meiner Stellung durch solche Besuche bei einer Putzmacherin etwas vergeben habe. Madame Paon war die erste Putzmacherin von Paris und stand, wie dies gewöhnlich der Fall ist, mit den vornehmen Damen ihrer Kundschaft auf sehr vertrautem Fuße. Sie arbeitete für den Hof und überhaupt für jede Dame von Stand, der sie ihre Zeit widmen konnte, denn man mußte es fast für eine Gunst ansehen, in ihre Kundschaft aufgenommen zu werden. Ihr Etablissement befand sich in der Rue St. Honoré; ich habe den Namen des Hôtels vergessen, erinnere mich aber noch wohl, daß es eines der größten war.

Die Zimmerreihe war prächtig. Man kam von einem Gemach in's andere, und jedes entfaltete eine reiche Abwechslung von anmuthigen und kostbaren Anzugsartikeln. In den einzelnen Zimmern befanden sich gut gekleidete Demoisellen, welche die Kunden bedienten, und die ganze Einrichtung verrieth einen Grad von Geschmack und Eleganz, der seines Gleichen suchte. Endlich gelangte man in das Empfangzimmer der Madame, das sehr geräumig und prachtvoll möblirt war. In dem ganzen Etablissement waren keine Männer beschäftigt, das Comptoir ausgenommen, wo sich sechs Buchhalter an ihren Pulten befanden. Wenn ich noch beifüge, daß Madame Paon mit einer sehr schönen Persönlichkeit und einer majestätischen Haltung elegante Manieren verband, daß sie sehr reich war, mehrere Dienstboten nebst Equipage hielt und ein maison de campagne besaß, nach welchem sie sich jeden Samstag Nachmittag zurückzog, so wird man zugeben müssen, daß sie wohl eine Person war, welche Madame d'Albret besuchen konnte.

Diese Vertraulichkeit wurde bald sehr groß. Meine beharrliche Anwesenheit in dem Hause hatte eine Art von éclat zur Folge, und da ich obendrein entschiedenen Geschmack für Putzsachen besaß, so schlug ich oft eine neue Erfindung vor, welche nicht nur Beifall erhielt, sondern auch für Madame Paon eine Quelle des Gewinns wurde. Alles mußte meiner Beurtheilung unterstellt werden, wie denn auch Madame Paon mehr als einmal bemerkte: »Welch' eine vortreffliche Modistin würdet Ihr abgeben, Mademoiselle; aber zum Unglück für die Moden ist keine Aussicht vorhanden, Euch für dieses Geschäft zu gewinnen.«

Endlich war die Pariser Saison nahezu vorüber, und ich freute mich über die Maßen, als Madame d'Albret den Tag unserer Abreise festsetzte. Während meines Aufenthalts zu Paris hatte ich mich in der Musik und in der englischen Sprache sehr vervollkommnet, da mir hinreichend Zeit geblieben war; denn auswärts hatte ich nur an einigen kleinen Partieen Theil genommen und überhaupt nie den Wunsch gehegt, mich in der großen Welt zu zeigen. Ich war zufrieden mit Madame d'Albrets Gesellschaft und trug kein Verlangen danach, sie zu verlassen. Wohl konnte ich von mir sagen, daß ich wahrhaft glücklich war, und mein strahlendes Gesicht legte Zeugniß dafür ab. Gelegentlich bemächtigten sich meiner allerdings Gedanken an meinen Vater und August, die mich für eine Weile traurig stimmten; aber ich fühlte, es sei am besten, wie es war, und baute mir Luftschlösser, in welchen ich mir träumte, ich könne plötzlich vor sie hintreten, mich in die Arme meines Vaters werfen und ihn bitten, den Reichthum und die Genüße zu theilen, mit welchen mich meine Phantasie begabt hatte.

Ich war nun nahezu achtzehn Jahre alt und zwölf Monate unter Madame d'Albrets Schutz gewesen, weshalb die Frauen, welche uns auf dem Schloße besuchten, unablässig meine Gönnerin darauf aufmerksam zu machen suchten, daß es Zeit sei, auf meine Versorgung Bedacht zu nehmen. Madame d'Albret theilte bis zu einem gewissen Grad ihre Ansicht, wünschte aber nicht, sich von mir zu trennen, und ich beharrte eben so fest auf meinem Entschluße, sie nicht zu verlassen. Es fiel mir nicht entfernt ein, zu heirathen, denn ich hatte diesen Punkt ernstlich bei mir erwogen und in dem ehelichen Leben, soweit ich nach eigenen Wahrnehmungen urtheilen konnte, wenig Verlockendes gefunden. Meine wohlwollende gütige Großmutter war in ihrem Thun und Handeln von einem hitzigen Gatten sehr beschränkt gewesen, mein Vater stand unter der Oberherrlichkeit eines rachsüchtigen Weibes, und wenn ich so täglich den Frieden und das Glück in dem Haushalt der unverehlichten Madame d'Albret mit ansah, so gewann in mir die Ueberzeugung die Oberhand, das Heirathen sei eine Lotterie, in welcher auf Tausende von Nieten nur ein Treffer komme. Wenn daher irgend Jemand aus Madame d'Albrets Bekanntschaft diesen Gegenstand zur Sprache brachte, so flehte ich nachher stets meine Beschützerin an, sie möchte diesen Bemerkungen keinen Einfluß auf sich gestatten, da ich fest entschlossen sei, mich nicht zu vermählen, und keinen anderen Wunsch hege, als bei ihr zu bleiben und ihr meine Dankbarkeit zu beweisen.

