Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehnter Kantus: Unterm Schirm.

Motto:

Still, mein süßes Engelsfüllen!
Morgen regnets Zuckerpillen,
übermorgen blanke Dreier,
nächste Woche goldne Eier;
und der liebe Gott, der lacht,
daß der ganze Himmel kracht!

Richard Dehmel.

              Ich sitze auf des Deiches breiter Krone
In einem Armstuhl, den ich hergesandt;
Ich sitze wie der König auf dem Throne,
Vor mir mein Meer und hinter mir mein Land.
Ein Riesenregenschirm ist »gar nicht ohne«:
Er schützt mich vor des Julis Sonnenbrand.
    Der leise Westwind meines Strandgedichts
    Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.

Vor mir die See; allmählich wächst die Flut,
Unmerklich, tückisch ist ihr Höhersteigen.
Sie rillt heran, sie schwillt, sie rollt, sie ruht;
Nun klopft sie an den Deich, Halt, Horchen, Schweigen,
Und wieder rückwärts muß ihr stolzer Mut,
Gehorsam der Natur und tiefst leibeigen.
    Der leise Westwind meines Strandgedichts
    Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.

De solte See! Wie sanft sie heute gleißt:
Unendlich weit zieht eines Dampfers Rauch,
Ein Schmetterling fliegt über mich und reist,
He, Gaukelfritz, bleib du am Himbeerstrauch,
Und schaukelt überm Wasser dumm und dreist,
Bis ihn hinunterzieht ein Wellenhauch.
    Der leise Westwind meines Strandgedichts
    Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.

Um mich kein Laut, nicht einer Möwe Schrei;
Nur aus den Marschen hör ich ab und zu,
Als bändelt es die Fennenstille frei,
Das ferne, fernste Brüllen einer Kuh.
Ein Bienchen summt, ein Käferchen vorbei,
Sonst alles eine einzige große Ruh.
    Der leise Westwind meines Strandgedichts
    Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.

Ich fuhr durchs Schwarzatal mit raschen Pferden,
Das Flüßchen strudelte mit solcher Hast,
Als könnt es niemals mit sich fertig werden.
Ein herber Frühlingstag ging kalt zur Rast
Und zeigte tiefe Schatten schon auf Erden,
Von immer dunklern Strichen eingefaßt.
    Nur oben um die höchsten Felsenspitzen
    Schien noch die Sonne zögernd zu verblitzen.

Von Schwarzburg wollt ich just nach Ilm-Athen,
Und hielt auf meiner Fahrt in Rudolstadt,
Da sah ich einen Postbeamten stehn,
Der war vom Laufen gradezu schachmatt.
Nun lief er wieder, um am Zug zu spähn,
Lief hin und her, schwang ein Depeschenblatt
    Und schrie, und immer blieb er im Galopp:
    Wulff Detlev Benedictus Wittekopp.

Das rief er nicht, er rief nur meinen Namen.
»Hier bin ich, hier im Rauchabteil, allein,«
Und ich erschien in meinem Fensterrahmen.
Ein Telegramm für mich, was kann es sein?
Ein gutes Trinkgeld, Dank, und damit Amen.
Es pfiff. Ich weiß nicht, soll ich jetzt juchhein?
    Ich öffne langsam die Depesche und –
    »Ein Söhnchen, schreiend, zierlich und gesund.«

Auf diesem Stern der ewigen Kümmernisse
Hast du erdämmern müssen und erwachen,
Auf diesem Stern, wo schlimme Schlangenbisse
Der kleinsten Lust sofort den Garaus machen,
Wo selten nur durch schmale Wolkenrisse
Des Himmels heilige Tempeltore lachen,
    Wo Widersprüche ohne Zahl und Enden
    Geheimnisvolle Schleier sind und Blenden.

Bis, Wölfchen, du der Schule pflichtig bist,
Soll dir kein Zaum gezäumt sein und geschlungen.
Das ist, bedenk es, eine Galgenfrist,
Drum nutz sie aus: fix hin und her gesprungen!
Höchst gleichgültig, wer dein Gespiele ist,
Wer immer: Prinzen oder Bauernjungen.
    Zuerst der Leib! Und immer in die Sonne!
    Und Schnee und Regen sei dir eine Wonne.

