Niklaus Manuel
Die Totenfresser
Niklaus Manuel

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Dritter Auftritt.

Rhodiserszene.

In disen worten kam ein post schnell har geritten, und demselben nach ein ritter von RodisRodis (auf der Hauptsilbe betont, daher auch die Ableitung ohneZweifel Ródisser zu schreiben und zu sprechen): Rhodus, der Sitz des Johanniterordens, ward zur Zeit Papst Adrians VI. seit dem 28. Juli 1522 von den Türken unter Suleiman II. belagert und nach tapferster Gegenwehr am 25. Dezember dess. Js. ihnen übergeben. mit grosser il rennende mit verhengtem zoum dem bapst zů.DieBühnenanweisung f. H.

         
Der post.
Heiliger vattervatter f. H. und grosser her!
[865]   Es kumpt ein botschafft uber mer, 740
Die soltu ylentz fúr dich lanlon H.:
[867]   Es trifft den helgen glŏben an!
 
Der Rodysser ritter.
[870]   Lieber hoptman und gůter frúnd!
Sid ir ein her der guardy sind,
So helfend mir ylentz hinin
745
– Es will fast vil dran glegendaran gelegen HB. sin – 41
Das ich mich nit lang sumen můß
[875]   Und komm fúrfur H. des heiligen vatters fůß!
 
Der hŏptman.
Sind mir gott willkommen, lieber her!
Ir sind on zwyffel gritten feer.
750
Ich will úch helfen so bald ich mag:
So thůnd ir úwer sach an tag.
 
Der hŏptman zum bapst.
[880]   Heiliger vatter, es kompt ein ritter
Ilentz haer in boesem gwittergwitter: der ungewöhnliche bildliche Ausdruck für ›Aufregung, Unmut‹ hat den Drucker (B) zu einer Änderung veranlaßt (er weinet bitter).;
Schnell und bald verhoerend in:
755
Zů úch verlangt sin můt und sin.
 
Der băpst.
Lăssend mir in kommen haer:
[885]   Er bringt on zwyffel núwe maer.
 
Der Rodysser ritter.
Aller heiligsterhailigest' H. vatter und her in got!
Das aller erst du wissen sot
760
Unser aller willig dienstberkeit
Gantz underworffen allzyt bereit!
[890]   Dem nach min befelch und ernstlich pitt
– Drumm lăss dich, her, verdriessen nitt –:
Es embútend diner helikeitselikait H.
765
Ir grůß und dienst allzyt bereit 42
Der oberst meister unsers orden
[895]   Und alle die beleit sind worden
Zů Rodis von des Túrcken her,
Hand mich gesant schnell uber mer
770
Zů dinr großmechtigen helikeitselikait H.
Klagen jămerjomer H., angst, nŏt und leid.
[900]   Die zyt sid mittem ougsten harDie eigentliche Belagerung und Beschießung der Hauptstadt mochte erst einige Zeit nach der Besetzung von Rhodus (28. Juli) begonnen haben.
– Die dunkt uns lenger den ein jar –
Hat uns der Túrck die stat beleit,
775
An lyb und gůt findtlich abgseit
Und schúst darin tag und nacht.
[905]   Er lyt mit siner grossen macht
Vor der stat ze wasser und ze land;
Er stúrmpt all tag mit gwerter hand;
780
Da ist och kein abelanabelon H..
Zwey mal hundert tusent man
[910]   Hat er darvor in sinem gwalt;
Er schúst das thúrnn und muren falt.
Vier tusent kuglen hat er hinin geschossen,
785
Die hand vil cristenblůt vergossen.
Die kuglen sind den meren teil,
[915]   Wenn man sy mist mit einem seil,
Im zirckerzirkel B. zehen spannenspangē scheint Schreibfehler B. Der Umfang der Kugeln wäre danach ungefähr 2 Mtr., der Durchmesser etwa 60 Zm. gewesen. wyt.
Tag und nacht ist sturm und stryt.
790
O her, da bschicht vast grossergrossen B. schaden!
Sy stăndstond H. im blůt bis an die waden. 43
[620]   Hunger, jămmeriommer H., ellend und tod:
On underlăß ist dise nŏtt.793. 794 umgestellt B.
Von wyb und kind ist dada ist B. ein gschrei,
795
Das eimdas] sin B. das hertz im lyb enzwey
Ze tusent mălenmăl H. moecht zerspringen!
[925]   O her, der Túrck der wil sy zwingen!
Wo man sy nit by zyt entschútt,
[927]   So blypt kein mensch bim leben nit.Nach 800 2 weitere Verse (im Text mitgezählt nach Burg): Sy muessend gespisset vn prăten werden / Da hilft kain pitt vff erden H: wohl eine Vorerinnerung des Schreibers an V. 870, dem er hier (802 H) durch einen mühsamen Reim (:erden) einen Gespan schafft. 800
[928]   Wyb und kind es můß als dran. 803
Darnach wirt's an ApulienIpulien H, wohl Schreibfehler. gan
[930]   Und fúr und fúr, wo man nit wert, 805
Bis er die cristen all umbkertumbkert (umk. H): umwirft, vernichtet..
Nun hastu dick gross gůt ingnommen
Das an den Túrckenkrieg solt kommen:
Das gib nun us, wann es ist zyt!
[935]   Sid das der merteil an dir lyt 810
Und du Cristi erbteil nússest
Und selbs cristenblůt vergússest,
Soltu billich sin da vornen dran,
Die cristen nit zů grund lan ganlon, gon H.!
[940]   All unser hoffnung stăt an dir: 815
Ach heiliger vatter, hilff uns schier!
 