»Ich glaube Euch, Valerie,« versetzte Madame d'Albret, »würde aber meine Pflicht schlecht erfüllen, wenn ich Euch gestattete, hierin ganz nach Euren Gefühlen zu handeln. Ein Mädchen, wie Ihr, ist vom Himmel nicht dazu bestimmt, seine Tage in ehelosem Stande hinzuschmachten, sondern soll der Stellung in der Gesellschaft, welche ihr angewiesen ist, Ehre machen. Gleichwohl will ich nicht weiter in Euch drängen; sobald Euch aber ein vortheilhaftes Anerbieten zugeht, werde ich es als Pflicht betrachten, durch meinen ganzen Einfluß Euch zu einer Sinnesänderung zu vermögen, obschon ich nie zu etwas anderem, als zur Ueberredung meine Zuflucht zu nehmen gedenke. Eure Gesellschaft ist mir zu theuer, als daß ich mich von Euch trennen möchte; aber es wäre sehr selbstsüchtig von mir, wenn ich nicht auf Euch verzichten könnte, sobald Euer eigenes Interesse mir sagt, daß dies meine Pflicht sei.«

»Ich danke dem Himmel, Madame, daß ich kein Vermögen besitze; denn dies wird, wie ich hoffe, der beste Riegel sein, um die eigennützigen jungen Herren unserer Tage abzuhalten.«

»Dies wird Euch nicht schützen, Valerie,« versetzte Madame d'Albret lachend, »denn die jungen Herren könnten sich auch mit Aussichten zufrieden geben. Ja, es ist sogar möglich, daß sich Einer findet, der weiter gar nichts verlangt, als Eure hübsche Person.«

»Dies glaube ich kaum, Madame,« entgegnete ich. »Ihr habt eine zu gute Meinung von mir und dürft nicht erwarten, daß andere Leute mich auch mit Euren parteiischen Augen betrachten. Wenn sich übrigens ein solcher Herr fände, so muß ich zwar sagen, daß seine Uneigennützigkeit mich veranlassen würde, ihn höher zu schätzen, als das männliche Geschlecht im Allgemeinen; dies würde aber nicht zureichen, in mir den Wunsch zu Veränderung meiner gegenwärtigen Lage zu wecken.«

»Schon gut, wir wollen sehen,« erwiederte Madame d'Albret. »Der Wagen steht vor der Thüre. Habt die Güte, mir meinen Hut und meinen Caschmir zu reichen.«

Einige Wochen nach unserer Ankunft auf dem Schloße war auch ein Monsieur de G–, der einer alten Familie in der Bretagne angehörte und sich die letzten zwei Jahre in England aufgehalten hatte, in das Haus seines Vaters zurückgekehrt. Madame d'Albret hatte ihn von Kindheit an gekannt und nahm seine Besuche mit aller Herzlichkeit auf. Ich muß ihn ein wenig ausführlicher beschreiben, da er eine nicht unbedeutende Rolle in meinem kleinen Drama spielt. Er mochte meiner Schätzung nach dreißig Jahre alt sein, war klein, aber elegant von Figur und hatte ein sehr schönes, aber etwas weibisches Gesicht. In seinem Benehmen und in der Unterhaltung ließ er nichts zu wünschen übrig; er war sehr witzig und wußte sich angenehm zu machen. Namentlich mußte ihm sein zartes, achtungsvolles Benehmen gegen unser Geschlecht die Herzen der Frauen gewinnen. Ich hatte nie zuvor einen so feingeschliffenen Mann gesehen. Er sang gut, spielte mehrere Instrumente, zeichnete, machte Carricaturen – überhaupt gelang ihm alles, was er angriff, und ich brauche kaum zu sagen, daß bei solchen Eigenschaften, zu denen noch die alte Freundschaft kam, seine täglichen Besuche im Schloß der Dame des Hauses sehr willkommen waren. Ich wurde bald vertraut mit ihm, und seine Gesellschaft gefiel mir, obschon unser Verhältniß dabei stehen blieb. In der That waren seine Aufmerksamkeiten gegen Madame d'Albret eben so groß, wie gegen mich, und es fand nichts statt, was zu der Annahme hätte berechtigen können, daß er ihr oder mir den Hof mache. Madame d'Albret war allerdings anderer Meinung, weil er Englisch mit mir sprach und wir gemeinschaftlich sangen, was ihr sowohl als anderen Anlaß gab, mich damit zu necken.

