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Es singt der Sturm ein dunkles Lied; er sang es den ganzen Tag und singt es immer noch.
Weich ist mein Bett und warm, und müde sind meine Glieder, denn das war ein wildes Weidwerken heute hinter der Findermeute her, über Stock und Stein und Stumpf und Stiel durch weichen Schnee und harten Nordost.
Und doch kann ich nicht einschlafen, denn jedesmal, wenn mir die Augen warm werden, höre ich den Sturm singen. Bald ist es mir, als sänge er Täubers buhlerische Weise und dann höre ich ihn hohl juchen: »Hu Su! Hu Su Su; wahr to, min Hund, wahr too, wahr tooo!«
Aber jetzt singt mir der bittere Wind ein süßes Lied: »Su, su, suselasu, suselasuse, suselasu« summt er. Meine Augen werden wärmer, meine Arme schwerer und ich weiß nicht mehr, wo ich bin und was ich bin; ein kleines Kind bin ich und liege im Gastzimmer des Gutshauses in dem großen Himmelbett und bin zugleich ein erwachsener Mann, der in einer Wiege liegt, und die Mutter singt mit ganz leise das Lied: »Su su, suselasu!«
Ein Schuß knallt, ein Peitschenhieb hallt. Ich fahre im Bette in die Höhe. Der Gutsherr steht vor mir, klatscht in die Hände und lacht. »Sechs Uhr! Schön Jagdwetter heut'. Eine gute Neue und Unwind! Auf, auf zum fröhliche Jagen!« Ich springe mit einem Satz aus dem Bette, ziehe mich an und gehe in das Eßzimmer, wo der Tee dampft und das Brot duftet, und die Tochter des Hauses, lang und schlank und rosig und blond, die Tassen füllt und nach guter alter Sitte mit freundlichem Lächeln zum Zulangen nötigt. Dann, als wir im Schlitten sitzen und die Schimmel schon anziehen, ruft sie uns mit heller Stimme nach: »Weidmannsheil und ein froh Gejaid!«
Die Nacht und der Morgen zanken sich noch eine Weile um den Wald, bis die Helligkeit das Dunkel in die Dickungen schiebt. Krähen zerkrächzen die Stille, Dompfaff und Meise bringen Leben in das Schweigen, und auf den Weckruf des Hähers steigt die Sonne aus ihrem Bette und erfüllt den Wald mit Licht und Farben. Die ernsten Fichten scheinen zu lächeln, der Schnee sieht ganz warm aus, zu Silber werden die Stämme der Samenbuchen und das Laub der Jungbuchen zu rotem Golde.
Am Stelldichein unter der alten Zwillingsbuche ist buntes Leben. Grüne Röcke und braune Pelze mischen sich mit verschossenen Kitteln, und davor wimmelt und krimmelt die Meute, edles und schlechtes Blut durcheinander. Aber zweierlei ist jedem Rüden eigen: Schmisse außen und Schärfe innen. Alle Augenblicke pfeift die Peitsche über sie hin und »Pfui laut!« erklingt es, wenn die hatzgierigen Finder zuviel Hals geben und allzu heftig an den Riemen reißen. Die Packer aber wahren ihre Würde und schnappen höchstens mit grobem Aufknurren in die Luft, kommt ihnen einer der Kläffer in die Quere.
Der oberste Kreiser, ein Förster mit ledernem Gesicht und seidenweißem Barte, erstattet Bericht: eine Rotte Sauen hat sich im Wolfsgehege gesteckt, eine andere an der schwarzen Wand. Dieses Jagen wird zuerst genommen. Der Jagdherr gibt kurze Anweisung: »Nur Sauen mit Ausnahme führender Bachen, und wenn sie vorkommen sollte, die Wildkatze. Aber kein anderes Wild, auch nicht der Fuchs. Und,« er hebt den Finger und legt ihn an die Lippen, »stille, stille, kein Geräusch gemacht!« Nach rechts und links schlurfen die Schneeschuhläufer ab; hinter ihnen treten die Jäger auf ihren Schneereifen. Meinen Stand weist mir ein junger Förster an; er hinkt etwas, denn vor zwei Jahren zerschlug ihm eine grobe Sau eine Sehne im Fußgelenk. Trotzdem gleitet er auf den Schneeschuhen so leicht dahin daß ich ihm nur knapp folgen kann. Vor einer mächtigen Buche bleibt er stehen, deutet mit der Hand nach dem Ellerngrund und gleitet weiter, bis er hinter einer Felszacke verschwindet.
