Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Vierundzwanzigster Kantus: Buntes Theater.

Motto:

Ellewelline tanzt Serpentine:
Schwarz ist die Nacht, und bunt ist der Tag.

Richard Dehmel.

        Auf einer Wanderung durch meine Haide
Fand mittendrin ich einen Gottesacker.
Die wenigen Kreuze auf der Leichenweide,
Die einst hierhergepflanzt der Sargverpacker,
Verloren längst ihr bißchen schwarz Geschmeide.
Wie ärgerlich geprellte kleine Racker,
    Gesunken, schief, vergessen, standen sie
    Um einen großen Stein in Szenerie.

Und dieser große Stein war auch ein Grab,
Doch lag er fest, auf Quadern, steil gebaut.
Es schien, als zög ihn keine Macht herab;
Vielleicht hat ihm der Maulwurf nicht getraut.
Die Inschrift brach der Regel schroff den Stab;
Verblüfft hat, wer sie las, sich umgeschaut.
    Gemeißelt und gefeilt war die Maxime,
    Höchst sonderbar, in? in ottave rime:

»Ganz ohn Belang ist, wer hier unten stinkt.
Doch wett ich mit dir, Leser: meine Knochen,
Wenn du dies liest, sind schon mit Mehl geschminkt,
Und vom Diner ist satt der Wurm gekrochen
Und hat den andern Würmern abgewinkt,
Hier sei schon längst der letzte Toast gesprochen.
    Drum: wer hier unter diesem Stein vermorscht,
    Das bleibe, weil gleichgültig, unerforscht.

Was ist mein irdisch Dasein denn gewesen?
Ein bunt Theater, ganz wie eure Bühne,
Wie jedes Menschen Bühne, auserlesen
Zu Qualen, vieler Schuld und wenig Sühne,
Bis uns der Tod mit seinem harten Besen
Wegfegt: Verzeihung, daß ich mich erkühne.
    Zuweilen hat mit seinen Schelmenpossen
    Pierrot uns ein Narrenfest erschlossen.

Sonst war es nur ein einzig Trauerspiel,
Das Große Trauerspiel, das uns umnebelt,
Das vor uns, um uns, in uns hat sein Ziel,
Dem Alles untertan, das Alle knebelt.
Und sperrst du dich mit deinem Pappenstiel,
Du wirst doch unbarmherzig totgesäbelt.
    Das nennen einige Komödie;
    Es ist die furchtbarste Tragödie.«

Auch ich stand sehr perplex, als ich das las.
Nein, so schlimm ists doch nicht mit unserm »Sein«.
Pierrot, komm, und zeig dich mal en face!
Da bist du ja, mein lustig Maskenschwein.
Nicht wahr: Das Leben ist ein scheckiger Spaß?
Schwing augenblicklich uns dein Walzerbein!
    Pierrot macht Grimassen, tanzt und holpert,
    Gebraucht das Tamburin, lacht, weint und stolpert.

So recht! Da haben wirs. Das ist das Leben!
Freilich, zuletzt der Tiefsprung in die Gruft.
Doch warum vorher schon in Trauer schweben?
In steter Angst vor jeder Todeskluft?
Hinüber. Mut! Und springst du mal daneben:
Herausgekrabbelt wieder an die Luft!
    Dein Atem fliegt! Du stehst auf festen Füßen
    Und brauchst das Abenteuer nicht zu büßen.

Wie unterschiedlich sind des Menschen Pfade!
Wahrlich, ein bunt Theater ist es immer,
Ein Wechsel stets, bald Glück, bald Hagelschade,
Bald dunkle Wolken, bald ein Sonnenschimmer.
Im Ganzen: eine Donquijotiade,
Wir halten uns für große Schicksalsschwimmer.
    Genießt den schnellen Tag! Habt ihr genossen:
    Je nun, der Fisch streckt endlich auch die Flossen.

Genießt und kämpft und wehrt euch bis aufs Messer,
Sonst seid ihr ohne Frage gleich verloren.
Rudert getrost im wildesten Gewässer,
Es winkt ein Hafenplatz. Nur fortrumoren!
Das sagt viel kürzer, geistvoller und besser
Der größte Geist, den Deutschland je geboren:
    Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann,
    Die Nacht tritt ein, wo niemand wirken kann.