Nach Abfluß von zwei Monaten gewann es den Anschein, als widme Monsieur de G– seine Aufmerksamkeiten vorzugsweise mir, und ich glaubte dies selbst auch; jedenfalls war Madame d'Albret dieser Ansicht und gestattete ihm alle Gelegenheit. Er war der Erbe eines großen Vermögens und brauchte bei der Wahl einer Gattin nicht auf Geld zu sehen. Um diese Zeit hatte eine englische Dame, Namens Bathurst, welche sich mit einer Nichte, einem vierzehnjährigen Mädchen, auf Reisen befand, eine Einladung von Monsieur de G–'s Vater angenommen und gedachte einige Wochen in dessen Schloß zuzubringen, welches ungefähr zwei Stunden von dem der Madame d'Albret entfernt lag. Madame Bathurst wurde bei meiner Beschützerin eingeführt. Sie war augenscheinlich eine recht liebenswürdige Frau und jedenfalls sehr distinguée in ihren Manieren, weshalb sie bei Madame d'Albret sehr in Gunst kam und wir oft Gelegenheit erhielten, sie bei uns zu sehen.

Einige Wochen nach Einführung dieser englischen Dame befand ich mich eines Tages allein auf der Terrasse, als ich von Monsieur de G– angeredet wurde. Nach einigen Bemerkungen über die Schönheit der Herbstblumen sagte er zu mir:

»Wie verschieden sind doch die Bräuche zweier großer Nationen, die nur durch einen Wasserstreifen von der Breite einiger Seemeilen von einander getrennt sind – ich meine die französische und die englische. Ihr würdet Euch nicht wenig darüber wundern, wenn Ihr selbst hinüber reistet, um Euch zu überzeugen – und in keinem Punkte tritt dieser Unterschied schlagender hervor, als in Angelegenheiten des Herzens. In Frankreich befrägt man nicht die Wünsche oder Gefühle der jungen Dame, sondern wendet sich an ihre Eltern, und wenn der Handel als gleich vortheilhaft erscheint, bedeutet man der Jungfrau, daß sie sich vorbereiten soll, ihre Lage zu verändern. In England findet das gerade Gegentheil statt. Man benimmt sich mit der jungen Dame, sucht ihre Neigung zu gewinnen, und wenn man diese sich gesichert hat, sucht man erst die Genehmigung ihrer Eltern oder ihres Vormunds nach. Welches von beiden erscheint Euch als das natürlichere und befriedigendere Verfahren, Mademoiselle de Chatenœuf?«

»Ich bin in Frankreich erzogen worden, Monsieur de G–, und halte es deshalb mit der französischen Sitte. Unsere Eltern und Vormünder sind die geeignetsten Personen, um das Passende einer Verbindung zu beurtheilen, und ich bin der Ansicht, daß vor Erledigung dieses Punktes kein Liebesverhältniß Platz greifen sollte, weil den betreffenden Personen viel Schmerz und Täuschung erspart wird, wenn die Heirath nicht als räthlich erscheint.«

»Ich will zugeben, daß dies in manchen Fällen von Belang ist,« versetzte er. »Aber heißt es nicht Euer Geschlecht wie Sklaven behandeln, wenn man ihm nicht gestattet, vor der ehelichen Verbindung zu lieben? Und kann es angenehm sein für das unsrige, wenn wir eine Person an den Altar führen sollen, die uns nur aus Pflichtgefühl folgt und vielleicht keine Spur von Neigung, ja wohl gar Widerwillen gegen ihren Gatten hegt?«

»Ich glaube nicht, daß wohlwollende Eltern ihr Kind zwingen werden, einen Mann zu ehlichen, der ihm zuwider ist,« entgegnete ich, »und wenn auch vor der Ehe die Liebe in den Hintergrund tritt, so wird sie in derselben von um so größerer Wichtigkeit. Uebrigens ist dies ein Gegenstand, über den mir weder ein Urtheil zusteht, noch ich eine Ansicht abzugeben wünsche.«

