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Ausonius sah von seines Hauses Schwelle
Zum Strom hinab in stiller Abendgluth,
»O heitre Mosel,« rief er, »deine Welle
Ist Strom zugleich und stolze Meeresfluth.
Dein Trank gewährt das Labsal einer Quelle,
Und See bist du, so still nur einer ruht,
Du rieselst wie ein Bach dahin, trägst Schiffe,
Und weder Furten hemmen dich noch Riffe!«
In seinem Ausruf plötzlich unterbrochen,
Erblickt er eine Kriegerschaar sich nahn,
Und wird von ihrem Führer angesprochen;
»Dem Freunde unsres Kaisers Gratian
Sei Glück und Heil! Als wir in jüngsten Wochen
Hinüberzogen und den Rhein hinan,
Geschah es, daß im Land der Alemannen
Wir manchen stolzen Beutetheil gewannen.
Und einst, es war ein Dorf in Brand gerathen,
Da wurde diese schönste Beute mein!
Sich her!« Er sprach's und winkte den Soldaten,
Da trugen die ein blondes Kind herein,
Ein kleines Mädchen, das die Rauhen baten,
Nur ohne Furcht und Bangigkeit zu sein,
Denn bittre Thränen brachen immer wieder
Durch ihre halbgeschlossnen Augenlider.
Es ward dem greisen Römer übergeben;
»Die Deutsche,« fügte der Tribun hinzu,
»Ist nicht nur hold, sie weiß auch fein zu weben,
So nimm sie denn als deine Sclavin du!
Wir wußten nicht was thun mit diesem Leben.«
»O,« rief Ausonius, »hier finde Ruh!
Du bange Seele, blüh' hier und gedeihe,
Und sei von dieser Stund' an eine Freie!
Der Menschheit soll ein neues Band dich einen,
Damit nicht Schmach dein zartes Herz erduld'! –
Erschlug man dir die Theuren, all die Deinen,
Ich nehm's auf mich, als wär' es meine Schuld.«
Und leiser ward darauf des Mädchens Weinen,
Als ahn' es still die ihr gewordne Huld,
Und müde von Entbehrung, Angst und Kummer,
Versank es bald in einen tiefen Schlummer.
Ausonius' besorgter Blick verweilte
Auf seiner Schutzbefohlnen still und bang;
Er bog sich zu der Schlafenden und theilte
Von ihrer Stirn die Locken. »Schöner Drang
Des Mitgefühls,« so rief er aus, »ich heilte,
Doch welch ein Wohl einst meiner Kunst gelang,
Das Schönste bleibt, die Seele zu befreien,
Und einem bessern Daseyn sie zu weihen.«
Und ruhig tritt er wieder vor die Schwelle,
Den Strom zu seinen Füßen sieht er ziehn,
Die Gluth des Abends leuchtet aus der Welle,
Und Well' an Welle gleitet sanft dahin –
Da weckt ihn ein Geräusch, und aus der Helle
Des Vorgemaches tritt ein Mann vor ihn,
Ein Kriegsmann in der fremden Tracht und Weise
Des Scythenvolks, und beugt sich zu dem Greise.
Auf einem Turban mit Smaragdagraffe
Flog eine Reiherfeder stolz empor,
Darunter sahn ein Feuerblick und straffe
Und strenge Züge kühn und schlau hervor.
Ein leichtgebogen Schwert war seine Waffe,
Und Pfeil und Köcher klirrten an das Ohr.
Ausonius sprang auf, erstaunt, und blickte
An seinem Gast empor, der aber nickte.
»Erkennt mein Lehrer mich, mein Freund nicht wieder?«
Begann der Fremde, »sieh nur recht mich an!« –
Da glitt vor ihn der Greis zur Erde nieder,
Und rief; »Mein Herr, mein Kaiser Gratian!
Ich seh', es barg sein schattiges Gefieder
Der Adler, und erscheint als lichter Schwan;
Du kehrst zurück von Isters rauhen Borden,
Im Waffenschmuck des überwundnen Norden.«
»Ach,« sagte Gratian, »dort angekommen
Mit einem Heer, das ihm zu Hilfe zog,
Vernahm ich schon, daß Valens umgekommen.
Als mir die Trauerpost entgegenflog,
Die Reiter hatten schon den Fluß durchschwommen –
Schwand alle Siegeshoffnung, dieß bewog
Zum Rückzug mich, da Schwärme der Barbaren
Auch hier sich um des Reiches Grenze schaaren.
Siehst du, es hat der Stier das Joch zersplittert,
Das wir ihm aufgelegt, zu milde nur!
Und wir bedrängt, stehn machtlos nur erbittert.
Denn Jener ungebändigte Natur
Droht Allem Umsturz; wer es denkt, erzittert.
