Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Achter Kantus: Laterna magica coelestica.

Motto:

O ja, die Erde ist voll Grauen,
doch voll von Sonnen steht die Welt.

Richard Dehmel.

                      Die Pforte zu, den Riegel vorgeschoben!
Sind schon die spanischen Reiter ausgelegt,
Wolfsgruben, tiefe Gräben ausgehoben,
Mit Pallisaden alles eingehegt?
Verhack, Verhau! Schießscharten unten, oben!
Ringsum die Bäume fallreif eingesägt!
    Bertouch, mein Alter, du allein bleibst hier;
    Ich möchte mich mal ausruhn vom Turnier.

Nimm mir die Waffen ab, kühl mir die Wunden,
Ich strecke mich aufs Bismarcksofa hin,
Und bin allein mit meinen Teckelhunden,
Mit Männes und Herrn Didels Knurrersinn;
Und fröhlich gehn die menschenleeren Stunden,
Kein Zeitungsblatt bringt meinem Spott Gewinn.
    Die Post selbst stapel tagelang ich auf,
    Und lass der Welt gelassen ihren Lauf.

Denn Umschau, Rückschau, Einkehr möcht ich halten.
Die Jugend floß ins breite Meer hinaus;
Die schönen bunten Flügel muß ich falten,
Der zarte Sonnenstaub fiel ihnen aus.
Nach heißem Tag ein abendlich Erkalten,
Ein Sehnen wie nach Heimat, Vaterhaus,
    Nach Ruhehäfen, sichern Ankerplätzen,
    Nach Abschiednehmen von des Lebens Schätzen.

Leiste Verzicht! So heißt das Drachenwort,
Und ist doch sanft, beruhigend und milde,
Und in uns Menschen klingt es immerfort.
Denn wir gehören zur Entsagergilde.
Die Blume blüht, wie bald ist sie verdorrt,
Und runzlig wird das lieblichste Gebilde.
    Herr Gott, ich merke, und das ist vertrackt:
    Ich werde alt: ich schreibe schon abstrakt.

Darum Konkreta her! Dees is mei Freid!
Vielleicht ein Stückchen aus dem Paradies?
Die Hände unterm Nacken, lieg ich breit
Auf meinem Sofa, denk an das und dies,
Schau in des Himmels ewige Ewigkeit,
Blau ist er heut, blaublau wie ein Türkis.
    Halt, bei Türkisen werd ich Strophenschmied
    Und sing mir schnell ein klein Türkisenlied.

Mein Lieblingsstein, der blaue Edelstein;
Als Diadem, ich brauchte nicht zu sparen,
Umbog er einst, ein blauer Heiligenschein,
Ein Haupt, rings kraus umglänzt von blonden Haaren.
Du blauer Stein, in himmelblauen Reihn,
Du wolltest mir die Schönheit offenbaren;
    Die weiße Stirn, die dieser Kranz geschmückt,
    Vor der hab ich mich selig einst gebückt.

Oft ging ich als Harun al Raschid aus,
Im Stadtgewühl, beim Scheine der Laternen.
Mit eingedrücktem Hut, im derben Flaus
Wirst du das Volk am besten kennen lernen.
Es macht mir Spaß, in Schenke, Kaffeehaus
Zu sitzen, in verräucherten Tavernen.
    So fand ich eine Kneipe »Zum Korsaren«,
    Mit Ale und Porter, die geschmuggelt waren.

Und Ale und Porter kann ich immer trinken,
Wenn edel sie zu haben sind und echt;
Der Trank bleibt edel, kann ich auch nicht sinken
An all und jede Brust, die mit mir zecht.
Denn oft sitzt mir ein Pferdedieb zur Linken,
Und rechts ein Raubschütz oder Schinderknecht.
    Hauptsächlich, wie der Name das schon zeigt,
    Ist diesem Krug das Schiffervolk geneigt.

Ein kleiner, sehr gewandter Ganymed
Vermittelt zwischen Toonbank und den Gästen.
»Zum Donner!« »Gleich, Herr, gleich,« wie das so geht,
Begleitet oft von hahnebüchnen Gesten.
Zuweilen endet, kommt ein Trinker spät,
Gelächter rasch mit Hieben, eisenfesten.
    Wie Hekuba herab auf Ilium,
    Schaut vom Buffett die Wirtin, starr und stumm.

