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Sechster Gesang.
Das Opfer.

Vom wolkenlosen Himmel war gesunken
Die Sonne spät, es flammte noch allein
Ihr Scheideblick, und noch vom Lichte trunken
Erblaßte das Gewölbe mild und rein.
In höh'rem Glanze schien die Stadt zu prunken,
Und Säulen und Terrassenbau, im Schein
Von mattem Gold, schien wie zum Aether strebend,
Getaucht ins Strahlenmeer, in Höhen schwebend.

Doch fern davon, als an der Himmelsdecke
Die Sterne traten nach und nach hervor,
Und Land und Meer auf eine weite Strecke
In Dunkel sich am Horizont verlor,
Da stieg, erleuchtend Felsen und Verstecke,
Des Mondes Glanz im heitern Blau empor,
Es glitzern unter ihm, in Schaum gebogen,
Um einer Insel Bord der Donau Wogen.

Im Innern jener Insel, in dem Schauer
Der Oede stund, und hoch in Waldesnacht,
Der Rest von einer Gothenburg, die Mauer
Von Thurm und Thor. Jetzt hielten Reiter Wacht,
Und innen saß, das Haupt gesenkt voll Trauer,
Ein Gothenjüngling, er, vor dem die Macht
Des Reichs im Osten und des Reichs im Westen
Erzittern sollte bald in ihren Vesten.

»Dieß war,« begann er zu den zwei Gefährten,
»Dieß war mein Vaterhaus; an diesem Ort,
Da saßen sie in langen Silberbärten,
Die uns verkündigten das Gotteswort,
Die früh in mir den Drang nach Thaten nährten,
Vernahm ich, wie vom Joch Egyptens fort
Der Herr sein Volk geführt, und wenn ich lauschte
Dem Siegslied, das von Davids Harfe rauschte.

Die Giebel sind gestürzt, zerstört die Hallen,
Und wo sind die, die einst darin gewohnt?
Geflüchtet – in Gefangenschaft – gefallen!
Das Schicksal, das sie traf, hat mein geschont.
Es gab mich in der Feinde Hand mit Allen,
Die man verkaufte; lang und hart gefrohnt
Hat diese Faust im fremden Dienst, entschwunden
Ist jene Zeit, des Schwurs sind wir entbunden.

Den Eid, das Bündniß, das wir eingegangen
Mit Theodosius, hat der Tod gelöst,
Und jedes Band, seit Nacht den Blick umfangen,
Der einzig uns noch Ehrfurcht eingeflößt.
Ihr ruft mich Mauern, nun bewohnt von Schlangen,
Des Schirms vor Sturm und Regenfluth entblößt,
Ihr mahnt mich, Schatten meiner Ahnen, grimmer
Als je zuvor, ich folg' euch – hier und immer!« –

Er sprach es; Alle um ihn her verhießen
Ihm ew'ge Treu' mit einem großen Schwur,
Dann schritten sie zum Strand hinab und stießen
Vom Ufer ab. Stromauf, die Nacht durchfuhr
Ihr Kahn im schwellenden Entgegenschießen
Des großen Stroms; als aber im Azur
Der Tag erschien, trat Alarich zum Heere
Der Gothen sprechend; »Rüstet eure Wehre!

So will es Gott, daß unser Speer bezwinge
Die Welt um uns, die schwach ist und erschlafft,
Daß nicht den Menschen noch zu Boden ringe
Der Elemente Wuth und blinde Kraft.
Die sich mit Gold erkaufen unsre Klinge,
Sind weder tapfer, stark noch tugendhaft,
Drum ziemt's zu herrschen uns, die herrschen können;
Genug – wenn jenen wir zu leben gönnen.

Wohlan denn! eilen wir, Byzanz zu nehmen
Und stürzen wir die Mauern in den Sand,
Denn dieß ist edler, als im angenehmen
Und feigen Müssiggange sich dem Band
Der Knechtschaft, ruhm- und thatlos zu bequemen.
Auf denn! Es gilt Erobrung, Krieg und Land!«
Er rief's, und laut aufjubelnd schlugen Alle
Die Schilde dreimal an mit lautem Schalle.

Zurückgewiesen wurden nun die Solde,
Die noch der Hof ins Gothenlager schickt,
Obwohl mit mehr hinzugefügtem Golde,
Als je vorher ein lüstern Aug' bestrickt.
Doch eines Tags erschienen zwei Herolde,
Und zwischen beiden ward ein Mann erblickt
In Gothenkleidung, Pelze um, braunrothe,
Und Waffen, Roß und Reitzeug wie ein Gothe.