All diese Völker, schon mit sichrer Spur
Verfolgen sie in allen ihren Planen
Ein festes Ziel, das sie bis jetzt nur ahnen.
Verloren sind wir, wenn wir sie nicht zwingen –
Jedoch nur mit den Waffen nimmermehr!
Das kann allein der Klugheit noch gelingen,
Und nicht nur durch Geschenke, wie bisher;
Wir müssen ihnen mehr entgegen bringen;
Auch Ehrenstellen, Würden in dem Heer;
Und Welche wir dann ganz an uns gezogen,
Durch Die wird auch der andern Trotz gebogen.«
Er sprach's, und ernst in sich gekehrt, bedachten
Die beiden Römer nun der Mittel Wahl,
Wie noch das Reich zu retten; sie durchwachten
Nach kurzer Rast, und bis zum Morgenstrahl
Die stille Nacht; oft schwang sich im Betrachten
Ihr Blick empor zum hellen Sternensaal,
Als sich im Ost erschloß des Tages Pforte.
Da brach der Kaiser aus in diese Worte:
«In drei der Tageszeiten theilt die Reise
In seinem hohen Reich am Himmel – Sol,
In Morgen, Mittag und des Abends Kreise,
Die Nacht allein bewohnt den düstern Pol,
Wo lichtlos thront der Frost im ew'gen Eise.
So theile sich denn auch das höchste Wohl
Der Völker unter drei vereinte Throne;
Des Ostens, Südens und des Westens Zone.
Den Süden mag Justinas Sohn behalten,
Das Kind, mein Bruder Valentinian.
So weit des Westens Länder sich entfalten,
Sei mein Gebiet bis an den Ocean.
Wer aber soll im Morgenlande walten?
Der leuchte hell in voller Kraft voran,
Ein Atlas muß er sein, die Welt zu stützen,
Und Argus auch zugleich um sie zu schützen.«
»Zu Cauca lebt ein Mann an kleinem Herde,«
Begann Ausonius, »ein seltner Mann,
Gestählt von Krieg, von Mühsal und Beschwerde,
Dem sich kein Sterblicher vergleichen kann,
Ein Held geboren, daß ihm dien' die Erde;
Und dennoch, dieser Edle lebt im Bann –
Sein Vater, dessen Feinden ihr einst glaubtet,
Ward schuldlos, und du kennst ihn jetzt, enthauptet.«
»So ist es Theodosius,« sprach mit Beben
Der Kaiser und bewegt, »zu jeder Zeit
Hab' ich auf deinen Rath Gehör gegeben,
Als Höchstes galt mir stets Gerechtigkeit;
Erstatten wir dem Sohn, was an dem Leben
Des Vaters wir gefehlt! Ich bin bereit,
Zu Rom ihn an des Capitoles Stufen
Als meinen Mitregenten auszurufen.«
So schieden sie; zu seinem Heerzug eilte
Der Kaiser fort und zog in Trier ein,
Er sah, indem er in der Stadt verweilte,
Die Kriegsgefangnen dort, die man vom Rhein
Aus Alemannien gebracht, und theilte
Italiens Truppen zu die fremden Reihn;
Gesenkten Haupts, die Locken abgeschnitten,
Kam ihre trotz'ge Schaar einhergeritten.
Und eines Tags, als unter Klaggesängen
Der Zug an einer Villa ging vorbei,
Da sah aus einem von den Marmorgängen
Ein blondes Mädchen vor – ein banger Schrei,
Und rasch weiß durch die Schaar sie sich zu drängen.
Und einem Jüngling, der noch stolz und frei
Umhersah, war sie rufend zugesprungen,
Und schluchzend hielten beide sich umschlungen.
Sie sprachen sich mit Blicken nur, und schwiegen,
Als hätten sie sich alles schon gesagt.
Nach ihrer Heimath, ach, nach ihren Wiegen,
Und nach den Eltern hatte sie gefragt.
»Todt!« war die Antwort. »Wir anstatt zu siegen
Gejocht! Den Göttern aber sei's geklagt,
O Schwester!« rief er aus, »den Göttern allen,
Die noch im Hain der Wodanseiche wallen.«
Ausonius trat heran und küßte beide,
Und sprach; »Nicht ändern kann ich euer Loos!
Doch hoff' ich, daß es euch nicht länger scheide,
Als bis es euch erzog, bis frei und groß,
Und freudig ihr hervorgeht aus dem Leide.
Was auch mit euch der Himmel noch beschloß,
Ihr armen Blüthen, die der Sturm verwehte,
Ich bin um euch, durch That und im Gebete.«
Das Mädchen ward ins Haus zurückgetragen,
Der Wange Roth erblich auf lange Zeit,
Nach Jahren erst wich in den Blüthetagen
Die letzte Spur der tiefen Traurigkeit.