Denn einmal müssen Ich und Odem enden:
Propst, Leichenwäscherin, Lebwohl, der Sarg.
Dann liegen wir mit steifkoketten Händen
Im letzten Hemd, kühl, kusch dich, keusch und karg,
Und dürfen nun im ewigen Schlaf verschwenden,
Was geizig uns der kurze Tag verbarg.
    Bertouch, zum Donner, schnell eine Chartreuse!
    Die gelbe her! Die grüne ist zu böse.

Das Leben! Ja, wie sollen wir es leben?
Ists besser, schon bei Lebzeit zu verschwinden:
Allein sein? Als Philister stets zu beben
Vor jedem Hauch, versteckt vor Winterwinden?
Schon recht. Doch lieber uns den Wolken geben,
Entschluß, Genuß und Schlachtentage finden.
    Der Borgia, Cesăre, fällt mir ein. Wir Krümper,
    Wir Espenlaub! Der Borgia war kein Stümper.

Napoleon, Caesar, Hannibal und Fritz,
Und die ganz wenigen noch, die »Menschen« waren,
Die zeugte Jupiter mit einem Blitz
Und wies sie an mit donnernden Fanfaren:
Nun zeigt euch würdig euerm Ahnensitz
Und treibt die »Leute« rücksichtslos zu Paaren,
    Bis staunend sie vor euch ins Knie gesunken
    Und sich bekreuzen: das sind Sternenfunken!

Wir fragen immer: Was ist ein Genie?
Und keine Antwort wird es je verkünden:
Woher es kam, warum und was und wie.
Ein Lavastrom aus unermessenen Schlünden,
Der plötzlich all sein herrlich Feuer spie
Aus Himmelshöhen oder Höllengründen.
    Ja, staune, Welt, daß einst am Hochaltar
    Die Erde einen Beethoven gebar.

Wir andern, die wir hier im Staube krauchen,
Begeifern jeden, der sich unserm Geist
Erhaben gegenüberstellt, und pfauchen
Ihn an wie Katzen; nörgeln dumm und dreist,
Sobald sich einer anschickt, aufzutauchen
In andre Luft, als unsre Lungen speist.
    Doch das Genie dringt durch und siegt und ragt.
    Ja, haben wirs nicht immer gleich gesagt?

Ja, haben wirs nicht immer gleich gesagt?
Bertouch, schnell, mir wird übel, einen Kümmel!
Was schadets, wenn mal ein Genie verzagt?
Wir bleiben halt die alten Straßenlümmel,
Bekritteln alles, was uns nicht behagt,
Und wälzen uns sauwohl im Marktgetümmel.
    So wird es bleiben bis in Ewigkeit,
    Einsam durchfurcht der Genius seine Zeit.

Chartreuse? Kümmel? Fehlt nur noch der Grogk,
Den ich, in Wahrheit, wirklich gerne trinke.
Professor Biese droht mir mit dem Stock,
Bis ich errötend an die Brust ihm sinke:
Pater peccavi! Spann mich in den Block,
Daß ich, entlassen, jämmerlich abhinke.
    O diese Pieplipiep- und Teetischseelen!
    Genug, genug! Wir wollen uns empfehlen.

Mein liebes Poggfred ist heut ganz verschneit,
Der Winter ist Aristokrat sans phrase:
Wir sitzen schön allein und sind gefeit
Vor mancher unbequemen Schnüffelnase,
Die sonst, zur Ehrabschneidung stets bereit,
Bei mildem Wetter uns gesandt die Straße.
    Der Sommer ist der Demokrat dafür,
    Da sitzen alle Leute vor der Tür.

Was tu ich jetzund, um mich zu zerstreuen?
Nehm ich Montaigne? Rabelais? Stendhal?
Jag ich in fernen Ländern Skunks und Leuen?
Verkleid ich mich als Schah Sardanapal?
Beug ich mein Haupt, um finster zu bereuen?
Bitt ich zu Tisch mir Macbeths Ehgemahl?
    Bunt ist die Welt, der Specht, das Portemonnaie,
    Viel bunter das Gedankenvarié.

