Die Kindheit ist ein Nebel, ist ein Schleier,
Aus dem heraus durch unser spätres Leben
Ein Leuchten bleibt wie stille Weihnachtsfeier.
Doch hier und da nur. Manch furchtbares Beben,
Manch Schrecknis ist uns auch davon geblieben
Und läßt das Herz durch wilde Träume schweben.
Heut will ich mir Erinnerungen sieben,
Die fröhlich sich aus meinen Knabenjahren,
Phantastisch-fröhlich, durcheinanderschieben.
Ich war ein Schwärmer damals, unerfahren,
Vielleicht ein Dichter schon im »Flügelkleid«,
Und bin ein Dichter noch mit grauen Haaren.
In einem Kloster, oft und längre Zeit,
Hab ich als Kind und Jüngling einst gewohnt,
Und immer denk ich dran mit Seligkeit.
Herrlich auf ihrem Fürstensessel thront
Die Abbatissa mit dem Bischofsstabe;
Sie prangte mir wie Sonne, Stern und Mond.
Die Klosterfräulein waren, als ich Knabe,
Die lieben alten Damen mir »sehr gut«,
Und sinds gewesen bis zu ihrem Grabe.
Im Kloster lernt ich Whist und Glaubensmut,
Auch vieles Beten, das ich überstand.
Indessen kurz: ich war in treuer Hut.
Selbst als ich längst ein lustiger Leutenant,
Verwöhnten sie mich mit Geduld und Geld
Und löschten meiner Schulden großen Brand.
Besonders liebt ich Fritze Ahlefeldt.
Bis in ihr hohes Alter blieb sie jung
Und trug Humor und Klugheit in die Welt.
Wie deutlich ist mir in Erinnerung:
Sonntags saß ich in ihrem wappenreichen
Kirchengestühl mit ihr im Andachtsschwung.
Da sah ich oft mit kindlichem Erbleichen
Auf wundervoll gemaltem Deckengrund
Ein roh getünchtes scheußlich Höllenzeichen:
In all dem rosigen Engelsputtenbund:
Der eng sich um Gottvater, Christum scharte,
Grinst schändlich her ein Teufelsfratzenmund.
Als immer wieder ich den Spuk gewahrte,
Befragt ich einmal meine Hüterin,
Die aber damals mir nur offenbarte:
»Mein Jung, dafür fehlt dir noch jeder Sinn.
Bist du erwachsen, will ichs dir erzählen;
Es kommt die Zeit, dann siehst du mehr darin.«
Heut braucht die Neugier mich nicht mehr zu quälen;
»Erwachsen« bin ich längst und konnte mir
Das Rätsel aus den Klosterakten schälen.
Was ich mit Rührung las, ich geb es hier:
Die Abbatissa Abel Pogwisch saß,
Unendlich adelsstolz und streng und fromm,
In ihrem Fürstenmantel und verlas:
»Wir bieten hiermit Unsern Willekomm,
Wir, Dei Sancti gratia Domina,
Battista Rovero dem Gentilhomme.
Von Meister Tizian aus Venezia
Auf Unsern Wunsch gesandt, um Uns zu schmücken
Die Klosterwand mit Farben-Gloria.
So soll uns denn die Künstlerhand entzücken
Und, wo bisher die weiße Fläche schlief,
Aus diesem Nichts die schönsten Blumen pflücken.
Battista nimmt und küßt den Willkommbrief,
Neigt zierlich sich vorm adlichen Konvent,
Vor der Äbtissin ehrfurchtsvoll und tief.
Ein Tuscheln rinnt, wird stärker, schwillt, läuft, rennt,
Als er gegangen, durch die Edeldamen;
Ach, und die jüngste, Heilwig Wohnsfleth, brennt.
Als sie zum andernmal zusammenkamen,
Da brannte auch Battistas Herz wie Zunder,
Und Eros kicherte und sagte Amen.
Rauh war der Monat, leer stand der Holunder;
Battista malt, von Kälte fast verzehrt,
Und fertig ist zum Weihnachtsfest das Wunder.
Die heilige Nacht: Abtissa hochgeehrt,
Sitzt im Empor der Kirche auf dem Thron,
Auf ihrem Schoße liegt ein nacktes Schwert.
Nach beiden Seiten hin, fast wie zur Fron,
Ein wenig rückwärts, sitzen die Chanoinessen,
Nach ihrem Alter, müde, monoton.
