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Drittes Kapitel.

In Colmar wohnte eine ältere Schwester meiner Mutter, bei welcher ich während unseres dortigen Aufenthalts den größten Theil meiner Zeit verbrachte. Als das Regiment meines Vaters einen Marschbefehl nach Paris erhielt, wünschte diese Dame, daß man mich bei ihr lassen möchte; aber meine Mutter wollte nicht darauf eingehen und bemerkte gegen ihre Schwester, keine zeitlichen Vortheile dürften eine gewissenhafte Mutter bewegen, eine Tochter aus ihrer Obhut zu entlassen. Der Leser kann sich denken, daß dies blos Heuchelei war, und ich gewann dafür schon einige Stunden später den maßgebendsten Beweis, denn meine Mutter erklärte gegen meinen Vater, wenn ihre Schwester sich erboten hätte, Clara, die zweite Tochter, zu sich zu nehmen, so würde sie gerne eingewilligt haben. Die alte Dame, welche sehr reich war, hatte nämlich versprochen, mir eine schöne Morgengabe zu Theil werden zu lassen, und meine Mutter konnte es nicht ertragen, wenn mir eine Wohlthat zugehen sollte.

Auf unserem Wege nach Paris kamen wir durch Luneville, und ich sah bei dieser Gelegenheit meine liebe Großmutter zum letztenmal. Sie bat, man möchte mich bei ihr lassen, und erbot sich wie früher, mich zur Erbin ihres Vermögens einzusetzen; aber meine Mutter schenkte ihrem Drängen kein Gehör. Da ihre Nachkommenschaft jetzt aus vierzehn Köpfen bestand, so hätte sie mich sicherlich für einen der beiden erwähnten Fälle entbehren und dadurch meinem Vater eine große Erleichterung verschaffen können; wie dem übrigens sein mochte, so viel war gewiß, daß sie mich nicht von sich lassen wollte, obschon sie ihre Abneigung gegen mich nie verbarg und mich auch, wenn sie es hätte wagen dürfen, wie früher behandelt haben würde. Ich hatte aus ganzer Seele gewünscht, bei der Großmutter zu bleiben, da sie sich seit dem Tode ihres Gatten sehr verändert hatte und ihre Kräfte zusehens dahin schwanden; aber meine Mutter zeigte sich unerbittlich. Wir setzten unsere Reise fort und gelangten nach Paris, wo wir unser Quartier in der Kaserne bei den Boulevards bezogen.

Meine Mutter war so hart als je und begann nun wieder ihre Maulschellenpraxis, zu welcher sie während unseres Aufenthalts in Colmar selten ihre Zuflucht genommen hatte. Bei all' meiner Noth war ich nie ohne Freunde, und ich machte jetzt Bekanntschaft mit der Gattin des Regimentsobristen, welcher sich gleichfalls in Paris befand. Sie hatten keine Kinder. Ich theilte ihr meine Lage mit, und sie pflegte mich in meinem Herzeleid zu trösten. Sie war eine sehr religiöse Frau, und da mich meine Großmutter in derselben Weise erzogen hatte, so machte es ihr viele Freude, bei einer so jungen Person einen frommen Sinn zu finden. Mit einem Worte, sie wurde mir sehr zugethan. Madame Allarde (denn dies war ihr Name) hatte eine Schwester, eine Wittwe von großem Vermögen, welche in der Rue St. Honoré wohnte und eine sehr angenehme lebhafte Frau war, obschon sie mitunter auch recht sarcastisch sein konnte und in ihren Launen selten ihre Worte abwog. Ich traf im Hause des Obristen oft mit ihr zusammen, und sie lud mich ein, sie in ihrer eigenen Wohnung zu besuchen; da ich aber wußte, meine Mutter würde mir die Erlaubniß dazu verweigern, so mochte ich nicht einmal darum bitten. Da der Obrist der Vorgesetzte meines Vaters war, so blieben alle Versuche, meinen traulichen Verkehr mit der Familie desselben zu unterbrechen, fruchtlos, und ich verbrachte wie gewöhnlich meine Zeit größtentheils außer Haus.

