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Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, der Verfasser des Romans »Der abenteuerliche Simplicissimus«, hat auch den Roman »Das wunderbarliche Vogelnest« verfaßt, in dem der Held Springinsfeld vermittelst eines unsichtbarmachenden Vogelnestes seine Mitmenschen belauscht.
Das wunderbarliche Vogelnest hat Springinsfeld, als Reue und Scham ihn packten, in viele Fetzen gerissen und in einen Ameisenhaufen vergraben; einige feine Fäserchen davon trieb der Wind hier- und dahin, und so ist es gekommen, daß etliche an den Jacken der Pirschjäger kleben blieben und ihnen die Gabe verliehen, ungesehen ihre Kunst auszuüben.
Denn Pirschen, das heißt nicht da zu sein, wo man ist, nicht geäugt, vernommen und gewittert zu werden von dem Wilde, das man weidwerkt, unhörbar dahin zu schleichen, den Wind hinter sich zu lassen, und jederzeit, wenn es nötig ist, zum Baumstamm zu werden im Walde, zum Wacholderstrauch auf der Heide, zum Felsblock im Gebirge, zum Schilfhorst am Strande, die Beute eher erspähen, ehe man eräugt wird, federleichte Füße zu haben und keine Witterung.
Da ist gar nicht so schwer, wie sich das anhört, aber mancher Mensch lernt es nie und die Unbegabten noch später. Da pirscht ein Jüngling von Windhundgestalt auf Gummisohlen mit angehaltenem Atem und so vorsichtig, daß er sich erst dreimal besinnt, ehe er den Fuß niedersetzt, und doch kracht hier ein Dürrast und warnt den Bock, und da geht laut schmälend eine Ricke ab, weil sie den Jäger eräugte und seine Witterung auffing. Hier aber pirscht ein Weißbart, der seine anderthalbhundert Pfund ohne Verpackung wiegt; er bewegt sich so ohne Scheu, als mache er nur einen Spaziergang, und schmökt dabei seine Pfeife, daß der Dampf zehn Fuß lang hinter ihm herzieht, vertritt sich aber keinen Bock und verwittert sich keine Ricke. Er kann es eben, und der andere kann es eben nicht. Denn nicht die Gummisohlen und die atembeklemmende Vorsicht machen den Pirschjäger aus, sondern die Anlage und die Gewohnheit, die dem Manne die völlige Sicherheit gibt. Ob der Rock in den Wald paßt oder nicht, darauf kommt es schließlich auch nicht an, wenn er nur nicht gerade schneeweiß, schwefelgelb, knallrot oder blitzblau ist, oder donnergrün um die Zeit, da kein grünes Blatt mehr am Busche hängt. Freilich ist es besser, man paßt sich dem Lokalton des Geländes an, funkelt in der Kiefernheide nicht in einer spinatgrünen Jacke umher und trägt im lichten Maibuchenwalde kein fichtendunkles Gewand, sondern sieht halbwegs so aus wie der landschaftliche Hintergrund, denn um so leichter gelangt man zum Ziele.
Ganz besonders ist das der Fall, wenn Frau Holle ihre Betten gemacht hat, daß die Federn und Flusen stoben. Dann kann man anziehen, was man will, man ist immer ein auffallender Fleck auf dem weißen Hintergrunde, ganz gleich, ob man grau oder braun oder grün gekleidet ist. Und wenn man sich noch so vorsichtig von Busch zu Busch drückt und noch so behutsam von Stamm zu Stamm schleicht, mit jeder Bewegung fällt man auf, und wenn man nur den Kopf dreht oder das Bein hebt, und da geht der Fuchs hin oder die Sau oder was es sonst ist, dem der Pirschgang gelten soll. So mancher Jäger pfeift darum auf die Pirsche im Schnee und wartet, bis das Land wieder offen ist, und so betrügt er sich um das Allerschönste, was das Weidwerk bieten kann nächst der Pirsch im grünen oder roten Walde.
Denn herrlich ist ein Pirschgang bei einer guten Neuen. Zu keiner Zeit kann man so vortrefflich eine Hauptaufnahme von alledem machen, was im Wald und auf der Heide leibt und lebt. Man hat lange keinen Fuchs mehr zu Gesicht bekommen, aber siehe da, es sind deren drei über Nacht dagewesen, und hier spürt sich ein Marder, und dort ein Iltis, und da gar Grimbart, der Dachs, trotzdem das Wetterglas sehr tief stand. Es sind auch mehr Rehe da, als man dachte, und das eine klagt stark an den Läufen, und hier hat wahrhaftig ein Fixköter an einem Hasen gejagt, und dort ist Hinz, der Kater, gewesen, eine halbe Meile vom Dorf, also wo er durchaus nicht hingehört. Das lohnt alleine schon den Pirschgang, abgesehen von den blauen Schlagschatten der Bäume, den Koboldsgestalten der Jungfichten, dem Spiel der Sonne auf der weißen Decke, dem Kupferrot der Buchjugenden und dem goldenen Geflatter des Bandgrases am Grabenbord. Alles, was an einem solchen Tagen nicht weiß ist, wirkt zehnmal so prächtig als sonst, und so lustig ist es im Walde, und so feierlich dabei, daß man nicht weiß: sollst Du nun singen oder beten?