Der băpst zum Rodisser.
Zů diser zyt so denk sinsin (nur B): dessen. nit
Das ich Rodis ietz entschútt! 44
Ich han wol anders ietz zů schaffen,
[945]   Ich und alleall H. mine pfaffen: 820
Zů kriegen mit minen cristen.
Da darff ich sorg und aller listen,
Wie ich demden H. kúng uss Frankrich,
Den Venedigern und deren glich
[950]   Múg gewúnnen ab ir land. 825
Darzů so leg mir wol zur hand
Verrer und margrauffschafftvnd die M.V. H. Urbin,Ferrara, Urbino, Piacenza (Placentia), Parma. Manuel bezieht sich hier auf den Bund, der, schon von Adrians Vorgänger Leo mit Karl V. gegen Frankreich geschlossen und von Adrian erneuert, dem Papste die Herzogtümer Ferrara, Piacenza und Parma verschaffen sollte. Bächt. S. 68.
Moecht ich die selben nemmen in,
Die wil der keiser kriegt im feld:
[955]   Darzů darff ich selber gelt. 830
Ich han das nechst vergangen jar
Gestreckt all min vermúgen dar,
[958]   Das mir wurd Plesentz und Barmen.
[961]   Solt mich das cristenblůt erbarmen,Nach 834 und nach 838 je 2 nichtssagende und frühere Stellen wiederholende Vss. (B 960/961, H 839/840) BH.
So het ich's under wegen glănglon H.,
835
Dem Túrcken widerstand getăngeton H.,
Das er in Unger nit gwonnen hett
[965]   So vil gůtter búrgbŭrg H. und stett. 838
Der keiser und ich sind ietzen gsellenxellen H.: 841
Wenn wir zwen hettend wellen
Unsern ernst legen daran,
Den selben zúg ann Túrcken lănlon H.,
[970]   Den wir hand brucht an cristenblůt, 45 845
Zů Rodis wer es ietz wol gut:
Wir hettind den TúrckenTurcken H. wol vertriben,
Das Rodis ietziez H] vor im B. wer sicher blyben.
Aber nein, es git nit speck in d'růbenSprichwort wie oben 168 u. Anm. zu 158 ff.!
[975]   Wir muessend uns allwegen ueben, 850
Das wir gwúnnind land und lút;
Sust schatzty man den bapst ganz nút:
Man hielte mich nummennummen {nit me B): nicht mehr. fúrfur H. einn got.
Ich han mit aller miner rott
[980]   Mins eignen nutz so vil zů trachten 855
[983]   Das ich des Túrcken nit vast achten,Statt 855/856 4 schlechte Verse (980 bis 983) B.
Got geb wie es zů Rodis gang.
[985]   Ich hoff es syg noch eben lang
Dahin, bis das des Túrcken her
Gen Rom komm und uber mer!Nach 860 beginnt die große Lücke in H, die durch B 988–1588 ausgefüllt wird. Wir wenden in diesen 600 Vss., die wir (links in [ ]) mit 988 beginnend nach B weiter beziffern und zugleich (rechts, in Fettschrift) an H 860 anschließend bis 1383 fortzählen, im ganzen auch die Schreibung von B (nach Bächtold) an (z. B. ä ö ü üe gegen ae oe ú ue der bisher befolgten Hs. H) und bezeichnen nur unsre wenigen Abweichungen von B durch Schrägschrift.
860
[988]   Far hin, min lieber commentürcommentür nach latein. commendator; später ›Komtur‹.:
Ich gebgeb Proet. cj. wie wer, leg 421. 826 u. ö. dir nit ein haller ze stür!
 
