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»Nun?« riefen gleichzeitig die alte Frau von Grandpré und Frau Bersheim, Anina und Claire.
Herr von Grandpré war eben eingetreten. In dem geräumigen Salon, in den trotz des feinen Regens helles Licht durch die hohen Fenster fiel, herrschte die gewohnte Traulichkeit, die Harmonie der alten Möbel, der diskrete Luxus, die ruhige Behaglichkeit. Vor der Terrasse breitete sich die smaragdgrüne Fläche des ovalen Rasens, rauschten leise die Wipfel der alten Bäume. Bersheim, in ein Fauteuil zurückgelehnt, richtete einen besorgt fragenden Blick dem Eintretenden. In dieser unerhörten Aufeinanderfolge von Katastrophen war er stets auf das schlimmste gefaßt. Doch Grandpré berichtete mit sichtlicher Zufriedenheit:
»Ich komme vom Mont-Valérien. Man kann leider heute infolge des Regenschleiers nicht so deutlich sehen wie gestern. Trotzdem war die Zahl der Zuschauer nicht geringer, sogar Deputierte der Linken waren dabei ... Ich wäre nur neugierig, wenn ich mit diesen Herren verkehrte, zu wissen, was sie davon halten?«
Bersheim antwortete nur mit einer müden Handbewegung. Die Republikaner stimmten in die allgemeine Meinung ein als ehrliche Patrioten, aber um so tiefer entrüstet, als sie den Tadel, den Vorwurf der Mitschuld auf sich zurückfallen sahen. Über diese gesellschaftsfeindlichen Verbrechen entsetzt und ihre eigene Sache durch eine ungerechte Gegenwirkung gefährdet sehend, beugten sie aus Berechnung und aus Vorsicht die Schultern unter diese siegreiche Reaktion, mit der man sich fortan wohl oder übel verhalten mußte. Sie waren froh, Paris rechtzeitig verlassen zu haben; ihre Fehler, die Schuld des Siegers verschwanden in ihren Augen vor den Exzessen der Besiegten.
Die alte Dame erkundigte sich in aller Namen:
»Wie steht es mit der Armee, Georges?«
Stolz faßte Grandpré die letzten Telegramme Thiers' zusammen über den täglich angekündigten, verzögerten, aber gewissen, definitiven Sieg. Nur noch ein wenig Geduld! Zu Anina gewandt berichtete er, daß das linke Ufer beinahe vollständig erobert, Chenot im Pantheon sei; Du Breuil sei gestern gesehen worden, es ging ihm gut.
Anina und ihre Mutter wechselten einen frohen Blick. Sie zählten die Stunden. War es denn noch immer nicht zu Ende? Auch sie hatten nicht geglaubt, daß dieser Straßenkampf so lange dauern würde ... Acht Tage schon, seit Pierre sie verlassen ... Monate schienen es! ... Gleich ihm hatte auch Anina dies seltsame Gefühl: sich so nahe wissen, so fern fühlen, durch diese furchtbaren Stunden, in denen Raum und Zeit versank, geschieden ... Der beständige Donner der Schlacht tat ihr fast körperlich weh. In Gedanken folgte sie dem Geliebten mit heißer Leidenschaft, klammerte sich mit ganzer Seele an die Hoffnung, als hätte sie damit ihn schützen können.
Um sich her vernahm sie Ausrufe der Entrüstung. Grandpré erzählte, was er über die Geiseln wußte und was man noch befürchtete. Glücklicherweise sollte strenge, radikale Gerechtigkeit geübt werden.
»Es war zuerst zwischen Mac-Mahon und Thiers verabredet«, erklärte er, seinen Schnurrbart streichend, »daß nur derjenige, der mit Waffen in der Hand angetroffen wird, erschossen werden sollte. Wie aber soll man angesichts all dieser Gewalttaten, im Feuer der Aktion sich nicht vom Zorn hinreißen lassen? ... Unsere wackeren Truppen leisten gute Arbeit ... Bah! es bleiben immer noch zuviel! ... Augenblicklich sind strenge Gerichtsbehörden im Begriff, das schlechte Korn vom reifen zu scheiden ... Satory ist bereits überfüllt ... Thiers war angesichts dieser Menge ratlos, wo sie unterbringen. Rechtzeitig hat er sich jedoch noch erinnert, was die Engländer ehemals mit ihren Kriegsgefangenen machten: die Pontons! Wir werden diese in ganzen Scharen in die Häfen expedieren und die alten Schiffe zu diesem Zwecke herrichten.«
Er rieb sich die Hände:
»Gleichzeitig benutzten wir die Unterdrückung der Demagogen, um ihnen die Gewehre zu entwinden, von denen sie einen so netten Gebrauch machten ... Sie sollen auf lange Zeit hinaus unschädlich gemacht werden! Die Strafe ist der Schuld nur angemessen.«
Er betrachtete seine glänzenden Nägel, seine schmalen Finger, als bewunderte er deren Weiße.
»Wissen Sie noch, Bersheim, wie wir von dem Abszeß sprachen, von dem riesigen Abszeß, der sich im sozialen Körper gebildet hatte? Ich sagte Ihnen damals schon, daß er geöffnet werden müsse. Jetzt ist man im Begriff, die Operation, und zwar aufs gründlichste, vorzunehmen.«
Er machte eine Bewegung, als wollte er mit dem Messer tief ins Fleisch schneiden. Und dabei lächelte er selbstzufrieden auf seine gepflegten Hände herab, die so vornehm, bleich und sauber waren, als könnte keine politische Operation, so blutig sie auch sei, sie je beflecken. Bersheim murmelte:
»Schließt denn die Gerechtigkeit das Mitleid aus?«
Grandpré blickte ihn mit einem Ausdruck etwas geringschätzigen Wohlwollens an:
»Mitleid, ganz gewiß, aber etwas später ... Wenn erst die Feuersbrünste erloschen, die Geiseln befreit sind, Paris der Ordnung und Ruhe wiedergegeben ist ... Wenn die Untersuchungskommission, von der die Rede ist, die Ursachen des, Aufstandes erforscht, die Verantwortlichkeiten festgestellt hat. Die Begnadigungskommission, der Thiers die Angelegenheit zu überlassen gedenkt, wird vielleicht ihre Aufgabe ausführen können.«
Bersheim schwieg verdüstert.
»Hast du uns nicht auch etwas tröstlicheres mitzuteilen, mein Sohn?«
»Habe ich dir schon gesagt«, versetzte er mit taktvoller Betonung, »daß Hochwürden, der Bischof, in einem Brief an die Nationalversammlung notifiziert hat, daß die von ihr verlangten öffentlichen Gebete Sonntag stattfinden werden? Man hat allen Grund, anzunehmen, daß der Sieg bis dahin vollständig sein wird. Dann würden die Gebete gleichzeitig zu Danksagungen ... Gott sei Dank, der häßliche Materialismus ist überwunden! Von allen Seiten wenden die Herzen sich wieder dem göttlichen Gefühle zu. Dieser Tage ist in der Präsidentschaft ein ungemein edler, vom Kardinal-Erzbischof von Rouen und mehreren Bischöfen als Wortführer ihrer Getreuen unterzeichneter Brief eingetroffen. Darin wird die Nationalversammlung beschworen, die Regierung aufzufordern, sich mit den fremden Mächten wegen Wiedereinsetzung des Papstes, in die Ausübung der weltlichen Macht ins Einvernehmen zu setzen.«
Bersheim lächelte bitter: der Augenblick war gut gewählt.
Die Flügeltür wurde geöffnet. Mit majestätischer Grandezza verbeugte sich der greise Oberhofmeister:
»Frau Gräfin, es ist angerichtet.«
Mit dem ersten Strom der Beamten, Polizeileute, Journalisten, Lebemänner, der der Masse der Armee gefolgt war, hatte auch Blacourt sich in die Hauptstadt eingeschlichen. Ein vom Versailler Generalstab der Nationalgarde ausgestellter Passierschein hatte es ihm gestattet, durch die Vorposten zu gelangen. Am Morgen des zweiundzwanzigsten war er, von übermächtigem Verlangen getrieben, den allzu langsam vorrückenden Truppen vorangeeilt. Er überholte die Vorposten und erreichte das Entresol der Rue de Provence, wo er Maddalena allein zu finden hoffte – Malonsky war ohne Zweifel bei der Einnahme der Muette getötet worden ... Mit Wonne stellte er sich die Kanaille auf dem Boden liegend, die Füße in die Höhe gestreckt, vor. Dieses Bild bot ihm die Befriedigung seiner Rache für sein verlorenes Phaeton, für die gestohlenen Geldsummen. Er fühlte sich durch die Niederlage der Kommune gestärkt und ermutigt: diese Leute mußten jetzt auf die Knie fallen, fliehen und verschwinden wie Vagabunden und Gesindel! ... Ein Pflasterstein, den er überspringen mußte, um eine Barrikade zu passieren, verursachte ihm Übelkeit ... Maddalenas Antlitz löschte alles aus ... Wie er sie liebte! Diesmal sollte sie sich ihm nicht entwinden! Mit Küssen wollte er dieses angebetete, verfluchte Fleisch bedecken, in einer Umarmung diesen stets fliehenden, endlich besiegten Körper brechen. Und dann? Er wußte es nicht, er wälzte in seinem Innern ungeheuerliche Rachegedanken: sie ausliefern, sie gefesselt, gefangen fortführen, sie erschießen sehen ... Oder sie als seine Magd, seine Sklavin bei sich behalten ...
Das Herz klopfte ihm, als wollte es die Brust sprengen, die Knie wankten ihm, als er leise läutete ... Das Geräusch eines jäh verstummenden Streites dringt an sein Ohr, er läutet noch einmal, die Tür öffnet sich ... Ein hageres Gesicht, eine Hakennase, ein rötlicher Bart, ein mißtrauischer Blick unter Brillen hervor ... Blacourt erkennt diesen geheimnisvollen Besucher, den Maddalena ihm als einen schlesischen Juden und Stoffhändler genannt hat. Er parlamentiert, er erhebt die Stimme in der Hoffnung, daß sie hören möge. Hinter der Tür wird eine fluchende Stimme laut. Blacourt erbleicht: das ist Malonskys Stimme. Im selben Augenblick erscheint Maddalena ... Sie sieht unfreundlich aus, ihre Augen funkeln in der unnatürlichen Blässe des Teints. Die goldigen Haare flattern ihr gelöst um die nackten Schultern, sie ist im Unterrock. Der herrliche Busen leuchtet durch das zarte Gewebe ... Blacourt stammelt vor Freude. Sie zuckt die Achseln:
»Lassen Sie, Guldmann! Er kann eintreten.«
Der Jude verriegelt unzufrieden wieder die Tür und folgt ihnen ins Zimmer. Malonsky liegt in einem Fauteuil, stemmt die Füße gegen den Kamin und lacht höhnisch. Dem harten Gesicht verleiht der wildwuchernde Bart etwas tierisches; der Blick ist stier und eisig. Er empfängt Blacourt wie einen Hund, wirft ihm eine Flut von Schimpfworten an den Kopf, die er mit einem: »Dorthin kuschen!« beendet. Und wirklich setzt sich der Geck gehorsam nieder und erhebt seine glänzenden Augen voll Anbetung und hündischer Demut zu Maddalena. Sie verhandelt halblaut mit dem Juden, der in gebietendem Tone spricht und sich abwendet, um eine Rolle von Goldstücken abzuzählen; Maddalene überwacht ihn mit gierigen Blicken und scheinbarer Gleichgültigkeit.
»Hier, nehmen Sie!« sagt er.