Ich habe meinen Stand schneefrei gemacht, die Schneereifen abgebunden, die Pfeife angesteckt, und setzt mich auf die mächtigen Wurzelknollen des Überhälters. Vor mir liegt der quellige Ellerngrund, dahinter schiebt sich eine unsichtige Fichtendickung bergan, überragt von drei grauen Felsnasen. Ich rauche und denke an nichts und höre immer wieder das hohl gellende »Hu Su!«, höre es aus dem Kluckern der Quellen, aus dem Locken des Dompfaffen, aus dem Läuten des Schwarzspechtes.
Ich rauche und blicke nach den himmelblauen Schlagschatten der Buchen, die den glitzernden Schnee zerteilen, lausche auf das Wispern der Goldhähnchen, das aus den Fichten herüberflüstert, sehe den Keiler von gestern in meiner Erinnerung auftauchen und die Finder abkämpfen, bis die beiden Packer ihm die Kraft nehmen, ein grüner Rock vor ihm ist, sehe in einer braunen Hand eine silberne Wehr und dann einen roten Strahl, und dann verwandelt sich das Bild: aus dem grünen Rock ward ein buntbenähtes Lederwams, über dem braunen blondbärtigen Gesichte flattert langes, blondes, zum Jagdknoten gedrehtes Haar, ich sehe den Mann knien, mit giftigem »Hu Su!« die Sau anjuchen und dann fahre ich auf aus meinen Träumen und lausche mit offenem Munde.
Ich habe mich geirrt. Das Locken der Dompfaffen hinter mit hat mir ein fernes Geläute der Findermeute vorgetäuscht. Aber Zeit wäre es; über eine Stunde lauere ich hier schon. Die Eichkatze, die dort vor der Dickung aufleuchtet, ist mit eine willkommene Abwechslung. Da faßt die Hand den Kolbenhals unwillkürlich fester, der Fuchs ist es. Doch dann fällt es mir ein, daß der heute einen Freibrief hat, und lächelnd blicke ich ihm nach, wie er bergab flüchtet. Aber dann hebe ich mich von meinem Wurzelsitze; wird Reineke rege, so hat das einen Grund. So horche ich denn schärfer auf. Richtig, von ganz weit her läutet es herüber, grob und fein durcheinander: die Finder sind auf der Fährte der Sauen. Heiß kribbelt es mit unter der Mütze und einen Augenblick halte ich den Atem an. Aber die Jagd ist noch weit, sehr weit; mein Blut beruhigt sich und meine Augen bohren sich nicht mehr in Dickung und Stangenort, sondern schenken dem Bussard einen Blick, der hoch über den Wipfeln kreist, bald wie Silber, bald wie Gold aussehend.
Aber im Nu ist mein Blick wieder an die Fichtendickung geheftet, denn da brach es. Nur ein ganz leises Geräusch war es und doch genügend, um meine Augen dahin zu zwingen. Und nun zetert der Zaunkönig auch noch und das Rotkehlchen warnt und die Amsel schimpft und es bricht wieder, stärker, näher, ein grauer Fleck ist in dem dunklen Grün, wird länger, und jetzt steht groß und breit im Schnee eine grobe Sau. Mit lautem Blasen nimmt sie Wind, trollt dann spitz auf mich zu und auf dreißig Gänge an mir vorbei. Auf meinen Schuß zeichnet sie stark und stiebt in einer Schneewolke davon, und eine Weile höre ich sie noch dahinpoltern und blicke ihr nach. Aber dann ruckt es mich zurück. Über mir am Hange ist heller Hatzlaut und gellend klingt es: »Hu Su, hu Su, wahr to, wahr too!« Die Jagd kommt auf mich zu.
