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Welch ein behendes, reizendes Persönchen,
Mit Tigerinaugen, mondlosnächtigem Haar.
In diesem Anzug, welch ein Tausendschönchen;
Nur paßt nicht ganz ihr schwarzes Augenpaar.
Ich dachte mir: Wär ich doch ihr Barönchen,
Ich fräß sie auf vor Liebe ganz und gar.
Nun wollen wir aufmerken, wie sie spielt
Und ob sie nicht zu viel nach Pathos schielt.
Groß sprach sie, traumhaft die drei ersten Zeilen,
Das hätt ich wahrlich nicht von ihr geglaubt.
Und auch der Lyrik allzulange Meilen
Sprach sie natürlich, hold und ungeschraubt.
Und mein Entzücken mußte jeder teilen,
Als in der letzten Strophe sie das Haupt,
Den Dolch im Wahnsinn küssend, niederbog
Und Honigseim aus Stahl und Eisen sog.
Und nun die Stelle, wo ihr vorgeschrieben,
Den Dolch entsetzt ins Bühnengras zu schnellen:
Das tut sie nicht. Wo ist ihr Spruch geblieben?
Umtoben wild sie des Vergessens Wellen?
Will sich ein Chaos durcheinanderschieben?
Was will sie denn? Das ist doch kein Verstellen.
Herr Gott, sie stiert, sie reißt die Augen auf!
Stürmt da des Schicksals ungeahnter Lauf?
Sie naht der Bühnenwand sich mit dem Dolch,
Nie hört ich solche süße Stimme mehr:
»Du, du, mein Liebster, liegst du im Busch?
Flog nicht ein Vögelchen auf, husch, husch.
Ich komme – ich komme –«
Und ist verschwunden, und die Stätte leer.
Ein Schrei! Ein zweiter Schrei gellt hinterdrein.
Uns stockt das Blut, wir sitzen wie von Stein.
Der Vorhang fällt. Verwirrung. Keiner weiß –
Der Regisseur: »Ein Unglück ist geschehn.«
Wie wirbelt das Gespräch in unserm Kreis,
Und wirbelt fort beim Auseinandergehn.
Noch auf der Straße fragt man laut und leis,
Die Menschen bleiben bei einander stehn.
Was war es? Bis der Neugierde die Nacht
Das Tor, bums, vor der Nase zugemacht.
Am andern Morgen stand es in den Blättern,
Welch furchtbares Verhängnis sich geschlossen:
Zwei Blitze seien tödlich aus den Wettern
Des Hasses und der Eifersucht geschossen,
Und, das bezeugen meine Zeitungsvettern,
Jählings sei doppelt Opferblut geflossen.
Am Sonntag Mittag stünden in Sankt Veit
Die Särge für die letzte Fahrt bereit.
Was hat sich denn ereignet? Mord. Und dann
Gab sich die Mörderin selbst den Todesstoß.
Der, der sich ihre Liebe einst gewann
Und dann sie täuschte, treulos, rücksichtslos,
Höhnte aus der Kulisse frech sie an,
Sich sicher fühlend wie in Engelsschoß.
Und sie entdeckt ihn, kurz vor ihrem Schluß,
Und gab ihm mit dem Dolch den letzten Kuß.
Der Tod. Ein Rätsel? Ein Geheimnis? Nein.
Die ehernen Gesetze der Natur
Bedeuten weder Wirklichkeit noch Schein.
Des Schicksalswagens eingegrabne Spur
Führt ewig zu dem Ziele: Schein ist Sein.
Ich bin. Ich war. So läuft die Lebensschnur.
Die Bühne zeigt des Lebens Kampf als Sühne;
Das Leben zeigt uns eine einzige Bühne.
Rasch von der Künstlerin zum Missionar,
Zum Heidenvolkbekehrer; welcher Sprung!
Von einer Welt zur andern; ein, fürwahr,
Salto mortale im Gedankenschwung.
Wie kam denn das? Auf einmal wirds mir klar,
Und staunend find ich die Vermittlung:
Mein Auge traf den Tisch, die Muse fliegt,
Wo Helmolds Chronica Slavorum liegt.
Jedwede Chronik ist des Dichters Teich,
Ganz unerschöpflich kann er daraus angeln;
Denn unergründlich ist dies Quellenreich,
Und niemals wird es ihm an Fischen mangeln.
Und tat er einen guten Fang und Streich,
Kann er sich wohlig dann am Ufer rangeln.
So machte ichs in diesen Tagen auch:
Aus Helmolds Chronik steigt mein Märchenrauch.
