Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Während der Lotse in seinem Kutter heimwärts steuerte, hatte er nur eine dumpfe Empfindung von dem Vorgefallenen: allein der Groll brannte in seinem Auge und das braune, scharfe Gesicht trug einen harten Ausdruck.
Er war furchtbar gekränkt, bis in die letzte Faser seines Stolzes verletzt. Im Hause der Muhme hatte sie ihm gerade heraus gesagt, daß sie unglücklich gewesen, daß er sie tyrannisiere, seitdem sie miteinander lebten. Er lächelte bitter, – er hatte also doch recht gehabt in dem Gefühle, daß sie nicht aufrichtig gegen ihn sei.
Ja freilich waren sie unglücklich: aber an wem lag die Schuld? Warum hatte sie ihn von Anfang an im Unklaren und Ungewissen gelassen? Hatte sie ihn nicht getäuscht, als er jung war und kein Mißtrauen kannte? Und später? – Er hatte recht wohl gemerkt, wieviel Ueberwindung es sie kostete, sich in seine geringen Verhältnisse zu finden!
Er fühlte, daß er seine langjährige Herrschaft über sie verloren und daß es nun einen Kampf galt. Es schien ihm, als habe sie plötzlich ein Pulverfaß in seine Stube gestellt und drohe, das ganze Haus in die Luft zu sprengen. Allein er war nicht gewohnt, sich zwingen zu lassen!
Als Salve in Merdö ankam, vertäute er schweigend den Kutter, fast ohne Gjert anzusehen, der ihm dabei half, und ging dann schweigend in sein Haus hinein, wo er eine Weile am Fenster stand und auf die Scheiben trommelte.
Bald war's draußen ganz dunkel. Gjert hatte Licht angezündet und auf den Tisch gestellt. Er merkte, daß wieder etwas mit der Mutter los war, doch wagte er nicht nach ihr zu fragen, so sehr es ihm auch das Herz abdrückte.
Der Vater saß den ganzen Abend still auf der zusammengelegten Schlafbank des Knaben.
Zur Zeit des Abendessens setzte Gjert etwas Speise auf den Tisch. Er fühlte, daß es gefährlich sei, und ging auf den Zehen und that alles so leise, als er es vermochte: doch gerade dies machte ihn ungeschickt, und so verursachte er mit den Tellern viel Lärm.
Dies und die offenbare Furcht des Sohnes reizten Salve. Er fuhr plötzlich auf und brach mit einer Donnerstimme los: »Fragst du nicht einmal nach deiner Mutter, Junge?«
Sonst wäre Gjert erschrocken: allein nun ängstigte er sich zu sehr um die Mutter, für die er in seinem Herzen feurig Partei ergriff, und so erwiderte er mit Löwenmut: »Ja, Vater: – die ganze Zeit habe ich daran gedacht, zu fragen, wie es ihr geht. Kommt sie denn nicht? – Die arme Mutter!« rief er, und dann brach der Knabe in Thränen aus und schluchzte.
»Die Mutter kommt wieder, sobald die Muhme gesund ist,« sagte der Lotse beruhigend und milde. Doch bald fuhr er wieder auf. »Du hast nichts zu flennen, Gjert! Du kannst ja zu ihr, wenn du willst, – gleich morgen in der Frühe. Und jetzt geh und lege dich in unser Bett!«
Gjert gehorchte.
Der Lotse ging in großer Aufregung im Zimmer auf und ab.
»Das hat sie also angerichtet!« rief er. »Sie wußte, was sie that und womit sie drohte!«
Er setzte sich wieder mit gefalteten Händen auf die Schlafbank und starrte auf den Boden. Die Leidenschaft wühlte gewaltig in ihm.