Ich möchte dabei sein, aber ich darf den Stand nicht lassen. Wie mein Herz klopft und mein Atem pfeift, und wie mir die Erregung den Schweiß auf die Stirne treibt und dieses scheußlichschöne Jucken unter der Mütze! H'ach, jetzt bei der Meute sein zu dürfen und zu juchen: »Su Su, mein Hund, hu hatz, mein Hund!« Ich kann kaum ruhig stehen, denn keine zweihundert Gänge über mir geht es: »Giff, gaff« und »Hick, huck«, und ich höre es rauschen und krachen und vernehme weiterweg einen Schuß und nahebei das klägliche und dabei noch giftige Aufklagen eines überrannten Rüden, und dann habe ich den Kolben an der Backe und gehe mit und lasse ihn wieder sinken, denn was da aus der Dickung herauspoltert und den Schnee umherschleudert auf der Flucht, eine Bache ist es, gefolgt von vier jährigen Frischlingen. Auf den letzten will ich gerade Dampf machen, da höre ich einen Hund schrill aufklagen und dann weiß ich nicht mehr, bin ich gelaufen oder gesprungen oder flog ich, ich stehe in dem Ellernbruch, bis an die Waden im Schmorboden und ziele und ziele und ziele unter den breiten Dornbusch, wo es kläfft und bläst und bellt und wetzt und schwarz und weiß und gelb und braun durcheinander wimmelt, und aufheult und zurückprallt und mit giftigem Halse wieder zufährt und ich sehe roten Schaum fliegen und Schnee wirbeln und dann höre ich der Packer dumpfen Hals näherkommen, und sowie der Keiler sich danach wendet, fasse ich ihn hinter dem Blatte und mache den Finger krumm.
Nun aber ist es, als wenn in der Hölle Polterabend gefeiert würde. Sau und Hunde und Schnee und Laub und Zweige, das ist alles eins. Hier fliegt ein Hund hin und hinkt beiseite, da platscht einer mitten in die Quelle und fährt, ohne sich zu schütteln, der Sau wieder an die Schwarte, deren Gebräch, weißen Dampf und roten Schweiß hervorsprühend, blasend und wetzend hin und her fährt. Noch einmal nehme ich den Kolben an die Backe, aber zwecklos pendelt die Laufmündung über dem Wirrwarr vor Sau und Hunden umher. Da sehe ich am Hange einen grünen Rock und Eifersucht packt mich. Ich sichere die Waffe und hänge sie an die Buche, reite, ohne daß ich weiß, wie es kam, auf dem Keiler, trete, so gut es geht, die Hunde ab, fühle einen stechenden Schmerz in den Fingern der linken Hand, die das Gehör der Sau hält, und dann habe ich das Messer in der Hand, gebe meiner Beute den Fang und rette mich vor den Bissen der vor Gift blinden und tollen Rüden, indem ich mich hintenherüber werfe und längelangs in den Schnee falle.
»Tot, tot!« brüllt es neben mir und scharf klatscht die lange Peitsche. Ich rappele mich auf. Der Förster lacht und nickt: »Gut gemacht; Weidmannsheil!« Er trinkt und reicht mir auch die Flasche. Ach ja; das tut gut! Aber meine erste Sau? Während die Koppelführer die Hunde anleinen, führe ich den Grünrock zum Anschusse. Schweiß ist da, aber es ist wenig, und das Haar zeigt an, daß der Schuß sehr tief sitzt. Das wird eine böse Suche geben. Doch erst müssen wir wieder auf unsere Stände zurück. Ich stehe wieder unter dem Überhälter und starre bald nach der Dickung, bald nach dem zerwühlten, rot bespritzten Fleck mit dem großen, schwarzen Klumpen darin, an dem eine bunte Meise, lustig lockend, herumpickt, vernehme, wie die Jagd immer mehr weggeht, höre einen Schuß fallen und nach einer Weile einen Doppelschuß und dann ist alles still und stumm bis auf das Wispern der Goldhähnchen und das Geflöte der Dompfaffen.