Die hübschen Finger schließen sich fest. Blacourt hört die Worte: »Die zwei Pässe ... Schnell fort.« Schon steht der Jude, von Maddalena geleitet, auf der Schwelle und entfernt sich ohne Gruß. Auf dem Tische schauen unter seiner Zigarrenkiste die beiden Pässe hervor. Auf dem oberen liest Blacourt: Magdalene Wünsch, zweifellos ein angenommener Name, der Maddalene bei ihrer Flucht behilflich sein soll ... bei der Flucht – mit Malonsky! Mit aller Macht wallt der Zorn in ihm auf, in diesem Augenblicke könnte er sie kalten Blutes morden! Sie kehrt zurück. Ohne sich im geringsten um ihn zu kümmern, als ob er Luft wäre, weniger als Luft, dieser Narr, der nur noch dazu gut ist, sich ein hübsches Sümmchen abzapfen zu lassen, – denn da er wiederkommt, kommt er sicherlich mit vollen Taschen, – spricht sie den in mürrisches Schweigen versunkenen Polen an:
»Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir fort wollen ...«
»Und ich?« fragt Blacourt mit weinerlicher Stimme.
Verwundert blickt sie ihn an. Sie findet ihn drollig. Doch im Grunde genommen, man kann seine Goldstücke brauchen ...
»Wie, mein Junge, so anhänglich? So lauf' ins Rathaus und schau, ob du einen deutschen Paß bekommst; vielleicht ist noch einer übrig.«
Da jedoch springt Malonsky auf wie von einer Viper gestochen, das Gesicht vor Wut verzerrt. Er faßt Maddalene an den Handgelenken und schüttelt sie. Ob sie ihn für einen so elenden Spion hält, wie sie selbst, ist? Für den König von Preußen arbeiten? Fehlgeschossen, Kleine! Weil man gern am Spieltisch sitzt und die Champagnerpfropfen knallen läßt, folgt daraus noch nicht, daß man ein Feigling sein und die Republik verraten müsse. Malonsky ist in Polen ein geachteter Name. Einer seiner Vorfahren wäre beinahe König geworden...
Und plötzlich erklärte er mit gellendem Lachen und rollenden Augen, Kaiser Wilhelm habe es an Rücksichten gegen ihn fehlen lassen... Beim letzten Souper, das sie mitsammen genommen, habe dieser Tropf sich geweigert, ihm die Hand zu drücken und auf seinen Teller gespuckt...
Maddalena und Blacourt tauschten einen Blick des Entsetzens: er war plötzlich irrsinnig geworden! Malonsky erriet ihre Gedanken; plötzlich befahl er mit gebieterischer, furchterregender Ruhe: »Vorwärts! Malonsky wird bis, ans Ende mit seinen Freunden kämpfen. Du, mein Kätzchen, und du, Dicker, ihr werdet mir folgen. Auf die Barrikaden, meine Lämmchen!«... Als sie zögerten, zog er einen Revolver aus seinem Gürtel: »Vorwärts! der erste, der zu fliehen versucht, wird niedergefeuert!« Er zielte auf Blacourts Spiegelbild, drückte den Hahn los, das Glas zersplitterte unter donnerndem Krachen.
Blacourt stand wie von Angst gelähmt, Maddalena flehte. Malonsky stieß die beiden vorwärts. »Nein, nein, keine Pässe!« Er zerriß die Papiere, und streute die Fetzen über den Fußboden, dafür steckte er jedoch die Geldrolle sorgsam in die Tasche. Und als sie aus dem Schrank ein Kleid nehmen wollte, entriß er es ihr: »So gefällst du mir gerade!« Die Dirne, gab nach, von der Kraft des Mannes unterjocht, von der Gefahr eingeschüchtert.
Und nun begann für sie ein Dasein unglaublicher Abenteuer: ziellose Gänge von einem Stadtteil zum anderen, stundenlanges Arbeiten unter sengender Sonnenglut beim Bau der Barrikaden, andere Stunden wieder, die man in einem Palast zubrachte, damit beschäftigt, das vergoldete Getäfel, die seidenen Vorhänge mit Petroleum zu tränken; nächtliche Schwelgereien in den Weinstuben, kurzer, bleierner Schlaf, aus dem man aufgeschreckt wurde, um zu fliehen, der Lärm der näherkommenden Schlacht, die unter Feuersbrunst und Tod wachsende Trunkenheit!
In halber Betäubung lebte Blacourt diese Existenz des Taumels, in der ihm in den kurzen Augenblicken klaren Bewußtseins vor sich selbst graute – war er es denn wirklich, er, der in diesem Höllenreigen mittanzte, so fern von den friedlich stillen Alleen, den guten Hotels von Versailles! Er wagte es nicht mehr, Malonsky an die Kehle zu springen, wie er es einmal versucht hatte, und suchte und fand alle Befriedigung darin, Maddalena zu befühlen und zu betasten. Ein Kuß, süß wie eine gestohlene Frucht, verheißende Liebkosungen, Blicke des Einverständnisses, in denen sie um Schutz flehte und köstlichen Lohn versprach. Gemeinsame Schuld und gemeinsame Qualen fesselten sie aneinander unter dem ironisch gehässigen Blick Malonslys, der sie mißhandelte und schamlos mit diesem herrlich geformten Leib schaltete.
Er schien inmitten des allgemeinen Wahnsinns all sein Phlegma wiedergefunden zu haben und handelte und kommandierte mit der seltsamen Hellsichtigkeit der Geisteskranken. Und krank war er durch und durch. Trotz seiner ritterlichen Eigenschaften, seines feingebildeten Geistes und seiner kühnen Bravour schon von jeher den Keim des Irrsinns in sich tragend, war der Ausbruch desselben durch die lasterhafte Berührung mit der Spionin, durch all die Erschütterungen des Krieges, durch die verderbliche Macht des Alkohols und durch den fortreißenden Sturm der Krisis, der so vielen den Kopf verdreht hatte, beschleunigt worden. Das Gebäude krachte in allen Fugen. Allerorten brach der Wahnsinn aus, durch die ungeheuere Epilepsie genährt.
Blacourt und Maddalena folgten, am Seil geführt. Den vierundzwanzigsten sah man sie bei der Räumung des Rathauses, den fünfundzwanzigsten bei der Butte-aux-Cailles. Freitag den sechsundzwanzigsten wurden sie bei einer Brigade der Rue de Charonne gesehen.
In Verfolgung seines systematischen Umhüllungsplanes schickte der Generalstab an diesem Tage auf dem rechten Ufer die Flügel der Armee vorwärts, während Clinchant und Douay im Zentrum nur mühsam vorrückten, der eine bis zum Kanal Saint-Martin, der andere bis zum Boulevard Richard-Lenoir, Vinoy und Ladmirault zur Rechten und Linken, so daß sie den nächsten Tag, den 27., ihre Vereinigung längs der Befestigungen vollziehen und den Kreis von rückwärts schließen konnten. Im Besitz der die Buttes-Chaumont, den Père-Lachaise und die äußeren Boulevards von Belleville, Menilmontant und Charonne beherrschenden Höhen, konnten die beiden Generäle sodann den Sturm unternehmen und die letzten Horden der besiegten, zwischen zwei Feuern zermalmten Insurrektion auf die zentralen Korps zurückdrängen. Heute handelte es sich für die Reservearmee vor allem darum, den Bastilleplatz und den Place du Trone einzunehmen. Seit gestern wurde auf ersterem hartnäckiger Widerstand geleistet.
Ein grauer Morgen, ein trüber Regennachmittag folgen der Reihe herrlicher Tage, an denen man in gleitendem Sonnenschein gemordet und geraubt hatte. Jetzt dauert das Blutbad fort inmitten des dicken Nebels, des feuchten Dampfes, der den Lärm aufsaugt. Das Blut sickert über das Pflaster, der Kot spritzt hoch auf, das Wasser vermag diese blutüberströmten Gassen nicht reinzuwaschen und fault in stinkenden Lachen. Aus dem von der langen Kanonade erschütterten Himmel ergießt sich ein schwarzer Regen, in dem aller Rauch der Feuersbrünste in gewaltigen Wolkenmassen auf das brennende Paris niederfällt. Den großen Feuerherden der Tuilerien, des Ober-Rechnungshofes und des Rathauses, ihren rauchgeschwärzten Mauern und glühenden Trümmerhaufen entströmt erstickender Qualm. Das Getreidemagazin kracht in tausend Detonationen; dort unten die Docks von La Villette gehen, von den Granaten entzündet, in Flammen auf, die durch das Spiritus- und Öldepot genährt werden. In der Mitte des Bastilleplatzes schnaubt die Julisäule, deren gemauerte Gewölbe auf dem Kanal ruhen und sich unter dem Brand, von fünf mit Petroleum beladenen Booten gespalten haben, wie ein ungeheuerer Rauchfang, aus dessen durch die Granaten gebohrten Löchern eine gewaltige Garbe von Flammen und Funken emporzischt. Der vergoldete Genius der Freiheit auf der Spitze glitzert hie und da durch die Spiralen von Licht und Schatten.
Erschöpft, ernüchtert, mit Kot und Schlamm bedeckt, erwachte Blacourt nach all den Stunden der Verhexung zu einem Schimmer von Besinnung und sehnte jetzt mit krankhafter Gewalt die Versailler herbei, diese Retter, deren Näherkommen von Straße zu Straße er mit wollüstiger Angst lauschte, und die ihn aus der unerträglichen Qual dieser Existenz erlösen sollten. Hatte man ihn nicht zwingen wollen, mitzukämpfen und auf diese tapferen Soldaten zu feuern, die für ihn und seinesgleichen starben? Als er sich weigerte, wurde er gestoßen und geschlagen, ein Nationalgardist drückte ihm gewaltsam ein Chassepot in die Hände, als ein Zufall ihn gerettet hatte, das Erscheinen eines armen Teufels, den eine Art Riese mit Hauptmannslitzen herbeigeschleppt brachte und mit gestreckten Armen schüttelte: »Was, du willst dich nicht schlagen, du Schwein! Warte nur!«
Blacourt warf einen furchtsamen Blick auf Malonsky und die heftig gestikulierenden Föderierten. Keiner bemerkte ihn, die von der Barrikade wandten, ihm den Rücken... Mit drei Sätzen könnte er die Winkelschenke erreichen, wo Maddalena schlief... Man könnte gemeinsam fliehen... Er stürzte fort...
Die Baracke war leer, auf einer Bank lag in tiefer Ermattung das schöne Weib. Das Gesicht mit den leise geöffneten Lippen hatte einen schmachtenden Glanz. In gleichmäßigem Rhythmus hob und senkte sich die üppige Rundung der Brüste unter dem zerfetzten Hemd. Ein Arm lag unter dem Nacken, so daß das lockige Gold der Achselhöhle sichtbar war. Dieser Anblick erweckte ihm eine wollüstige Begierde, die ihm die Besinnung raubte. Die Lockung war so stark, daß er nicht einmal das Krachen des Schusses wenige Schritte von ihm entfernt hörte... Der Mann von vorhin... Sie wecken, entfliehen ... nein, vorher wollte er den Schlaf nützen, der sie ihm auslieferte... Er dreht den Schlüssel um, er rafft die Röcke in die Höhe und stürzt sich auf die wunderschöne Beute... Ihre Hände drängen ihn zurück, ein kurzer Kampf, in dem sie zu Boden rollen, ohne daß sein gieriger Mund, seine zusammengekrampften Finger ihr Opfer loslassen. Endlich, endlich fühlt er diesen langbegehrten Leib an dem seinen beben, er hört nicht, er sieht nicht...
