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Soll ich ein neues Lied euch schenken,
Dann will ich Bisclavrets gedenken.
»Bisclavret« heißt's bei den Britannen,
Doch »Garwalf« nennen's die Normannen.
Man hört' es viel in frühern Tagen,
Und oft hat es sich zugetragen,
Daß Menschen nahmen Wolfsgestalt
Und hausten in dem tiefen Wald.
Der Werwolf ist ein Thier ergrimmt;
Wenn ihm die Wuth den Sinn benimmt,
Dann ras't er schlimm, bringt Menschen um
Und treibt sich wild im Forst herum.
Doch will ich hiernach nimmer fragen
Und will von Bisclavret euch sagen.
Im Britenland ein Ritter war,
Den hört' ich loben wunderbar;
An Huld und Schönheit auserlesen
Und adlig war sein ganzes Wesen.
Von seinem Herrn ward er geehrt,
Und allen Nachbarn war er werth.
Er nahm ein Weib von jungen Jahren
Und schönem, trefflichem Gebahren.
Sie liebten Beide sich gar sehr,
Doch eine Sache ward ihr schwer:
Daß in der Woche der Gemahl
Drei Tag' sich heimlich von ihr stahl,
Und daß es Niemand ward bekannt,
Wohin er sich die Zeit gewandt.
An einem Tag kam er zurück
Und schien in Freuden und im Glück,
So daß zu forschen sie begann.
»Freund,« sprach sie, »lieber, süßer Mann!
Ich wollte dich wohl etwas fragen
Gar gerne, dürft' ich's vor dir wagen;
Doch bangt mir, Du wirst zornig werden,
Und Schlimm'res fürcht' ich nicht auf Erden.«
Da hielt er innig sie umfangen
Und küßt ihr schmeichelnd Mund und Wangen.
»Dame,« so sprach er, »sagt es frei,
Was immer diese Sache sei,
Weiß ich's, so sag' ich's Euch genau.« –
»Ich bin geborgen,« sprach die Frau,
»In Aengsten leb' ich früh und spät
Die Tage, wenn Ihr von mir geht.
Beim Aufstehn, Herr, da wein' ich lang,
Euch zu verlieren wird mir bang.
Soll mich nicht bald ein Trost erlaben,
So werd den Tod ich davon haben.
Nun sagt mir doch, wohin Ihr flieht
Und wo Ihr hin und wieder zieht!
Ihr liebet wo, so scheint es mir,
Und ist es so, dann sündigt Ihr.«
»O Frau,« rief er, »um Gottes Gnaden
Ich werde Unheil auf mich laden;
Ihr liebt mich nimmer, thu' ich's kund,
Und selber richt' ich mich zu Grund!«
Sie brennt zu wissen, was es sei;
Mit allem Zaudern war's vorbei:
So vielmals fragte sie den Mann
Und schmeichelt' ihm und schwatzt' ihn an,
Bis er die Mähre ganz erzählte
Und ihr kein einz'ges Ding verhehlte.
»Ich geh' des Werwolfs Haut zu tragen
Und in dem großen Forst zu jagen,
Da wo am dichtesten das Laub;
Von Beute nähr' ich mich und Raub.« –
Als er dies Alles ihr gesagt,
Da hat sie weiter ihn gefragt,
Ob er bekleidet immerdar.
Er sprach: »Nackt geh' ich ganz und gar.« –
»Wo legt Ihr dann die Kleider nieder?« –
»Laßt das!« so sprach der Herr dawider,
»Ich kann's nicht sagen, wie ich's wollte,
Denn wenn ich sie verlieren sollte,
So blieb ich Wolf hinfort auf Erden.
Mir könnte keine Hülfe werden,
Bis ich sie wieder aufgefunden.
Drum soll mir dieß kein Mensch erkunden.«
Sie spricht, indem sie fest ihn hält:
»Ich lieb Euch mehr als alle Welt!
Mir dürft Ihr nichts verschweigen;
Wollt Ihr mir Zweifel zeigen?
Das wär' kein Zeichen Eurer Huld,
Ach Gott, was ist denn meine Schuld,
Daß Ihr mir nimmer wollt vertrau'n?
Sagt mir's, laßt Eure Lieb' mich schau'n!«
Sie hört nicht auf, ihn so zu quälen,
Und Alles mußt' er ihr erzählen:
»Im nächsten Tanne nah dem Wege,
Auf welchem ich zu wandeln pflege,
Steht eine alte Waldkapelle,
Gar dienstlich ist mir diese Stelle.
Dort liegt ein hohler Stein versteckt,
Von dichtem Buschwerk überdeckt.
Da halt ich bis zum vierten Morgen
Im Dunkel mein Gewand verborgen.« –
Die Dame hörte den Bericht,
Geröthet ward ihr Angesicht,
Entsetzen bebt ihr durch die Glieder;
Von Stund an sann sie hin und wieder,
Wie sie sich von ihm scheiden sollte,
Da sie sein Bett nicht theilen wollte.