Spiel ich aus Opus Hundertelf Arietta?
He: Achtung! präsentierts Gewehr! vor Ihm.
Kram ich in alten Briefen von Marietta?
Fürcht ich das Flammenschwert der Cherubim?
Denk ich an Metz, Noiseville, Gambetta?
Werd ich mit Greten Haberschnack intim?
    Bunt ist die Welt, das Schicksal, he juchhe,
    Viel bunter das Gedankencabaret.

Wie wärs, wenn ich mir meine Nachbarn lüde
Zu L'hombre, Whist, meintwegen Baccarat.
Dann käm die alte Gräfin Rossenrüde
Auf Windesflügeln her: Douze et le va!
Denn die wird selbst im Sarg des Spiels nicht müde
Und jeut noch mit des Teufels Großmama.
    Bunt ist die Welt, der ganze Lebensbettel,
    Viel bunter das Gedankenüberbrettl.

Da fällt mir ein – so sind Gedankenknoten:
Beim Worte »Überbrettl« fällts mir ein –
Las ich nicht neulich unter Anekdoten
In einem Blatt von Qual und Liebespein
Und Eifersucht, von Mord und von zwei Toten?
Als »Anekdote« wirklich rührend fein.
    Und ich erzähle nun, was ich gelesen,
    Als wär ich selber mit dabei gewesen:

Ein dunkelgrauer Vorhang hängt wie Blei
Vor einer kleinen Bühne schwer herab.
Ringsum, von taubengrauem Samt, stehn frei
Zwei Hundert Stühle, still wie um ein Grab.
Plötzlich entflammt sich wie durch Zauberei
Elektrisch Licht, wie bei der Königin Mab.
    Es gilt: intime Kunst im engen Raum,
    Für zwanzig Mark »à Platz«, man glaubt es kaum.

»Erfrischung nach des Tages Kampf und Hitze«
Soll dieses Liliputtheater schaffen.
Die feinste Parodie, groteske Witze,
Geist, Übermut sind hier die Angriffswaffen,
Hanswurstens Pritschenschlag, Thaliens Blitze;
Melpomene mag sich zusammenraffen.
    So durcheinander: Lebenslust und Schmerz
    Erobern sich der Gäste harmlos Herz.

Der bunte Abend naht dem Ende schon;
Nach einem Schwank voll blendender Caprice
Beansprucht die Tragödin nun den Thron,
Verläßt den Warteplatz und die Kulisse
Und zeigt sich uns, im Kranz von rotem Mohn,
Und offenbart des Dichters Seelenrisse.
    Das Karmen, das sie bebend sprach, war Schund.
    Ich gebs hier wörtlich nach dem Textbuch kund:

Die Mörderin.

(Grelles Mondlicht. Aus einem Gebüsch kommt, gleichsam nachtwandelnd, langsam ein Weib, einen Dolch in der Rechten. Sie starrt mit weit geöffneten Augen in den Mond.

Anzug: Luise Millerin. Kranz Opheliens im Haar.)

(Groß, rauh:)
        Du Mond, gib all dein silbernes Licht,
Daß ich in Strömen stehe von Stahl,
Wie die Furie aus einem Nachtgedicht.
(Mit völlig veränderter, mit hingebender Stimme:)
Wie die betaute Blume nach sengender Qual,
Wie ein Mädchen, das erreicht hat, was Liebe gewollt,
Die nicht mehr bettelt, die nicht mehr schmollt –
Beglänze, Mond, meinen Hochzeitssaal.
(Sie betrachtet den Dolch:)
Du warst mein Erlöser. Ich hab mich gerächt.
Er hat mich gequält. Meine Seele zersprang.
Mein Blut ist toll und ungeschwächt,
Ich ertrug nicht mehr diesen furchtbaren Drang.
Ich hab ihn ermordet, das war mein Valet;
Geknickte Zweige sind sein Bett
Nun stimm ich an meinen Festgesang:
(Lyrisch gedacht und lyrisch gesprochen:)
Ein Frühlingstag, weißt du, der Buchfink schlug,
Du fandest mich unter dem Apfelbaum;
Über uns schwenkte ein Taubenflug,
Und die Blüte sank, wie ein Traum, wie ein Traum.
Und als du mir lachtest: komm, sei mein,
Da lag ich im Arm dir und war dein,
Und du küßtest meines Kleides Saum.