»Doch zwingen wird sie mich nicht!«
Die Kerze war dem Verlöschen nahe; er zündete eine andre an und steckte sie in den Leuchter. Es war schon nach Mitternacht. Eine Weile stand er mit dem Leuchter in der Hand still, dann ging er hinein und leuchtete nach Gjert hin. Der Knabe lag auf dem Platz der Mutter und trug auf den Wangen noch die Spuren der Thränen, mit denen er sich in den Schlaf geweint.
Lange stand der Lotse so. Seine Lippe zitterte, und sein Gesicht wurde ganz grau. Der Schmerz war nahe daran, ihn zu überwältigen. Dann ging er wieder hinaus.
Als Gjert des Morgens erwachte, fand er den Vater angekleidet auf der Schlafbank liegen. Er schlummerte. Offenbar hatte er die ganze Nacht gewacht. Das schnitt dem Knaben ins Herz: – der Vater that ihm nun so schrecklich leid!
Bald darauf erwachte Salve und sah Gjert anfangs ganz verwirrt an. Dann aber sagte er freundlich: »Gestern versprach ich dir, mein Sohn, daß du nach Arendal zur Mutter fahren dürfest; – sie sehnt sich vielleicht danach, dich zu sehen!«
»Wenn die Mutter nicht krank ist, so möchte ich lieber bei dir bleiben, Vater, bis du selbst hingehst. Henrik ist ja ohnehin dort.«
»So, das möchtest du?« Die Stimme war etwas tonlos, und er sah ihn an, als dächte er sich etwas dabei.
»Aber ich will dennoch, daß du hinfährst, Gjert,« sagte er plötzlich in einem veränderten Ton, dessen Schärfe keine Einwendung zuließ; – »die Mutter hat nichts weiter mitgenommen. Du wirst ihr in dieser Kiste das Feiertagsgewand und was sie sonst noch brauchen kann, nach Arendal bringen. Es kann lange dauern, ehe … ehe die Muhme gesund wird,« setzte er hinzu und verließ die Stube.
Während Gjert daheim alles ordnete, setzte sein Vater am Strand die kleine Barke aus und legte dem Knaben selbst die Ruder hinein.
Ehe derselbe wegfuhr, streichelte ihm Salve die Wange, sprach aber etwas bitter: »Grüße mir die Mutter und sage ihr, der Vater käme, wie er es versprochen, am Mittwoch hinein. Fahre nur recht vorsichtig, Junge.«
Lang schaute Salve dem Boot nach und dem Sohne, der hinüberruderte, dann ging er zur Windfahne hinauf und spazierte gewohnter Weise mit den Händen auf dem Rücken herum. Doch bald trieb ihn die Unruhe wieder nach Hause, wo er sich den ganzen Tag allein aufhielt.
Der erste Zorn war nun soweit verbraust, daß er mit Klarheit denken konnte. Was ihn vor allein beschäftigte, war das Erstaunen, was mit ihr vorgegangen sein mochte, – so auf einmal? Es war doch nicht jene Scene, ehe er in die See stach? Aehnliches war doch schon öfter dagewesen! Nein, es mußte etwas andres dahinter stecken; es war in Arendal über sie gekommen. Sie hatte mit einer gewissen Beziehung auf die Verhältnisse von Frau Becks unglücklicher Ehe gesprochen. Ja, es war klar, – sie hatte mit Frau Beck geredet; sie mußte es von ihrer alten Freundin haben. »Hm!« brach er zornig aus, »ich bin diesen Becks wirklich viel Dank schuldig, – es ist gerade, als sollte mir alles Unglück aus diesem Schlangennest kommen.«
Mit all' dem ist sie hier im Hause herumgegangen und hat es mir verhehlt, hat sich gebeugt und geschwiegen. Nun ergriff sie die Gelegenheit. Und drinnen in Arendal durfte sie ja sicher sein, recht zu behalten gegen ihren Mann, den schlimm angeschriebenen Lotsen, um alle für sich zu gewinnen, von der Muhme hinauf bis zu diesen Becks!