Nach einer langen Weile erklingt ein Horn; zum Sammeln ruft es. Ich binde die Schneereifen unter und warte meinen Nachbar ab. »Jetzt geht es erst los«, meint er; »im Wolfsgehege steckte sich eine Rotte von zwanzig.« Schnell lüftet er die Sau, und dann eilen wir zum neuen Schlage. Aber da gibt es lauter lange Gesichter. Die Hunde haben übergejagt und die Sauen im Wolfsgehege rege gemacht, so daß sie über die Grenze gewechselt sind. Sonst war das Treiben nicht schlecht. Zwei hauende Schweine, eine ledige Bache, eine angehende Sau und zwei Überläufer. Und dann, vielleicht, noch die grobe Sau, der ich die Kugel antrug. Aber erst wird gefrühstückt und dann soll nachgesucht werden: Zeit ist genug da. Ich besehe meine linke Hand. Am Zeigefinger ist ein Riß und im Mittelfinger sind zwei runde Löcher, von Hundezähnen gerissen. »Da ist der Krankenwagen,« sagt der Jagdherr und deutet lächelnd auf das Fuhrwerk, auf dem fünf geschlagene Hunde, alle schon geflickt angeleint sind. Alles lacht, aber ausgewaschen und verbunden werden mir die Kratzer doch. Sicher ist sicher.
Das Frühstück ist zu Ende. Nun soll meine erste Sau nachgesucht werden. Am Anschusse werden zwei der besten Finder zur Fährte gelegt; im Umsehen sind sie verschwunden. Wir Jäger aber machen es uns auf den Jagdstühlen und Baumstümpfen bequem, rauchen und lauschen. Eine Viertelstunde vergeht, da hebt der Jagdherr die Hand. »Standlaut!« Alles springt auf und eilt bergab. »In der Goldwäsche!« ruft der Oberkreiser, und wir rennen nach links. Immer näher erschallt der Standlaut, immer heller und schärfer, und jetzt sind wir an der Goldbeek. Ein Förster saust auf den Schneeschuhen voran, uns alle hinter sich lassend, und verschwindet hinter einer Erdfalte. In demselben Augenblick bricht der Standlaut ab. Dann ertönt ein Hornruf. »Sau tot« schmettert es. »Schade!« meint mein Nachbar; »eine frische Hatz zum Beschluß wäre fein gewesen. Na, morgen ist auch ein Tag!« Wir treten an die Sau heran; sie ist schon eine Weile verendet. So geht es zurück zur Zwillingsbuche. Da kündet das Horn: »Sau tot, Sau tot, Jagd aus!«
Nun liege ich wieder in den Federn und sehe in der Dunkelheit schwarze Fichten auf weißem Schnee und dann weiße Fichten auf schwarzem Schnee, höre den Wind singen, bald »Hu Su!« und bald »Su se la su!« und schrecke aus dem Halbschlaf empor, von einem bösen Traume erschreckt. Hinter mir ging es »Giff, gaff, hick, huck«, und ich brach durch Dorn und Dickung und ein Speer zischte und noch einer und dieser traf mich bis ins Mark. Ich schlug um mich und schäumte vor Angst und Wut, und Fratzen, Menschengesichter, aber mit spitzen Fangzähnen und langen roten Zungen waren vor mir und hinter mir und unter mir und über mir, warmer Atem wehte mich an und heißer Geifer besprühte mich, und eine Frau mit kalten Augen, die heiße Blicke in meine warfen, stand vor mir und juchte die greuliche Meute an. Mit einem Satze ritt sie auf mir und stieß mir das Messer unter die linke Achsel. Und davon wachte ich auf.
Draußen singt der Wind bald »Hu Su!«, bald »Su se la su!« Sing' »Su se la su!« du Wind; ich bin müde der Hatz. Nicht mehr hören mag ich heute dein böses, giftiges »Hu Su!«