Ein Ritter saß im Land nicht weit,
Der hatte lang um sie gefreit,
Er war getreu in seinem Lieben
Und stet in ihrem Dienst geblieben.
Sie hat ihm keinen Blick gewährt;
Er schien ihr wenig liebenswerth;
Doch nun ward ihm ein Brief gesandt,
Daß sich ihr Sinn ihm zugewandt.
Sie sprach: »Mein Freund, habt frohen Muth,
Ich will das lang ersehnte Gut
Euch allsogleich zu eigen geben,
Ihr habt mich ohne Widerstreben.
Geht aus auf süße Abenteuer!
Mein Lieben und mein Leib ist Euer.«
Er dankt ihr schön mit freud'gem Sinn,
Und sie gab ihren Schwur ihm hin;
Drauf kündet sie dem Buhlen bald
Des Gatten heimlich Thun im Wald.
Sie schickt ihn aus, das Kleid zu holen,
Und so ward Bisclavret bestohlen.
Er kam in Unheil und Verrath
Durch seines Weibes Missethat.
Weil er so oft geschieden war,
So dünkt es Allen offenbar,
Daß er nun ganz und gar von dannen.
Lang suchten ihn die treuen Mannen;
Doch wurde keine Spur gefunden,
Er blieb verschollen und verschwunden.
Bald nahm die Dame zum Gemahl
Den Ritter, der die Kleider stahl.
Ein Jahr vergieng, so hört' ich sagen,
Da ritt der König aus zu jagen;
Grad nach dem Orte ritt er dar,
Wo Bisclavret gelagert war.
Man ließ den Hunden freien Lauf,
Sie scheuchten bald den Werwolf auf,
Die Meute trieb ihn fort im Flug,
Und ihnen folgt der Jägerzug.
Bald hätten sie mit grimmen Bissen
Den Wolf gefangen und zerrissen;
Da sieht den König er nicht fern,
Und Hülfe sucht er bei dem Herrn.
Den Bügel hält er, wie zum Gruß
Leckt er ihm bittend Bein und Fuß,
Und Mitleid hat den Herrn befallen,
Er rief den Jagdgenossen allen:
»Ihr Herrn,« so sprach er, »kommt heran
Und schauet dieses Wunder an!
Wie sanft sich schmiegt das wilde Thier,
Es sucht wahrhaftig Schutz bei mir.
Wohlan denn, treibt zurück die Meute,
Auch schlag ihn keiner meiner Leute!
Er hat Verstand und Menschensinn,
Brecht auf! Wir ziehn zum Schlosse hin,
Nicht sei dem Thier mein Schutz versagt;
Wir haben heut genug gejagt.« –
Er kehrt sich, als er solches sprach;
Da folgt der Bisclavret ihm nach;
Nicht weicht er von des Königs Roß
Und geht mit ihm hinein in's Schloß.
Dort nahm der Fürst das Thier in Hut
Und hielt es werth und pflegt es gut,
Einschärft' er Allen in der Nähe,
Daß ihm von Keinem Leid geschehe.
Im Kreis der Ritter jeden Tag
Das Thier an seiner Seite lag,
Es war ganz folgsam, treu und zahm,
Daß nie ein Mensch in Aengsten kam.
Und wohin auch der König schritt,
Da gieng es als Begleiter mit,
Und allen war es offenbar,
Daß ihm der König theuer war.
Nun hört, was ferner ist geschehn:
Einsmals da hieß der König gehn
Auf einen Hoftag die Barone,
Die Lehenträger seiner Krone,
Und alle sind sofort erschienen,
Um glänzend ihm beim Fest zu dienen
In reichem Schmucke naht sich auch
Der Ritter, der nach schlimmem Brauch
Bisclavrets Frau zum Weibe nahm;
Nicht mocht' er ahnen, als er kam
Und sich im Schloß ergötzen wollte,
Daß er so nah ihn finden sollte.
Der Wolf erschaut ihn und im Nu
Fährt vollen Sprungs er auf ihn zu,
Er zerrt ihn vor mit festem Biß
Und thät ihm großes Leid gewiß,
Folgt' er nicht seines Herrn Gebote,
Der ihm mit einem Stocke drohte. –
Noch zweimal griff der Wolf ihn an,
Darob erstaunte Jedermann,
Denn niemals hatte solch Gebahren
Ein andrer Mensch von ihm erfahren.
Das schien dem ganzen Hause kund,
Er thue das nicht ohne Grund,
Und irgend ein geheim Verbrechen
Woll' er an jenem Ritter rächen.
So nun verblieb es diesen Tag;
Doch als zu Ende das Gelag,
Da nahmen Urlaub alle Gäste
Und zogen heim vom Königsfeste.