Schläge an der Tür, das Fenster klirrt ... Er fühlt sich von einer wuchtigen Faust am Genick gepackt, beinahe erwürgt und emporgerissen. Der betreßte Riese und zwei andere umringen ihn und überschütten ihn mit Schimpfworten:
»Fort mit dir, Hundevieh! ... Komm, daß du krepierst!«
In tödlicher Betäubung sieht er alles in einem roten Dunst versinken und sieht nur noch, während man ihn fortschleppt, wie der Riese sich auf Maddalena stürzt, mit bestialischer Kraft, in die die Gier nach einem letzten Augenblick des Genusses sich mengt, sie niederwirft. Die Dirne beißt die Zähne zusammen und ergibt sich wie ein müdes Tier. Und hinter dem Riesen wartet ein ander...
Wilde, zerschmetternde Verzweiflung überkommt Blacourt; mit Blitzesschnelle sieht er Malonsky sich entkleiden, die Versailler sind nahe, schon stehen sie jenseits der Barrikade. Schnell! Schnell! Wie sie laufen!... Zu spät! Drei Föderierte senken ihre Gewehre... Von drei Kugeln getroffen, springt Blacourt in die Höhe und fällt mit aufgeschlitztem Bauch wie ein zerbrochener Hampelmann nieder.
Auf dem Haufen von Pflastersteinen tanzt Malonsky, Schaum vor dem Munde, mit aus ihren Höhlen hervortretenden Augen einen obszönen Cancan dem eine dröhnende Salve ein furchtbares Ende macht – der schlanke, weiße Körper rollt kopfüber in den Kot.
Die Division Vergé erstürmte gleichzeitig die Barrikaden der Rue de la Roquette und des Faubourg Saint-Antoine, die Brigaden La Mariouse und Langourian die des Boulevard Mazas und der Avenue Lacuée, die Brigade Derroja bemächtigte sich des Bahnhofs von Vincennes. Endlich fiel die Bastille. Eine große Blutlache ergoß sich über den Platz, an den Verteidigung und Angriff sich heldenmütig angeklammert und wo während des Kampfes und nach dem Kampfe Hunderte von Föderierten niedergemetzelt, ganze Herden von Gefangenen zur Schlachtbank getrieben wurden.
Von der Basis bis zur Spitze brennend erschien die Julisäule, – die einst unter ihren friedlichen Kränzen, ihren Bannern eine begeisterte, von Patriotismus und Leiden berauschte Menge sich bewegen gesehen hatte, – wie im Jahre 1848 von Leichen umgeben, wie eine gigantische Todesfackel. Mit ihren roten Reflexen beleuchtete sie die Agonie dieses betrogenen, von falschen Herren in den Abgrund gestürzten Volkes, das die erbarmungslose Nationalversammlung mit ihren erbarmungslosen Führer mit Hilfe der von ihnen wie eine ungeheuere Todesmaschine gehandhabten Armee dem Verderben entgegentrieb. Biony schickte seine Truppen gegen den Place du Trone, wo sie von neuem auf wütenden Widerstand stießen. Bis zum Abend hielt eine Handvoll Föderierter seinen Divisionen stand. Um in den Besitz der Kaserne und der Barrikade, von Neuilly zu gelangen, mußte man dieselben drei Stunden lang bombardieren und frische Regimenter vorschicken, bis es gelang, den Platz zu erobern, den man unter dem Feuer der Mairie des IX. Arrondissements nicht einmal hatte besetzen können.
Hauptmann Védel und seine Kompagnie biwakierten in einer der benachbarten Straßen. Immer noch sprühte ein leiser Regen. Um sie her knatterte unaufhörlich das Echo der Exekutionen. In Védels gutmütigen, rauhen Zügen drückte sich bei diesem so gewohnten Lärm, dessen viele gar nicht mehr achteten tiefer Schmerz aus. Nachdenklich durchwühlte er das am Rand des Trottoirs fließende gelbliche Bächlein mit einem kräftigen und knorrigen Stock – kräftig und knorrig wie er selbst –, der einzigen Waffe, die er seit dem Betreten der Hauptstadt in der Hand hielt.
Verschwunden war sein Eifer, sein Humor! Als er in Versailles die Vorteile pries, die dieser Krieg bieten konnte: körperliche Abhärtung, Stählung des militärischen Geistes und der Disziplin, da ahnte er nicht, wie schnell diese Kampfbedingungen sich in diese Barbarei der Besiegten, wie der Sieger wandeln würden...
Seine schlichte Seele, seine einfach bürgerlichen Neigungen litten beim Anblick dieses gegenseitigen Hasses. Als guter Soldat erfüllte er seine Pflicht, nichts weiter. Dieser Sieg über Franzosen bereitete ihm keine Freude; es war eine notwendige, eine traurige Arbeit. Seine Kompagnie, die ihn liebte, folgte dem Beispiel seiner Mäßigkeit. Er gehörte zu jenen Offizieren, die beim ersten Schritt in die ausgelieferten Straßen die Geister zur Ruhe ermahnt und auf größte Enthaltsamkeit im Trinken gedrungen hatten ... Von allen Seiten kamen die Einwohner mit Flaschen und Gläsern herbei ... Bei der herrschenden Hitze, der Ermüdung, bei der Aufregung des Kampfes waren viele schon von einem einzigen Glase berauscht.
Ein plötzlicher Auflauf, Drohungen, ein Schutz, ein herzzerreißendes Jammergeschrei ... Védel stürzt hinzu ... Dort, an der Straßenecke! ... Er atmet auf, es waren nicht seine Leute! In einem Haufen von Liniensoldaten kauerten weinend neben einer Leiche zwei kleine Knaben von acht und zehn Jahren... Védel erkundigt sich, man hat ihren Vater erschossen ... er fragt die Kinder: unter krampfhaftem Schluchzen erklären sie: ihr Papa hat nichts Böses getan ... Keine Mutter, keine Verwandten mehr ... Sie wissen nicht, wohin sich flüchten ...
Nach sekundenlanger Überlegung nimmt Védel den Stock unter den Arm und jedes der Kinder an einer Hand. Nachdenklich, tiefes Mitleid auf den wettergebräunten Zügen, kehrt er zu seiner Kompagnie zurück. Unteroffizier und Soldaten drängen sich um ihn:
»Meine Freunde«, sagt er, »hier sind zwei arme kleine Kerle, sie haben keinen Menschen ... Sie sind unschuldig ...«
Ein Augenblick des Schweigens; die Soldaten blickten ihren Hauptmann an und verstanden ihn. Und als Védel fortfuhr: »Sollen wir diese Waisen adoptieren? Der Oberst wird es uns nicht abschlagen« ... riefen zehn Stimmen zugleich: »Ja.« Ein Gemurmel allgemeiner Zustimmung antwortete ihm:
»Sie sollen die Kompagniekinder sein!«
Ein alter Sergeant führte die Weinenden zum Kochkessel und füllte ihnen zwei Schüsseln:
»Wie heißest du?«
»Louis«, sagte der Ältere, »und mein Bruder Pierrot...«
»Nun denn, Pierrot und Louis, eßt da was Warmes!«
Während rings um die Buttes-Chaumont, den Père-Lachaise und Belleville, als letztes Rückzugswerk die Vorbereitungen zu der morgigen großen Operation getroffen wurden, waren die letzten Trümmer der Bataillone der Kommune gegen die Mairie des XX. Arrondissements zurückgedrängt, wo in kopfloser Verwirrung die Anweisungen auf Lebensmittel und Quartier verteilt wurden. Pferde, Wagen drängten und häuften sich um die Kirche; der Generalstab, die verschiedenen Ämter, die wenigen Überlebenden oder Anwesenden der Kommune und des Zentralkomitees hatten sich in der Rue Haxo, in den Häuschen der Vorstadt Vincennes zusammengezogen. Ranvier, das einzige noch figurierende Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, verschanzt sich auf den Buttes-Chaumont hinter seinen zähen Batterien. Die übrigen streiten sich um den letzten Schatten von Macht. Das Zentralkomitee nimmt die Diktatur für sich in Anspruch. Varlin schließt sich ihm an. Ein Legionchef, Oberst Hyppolyte Parent, hat den Spotttitel eines Kriegsdelegierten angenommen. Ferré fühlt in seiner blutigen Arbeit fort.
Der Präsident des Kriegsgerichtes, Gois, hat sich in die Roquette begeben und Befehl gegeben, ihm nebst vier als »Spione des Kaiserreichs« bezeichneten Geiseln alles auszuliefern, was die Eskorte fortzuführen imstande sei. Dreiunddreißig Gendarmen, drei Jesuiten, acht andere Priester oder Seminaristen werden aus ihren Zellen gezogen, ohne daß man ihnen Zeit läßt, die Stiefel anzuziehen, den Hut aufzusetzen, und vervollständigen die Zahl der Opfer. Fünfzehn Stadtsergeanten werden aus Furcht vor einer Rebellion aufgeboten; die Eskorte der Föderierten ist so schwach, daß trotz ihrer Chassepots die Einwohner in der Umgebung der Roquette den Gefangenen zurufen: »Rettet euch!« Diese jedoch marschieren, einen Unteroffizier an der Spitze, in Reih und Glied, in militärischem Schritt vorwärts; hinter ihnen schreiten die Geistlichen, die ihre Kleider am Fortbewegen hindern. In der Rue Oberkampf erhält das Peloton eine Verstärkung; in der Rue Puébla wird es von einer dichten Menge umringt: es sind die Flüchtlinge der Buttes-Chaumont und aller Barrikaden, der gemeine Abschaum des Pöbels. Ein Schrei erhebt sich: »Zum Tod mit den Geiseln!« Der Zug wälzt sich in die Manie, von wo Ranvier ihn zurücktreibt und dem Tod entgegendrängt.
Unter Flüchen, Verwünschungen und drohend ausgestreckten Fäusten erfolgt der Aufstieg zu den Wällen, wo die Exekution stattfinden soll. Die Menge heult, singt und dreht sich in wilden Tänzen. Es ist zu weit bis zu den Wällen, man möge sie hier erschießen! Man drängt sie zum Sektor der Rue Haxo, in der Vorstadt Vincennes, genau vor dem Häuschen, in dem der Generalstab residiert. Vergebens versucht Parent, sich ins Mittel zu legen, er ruft Fortuné Piat, vom Komitee, und Varlin zu Hilfe; sie besteigen die niedrige Mauer des Platzes, sie schwenken ihre Schärpen, sie flehen, sie befehlen. Die Wütenden überhäufen sie mit Schmähungen, drohen ihnen mit dem Tode.
Mit unwiderstehlicher Gewalt werden die Geiseln in den Verschlag getrieben, das Gemetzel beginnt. Man schlachtet an Ort und Stelle; man macht sich einen Spaß, indem man die Unglücklichen über eine niedere Mauer springen läßt, um sie im Sprung zu treffen. Alle, bis auf einen, benehmen sich tapfer. Einer der Gendarmen wendet sich zu den Mördern um und ruft: »Meine Herren! Der Kaiser lebe hoch!« Ein Geistlicher sagt: »Es paßt mir nicht, bei einem Luftsprung zu sterben.« So groß, war die Verwirrung, daß ein Föderierter getötet wurde, als er den letzten springen lassen wollte. Auf den Haufen der Leiber, in dem viele bloß verwundet wimmerten, stampfte man mit den Füßen, Salven wurden abgegeben, mit den Bajonetten stach man in den Haufen. Den Mördern wurde heiß. Männer und Frauen gingen, um sich durch einen Trunk zu erfrischen. Als man am 29. die Leichen aus der Düngergrube zog, in die man sie geworfen, sah man, daß eine der Leichen neunundsechzig Kugeln, ein Jesuitenpater zweiundsiebzig Bajonettstiche empfangen hatte.