Ich war dir Alles, dein Herd und dein Haus,
Keine Stunde wolltest du von mir gehn;
Ich war deine Braut, dein Weib, deine Maus,
Für mich ließest du weithin die Fahnen wehn.
Und was du mir absehn konntest, geschah;
Und was ich dich bat, schon war es da,
Und ohne mich konnte die Welt nicht bestehn.

Ich gab dir mich, mein einzig Geschenk,
Weiter hatt ich für dich keinen Lohn.
Wohl blieb ich stumm und ungelenk
Und schüchtern, und fand nicht den Wunderton;
Doch war ich allein, wie hab ich geweint,
Dann war ich mir selbst mein bitterster Feind
Und zerriß mein Hemd mit hungrigem Hohn.

(Kleine Pause.)
Da ließ er von mir. Die Andre kam;
Die kreuzte den Weg ihm, unbewußt.
Und als er an sein Herz sie nahm
Und sie zärtlich drückte an seine Brust
Und mit ihr scherzte, er ging mir vorbei,
Als wenn ich für ihn nie gewesen sei,
Da überfiel mich die kochende Lust:
(Schnell, wild:)
Du sollst ihn nicht haben, nein, du nicht, du,
Und keine soll seine Liebste sein.
(Rasch wie in Parenthese erzählend:)
Und ich hatte keine Minute mehr Ruh,
Und ich schürte zu Flammen hoch, hoch meine Pein.
Heut wußt ich bestimmt, er kommt diesen Weg,
Er geht hier über den Brückensteg.
Und ich verbarg mich hinter dem Hünenstein.
(Plötzlich ganz verändert. Sie greift mit der Linken an die Stirn.
Starrt vor sich hin:)
Wo bin ich? Hab ich, was hab ich getan?
(Ganz schlaff. Der Dolch entfällt ihr:)
Nein, nein –
(Sie sieht auf den Dolch nieder:)
                    Du bist ja mein liebes Kind –
(Sie hebt den Dolch auf und küßt ihn:)
Mein Püppchen bekam seinen ersten Zahn.
(Sie wickelt den Dolch in ihr Taschentuch,
wiegt ihn in den Armen und singt:)
Eia, poppeia, es raschelt der Wind.
(Sie schleudert plötzlich den Dolch mit Entsetzten von sich,
daß er im Boden zitternd stecken bleibt,
und kriecht langsam auf die Kulisse zu, woher sie gekommen ist:)
Du, du, mein Liebster, liegst du im Busch?
Flog nicht ein Vögelchen auf? husch, husch.
Ich komme – ich komme –

(Sie verschwindet in der Kulisse. Fünf Sekunden Schweigen. Dann ein gellender Schrei.
Man hört sie an der Leiche des Ermordeten niederfallen.)
Vorhang. Schnell.)

        Welch ein behendes, reizendes Persönchen,
Mit Tigerinaugen, mondlosnächtigem Haar.
In diesem Anzug, welch ein Tausendschönchen;
Nur paßt nicht ganz ihr schwarzes Augenpaar.
Ich dachte mir: Wär ich doch ihr Barönchen,
Ich fräß sie auf vor Liebe ganz und gar.
    Nun wollen wir aufmerken, wie sie spielt
    Und ob sie nicht zu viel nach Pathos schielt.

Groß sprach sie, traumhaft die drei ersten Zeilen,
Das hätt ich wahrlich nicht von ihr geglaubt.
Und auch der Lyrik allzulange Meilen
Sprach sie natürlich, hold und ungeschraubt.
Und mein Entzücken mußte jeder teilen,
Als in der letzten Strophe sie das Haupt,
    Den Dolch im Wahnsinn küssend, niederbog
    Und Honigseim aus Stahl und Eisen sog.

Und nun die Stelle, wo ihr vorgeschrieben,
Den Dolch entsetzt ins Bühnengras zu schnellen:
Das tut sie nicht. Wo ist ihr Spruch geblieben?
Umtoben wild sie des Vergessens Wellen?
Will sich ein Chaos durcheinanderschieben?
Was will sie denn? Das ist doch kein Verstellen.
    Herr Gott, sie stiert, sie reißt die Augen auf!
    Stürmt da des Schicksals ungeahnter Lauf?