Sie sprach die Sprache Roms, ritt mit zum Jagen,
Und schwärmte tagelang in Einsamkeit,
Diana gleich, durchs Dunkel düstrer Haine,
Wo bergig sich das Land erhebt am Rheine.
Hier war es, wo sie oft hinüberschaute
In träumerischer Sehnsucht nach dem Land,
Das ihre Wiege war, und bei dem Laute,
Den sie hinüberrief, schien eine Hand
Ihr zuzuwinken; wenn der Morgen graute,
Wenn fern in Tannenhöhn der Tag entschwand,
War's ihr, als hörte sie durch Waldesrauschen
Die Geister ihrer Lieben Rede tauschen.
Was aber war's, das ihr zugleich verwehrte,
Zu nahn dem jenseits liegenden Gestad?
Daß sie zurück nicht nach der Heimath kehrte,
Was hielt sie fern dem oft gesuchten Pfad?
Ausonius, den so das Kind verehrte,
Daß ihr der Thräne Thau ins Auge trat,
Gedachte sie, daß je von ihm sie schiede,
Deß Glück sie war und seines Hauses Friede.
Vielleicht auch schlief nur wie im Dämmerscheine
In ihrer Seele Grund der Hoffnungsstrahl,
Es komme noch der Tag, wo aus dem Haine,
Wo sie zuletzt sich sahn, mit einemmal
Die trauteste Gestalt vor ihr erscheine;
Und mit der Thräne, die sich ihr entstahl,
Schloß in der Dämm'rung träumerischem Weben
Sein Bild sich ein für immer ihrem Leben.
In gleichem Loos wie sie, die ihm so ferne,
Schritt Audogar der Ehre Höhn hinan,
Als böte für das Loos der Fremde gerne
Das Schicksal ihm Ersatz auf andrer Bahn.
Es hoben ihn empor des Glückes Sterne
An Mailands Hof zu Valentinian,
Dem er, obwohl mit ihm in gleicher Jugend,
Bald Vorbild ward von jeder Kriegertugend.
Von seinem Haupte kam der Helmschmuck nimmer,
Als bis darunter großgewachsen war
Und unbemerkt der helle Lockenschimmer.
Auf einmal band er los das lange Haar;
Er stund als Wache vor des Kaisers Zimmer,
Und dieser rief dem Jüngling zu; »Barbar!
Wer bist du, der sich deß erkühnt?« »Kein Sclave!«
Erwiederte mit unerschrocknem Muth der Brave.
Und weiter sprach er, ruhig und entschlossen;
»Dieß unbeschnittne Lockenhaar bezeugt,
Daß ich aus einem deutschen Stamm entsprossen,
Ein freier Mann bin, stark und ungebeugt.« –
»Fürwahr, von solcher Mähnenflut umflossen,
Es scheint, daß eine Löwin dich gesäugt,«
Sprach Valentinian, »wohlan denn, trage
Den Stolz, ich kenne dich seit diesem Tage.«
So wurden Waffen- bald und Zeltgenossen
Der Jüngling, der ein Kriegsgefangner war,
Und er, der aus dem Kaiserhaus entsprossen,
Sie glänzten hell, ein Dioskurenpaar,
In jener Zeit der Stürme, fest entschlossen,
Zu theilen jeden Antheil an Gefahr.
Schon hatten sich die Wetter rings erhoben,
Die ihre Treue sollten bald erproben.
Es ward indeß der Thron im Morgenlande
Vom Ruhm des Theodosius erhellt,
Zu schirmen galt's mit festem Widerstande,
Voll Muths dafür war seine Brust geschwellt.
Geläutert ging aus ihrem Feuerbrande,
Verjüngt ging unter ihm hervor die Welt,
Die ihren Donnergott in ihm erkannte,
Und Theodosius den Großen nannte.
Er zeigte sich den Gothen schlau gewogen,
Und ihre Führer wurden nach und nach,
Vom Glanz gelockt, in seinen Dienst gezogen.
Was nicht Gewalt in langen Jahren brach,
Ward von der Klugheit jetzt ins Joch gebogen,
Und von der Milde, die zum Herzen sprach.
Die Sieger von Adrianopel ließen,
Gewaffnet, sich in goldne Fesseln schließen.
Es langten an aus Norden immer neue
Geschwader durch die Donau, Boot an Boot,
Und ihre Tapferkeit und ihre Treue
Ward bald dem Scepter, dem sie dienten, noth.
Die Kunde kam, des Aufruhrs Fahne dräue
Dem Abendland, es kam die Nachricht, todt
Sei Gratian, und endlich ward vernommen,
Er sei verfolgt, im Aufruhr umgekommen.