Bei Tagesanbruch des 27. setzte sich unter dichtem Nebel, während Clinchant und Douay in ihren Stellungen verharrten und jeden Durchgang absperrten, die Armee an ihren Flügeln in Bewegung, um hinter der Meute die Eisenzange zu schließen und den zersplitterten Widerstand unter einem gewaltsamen Druck zu brechen. Eine Ordre erging an Ladmirault, der tags vorher sich der Rotunde von La Villette, der Schlachthäuser bemächtigt hatte und am Kanal de l'Ourcq stand, Ordre an Vinoy, sich auf der Rechten und der linken längs der Wälle auszubreiten, bis sie sich als Herren der auf der strategischen Linie gelegenen Höhen würden die Hände reichen können. Dann sollte man in gleichzeitigem Vordringen gemeinsam sich auf die Buttes-Chaumont und den Père-Lachaise stürzen und den Rest der Scharen Clinchant und Douay in die Arme treiben.
Es war sechs Uhr abends, als nach einer unaufhörlichen Kanonade und einem hitzigen Handgemenge, das eine Division in Belleville festhielt, die Trompeter Ladmiraults vor den Buttes zum Angriff bliesen und drei Brigaden vorwärtsstürmten. Vom Gipfel weht die Fahne. Nur wenige Föderierte entnommen, lassen die Kanonen, die Munitionsvorräte im Stich; schon beginnt das Gewehrfeuer und trifft jeden, der sich hinter die Steinbrüche d'Amérique geflüchtet hat.
Vinoy konnte nur mit äußerster Schwierigkeit vorrücken, durch das Feuer gehindert, das von der Maine des XI. Arrondissements aus den Place du Trone und seine Reserven reinfegte.
Indessen geraten in der Rue Haxo die Chefs vollends auseinander. Es sind ihrer neun oder zehn, die in beständigem Streite liegen: Varlin, Ranvier, Trinquet verlangen, daß man noch weiter kämpfe. Allix der Tolle, aus unbekanntem Dunkel aufgetaucht, peroriert: Man brauche nur in die leeren Stadtteile hinabzusteigen... Paris ließe sich mit geringer Anstrengung zurückerobern. ... Der Kriegsdelegierte Parent hat die Nähe der Porte de Romainville, wo zwei- bis dreitausend Einwohner von Belleville sich zusammengeschart hatten, benützt, um hinter den Freimaurern zu entschlüpfen, die die Zugbrücke senken ließen, um von den bayrischen Vorposten für diese Nichtkombattanten freien Durchzug auf das neutrale Gebiet zu verlangen. Die Gendarmen von Romainville drängen die jammernde Menge, auf welche eine feindliche Wache Feuer gibt, in die Mausefalle zurück. Parent wird abgewiesen, ebenso Arnold, den die Deutschen wie ein Wundertier von Posten zu Posten hetzen und schließlich zurückschicken, ohne seinen Brief für den amerikanischen Gesandten annehmen zu wollen.
Ferré, der nur an die Geiseln denkt, hat sich persönlich in die Grande-Roquette begeben; dort haben jedoch die dreihundertfünfzehn übrig gebliebenen Geiseln und etwa hundert gefangene Verbrecher, vor dem ihrer harrenden Schicksal nur zu gut gewarnt, sich empört und in ihre Sektionen eingeschlossen. Ferré hält sich dafür an den dreizehnhundert Soldaten der Petite-Roquette, den am 18. März im Stich Gelassenen, schadlos. In drei Detachements, bei ihrem Auszug von den Krämern mit dem sympathischen Ruf: »Die Liniensoldaten leben hoch!« – man hält sie jetzt für zum Volke übergegangene Versailler – begrüßt, werden sie nach Belleville geführt und in die Kirche gesperrt.
Indessen umringten eine Handvoll Tapferer die Batterien, die seit vier Tagen dem Montmartre antworteten und eine Flut von Kugeln über die, Häuser spien. Acht Geschütze versperrten den Kreuzweg vor dem Mausoleum von Morny, von wo aus man Paris überblickt; drei andere waren ganz in der Nähe am Fuß der Pyramide von Beaujour aufgefahren. Die Kapellen der Umgebung, deren Gitter und Türen erbrochen waren, hatte man mit Strohhaufen und Kehricht bedeckt, zu improvisierten Schlafstellen und Munitionsmagazinen umgewandelt. Ein heftiges Gewehrfeuer knatterte in der Totenstadt, wo die Marineinfanterie, von Grab zu Grab gleitend, in den langen Avenuen auftauchte und nach momentanem Zurückweichen mit einigen herbeigeeilten Bataillonen wieder vorrückte. Da ergriff eine Panik einen Teil der Föderierten. Bei einbrechender Nacht, unter endlos niederrieselndem Regen, erkletterten sie die Mauern und stürzten zu einer kleinen Pforte.
In einer Gruppe von etwa zehn Männern, die vor der Pyramide die drei kotbedeckten, beständig rauchenden Geschütze bedienten, rief eine spöttische Stimme die Fliehenden an:
»Heda, ihr Hasenfüße! nicht so schnell!«
Es war Anatole. Er fuhr fort:
»Was wollen sie denn nur? Man hat doch von hier aus eine so schöne Aussicht!«...
Zu ihren Füßen breitete sich schwarz und lärmend die Riesenstadt, in der die großen Scheiterhaufen unauslöschbar flammten. Aus Montmartre schossen die Feuergarben empor; ungeheuere Wolken wälzten sich darüber hin, vom Flug der Geschosse durchzuckt. Aus den Docks der Villette stiegen, die mit Alkohol und Öl getränkten Flammen auf und erhellten Himmel und Erde mit fantastischen Lichteffekten.«
»Das Panorama ist nicht alltäglich, wie, Bürger Levidoff?«
Ein Ton unsagbarer Bitterkeit klang aus Anatoles Lustigkeit. Seit ihrer unverhofften Rettung lebte er in einem Fieber der Erregung, betäubte sich in Tätigkeit, um nicht denken zu müssen, und dachte doch wieder Willen unablässig an die Seinen zurück, die dort unten im Todesschlaf lagen! Zu ihnen zurückkehren! Levidoff und Dury hatten ihn zurückgehalten... Wollte er schon sterben, so sollte er doch seine Haut teuer verkaufen und die Ermordung der anderen rächen.
Dury wandte dem Freunde sein vor kurzem noch so jugendfrisches, heute, um Jahre gealtertes, doch immer noch schönes Antlitz zu und sprach mit rauher Stimme:
»Das ist das Ende!«
Und aus diesem Wort voll düsterer Glut sprach ebensoviel Freude wie Verzweiflung.
Levidoff verstand und murmelte mit stolzer Zärtlichkeit:
»Wozu den Tod herbeisehnen? Bereit zu sein genügt.«
Dury nahm eine Granate vom Fuß der Pyramide, reichte sie dem Bedienenden und sprach nach kurzem Schweigen:
»Die Sache ist verloren! und, was noch schlimmer, verloren, beschmutzt durch uns. Mord, verbrecherische Brandschatzung... Alle, selbst uns, deren Hände rein sind, trifft der Fluch, treffen die Verwünschungen der Menge... Eine Revolution, die sich friedlich hätte gestalten können bei solchen Hilfsmitteln und Paris als Hebel... Mit weich festem Vertrauen habe ich diese Morgenröte begrüßt!... Wir haben das Glück der Mehrzahl gewollt und werden es für lange Zeit verzögert haben.«
Sein Schmerz ergriff Levidoff in tiefer Seele. Als kalter Logiker jedoch, der seine rigorosen Überzeugungen bis an die letzte Grenze zu, verfolgen gewohnt war, fand der Russe die bürgerliche Moral seines Freundes allzu kleinlich. Mit Reichtum gesegnet, als Fremder, den keine Erinnerung an den Boden knüpfte, wog ihm die ganze Vergangenheit leicht und löste sich die Frage einer besseren Zukunft wie ein einfaches Theorem. Er antwortete:
»Unsere sterblichen Augen haben nur einen engen Horizont. Wir sehen den Dünger, nicht die Ernte, die er befruchtet... Wer weiß, ob diese Exzesse, die Sie beklagen, nicht durch eben ihre Maßlosigkeit von Nutzen gewesen sein werden, indem sie die unterdrückten Klassen in Schrecken und Angst versetzten, ihnen zeigten, welche Wunden zu heilen, wie viel Gutes zu leisten sei... Sie glauben das Übel zu züchtigen und tadeln damit selbst ihren blinden Unverstand, ihren tauben Egoismus...«
Dury schüttelte müde den Kopf:
»Nein, mein Leben ist besudelt, ich kann an nichts mehr glauben, ich werde unsere Niederlage nicht überleben... Wenn ich verwundet werde, tun Sie mir den Liebesdienst, geben Sie mir den Gnadenschuß!«
Levidoff seufzte:
»Mein Freund, in Ihnen bäumt sich der Hochmut. Wir alle haben auf Erden eine Mission: leben bis zum letzten Atemzug... unser Schicksal bis ans Ende vollenden. So lange ein Atem in uns lebt, die Ungerechtigkeit bekämpfen, dem langsamen Fortschritt dienen... Wenn unsere Stunde gekommen ist, wird sie uns mahnen. Wenn nicht, so wollen wir als Männer die Folgen unserer Taten tragen. Dury, für unsere sterbliche Hülle gibt es nur ein Ende: den Tod. Und dann werden nach unserem Beispiel andere unser Werk fortsetzen ... Sie glauben an die Gegenwart, Sie wollen die Entwicklung der Menschheit an die Minute fesseln. Blicken wir in die Zukunft!«
So besprachen sich, vom Wirbelsturm des Todes umbraust, diese jugendlichen Seelen, diese Träumer, deren regengepeitschte Stirn sich der wimmelnden Stadt zuwandte, dem Schmelzofen unbekannter Stunden, während ihre Füße auf die fette Erde der Gräber traten.
Zwei Stunden später lag Dury, die Lunge von einer Kugel durchbohrt, neben den verlassenen Kanonen ... Levidoff hatte ihn trotz der wachsenden Gefahr, – schon erreichten die Marinefüsiliere den Kreuzweg, – nicht eher verlassen, als bis er sich, das Ohr an die entblößte Brust des Freundes gepreßt, überzeugt hatte, daß das Herz still stand...
Während in dem endlich eroberten Père-Lachaise dieser leblose Körper, an einen Stein gelehnt, unter anderen, fremden Leichen erkaltete, warfen Anatole und der Russe, nachdem sie bei der Barrikade der Place de Puébla sich noch geschlagen, ihre Gewehre fort und versuchten zu entkommen...
Als der Tag graute, drängte überall der Kampf dem Ende zu. In einer verlassenen Schänke der Rue des Vois aßen Levidoff und der Bursche in Eile ein Stück Brot, ordneten ein wenig ihre Kleider und wuschen sich die von Pulver und Staub geschwärzten Gesichter und Hände. Sie hofften, unbemerkt durchkommen zu können und schlichen vorsichtig bis zum Nordbahnhof; dort fielen sie in eine im Marsch begriffene Gefangenenkolonne ... Kehrt machen hieß sich selbst verraten ... Ein Offizier bemerkte die regungslos, zögernd Stehenbleibenden ... »Hierher ... Zeigt die Hände ...« Enttäuscht befahl er ihnen, die Röcke zu öffnen und suchte nach dem verräterischen blauen Streifen:
»Laßt die Schultern sehen ... Ah! ah! ... In den Rang mit euch, zu den anderen!«
Sie erkannten die Nutzlosigkeit des Widerstands und traten in die Herde ein. Ein langer, schlotteriger Kerl hob den Kopf.
»Wie man sich wiederfindet!« sagte Anatole.