Jetzt wird es Ernst. Es kommt der Bakelmeister;
Unglaublich vielen Krimskram mußt du schlucken.
Behüten mögen dich die guten Geister
Vor all zu viel »Materien« und Mucken.
Das Alles wird für dich ein dicker Kleister,
Aus dem nur wenige helle Blasen gucken.
    Doch muß es sein! So setz dich auf die Buxen
    Und lerne, lerne, ohne dich zu mucksen.

Hurra, die Freiheit! Und hinein ins Leben!
Zuerst schöpf einmal Atem, aber dann:
Die Zähne fest und sich die Sporen geben,
Nun kommts drauf an, nun wandle dich zum Mann!
Ein Ungeheuer will sich an dich kleben;
Hau ihm das Netz durch, das dich überspann.
    Das Ungeheuer heißt der schwache Wille.
    Sei stark, sei hart! Nimm diese Teufelspille.

Wenn dich der letzte Mutterkuß entlassen,
Dann wanderst du, wie jeder Mensch, allein.
Kein andrer mehr geht mit dir durch die Gassen:
Paß auf, da liegt für dich im Weg ein Stein.
Du mußt dich selber an die Nase fassen:
Halt, halt, gib Acht: wie trenn ich Sein und Schein?
    Lern klug dein Schifflein durch den Ozean lenken;
    Es wird dir keiner deine Fehler schenken.

Bewahre deine Ehre jederzeit!
Sei treu dem Kaiser, Dir, dem Vaterlande!
Tu deine Pflicht: die erste Schuldigkeit!
Zerreiß nie herzlos deine Liebesbande,
Sonst aber zeige Unerschrockenheit,
Ein guter Spritzenmann bei jedem Brande;
    Sei lautern Sinns, klarfegend wie der Wind,
    Denn »Selig sind, die reines Herzens sind.«

Und nun entlass ich dich; du kennst den Pfad,
Du siehst die Rosen und du siehst die Dornen,
Du bist dir selbst der beste Kamerad
Und wirst dich immer selbst am besten spornen.
Das übrige? Die Zeit geht ellengrad,
Und um das Schicksal wissen kaum die Nornen.
    Zuletzt noch geb ich deiner Morgenröte
    Ein wundervoll Erlöserwort von Goethe:

Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.

Allen Gewalten
Zum Trotz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Ruft die Arme
Der Götter herbei.

Als ich in Weimar ankam, war es Nacht;
Der Mond hing wie ne alte Stalllaterne,
Ein wenig hoch im Viehstall angebracht.
In meinem Weimar bin ich immer gerne;
Da lebt sichs gut, da lebt sichs sittig, sacht,
Und man vergißt die Sehnsucht in die Ferne.
    Besonders lieb ich spät das Künstlerhaus,
    Die letzte Einkehr findet dort Applaus.

Zuerst macht ich im Park noch einen Gang:
An Goethes Gartenhäuschen blieb ich stehn,
Daraus manch hold Geheimnis mir erklang,
Das nie ein Buch verrät und Pergamen.
Da hört ich plötzlich irgendwo Gesang,
Von weitem leisen Ton herüberwehn:
    Des großen Schweigers Gott und Selbstvertrauen:
    Mein Lieblingslied: Wilhelmus von Nassauen.

Oranier! Genie aus deutschem Blut.
Ich habe mich im Leben oft an dir
Emporgerafft zu neuem Mannesmut.
Bläst mich das Schicksal an, das »spanische Tier«,
Denk ich an dich, an deine sichre Hut,
Und nehme Dienst bei dir als Offizier.
    Die Weltgeschichte kennt kaum einen Helden,
    Von dem sie so viel Treue weiß zu melden.

Dann lenkte ich ins Städtchen meine Schritte,
Und blieb am »Weißen Schwan« wie in Gedanken,
Und hatte an den Herrgott eine Bitte.
Und Goethe selber, meine Kniee wanken,
Zeigt sich in seiner dunklen Haustürmitte,
Die Bilder wirbeln, kreisen mir und schwanken:
    Drei grelle Blitze zucken um sein Haupt,
    Hat mir ein Donnerschlag den Sinn geraubt?

Der Genius sieht sich herrisch um und spricht
Mit seinem Eckermann ein mildes Wort;
Ein Wagen rasselt, es wird Sonnenlicht,
Und führt die beiden in die Gegend fort.
Ich steh noch immer: hab ich ein Gesicht?
Der Goetheplatz ward mir zum Gnadenort.
    Und »artig« fährt die Kutsche durchs Gelände;
    Ich steh noch immer, im Gebet die Hände.