Und Theodosius fühlt im Busen toben
Den größten Schmerz, gedenk der ersten Pflicht,
Da Gratian ihn einst zum Thron erhoben,
Und ihn zu rächen, säumt er länger nicht;
Er rüstet sich mit heiligen Geloben
Zum Rachekrieg, um durch ein Strafgericht
Zugleich der Welt zu rufen ins Gedächtniß,
Des ersten Cäsars Mord und sein Vermächtniß.
Es hatten sich Britanniens Legionen
Empört, und ausgerufen hatten dort
Den Cauracus des Heers Centurionen.
Der neue Kaiser Roms betrat sofort
Mit starker Macht die Küste der Bretonen,
Und rückte nach Paris; schon war kein Ort,
Kaum ein Geleit dem Gratian geblieben,
Und er bestürzt in jähe Flucht getrieben.
Sein Loos entschied das Schwert in wenig Tagen,
Er ward erreicht, erkannt und umgebracht,
Und heimlich ward sein Leichnam hingetragen
Zu seines Freundes Haus in stiller Nacht.
Dort sah ihn ruhn auf seinem Purpurschragen,
Die zur Gefangnen einst sein Sieg gemacht,
Und während ihm das Requiescat tönte,
Sprach sanft zu ihm im Geiste die Versöhnte;
»Trügst du nicht Schuld an alledem, weßwegen,
Ich, wenn ich haßte, hassen müßte dich;
Ich fühlte dann die Rachelust sich regen,
Die in uns jauchzt, wenn unser Feind erblich,
Da dir im Krieg einst unser Volk erlegen,
Doch seit ich eine Christin ward, so wich
Auch aller Haß; ich kann dir nur verzeihen
Und ein Gebet an deinem Sarg dir weihen.«
Der Weihrauch stieg empor, die Hymnen schallten,
Da sprengten Reiter an dem Haus vorbei,
Und plötzlich hieß der Vorderste sie halten,
Stieg dann vom Roß, drang durch das Klaggeschrei,
Und frug, wem hier die Trauertone galten.
Als ihm gesagt ward, wer der Todte sei,
Trat Cauracus zum Sarg, entriß die Krone
Des Todten Haupt, und sprach mit keckem Hohne;
»Du hast dich viel bemüht, den Christ zu ehren,
O Gratian, was ist nun dein Gewinn?
Wer herrschen will, mag Frömmigkeit entbehren!
Mit deiner Großmuth, deinem Demuthssinn –
Du konntest doch nicht der Empörung wehren!
Ha! mir, der ich ein Heid' und Teufel bin,
Erlagst du doch; ich will es besser machen,
Und heucheln, daß die Hölle selbst soll lachen.«
Die Jungfrau jetzt am Fuß des Sarkophages
Erschaut er; er erkennt sie und gedenkt
Im Augenblick mit wildem Stolz des Tages,
An dem sie seine Beute ward; nun lenkt
Sie seinen Blick auf sich, nicht mehr ein zages
Und weinend Kind, das bang die Wimpern senkt,
Mit kühnem Blick und unter hellen Locken
Mißt ihn ihr Aug', erstaunt und unerschrocken.
Doch wecken auch in ihr Erinnerungen
Ein Angstgefühl; der Mann, der vor ihr steht,
Sie sieht sich wieder mit ihm fortgezwungen,
Es stirbt auf ihrem Munde das Gebet.
In alten Weisen fern und halbverklungen,
Wie Windgebraus, das durch die Tannen weht,
Durchtönen ihre Brust die Heimathlieder,
Und hallen still von ihren Lippen wieder.
Und tief bewegt hat sie von sich gestoßen
Das fremde Saitenspiel, und wie umher
Im Kreise sich um sie die Römer schloßen,
Beginnt sie: »Mörder! Flüche weckt ihr mehr
Als Tropfen Blut aus dieser Leiche floßen.
Sie kämpfen gegen euch ein Geisterheer.
Und wie ihr nur Verderber seid auf Erden,
So sollt ihr's auch an eurem Reiche werden!«
»Du sprichst sehr kühn, dich Löwin muß man zähmen!«
Droht Cauracus. »Ich bin es, der Tribun,
Der dich gefangen nahm. Doch still' dein Grämen,
Folg' uns, und lassen wir die Todten ruhn!«
»Du kannst,« erwiedert sie, »dich selbst beschämen,
Denn Böses über Böses darfst du thun,
Doch dieser Schwelle wird kein Glück verheißen,
Wird mich Gewalt nur, nur der Tod entreißen!«
»Mit mir!« ruft Cauracus vor Zorn erblassend,
»Wird dich dein Volk an meiner Seite sehn,
So wirst du mir, ob liebend oder hassend,
Ihr Herz gewinnen, laß dein Widerstehn!«
So schleppt er sie, mit starkem Arm umfassend,
Zum Thor, als ihm mit ehrfurchtsvollem Flehn
Ausonius entgegentritt; »verletze
Nicht mehr noch,« ruft er, »göttliche Gesetze!«
»Leg dich zur Ruh!« höhnt Cauracus, »und sinne
Ein Epigramm aus über diese Nacht.