Der Priester Helmold ist mein groß Entzücken:
Du reiner Mensch, du keusche, starke Seele.
Vor seinem Gott nur sah ich ihn sich bücken,
Wenn er ihm beichtete Gebrest und Fehle.
Sanftmut, Ernst, Liebe waren seine Brücken;
Ausdauer, Überzeugung Brückenpfähle.
Und seine Chronik schrieb er in Latein,
Das Tacitus nicht besser nannte sein.
Elfhundertsechzig, das war seine Zeit.
Und welche Zeit! Die Zeit Albrechts des Bären.
Heinrichs des Löwen Tatze, schlagbereit,
Will stets vestigia leonis lehren.
Und Kaiser Rotbarts edle Männlichkeit
Ringt bei Legnano mit Rebellenspeeren.
Der Robbenkönig Schwein und König Knut
Zerbeulen gegenseitig sich den Hut.
Die Wendenvölker drangen vor und keilten
Sich, Stirn an Stirnen eng, ins Holstenland,
Wo sie sich in die besten Striche teilten,
Und faßten störrisch hier wie Stiere Stand.
Aus Asien kamen sie und drängten, eilten,
Bis endlich fern der Kaukasus entschwand.
Mit ihren Götzenbildern, Bonz und Sklav,
Erscheinen Niclot, Cruco, Wratislaw.
»Hier sind und stehn wir!« Nun ertobt der Kampf.
Die großen Schauenburger Grafen schützen
Die Äcker Holsteins. Pfeile, Roßgestampf,
Stahlhelme, kurze Schwerter, Otternmützen,
Flammende Dörfer, weithinziehender Dampf,
Geschrei der Weiber, Blut und Dreck und Pfützen.
Und im Gewühl, im Vorwärts oder Fliehn,
Erscheint in seiner Sänfte Vicelin.
Er stiftet Kirchen, segnet, heilt die Wunden,
Baut Schulen, spendet Korn und Kalb und Brot.
Und Christi Lehre soll es nun bekunden,
Daß Christi Liebe lindert alle Not.
Ein schwer Stück Arbeit bei den »Heidenhunden«,
Langlange zögert noch das Morgenrot.
Doch unermüdlich sät der Glaubensstreiter.
Der Bischof stirbt. Und Helmold ackert weiter.
Des Fürsten Tochter will er unterrichten;
Peruta (Gänseflügel) war ihr Name.
Fürst Butus Tochter. Jesu Heilsgeschichten
Erzählt er rührend ihr, viel wundersame;
Erläutert ihr die schweren Klosterpflichten
Als höchsten Wonnepreis im Erdengrame.
Rein wie sein Herz, war rein seine Gesinnung.
Sein hehres Ziel: All-Eine Christeninnung.
Francesca, Paolo; Salome, Johannes.
Wem fällts nicht gleich bei diesen Pärchen ein,
Daß unser Pärchen sich des gleichen Bannes
Verstricken wird zu seligem Verein.
Helmold, das Urbild des germanischen Mannes,
Dem kreist doch auch der Saftborn im Gebein.
Peruta war, aus wild mongolischem Blute,
Na, sagen wir: wie eine Mustangstute.
In ihre Stirn fällt närrisch aus der Mähne
Ein schwarzer dichter Büschel, ungefragt.
Die Augen lauern durch die lockre Strähne
Und blitzen dunkelfunkelnd wie Smaragd.
Und gleich gut steht die Pracht der Raubtierzähne
Der Wölfin wie der jungen Wendenmagd.
Geschmeidig wie die Pantherkatze, roh,
Unschuldig-gierig, schweift sie frank und froh.
Im Monat Mai beginnt die Unterweisung;
Peruta zeigt sich neugierig, gespannt,
Und fühlt sich durch die himmlische Verheißung
Vom »wahren Christentume« bald gebannt.
Allmählich aber denkt sie frührer Preisung,
Der Heimatflur, wo ihre Wiege stand,
Denkt an den alten guten Pan Czieliehster,
Des heiligen Opferhaines Oberpriester.
Hier halten die verschleppten Götter Rast.
Den kleinen Kultuspuppen Prune, Prone
Gesellt sich stolz das Scheusal Radegast.
Und vor den kleinen Damen Czebe, Czone
Ragt riesenhoch die Götzin Czalefast,
Der neuen Lehre feierlich zum Hohne.