Im Schatten tönt die Orgel wie vergessen,
Und leiser Knabenchor; sonst darf niemand
Sich dieser Stunde, dieses Orts vermessen.
Die Kerzen strahlen ihren sanften Brand,
Und alles Licht fängt sich zum Funkelfeuer
Um einer Wiege diamantnen Rand.
Drin liegt als Jesuskind, als Welt-Erneuer,
Liegt eine Puppe, aufgeputzt mit Flittern;
Die Weihrauchssäule steigt, die Liebessteuer.
Fürstliche Gnaden, vor der alle zittern,
Wiegt sauersüß das Wachsbild mit dem Fuß,
Um den Brokat und Goldschuh leise knittern.
Wem sendet Heilwig Wohnsfleth ihren Gruß?
Sie starrt wie abwesend hinauf zur Decke,
Wo Gott gemalt ist mit dem Opfergruß.
Und dort der Engel in der Wolkenecke,
Wen sieht sie da: Das ist ihr hold Gesicht,
Das ihr entgegenlächelt vom Verstecke.
»Er liebt mich!« Und ein himmlisches Gedicht
Zieht durch ihr Herz. Kaum kann sie sich noch halten,
Und denkt nicht mehr an ihre herbe Pflicht.
Am ersten Feiertag, die Hymnen schallten,
Da fanden sich die zwei im Dämmerschein,
Der sie umschlug mit Himmelsmantelfalten.
Der nächste Tag der Feiersingerein
Pocht an den Elbdeich, mahlend ziehn die Schollen,
Da hatten sie ihr zweites Stelldichein.
Ein Krachen kommt vom Wasser her, ein Grollen:
Die Schollen schieben sich hart durcheinander,
Die Ebbe führt sie weg, sie knirschen, rollen.
Ans andre Ufer käme kein Leander,
Und Hero müßte warten, und vergebens;
Sie schlösse nie ans Herz den kühnen Strander.
Am Ufer diesseits suchten ihres Lebens
Die beiden dumpf die heißersehnte Stunde,
Und fanden sie, o Seligkeit des Gebens!
Ein Fischerhaus am Deich schenkt ihrem Bunde
Die sichre Ruh der Liebeständelei,
Bewacht von Schnut, dem bissigen Schäferhunde.
Am Hüttchen flog ein Eisvogel vorbei,
Die Flügel blitzten wie beim Kolibri,
O Märchenblau im grauen Einerlei.
Battistas großes schwarzes Auge schrie,
Indessen Heilwigs Veilchen-Augen sanken,
Vor Wonne sanken, und er herzte sie.
Nur eine Woche band die Flatterranken
Der kleine Gott: Battista muß zurück,
Und mit ihm wandern Heilwigs Glutgedanken.
Der Liebe Reichtum ward zum Pfennigstück
Gar bald dem Flüchtling. Aber Heilwig glaubt
In treuester Erwartung an ihr Glück.
Der Frühling freilich hat es ihr geraubt:
Kein Brieflein kam, kein liebes Rückkehrzeichen,
Da ist ihr zarter Blumenweg verstaubt.
Sie fällt dem Schicksalswagen in die Speichen,
Er überfährt sie, keine Rettung mehr;
Sie will dem Tod die schmalen Hände reichen.
Schon taumelt sie, da kommt ein letzt Begehr:
Sie stürzt der kalten Fürstin vor die Füße
Und beichtet ihren sündlichen Verkehr.
Doch die stößt von sich weg entsetzt die Süße
Und gibt Befehl: Peitscht sie vom Kloster fort,
Daß sie im Elend ihre Schande büße!
Das war ihr einzig, herrisch Abschiedswort.
Dann dreht sie ihr den Rücken, läßt sie stehn,
Und untersucht des Altars Gnadenort.
Ein Tüncher aus dem Dorf, so solls geschehn,
Beklext den Engelskopf mit roher Faust:
Seitdem ist dort das Teufelsmaul zu sehn.
Mit aufgelöstem Haar, vom Wind zerzaust,
Lief Heilwig irre durch Gestrüpp und Dorn,
Von Sturm und schwerem Regenguß umgraust.
Ein Fähnlein ritt vorbei am Winterkorn:
Ei, Mädel, komm mit uns ins Nachtquartier!
Und einer hebt sie auf den Sattel vorn.
Wo sie geblieben ist auf Erden hier?
Verdorben irgendwo im Pferdestall?
Gestorben wo? Das sagt kein Amtspapier.
Es war im Mai, es schlug die Nachtigall. |