Es lastet Schuld auf jedem Glücksbeginne,
Und nur dem Glück gelingt die höchste Macht.
Ich eile, daß es mir nicht mehr entrinne,
Nachdem es mir einmal so hold gelacht.«
Er sprach's, schwang sich aufs Pferd mit seiner Beute,
Und durch die Nacht hinsausend flog die Meute.
Dann schlau besorgt, um Alles abzuwenden,
Was ihn bedroht, und sicher erst zu sein,
Beschließt er eine Botschaft abzusenden
An Theodosius, um ihn durch den Schein
Der tiefsten Unterwürfigkeit zu blenden.
Er fleht ihn, das Gescheh'ne zu verzeihn,
Nicht seine Schuld sei Gratians Mord, dagegen
Dem Reich wie ihm am Frieden nur gelegen.
Als ihm die List gelang, als statt zum Streiche,
Das Racheschwert des Rächers Hand entfiel,
Und dieser sich herabließ zum Vergleiche,
Da jauchzt er auf. Italien ist sein Ziel,
Und daß er es gewiß und bald erreiche,
Ersinnt er und vollführt ein kühnes Spiel;
Am Rhein schon, aus des Nordens Nationen,
Ein furchtbar Heer, stehn seine Legionen.
Nun gilt es erst, verdachtlos vorzudringen
Bis zu den Alpenpässen, dann hinan,
Und Mailand dann und alles zu erringen;
Doch tief geheim verbirgt er seinen Plan,
Und einen Warnruf nur, halbleise, bringen
Kundschafter hin zu Valentinian,
Der auf des Freundes Rath und Hilfe bauend,
Zu Audogar beginnt, sich ihm vertrauend:
»Auf meiner Jugend, wie mit Erzgewichte,
Liegt aller Fluch der Zeit, wie schwach ist Recht
Und Unschuld, und wie stark sind Bösewichte!
Und diesen folgt das menschliche Geschlecht,
Ich sah aus allen Büchern der Geschichte
Den Menschen immer nur des Schlimmem Knecht;
Uns droht ein Wütherich, den alle hassen,
Und doch wie bald wird Alles uns verlassen!«
Des Jünglings Haupt, das nicht mit ihr zu prunken,
Die Krone trug, nur ihre Last empfand,
War auf des Freundes Schulter hingesunken,
Und Audogar ergriff des Kaisers Hand.
Er rief: »Sonst wecktest du der Hoffnung Funken
Mit jedem Wort in mir, sonst überwand
Ein Muth, der stolz in deinem Herzen pochte,
Was auch dich mit Gefahr bedräuen mochte.«
»Hat denn,« rief Valentinian, »die Rache
Etwa den Mörder Gratians erreicht?
Vom Blut gesättigt liegt der Höllendrache,
Und jeder Sieg wird ihm fortan nur leicht.
Doch du geh' hin zu ihm und überwache
Sein Thun, und sieh, indem er uns umschleicht
Und offen uns verbürgt den tiefsten Frieden,
Ob er nicht feindlich schon den Krieg entschieden.«
Den Alpen schon, sobald der Tag erglommen,
Ist Audogar auf schnellem Rosse nah;
Ein Kriegsheer sieht er sich entgegenkommen,
Er staunt und fragt: »Was ist das, was geschah?«
Er hat an ihrer Spitze wahrgenommen
Den Syrier Domninus. Wie der ihn sah,
So sprengt er auf ihn zu voll frohen Muthes,
»Ich komm von Cauracus, ich bringe Gutes.
Du weißt, mich hat wie dich, dein Herr und meiner,
Um jenen auszuforschen, abgesandt,
In Trier fand ich ihn, kein Herz ist reiner
Und allem Trug so gänzlich abgewandt.«
»Befiehlt bei diesen außer dir sonst keiner?«
Frug Audogar, »ist diesem Heer bekannt,
Daß, wie du sagst, es nach Italien rücke?
Und ahnst und sahst du keine List und Tücke?«
»Dieß Hilfsvolk,« sprach der Syrier, stolz sich brüstend,
»Ist mir vertraut, und ich nur führ' es an.