Aus Holz sind alle. Von den Greuelbildern
Will ich die beiden großen Fratzen schildern:
Zuerst, mein Papa Radegast, komm her:
Ei, ei, du hast ja zwanzig Köpfe auf,
Die zwanzig Nasen stehn zum Teil verquer,
Die vierzig Augen glotzen Knauf an Knauf,
Der dicke Bauch, beschmiert mit Ton und Teer,
Hat stark gelitten durch der Jahre Lauf.
Ganz »eigenartig« (würden heut wir schreiben)
Ist dieses biedern Urians Tun und Treiben.
Denn in den Augenknäufen, kommt die Nacht,
Erflammen öfters rot und gelbe Lichter,
Ganz plötzlich und geheimnisvoll entfacht;
Gewiß, das sind sehr schlimme Zornestrichter.
Das Volk bringt Rinder, Eier, Roggenfracht,
Und macht erst wieder freundliche Gesichter,
Wenn, brav, die Lichter in den nächsten Nächten
Nicht gar zu arg den armen Haushalt knechten.
Der hochehrwürdige Herr ist überzogen
Mit Moos und Strauch an Rücken, Schoß und Beinen:
Der Same kam weit aus der Luft geflogen
Und setzte sich hier fest an Staub und Steinen.
Die Ziegen sind ihm deshalb wohl gewogen,
Die sich gemütlich-frech auf ihm vereinen.
Sie naschen, rupfen, klettern, springen, stoßen
Sich frohgelaunt herum auf diesem Großen.
Nun, Mama Czalefast, laß dich beschauen;
Wie siehst denn du aus? Prachtvoll, zum Entzücken.
Du bist mir traun die schönste aller Frauen,
Mit hundert Brüsten rings um Brust und Rücken.
Die Mädchen packt gewiß ein neidisch Grauen,
Wenn sie sich ehrerbietig vor dir bücken.
Recht artig strammt und strotzt bei dir, o Weib,
Der aufgeschwollne, überschwangre Leib.
Sie hat nur einen Kopf, doch neunzig Zungen,
Die ihr, Bedeutung? aus dem Maule hängen.
Um ihre Haare ist ein Kranz geschlungen,
Aus dem sich, scheint es, kleine Katzen zwängen.
Die Füße, enteneinwärts, bastumzwungen,
Möchten den lästigen Rocksaum gern verdrängen.
Viel Schwalben nisten unter ihren Brüsten,
Als wenn sie nirgends trautere Plätze wüßten.
Dahinter droht der Tempel, wo die Bäume
In dichterm Kreise wispern, flüstern, schauern.
Verzierte Pforten und verzapfte Zäune
Erschließen manchem sich zu Todestrauern.
Und manchen ängsten seine letzten Träume
In diesen rohen roten Backsteinmauern,
Wo die gefolterten Gefangnen stöhnen
In immer dumpfern, stumpfern Röcheltönen.
In Tempels Mitten hockt ein runder Stein,
Plump, dick und klumpig; der hat eine Rille.
In diese Rille läuft das Blut hinein,
Das dort den Götzen weiht des Priesters Wille.
Die Menschenopfer sind noch allgemein:
Ein Schrei, ein Schnitt, und ehrfurchtsvolle Stille.
Dann bricht ein Jauchzen aus viel tausend Kehlen,
Und harmlos freuen sich viel tausend Seelen.
Nacht. Eine Juninacht. Astartens Nacht.
Der Tempel ist von Blumenduft durchstäubt.
Dumpf hallt die Trommel, wie aus einer Schlacht,
Ununterbrochen, bis das Volk betäubt.
Die Priester hatten es zur Glut entfacht,
Und keine Jungfrau hatte sich gesträubt.
Der Morgen. Jubel. Sturmzerstörte Blüten;
Nur eine wußte klug sich zu behüten.
Peruta war dem Frühlingsfest entronnen,
Sie hat ihr Sinnen Helmold längst geschenkt;
Und wenn sie ihn für sich noch nicht gewonnen,
Er hat ihr Herz aus Rand und Band gerenkt.
Sie hat schon allen Listen nachgesonnen;
Umsonst? Ob er denn niemals an sie denkt?
Noch immer nimmt sie bei ihm Unterricht,
Doch, ach, sie hört nicht, was er mahnend spricht.
Am andern Morgen läuft sie durch den Hain,
Und läuft und läuft, und endlich macht sie Rast,
Und bittet, aufatmend im Sonnenschein,
Die gute alte Mutter Czalefast:
»Hilf mir, hilf mir, er muß mein Eigen sein,«
Und sie wird puterrot, und sie erblaßt.
Halb Heidin, Christin halb, liegt sie auf Knien
Und schlägt, verwirrt, das Kreuz vor Sankt Marien.