Sie naht der Bühnenwand sich mit dem Dolch,
Nie hört ich solche süße Stimme mehr:
    »Du, du, mein Liebster, liegst du im Busch?
    Flog nicht ein Vögelchen auf, husch, husch.
    Ich komme – ich komme –«
Und ist verschwunden, und die Stätte leer.
    Ein Schrei! Ein zweiter Schrei gellt hinterdrein.
    Uns stockt das Blut, wir sitzen wie von Stein.

Der Vorhang fällt. Verwirrung. Keiner weiß –
Der Regisseur: »Ein Unglück ist geschehn.«
Wie wirbelt das Gespräch in unserm Kreis,
Und wirbelt fort beim Auseinandergehn.
Noch auf der Straße fragt man laut und leis,
Die Menschen bleiben bei einander stehn.
    Was war es? Bis der Neugierde die Nacht
    Das Tor, bums, vor der Nase zugemacht.

Am andern Morgen stand es in den Blättern,
Welch furchtbares Verhängnis sich geschlossen:
Zwei Blitze seien tödlich aus den Wettern
Des Hasses und der Eifersucht geschossen,
Und, das bezeugen meine Zeitungsvettern,
Jählings sei doppelt Opferblut geflossen.
    Am Sonntag Mittag stünden in Sankt Veit
    Die Särge für die letzte Fahrt bereit.

Was hat sich denn ereignet? Mord. Und dann
Gab sich die Mörderin selbst den Todesstoß.
Der, der sich ihre Liebe einst gewann
Und dann sie täuschte, treulos, rücksichtslos,
Höhnte aus der Kulisse frech sie an,
Sich sicher fühlend wie in Engelsschoß.
    Und sie entdeckt ihn, kurz vor ihrem Schluß,
    Und gab ihm mit dem Dolch den letzten Kuß.

Der Tod. Ein Rätsel? Ein Geheimnis? Nein.
Die ehernen Gesetze der Natur
Bedeuten weder Wirklichkeit noch Schein.
Des Schicksalswagens eingegrabne Spur
Führt ewig zu dem Ziele: Schein ist Sein.
Ich bin. Ich war. So läuft die Lebensschnur.
    Die Bühne zeigt des Lebens Kampf als Sühne;
    Das Leben zeigt uns eine einzige Bühne.

Rasch von der Künstlerin zum Missionar,
Zum Heidenvolkbekehrer; welcher Sprung!
Von einer Welt zur andern; ein, fürwahr,
Salto mortale im Gedankenschwung.
Wie kam denn das? Auf einmal wirds mir klar,
Und staunend find ich die Vermittlung:
    Mein Auge traf den Tisch, die Muse fliegt,
    Wo Helmolds Chronica Slavorum liegt.

Jedwede Chronik ist des Dichters Teich,
Ganz unerschöpflich kann er daraus angeln;
Denn unergründlich ist dies Quellenreich,
Und niemals wird es ihm an Fischen mangeln.
Und tat er einen guten Fang und Streich,
Kann er sich wohlig dann am Ufer rangeln.
    So machte ichs in diesen Tagen auch:
    Aus Helmolds Chronik steigt mein Märchenrauch.

Der Priester Helmold ist mein groß Entzücken:
Du reiner Mensch, du keusche, starke Seele.
Vor seinem Gott nur sah ich ihn sich bücken,
Wenn er ihm beichtete Gebrest und Fehle.
Sanftmut, Ernst, Liebe waren seine Brücken;
Ausdauer, Überzeugung Brückenpfähle.
    Und seine Chronik schrieb er in Latein,
    Das Tacitus nicht besser nannte sein.

Elfhundertsechzig, das war seine Zeit.
Und welche Zeit! Die Zeit Albrechts des Bären.
Heinrichs des Löwen Tatze, schlagbereit,
Will stets vestigia leonis lehren.
Und Kaiser Rotbarts edle Männlichkeit
Ringt bei Legnano mit Rebellenspeeren.
    Der Robbenkönig Schwein und König Knut
    Zerbeulen gegenseitig sich den Hut.

Die Wendenvölker drangen vor und keilten
Sich, Stirn an Stirnen eng, ins Holstenland,
Wo sie sich in die besten Striche teilten,
Und faßten störrisch hier wie Stiere Stand.
Aus Asien kamen sie und drängten, eilten,
Bis endlich fern der Kaukasus entschwand.
    Mit ihren Götzenbildern, Bonz und Sklav,
    Erscheinen Niclot, Cruco, Wratislaw.