Vom eignen Heer ihm diesen Antheil rüstend,
Schickt's Cauracus an Valentinian,
Weil Gothen, nach dem Abendland gelüstend,
Den Grenzen von Pannonien sich nahn,
Es wird die Freundschaft laut bezeugen sollen,
Die beide Herrscher sich einander zollen.«
»Gut denn,« ruft Audogar, »laß uns das hoffen,
Ich muß ihn sehn.« – Er setzt die Reise fort,
Und sieht mit Staunen nach Italien offen
Die Pässe durchs Gebirg, im letzten Ort,
Am zweiten Tag schon sieht er sich betroffen
Vor Cauracus, der weder Schmeichelwort
Noch Treubetheuern spart, und ihn zu halten,
Ein Gastgelag befiehlt veranzustalten.
»Dein Thun,« rief der, »straft deine Worte Lügen!
Es sah dich Domninus noch fern am Rhein,
Und ich dich hier, gefolgt von Heereszügen,
Am Fuß der Alpen?« »Mich verklagt der Schein,«
Entgegnet Cauracus, »spar' deine Rügen,
Beim Fest heut Nacht hoff' ich mit edlem Wein,
Dir auch die reine Wahrheit einzuschenken,
Dann lern, o Jüngling, größer von mir denken!«
Er sprach's und schien sich stolz und groß zu fassen,
Doch Jener hatte zögernd das Gemach,
Den Argwohn nicht verhehlend, kaum verlassen,
So brach sein Zorn los. »Thor du!« rief er nach,
»Du nahmst es leicht, dem Tiger aufzupassen,
Kennst seine Sprünge du? – Was ich versprach,
Halt' ich; doch wenig munden wird dir, Knabe,
Der Wein, den ich dir vorzusetzen habe!«
Die Stunde kam, in ihrem letzten Feuer
Glomm durch den Bergwald noch der Sonne Strahl,
Aus Felsenblöcken stund ein roh Gemäuer,
Lawinen trotzig mitten in dem Thal,
Und ringsum Thurm und Lagerwall und Scheuer,
Wo Heerden grasten, wo nach alter Wahl
Im Hofraum Eschen prangten, von Druiden
Geweiht, die hier noch nicht die Opfer mieden.
Als Audogar voll Unmuth und Erwarten
In Hast dahinschritt, fand er staunend hier,
Wo dunkler ihre Schatten ihn umstarrten,
Der Bäume Stamm, geschmückt mit Waffenzier,
Mit Roms und mit Germaniens Standarten,
Beim Adler Haupt vom Eber und vom Stier,
Und Drach' und Bison, an einander drangen
Die Schilde bei des Windes Wehn und klangen.
Erschüttert hielt er inn', und sieh, da gleitet
Verschleiert eine schwebende Gestalt
An ihm vorüber und voraus, und schreitet
Zum Thor, indem sie winkt. Mit Allgewalt
Zieht's ihn ihr nach, das hellste Mondlicht breitet
Sich um sie her. »Wer bist du,« ruft er, »halt!«
Und jetzt am Saum des Waldes angekommen,
Hat sie den Schleier rasch vom Haupt genommen.
O seliges Erkennen, kaum getrauen
Sie sich zu nahn, und wie sie Blick um Blick,
Und Seel in Seele sich versenkend schauen,
Flieht über ihnen Zeit und Welt zurück –
Sie wallen fern auf ihrer Heimath Auen,
Wo sie erlebt das ungetrübte Glück,
Und wachen auf aus wonnigem Vergessen,
Um innig nun sich Herz an Herz zu pressen.
Erinnrung ihrer Kindheit, aller Stunden
Im fernen Vaterland und aller Lust
Der Freiheit und des Glücks, das sie empfunden,
Empfanden sie nun tiefer noch bewußt,
Und jeder Stolz und Schmerz erlittner Wunden
Durchströmt auf einmal Beider junge Brust,
Und drängt ein All in ein Gefühl zusammen,
In das der Liebe reinen heil'gen Flammen.
Und mehr als Worte, die sie sprachen, koste
Um ihre Seelen schon der Stimme Laut,
Es ward die Klage selbst zum süßen Troste;
Wie viel ward da sich schneller anvertraut,
Als sonst in Jahren; fern vom Thal her toste
Des Lagers Lärm, wie sich die Woge staut
Am blum'gen Ufer, plötzlich aber schwellen
Und reißen mit hinab den Strand die Wellen.
So sahn auch sie den Boden vor sich weichen,
Erwacht vom Glück, das sich so schnell entstahl
Wie nur ein Traum. »Horch!« rief sie, »horch, das Zeichen
Zum Fest ertönt, flieh', eh' man dich beim Mahl
Vermissen wird, sie würden dich erreichen.