»Da Ihr mit mir nicht einverstanden seid, Mademoiselle de Chatenœuf, versetzte er, »so fürchte ich, es wird Euch nicht gefallen, wenn ich nach englischem Brauch um Euch werbe – wenn ich, eh' ich Madame d'Albret davon unterrichte, Euch kund thue, wie aufrichtig ich Euch verehre und wie sehnsüchtig ich der schüchternen Hoffnung Raum gebe, ich möchte Euch nicht gleichgiltig sein.«

»Ich will Euch unumwunden antworten, Monsieur de G–, und vielleicht ist es eben so gut, daß Ihr diesen ungewöhnlichen Schritt eingeschlagen habt, da er Euch die Mühe sparen wird, Madame d'Albret mit der Sache zu behelligen. So schmeichelhaft auch dieses Compliment für mich ist, muß ich mir doch die Freiheit nehmen, die Ehre Eures Antrags abzulehnen. Und nun Ihr meine Gefühle kennt, werdet Ihr natürlich nicht so unedelmüthig sein, irgend einen weiteren Versuch bei meiner freundlichen Beschützerin zu machen.«

»Gewiß nicht, Mademoiselle,« versetzte er in großem Verdruß, aber nur unter einer Bedingung: daß Ihr mir nämlich versprecht, von dem, was zwischen uns vorgegangen ist, gegen Madame d'Albret nichts zu erwähnen.«

»Ich verspreche Euch dies recht gerne, Monsieur de G–, da die Sache Euer Geheimniß ist, nicht das meinige.«

»Und ich hoffe,« fuhr er fort, »daß Ihr mich nicht ausschließt aus Eurer Freundschaft, sondern mir wie bisher Zutritt zu Euch gestattet.«

»Ich werde mir's stets zur Ehre rechnen, den Freunden der Madame d'Albret Aufmerksamkeit zu erweisen,« entgegnete ich. »Doch jetzt muß ich Euch guten Morgen wünschen.«

Ich begab mich nach meinem Zimmer und dachte über das Vorgefallene nach. Unwille erfüllte mich über die, wie es mir schien, unverantwortliche Freiheit, die sich Monsieur de G– genommen, um so mehr, da er meine völlige Abhängigkeit von Madame d'Albret kennen und daher wissen mußte, wie unwahrscheinlich es war, daß ich ein solches Verhältniß ohne ihre Kundnahme und Genehmigung eingehen würde. Gewiß war, daß ich für Monsieur de G– keine Liebe empfand, obschon mir seine Gesellschaft und Unterhaltung gefiel. Bei weiterer Erwägung that es mir leid, ihm das Versprechen gegeben zu haben, daß ich über den Vorgang schweigen wolle; da aber dies einmal – wenn auch übereilt – geschehen war, so beschloß ich, mein Wort zu halten.

Ich dachte mir, er werde sich allmählig selbst zurückziehen und meine Gesellschaft vermeiden; aber hierin war ich im Irrthum. Er besuchte das Schloß so häufig wie zuvor und theilte seine Aufmerksamkeiten zwischen mir und Madame d'Albret. Dies ärgerte mich, und ich vermied ihn, so viel ich konnte. Die Folge davon war, daß er weit öfter mit Madame d'Albret verkehrte, als mit mir. Anfangs schien Madame d'Albret, als sie dies bemerkte, verdrießlich darüber zu werden, denn die Partie hatte ihren Beifall, und sie erwartete mit jedem Tage, er werde förmlich bei ihr um mich werben; allmählig aber – ich wußte nicht, warum – wurde ihr die Sache gleichgiltig, und ich durfte nach Gutdünken das Zimmer verlassen, ohne mich ihren Bemerkungen auszusetzen.

So war der Stand der Dinge, als die Pariser Saison herankam. Madame Bathurst hatte sich bewegen lassen, in der Bretagne zu bleiben, und war beständig bei uns. Sie hatte mich oft ersucht, sie nach England zu begleiten und einige Wochen bei ihr zuzubringen – ein Anerbieten, zu dem ich im Scherze Ja sagte. Eines Morgens redete mich Madame d'Albret mit den Worten an:

»Meine liebe Valerie, Madame Bathurst ist abermals in mich gedrungen, daß ich Euch erlaube, mit ihr nach England zu gehen. Wenn Ihr nun glaubt, es könnte Euch Freude machen, die Zeit der Londoner Saison bei ihr zuzubringen, so habe ich nichts dagegen einzuwenden und gönne Euch gerne dieses Vergnügen.«

»Meine liebe Madame, es war nur Scherz von mir, als ich meine Bereitwilligkeit gegen sie ausdrückte.«