Manch' Lächeln, halb Erstaunen, halb Verachten,
Und mancher Spottwink zielte nach dem Gast,
Der aber schien auf beides nicht zu achten,
Durchritt die Reihn, stieg ab und schritt gefaßt
Nach einem Kreis, wo Schilde laut erkrachten,
Ein Ziel der hochgeschwungnen Speere Last,
Wo Ringkampf war, und wo man Rosse schwenkte
Vor Alarich, der Alles wies und lenkte.

Ein Thal, wo sonst der Luchs und Schakal hauste,
Ein schattig Waldthal war's, zu dessen Grund
Von Fichtenhöhn der Waldbach niederbrauste,
Da hauste nun mit Wagen, Roß und Hund
Das Volk der Gothen. Lanz' an Lanze sauste,
Und ringsum auf den Felsen saß und stund
Das hochgewachsene Geschlecht des rauhen
Bergvolks, dem Kampf der Seinen zuzuschauen.

Auf einem Hügel, den ein Eichwald krönte,
Stund Alarich, um seine Schultern floß
Das helle Haar in Locken, und verschönte
Den Trotz der stolzen Züge. Schlank und groß,
So stund er da, und neben ihm ertönte
Dem Sturzbach gleich, der von den Felsen schoß,
Des Harfners Lied, das in den Zwischenzeiten
Des Ringkampfs klang im Strom der goldnen Saiten.

Rufin trat vor, indem er sich verneigend
Das Pelzwerk um sein Kleid behaglich strich,
Er sprach, nur Zuversicht im Blicke zeigend:
»Du Held und Fürst der Gothen, höre mich!
Die nächsten jener Berghöhn übersteigend
Erblickst du bald, o tapfrer Alarich!
Die Stadt Byzanz, verschanzt mit Wall und Thürmen,
Die du belagern willst und dann erstürmen.

Das rafft dir Zeit hinweg und viele Leben;
Doch höre meinen Rath, nicht ferne liegt
Ein bergig Land, von Buchten rings umgeben,
Ein Land, das einst in seinem Schooß gewiegt
Den Heldenruhm; es ist auch dein Bestreben,
Das Größte zu vollbringen. Auf und siegt!
Auf jenen Höhn stehn noch die alten Warten,
Die einen neuen Herrn schon längst erharrten.

Es ist Hellenenland, wo Theseus baute,
Wo Menelaos saß auf goldnem Thron,
Und du bist selbst ein zweiter Argonaute.
Es werde dein, sei deiner Thaten Lohn!«
So sprach Rufin, und lang und sinnend schaute
Der Gothe vor sich aus, erst zuckte Hohn
Um seinen Mund, dann hellte sich die Sonne
Des Blickes auf in kühner Sehnsucht Wonne.

Gewalt'ger schien der Harfe Ton zu schwellen,
Und Alarich begann: »Dein Wort klingt schön,
Doch sprich, hat jenes Land auch Weidestellen,
Und Ackergrund und Fichten auf den Höhn?
Sind schneeig seine Berge, reich an Quellen,
Und jauchzt am Strand der Brandung Sturmgetön'?
Ist's so, dann will ich jenes Feld der Todten
Bevölkern und bebaun mit meinen Gothen.«

Es trägt den Oelwald und den Hain der Eichen,
Und Rosse nährt es, ist ein goldnes Vließ,
Und auch die Biene schwärmt am blumenreichen
Gestade, welches einst ein Garten hieß.«
So sprach Rufin, und sah er nicht die Leichen,
Die Plündrung und der Städte Brand? Es ließ
Vor seinen Augen Alarich die Fahnen
Entrollen und sein Volk zum Aufbruch mahnen.

Er aber denkt, ob Hellas auch zerfleische
Das Gothenschwert, mein eigen Heil geht vor;
Er hofft, daß seinen Rath der Hof erheische,
Und ihm ersetze, was er jüngst verlor,
Die Macht und Gunst; doch daß ihn alles täusche,
Erfährt er bald, sein Gegner kommt empor;
Vom Abendland auf ungeahnten Wegen
Rückt Stelico dem Gothenheer entgegen.

Serena, die der beiden Herrscher Schwester,
Und Gattin des gewalt'gen Mannes war,
Deß starker Arm des Reiches Zügel fester
Und straffer hielt, je größer die Gefahr,
Serena ward des armen Landes Esther,
Sie nahm der wachsenden Bedrängniß wahr,
Sie bat, und von des Reiches ferner Wiege
Trug Stelicon nach Hellas Ruhm und Siege.

Den Strymon schon hat Alarich durchschwommen,
Er drängt zu Tempes und des Pindus Thal,
Thessalien wird von Gothen eingenommen,
Und des Spercheios Strand, ein Adlermahl
Bezeichnet ihren Weg, wohin sie kommen.
Auf einmal blitzt es hell von Waffenstrahl,
Der Retter ist, ein Marius, erschienen.
Rufin vernimmt es mit bestürzten Mienen.