O hättest du betreten nur den Saal,
Sie hätten dich sogleich gelegt in Ketten,
Ich sah dich noch, ich konnte dich noch retten!« –
»In Ketten!« rief der Jüngling, überwallend
Von Ingrimm, der sein ganzes Herz durchdrang;
»In Ketten!« rief er, daß es dreifach hallend
Von Fels zu Fels im Echo widerklang.
Er hält die Faust am Schwertgriff zornig ballend.
»Doch ich vergaß, es ist noch nicht so lang,
So trug ich Ketten! Hör' nun meine Frage,
Sahst du im Purpurkleid den Mörder, sage?«
Sie sprach; »Kaum war sein Heer hier eingedrungen,
Als er sogleich in Purpur selbst erschien,
Und hoch das Schwert in seiner Faust geschwungen,
Sich Herr Italiens hieß. Es stund um ihn
Sein Heer im Kreis und rief die Huldigungen.
Nach Mailand war die Losung: »Valentin,
Dein Reich ist aus, und innerhalb drei Tagen
Folgst du gefesselt meinem Siegeswagen.«
»Du kennst,« rief Audogar, »du kennst die Plane
Des Cauracus? O sag, wer ist er dir?«
Sie sprach, er ist mein Feind und Herr. »Ich ahne,«
Erwiedert er, »Gefangne bist du hier.
Doch dich will ich nun retten. Komm, ich bahne
Uns durch sie Alle Weg; auf! komm mit mir!
Und dieses Eisen soll den Lohn ihm geben,
Für sein so tausendfach verwirktes Leben.«
»Ach, seine Wachen würden dich erschlagen!
O fliehe, fliehe,« bat sie flehentlich;
Er aber sagte: »Wie? ich hörte sagen,
Germanen seien seine Wachen? – sprich!
In ihre Mitte tretend werd' ich sagen:
Wer unter euch, wer zückt ein Schwert auf mich?
Und keiner wird es für des Römers Leben,
Kein Schild wird sich zu seinem Schutz erheben.«
»Du irrst, denn ich,« erwiederte Sigune,
»Ich bin es, die ihm unser Volk gewann.
Seit mich von Haus entrissen der Tribune,
Umgarnt ihn unsichtbar der Rache Bann;
Ich ward sein Schicksal, ward die Zauberrune,
Die sein Verhängniß birgt, er aber sann,
Und dachte stets, damit er mich versöhne,
Mich anzutrauen einem seiner Söhne.
Wenn mich, die Tochter ihres Stamms und Blutes,
Die Alemannen einst als Fürstin sehn,
Sie werden, meint er, dann erhöhten Muthes
In wandelloser Treue zu ihm stehn;
Er fühlt die Last des ungerechten Gutes,
Ihm ahnt, er soll durch die zu Grunde gehn,
Die er sich ausersah auf fremder Erde,
Daß sie das Opfer, ihn zu sühnen, werde.«
»Und siehst du nicht,« rief Audogar, »jetzt eben,
Erfüllt das Maß sich, seine Schale sinkt.
Dein Anblick wird der Unsern Muth beleben,
Wenn noch zu meiner That dein Ansehn winkt?«
»Nicht
ein Schwert,« rief sie, »würde sich erheben
Für unser Recht, wenn dir es aber dünkt,
Es muß an uns das Aeußerste geschehen,
So mag es sein, laß uns hinuntergehen.
Sieh mich bereit, vereint mit dir zu sterben,
Denn dort hin führt von hier der erste Schritt
Zu unser Beider Tod und zum Verderben,
Von dem, der dich gesandt.« »So fliehe mit,«
Rief Audogar. »Nein,« sprach sie, »gönn' den herben
Entschluß zu bleiben mir, zum schnellsten Ritt
Sind Pferde dort auf jenen Bergesweiden,
Geheiligt noch dem Kriegesgott der Heiden.«
Er sah sie starrend an mit wilden Blicken,
Von ihrer Schulter glitt sein Arm und schlug
Wie todt an seine Rüstung: »Mich bestricken
Der Hölle Künste nicht; ich sah genug,
Ich sah, man wünscht hier nur mich fortzuschicken,
Auch du, du wurdest bei den Römern klug! – «
Sie rief: »Beim Kreuz, vor dem sich alles beuge,
Nur so errett' ich dich, Gott ist mein Zeuge.
Ich gehe, daß der Argwohn des Tyrannen
So lang wie möglich nicht dich missen soll.«
Sie sprach's, da rauscht und schnaubt es durch die Tannen,
Das Wiehern eines muntern Pferdes scholl,
Durchs Tannicht bog, nah vor dem Alemannen,
Ein schneeweiß Roß den Hals, die Mähne quoll
In hellem Glanz herab, es stampft' und scharrte,
Als ob es nur auf seinen Reiter warte.
