Marie de France
Poetische Erzählungen
Marie de France

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Das Lied vom Geißblatt.

Lai du Chebrefoil.

         

Mir ist gar lieb und wohlbekannt
Das Lied, das Geißblatt wird genannt,Diese Episode aus der Liebesgeschichte von Tristan und Isolde wird erzählt, um (wie es beim Lied vom Unglücklichen der Fall war) die Entstehung eines bekannten Liedes, des Lai du Chevrefoil, das dem harfenkundigen Tristan selber zugeschrieben wurde, poetisch zu erklären. Von dem fraglichen Lied ist meines Wissens nichts erhalten als die kurze Andeutung, welche eben im Lai der Marie de France gegeben ist.
Und nun erzähl' ich euch fürwahr,
Was dieses Liedes Ursprung war.
Mir ward's erzählt zu manchen Stunden,
In Büchern hab' ich's auch gefunden, –
Von Tristan und der Königin,
Von ihrer Minne festem Sinn,
Davon sie hatten Schmerz und Klage,
Und starben drauf an einem Tage.

Dem König Marke schuf zur Zeit
Sein Neffe Tristan grimmes Leid,
Er hat ob seinem Lieben
Ihn aus dem Land getrieben;
Da gieng nach Süd-Wales seine Fahrt,
In's Land, da er geboren ward.
Dort blieb er wohl ein ganzes Jahr,
Weil Rückkehr ihm benommen war. 188
Dann aber wollt' er lieber sterben,
Als in der Sehnsucht Pein verderben.
Ihr sollt nicht staunen und nicht scherzen!
Wer treue Minne trägt im Herzen,
Der wird gar trüben Sinns und klagt,
Wenn ihm sein Wille wird versagt.
Auch Tristans Herz muß klagen,
Nicht länger will er's tragen.
Er gieng gerad nach Cornwall hin,
Dort wohnte seine Königin;
Er barg im Wald sich in der Nähe,
Nicht wollt' er, daß ihn Jemand sehe.
Zur Abendzeit gieng er hinaus
Und pochte an ein Bauernhaus;
Dort hat der Ritter manche Nacht
Mir armen Leuten hingebracht.
Er konnte Neues dort erfahren
Von seines hohen Ohms Gebahren;
Sie sagten ihm, es sei bekannt,
Daß die Barone man besandt
Nach Tintajol von nah und fern
Auf einen Hoftag vor den Herrn;
Der sollte sein am Pfingstenfeste,
Viel Kurzweil harre dort der Gäste;
Dahin komm' auch die Königin: –
Deß hatte Tristan frohen Sinn, 189
Sie kann nicht anders dahin gehn,
Er muß im Wald sie ziehen sehn.
Am Tage, da das Fest begann,
Da wandert Tristan durch den Tann
Hin auf den Weg, von dem er wußte,
Daß ihn die Herrin gehen mußte.
Dort schnitt nach altem LiebesbrauchSchon früher hatte Tristan durch Stäbe, welche er in den durch Isoldens Wohnung fließenden Bach warf, der Geliebten seine Botschaft gesandt.
Er einen Zweig vom Haselstrauch,
Er zog ihm ab den ganzen Bast,
Und in's Geviert schnitt er den Ast,
Drauf ritzt er seinen Namen fein
Mit seinem spitzen Messer ein.
Das wird der Herrin nicht entgehen,
Sie wird die Botschaft wohl verstehen;
Das aber war der Zeichen Sinn
Die er entbot der Königin:
Er sitze lang nun auf der Wart,
Und habe manchen Tag geharrt,
Ob es nicht möcht geschehen,
Daß er sie könnte sehen;
Denn ohne sie versterb' er hie.
Dasselbe Schicksal hätten sie.
Gleichwie der Geißblattschoß der schwanke,
Der um den Haselstrauch sich ranke,
Wenn er sich an ihm aufgeschwungen
Und völlig seinen Stamm umschlungen, 190
So dauern wohl die Beiden,
Doch wollte man sie scheiden,
So welkte schnell der Haselstrauch,
Die Geißblattranke stürbe auch.
»Bele amie, si est de nus:
Ne vous sanz mei, ne mei sanz vus.
«Ich erlaube mir hier eine jedenfalls durch den Vorgang Gottfrieds von Straßburg stilgemäß gewordene Licenz, indem ich die in ihrer Kürze unübersetzbaren, refrainartigen Zeilen in Original anführe:

Schöne Freundin, so ist's mit uns:
»Weder Ihr ohne mich, noch ich ohne Euch.«

Geritten kam die Königin,
Nach einer Halde blickt sie hin;
Sie sieht den Stab und hat erkannt
Die Züge einer lieben Hand.
Der Ritterschaar an ihrer Seite,
Die mit ihr hinfuhr als Geleite,
Gebot die Herrin: »Machet Halt,
Wir wollen ruhn im grünen Wald.«
Das thaten gleich die edlen Herrn;
Sie aber gieng dem Trosse fern,
Ihr Fräulein winkte sie bei Seit,
Brangän, die vielgetreue Maid.
Sie giengen durch die Halde, –
Da fand sie den im Walde,
Der mehr sie liebt als alles Gut.
Gar fröhlich wurde Beider Muth,
Er sprach mit ihr nach Herzenslust,
Sie sagt ihm an, was ihr bewußt,
Und zeigt ihm, was er sollt' beginnen 191
Den König wieder zu gewinnen;
Der Alte habe viel geklagt,
Daß er ihn aus dem Land gejagt,
Durch falschen Rath sei das geschehn. –
Drauf mußte sie von dannen gehn,
Und als es kam zum Scheiden,
Da weinten stumm die Beiden.
Tristan gieng in sein Heimatland,
Bis daß sein Oheim ihn besandt.
Und von dem Glück, das er empfunden,
Als er im Wald die Frau gefunden,
Und von den Worten, die er schrieb,
Und was ihm rieth sein holdes Lieb,
Schuf, dem Gedächtniß es zu wahren,
Tristan, im Harfen wohl erfahren,
Ein neues Minnelied sofort.
Ich nenn es euch mit kurzem Wort:
Auf Englisch ist's Gotlef genannt
Und Chevrefoil im Frankenland.
Die volle Wahrheit wisset ihr
Von diesem Lied, das glaubet mir! 193


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