Er drängt sich zu Arkadius mit Worten
Voll Arglist: »So wie Stelicon es nimmt,
So hat, der einging zu des Himmels Pforten,
Dein Vater, nicht des Reiches Loos bestimmt,
Denn Jener an der Spitze der Cohorten,
Auf mich, weil deine Gunst mir lacht, ergrimmt –
Nach deiner Hauptstadt rückt er längs dem Meere
Mit seiner Söldner ungezähmtem Heere.

Befiehl ihm, daß er sich zurück verfüge!
Entsetz' ihn, willst du ferner sicher sein!
Denn seine Ehrsucht, Herr, kennt kein Genüge,
Und Nahrung nur wird seinem Trotz verleihn
Die Nachsicht, die ihn zügeln sollte.« »Lüge!«
Rief jetzt Arkadius, »sein Schwert ist rein,
Schon hat sein Heer Thessalien beschritten
Und mit den Feinden am Olymp gestritten.

Du wähnst, ich soll vor meinen Freunden beben?
Wer lebt, der meine Gunst ertrotzen kann?
Doch du, so glaub' ich, zitterst für dein Leben.
Weh' dir, erfährt es jener tapfre Mann,
Dem seine Krieger bis zum Tod ergeben,
Was deine Tücke gegen ihn entspann;
Doch bin ich deinem Wunsche nicht entgegen,
Er soll, ich will's, die Waffen niederlegen.« –

Denn wirklich schon zum Oeta vorgedrungen
War Stelico, und war schon im Begriff,
Die Schlacht zu thun, die Lanze war geschwungen,
Des spitzen Pfeils gekrümmte Schlange pfiff,
Und laut hat die Trompete schon erklungen;
Da plötzlich sinkt die Hand vom Schwertesgriff,
Man ruft sich zu, man schreit es von den Rossen;
»Hört das Mandat, ein Friede ward geschlossen.«

Voll Unmuth schüttelt Stelico die Waffen,
Sein Angesicht verdunkelt finstrer Schmerz:
»Dieß unser Lohn, da noch die Wunden klaffen!
Und ungesättigt glüht das volle Herz;
Man wagt es, so den Sieg uns wegzuraffen!
Und Neid befleckt der Ehre ruhmvoll Erz;
Er büß' es, der da glaubt, wenn wir verlieren,
Mit dem erkauften Schimpf zu triumphiren.«

Mit trübem Muth, mit unverhehltem Grimme
Schickt sich das Heer zur Heimkehr an; gesenkt
Die Waffen; Zorn entwaffnet ihre Stimme,
Doch sprechen Blicke, was die Seele denkt,
Daß durch die Schmach der Rachefunke glimme.
»Leb' wohl, mein Heer,« spricht Stelico und lenkt
Sein treues Roß von dannen; »lasset büßen
Die Heuchler, die euch in Byzanz begrüßen.«

Dort zählt Rufin indeß die Tageslängen,
Und eines Morgens, als er ängstlich schleicht
In seinen Hallen um und Säulengängen,
Da flüstert man ihm zu; »Es ist erreicht!« –
»Laßt meinen Pfühl mit Purpur überhängen,«
Jauchzt nun Rufin, »nun sei mein Schlummer leicht,
Arkadius bewilligte den Frieden,
Zurück ist Stelico nach Rom beschieden!

Ein weites Meer mit tausenden von Klippen
Liegt zwischen mir und ihm; nun ist es Zeit,
Die Becher zu bekränzen, an den Rippen
Nag' ihm sein Herz und träum' von Tapferkeit!« –
So sprach er voll Triumphes auf den Lippen,
Doch als es Abend ward und Dunkelheit,
Von hundert Opfern stiegen auf die Schatten,
Die seine Mörder ihm geschlachtet hatten.

»Sei wach!« so riefen sie ihm zu; »Ja wache,
Daß nicht die Liebe noch ein Herz erweicht;
Sei wachsam, Geiz, und deine Rechnung mache,
Noch hast du nicht dein letztes Ziel erreicht;
Es könnt' ein Laut auftauchen aus der Rache,
Man könnte sehn, wie dein Gesicht erbleicht;
Du kannst die Welt der Geister, die dich richten,
Wenn nicht erkaufen, doch vielleicht vernichten!«

Und sieh, es flog die Rache zu den Thoren
Der Hauptstadt hin, und dort voll Stolz empfing
Des Kaisers Günstling mit den Senatoren
Das Heer des Stelico, und lächelnd ging
Der Höfling durch die Reihen. Halt! geschworen
Ist's seinem Haupt, und ihn umschließt ein Ring
Ergrimmter Krieger. Mitten unter ihnen
Erkennt er, was ihm droht aus ihren Mienen.