Sie strickt, schenkt ein, und strickt, schenkt ein, und strickt,
Und ihre großen braunen Augen sehn
Gleich gleichgültig auf den, der eingenickt,
Auf den, in dem sich tausend Wirbel drehn,
Auf den, der lacht, und den, der finster blickt,
Und den, der glaubt noch auf dem Strich zu gehn.
    Nein: Wirtin war sie nicht. Ich hört es bald:
    »Die junge Witwe, drüben da vom Wald.«

Vom Walde da, vom Fluß, vom Berg, vom Tal;
Ich sah die Augen nur, die großen, braunen,
Die so viel Kummer bargen, so viel Qual,
Und doch so ruhig blieben, ohn Erstaunen,
Jedweden fremd begrüßten im Lokal,
Abhold den Scherzen und betrunknen Launen.
    Aus Mitleid wird die Liebe oft geboren;
    Folgt Mitleid, ist die Liebe bald verloren.

Und Mitleid hatt ich mit dem armen Ding,
Das hier vertrauern mußte und versauern,
Das wie der flügellahme Schmetterling
Hilflos verkam in dumpfen Bierhausmauern
Und, kaum mehr zappelnd, sich ins Netz verfing,
Wo still die Spinnen Not und Schande lauern.
    Wie kam es, daß mich ihre Augen fragten
    Und daß »Ich helfe dir« die meinen sagten?

Nichts weiß ich heiliger in allen Landen
Als das Genügen einer treuen Ehe,
Wenn Mann und Frau mit immer sichern Banden,
Bis eines stirbt, durch Glück vereint und Wehe,
Nach schwerer Tagesfahrt am Bettchen landen
Des Lieblings, daß ihm nachts kein Leid geschehe:
    Ein Lichtreich ists, wo Kirchenkerzen brennen,
    Wenn Mann und Frau nichts stören kann, nichts trennen.

Doch lieber eine Kugel durch die Brust,
Einsiedler werden auf dem Ararat,
Selbstpeiniger sein wie weiland Doktor Fust,
Ewig verbannt ein Fisch im Kattegat,
Als unglücklicher Ehemann, bewußt
Ein Leben führen, wies kein Teufel hat.
    Der Gattin wegen hat sich wer entleibt,
    So las ich jüngst. Dank: ich bin nicht verweibt.

In luftiger Vorstadt, ferne dem Gedränge,
Liegt ein bescheiden Häuschen eingereiht,
Darin ein Laden ohne viel Gepränge,
Wo Garn und Zwirn zu haben jeder Zeit,
Auch Wolle, Nadeln, Spitzen, Bettvorhänge
Zu kaufen sind, und feinste Handarbeit.
    Die junge Witwe führt den Bänderkram,
    Sie fühlt sich wohl, verschwunden ist ihr Gram.

Zuweilen überrasch ich sie bei Tage;
Wie freundlich ist des sanften Auges Glanz,
Aus dem nicht mehr wie früher schwere Klage
Blume an Blume flicht zum Leidenskranz.
Hier schnellt mich oft des Lebens närrische Wage
Aus Trübsal hoch zu lustigem Firlefanz.
    Die schöne Frau erfüllt mir jeden Wunsch;
    Wie braut sie wundervoll den Eierpunsch!

Und ihre weiße Stirn hatt ich geschmückt
Mit einem Kronenreifen von Türkisen,
Die blonden Härchen, ach, ich war entzückt –
Nun, Bertouch? Womit willst du mich verdrießen?
»Professor Doktor Wolff kommt angerückt.«
Emil kommt her? Was sagst du? Laß ihn spießen!
    Er will mir Vortrag halten über Ethik,
    Moral und Kunst und, gräßlich, auch Ästhetik.

Wie kam denn der durch unsre spanischen Reiter?
Gleichviel, er ist nun einmal da. Als Gast
Ist er für uns natürlich ein Geweihter.
So gib ein Essen ihm auf seiner Rast,
Und stimm ihn wohlig, mach den Doktor heiter;
Paß auf, was er dir kundgibt als Scholiast.
    Sekt liebt er nicht; der, glaub ich, schafft ihm Weh.
    Erquicke ihn darum mit Fliedertee!

Mir aber, Lieber, bringst du Pommery her,
Zwei Flaschen, ich will heute lustig sein.
Auf meines Lebens Höhe will ich leer
Sie trinken: meiner Jugend gilts allein.
In Scherben dann das Glas! und »nimmermehr«
Klingt mir als trübes Schlußwort hinterdrein.
    Ich schreite still und ernst den Berg hinab,
    Und vor mir, offen, gähnt mein hungrig Grab.