»Aber Madame Bathurst ist der Meinung, es sei Euch völliger Ernst gewesen, meine Liebe,« versetzte sie. »Auch mir kam es so vor, und ich habe ihr diesen Morgen versprochen, daß Ihr sie begleiten sollt. Ich dachte, Ihr könntet Euch bei dieser Gelegenheit im Englischen vervollkommnen, und nachdem Ihr so beständig um mich gewesen seid, bietet sich Euch da eine kleine Abwechslung. Ich rathe Euch daher, zu gehen, meine liebe Valerie. Ihr werdet Euch vergnügen, und der Wechsel auf eine kleine Weile wird Euch gut bekommen. Außerdem habe ich wahrgenommen, daß die Aufmerksamkeiten des Monsieur de G– Euch unangenehm sind, und eine kurze Abwesenheit wird ihnen ein Ende machen.«

»Ich will Euren Wünschen nicht zuwider sein, Madame,« entgegnete ich traurig, denn ich hatte eine trübe Ahnung, die ich mir nicht erklären konnte; »aber wenn ich gehe, geschieht es nur Euch zu Gefallen, nicht weil ich ein Verlangen danach trage.«

»Meine liebe Valerie, ich denke, es ist so am besten, und deshalb werdet Ihr mir damit wirklich einen Gefallen erweisen. Ich habe für Euch die Zusage gegeben und möchte nicht gerne mein Versprechen wieder zurücknehmen. Gebt Euch daher zufrieden, meine Liebe. Ich will Madame Bathurst schreiben, damit sie Vorbereitungen treffen könne für Eure Aufnahme.«

»Eure Wünsche werden mir sicherlich stets Gesetze sein, Madame,« erwiederte ich und verließ mit diesen Worten das Zimmer, um mich nach meinem eigenen Gemach zu begeben, wo ich mich auf das Bette niederwarf und bitterlich weinte, ohne mir einen Grund dafür angeben zu können.

Etwa zehn Tage später erschien Madame Bathurst, um mich nach dem Schloße von Monsieur de G–'s Vater abzuholen, wo wir die Nacht über bleiben sollten, um am andern Morgen mit Post nach Paris zu reisen. Der Abschied von Madame d'Albret wurde mir sehr schmerzlich; aber ihre Güte gegen mich schien sich nach dem Vorschlage einer kurzen Trennung eher erhöht, als vermindert zu haben.

»Gott behüte Euch, theure Valerie,« sagte sie zu mir. »Ihr müßt mir zweimal in der Woche schreiben, und ich sehe Eurer Rückkehr mit Ungeduld entgegen.«

Ich schied von ihr unter vielen Thränen und hörte nicht auf zu weinen, bis ich auf dem Schloße anlangte, in welchem Madame Bathurst Wohnsitz genommen hatte.

Der alte Herr empfing mich mit förmlicher Höflichkeit und Monsieur de G–, welcher gleichfalls zu Hause war, mit überschwinglich heiterer Laune.

»Ach, Madmoiselle,« rief er, »welche Wüste werdet Ihr hinter Euch zurücklassen! Eure Reisewuth ist in der That zu grausam. Wir werden Euch nie wieder sehen.«

Bei diesen Worten lag so viel Ironie in seinem Gesichte, daß ich kaum wußte, was ich daraus machen sollte. Ich fühlte mich ängstlich und mißvergnügt. Gerne würde ich diese Reise wieder aufgegeben haben; aber Madame d'Albrets Wunsch war mir Gesetz. Um mich meiner peinlichen Gedanken zu entschlagen, plauderte ich mit Caroline, der Nichte von Madame Bathurst, und da wir mit der Sonne aufzubrechen gedachten, so begaben wir uns früh zur Ruhe. Am folgenden Morgen traten wir die Reise an, erreichten in der gewöhnlichen Zeit Paris, wo wir uns einen Tag aufhielten, und machten uns dann auf den Weg nach Boulogne, wo wir uns einschifften.

Es war jetzt November, und als wir die Mitte des Kanals erreicht hatten, hüllte uns dichter Nebel ein, so daß wir nur mit Mühe in den Hafen gelangten. Wir brachen nach London auf. Der Nebel hielt den ganzen Tag an und verdichtete sich sogar, als wir die Vorstädte erreichten, wo unsere Pferde durch fackeltragende Männer in den Straßen weiter geführt werden mußten. Ich hatte schon früher gehört, England sei ein triste pays, und unser Einzug schien mir diese Behauptung zu rechtfertigen. Endlich bemerkte ich gegen Madame Bathurst:

»Est-ce qu'il n'y a jamais de soleil dans ce pays, Madame?«

»Doch,« versetzte sie lachend, »und zwar eine recht schöne Sonne.«

Am andern Tag brachen wir nach Madame Bathursts Landsitz auf, wo wir die Weihnachtsfeiertage zu verbringen gedachten. London lag kaum eine Reisestunde hinter uns, als der Nebel verschwand und die Sonne mit herrlichem Glanze hervortrat. Die Zweige der entlaubten Bäume waren mit Reif bedeckt und funkelten während unseres Vorüberfahrens, als wären sie mit Diamanten besät. In diesem Wechsel des Himmels und bei der raschen Bewegung der vier englischen Postpferde kam mir England wirklich schön vor, obschon ich sagen muß, daß die zwei ersten Tage mir zu einer schweren Prüfung wurden, um so mehr, da mir die Trennung von Madame d'Albret sehr zu Herzen gieng. Madame Bathursts Landsitz war entzückend, und ich fand in allem – in den wohlgeordneten Gärten, in den Gewächshäusern und in der Reinlichkeit von Haus und Möbelwerk eine Zierlichkeit, wie man in Frankreich nichts Aehnliches findet. Die Londoner Teppiche, welche durch die Zimmer und über die Treppen ausgebreitet waren, erschienen mir als eine sehr werthvolle Verschönerung. Dagegen kümmerte ich mich wenig um die Gesellschaft, die nicht bloß langweilig war, sondern mir auch sehr selbstsüchtig vorkam. In Caroline fand ich eine sehr lebhafte Gefährtin, und wir setzten uns in einem kleinen Boudoir fest, wo wir nie gestört wurden. Ich trieb viel Musik und sprach auf Madame Bathursts Ersuchen abwechselnd Englisch und Französisch mit meiner kleinen Freundin, eine Unterhaltung, die uns beiderseitig zur Ausbildung in den verschiedenen Sprachen zu statten kam.

Ich hatte zweimal an Madame d'Albret geschrieben und einmal eine sehr freundliche Antwort von ihr erhalten; aber von meiner Rückkehr war darin keine Rede, obschon der ursprünglichen Verabredung gemäß mein Besuch nicht über drei oder vier Wochen dauern sollte. Vierzehn Tage nach meiner Ankunft in Fairfield erhielt ich von Madame d'Albret ein zweites Schreiben; sie sprach sich darin so wohlwollend aus, wie gewöhnlich, theilte mir aber zu meinem großen Leide mit, daß sie unwohl und in Folge einer Erkältung von einer Brustentzündung befallen worden sei. Ich beantwortete diesen Brief mit umgehender Post und bat sie um die Erlaubniß, sogleich zurückkehren und sie pflegen zu dürfen, da ihr Zustand mir Unruhe einflößte. Drei Wochen verbrachte ich in der größten Spannung und Betrübniß, da ich das lange Ausbleiben einer weiteren Nachricht dem Umstand beimaß, daß Madame d'Albret zu unwohl sei, um mir schreiben zu können. Endlich erhielt ich einen Brief von ihr mit der Mittheilung, sie sei sehr krank gewesen, und die Aerzte hätten sie angewiesen, den Winter im Süden von Frankreich zuzubringen; da sie ihre Abreise nicht verschieben könne, so lege sie einen Brief an Madame Bathurst bei, in welchem sie dieselbe, im Fall es ihr nicht unbequem sei, um die Erlaubniß bitte, daß ich bis zum Frühling bei ihr bleiben dürfe, da sie selbst um diese Zeit wieder nach Paris zurückzukehren gedenke. Madame Bathurst las mir das Schreiben an sie vor und gab mir die Versicherung, daß es ihr Vergnügen mache, mich noch längere Zeit bei sich behalten zu dürfen. Ich konnte nichts anderes thun, als ihre Freundlichkeit dankbar anerkennen, obschon ich mich sehr unglücklich fühlte. In einem Briefe an Madame d'Albret setzte ich ihr meine Gefühle auseinander; aber ihrer Andeutung gemäß mußte sie bereits nach dem südlichen Frankreich aufgebrochen sein, so daß ich nicht hoffen durfte, mein Schreiben werde in ihrem Entschluß eine Aenderung zu Stande bringen. Ich bat sie deshalb nur noch, sie möchte mir fortwährend Nachricht von ihrem Befinden geben.

In meiner Betrübniß gereichte mir die Güte der Madame Bathurst und die liebevolle Anhänglichkeit ihrer Nichte Caroline, die meine beständige Gefährtin war, sehr zum Troste. Wir besuchten viele Personen und empfiengen ihre Besuche; aber trotz der Anzahl von Gästen konnte doch von einer eigentlichen Gesellschaft nicht die Rede sein. Den Tag über belustigten sich die Gentlemen mit Pferden, Hunden und Schießgewehren, und am Abend sahen wir nur wenig von ihnen, da sie in der Regel erst die Dinertafel verließen, nachdem Caroline und ich – wir beide uns schon auf unsere Zimmer begeben hatten, während die Damen sich gegenseitig vor einander zu fürchten schienen und stets die größte Zurückhaltung beobachteten.