Er flieht zum Thron, da tritt hervor ein Gothe,
Entblößt sein Schwert, und wie Rufin erbleicht,
So donnert er ihm zu: »Kennst die Gebote
Der Ehre du? Mit dieser Hand erreicht
Dich Stelico, und weiht dich so dem Tode.«
Damit durchstößt er ihn. Arkadius weicht
Entsetzt zurück, und um ihn her ertönet
Der Ausruf: »Die Standarten sind versöhnet.«

Das Opfer fiel, nur Eines für die vielen,
Die hingewürgt einst seine Grausamkeit.
Die Gothen unterdessen überfielen
Pharsalias Au, und ohne Widerstreit
Erschau'n sie schon den Fels der Thermopylen,
Sehn des Parnassus Höhn noch tief beschneit,
Und nahn dem Thal, an dessen Felsenrande
Des Löwen Haupt zerschmettert liegt im Sande.

Die Morgenlüfte fingen sich zu regen,
Zu röthen sich der Haine Wipfel an,
Man sah ein Schiff sich rasch vor Anker legen,
Und eifrig sprangen mit der Boote Nahn,
Mit Speer und Schild, es ging dem Feind entgegen,
Hellenenkrieger ans Gestad' heran,
Um ihrer Waffen Glanz nur Trauerzweige,
Erklommen sie behend die Felsensteige.

Ihr Führer ruft: »Dort sind die Thermopylen,
Dort sind die Berge, wo Leonidas
Und seine Streiter für die Freiheit fielen!
Ein gleiches Loos, o Geist der Freiheit, lass'
Auch uns für's theure Vaterland erzielen!
Neig', wenn wir starben, über unser blass'
Und blutlos Antlitz einer sich der Schatten
Der Edlen, welche hier geblutet hatten.«

Telestes sprach's in treuer Männer Kreise:
»Die Stunde naht, nach der mein Herz gestrebt,
Wenn meiner Ahnen ich mich werth beweise,
So dank' ich euch den Ruhm; ihr Freunde gebt
Den schönsten Schlußstein meiner Pilgerreise,
Den Tag, der neben Helden mich begräbt.
Wohlan denn, auf! die Gothen mit den Speeren
Von unsrem Vaterlande abzuwehren!«

Sie ordnen sich, sie schreiten ernst und heiter
Durch Schlucht und Felsenpfad, bergauf, bergab,
Zweihundert bis zum Tod entschlossne Streiter,
Der Freiheit werth, der sich ihr Herz ergab;
Doch vor der Schlucht schon halten Gothenreiter,
Den Griechen blieb nichts übrig als ein Grab;
Der Wurfspieß fliegt, die breiten Schwerter blinken,
Und viele von den ersten Gothen sinken.

»Was wollt ihr? euren Tod?« schrien die Germanen,
Und brachen ringsum auf die Griechen ein,
Sie suchen in die Phalanx sich zu bahnen
Zu Roß, zu Fuß, in aufgelösten Reihn.
Die Griechen, die sich wechselweis ermahnen,
Des Opfertodes eingedenk zu sein,
Stehn Mann an Mann dem Feinde fest entgegen,
Nicht Einer fällt, dem nicht ein Feind erlegen.

Der Mittag drückt in seiner vollen Hitze,
Gebirg und Wälder hüllt ein blauer Duft,
In braunem Schimmer glüht die Felsenspitze,
Ein Adler schwingt sich von der dunklen Kluft
Bis um den Schnee der alten Göttersitze,
Und regungslos liegt auf dem Meer die Luft,
Kein leiser Hauch erfrischt mit sanfter Kühle
Die Sterbenden im heißen Kampfgewühle.

Entschieden ist's; sie fielen, wo sie stunden,
Sie ruhn umringt von Feindesleichen dicht;
Auf Brust und Haupt den Ruhm der Todeswunden,
Den kühnen Muth im stummen Angesicht.
»Wir haben keinen Feind noch überwunden,
Der werther war, durch uns zu fallen!« spricht
Der König Alarich zu seinen Gothen,
Und blickt noch lang bewundernd auf die Todten.

Vom Feinde wird die edle Schaar bestattet;
Ihr stiller Hügel, den kein Marmor drückt,
Von Lorbeer und Cypressen nur beschattet,
Wird mit gebrochnen Waffen ausgeschmückt.
Dann schlägt das Gothenheer, von Kampf ermattet,
Wie nun der Tag in seine Neige rückt,
Und da zur Ruhe nun die Sterne laden,
Die Zeltstadt auf entlang den Meergestaden.

Die Nacht durchlodern hundert Feuerbrände,
Entzündet auf den Höhn, es rauscht die Fluth
Bis vor des Zeltes schildbehangne Wände,
Worin noch wach der Gothenkönig ruht.
Sein sinnend Haupt gestützt in beide Hände,
Gedenkt er dieses Tags voll Kampf und Gluth.
Er fährt empor, rasch greift er nach dem Speere,
Denn dort, was hebt – was naht sich dort vom Meere?