Aber dann erinnert man sich daran, daß man ein gar zu unpassender Farbenklecks in dem feinen Bilde ist, und das verdirbt einem die ganze Stimmung. Doch gibt es dagegen kein Mittel? Des Springinsfeld wunderbarliches Vogelnest steht uns nicht zur Verfügung, aber Nadel und Faden und weißer Schirting oder Barchend, und damit kann man sich heute ebenso unsichtbar machen, wie ehedem durch geheime Künste. Er kostet auch gar nicht viel, so ein weißer Überzug, und eine weiße Kopfbedeckung und ebensolche Handschuhe sind bald beschafft und drei weißleinene Schläuche für die Riemen an Rucksack und Waffe, und damit ist nur noch das Angesicht da mit seiner unverschämten Farbe, die bei jedem Kopfruck wie ein roter Blitz wirkt. Aber auch dagegen gibt es ein Mittel, eins, das sonst nur allerlei Geflügel anwendet, das um die Abendzeit auf dem Asphalt auftaucht, Griesmehl und Puderquaste. Damit tüchtig das Gesicht eingemehlt, und bei weichem Schnee Schneereifen unter die Sohlen, und das unsichtbare, lautlose Waldgespenst ist fertig.
Eine Lust ist es, so angezogen und bemalt im Neuschnee zu pirschen. Da stehen die Rehe, verhoffen und winden, äugen erstaunt hin und her, denn der Schnee, so weich er ist, ein ganz klein wenig knurpft er doch noch unter den Schneereifen. Doch da die Rehe nichts, aber auch gar nichts gewahren, so treten sie wohl etwas hin und her, springen aber nicht ab und machen den roten Fleck, der sich am Hange entlang bewegt, nicht aufmerksam. Denn das ist Reineke Rotvoß, der Schleicher. Über Nacht wehte ihm der Nordost zu bitter, und so hielt er sich im Baue. Jetzt kneifen ihn aber die leeren Därme und so schnüffelt er an dem Graben entlang, ob es nicht eine Maus zu greifen gibt. Hätte der Jäger nun nicht das weiße Zeug an, so stände er da und dächte: »Du bist mir nah und doch so fern!« So aber geht er getrost den Fuchs unter dem Winde an, aufrecht und stolz, wie es sich für einen freien Mann geziemt, und nicht mit krummen Knien und gebeugtem Rücken, streicht gemütlich an dem Handweiser an, wartet, bis der Rotrock sich richtig hinstellt und setzt ihm dann in voller Gemütsruhe das Neunkommadreiblei dahin, wo das meiste Leben sitzt.
Auch wenn man für die Mutter einmal einen Küchenhasen kuren will, ist das weiße Zeug trefflich zu gebrauchen, denn dann kann man sich hinstellen, wo man will, und braucht sich nicht an die Büsche zu drücken und in den Graben zu kauern, und halb so leicht ist es, sich an die Sauen oder ein Rudel Wild heranzupirschen, als wenn man als wandelnder Baumstamm daherkommt. Desgleichen macht es viel mehr Spaß, so gekleidet die Enten auf dem Bache anzuschleichen, als man mit der Nase auf der Erde nach Leithundsart herankriechen muß, und Wildgans und Trappe halten den Jäger, kommt er wie eine Festjungfrau daher, gut aus. Auch bei der Waldtreibjagd ist der weiße Überzug von bester Wirkung, vorzüglich im hellen Bestande, wo jede Bewegung von weitem eräugt wird. Nur bei der Feldtreibjagd gehört es sich nicht, im Gewande der Unschuld anzutanzen; erstens verdoppelt man dadurch seine und verringert man der Mitschützen Aussichten beträchtlich und man setzt sich der Gefahr aus, gehörig angebleit zu werden, denn was der Hase nicht äugen kann, übersieht auch leicht der Jägersmann. Schließlich hat der Überzug aber noch den Nutzen, daß er den Jäger auch für das zweibeinige Raubzeug unsichtbar macht. Es geht so mancher Mann Tannenzapfen suchen und findet dabei einen Hasen, und Dürrholzlesen ist oft sehr einträglich, zumal in guten besetzten Rehrevieren. Geht der Jagdinhaber in der grünen Joppe los, dann hat ihn der Marder, der mit dem Wurfknüppel beißt, bald spitz und macht sich rechtzeitig dünne; anders aber ist es, kommt der Jäger unsichtbar an, unsichtbar durch das weiße Zeug.