Weihnachten war vorüber, und ich hatte noch immer nichts von Madame d'Albret gehört. Dies machte mir viel Kummer und kostete mich manche bittere Thräne. Ich stellte mir vor, sie liege im südlichen Frankreich auf den Tod krank und habe Niemand um sich, der sie gehörig verpflege. Oft brachte ich gegen Madame Bathurst den Gegenstand zur Sprache, und sie suchte alle nur erdenklichen Entschuldigungsgründe hervor; es däuchte mich aber, sie werde dabei sehr ernst und verweile nur ungerne bei dieser Unterhaltung. Endlich fiel mir Madame Paon ein und ich schrieb an sie, indem ich mich nach Madame d'Albret erkundigte und ihr auseinander setzte, wie ich nach England gekommen sei; dabei berührte ich Madame d'Albrets bedenkliches Erkranken und drückte meine Besorgniß aus, da meine letzten Briefe noch immer unbeantwortet seien. Den Tag, nachdem ich an Madame Paon geschrieben, saß ich mit Caroline in dem Boudoir, als letztere gegen mich bemerkte:

»Ich hörte Mrs. Corbet zu meiner Tante sagen, sie habe vor ungefähr zehn Tagen Madame d'Albret in Paris gesehen.«

»Unmöglich!« versetzte ich. »Sie ist noch immer im südlichen Frankreich.«

»So meinte ich auch,« entgegnete Caroline; »aber sie sagte so, und meine Tante gab mir sogleich einen Auftrag, um mich aus dem Zimmer zu schaffen. Ich merkte wohl, sie wollte mich fort haben, um mit Mrs. Corbet sprechen zu können.«

»Was mag dies zu bedeuten haben?« rief ich. »Oh, mein Herz ahnet was Schlimmes! Entschuldigt mich, Caroline; aber ich fühle mich sehr unglücklich.«

Und ich legte mein Gesicht auf den Tisch, bedeckte es mit den Händen und Thränen träufelten mir durch die Finger.

»Sprecht mit meiner Tante,« sagte Caroline im Tone des Trostes. »Weint nicht, Valerie; das Ganze ist vielleicht nur ein Irrthum.«

»Ich will sogleich mit Madame Bathurst Rücksprache nehmen,« rief ich, indem ich den Kopf wieder aufrichtete. »Dies wird das Beste sein.«

Ich begab mich auf mein Zimmer, wusch meine Augen und suchte dann Madame Bathurst auf, die ich in dem Gewächshause traf, wo sie dem Gärtner Weisungen ertheilte. Nach einiger Zeit nahm sie meinen Arm und wir giengen die Terrasse hinunter.

»Madame Bathurst,« redete ich sie an, »ich fühle mich sehr unglücklich über eine Mittheilung Carolinens, welche aus dem Munde der Madame Corbet die Versicherung gehört haben will, sie sei in Paris mit Madame d'Albret zusammengetroffen. Wie wäre dies möglich?«

»Ich kann mir dies eben so wenig denken, als Ihr, meine liebe Valerie,« versetzte Madame Bathurst; »es sei denn, daß Mrs. Corbet sich geirrt hätte.«

»Glaubt Ihr dies wirklich, Madame?«

»Ich weiß selbst nicht, was ich sagen soll; aber ich habe nach Paris geschrieben, um nähere Erkundigungen über eine Thatsache einzuziehen, die mir unbegreiflich ist. Einige Tage werden uns über Alles aufklären. Ich kann es nicht glauben – denn wenn es so wäre, hätte Madame d'Albret gar nicht schön an mir gehandelt, wie sehr es mir auch Freude macht, Euch hier zu haben; denn jedenfalls hätte ich von ihr die aufrichtige Erklärung erwarten dürfen, sie wünsche, daß ihr den Winter über bei mir bleibet, nicht aber den Vorwand, sie müße nach dem südlichen Frankreich gehen, während sie doch Paris nicht verlassen hätte. Ich kann die Sache nicht begreifen und will daher auch nicht daran glauben, bis ich weitere Nachricht erhalte. Mrs. Corbet ist keine Bekannte von ihr und könnte sich daher getäuscht haben.«

»Es muß wohl so sein, Madame,« erwiederte ich. »Und doch ist es befremdlich, daß sie so gar nichts von sich hören läßt. Ich fürchte, es ist etwas nicht richtig, obschon ich mir durchaus nichts vorstellen kann.«

»Lassen wir die Sache vorderhand beruhen, liebe Valerie. Einige Tage werden uns über Alles Aufklärung geben.«

Nach ein Paar Tagen kam richtig die Aufklärung. Ich erhielt von Madame Paon ein Schreiben folgenden Inhalts –

 

»Meine Liebe Mademoiselle Chatenœuf!