Es war Therould. Ein melancholisches Lächeln glitt über die Lippen des Zigeuners. Er war mit drei anderen Mietern in seiner Behausung aufgestöbert worden ... Vorbei war's mit dem Lachen seit mehreren Tagen schon ... Am vierundzwanzigsten, nach den ersten Bränden, nach der Ermordung Chaudeys, hatte er sich von der Clique losgesagt ... Kneipen, lustig sein so viel man wollte. Auch mit der Politik mochte es noch hingehen ... Beim übrigen aber tat er nicht mi t... Mit dem wachsenden Abscheu hatte eine völlige Ernüchterung ihn in seinem Schlupfwinkel überfallen ... Schade, daß es so endete, es hatte so hübsch angefangen ... Jetzt hieß es die Zeche bezahlen, das war weniger lustig:
»Nicht wahr, Cleclo?«
Ein wenig hübsches Weib mit Stumpfnase und kleinen Augen nickte zustimmend. Es war die Prostituierte, die er aus Erbarmen zu sich genommen hatte. Als sie ihren Freund fortgeführt werden sah, folgte sie ihm aus freien Stücken wie ein treuer Hund.
Unter strömendem Regen in einer Bastion zusammengepfercht, warteten sie, bis die Kolonne durch das Eintreffen anderer Gefangener vermehrt wurde. Es war ein merkwürdiges Gemisch aller Gesellschaftsklassen, der lange Rock des Professors neben dem kurzen Rock des Beamten, die elegante Robe einer Bürgersfrau neben dem Kostüm einer Marketenderin, Junge, Alte, wütende Föderierte, harmlose Einwohner, Arbeiter, Hausbesitzer, weißhaarige Frauen, Kinder; Leute, die die Kommune unterstützt und andere, die sie gehaßt hatten; grundlos von der Straße mitgeraffte Passanten, Opfer eines Irrtums oder der Rachsucht, alles, was von der willkürlichen Härte des Siegers festgenommen, von der öffentlichen Gemeinheit denunziert wurde.
Zu Zweien wurden sie an den Händen zusammengebunden, dann zu Vieren in einer Reihe durch eine Schnur gefesselt. Wer sich sträubte, dem zog man die Schnur so fest zusammen, daß das Handgelenk blutete, oder man traktierte ihn mit Kolbenschlägen. Endlich setzte sich zwischen aufgepflanzten Bajonetten die Kolonne in Bewegung. Unterwegs rottete sich eine Menge zusammen, die in schäumenden Zorn und Wutgeheul ausbrach. Zuweilen vermehrten sich die Reihen durch einen unerwarteten Zuwachs: ein Individuum, das heulte: »Schießt sie alle gleich tot!« – »Du, du brüllst zu laut, als daß du es aufrichtig meinen könntest!« – Ein Neugieriger, den ein alberne Spaßvogel in die Kolonne stieß ... Eine Frau, die gesagt hatte: »Arme Menschen!«
Bei der Trinité rief man: »Halt!« Stimmen kommandierten: »Auf die Knie!« Rohe Fäuste rissen die Käppis, die Hüte von den Köpfen; vor der Fassade der Kirche mußten die Gefangenen zur Buße für begangene Missetaten und Gottesverleugnung den Rücken beugen und sich bekreuzen. Im Faubourg Saint-Honoré wurde das Wut- und Hohngeschrei ohrbetäubend: das war die Dienerschaft der reichen Paläste, Kammerdiener mit blaurasiertem Kinn, Küchenjungen, wohlgenährte Kutscher, lasterhaft aussehende Zofen ...
Vor den Toren lösten Husaren die Infanterie ab und rüsteten ihre Musketen. Manche Frauen glaubten, man wolle sie erschießen. Viele, die sich nicht mehr fortschleppen konnten, wünschten den Tod herbei. Wehe dem, der seinen Schritt verlangsamte und Unordnung in die Reihen brachte. Zuweilen krachte in der Nachhut ein Schuß; erleichtert setzte der Zug seinen Marsch fort. Therould war so erschöpft, daß Cloclo bei der Brücke von Sèvres ihn stützen mußte; Levidoff bewegte sich mit automatenhafter Ruhe vorwärts, ganz in kalter Willenskraft erstarrt. Anatole pfiff leise vor sich hin, ebensosehr, um seiner Wut Luft zu machen, als den Reiter vor sich zu ärgern, der, den Mantel über die nasse, Mähne des Pferdes gebreitet, hin und her schwankte ...
Als sie in Versailles sich den Gittern näherten, waren sie nach dem endlosen Marsch durch den Schlamm der Straßen, in dem viele ihre Schuhe gelassen hatten, nur noch eine Masse namenloser Geschöpfe. Sie waren so mit Kot bedeckt, so zerlumpt, so bleich vor Hunger, Durst und Ermattung, die Frauen mit aufgelöst flatternden Haaren, die Männer mit wild wuchernden Bärten, ihr Aussehen so verwildert und gebrochen, daß die an den Toren zusammengeströmten Zuschauer einen Schrei haßerfüllter Rachgier ausstießen.
Noch immer nicht gesättigt an dem unaufhörlichen Defilé, in dem Tausende von Unglücklichen schweißtriefend, erschöpft und vor Durst keuchend, in erstickendem Staub und sengender Sonnenglut vorbeigezogen waren, empfingen sie auch diese Kolonne mit einem Hagel von Schimpfreden. In der Avenue de Paris war das Spalier so dicht, daß die Hände sich im Vorüberziehen kratzend und ohrfeigend auf die Gesichter der Unglücklichen senkten. Mit ihren kotbespritzten Regenschirmen stachen elegante Damen in das armselige Fleisch, nach den Augen. Keuchend entrang sich den Kehlen das tierische Geschrei der Folterknechte. Eine heisere Stimme gellte: »Reißt ihnen die Nägel ab!« Auf eine Unglückliche, die sich nicht mehr weiterschleppen konnte und, von Säbelhieben getroffen, niedersank, stürzten sich die Wütenden, hoben ihr mit den Fußspitzen die Röcke auf, ein Spazierstock bohrte sich in ihren Bauch.
Vor der Anhöhe von Satory wurde der Marsch beschleunigt. Die eiligen Anführer stießen die Horde vorwärts, warfen sie aufs Plateau. Mitrailleusen bewachten dessen Zugang, auf die ungeheuere Herde von Schlachtvieh gerichtet, Sie füllte die Magazine, den Gutshof mit einem lebendigen Amalgam zusammengedrängter, in sittenloser Gemeinschaft verschmolzener Körper. »Niederlegen!« Vergangene Nacht waren Schatten aufgestanden, sogleich von einer Salve niedergestreckt. Und vor den drohend gesesenkten Kanonen, den schußbereiten Mitrailleusen in finsterer Regennacht lag die elende Masse, von Frost geschüttelt, die Seele im Todeskampf zuckend.
Denselben Tag, zu derselben Stunde, da die jammervolle Kolonne Sèvres passierte, rollte ein Wägelchen der Hauptstadt zu. Martial krampfte sich das Herz zusammen beim Anblick dieser Defilés von Männern und Frauen mit gefesselten Händen, deren düstere oder trotzig wilde Haltung, deren erhobene oder abgewandte Blicke ihn an die barbarischen Gefangenenzüge auf den aus den Anfängen der Geschichte stammenden Bas-Reliefs gemahnten ... Er ahnte nicht, daß er an Therould, an Anatole vorbeikam. Und doch hatte die Erinnerung an sie und an die übrigen Simons ihn mehr als einmal während der langen Stunden der Heimreise beschäftigt.
Den zwanzigsten nach Florenz abgereist, war er erst bis zum Lago Maggiore gelangt und hatte in Pallanzo die Nachricht von dem blutigen Straßenkriege, der verheerenden Feuersbrunst erfahren. Mit einem Schlage hatten sich die Pracht der türkisblauen Wasser, der duftgeschwängerten Inseln, der herrliche Baldachin von Blau und Gold, der sich über dieses unvergleichliche Bild, über die reine violette Linie des anderen Ufers spannte, in Trauerschleier gehüllt. Der Hauch von Frieden, der langsam seine sturmbewegte Seele zu glätten begonnen, das Wiederaufblühen seiner Künstlerseele in diesem Lande der Schönheit – all die Hoffnungen auf reine Freuden, auf edle Genüsse zerstoben, verflogen! Alles, was er hatte vergessen, fliehen mögen, erstand wieder mit furchtbarer Gewalt ... Arbeit, Kunst, Leben, was galt all das in dieser Stunde des Grauens, da die Wütenden einander niedermetzelten, erwürgten! Was blieb morgen noch von Paris übrig?
Das Herz von qualvoller Sorge um die bedrohten Lieben erfaßt, drängte es ihn, den fremden Boden wieder zu fliehen, dieses köstliche Stück Erde, zu dem er mit so heißer Sehnsucht sich geflüchtet ... Die Langsamkeit der Postfahrten, der Züge, die Spärlichkeit der Nachrichten, die grellen und widersprechenden Berichte der Zeitungen stachelten noch seine Ungeduld, erhöhten seine Besorgnis ... Wenn nur sein Vater nicht wieder verhaftet war! Unwillkürlich bangte ihm für seine Mutter, obgleich sie in ihrem Häuschen nichts zu fürchten hatte ...
Der Anblick des von Truppen entblößten, mit Gefangenen überfüllten Versailles, die verhaßten Schritte, dank der Vermittlung Grandprés einen Paß zu erhalten, die Fahrt in die verwüstete Bannmeile, das seltsame, schreckliche Bild der Stadt hatten sein Angstgefühl bis zum Unerträglichen gesteigert. War das Paris, dieses rauchende Schlachtfeld mit den zusammenstürzenden Häusern, den zerbrochenen Fensterscheiben, den von Kugeln durchlöcherten Mauern, mit den zum Teil ausgestorbenen, zum Teil mit mildem Lärm erfüllten Straßen, den Haufen umhergestreuter Pflastersteine, den offenen Laufgräben, den mit Kot und Blut besudelten Trottoirs? War das Paris, dieser Friedhof, in dem unaufhörlich Leichenwagen, große, mit tannenen, schlecht vernagelten Särgen beladene Fuhrwerke ihre Furchen zogen; diese Parks, in denen man versank und in denen ohne Unterlaß immer neue Opfer unter dem mörderischen Feuer zu Boden sanken? War das Paris, diese von pestilentialen Gerüchen von Schweiß, Petroleum und Verwesung vergiftete Schlachtbank, diese kaum gelöschten, hier und da noch glimmenden Scheiterhaufen? Überall Soldaten, Gewehrpyramiden, aufgeprotzte Kanonen, dräuend geöffnete Feuerschlünde, Kavallerie-Patrouillen mit blanker Waffe, die schwere militärische Macht, die auf der eroberten Stadt wuchtete. Überall Menschen, die man fortschleppte, verfolgte, und diese langen, mit Wutgeheul begleiteten Gefangenenzüge! Überall Leute, die ihre Häuser verlassen hatten, in traurigen, flüsternden Gruppen beisammenstanden oder triumphierend, die Truppensoldaten feiernd, alle erleichtert, viele plötzlich tapfer geworden und auf gut Glück denunzierend.
Unter tausend Schwierigkeiten gelang es ihm endlich, Montmartre zu erreichen. Eine düstere Ahnung trieb ihn vorwärts. Von den Schwellen der Türen verfolgten ihn die Blicke mißtrauischer Kaufleute. In der Nähe der Rue Sainte-Scolastique begann er zu laufen, langte atemlos an. Der Riegel war geschlossen. Er läutete. Melanie erschien. Sie schlug erstaunt die Hände zusammen und lief zum Gitter. Der Anblick ihres ruhigen Gesichtes legte sich wie Balsam auf sein Herz.
»Nun?« rief er.