Ich habe nur noch zweier körperlicher Mißhandlungen Erwähnung zu thun. Der Leser wird meinen, ich habe deren schon genug berichtet; da sie aber die beiden letzten sind und unter eigenthümlichen Verhältnissen stattfanden, so muß ich mir schon seine Nachsicht erbitten. Das erstemal gieng es folgender Weise zu. Ein sehr anständiger junger Officier des Regiments zeichnete mich besonders durch seine Aufmerksamkeiten aus, und seine Gesellschaft gefiel mir, obschon ich noch zu kindisch und unschuldig war, um an eine Heirath zu denken. Es scheint nun, daß er eines Morgens meinem Vater einen Antrag machte und dieser sogleich sein Jawort gab, vorausgesetzt, daß ich nichts dagegen einzuwenden hätte. Dieser Schritt von seiner Seite war ohne Vorwissen und Zustimmung meiner Mutter geschehen, vielleicht weil er darin eine gute Gelegenheit sah, mich ihren Verfolgungen zu entziehen. Jedenfalls war sie, als er sie von der Sache unterrichtete und das Ansinnen an sie stellte, mich darüber auszuholen, nicht in der geneigtesten Stimmung. Der Freier war ein hübscher junger Mann, aber von sehr dunkler Gesichtsfarbe, und als sie der Aufforderung meines Vaters entsprach, antwortete ich:

»Non, maman, je ne veux pas. II est trop noir.«

Zu meinem größten Erstaunen stürzte jetzt die Mutter auf mich los und traktirte mich für meine Erwiederung mit einer solchen Lawine von Ohrfeigen, daß ich so schnell als möglich davon zu kommen suchte und mich in meinem Zimmer einschloß. Ich glaube wahrhaftig, daß ich fast das einzige Beispiel von einer jungen Dame bin, die Maulschellen erhielt, weil sie sich weigerte, einen Mann zu heirathen, um den sie sich nicht kümmerte; aber so wollte es einmal mein Schicksal.

Die Behandlung, welche mir bei diesem Anlaß widerfuhr, wurde in der Kaserne ruchbar, und Jedermann ergriff mit Wärme für mich Partei. Da ich mich so unterstützt sah, so unterstand ich mich eines Tages, die Verrichtung eines sehr unangenehmen Magddienstes zu verweigern, und dieser Widerspruch brachte mir die zweite Tracht Schläge ein. Sie war allerdings die letzte, aber auch die grausamste, denn meine Mutter hatte nach einem Kehrwisch gelangt und mit demselben mehrere Minuten lang auf mich hineingeschlagen, daß man in Folge der Entstellung mein Gesicht kaum mehr erkannte. Mein Kopf hatte an verschiedenen Stellen Wunden, und das Blut schoß in allen Richtungen an mir nieder. Endlich ließ sie mich für todt auf dem Boden liegen. Nach einiger Zeit kam ich wieder zur Besinnung. Ich entriß mich nun den Händen der mich umgebenden Dienstboten und eilte mit fliegenden Haaren, während das Blut mir noch immer über das Gesicht und auf die Kleider herab floß, über den Kasernenhof nach dem Hause des Obristen. Als ich in das Zimmer trat, in welchem Madame Allarde mit ihrer Schwester saß, sank ich zu ihren Füßen nieder, ohne Worte finden zu können, da das meinem Mund entströmende Blut meine Stimme erstickte.

»Wer ist dies?« rief Madame Allarde, indem sie mit staunendem Entsetzen von ihrem Stuhle aufsprang.

»Valerie – pauvre Valerie,« stöhnte ich, ohne mein Antlitz von dem Boden zu erheben.

Sie richteten mich auf, riefen das Gesinde herbei, brachten mich zu Bette und schickten nach dem Regimentschirurgen, der in der Kaserne wohnte. Sobald ich mich einigermaßen erholt hatte, erzählte ich ihnen, wie ich von meiner Mutter behandelt worden war und gerieth dabei in solche Aufregung, daß ich, nachdem der Wundarzt das Haus verlassen, ausrief:

»Nie, Madame, werde ich das Haus meines Vaters wieder betreten – in meinem Leben nie wieder! – Wenn Ihr mich nicht beschützt – oder wenn Niemand anders sich meiner annimmt – wenn Ihr mich wieder zurückschickt, so stürze ich mich in die Seine! Dies schwöre ich auf meinen Knieen!«