»Der Herr Professor hat sich wegbegeben.«
Gut, Bertouch; auch den Quäler bin ich los!
Zünd mir die Lichter an; von meinem Leben
Will ich dann träumen, meinem Schicksalslos,
Gesichte haben, in den Lüften schweben:
Die Geister kommen aus dem Wolkenschoß.
    Geh nun zur Ruhe, Treuer, gute Nacht;
    Zu frischem Tage sind wir bald erwacht.

Wo sind die Sterne? Ferne Blitze lohten,
Ich atmete in schwachen, matten Zügen,
Bedrängt vom Odemstrom der Wetterboten.
Erwartungsvoll, daß mich die Götter trügen
In eines Traumes bunt verschlungne Knoten,
Trank schlaflos ich aus der Erinnrung Krügen.
    Und in die Türe treten zwei herein,
    Die müssen oben aus dem Himmel sein.

Narzissen hält die eine in der Hand,
Sie trägt ein langes violettes Hemd;
Die andre drückt sich Lilien ans Gewand,
Ans lange, schwarze. Beide sind mir fremd.
Als hielte sie gemeinsam fest ein Band,
So stehn sie da, leicht Arm an Arm gestemmt.
    Und beide sehn mir lächelnd ins Gesicht,
    Seltsam umstrahlt von blauem Phosphorlicht.

»Du kennst mich nicht?« sprach leise erst die eine.
Die andre: »Hast du mich so schnell vergessen?«
Da sprangen meine Teckel auf die Beine
Und kläffend hoch an beiden, wie besessen
Vor Freude. Drauf die erste: »Und La Reyne
Ist tot? Wie würde die sich an mich pressen!«
    Das Tier vergißt genossene Liebe nie,
    Der Mensch ist undankbarer als das Vieh.

Leicht über ihren Häuptern, glanzumflogen,
Verwölbten sich die Lilien und Narzissen
Zu einem reizenden gotischen Blumenbogen.
Und immer leuchtender aus Dämmernissen
Sah ich den Schautanz Serpentine wogen;
Mir aber drückten Zentner mein Gewissen.
    Sie schwanden, und aus Lüften klang ein Klagen:
    Wir haben mit dir einst dein Leid getragen.

Ich streckte meine Arme aus: Bleibt hier,
Vergebt mir! Seht, heiß blutet meine Wunde.
Was sind die Erde und der Mensch auf ihr,
Sagt, sagt es mir in dieser stillen Stunde!
Kocht alles nur in ewiger Lebensgier,
Kocht ewiges Verderben nur im Grunde?
    Winkt uns kein Palmenwald nach all den Qualen?
    Verfaulte Reste nur, vergossene Schalen?

Und Flügel fühlte ich, und ihnen nach
Flog ich empor in reinere Regionen,
Fand mich auch bald als Ariel in mein Fach,
Als kennt ichs seit undenklichen Äonen;
Und strich umher nun unter einem Dach
Mit Cherubim und sittsamen Dämonen.
    Der Teufel freilich nähm mich Huckepack
    Und steckte mich in seinen Feuersack.

Doch rascher noch als er schöss ich koppheister,
Säh Satanas ich um die Ecke biegen.
Im Äther tumml ich mich wie selige Geister,
Lass wie der Vampyr mich auf Stürmen wiegen,
Und bin befreit von allem Schmutz und Kleister,
Und kann mich an die Sonnenschultern schmiegen:
    Ich bitt dich flehentlich, Herr Zebaoth,
    Schick mich nicht wieder weg in Not und Kot.

Dort unten schwankt die Seele hin und her,
Bald will sie dies, bald will sie das beginnen,
Bald sich verschwistern mit dem Strahlenmeer,
Aus Lebensüberdruß sich selbst entrinnen,
Sich wütend stürzen in ein Faß voll Teer,
Bald wieder heilige Himmelshemden spinnen.
    Ich bin des ewigen Zwiespalts mir bewußt,
    Echt deutsch, ein Grübler selbst an Gottes Brust.