Es scheint dem Meer, es scheint der Nacht entstiegen,
Verwundet bleich im griechischen Gewand. –
Ist's von den Kriegern, die erschlagen liegen,
Der Letzte, den der Tod nicht überwand?
Er naht, die Vorhänge des Zeltes fliegen
Wie Wolken weg vor seiner bleichen Hand;
Rasch vor dem Könige sich niederlassend
Beginnt er, seine Kniee sanft umfassend.

»O Fürst des Volks vom Norden, deinem Throne
Bin ich genaht, schon nah der Schattenwelt,
Mich schreckt nicht deines Hauptes Flammenkrone;
Schon todeswund schleppt' ich mich in dein Zelt,
Nun fleh' ich dich, sei mild und gütig, schone
Dieß Land, das einst der höchste Ruhm erhellt!
Dieß Land, für das die Spartersöhne fielen,
Getreu der Pflicht, am Tag der Thermopylen.

Auch dich hat ein Verhängniß ausgeschieden
Vom Land, das deiner Väter Fuß betrat,
Wie Priamus den zürnenden Peliden
Um Schonung für des Sohnes Leichnam bat,
So fleh' ich dich für Griechenland um Frieden!
Schon' seiner Tempel, seiner Frucht und Saat,
Zerstör' nicht seine Städte, gib der Schande
Nicht seine Kinder preis im fremden Lande!

Erhöre mich, schon nah bin ich den Todten!« –
Und wie zum Flug die Schwingen hebt ein Aar,
Erhob er seine Arme zu dem Gothen,
Der finstern Blickes sprach; »Zwar eure Schaar
Hat heut' uns einen Widerstand geboten,
Der eurer großen Vorzeit würdig war,
Doch euer Heldenstamm ist ausgestorben,
Und ihr seid feil geworden und verdorben.

Durch eure Künste fiel die Welt verblendet,
Vom Einen Gott, dem einzig wahren ab;
Deßwegen hat mich sein Gericht gesendet,
Der jedesmal, eröffnend Tod und Grab,
Wenn sich ein Volk von seinem Blick gewendet,
In eines Kriegers Hand die Strafe gab,
Um in dem Feld aus Steinen harter Thaten,
Hervorzurufen neue Menschensaaten.«

»O!« rief Telestes, »zieh' denn hin, zerstöre,
Umgib mit Wüsten, mit Erschlagnen dich,
Sei ganz ein Raubthier! Fluch dir, es empöre
Die Nachwelt über deine Thaten sich!
Und dieß auf Erden, dieß dein Schicksal höre: –
Nachdem er Rom erreicht, stirbt Alarich!
Sein Zug war nur wie eine schwarze Wolke,
Und keine Spur verbleibt von seinem Volke!«

Kaum ausgesprochen, wie voll Wuth und Schrecken
Ein Löwe plötzlich sich vom Schlummer rafft,
Wenn ihn des Nachts die Wüstenblitze wecken
Und vom Erdbeben seine Höhle klafft:
So sprang, den Griechen tödtlich hinzustrecken,
Der König auf, doch schnell entsank der Schaft
Dem starken Arm, denn jener voll von Wunden
Sank hin, und seine Seele schien entschwunden.

Er hob ihn auf, befahl ihn zu verbinden,
Um ihn besorgt mit hehrem Edelmuth.
»Der Stärk're kann den Tapfern überwinden,
Doch gönnen muß er ihm der Ehre Gut,«
Sprach Alarich, »du sollst mich milder finden,
Als du geglaubt. Was du gewesen, ruht
Im Grab, das du erringen wolltest. Streite
Forthin mit mir, und kämpf' an meiner Seite.«

Vor's Zelt trat Alarich – und wo am Meere
Ein Fels ragt, blickt er über Fluth und Strand:
»Wohlauf mein Volk, erhebe deine Speere,
Und schleudre nieder jeden Widerstand!
Bleibt uns kein Heil und keine Siegesehre,
So jubeln wir doch in den Weltenbrand;
Stürzt Tempel, brecht Paläste, klagt, ihr Frommen,
Die Zeit der Götterdämmrung ist gekommen.

Zerbrochen sind die Leyern und die Flöten,
Es tönt die sturmbewegte Harfe nur
Ein Klaglied von der Völker blindem Tödten;
Der Himmel schweigt, entzweit ist die Natur,
Und ob zu Morgen- oder Abendröthen
Der Gluthrauch steigt aus menschenleerer Flur,
Wer weiß es, ob für ewig und verloren
Die Welt vertilgt wird oder neugeboren.