»Wir haben Schweres durchgemacht, Herr Martial, aber es ist vorbei!«
Schon erschien am Fenster Frau Poncets derbes, gütiges Antlitz. Ein Schrei, und ehe noch Martials Schritte auf dem Kies des Gartens knirschten, war seine Mutter unten, eilte sein Vater mit geöffneten Armen ihm aus dem Laboratorium entgegen. Er lag an ihrer Brust, er umarmte sie wieder und immer wieder. Aus ihren eingefallenen Wangen, ihrer bleigrauen Gesichtsfarbe, ihren geschwollenen Augen erriet er, was sie, ohne daß er es geahnt, gelitten haben mochten. Ein Gezwitscher dünner Stimmchen, ein blasses, mageres Köpfchen, das sich aus einem Fenster des ersten Stockwerks beugte, erregten seine Aufmerksamkeit. Doch seine Eltern klärten ihn mit wenigen leisen Worten auf und führten ihn ins Speisezimmer.
Und nun erzählten sie in oft unterbrochenen Sätzen das traurige Erlebnis: Catisse' Tod, Frau Poncets und Zézées Qualen bis zum Tagesanbruch, bis es Poncet gelungen war, sie zu befreien, und wie sie bei ihrer Heimkehr eine neue Unglücksnachricht empfing: eines der Kleinen, Lilli, in diesem Orkan des Aufruhrs, in dem sie stundenlang auf der Suche nach ihrem Vater umhergeirrt, verloren, untergegangen ... War sie tot, krank oder von einer mitleidigen Seele aufgenommen worden? Niemand wußte es ... Drei Tage lang hatten Poncet und seine Frau im ganzen Viertel nach ihr gesucht ...
Es war das für sie nicht der geringste Schmerz in diesem ungeheueren Drama, das Verschwinden dieses zarten, kleinen Wesens, das wie ein schwaches Vögelchen von der Gewalt des Sturmes fortgerissen worden war ... Zézée, über ihr Alter hinaus ernst und verständig, bewahrte allein als zärtliches Mütterchen das traurige Geheimnis und antwortete auf die Fragen der Kleinen stets: »Lilli ist bei Papa, sie machen eine weite Reise ...« Und von Zeit zu Zeit geht ein Schauer durch ihren schmächtigen kleinen Körper.
Martial fühlte seinen Abscheu noch wachsen. Waren das Zivilisierte, zu denen er zurückkehrte? Mit gebrochener Stimme berichtete ihm sein Vater, was er aus Mitteilungen seiner Freunde wußte, denn er selbst hatte, außerstande, nach solchen Erschütterungen sich noch weiter mit der öffentlichen Sache zu befassen, darauf verzichten müssen, zur Liga zurückzukehren. War schon jede Hoffnung, die Niederlegung der Waffen zu erwirken, vergeblich, so war es der Liga doch wenigstens gelungen, einige Gebäude zu retten.
Mit Hilfe von zwei oder drei Mitgliedern des Zentralkomitees, die so fassungslos und ratlos waren, daß sie beschlossen, sich zugunsten der Liga zu verwenden, hatte man es durchgesetzt, den Brand des Getreidemagazins zu beschränken und, – dank dem 15., aus Künstlern bestehenden Bataillon, das auf Bouvalets Bitten entschlossene Wachposten aufgestellt hatte, – zu verhindern, daß auch das Gewerbemuseum, die Nationaldruckerei, die Mairie des III. Arrondissements, der Temple, die Urkundensammlung und Notre-Dame ein Raub der Flammen wurden. So hatte die Liga bis zum letzten Augenblick Zeugnis von ihrem Patriotismus und ihrem Verstande abgelegt.
So niedergeschmettert er auch war und gezwungen, sich zu verstecken, um den Eifer der siegreich zurückgekehrten ehemals kaiserlichen Polizei nicht auf seine Fährte zu lenken, so war Poncet doch stolz darauf, zu jenen gehört zu haben, die unermüdlich die Versöhnung angestrebt, zu jenen vielgeschmähten und vielgehaßten Männern, denen Versailles jetzt weniger denn je verzeihen würde. Sein Gewissen war ruhig, er konnte es nicht bereuen, diese undankbare Rolle übernommen zu haben; er hatte damit nur seine Pflicht getan.
Nach zwei Stunden traurigen, traulichen Gespräches entriß sich Martial dem Wohlgefühl des Zuhauseseins; er wollte vor Nacht noch sich in die Rue Soufflot begeben und zum Abendbrot wieder daheim sein. Es drängte ihn, zu wissen, ob sein Atelier unversehrt, seine Statuen unberührt geblieben. Es drängte ihn, diese hartgewordenen Skizzen wieder zu berühren, die Zeugen so vieler qualvoller Stunden, die Früchte schmerzlicher Träumereien. Auch wollte er Nachrichten von Thédenat heimbringen.
Wieder umfängt ihn das Bild der verwüsteten Stadt, die unter dem zugleich erlösenden und knechtenden Joch in Freude und Schrecken bebte. Mehr als zwanzigmal mußte Martial seinen Paß vorzeigen. Mit melancholischer Ironie gedachte er jenes anderen, von Raoul Rigault unterzeichneten Passierscheins, der so oft ihm als Schutz gedient und heute, bei ihm gefunden, sein sicheres Todesurteil bedeutet hätte ... Er war froh, es vernichtet zu haben ... Wie, sollte er denn nie ans Ziel kommen? Da wurde er im Vorübergehen bei einem brennenden Hause angehalten.
»An die Kette!«
Feuerwehrleute aus der Normandie arbeiteten hier mit fieberhaftem Eifer. Alle Departements hatten deren geschickt, mehrere waren sogar aus England und Belgien herbeigeeilt. Von den von der Kommune verwendeten, den Überläufern der Ordnung sowohl wie den ersten, die sich am Rettungswerke beteiligt hatten, war ein großer Teil von Versailles erschossen worden. Hatte doch die alberne Leichtgläubigkeit der Menge beim Anblick der unter der Kraft der Wasserstrahlen hoch aufzischenden Flammen behauptet – auch eine von der Furcht ausgebrütete Legende –, daß diese Elenden, unter dem Verwand, das Feuer zu löschen, es mit Petroleum schürten!
Endlich frei geworden, erreichte Martial, durchnäßt und mühsam seine Aufregung bemeisternd, die Seine. Als geschwärzte Ruinen ragten die Paläste in den trostlos trüben, von dichten Regenwolken verhangenen Himmel. Das Laub der Bäume war wie durch einen vorzeitigen Herbst gerötet. Alles Schlachtengetöse war verstummt. Schweres, tödliches Schweigen lastete auf den verödeten Kais, über dem schmutziggelben Strom, durch den ein schmaler roter Streifen sich zog.
In der Rue de Seine kam ihm ein Geistlicher entgegen, der plötzlich aufs andere Trottoir hinüberschwenkte ... Sein Kinn war frisch rasiert, die Augen fromm gesenkt ... Diese gedrungene Gestalt, dieses schwarze Haar, das leicht gelockt über den Kragen der Soutane fiel, dieses runde, gutmütige Gesicht ... Das war ja Fernol! ... Der Zimmermeister fühlte sich erkannt und erbleichte. Seine ganze Haltung, seine zusammengesunkenen Schultern schienen um Schonung zu flehen. Martial vermochte ein leises Lächeln nicht zu unterdrücken. Er war nicht schlecht gewesen, der dicke Mann. Er hatte mehr Lärm gemacht, als Böses getan.
Endlich stand Martial in der Rue Soufflot, vor dem altvertrauten Hause. Nur wenige weiße Risse in der grauen Mauer, die frisch vergipsten Kellerlöcher gemahnten an den Kampf. Doch unter dem Haustor standen erregt gestikulierende Gruppen. Was war geschehen?
Als Frau Louchard Martial erblickte, stieß sie einen Schrei der Überraschung aus; die Umstehenden machten dem jungen Manne Platz und empfingen den »den Klauen dieser Ungeheuer« entkommenen ehemaligen Deserteur mit Ausdrücken der Sympathie. Die Stimmen schwirrten durcheinander. Die Louchard jammerte:
»Wenn Sie wüßten, Herr Martial! das ganze Viertel ist in Aufregung. Die arme Frau Villoir, wer hätte das gedacht ...«
»Nun?« fragte Martial.
»Vor einer Stunde erschossen ... Und sie war so froh, daß ihr Mann zurückgekommen ist, und noch dazu mit einer Beförderung ... Sie hat ihn heute morgen wiedergesehen. Sie war wie toll. Sie hätt' am liebsten getanzt ... Schon seit die Versailler eingezogen sind, hat sie immerfort gelacht bei dem Gedanken, daß man jetzt mit diesen Kanaillen Abrechnung halten wird ... Und eben erst hat sie zu mir gesagt: »Ich geh' um Essig zum Salat...« Ich sehe noch ihre Kanne. Es scheint, daß sie unterwegs sich gebückt hat, um ihre Schuhbänder fester zu knüpfen. Eine Dame, die vorübergeht, sieht sie und schreit: »Die Petroleuse!« ... Soldaten kommen herbei ... Ein anderer behauptet, gesehen zu haben, wie sie ihre Kanne ins Abflußrohr entleert hat ... Und keiner hat den Mut gehabt, zu sagen, daß er sie kennte, die brave Frau ... Ach ja, es hat nicht lang gedauert! ... Wer entschuldigen Sie! da kommt Louchard mit den Soldaten herunter ...«
Martials Nachbar zog ihn am Ärmel und vertraute ihm an: »Ein Beamter der Kommune, den man da wegführt!« ... Achtungsvoll machten die Umstehenden der bewaffneten Justiz Platz. Fassungslos, verstört erschien Delourmel, von Infanteristen eskortiert. Vergeblich erschöpfte er sich in Beteuerungen: er war nicht der Philoxène Delourmel, der Divisionschef im Rathaus gewesen; er hieß Thomas Delourmel, hatte unter der Belagerung gedient, und niemand liebte die Ordnung so wie er ... Ohne Erbarmen schleppte die Eskadre ihn fort. Mit heiterer Miene blickte Louchard ihm nach.
Martial, der in seiner Verblüffung kaum Zeit gefunden, die Lippen zu öffnen, stürzte auf den Portier los: »Aber Sie wußten doch ...« Gellendes Geschrei unterbrach ihn: »Zu Hilfe! Zu Hilfe!«... Das kam aus dem Hofe. Sie stürzten hin, blickten in die Höhe.
An einem offenen Fenster des dritten Stockwerks stand auf dem Fensterbrett, auf das sie geklettert, eine große, hagere alte Frau mit gelösten, weißen Haaren. Es war Delourmels Tante Elodie, bei der all die Aufregungen und Erschütterungen den Wahnsinn zu vollem Ausbruch gebracht hatten. Frau Delourmel hielt sie krampfhaft mit den Armen umschlungen, doch Tante Elodie riß sich gewaltsam los. Ein herzzerreißender Schrei, und während Frau Delourmel die Hände rang, stürzte die Wahnsinnige, blitzschnell die Luft durchschneidend, aufs Pflaster nieder.
Martial und den anderen Anwesenden stockte vor Entsetzen der Atem. Eine Blutlache bildete sich. Mit zerschmetterten Gliedern und gespaltenem Schädel lag die Leiche auf dem Rücken.
In Chenots Hauptquartier hatte Du Breuil seit dem Mittwoch Stunden der Empörung, Stunden tiefster Niedergeschlagenheit durchlebt. Aus der Geschäftigkeit des Kampfes sah er sich in die noch peinlichere Geschäftigkeit dieser letzten Tage versetzt, während derer auf dem ganzen linken Ufer von oben her einlaufende Befehle die Unterdrückung und Entwaffnung im Großen organisierten. Das kurze Drama der Simons, das wegen der heroischen Haltung der vor kurzem ihm noch fremden, nun unauflöslich mit seinen Gedanken verschmolzenen jungen Leute tiefer als jedes andere ihn ergriffen hatte, verfolgte ihn mit der düsteren Poesie ihres liebeverklärten Todes. Dieses in voller Blüte geknickte Glück rührte ihn aufs tiefste; eine geheimnisvolle Analogie schien zwischen diesen beiden und seinem eigenen und Aninas Glück zu bestehen ... Die ununterbrochene Reihenfolge anderer, nicht weniger tragischer Szenen erfüllte ihn mit unsagbarem Ekel, mit einer Empörung, die er verbergen mußte und die ihn zu ersticken drohte.