Der Wind, der alte gute Püsterich,
Pfiff einen Kameraden mir zur Seite.
Wer warst du, bist du? frag ich; kenn ich dich?
»Titus Labienus gibt dir das Geleite,
Cäsars Hetman und Bruder Liederlich.«
Verräter, rief ich, scher dich weg ins Weite!
    »Nur sacht,« erwidert er, »mit deiner Schere;
    Sieh schnell hinunter, dort sind seine Speere.«

Und durch den gallischen Urwald sah ich gehn
Den göttlichen Julius an des Heeres Spitze,
Und sah den langen hagern Hals ihn drehn,
Und seine Augen schossen kalte Blitze.
Die Schiene ließ die nackten Kniee sehn,
Den Griechenhelm schob er zurück vom Sitze;
    Ein Lagermensch, breitknochig, häßlich, wild,
    Nie war er wählerisch, trug ihm den Schild.

Laterna magica – ein Lichtstrahl zuckt,
Und Schatten schwanken auf den Wolkenwänden;
Urwald und Römerheer sind weggeschluckt
Von bunten Strahlenwirbeln, die mich blenden.
Das Glanzgeschiebe um mich ruckt und ruckt,
Bild prallt auf Bild im Dunst; wohin mich wenden?
    Ich lasse mich vom Wind noch höher blasen
    Und seh manch Heldenstücklein unten rasen.

Bild: Caterina Sforza im Gefechte.
Von ihrer Brut den Jüngsten in der Linken,
Schwingt hoch den Flamberg die empörte Rechte.
Den Zaum im Zahn, sie will nicht untersinken,
Löst sich im Kampfe ihre rote Flechte
Und fließt aufs Panzerhemd wie Feuerblinken.
    Nun, Borgia, pflück dir Rosen, wenns dir glückt,
    Sonst hat sie dir die Rosen weggepflückt.

Caesar Borgia, wie heißen deine Waffen?
Erdrosselung, Gift, Dolch: das sind die drei.
Siehst du die Wunden deines Bruders klaffen?
Wer war der Mörder? Wer war mit dabei?
Ließ Eifersucht Juan Gandia hinraffen?
Hörst du Lucrezias, eurer Schwester, Schrei?
    Incest? Zwei Brüder Borgia im Besitz?
    Wars des Giovanni Sforza Racheblitz?

Duca di Gandia: Mondhell war die Nacht,
Die Maske hinter dir auf deinem Pferde
Flüstert ununterbrochen: Herr, gib Acht!
Da springen plötzlich Bravi von der Erde.
Neun Messerstöße, Gurgelschnitt. Vollbracht.
Und der, der sank, ist ledig aller Fährde.
    Weg alles. Leer der Platz. Ein Käuzchen fliegt,
    Wo einsam jetzt im Blut der Herzog liegt.

Weiter. Am Tiber huscht ein Kerl. Er hält.
Dann einer, der am Strick ein Maultier führt,
Dem eine Last nach beiden Seiten fällt:
Kopf, Arme rechts, die Beine links verschnürt.
Und wo der Kehricht sich dem Strom gesellt,
Ist bald die Leiche mit hineingerührt.
    Der rote Mantel löst sich, schwimmt, hell, grell;
    Durch nachgeworfne Steine sinkt er schnell.

Wer war der Mörder? Nie wards aufgeklärt.
Nur Alexander Sextus hats gewußt,
Doch niemals hat sein Schmerz Einblick gewährt,
Er trug ins Grab das Schweigen seiner Brust.
Nun, Cesare, hat dich der Mord beschwert?
Wars ein Orsini? Blöder Fragenwust.
    O du genialer Unmensch, Gott und Tier,
    In deinem Wappen weidet stur ein Stier.

Lucrezia Borgia, hätt ich dich gekannt!
Voll Anmut mitten drin im Satanskessel,
Flohst du an einen fernen Künstlerstrand
Und schmücktest frauenhaft Ferraras Sessel.
Weshalb bist ewig du von uns verbannt?
Weshalb erlöst dich niemand aus der Fessel?
    Ich wills dir sagen: Das ist tief der Grund:
    Wir Menschen sähn dich gern im Höllenschlund.

Wir Menschen: weil wir einen haben müssen,
Der unsre Schuld, für uns, zu tragen hat.
Frau Fama hilft uns, und mit Judasküssen
Verdammen wir ihn in die Sündenstadt,
Damit wir uns, lammgleich, in Erdgenüssen
Scheinheilig wiegen auf dem Lilienblatt.
    Ein grauenhafter Zug in unserm Wesen;
    Zwar ist das im Gesetzbuch nicht zu lesen.