Von jenem Ritter ist mir's klar,
Daß er der Ersten einer war,
Den Bisclavret so grimm gefaßt;
Mich wundert's nicht, wenn der ihn haßt.
Gar bald ist es daraus gekommen,
Mich dünkt, ich hab es wohl vernommen
Daß jagen ritt zum Forst nach Wild
Der König, der so klug und mild,
Im Thal, wo man das Thier gefangen;
Das ist auch diesmal mitgegangen.
Als er mit Jagd den Tag verbracht,
Blieb in der Gegend er zur Nacht.
Bisclavrets Dame ward es kund,
Sie schmückt sich aus zu früher Stund
Und kam zum Herrn, mit holden Mienen
Und reichen Gaben ihm zu dienen.
Sie sah der Wolf, da zürnt er sehr,
Und Niemand konnt' ihn halten mehr,
Und ganz wie toll lief er sie an,
Nun hört, was er im Grimm begann!
Er riß die Nas' ihr vom Gesicht;
Für sie gab's härt're Strafe nicht.
Viel ward gescholten und gekreischt,
Sie hätten gänzlich ihn zerfleischt,
Hätt' nicht ein weiser Mann gesprochen:
»Herr König, laßt es ungerochen!
Lang war um Euch dies treue Thier,
Und traun von uns ist Keiner hier,
Der es nicht oftmals mochte sehn
Und ihm ganz nah zur Seite gehn.
Doch keinen hat es je berührt,
An ihm ward Tücke nie verspürt,
Nur dieser Dame schuf er Leid.
Nun glaubet mir bei meinem Eid:
Er heget einen Zorn zumal
Auf sie und ihren Ehgemahl.
Sie hat der Ritter einst gefreit,
Der Euch so lieb war lange Zeit,
Den wir so lange nun vermissen,
Von dessen Schicksal wir nichts wissen.
Herr, so verhört die Dame strenge,
Bringt sie mit Fragen in die Enge,
Warum das Thier sie haßt so heiß,
Und laßt sie's sagen, wenn sie's weiß.
Manch Wunder haben wir gesehn,
Das im Bretonenland geschehn.«
Der König glaubt dem Rath des Alten,
Der Ritter ward zurückgehalten,
Beiseit führt man die Dame jetzt,
Mit Fragen wird ihr zugesetzt,
Aus Angst und Schrecken sagt sie an,
Was mit dem Buhlen sie ersann,
Wie sie verriethen den Gemahl
Und wie man ihm die Kleider stahl.
Sie glaube wohl, sagt sie dabei,
Daß dieses Thier Bisclavret sei.
Der König drauf verlangt das Kleid,
Ob es ihr lieb sei oder leid,
Und unverzüglich läßt er's holen
Und giebt dem Wolf, was ihm gestohlen.
Hin vor das Thier wird es gebracht,
Das liegt und nimmt es nicht in Acht;
Da kam der alte Mann genaht
Und gab dem Herrn den zweiten Rath:
»Ihr thut nicht recht in diesen Dingen,
So wird er's nimmermehr vollbringen.
Er streift vom Leib die Thierhaut nicht
Vor eurer Aller Angesicht.
Ihr wißt nicht, was da wird geschehn,
Mit Scham nur müßt' er vor Euch stehn.
In Eure Zimmer laßt ihn führen,
Die Kleider mit, die ihm gebühren.
Dort laßt ihn eine lange Stunde,
Dann soll uns werden sichre Kunde.« –
Der König eilt, ihn hinzuführen
Und sperrte hinter ihm die Thüren.
Drauf gieng er zur bestimmten Zeit
Zwei Ritter waren sein Geleit.
Sie wandeln eilends nach der Stätte,
Und auf des Königs eignem Bette
Da schlummert der Baron in Ruh;
Der Fürst eilt freudig auf ihn zu,
Er hält ihn liebevoll umfangen
Und küßt ihm hundertmal die Wangen;
Belehnt ihn drauf in wenig Tagen,
Mehr gab er, als ich weiß zu sagen.
Die Dame aber ward verbannt
Und ausgetrieben aus dem Land,
Und mit ihr gieng ihr zweiter Gatte,
Dem sie den Herrn verrathen hatte.
Viel Kinder wurden diesen Beiden,
Von andern leicht zu unterscheiden:
Von Ansehn sind sie wundersam,
Viel Frauen giebt's von ihrem Stamm,
Das kam mir wahrlich oft zu Ohren,
Die ohne Nasen sind geboren,
So gleichen sie bestraften Schächern
Und schnöd verstümmelten Verbrechern.
Doch dieser seltsame Bericht
Ist volle Wahrheit, zweifelt nicht!
Daß sein Gedächtniß nicht vergeht,
Singt man das Lied vom Bisclavret. |