»Was ist da anzufangen, Schwester?« sagte die Gattin des Obristen. »Laßt mich sehen. Jedenfalls müßt Ihr ein Paar Tage hier bleiben, Valerie, bis weitere Schritte eingeleitet werden können. Es ist bereits dunkel. Bleibt auf diesem Zimmer und bedient Euch dieses Bettes.«

»Oder des Flußbettes,« versetzte ich. »Mir ist beides gleichgiltig, denn ich weiß ja, daß ich doch nur zu Elend und Jammer wieder aufstehen kann. Ich habe ein Gelübde gethan und wiederhole es jetzt, daß ich das Haus meines Vaters nie wieder betreten werde.«

»Meine liebe Valerie,« bemerkte Madame Allarde in beschwichtigendem Tone.

»Ueberlaß sie mir, Schwester,« sagte Madame d'Albret, die, nachdem meine Wunden zu bluten aufgehört hatten, eben bemüht war, meine Haare in Ordnung zu bringen. »Ich will die Sache mit ihr besprechen. Der Obrist wird bald nach Hause kommen, und du mußt ihn empfangen.«

Madame Allarde verließ das Zimmer. Sobald sie fort war, sagte ihre Schwester zu mir:

»Valerie, ich fürchte, Ihr werdet Wort halten und Euch in den Fluß stürzen.«

»Ja, wenn man mich wieder zurückschaffen will,« lautete meine Entgegnung. »Ich hoffe, Gott wird mir verzeihen; aber ich fühle, daß ich muß. Mein Sinn ist überworfen und mein Geist bisweilen irre.«

»Mein armes Kind, Ihr müßt wieder zurück in das Haus Eures Vaters, da meine Schwester und ihr Gatte in ihrer Stellung es nicht hindern können; aber glaubt mir, Ihr sollt nicht lange dort bleiben. So lange ich Euch eine Heimath anzubieten habe, soll es Euch nicht daran fehlen. Doch hört mich an. Ich wünsche Euch zu dienen und Eure unnatürliche Mutter zu züchtigen. Dies soll geschehen; aber wohl gemerkt, Valerie, Ihr müßt die Umstände reichlich erwägen, eh' Ihr einen Entschluß faßt. Ich sagte, daß ich Euch eine Heimath anbieten könne, aber vergesset nicht, daß das Leben ungewiß ist und ich Euch nichts weiter versprechen kann, wenn es Gott gefällt, mich abzurufen. Was wollt Ihr dann anfangen? – Denn Ihr werdet nie mehr im Stande sein, in das Haus Eures Vaters zurückzukehren.«

»Ihr seid sehr gütig, Madame,« versetzte ich; »aber mein Entschluß ist gefaßt, und lieber will in jeder für mich thunlichen Weise mein Brod selbst zu verdienen suchen, eh' ich die Schwelle des elterlichen Hauses wieder betrete. Setzt mich in die Lage, dies thun zu können, und ich will Euch mein Leben lang dafür segnen.«

»So lang ich lebe, sollt Ihr nicht um das liebe Brod arbeiten, Valerie; aber wenn ich sterbe, werdet Ihr für Euren Unterhalt thätig sein müssen. Wenn ich dabei bedenke, wie jung und freundlos Ihr seid –«

»Kann ich freundloser sein, als in meiner Heimath, Madame?« versetzte ich mit einem wehmüthigen Kopfschütteln.

»Wegen seines Mangels an moralischem Muth verdient Euer Vater eben so gut eine Züchtigung, wie Eure Mutter,« erwiderte Madame d'Albret. »Doch geht jetzt zu Bette und laßt mich morgen Euren Entschluß hören.«

»Der Morgen wird in meinem Vorhaben nichts ändern, Madame,« entgegnete ich, »obschon ich leider fürchte, daß für mich kein Ausweg vorhanden ist. Wie gewöhnlich wird mein Vater morgen wieder kommen, um mich zurückzuholen – aber ich habe meinen Entschluß bereits ausgesprochen. Ihr könnt vielleicht mein Leben erhalten, Madame, obschon ich mir das Wie nicht vorzustellen vermag.«

Mit diesen Worten warf ich mich verzweifelnd auf das Bett nieder.


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