Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigster Kantus: Die besoffenen Bauern.

Motto:

Man muß nicht immer fragen,
um was die Unken klagen;
die Frösche lachen hell.

Richard Dehmel.

                  Sag mal, was hältst du eigentlich vom Leben?
Ist es ein sanftes Hängemattenwiegen?
Ein lustig Maschenspiel aus Goldgeweben?
Ein trautes Laubenfest, sommerverschwiegen?
Ein Paradies, wo immer Engel schweben?
Bachanten rings in Rausch und Reben liegen?
    Das Leben ist ein Uhu auf dem Knauf,
    Der immerwährend knarrt und knurrt: Paß auf!

Im Gang der Jahre hab ich das gefunden:
Hilfst du mir, helf ich dir. Ja: Do ut des!
An »Interessenpolitik« gebunden?
Nichts weiter, Herrschaften, ich sage: Yes!
Nur das wäre der Inhalt unsrer Stunden?
Was aber sagte weiland Sokrates?
    Was Sokrates gesagt hat, weiß ich nicht;
    Es hat ein jeder seine Weltansicht.

Der Himmel säuselt: »Menschen san mer alle.«
Die Erde donnert: Schafskopf, du allein
Hast dich in dir, sonst sitzt du in der Falle
Und alle andern werden klüger sein.
Sei Egoist! Und zeige Krieg und Kralle:
Weg da! Was wollt ihr denn! Der Kram ist mein!
    Ein graunhaft Wort; doch wenn wir älter werden,
    Teilt sich der Vorhang immer mehr auf Erden.

Die Ideale sind in Nichts versunken.
Der tumpe Parsifal ist greis geworden;
Er trank den Gralskelch leer und war betrunken,
Dann schied er nüchtern aus dem Hohen Orden,
Und steht gewitzt nun unter Erzhalunken,
Den lieben Menschen, diesen Stinktierhorden.
    Das Bild von Sais sank in sich zusammen,
    Und aus dem Krater brachen Rauch und Flammen

Lieblosigkeit verbirgt sich, die Hyäne,
Bei uns oft sehr verbindlich unter Rosen.
Doch schwinden diese Rosen von der Szene,
So zeigt sie sich wie grobe Lederhosen,
Und wird sich, wie ich noch zum Schluß erwähne,
Wie eine Furie darob erbosen.
    Lieblosigkeit und Schadenfreude sind
    Uns angeboren wie der Grind dem Kind.

Ausnutzen jeden, der uns nützen kann:
Das, scheint mir, spielt bei uns die größte Rolle.
Durch Suggestion, als Heuchler, als Tyrann:
Gleichviel, wie kapern wir die beste Wolle?
Mit Tod und Teufelsmitteln lobesan,
Mit Schmeichelei, wohl gar mit Hauskontrolle.
    Läßt sich denn diese Strophe nicht vermummen?
    Gradaus gesagt: Die Klugen und die Dummen.

Sasasasa! Genug »Philosophie«:
Es möge männiglich die seine haben
Und sich auslassen über Mensch und Vieh.
Nur soll er uns sein Licht ins Herz nicht graben,
Als wärs die einzig richtige »Theorie«
Und über jeden Widerspruch erhaben.
    Laßt uns getrost aus Schwall und Schwulst uns schälen
    Ich will dafür euch einen Ulk erzählen:

De Luus (Die Laus): so heißt ein Bauernkrug,
Der nicht zu weit vom alten Poggfred liegt,
Wo sich das Fuhrwerk ausruht und der Pflug,
Ein Erzschelm lügt, daß sich der Balken biegt.
Zuweilen hält auch an ein Hochzeitszug;
Kurz, alles Leben lacht dort unbesiegt.
    Doch muß die Lust gar oft nur Leid betäuben;
    Dann schaudern wir, daß sich die Haare sträuben.

Hier tranken sich mal toll und voll vier Bauern.
Des einen Wagen hat sie hergebracht.
Er selbst kutschierte. Und die Pferde lauern
Nun mit gesenktem Hals bis Mitternacht.
Ich möchte mit den armen Gäulen trauern,
Es hat kein Mensch an ihren Durst gedacht.
    Ein wüster Lärm dringt her: Die Zecher gröhlen,
    Als säßen sie im Schoß von Tenfelshöhlen.

Die Ernte diesmal: besser noch als gut,
Ja, zwanzigfältig bogen sich die Ähren.
Da setzt sich mal der Landmann schief den Hut:
»Hüt wüllt wi uns mal, dammmich! ameseern.«
Gesagt, getan. Im Willen wächst der Mut.
Wer wirds nach ihrer Arbeit ihnen wehren.
    Doch endlich nehmen Peitsche sie und Stock
    Und fahren ab, die Schädel voll von Grogk.

Stockfinster ist die Nacht. Noch kreischen sie
Und schreien durcheinander wie verrückt.
Der Mensch wird tierisch, menschlich wird das Vieh;
Die Braunen traben nüchtern, unverzückt.
Mählig verstummt die edle Kompagnie,
Das schwere Haupt in halbem Schlaf gebückt.
    Bis einer aus dem Wagen fällt, seekrank,
    Und in den Graben kullert und – ertrank.

Die andern fahren ihres Weges weiter,
Von ihnen hat es keiner wahrgenommen.
Im Dusel träumen sie von Land und Leiter,
Daß sie auf ihrem Hofe angekommen.
Sie schwanken, ihr Gehirn wird breit und breiter,
Sie lallen dösig, halb und halb beklommen.
    Da fällt der zweite ab von seiner Bank
    Und kullert in den Graben und ertrank.

Stockfinster ist die Nacht. Die andern rollen
Gemächlich vorwärts. Halt, ein Fenster blinkt.
Die beiden steigen poltrig ab. Sie wollen
Noch einen trinken. Also hingehinkt.
»Wo sünd de annern?« Die sind schon verschollen.
»Och wat.« Und weiter gehts. Manch Sumpfloch winkt.
    Da fällt der dritte von der Wagenbank
    Und kullert in den Graben und ertrank.

Stockfinster ist die Nacht. Der Kutscher fährt
Allein durchs Land. »De annern? Na, man to.
De annern? an–nern?« Hat sichs ihm geklärt?
Hat ers gemerkt? »Wat? . . Jan! Na, denn man to.«
Die Pferde haben sich wie stets bewährt.
»Wat? . . Wo sünd . . . Dunnerslag! Na, denn man to.«
    Der Zügel fällt ihm aus der Hand . . ju . . jank . .
    Er kullert in den Graben und ertrank.

Die blasse Morgenröte schweigt empor
Und sendet ihre frostigen Grüße her.
Die beiden Braunen stehn vorm Scheunentor,
Bespritzt ist ihr Geschirr, der Wagen leer.
Ein Vogelruf, der sich im Feld verlor,
Und weite Stille dehnt sich bis ans Meer.
    Die Sonne, die nun ihren Bogen zieht,
    Ist ohne Wißbegier, was sie auch sieht.


 << zurück weiter >>