Helmold inzwischen will die Glut bezwingen,
Auch er ist wild verliebt, völlig vernarrt,
Will seine »Sünde« tapfer niederringen,
Und blickt auf seine Heiligenbilder, starrt
Und fleht sie an: O laßt es mir gelingen!
Er geißelt sich, kasteit sich, rauft den Bart.
Vergebens betet er den frommsten Text,
Er sehnt sich nach Peruta wie verhext.
Da fällt ihm ein, das wollt er lange schon:
Ists eine Schande nicht, daß die Abgötter
Der Slawen immer sitzen noch zu Thron?
Und das Entjungfrungsfest! Die frechen Spötter!
Herunter! in den Staub den Heidenhohn!
Herunter! in den Schmutz die Gaukelgötter!
Ihm scheint der beste Meister seines Pfads
Der Deutschen Erzapostel Bonifaz.
Die nächste Nacht schon will er, ganz allein,
Will seine Axt an ihrem Holz erproben.
Weg dampft die Brunst, die Liebe hinterdrein,
Hat er das Beil nur erst zum Schlag erhoben.
Gott wird ihm helfen, Gott wird bei ihm sein,
Wenn in den Götzen seine Axt wird toben.
Doch wie er auch den Willenshammer schwingt,
Es hält ihn Amors Puttenschwarm umringt.
Nacht. Eine Juninacht. O Sommernacht.
Er wälzt sich auf dem Lager hin und her.
Er schreit zu Gott aus seinem tiefsten Schacht.
Es gärt in ihm mit rasendem Begehr.
Er fleht um seines Heilands Siegermacht.
Er stöhnt nach Liebe. Und sein Bett ist leer.
Ein uralt Weib sieht lässig nach der Uhr:
»Die Zeit ist da« befiehlt barsch die Natur.
Er springt von seiner Matte, reißt im Nu
Das ungeschlachte Handbeil aus dem Block;
Die Füße fahren hitzig in die Schuh,
Rasch nimmt er sich vom Pflock den Priesterrock
Und wandert wütend seinem Ziele zu,
Das Handbeil schwingend wie nen Wichtelstock.
Bald macht er Halt vorm Tor am Opferhain
Und brichts mit seiner Schulter krachend ein.
Nacht. Eine Juninacht. Und Mitternacht.
Der Mond liegt auf den greulichen Idolen,
Der volle Mond mit seiner grellen Pracht.
Lautlose Stille hat den Lärm gestohlen,
Ihn in den Sack gesteckt und stumm gemacht.
Aus Gras und Gräben duften die Violen.
Ein Tempelkauz streicht ab vom Kleingott Prune
Und schwebt so leicht wie eine Schwanendune.
Dor steit glieks vörn ohl Moder Czalefast
In dieses Götzengartens wirren Wegen.
Auf sie stürzt Helmold los, zitternd vor Hast,
Und will die Axt ihr ins Gefuge fegen.
Was soll dein Unterfangen, mein Phantast,
Kannst du allein dies Biest in Trümmer legen?
Wohl hundert Äxte würden kaum genügen,
Das grause Schnitzwerk in den Sand zu pflügen.
Er holt von rückwärts aus, wie kriegsgewohnt,
Um mit noch größrer Wucht den Hieb zu tun.
Schon blitzt sein Beil, fest in der Faust, zum Mond,
Da – Gaukelspiel? Schlich wer auf Katzenschuhn?
Hat jemand heimlich seine Kraft entthront?
Was stockt er? Wünscht er plötzlich auszuruhn?
Sein Arm fällt ruckweis, wie ein Ball abschwingt,
Der sanft von Stufe hin zu Stufe springt.
Peruta steht vor ihm und lacht ihn an,
Und ihrer jungfräulichen Brüste Flor
Haucht ihm ein sprachlos Wort: Geliebter Mann.
Da brüllt in ihm die Leidenschaft empor.
Ob Mutter Czalefast nun Rache sann,
Ob sie vor Schreck die Haltung gar verlor,
Helmold reißt mit sich Brust an Brust Peruten
Himmel und Hölle stehn vereint in Gluten.
Der Mond schiebt sich verschämt durchs Holzgehänge,
Ein Bächlein kullert kindlich über Kiesel.
Der Elfenreigen spielt durchs Zweiggedränge,
Vor ihrem Schlupfloch haschen sich zwei Wiesel.
Fern klingen, wie Hosianna, Weihgesänge,
Und von den Sternen flimmert ein Geriesel.
Nacht. Eine Juninacht. Mittsommernacht.
Und die Natur hat leise, leise – sehr gelacht. |