Wir aber, wie die flammenden Kometen
Durchziehn den Pfad, den unser Schwert uns räumt,
Es wird die Blume mit der Saat zertreten,
Es jauchzt das Meer und seine Woge schäumt,
Es stampft das Roß, es schmettern die Drommeten,
Wenn sie verhallt, ist Alles ausgeträumt.
Das Thor ist auf, die Felsen sind erstiegen,
Auf, nach Athen, laßt unsre Banner fliegen!«

Wo rosig einst Hymettus Blumen pflückend,
Die Jungfraun wandelten um Platos Grab,
Da sah man bald die Gothen, Speere zückend,
Und mit den Schilden, mit dem Heroldstab.
Die Sonne schien, mit neuem Glanz sich schmückend,
In Morgengluth auf ihr Athen herab,
Die Agora war stumm, die längst schon todte,
Und in Piräus lagen still die Boote.

So donnerten die Sieben einst um Theben. –
Und aus den Thoren durch der Mauern Staub
Erschienen Greise flehend und mit Beben,
Um abzuwenden von der Stadt den Raub;
Und Alarich – er hieß sie sich erheben –
»Dem Flehn des Alters bleibt kein Gothe taub –
Der Schnee auf euren Häuptern ist Aegide,
Gebt Lösegeld, und mit Athen sei Friede.«

Und feierlich mit einem Eid beschworen
Ward beiderseits ein heiliger Vertrag,
Es blieb das Heer gelagert vor den Thoren,
Der König nur betrat auf einen Tag,
Begleitet von Rhetoren und Quästoren,
Athene's Stadt. Ein festliches Gelag
War ihm bereitet, bis zur Morgenröthe
Verstummte nicht Gesang und Schall der Flöte.

Doch Schonung der bedungnen Schätze kauften
Nicht Flöten los und nicht der Mummenscherz,
Obwohl die Heiden sich die Bärte rauften,
Als eingeschmolzen ward das Gold und Erz
Der Statuen. »Weh' euch, euch Ungetauften,«
Rief Alarich, »daran hängt euer Herz?
Und wir, die wir dem Dienst der Waffen leben,
Sind Ungemach und Hunger preisgegeben.«

Verschleiert aus den Masken, ohne Bangen,
Trat eine Jungfrau, Hebe's Bild, hervor,
Sie war mit reichen Tuniken umhangen
Und goldne Bienen schwebten in dem Flor
Des Schleiers um ihr Haupt: »Ja, heimgegangen,«
So sagte sie, »und nie mehr kommt empor
Das schöne Licht des Gottes mit den Musen;
Entmenschlicht und verhärtet sind die Busen.«

Da rief er laut und lachend aus: »Mehr Stärke
Als eure Götzen alle – seht sie an –
Hat der allmächt'ge Gott, seht seine Werke!
Er ist ein Geist, und nicht erdacht vom Wahn,
Und nicht von Menschenhand. Sein Augenmerke
Weist jedem Stern am Himmel seine Bahn.
Doch vor den Bildern aus Gestein und Erzen
Befällt ein Grausen und ein Weh' die Herzen.«

Jetzt führten seine Gothen ihm die Schimmel,
Die goldgezäumten vor, die hellen Gruß
Aufwieherten zum lichten Sterngewimmel,
Und wallend bis zur Spitze seines Schuhs
Flog ihrer Mähnen Glanz, wo hoch gen Himmel
Die Säulen ragten von des Hügels Fuß,
Wo leuchtend stund im Glanz der Morgenhelle
Minerva's Bild und ihre Tempelschwelle.

Als Alarich erblickte die Aegide
Und die behelmte Jungfrau mit dem Speer,
Auf dessen Spitze glomm der stille Friede
Des Mondlichts, fernhinleuchtend auf das Meer. –
»Ich glaube, daß sie doch den Kampf vermiede,«
Sprach Alarich, »mit meinem Gothenheer,
Wie mächtig auch sie ragt. Doch soll sie dauern
Und Wolken sammeln über eure Mauern.«

Und rasch vorüber sprengt er hoch zu Rosse
Zum Bild des Macedoniers hinan,
Und fort, und zu dem Jupiter-Colosse
Der vor dem Tempel stund des Hadrian:
»Von dem glaub' ich's, daß seines Hauptes Sprosse
Die Weisheit war, und ihm von Anfang an
Vor allen Göttern war die Macht verliehen,
Doch er auch starb; fort, laßt uns weiterziehen!«

Als von den Höhen jetzt der Morgen hauchte,
Und aus der Nacht beim ersten Morgenstrahl
Die Burg Athens mit ihren Tempeln tauchte,
Durchzog das Gothenheer das weite Thal;
Indem noch rings die Feuerstätte rauchte,
Erstiegen sie die Höhn, wo rauh und schmal
Der Weg sich windet, steile Felswand oben,
Und nebenan und unten Meerestoben.