»Hier sind und stehn wir!« Nun ertobt der Kampf.
Die großen Schauenburger Grafen schützen
Die Äcker Holsteins. Pfeile, Roßgestampf,
Stahlhelme, kurze Schwerter, Otternmützen,
Flammende Dörfer, weithinziehender Dampf,
Geschrei der Weiber, Blut und Dreck und Pfützen.
    Und im Gewühl, im Vorwärts oder Fliehn,
    Erscheint in seiner Sänfte Vicelin.

Er stiftet Kirchen, segnet, heilt die Wunden,
Baut Schulen, spendet Korn und Kalb und Brot.
Und Christi Lehre soll es nun bekunden,
Daß Christi Liebe lindert alle Not.
Ein schwer Stück Arbeit bei den »Heidenhunden«,
Langlange zögert noch das Morgenrot.
    Doch unermüdlich sät der Glaubensstreiter.
    Der Bischof stirbt. Und Helmold ackert weiter.

Des Fürsten Tochter will er unterrichten;
Peruta (Gänseflügel) war ihr Name.
Fürst Butus Tochter. Jesu Heilsgeschichten
Erzählt er rührend ihr, viel wundersame;
Erläutert ihr die schweren Klosterpflichten
Als höchsten Wonnepreis im Erdengrame.
    Rein wie sein Herz, war rein seine Gesinnung.
    Sein hehres Ziel: All-Eine Christeninnung.

Francesca, Paolo; Salome, Johannes.
Wem fällts nicht gleich bei diesen Pärchen ein,
Daß unser Pärchen sich des gleichen Bannes
Verstricken wird zu seligem Verein.
Helmold, das Urbild des germanischen Mannes,
Dem kreist doch auch der Saftborn im Gebein.
    Peruta war, aus wild mongolischem Blute,
    Na, sagen wir: wie eine Mustangstute.

In ihre Stirn fällt närrisch aus der Mähne
Ein schwarzer dichter Büschel, ungefragt.
Die Augen lauern durch die lockre Strähne
Und blitzen dunkelfunkelnd wie Smaragd.
Und gleich gut steht die Pracht der Raubtierzähne
Der Wölfin wie der jungen Wendenmagd.
    Geschmeidig wie die Pantherkatze, roh,
    Unschuldig-gierig, schweift sie frank und froh.

Im Monat Mai beginnt die Unterweisung;
Peruta zeigt sich neugierig, gespannt,
Und fühlt sich durch die himmlische Verheißung
Vom »wahren Christentume« bald gebannt.
Allmählich aber denkt sie frührer Preisung,
Der Heimatflur, wo ihre Wiege stand,
    Denkt an den alten guten Pan Czieliehster,
    Des heiligen Opferhaines Oberpriester.

Hier halten die verschleppten Götter Rast.
Den kleinen Kultuspuppen Prune, Prone
Gesellt sich stolz das Scheusal Radegast.
Und vor den kleinen Damen Czebe, Czone
Ragt riesenhoch die Götzin Czalefast,
Der neuen Lehre feierlich zum Hohne.
    Aus Holz sind alle. Von den Greuelbildern
    Will ich die beiden großen Fratzen schildern:

Zuerst, mein Papa Radegast, komm her:
Ei, ei, du hast ja zwanzig Köpfe auf,
Die zwanzig Nasen stehn zum Teil verquer,
Die vierzig Augen glotzen Knauf an Knauf,
Der dicke Bauch, beschmiert mit Ton und Teer,
Hat stark gelitten durch der Jahre Lauf.
    Ganz »eigenartig« (würden heut wir schreiben)
    Ist dieses biedern Urians Tun und Treiben.

Denn in den Augenknäufen, kommt die Nacht,
Erflammen öfters rot und gelbe Lichter,
Ganz plötzlich und geheimnisvoll entfacht;
Gewiß, das sind sehr schlimme Zornestrichter.
Das Volk bringt Rinder, Eier, Roggenfracht,
Und macht erst wieder freundliche Gesichter,
    Wenn, brav, die Lichter in den nächsten Nächten
    Nicht gar zu arg den armen Haushalt knechten.

