Niklaus Manuel
Die Totenfresser
Niklaus Manuel

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7. Wirkliche und angebliche reformatorische Dichtungen Manuels von der Berner Disputation 1528.

Als nun endlich im Jänner 1528 die für Bern entscheidende Disputation in der dortigen Barfüßerkirche unter Beisein Zwinglis und der Häupter der schweizerischen und schwäbischen Reformation, doch unter schwacher Vertretung der Gegenpartei, stattfand, da sah man in der Mitte der Korona, wo zwischen den zwei für die Streiter errichteten Tribünen die vier Präsidenten, darunter von neugläubiger Seite Vadian aus St. Gallen und der Komtur Schmid von Küßnach, Platz genommen hatten, auch den Vogt Manuel von Erlach als Rufer oder Herold amten, die Namen der Eingeladenen verlesen und die Sprecher aufrufen. Die kurze Rede, die er selbst am achten Tag des Gespräches hielt, um in einem über die päpstlichen Satzungen XXXVI entbrannten Streit die Ruhe wiederherzustellen, ist in die gedruckten Akten aufgenommen worden. Er betonte die Unparteilichkeit der Veranstalter des Gesprächs und ihre Absicht, lediglich die Wahrheit ans Licht zu bringen, ermahnte daher die Gegner der Reformationsartikel, ihrerseits ebenso offen und entschieden dagegenzureden und zu schreiben, wie die Prädikanten für dieselben einträten; das werde auch die Obrigkeit dankbar anerkennen.

Schon während der Disputation hatte Zwinglis Stiftskollege Utinger in Zürich Kenntnis von einer Satire, womit Manuel in den Berner Kampf um die Messe eingegriffen hatte. Er schrieb am 15. Januar 1528 an Zwingli nach Bern: »Die Schrift (operam) des Emanuel von der Krankheit der Messe wünschte ich zu erhalten, und hernach die Totenklage (planctum ad funus), die er ebenfalls dichten muß.« Die Krankheit der Messe war also bereits vor dem Berner Religionsgespräch oder während desselben wenigstens handschriftlich im Umlauf bei den Freunden Manuels und Zwinglis, als eine Art Kriegsruf auf den entscheidenden Kampf hin; für den Druck mögen die denkwürdigenTage vom 7. bis 16. Jänner noch mancheshinzugebracht haben. Sodann enthalten die spätern Ausgaben – fünf verschiedene Drucke der »Krankheit« sind noch von 1528 datiert – einen Nachtrag zu unserer Satire, den Letzten Willen oder das Testament der Messe, das vielleicht eben durch den Wunsch Utingers nach einer »Totenklage« veranlaßt ist. Als Druckort ist am Schluß der »Krankheit« ein mythisches »Bergwasserwind« angegeben, allwo das Werk »neben dem Stubenofen, in Erwartung des Nachtmahls des Herrn« – d. h. wohl der Einführung des christlichen Abendmahls statt der unchristlichen Messe – entstanden sein soll.

Die Krankheit der Messe, ebenso wie das Testament in Prosa verfaßt, ist der würdige Abschluß von Manuels XXXVII reformatorischen Streitschriften, ein kräftig-launiger Triumph nach den harten und oft übermäßig derben Waffengängen der Kampfzeit. Die Messe, die Verkörperung des Papsttums, lag endlich besiegt, hoffnungslos krank auf dem Todbette. Die Fahrt nach Baden (zur Disputation) hatte ihr nichts genützt; nun sollten ihr auf Geheiß »Seiner Heidischheit« des Papstes der berühmte Dr. Rundeck, auch Lügeck und Schreieck genannt, und der Apotheker Heioho (sonst Hans Heierlin Schmid oder Faber) durch bewährte römische Mittel helfen. Aber unser erprobter Kämpe und Poet ahnt schon fröhlich den Ausgang dieses Siechtums und tut sich gütlich an der endlichen Niederlage der Gegner. Manuel führt mit witzigster Laune, die sich zu erhabenstem Hohn steigert, die Krankengeschichte weiter bis zu den letzten verzweifelten Anstrengungen der Krankenpfleger, denen alle Sakramente versagen: das heilige Öl ist versiegt – die Bauern haben die Schuhe damit gesalbt; der »Herrgott«, der Leib Christi, ist nicht zur Stelle zu bringen – der Himmel ist sein Stuhl und die Erde sein Fußschemel! Die Heilkünstler, unter denen auch Thoman Katzenlied (Thomas Murner) nicht fehlt, überlassen die Sterbende ihrem Schicksal, und »Dr. Schryegk« kehrt mit einem neuen Trieb »Säue« ins Bayerland heim. Im »Testament« erhält dann jeder der Meßfreunde sein Betreffnis aus der Hinterlassenschaft der Verstorbenen mit einem beißenden Sprüchlein zugewiesen; Kelche, Patenen und Monstranzen, Kreuze und Bilder, Silber, Gold und Kleinodien fallen dem weltlichen Regiment zu, »und gebe Gott den Münzern Glück und guten Wein, denn sie werden viel zu tun bekommen!«