Korinth und Argos und der Sparter Fluren,
Die festen Städte, wie das offne Land
Und Orte heilig seit urlängst erfuhren
Der Flamme, der Zerstörung Todeshand.
Eleusis sank in Schutt, der Asche Spuren
Verklagten laut der Mönche grau Gewand,
Daß sie zu Ceres Tempelbau die Führer
Des Feindes waren und der Flammen Schürer.

Gefangen, kaum geheilt von seinen Wunden,
Erschaut Telest den Brand des Tempelbaus,
Und durch die Flammen dringt er, die Rotunden
Durchirrt er in dem hohen Säulenhaus,
Und als er nun Demeters Bild gefunden:
»Sie suchen dich mit Fackeln,« ruft er aus,
»Du aber fliehst vom Anblick Unterjochter
Hinab ins Schattenreich zu deiner Tochter.«

Und zu den Mönchen sich verächtlich wendend;
»Daß ihr vernichten könnt, habt ihr geglaubt,
Der Göttin Dienst? – den Mythus nur vollendend,
Habt ihr zum zweitenmale sie geraubt.
Verberge denn, die Hellas Segen spendend,
So lange hier gethront, ihr heilig Haupt,
Und lasse wieder, Wüstenei geworden,
Das unbepflügte Land dem Zug der Horden.«

»Blick' tiefer und du wirst die Flamme sehen!«
Rief eine Stimme neben ihm, »es ist
Ein Dauerndes im Werden und Vergehen!«
Telestes sah sich um, und wer ermißt
Sein Staunen, der, der vor ihm steht im Wehen
Des grauen Kleides, ist derselbe Christ,
Den er gewähnt von seinem Stahl erstochen,
Nur milder jetzt, sein Blick noch wie gebrochen.

»Die Zeit,« begann der ruhig, »die begonnen
Mit diesem Tempel ward, hat ausgelebt,
Hat ihres Daseins Kreislauf abgesponnen.
Der Mythus, der um diese Säulen webt,
Für ein noch kindliches Geschlecht ersonnen
Auf jungfräulicher Erde – fiel, und hebt
Aus dunkler Nacht zum Leben einst sich wieder
In neuem Keim, und nähret neue Glieder.

Du siehst; die Wölbungen, die ihn umschlossen,
Durchbrach er mit Gewalt und tritt, ein Geist,
Befreit hervor, die Frucht, die ihr, entsprossen
Dem Schooß Demeters, ihr zu Ehren preist,
In höh'rem Sinn wird sie von uns genossen,
Als Nahrung, die des Menschen Seele speist,
Sie stärkt im Glauben uns, daß an der Wiege
Des Schönen ewig auch das Gute siege.«

»O wer bist du, Erhabner!« rief mit Schauer
Telestes aus, »und ist in dir ein Hauch
Des Lebens noch, sprich! gibt es eine Dauer
Nach diesem Sein, und dort ein Wissen auch?«
Er rief's, als donnernd über ihm die Mauer
Herniederbrach, den Christen dichter Rauch
Und Staub umgab, und nahe dem Ersticken
Telestes hinsank, Nacht vor seinen Blicken.

Als aber ihm Besinnung wiederkehrte,
Lag blaues Meer vor ihm, er fand am Strand
Sich hingebettet, Gothen, speerbewehrte,
Sahn spähend von den Höhn auf Fluth und Land;
Zum Aufbruch klang's, und durch die ringsverheerte
Geflohne Gegend ging im Sonnenbrand
Der Gothen Zug, wie Flug von Vögeln schwirrend,
Zerstörend, Beute bringend, schilderklirrend.

Das schöne Land mit seinen sonnenhellen
Tief blauen Buchten rings am Meeresschooß,
Das wald- und weidenreiche Land der Wellen,
Das Land der Musen, sah nun arm und bloß
Wie seiner Haine Duft und Luft der Quellen
Ins Blutbad der Erobrer sich ergoß,
Sah hingewürgt den Hirten mit der Heerde,
Und seine Tempel gleichgemacht der Erde.

Die Zeit ist stumm darüber weggeflogen,
Zerbrochen sind, zerstreut in Schutt umher,
Die Säulen, und gestürzt die Marmorbogen,
Die Stelle des Altars ward öd' und leer;
Die Nymphen sind aus ihrem Thal gezogen,
Die Dryas wohnt in ihrem Baum nicht mehr,
Als ob ein Erdstoß sie verwüstet hätte,
Liegt öd' und einsam Delphi's heil'ge Stätte.

Und dort, wo einst die heiligen Fackeln brannten,
Wenn aus der Tiefe das Orakel quoll,
Wenn Nachts zum wilden Tanz der Corybanten
Der rauhe Ton metallner Becken scholl –
Wo sind sie jetzt, die Priester und Bacchanten,
Die Seherinnen, ihres Gottes voll? –
Verhallt, dahin; vom Inhalt alles dessen,
Wonach die Menschheit ringt, vertilgt, vergessen.