»Ihr könnt Euch selbst denken, wie sehr mich Euer Brief überraschte, und ich fürchte, daß ich Euch auf eine unangenehme Kunde vorbereiten muß. Madame d'Albret befindet sich in Paris und ist meines Wissens nie im südlichen Frankreich gewesen. Als sie mich das erstemal besuchte, erkundigte ich mich nach Euch. Die Antwort lautete, Ihr seiet bei einer englischen Dame auf Besuch und hattet sie verlassen; Ihr seiet mit einer manie pour l'Angle-terre behaftet – und bei diesen Worten zuckte sie die Achseln. Ich wollte sie noch weiter befragen, aber sie brach das Gespräch kurz ab, indem sie sich eine neue Pelisse vorlegen ließ, und ich bemerkte sogleich, daß etwas nicht richtig war, obschon ich mir über den Grund keine Vermuthung bilden konnte. Erst vier oder fünf Wochen später sah ich sie wieder. Sie kam damals in Begleitung eines Monsieur de G–, eines Mannes von sehr zweideutigem Charakter, der in Paris wohl bekannt ist; er gilt für einen verzweifelten Spieler und für eine Person, die unter einer gewinnenden Außenseite eine sehr schlimme Gemüthsart verbirgt. Sein Charakter ist übrigens besser bekannt in England, das er dem Vernehmen nach wegen eines nichts weniger als ehrenhaften Spielhandels verlassen mußte. Ich habe mich abermals nach Euch erkundigt und diesmal durch Monsieur de G – die Antwort erhalten, Ihr seiet eine ingrate, deren Namen nie mehr vor Madame d'Albret genannt werden dürfe.

»Das schöne Gesicht des Monsieur de G– wandelte sich zu dem eines Teufels um, als er diese Bemerkung machte, und bewies mir hinreichend die Wahrheit des Gerüchtes, welches ihn für einen Menschen von sehr schlechter Gesinnung erklärt. Madame d'Albret sagte nichts und meinte nur, sie werde sich wohl hüten, je wieder eine demoiselle de compagnie anzunehmen. Diese Bemerkung machte mich sehr betroffen, da ich immer der Ansicht war und auch damals allen Grund dafür hatte, Ihr stehet zu ihr in einem ganz anderen Verhältnis. Ich wußte nun freilich nicht, was ich denken sollte. Etwa vierzehn Tage später besuchte mich Madame d'Albret, theilte mir mit, daß sie den Monsieur de G– heirathen werde, und bestellte bei mir die Hochzeitkleider. So kam denn das ganze Geheimniß heraus. Gleichwohl kann ich mir nicht vorstellen, warum Ihr die Gunst der Madame d'Albret verlieren mußtet, weil Monsieur de G– sie heirathet, und warum Monsieur de G – einen so tiefen Groll gegen Euch hegt. Meine liebe Mademoiselle, ich habe Euch nun Alles mitgetheilt, was ich weiß, und werde mich stets glücklich schätzen, wenn Ihr mich mit einem Schreiben beehren wollt, u. s. w.

Emilie Paon,

geborne Mercé.«

 

So hatte ich also eine Lösung des ganzen Geheimnisses. Ich las den Brief und sank athemlos auf den Sopha zurück. Es stund einige Zeit an, bis ich mich wieder erholte. Ich befand mich allein in meinem Gemache; der Kopf schwindelte mir. Gleichwohl gelang es mir, den Waschtisch zu erreichen und mich mit etwas Wasser zu benetzen. Es währte eine halbe Stunde, ehe ich meine Besinnung wieder gewann; dann aber stand Alles so klar vor mir, als wüßte ich es aus einer höhern Eingebung. Monsieur de G –'s getheilte Aufmerksamkeiten – seine verächtliche Miene bei meiner Ablehnung seines Antrags – seine ausschließliche Hingabe an Madame d'Albret, nachdem ich ihn zurückgewiesen – ihr Wunsch, meiner sich zu entledigen, als sie mich mit Madame Bathurst nach England sandte, und ihr späteres falsches, ausweichendes Benehmen. Monsieur de G– hatte an mir Rache geübt und zu gleicher Zeit seinen Zweck erreicht. Er war jetzt im Besitz von Madame d'Albrets Reichthum, den er am Spieltisch vergeuden konnte, und hatte es durch ein oder das andere Mittel einzuleiten gewußt, mich in ihrer guten Meinung zu stürzen. Ich sah jetzt ein, daß Alles verloren war, und Verzweiflung erfüllte meine Seele, wenn ich an meine betrübende Lage dachte.


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