Wenn hier der Übermut des Siegers dem Künstler Manuel, der vor wenigen Jahren noch die Berner Leutkirche ausschmücken half, und der die entzückendsten Entwürfe für Zierarbeiten aller Art hinterlassen hat, ziemlich leicht über XXXVIII das weghilft, was wir heute als die schmerzliche Kehrseite der Reformation empfinden – und wir haben wiederum keinen äußern Grund, ihm die Verfasserschaft dieses Anhangs abzusprechen –, so erscheint uns dagegen eine andere Schrift, die er im Anschluß an die entscheidenden Ereignisse dieses Frühjahrs eigens dem Schicksal der Kirchenzierden, der »Götzen«, gewidmet haben soll, mit der Persönlichkeit des Künstlers und des Schriftstellers Manuel schlechterdings unvereinbar. Die »Klagrede der armen Götzen« kann Manuel nicht geschrieben haben. Die Messe war ein Götzendienst und mußte weg mit allem, was daran hing; das gleiche galt von der Heiligenverehrung: da mußte die Rücksicht auf die Kunst, sogar auf das von der eigenen Hand geschaffene Kunstwerk, billig schweigen. Aber daß der Maler und Zeichner und Kirchenausschmücker Manuel, dem der Untergang von so vielen edeln Gemälden und Gebilden und Geschmeiden – zumal von Erzeugnissen des jetzigen neuen Stils – doch zu Herzen gehen mußte, die »Götzen« nicht bloß kleinmütig sich entschuldigen, sondern das angerichtete Unheil ausdrücklich den Künstlern und deren Auftraggebern zuschieben läßt (Vs. 129 ff.), scheint uns in der Demut und Selbstwegwerfung für den Künstler und den Staatsmann Manuel viel zu weit zu gehen. So konnte ein Manuel seine Vergangenheit nicht verleugnen, und die nachfolgende Strafpredigt gegen die Zuchtlosigkeit, besonders der Jugend, sowie gegen die Nachsicht der Obrigkeit (Vs. 352), hätten einem, der sich und seinen Kunstgenossen eben vorher eine Hauptschuld an der Abgötterei der Zeit beigemessen, ebensowenig angestanden als einem Ratsherrn und Landvogt, der für die bevorstehenden Neuwahlen der Regierungsbehörden sicher schon in Aussicht genommen war. – Dazu kommt, daß die Verfasserschaft Manuels eigentlich bloß auf der Vermutung eines späten Schreibers beruht. Keine Ausgabe gibt oder deutet XXXIX Manuels Namen an; die einzige zeitgenössische Erwähnung des Gedichts enthält der Brief des Johannes Zwick in Konstanz an den damals im untern Schwabenland weilenden Konstanzer Ambrosius Blaarer vom 6. Hornung 1529, wonach damals (anfangs 1529, nicht 1528 wie in Bern) die Altäre zu »St. Stefan« (der Leutkirche von Konstanz) und »auch im Münster« (der bischöflichen Kirche daselbst) abgetan worden sind und es den Götzen übel geht: »sie (die Götzen) habend ein clag und bekantnus than, wie ir hie hörend.« Ein Schreiber des 17. oder 18. Jahrhunderts hat der Abschrift dieses Briefes und des Gedichtes die Bemerkung beigefügt: »Dise Clag ist von venner Manuel in Bern aufgesetzt«; in einer andern Abschrift steht statt des »ist« ein »sei«! Grüneisen und Bächtold bringen daraufhin das Gedicht ohne weiteres in Verbindung mit dem Berner Bildersturm von 1528 und mit der Predigt, die damals Zwingli im Münster zu Bern mitten unter dem »Kot und Narrenwerk« der zerstörten Bilder hielt. Aber nichts in diesem Briefe Zwicks spricht für einen Bernischen oder gar Manuelischen Ursprung der Dichtung, – nichts als jene unsichere Randbemerkung eines späten Schreibers – vielleicht eines Berners, der beim Lesen des Briefes an St. Stefan im Bernischen Simmental dachte, ohne sich daran zu stoßen, daß alsdann in dem Briefe Zwicks diesem entfernten Berner Kirchlein durch die Worte, »und auch im Münster« sogar die Hauptkirche des Landes nachgestellt wäre. Die »Klagrede« ist vielmehr allem Anschein nach in Konstanz entstanden, wo die in dem begleitenden Briefe Zwicks erzählte Bilderstürmerei soeben, zu Anfang 1529, erfolgt war, und hat mit Bern und seinem Bildersturm vom Anfang 1528 nichts zutun; in Schwaben sodann (Tübingen wenigstens ist in einer Ausgabe als Druckort genannt) ist sie gedruckt worden, und schwäbisch sind auch vielfach die in den Sprachformen der XL Aufzeichnung oft unreinen Reime, die nicht durchweg in verderbter Überlieferung ihren Grund haben, wie dies Bächtold annimmt, der denn auch erst die neuhochdeutschen (schwäbischen) ei, au und eu »auf die ursprünglichen Laute zurückführen mußte«.


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