An demselben Tage, da die drei Simons den Tod fanden, wurde das dreihundert verwundete Föderierte beherbergende Seminar Saint-Sulpice erstürmt. Auf die Denunziation eines Unbekannten hin war eine Linienkompagnie herbeigeeilt: »Befinden sich Insurgenten darinnen?« – »Ich habe nur Verwundete!« versetzte Doktor Faneau. Da war, so erzählte man, aus dem ersten Stockwerk ein Flintenschuh abgefeuert worden. Wütend hatten die Soldaten den Doktor niedergeschlagen, sich in die Säle gestürzt und das Gemetzel begonnen. Vergebens versuchte ein Hauptmann der Chasseurs zu Fuß einzuschreiten. Cissey hatte, eiligst benachrichtigt, persönlich aus dem Luxembourg herbeieilen müssen. Inzwischen waren schon sechzig Föderierte hingemetzelt worden.
Denselben Mittwoch war von einem General im Jardin des Plantes Befehl gegeben worden, Cernuschi, dessen Verhaftung man ihm angezeigt hatte, hinzurichten: »Cernuschi? Der Mann, der hunderttausend Franks zur Bekämpfung des Plebiscits gegeben hat? ... In fünf Minuten muß er tot sein!« ... Nur einem Zufall verdankte er seine Rettung ... Welche Zeiten, da ein Mann einzig wegen der Schuld, das Kaiserreich angegriffen zu haben, zum Tode verurteilt wurde!
Am zweitnächsten Tage erfolgte Millières Hinrichtung. Ein wenn nicht vorbedachter, so doch mit kaltem Willen ausgeführter Mord. Du Breuil frühstückte diesen Morgen mit dem Generalstab bei Foyot; ein Deputierter, der Marquis de Quinsounas, saß an Cisseys Tisch. Unter den Fenstern macht ein lärmender Trupp Halt; die aufgeregten Soldaten schreien wie die Menge; etwa hundert Individuen heulen: »Zum Tod mit ihnen! ... Schießt sie nieder!« Du Breuil neigt sich aus dem Fenster, erkennt den Volksvertreter an dem kalten, puritanisch strengen, von langen Haaren umrahmten Gesicht, den er im März in der Nationalversammlung, im Saale des Schloßtheaters, der Majorität trotzen gesehen, die ihn mit erhobenen Fäusten bedrohte und am Sprechen hinderte ... Du Breuil entsinnt sich: Millière verlangte nur, daß der die Vorgänge des 18. März brandmarkenden Proklamation die Worte hinzugefügt würden: »Es lebe Frankreich! Es lebe die Republik!« Verleumderische Legenden werden verbreitet, stempeln den Deputierten – dessen ganze Aufgabe darin bestanden, die republikanische Allianz der Departements platonisch mit der Kommune zu vereinigen, und dessen Verbrechen es war, Jules Favres Privatleben enthüllt zu haben, – zum Henker der Widerspenstigen, zum Anführer der Brandstifter und verwechseln ihn mit einem Namensvetter ... Du Breuil erfährt den großherzigen Grund seiner Verhaftung: Millière lieferte sich aus, um seinen Schwiegervater zu retten, – und gleichzeitig das von Cissey am Frühstückstisch diktierte Urteil: Millière soll im Pantheon erschossen werden, knieend, um die Verzeihung der Gesellschaft für die ihr angetanen Übel zu erbitten.
Er hatte das Gespräch des Gefangenen mit dem mit der Konstatierung seiner Identität beauftragten Hauptmann Garein erfahren. »Ich habe Artikel von Ihnen gelesen, die mich empört haben; Sie sind eine Viper, die man zertritt ... Sie werden erschossen werden ... Sobald Sie sagen, daß Sie Millière sind, bleibt nichts anderes zu tun übrig.« – Er hatte auch erfahren, mit welchem Heroismus Millière gestorben war.
Unter heftigem Regen hatte man ihn zum Pantheon geführt und ihn auf die oberste Stufe zwischen den Mittelsäulen sich stellen geheißen. Er hatte Garein verschiedene Gegenstände übergeben, darunter auch ein Medaillon, das er um den Hals trug. Man hatte ihn umdrehen wollen, um ihn in den Rücken zu schießen, doch er hatte sich entrüstet abgewandt. Nun befahl ihm Garein, niederzuknien und, als er sich sträubte und Rock und Weste über der weißen Hemdbrust öffnete: »Sie spielen Komödie ... Sterben Sie ruhig, das ist besser!« Zwei Soldaten hatten ihn gewaltsam auf die Knie gezwungen, und während die Gewehre sich auf ihn richteten, hatte er dreimal gerufen: »Hoch die Republik!« Der das Peloton kommandierende Offizier hatte das Manöver von neuem beginnen lassen; Millière hatte noch Zeit gefunden, mit lauter Stimme zu rufen: »Es lebe das Volk! Es lebe die Menschheit!« ... Dann krachte die mörderische Salve, der Gnadenschuß ... Das halbe Gesicht zerschmettert und geschwärzt, lag Millière auf dem Boden; dann zog ein Soldat ihm, wie Duval, die Stiefel aus...
So fiel, lange nach dem Kampfe, in diesem unterworfenen Stadtteil ein noch mit seinem Mandat bekleideter Deputierter mit vielen anderen, unbekannten Opfern ohne Beweise, ohne Urteil, in brutaler Verachtung aller menschlichen Gesetze ...
So sah er im Luxembourg, wo er jetzt den größten Teil seiner Zeit zubrachte, beständig das Bild des Palastes mit den von hungernden, und dürstenden Gefangenen angefüllten Kellern, dem vom geschäftigen Treiben des Kriegsgerichtes belebten Erdgeschoß und dem vom dumpfen Getöse der Exekutionssalven widerhallenden Garten.
Diesen Sonntag Morgen hatte man unter besonders grausamen Umständen den Doktor Tony Moilin getötet, einen harmlosen Ideologen, der sich darauf beschränkt hatte, einige Tage hindurch die Mairie des VI. Arrondisseinents zu verwalten. Vor seinen Richtern hatte er in einer Art von Traumzustand zugegeben: »Ja, die Kommune hat Fehler begangen... Sie hat sich selbst den Untergang bereitet... Sie hätte das nicht tun müssen... Sie hatte es nicht verstanden, das Problem zu lösen!«... Dann hatte er, das Antlitz von feurigem Glauben verklärt, ausgerufen: »Ich, ich bin für die universelle Republik, für die Gleichheit der Menschen!...« Nach dem Urteilsspruch hatte er eine Frist von vierundzwanzig Stunden erbeten, um eine Verbindung zu legitimieren und seiner schwangeren Lebensgefährtin sein kleines Vermögen und seinen Namen hinterlassen zu können. Sie selbst erflehte als einzige Gunst nur, daß er nicht verstümmelt und seine Leiche ihr überlassen werde. Die Behörde jedoch hatte, einen Eklat befürchtend, den Leichnam in die gemeinsame Grube werfen lassen und Befehl gegeben, dessen Wiederauffinden unmöglich zu machen.
Diese namenlose Grausamkeit brachte in Du Breuils Herzen das Maß des Abscheus zum Überfließen. In dem tiefen Mitleid, das er für das unglückliche Weib empfand, wurde seine Sehnsucht nach Anina mit verstärkter Macht wieder wach; sie würde seine Empörung teilen. Diese eisige Härte, dieses nutzlose Blutbad, das nur der Vorläufer einer ungeheuren systematisch angewandten Rache war, – nein, er konnte sich nicht in solche Sitte finden, sein Gewissen bäumte sich dagegen auf.
Thédenats prophetische Worte: »Wenn Sie eines Tages gegen Paris kämpfen müssen...« klangen ihm gleich einer Totenglocke in den Ohren. Er glaubte die bewegte Stimme wieder zu hören: »Seien Sie menschlich!« – So nahe dem Hause des Geschichtschreibers, von dem Verlangen verzehrt, seine Hände zu drücken, nach einem Trostwort dürstend, hatte er doch nicht gewagt, die Rue Soufflot zu betreten, dem Greise ins Auge zu sehen und darin den Ausdruck schweigender Anklage zu lesen: Ach! war schon die Brutalität der Mannschaft unbegreiflich und verwerflich, wie erst die strafbare Sorglosigkeit, die unbeugsame Härte so vieler Offiziere, Kameraden, Chefs verstehen und rechtfertigen?.
Gewiß, es fehlte nicht an ehrenvollen Ausnahmen. Clinchant, hieß es, und Ladmirault hatten – nachdem die erste Trunkenheit ihrer Leute, deren Äußerungen sie nicht hatten verhindern können, verrauscht war, strengen Befehl gegeben, dem persönlichen und Einzelmord ein Ende zu machen. Was aber war das gegen diese erbarmungslose Massenzüchtigung, gegen diese Schreckensherrschaft, die über ihnen allen lastete? Die bedrohte soziale Ordnung forderte ihre Rache und wälzte ihren zermalmenden Mühlstein. Du Breuil fühlte sich als ein winziges, ohnmächtiges Etwas und litt mit seiner ganzen gebrochenen Seele.
So hatte er mit Freuden die dienstliche Mission begrüßt, die ihn zu dem im Ministerium des Äußeren residierenden Marschall und hierauf zu Vinoy führte, dessen Divisionen, im Verein mit jenen Ladmiraults, die gestrige Arbeit, die endgiltige Unterwerfung vollendeten. Er klopfte liebkosend Cydalisens Hals und schwang sich in den Sattel.
Als er in der Rue de Bourgogne an seiner Wohnung vorüber kam, die er seit dem Juli – seit der Kriegserklärung – nur ein einzigesmal noch betreten hatte, an jenem fürchterlichen 18. März, da er ganz gebrochen von seinem Kalvarienweg auf den Montmartre heimgekehrt war, da stellte er einen flüchtigen, schwermütigen Vergleich an zwischen dem so leichtlebigen, lebensfrohen Du Breuil von einst und dem Du Breuil, der in diesem Augenblick unter den Fenstern seiner früheren Wohnung vorbeiritt. Wie war er so völlig verwandelt, für immer von jener noch so nahen und doch schon ungreifbaren Vergangenheit, von dem Phantom seiner Jugend losgelöst! Und in dieser Agonie der Gegenwart fühlte er mit tiefer Trauer jenes eitle Einst, das er doch nicht bereuen konnte, immer weiter in schleierhafte Ferne zurückweichen.
Der Quai d'Orsay mit seinem militärischen Gewühl, der Auftrag, dessen er sich zu entledigen hatte, die Nachrichten, die er hier und dort erfuhr, lenkten ihn für kurze Zeit von seinen Grübeleien ab. In der Nacht war es der Brigade Langourian gelungen, die Roquette zu erreichen und zu retten, was an Geiseln noch übrig war. Das Gefängnis war seit dem Abend befreit; Ferré, der noch einmal zurückgekommen war, um die verzweifelten Widerstand leistenden Gefangenen zu zähmen, hatte beim Schrei eines Spaßvogels: »Die Versailler sind da!« schleunigst die Flucht ergriffen; unglücklicherweise hatten einige der Gefangenen im ersten Freudentaumel der Befreiung zu früh die schützenden Mauern ihres Kerkers verlassen; vier von ihnen, darunter der Archidiakon von Paris und der Pfarrer von Bonne-Nouvelle waren, kaum erst ins Freie getreten, niedergemetzelt ... Das war das Ende. Ladmirault und Vinoy setzten ihren einschließenden Marsch fort. Bei Tagesanbruch hatte Langourian die Mairie des XI. Arrondissements genommen, die Spitzen seiner Kolonnen bis zu Douays Vorposten vorgeschickt; La Mariouse war Herr des Tores von Bagnolet und Romainville, der Mairie des XX. Arrondissements, der Kirche von Belleville, wo die dreizehnhundert von Ferry eingeschlossenen Liniensoldaten sich beim Erwachen in den Händen ihrer Kameraden wiederfanden; er hatte eine starke Barrikade der Rue Haxo eingenommen und vertrieb die letzten Förderierten aus der Rue de Bois und der Rue Près-Saint-Gervais, während Derroya im Begriffe war, die Barrikaden der Rue de Tlemcen und der Rue Menilmontant niederzureißen. Kaum, daß zwischen den Straßen des Faubourg du Temple und Oberkampf noch eine Handvoll dieser Banditen übrig blieb. Noch einige Schüsse, um auch diese Gegend reinzufegen, und die Kommune war tot.