Laterna magica: Napoleon!
Gelb, mager, Römer wie zu Rivoli.
Ein Maultier ist einstweil sein Purpurthron:
Sankt Bernhard! Schwindelnde Gebirgspartie.
Italien hat er in Gedanken schon,
Sein Genius träumt, und Traum ist Poesie.
    Am Abgrund zieht er lächelnd seine Bahn:
    Schauderndste Tiefe, höchster Kaiserwahn.

Ein neues Bild: Die Königin Luise.
Du herrliche, du reine deutsche Frau,
Ich seh dich auf der blutgetränkten Wiese,
Das Vaterland und seinen Tränentau.
Was sollt es noch, wenn ich dich weiter priese,
Wir kennen alle deinen Wert genau.
    Das aber, Heilige, war dein höchstes Geben:
    Dein Sieg im Kampf mit dem gemeinen Leben.

Und noch ein Bild: Prinz Louis Ferdinand.
Genialer Prinz, du rittest jung ins Sterben,
Dein Lebenskrug fiel früh dir aus der Hand,
Aus vierzehn Wunden höhnten vierzehn Scherben.
Wie, wenn dich nun des Schicksals Gängelband
Gnädig entrissen hätte dem Verderben?
    Wärst du der Sonne in den Kranz geflogen?
    Hätt dich die Hölle in den Schlund gesogen?

Laterna magica: Der Ozean wühlt
In langen, langen Wellen unter mir,
Ein fremder Ozean, der nichts umspült,
Leer, einsam, ohne Fisch und Fabeltier.
Es dämmert, donnert; hab ich Angst gefühlt?
Was da! Tief unten wogt, grad im Nadir,
    Ein Panzerschiff, System Drakunkulus,
    Ich sah ein Weltmeer auf dem Sirius.

Laterna magica: Ein freundlich Städtchen
In Schleswig-Holstein. Mondschein. Sonntagnacht.
Vom Tanz führ ich nach Haus das bleiche Gretchen,
Der heiße Sommertag hat Ruh gemacht.
Wos dunkel ist, küss ich das liebe Mädchen,
Das Mädel mich. Wir nehmen uns in Acht,
    Denn viele Menschen, leider, sind noch auf
    Und hindern unsrer Liebe letzten Lauf.

Wir sind am Ziel. Du, Kleine, ich bleib hier;
Die Mutter schläft, komm doch noch mal heraus.
»Nein, nein, das geht nicht; nein, mein Jaromir.«
Och was! man zu! es sieht uns keine Maus.
»Ach nein, die Mutter! ich hab Angst vor ihr.«
Dann schleich ich hinterdrein dir in dein Haus.
    »Das geht nicht, nein; na warte, ich will sehn;
    Vielleicht, ich komme, ja, bestimmt, um zehn.«

Glock zehn, Glock elf, Glock zwölf, Glock eins, Glock zwei,
Herrliche deutsche Vollmondsommernacht.
Im Garten einer Villa, bis Glock drei,
Verloren wir uns und sind aufgewacht
Von Orgelton und Trauerlitanei,
Und aus dem Schlößchen wird ein Sarg gebracht.
    Sechs Männer tragen langsam ihn und schwer,
    Ein einzelner schwankt schluchzend hinterher.

Wir haben hinter Rosen uns versteckt,
Die Nachtigallen fangen an zu schlagen;
Vorsichtig haben wir den Hals gereckt,
Das Mädchen schauert, will mich zitternd fragen,
Die Blumen hat ein Flüsterwind geweckt,
Es dämmert, heller, es beginnt zu tagen.
    Die Morgenröte spielt sich in den Traum,
    Beleuchtet über uns den Lindenbaum.

Und, ein verschobnes Herz, ein Lindenblatt,
Hellgrün, voll Tau, tropft auf die Bahre nieder,
Die ohne Schmuck ist, keine Zierde hat.
Und greller sticht Jasmin hervor und Flieder;
Der Sarg, die Männer sind schon in der Stadt;
Die Sonne steigt, die Lerchen jubeln wieder.
    Komm, Mädchen, laß uns weggehn; frisch und rot
    Ist unser Leben, welk und weiß der Tod.

Hoch, Freunde, hoch die hochgeschürzte Lust!
Der Walzer wirbelt und die Röcke fliegen!
Die Geige kreischt! Juchhei aus voller Brust!
–   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –
Zwei Mörder schleichen: Herbst und Winter siegen.
Ich bin des Alters plötzlich mir bewußt,
Ein unabsehbar Schneefeld seh ich liegen.
    Und ein Soldatenlied klingt fern mir her:
    Schön ist die Ju-u-gend, sie kehrt nie mehr.


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