Der hochehrwürdige Herr ist überzogen
Mit Moos und Strauch an Rücken, Schoß und Beinen:
Der Same kam weit aus der Luft geflogen
Und setzte sich hier fest an Staub und Steinen.
Die Ziegen sind ihm deshalb wohl gewogen,
Die sich gemütlich-frech auf ihm vereinen.
    Sie naschen, rupfen, klettern, springen, stoßen
    Sich frohgelaunt herum auf diesem Großen.

Nun, Mama Czalefast, laß dich beschauen;
Wie siehst denn du aus? Prachtvoll, zum Entzücken.
Du bist mir traun die schönste aller Frauen,
Mit hundert Brüsten rings um Brust und Rücken.
Die Mädchen packt gewiß ein neidisch Grauen,
Wenn sie sich ehrerbietig vor dir bücken.
    Recht artig strammt und strotzt bei dir, o Weib,
    Der aufgeschwollne, überschwangre Leib.

Sie hat nur einen Kopf, doch neunzig Zungen,
Die ihr, Bedeutung? aus dem Maule hängen.
Um ihre Haare ist ein Kranz geschlungen,
Aus dem sich, scheint es, kleine Katzen zwängen.
Die Füße, enteneinwärts, bastumzwungen,
Möchten den lästigen Rocksaum gern verdrängen.
    Viel Schwalben nisten unter ihren Brüsten,
    Als wenn sie nirgends trautere Plätze wüßten.

Dahinter droht der Tempel, wo die Bäume
In dichterm Kreise wispern, flüstern, schauern.
Verzierte Pforten und verzapfte Zäune
Erschließen manchem sich zu Todestrauern.
Und manchen ängsten seine letzten Träume
In diesen rohen roten Backsteinmauern,
    Wo die gefolterten Gefangnen stöhnen
    In immer dumpfern, stumpfern Röcheltönen.

In Tempels Mitten hockt ein runder Stein,
Plump, dick und klumpig; der hat eine Rille.
In diese Rille läuft das Blut hinein,
Das dort den Götzen weiht des Priesters Wille.
Die Menschenopfer sind noch allgemein:
Ein Schrei, ein Schnitt, und ehrfurchtsvolle Stille.
    Dann bricht ein Jauchzen aus viel tausend Kehlen,
    Und harmlos freuen sich viel tausend Seelen.

Nacht. Eine Juninacht. Astartens Nacht.
Der Tempel ist von Blumenduft durchstäubt.
Dumpf hallt die Trommel, wie aus einer Schlacht,
Ununterbrochen, bis das Volk betäubt.
Die Priester hatten es zur Glut entfacht,
Und keine Jungfrau hatte sich gesträubt.
    Der Morgen. Jubel. Sturmzerstörte Blüten;
    Nur eine wußte klug sich zu behüten.

Peruta war dem Frühlingsfest entronnen,
Sie hat ihr Sinnen Helmold längst geschenkt;
Und wenn sie ihn für sich noch nicht gewonnen,
Er hat ihr Herz aus Rand und Band gerenkt.
Sie hat schon allen Listen nachgesonnen;
Umsonst? Ob er denn niemals an sie denkt?
    Noch immer nimmt sie bei ihm Unterricht,
    Doch, ach, sie hört nicht, was er mahnend spricht.

Am andern Morgen läuft sie durch den Hain,
Und läuft und läuft, und endlich macht sie Rast,
Und bittet, aufatmend im Sonnenschein,
Die gute alte Mutter Czalefast:
»Hilf mir, hilf mir, er muß mein Eigen sein,«
Und sie wird puterrot, und sie erblaßt.
    Halb Heidin, Christin halb, liegt sie auf Knien
    Und schlägt, verwirrt, das Kreuz vor Sankt Marien.

Helmold inzwischen will die Glut bezwingen,
Auch er ist wild verliebt, völlig vernarrt,
Will seine »Sünde« tapfer niederringen,
Und blickt auf seine Heiligenbilder, starrt
Und fleht sie an: O laßt es mir gelingen!
Er geißelt sich, kasteit sich, rauft den Bart.
    Vergebens betet er den frommsten Text,
    Er sehnt sich nach Peruta wie verhext.