Welche Erlösung, den Kampf beendet zu sehen! Er wollte eben in ruhigerer Stimmung in das Hauptquartier zurückkehren, als er im Hofe zwei Reitern begegnete, die ihn mit einem kurzen »Guten Tag!« anriefen.
Es waren d'Avol und Francastel. Sie warfen die Zügel einer Ordonnanz zu, sprangen aus dem Sattel und näherten sich Du Breuil.
Sie hatten sich seit dem Einzug in Paris nicht gesehen und drückten sich die Hände. D'Avol blickte den Freund schweigend an. Francastel lachte mit ungetrübter Befriedigung:
»Die Stadt säubert sich, wie?«
Seine Raubvogelnase, seine niedere, gehirnlose Stirn, sein struppiger Schnurrbart, alles drückte triumphierenden Haß aus. Unwillkürlich streifte sein Blick Du Breuils Offizierskreuz.
»Ich verlasse Sie«, flötete er ... »Apropos, haben Sie gehört, daß man noch einen zweiten Jacquenne erschossen hat?«
Du Breuil runzelte die Stirn; man hatte doch neulich schon ... Welcher war der rechte? Francastel zuckte die Achseln. Das war ihm gleichgültig. Von diesem Gezücht konnte man gar nicht genug vertilgen ... Er entfernte sich, einen Abschiedsgruß winkend.
»Bah!« meinte d'Avol trockenen Tones, »er hat recht«.
Seine Augen blitzten.
»Findest du?« versetzte Du Breuil.
D'Avol, in dem die Feindseligkeit früherer Zwistigkeiten wieder erwachte, betrachtete ihn voll Traurigkeit.
»Ganz gewiß. Laß dir sagen, daß die Gefühle, die du nicht zu verbergen vermagst, der Uniform, die, du trägst, unwürdig sind. Diese Leute müssen nach den Brandstiftungen, nach der Ermordung der Geiseln wie schädliche Tiere vertilgt werden. Schon durch ihren ungeheuerlichen Krieg unter den Augen der Deutschen, dadurch, daß sie uns die zur Arbeit an der Neuerrichtung der Armee notwendige Zeit gestohlen haben, haben sie tausendmal den Tod verdient! Sie stellten sich selbst außerhalb des Gesetzes, so stehen sie jetzt außerhalb der Natur ... Bedauert man denn die wütenden Hunde, die man totschlägt? ... Nein, man bewahrt sich vor dem Gift der Ansteckung, man sichert die Gesundheit der Zukunft; sie, ihre Weibchen, ihre Brut von Grund aus ausrotten ist ein gerechtes und frommes Werk.«
Seine Stimme bebte von mystischer Begeisterung. Vielleicht hatte auch er im ersten Augenblick einiges Mitleid gefühlt, doch hatte er schnell sich besonnen, ganz von seiner fixen Idee beherrscht, vor der neubelebenden Aussaat das Erdreich zu jäten und zu pflügen. Mit gewaltiger Anspannung der Nerven panzerte er sich mit erbarmungsloser Willensstärke, mit dem Stoizismus des Richters. Er hätte seinen besten Freund, seinen Bruder töten können, hätte er ihn im feindlichen Lager gefunden.
»Ein gerechtes und frommes Werk!« wiederholte Du Breuil.
Mit heißer Empörung maß er den Abgrund, der sich zwischen ihnen aufgetan ... Konnte ein Mensch, ein Christ kalten Blutes eine solche Behauptung aufstellen?
»Auf jeden Fall«, fuhr er fort, – nicht um zu diskutieren, denn er fühlte die Nutzlosigkeit eines solchen Streites, doch in einem Aufschrei seines geängstigten Herzens, im Drang, seine gefolterte Seele zu erleichtern, die endlich durch das Dunkel, in dem sie seit zwei Monaten getastet, sich zur Klarheit emporgerungen hatte, – »auf jeden Fall leisten wir Henkerarbeit, nicht Soldatenhandwerk. Du sprichst von der Würde der Uniform! Weder du noch ich bringen ihr Ehre.«
Verzweifelt wandte er sich ab und entfernte sich, ohne da sie ein armseliges Abschiedswort oder auch nur einen Höflichkeitsgruß gewechselt hatten ... Nun war's vorbei für immer! ... Jeder Versuch, die erstorbene Freundschaft wieder zu erwecken, wäre fruchtlos. Erloschenes Feuer, erkaltete Asche ... Er litt nicht einmal sehr unter dem Bruch selbst, fühlte nur tiefer noch die Leere und Öde in seinem Innern.
Wie ein Faden leitete ihn das Bewußtsein seiner zu vollendenden Sendung. Instinktiv wandte er sich dem Hauptquartier im Kloster von Picpus zu, wo er Vinoy zu finden hoffte ... Ohne dieses von der Pflicht bestimmte Ziel hätte er in seiner tiefen Niedergeschlagenheit nicht gewußt, wohin sich wenden. Die Rue de Rivoli war ein Bild der Verwüstung. Ihn schauderte vor allem, auch vor sich selbst. Nein, er hätte nicht einwilligen sollen, unter Chenot zu dienen; er hätte, von seiner Liebe in Versailles festgehalten, sich nicht an den Vorbereitungen zu diesem Kriege beteiligen dürfen. Anina hätte es begriffen, wie sie Maurices Abreise nach Algier gebilligt ... Immer wieder quälten Bonalds Worte, die er einmal in einem Buche gelesen, seine Gedanken: »In politischen Krisen liegt die größte Schwierigkeit für einen ehrlichen Menschen nicht darin, seine Pflicht zu tun, sondern darin, sie zu erkennen!« Ja, sie kennen! Wie glühend, wie schmerzlich, mit welchem immer wachsenden Wahrheitsdurst hatte er sie gesucht seit dem Tage, da er auf Montmartre mit den Kehrseiten der so laut sich gebärdenden, so viele Rechte sich anmaßenden Gesellschaft in so nahe Berührung gekommen war, seit dem Tage, da er in Châtillon Duval hatte fallen gesehen!
Jetzt kannte er sie, seine Mannespflicht, und mußte sie in absolutem, in unversöhnlichem Gegensatz zu seiner gegenwärtigen Soldatenpflicht finden! Welch fürchterliche Knechtschaft! War denn die Armee immer noch, wie vor fünfzig Jahren, nichts anderes als ein großes Etwas, das leidet und tötet? Sollte die Disziplin denn ewig eine gedankenlose Sklaverei, die passive Verleugnung aller Gefühle bleiben? Sollte denn nie der Tag kommen, da, Soldaten und Chefs aufhören würden, eine isolierte Stellung in der Nation einzunehmen, da sie in ihrem Heizen das Herz aller schlagen hören und in freier und froher Gemeinschaft der Geister nur noch für die Verteidigung des Vaterlandes, wenn ihm Gefahr drohte, nur noch für die Erhaltung seiner friedlichen Grüße arbeiten würden?
In der Rue Saint-Antoine wurde er für einen Augenblick durch das Defilee einer langen Gefangenenkolonne aufgehalten. Er wollte die Augen abwenden, als ein alter Marchi der Chasseurs d'Afrique, der an der Flanke der Eskorte ritt, ihn mit ernster Miene grüßte ... Saint-Paul! ... Ihre letzte Begegnung im Park von Saint-Cloud auf den Trümmern der Vergangenheit ... Die Erinnerung an Lacoste ... Er erwiderte den Gruß und blickte lange noch der verschwindenden Gestalt des Veteranen nach ...
Ganz Rezonville tauchte wieder vor ihm auf, der Sturm des Angriffs, der wilde Galopp in brüderlichem Nebeneinander mit Lacoste ... Dann der blutige Irrtum ... Sein Freund von den Dragonern Legrands getroffen, die furchtbare Verzweiflung, in der er sein Leben ausgehaucht, sein letzter Seufzer: »Von Franzosen getötet!« ... Armer Lacoste, er war zur rechten Zeit gestorben, er hatte es nicht mehr erleben müssen, wie jener unselige Irrtum sich gegenseitig, willkürlich ausbreitete, bis das Verhängnis ein ganzes Volk zermalmend ergriffen hatte! ...
Du Breuil gab Cydalisen die Sporen. Auch das letzte Grollen der Schlacht war verstummt, nur hier und da war noch ein schwaches Echo vernehmbar. Er hatte eben den Bastilleplatz gekreuzt und war in die Rue de Charenton eingebogen, als hinter ihm ein Fenster sich öffnete und ein Föderierter, der sich dort verborgen gehalten, einen Schuß abfeuerte. Wie eine leblose Masse sank Du Breuil mit durchbohrtem Rücken vom Pferde ...
Endlose traurige Minuten ... In einem der Säle des Klosters von Picpus ruhte er nach Untersuchung der Wunde, vom Schlummer der Ohnmacht umfangen, auf dem schmalen Bette. Der Chirurg hat schweigend die Umstehenden fortgewiesen und sagt ganz leise zu einem Adjutanten Vinoys, der sich erbötig gemacht, nach Versailles zu eilen und Du Breuils Braut und ihre Eltern zu benachrichtigen: »Unnütz«.
Der Sterbende versinkt im eine Welt wirrer Träume ... Das lichtfunkelnde Saint-Cloud ... Die bittere Ironie von Lacostes Tod: »Franzosen von Franzosen getötet!« Dann die Schlachtfelder von Metz, Aninas Vaterhaus, die Uhr in ihrem hohen Gehäuse ... Vulnerant omnes, ultima necat... Wieder Saint-Paul, der Unglücksverkünder! ... und dort unten, in der grünen Creuse, die Seinen ... Vater, Mutter ... Warum weinen sie doch nur? Dann im zusammenhanglosen Vorüberflug der jüngst erlebten Visionen diese beiden engverschlungenen Liebenden, die er nicht zu retten vermocht ...
Dort, zu Füßen seines Bettes, steht sein unsichtbarer Mörder; er trägt Louis' Züge, er hält seine Rose an der Hand ... Du Breuil seufzt aus tiefer Brust ... Wohin führt man ihn?
Er streckt den Arm aus, will sich an Anina festklammern ... Warum läßt sie ihn so von hinnen gehen mit einem Lächeln trostloser Ohnmacht? Er will bei ihr bleiben, will aufstehen, handeln ... Er hat noch so vieles zu tun ... noch ein wenig Gutes! Er hat so wenig getan, so wenig ... Anina ... Wie fern sie schon ist, fast verschwunden ... Anina, geliebte Anina ...
Seine im Todeskampf verzerrten Züge lösten sich zu einem Ausdruck unendlicher, trauriger Milde ... Plötzlich ward es Nacht vor seinen Augen.
Das bleiche Haupt, von friedlicher Schönheit verklärt, lag auf den Kissen. Ein Abglanz ferner Helle blieb für einen Augenblick in seinen weitgeöffneten Augen haften, als sähen sie das Licht, den Tag.