»Vertraue,« rief das Mädchen aus, »und eile!«
Sie reißt sich los, und schreitet unverzagt
Zum Heer zurück. Schon blitzten Schwert und Beile,
Und wilder Jubel schallt. Sobald es tagt,
Rückt Alles vor, und bei der ersten Meile,
Wie Cauracus nach seinem Gaste fragt,
Und kund sein Fliehn wird, heißt er, rasch entschlossen,
Ihm nachzusetzen mit den schnellsten Rossen.
Doch der, noch kaum von wildem Schmerz durchdrungen,
Nun eingedenk, welch heil'ge Pflicht ihn rief,
Nachdem er eilig sich aufs Pferd geschwungen,
Und durch Gestrüpp und Moor, in Klüften tief,
Und über Fels und Steine war gedrungen,
Wo spurlos Weg in Weg gekreuzt verlief,
Und aus dem Walde war er kaum gekommen,
Da sieht mit Schrecken er den Tag erglommen.
Den Syrier aber hatten die Soldaten,
Die Cauracus ihm fälschlich anvertraut,
Sobald sie durch die Alpenpässe traten,
Vertrieben, und erklärten sich nun laut
Für Feinde Valentinians. Verrathen,
Und wie er ahnungsvoll vorhergeschaut,
Erkennt jetzt Audogar, durch jenen Thoren
Sich selbst und jede Hoffnung für verloren.
Bald sieht er sich nur noch um Augenblicke
Voraus vor den Verfolgern, doch sein Muth
Verläßt ihn nicht, die Mittagssonne schicke
Auf ihn herein all ihre Strahlengluth,
Kein Schatten sei, kein Quell, der ihn erquicke,
Es hemm' ihn Fels und eines Stromes Fluth;
Er setzt hinüber, wirft sich in die Welle,
Und jagt hindurch, und fort in Windesschnelle.
Gelingt's ihm auch, er bringt nur trübe Kunde
Und schlimme Botschaft mit, auch wenn er siegt.
Wie brennt sein Blick, der Staub auf seinem Munde;
Verrätherisch um seine Schultern fliegt
Das blonde Haar, und endlos währt die Stunde.
Er fühlt entsetzt, daß seine Kraft erliegt,
Schon hat ihn hier und dort ein Pfeil getroffen,
Doch endlich stehn die Thore Mailands offen.
»Dein Feind, der Sieger, folgt mir auf dem Fuße,
Auf zu den Waffen!« war das erste Wort,
Was Audogar auf seines Kaisers Gruße
Zur Antwort gab, »und fort, fort,« rief er, »fort
Auf Wall und Mauern! Gönnt euch keine Muße
Bei Tag nicht, noch bei Nacht.« – »Mein einz'ger Hort
Ist Theodosius; mein letzt' Vertrauen,«
Sprach Valentinian, »ist ihn zu schauen!
Zu ihm laßt uns entfliehn, und müßt ich stehen
Vor seiner Thür, ein Bettler, doch mir ahnt,
Vergeblich nicht werd' ich um Hilfe flehen.«
Er spricht's, und Alles folgt, zur Eile mahnt
Die kurze Frist, schon ist der Feind zu sehen;
Und Audogar, mit wenig Treuen, bahnt
Dem Freund den Weg durch seiner Gegner Mitten,
Wo jeder Schritt mit Blut nur wird erstritten.
Und eine Zeit von lautlos bangen Stunden
Verging in Mailand, öd und menschenleer
Die sonst belebten Straßen, offen stunden
Die Thore, und es zog nun ein das Heer
Des Cauracus, die Helme rund umwunden
Von Lorbeerzweigen, Kränze auf dem Speer,
Von Pferdgetrappel, von Trompetenschallen
Erdröhnten dumpf die hohen Marmorhallen.
Italiens Thor durchschritten Legionen
Von wildrem Ansehn, als man je geschaut,
Hochstämmige Gestalten aus den Zonen,
Um die das Meer in düstrem Nebel graut.
Gewalt'ge Leiber, Angeln und Semnonen,
Rothbärtig, blauen Auges, heller Haut,
In wilder Thiere Fell gehüllte Riesen;
Cherusker, Katten, Alemannen, Friesen.
Gezügelt noch von römischen Befehlen,
Und dessen, der durch sie den Thron errafft,
Erschienen sie zwar noch, weil ihre Seelen
Nicht frei noch waren, noch in Schlummershaft.
Doch konnten ihre Blicke nicht verhehlen
Das mächtige Bewußtsein ihrer Kraft,
Und daß es ihnen war auf ihren Rossen,
Als habe sich der Himmel aufgeschlossen.