Da fällt ihm ein, das wollt er lange schon:
Ists eine Schande nicht, daß die Abgötter
Der Slawen immer sitzen noch zu Thron?
Und das Entjungfrungsfest! Die frechen Spötter!
Herunter! in den Staub den Heidenhohn!
Herunter! in den Schmutz die Gaukelgötter!
    Ihm scheint der beste Meister seines Pfads
    Der Deutschen Erzapostel Bonifaz.

Die nächste Nacht schon will er, ganz allein,
Will seine Axt an ihrem Holz erproben.
Weg dampft die Brunst, die Liebe hinterdrein,
Hat er das Beil nur erst zum Schlag erhoben.
Gott wird ihm helfen, Gott wird bei ihm sein,
Wenn in den Götzen seine Axt wird toben.
    Doch wie er auch den Willenshammer schwingt,
    Es hält ihn Amors Puttenschwarm umringt.

Nacht. Eine Juninacht. O Sommernacht.
Er wälzt sich auf dem Lager hin und her.
Er schreit zu Gott aus seinem tiefsten Schacht.
Es gärt in ihm mit rasendem Begehr.
Er fleht um seines Heilands Siegermacht.
Er stöhnt nach Liebe. Und sein Bett ist leer.
    Ein uralt Weib sieht lässig nach der Uhr:
    »Die Zeit ist da« befiehlt barsch die Natur.

Er springt von seiner Matte, reißt im Nu
Das ungeschlachte Handbeil aus dem Block;
Die Füße fahren hitzig in die Schuh,
Rasch nimmt er sich vom Pflock den Priesterrock
Und wandert wütend seinem Ziele zu,
Das Handbeil schwingend wie nen Wichtelstock.
    Bald macht er Halt vorm Tor am Opferhain
    Und brichts mit seiner Schulter krachend ein.

Nacht. Eine Juninacht. Und Mitternacht.
Der Mond liegt auf den greulichen Idolen,
Der volle Mond mit seiner grellen Pracht.
Lautlose Stille hat den Lärm gestohlen,
Ihn in den Sack gesteckt und stumm gemacht.
Aus Gras und Gräben duften die Violen.
    Ein Tempelkauz streicht ab vom Kleingott Prune
    Und schwebt so leicht wie eine Schwanendune.

Dor steit glieks vörn ohl Moder Czalefast
In dieses Götzengartens wirren Wegen.
Auf sie stürzt Helmold los, zitternd vor Hast,
Und will die Axt ihr ins Gefuge fegen.
Was soll dein Unterfangen, mein Phantast,
Kannst du allein dies Biest in Trümmer legen?
    Wohl hundert Äxte würden kaum genügen,
    Das grause Schnitzwerk in den Sand zu pflügen.

Er holt von rückwärts aus, wie kriegsgewohnt,
Um mit noch größrer Wucht den Hieb zu tun.
Schon blitzt sein Beil, fest in der Faust, zum Mond,
Da – Gaukelspiel? Schlich wer auf Katzenschuhn?
Hat jemand heimlich seine Kraft entthront?
Was stockt er? Wünscht er plötzlich auszuruhn?
    Sein Arm fällt ruckweis, wie ein Ball abschwingt,
    Der sanft von Stufe hin zu Stufe springt.

Peruta steht vor ihm und lacht ihn an,
Und ihrer jungfräulichen Brüste Flor
Haucht ihm ein sprachlos Wort: Geliebter Mann.
Da brüllt in ihm die Leidenschaft empor.
Ob Mutter Czalefast nun Rache sann,
Ob sie vor Schreck die Haltung gar verlor,
    Helmold reißt mit sich Brust an Brust Peruten
    Himmel und Hölle stehn vereint in Gluten.

Der Mond schiebt sich verschämt durchs Holzgehänge,
Ein Bächlein kullert kindlich über Kiesel.
Der Elfenreigen spielt durchs Zweiggedränge,
Vor ihrem Schlupfloch haschen sich zwei Wiesel.
Fern klingen, wie Hosianna, Weihgesänge,
Und von den Sternen flimmert ein Geriesel.
    Nacht. Eine Juninacht. Mittsommernacht.
    Und die Natur hat leise, leise – sehr gelacht.


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