Und über den Ruinen ist's, als liege
Der Nachhall eines wunderbaren Traums,
Nachtfalter schwirren, eine schwarze Ziege
Benagt das dunkle Laub des Feigenbaums,
Durch Dorngestrüpp führt eine Felsenstiege
Zum Abgrund eines finstern Höhlenraums,
In dessen Schlucht stets bang der Luftzug wimmert,
Und auch am Tag ein Quell die Sterne schimmert.

Still war das Meer und dunkel. In den Myrthen
Am Ufer tönte noch kein Lebenslauf
Noch keine von den frühen Lerchen schwirrten,
Die ihre Nester hier in Schutt gebaut,
Zestreut auf Marmortreppen schliefen Hirten,
Aus Epheu, Lorbeer, Schling- und Heidekraut,
Erhoben wie aus tiefem Todesschlafe
Zerbrochne Säulen sich und Architrave.

Halb aus der Fluth, halb um den Fels der Küste
Erhob sich die Sirene, sang und schlang
Ihr feucht Gelock vom Schnee der schönen Brüste
Sich spiegelnd um die Schultern, und sie sang;
»Wie viel ich schon ins Meer hinunterküßte,
Wie vieler Männer Brust ich schon umschlang,
An keinem fühlt' ich noch mein Herz entbrennen,
Doch möcht' ich längst die Lust der Liebe kennen.

Oft lauscht ich, wenn die Frauen am Gestade
Ins Meer hinaus nach ihrem Gatten sehn,
Ich hör' auch, was die Mädchen sich im Bade
Von ihrer Liebe Liebliches gestehn.
Welch' süße Nacht, wie schön singt die Cikade!
Wie sanft, wie schwül die Lüfte um mich wehn!
Ach wie viel schöner als bei uns im Dunkeln
Ist's doch hier oben, wo die Sterne funkeln.

Ach, wie viel heitrer als der freudenlose
Krystallgrund leuchtet dieses Himmelsblau!
Was sind Korallen gegen eine Rose,
Was alle Perlen vor dem Tropfen Thau?
Zwar flüchtig ist das Glück der Erdenloose,
Was heut' emporgeblüht, ist Abends grau,
Ist morgen todt; doch dieser Schatten eben
Erscheint so reizend mir am Menschenleben.« –

So klagte die Sirene; plötzlich rauschte
Das Schilf, und aus den dunkeln Felsen trat
Ein fremder Mann, und sah die Schmerzberauschte
Mit düstern Blicken an. Sie rief: »Wer naht,
Der mein unsterblich Klagelied belauschte?
In meinen Armen büße den Verrath!
Wie schön du bist! O Fremdling, Hab' Erbarmen,
Laß mich an deiner Menschenbrust erwarmen.

Ich bin ein Kind des Südens, meine Wiegen
Sind diese Wogen, komm, ich zeige dir
Ein Inselland, so glücklich und verschwiegen!
Mit Tempeln, nicht gestürzt wie dieser hier,
Nein – wo sich Myrten noch an Säulen schmiegen;
Dorthin, o holder Fremdling, folge mir!
Unsterblich bin ich, göttlich zwar geboren,
Doch alles geb' ich gern um dich verloren.«

»Verführerin!« – sprach bitter und mit Lachen,
Indem er an sein eisern Herz sich schlug,
Der Vampyr, welcher auf dem Helm zwei Drachen,
Und schwarz ein Kriegskleid um die Schultern trug:
»In mir wirst du kein Feuer mehr entfachen,
Ich habe längst gelebt, geliebt genug;
Vernimm, ich bin, wie du, nicht was ich scheine,
Es ist mein Herz so blutlos wie das deine!

Doch von den Sterblichen will ich dir sagen;
Beneide nimmer ihren Traumgenuß!
Die Götter trauern und die Menschen klagen,
Und überall ist Schmerz, ich aber muß
Jedwede Nacht der Grabesruh' entsagen,
Es lechzt mein Mund nach heißem Menschenkuß,
Es dürstet mich nach blutdurchtobten Wangen,
Und wer mich liebt, den tödtet mein Umfangen.

Du weißt nun, Kind der Wasser, was ich leide;
Ich bin gestorben, seelenlos bist du.
Was uns gemeinsam, trennt uns ewig beide,
Dich flieht der Friede und mir fehlt die Ruh'!
Wie könnten wir uns lieben! Flieh, ich scheide.«
Er sprach's und wandte sich den Felsen zu.
»Weh' mir, mich hat mein falsches Herz betrogen!«
Das Meerweib rief's und warf sich in die Wogen.


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