Und wieder Nacht. Es hängen Wolkenmassen
Und decken zu den alten, treuen Mond.
Es pladdert auf die stillen, lieben Gassen,
Und selbst der Goetheplatz wird nicht verschont.
Ich werde wieder Ich und geh gelassen
Im Tropfenklatsch, als wär ichs stets gewohnt,
    Gewohnt den Wolken wie den Sorgenregen,
    Auch Goethe kannte diesen Himmelssegen.

Der Regen stoppt. Der Wolkenhang verschwindet;
Nur eine letzte kleine Schicht noch narrt
Wie eine Hand den Mond, daß er erblindet.
Die Fernen alle haben sich verwahrt;
Kein Funke, der den Nebel überwindet,
Kein Funke, der die Welten offenbart.
    Doch da, was ists, ich gehe hügelauf:
    Ein Licht nimmt zu mir seinen schnellen Lauf.

Ich weiß, woher das matte Leuchten fällt,
Ich weiß, woher des treuen Türmers Schimmer:
Ein Träumer, den nichts angeht mehr die Welt,
Ruht dort, von Liebe überwacht, im Zimmer,
Dem kein Geschrei mehr in die Ohren gellt;
Am Ufer nächtigt nun der kühnste Schwimmer.
    Ich beuge dir mein Knie, du mächtiger Geist,
    Der uns die Zukunft schüttelt und verheißt.

Wär ich dir, Friedrich Nietzsche, nah gewesen
In deiner fürchterlichen Einsamkeit:
Ich wär des großen Königs Narr gewesen.
Dich hätte sicher mein Humor befreit;
Es wär ein Freund zur Seite dir gewesen,
Ein Freund, demütig deiner Weltweisheit.
    Ich hätte wettgemacht als Zeltkumpan,
    Was Unverstand und Bosheit dir getan.

Zum Stern wird oben nun das Zimmerlicht,
Zu einem Stern, der stürmisch lebt und loht
Und aus der Dunkelheit ins Dunkel bricht.
Und andre Sterne, grün und weiß und rot,
Vasallen, schimmern um ihn los und dicht,
Von ihm entzündet, von der Welt bedroht.
    Leb wohl! Dein schöner Traum zieht durch die Nacht,
    Von treuer Schwesterliebe überwacht.

Ich wandte mich ergriffen weg und ging
Durch einen Frühlingsmorgen, den sich leise
Gott selbst zur Freude auf die Erde hing,
Zum Zeitvertreib auf seiner Weltenreise.
Die erste Röte stand am Himmelsring,
Die erste Lerche sang zu ihrem Preise,
    Und Mandelblütenzweig und Tulpenbaum
    Verbrämten diesen Paradiesestraum.

Marienblümchen äugen aus der Weide,
Das Goethe-Veilchen lugt am Waldesrand;
Wie lind die Luft sich legt aufs Taugeschmeide.
Der Löwenzahn durchwirkt das Wiesenland,
Und alles, alles prangt im Sonntagskleide
Und jubelt wie ein Kind zu seinem Tand.
    Noch hat sich nicht die Sonne eingemischt;
    Erscheint sie, ist das keusche Bild verwischt.

Ich ging und ging, da fand ich einen Garten,
Der lag wie all die andern tot und leer
Und schien auf einen Atemzug zu warten.
Doch dort, he, unterm grünen Blättermeer,
Wo sich die jungen Bäume dichter scharten:
Wer ist denn das, wie kommt denn der hierher?
    Ich schaue scharf und seh im Morgenwind
    An einen Ahornbaum gelehnt ein Kind.

Kaum vierzehn Jahre schienen ihm geschwunden;
Im bloßen Hemde stands, mit nackten Füßen,
Und weinte, schluchzte wie aus tausend Wunden,
Ganz blind und taub den lieben Frühlingsgrüßen.
Bist dus, Wulff Wittekopp? Und willst bekunden:
Du mußt die Sünden deiner Väter büßen?
    Ich war erschüttert bis ins Mark hinein
    Und fühlte tief des Lebens Schuld und Pein.

Holl Ebb! Es zanken sich auf Bank und Watten
Der Austernfischer und der Regenpfeifer.
Ich sitze noch in meines Schirmes Schatten
Als Märchenschwelger und Gedankenschweifer,
Und höre hinter mir auf satten Matten
Das Brummen und Gebrüll der Gräserstreifer.
    Der leise Westwind meines Strandgedichts
    Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.


 << zurück weiter >>