Und was war eigentlich Elisabeth bei diesen Becks widerfahren? Er hatte es nie recht ermitteln können.
»Sie machte zur Bedingung, daß ich ihr glaube; – etwas andres wollte sie nicht dulden! Und das hat mich doch eigentlich immer gequält. Aber nun habe ich keine Lust mehr, mich noch länger zum Narren halten zu lassen!« rief er aus, sprang in voller Raserei empor und schritt im Zimmer auf und ab. »Sie soll mir Rechenschaft geben, sie, die mich mit Füßen getreten!«
Er setzte sich an den Tisch und hing seinen Gedanken nach.
»Elisabeth, Elisabeth, was hast du gethan?« flüsterte er und verbarg die Stirn in den Händen.
»Ja, was hat sie gethan? Ich glaube, nichts, lieber Salve, – aber du bist verrückt! – Ja, ja! Wer nur glauben könnte, daß nichts geschehen ist!«
»Wenn ich nur wieder eine Weile bei ihr bin, so wird mir ganz leicht ums Herz!« seufzte er, und dann wieder mit Selbstverachtung: »Sie hat mir oft gesagt, daß sie mich liebt, mich geliebt hat, seitdem sie mich kennt, schon damals beim Großvater auf der Schäre; – und sie lügt nicht, dafür gebe ich freudig mein Leben hin!«
»Wahrhaftig, ich glaube dir, Elisabeth, wenn du so vor mir stehst und zu mir sprichst!« – und er schlug auf den Tisch, als ginge die Scene vor sich.
»Warum aber soll sie mich lieben? – Hat sie ihre Gedanken nicht auf viel mehr gestellt, als ich armer Lotse und meine elende Hütte ihr bieten können? Hat sie sich nicht immer nach etwas Großem gesehnt?«
»Ja, ja, habe es verdient,« murmelte er, und seine Stirn bedeckte sich mit Schweiß. »Hat sie es etwa bei mir so gut gehabt, daß sie was auf mich halten sollte? Ist meine Thorheit nicht an allem schuld? Sie hat recht, mehr als recht! – Ich habe sie schlecht behandelt, mißtrauisch, tyrannisch, – immer, unaufhörlich; – nun kann ich, so lang ich will, hier sitzen und es bereuen! Sie wäre nicht die, welche sic ist, wenn sie solches ertrüge!«
Er verweilte bei diesem Gedanken, bis er plötzlich zur Erkenntnis kam und mit bittrem Hohn gegen sich selbst in die Worte ausbrach: »Ich habe es nicht ausgehalten, zu denken, daß sie es hätte besser haben können, – daß ich ihr gegenüber wenig taugte und ihr nicht genügen konnte. – Das ist's, was im Grunde stets an mir genagt hat, und da habe ich mich an den Gedanken festgeklammert, daß ich ihr nicht trauen könne.«
»Glaube ich das?« fragte er sich dann langsam, und sein Gesicht wurde, je länger er nachsann, um so finsterer.
»Welch ein guter Tropf, welch ein Narr bist du doch, Salve!« lachte er plötzlich bitter auf. »Sie ist's, die unwahr und falsch gewesen, sie, die erkennen soll, daß sie es war, und die verpflichtet ist, mir ein- für allemal Rechenschaft zu geben. Jawohl, sie ist's, die sich vor mir beugen muß, und dann erst kommt ihr das Recht zu, von mir zu hören, was ich mir etwa ihr gegenüber vorzuwerfen habe. – So ist es, und so soll es sein!«
Bei diesen Worten nahm das Gesicht des Lotsen einen unerbittlich harten Ausdruck an. Doch einen Augenblick lang wurde seine Miene fast wieder bewegt.
»Ich werde sanft mit ihr reden, – ganz milde sein, – alles vergessen!«
»Aber beugen soll sie sich doch!« fügte er mit düsterer, unerschütterlicher Energie hinzu.