Ritter.
[990]   Nun erbarm's Gott in sinem tron!
Ach dass ich in Rodis ie bin kon 46
Und ich die frommen ritter gůt
865
Ie hab erkennt die ietz ir blůt
An Türken so lang vergossen hend
[995]   Und doch ietz so jämerlich und ellend
Müessend sterben mit grosser pin!
Sie müessend gespisset, gebraten sin.
870
O Christ vom himmel, sich nun an:
Die ritter hand ir best getan
[1000]   Und gstritten, herr, durch dinen willen!
Ir ellend wil ietz gar niemands stillen.
Sie hand kein trost in aller welt,
875
Weder durch lüt, spis, hilf noch gelt:
Sie sind verlassen von iederman.
[1005]   Ja bapst und keiser grifend an
Die christen selbs und tůnd derglich,
Als machtind s' gern den Türken rich,
880
Und hindrend ander fromm fürsten dran
Dass ir keiner sin hilf schicken kan
[1010]   Gen Rodis noch an andre ort,
Mort, mort, mort, o ewigklichen mort!
Ach gott, wie magstu das jamer sehen!
885
O wie lang lastu das mort beschehen!
Erbarm dich, Gott, durch din blůt
[1015]   Über die frommen ritter gůt!
Empfach ir selen in dinen tron!
AldeAldê, Nebenform von adê., ich far ietz ouch darvon
890
Gen Rodis, ob mir müglich ist,
Wil sterben als ein gůter christ.
[1020]   Darzů verlich mir Gott sin kraft!
O we der ellenden botschaft
Die ich von Rom gen Rodis bring!
895
Ach Gott, schöpfer aller ding, 47
Din volk wellist selber fristen!
[1025]   In Rom sind wenig güter christen.
 
Der ritter kert sich um und schlůg
an sin brust und sprach wider sich
:
O bapst, bapst, wie bistu so gar verirt!
Du bist ein wolf und nit ein hirtVgl. o. 135, Beitrr. S. 98. 99.,
900
Dass du so ganz erblindet bist:
Du bist, ich gloub, der war antichrist!
[1030]   Wo sind ir blůtshünd in roten hüeten?Beitrr. S. 97–99; ›Traum‹ bei Burg Vs. 138.
Ir machend selbs wohl christen zů blüeten.
Warumb beschirmend ir nit den christenglouben,  
905
So ir doch täglich die ganzen welt berouben?
Wo ist nun das gross unsäglich gelt,
[1035]   Das ir hand gnongenon B. durch christenwelt?
Hůren und bůben hand es vertan,
Die christen lond ir zů schitren gan.
910
Die sünd der Sodomiten die ist hie
Ja so gross als vor der straf Gotts ie!
[1040]   Was darf s vil kramanzen und langer red?
Du bapst und keiser Carolus, ir bed
Sind nit unschuldig an dem blůt
915
Das ietz der Türk vergiessen tůt!
O bapst, bapst, fürchstu nit Gott?
[1045]   Dine roten hüet und bschorne rott
Hand blůtig und roubwölfen zän!
Ir hettind gůt würstmacher gen,
920
So ir so gern im blůt umbgand,
Ein lust die lüt zů metzgen hand!
[1050]   Das blůt das ir vergossen hend, 48
Läg es iez frisch an einem end,
Ir möchtend all darin ertrinken,
925
Ja schier gar nach ganz Rom versinken.
Meinstu drum dass dich Gott hie nit well strafen,
[1055]   Sin göttlich grechtigkeit sig drum entschlafen?Vgl. Psalm 43, 23.
Fürwar, fürwar, es kumpt die stund
Dass dich das schwert us sinem mundDas Schwert der Offenbarung Johannis I, 16.
930
Wirt zů boden richten gar
Mit diner schölmischen bůbenschar,
[1060]   Wie das vom entchristentchrist: Alte Umdeutschung von Antichristus (als Christus des Weltendes). gschriben stat,
Sant Peter selbs wisgsagt hatII. Brief Petri 3, 34..
Ja du und alle dine fründ:
935
Dass üch das hellsch für anzünd!
[Der Ritter sprengt davon.]
 
Der Türk. Schupi MassganVermutlich Entstellung eines türkischen Namens.
[erscheint im Hintergrunde]
Ir christen, was sind ir für lüt!
[1065]   Üwer ding sol doch minder denn nüt
Und werdend allen fölkern zů spott.
Zů Rom hand ir ein besundren gott,
940
Dem gebend ir gelt glich wie sprüwer.
Nun sehend zů: er spottet üwer.
[1070]   Wo hilft er üch in üweren nöten?
Ja er lasst üch wol selb ertöten:
Darumb ist üwer billich zů spotten.
945
Von Ungerland ist üch dick entboten, 49
Do wir das land gewunnen handSultan Suleiman war in Ungarn eingefallen, nachdem er am 29. August 1521 Belgrad erobert hatte..
[1075]   Pfuch laster und ewige schand!
Rodis hand wir ietz ouch gewunnen,
So ist Naplis noch nit entrunnen;
950
Demnach gen Rom wirt unser reis.
Also so wirt der erdenkreis
[1080]   In kurzer zit uns gar zů hand.
Wir habend schon der christen land
Dri teil von üwerem glouben genommen:
955
Der fierteil wirt bald nacher kommen.
[Er verschwindet.] 50

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