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Zehntes Kapitel.

Kapitän Beck stelzte mittlerweile täglich hinüber zum Kielholkrahn, um zuzuschauen, wie die »Juno« abgeschabt, ausgeflickt und in den Nähten zusammengetrieben wurde. Kaum, daß er während der Mahlzeiten daheim war. Es hatte Eile, denn die Ankunft der Ladung durfte nicht über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus verzögert werden.

Was Salve betrifft, so war er in den ersten Tagen nach seiner Heimkunft ein glücklicher Mensch. Er ging auf Freiersfüßen; er hatte vom Kapitän eine Hundertthalernote und ein großartiges Versprechen bekommen und sah sich allgemein bewundert. Die Arbeit beim Löschen und Kielholen des Schiffes nahm die ganze Woche in Anspruch, so daß er erst Sonnabend abend den ersehnten Urlaub erhielt.

Als er tags vorher bei seiner Wache im Lee der Reeling saß, wurde er unversehens Zeuge eines unten auf dem Krahne geführten Gesprächs, das sein Blut in Aufruhr brachte.

Einer der Zimmerleute berichtete die näheren Umstände von Jakobs Tod, wie dessen Enkelin die »Juno« gerettet und dann über das Eis gegangen war.

»Man sagt,« fuhr er fort, »daß der Kapitän am Montag den alten Jakob begraben läßt. Er soll auch die Tochter versorgen; dafür hat der Marineoffizier schon gesorgt.«

Im steigenden Lärm des Hämmerns und Nietens unten beim Krahn verlor nun Salve einen Teil des Gespräches.

»Das hat seine Gründe, kann ich dir versichern,« ertönte es wieder mit leiserer Stimme und zweideutigem Lachen, »für nichts und wieder nichts wird er wohl nicht das Jahr über so fleißig draußen gewesen sein und auf Torungen Seevögel geschossen haben.«

»Wäre sie selbst so ein … Seevogel? Sonst war der alte Jakob nicht von solchem Schlag …«

»Ah, das meine ich auch nicht; aber sie kam dort gleich herüber, und jetzt hat er sie schon ins Haus gekriegt: ich habe es von ihrer Muhme. Sie dachte sich nichts Arges dabei, die Alte, und erzählte in aller Unschuld, die Nichte soll nun bei Beck Jungfer werden.«

Ein kleines Geräusch veranlaßte den Sprecher zu der Reeling emporzuschauen. Da stand ein leichenblasser, junger Matrose und stierte mit entsetzten, glühenden Augen auf ihn herab. Der Matrose wendete gleich um und ging über das Deck.

»Das war ihr Geliebter, wie du merkst,« flüsterte der Zimmermann dem andern zu und begann mit dem Beil den Balken zuzuhauen. Doch brummte er verdrießlich: »Wenn ich die Fratze recht gesehen, so darf man sich hüten, wenn der da Urlaub kriegt.«

Als Salve die Bemerkung über den Marineoffizier hörte, war er im Zorn aufgesprungen; allein eine gewisse Lust, doch zu hören, hatte dem Ausbruche Einhalt gethan. Was sonst von dem Verhältnis erzählt ward und daß Elisabeth sogar im Hause des Seeoffiziers Zuflucht gefunden, trug das Gepräge vollständiger Wahrheit. Er kannte die beiden Männer, es waren anständige Leute und der eine wußte es ja von der Muhme.

An diesem Tag gab es an Bord strenge Arbeit, um alles zum Kielholen des Schiffes in stand zu setzen; doch Salves Hände waren wie erstarrt. Es war ihm unmöglich, anders als zum Scheine mit anzufassen, er that alles mechanisch.

»Bist du unwohl, Junge, oder sehnst du dich nach der Geliebten?« fragte bei der Nachmittagswache der Steuermann; er merkte, daß etwas bei ihm los sei.

Das Wort »Geliebte« rüttelte Salve auf. Er fühlte sich plötzlich frei von dem dumpfen Gefühle der Mattigkeit und arbeitete nun aus innerem Bedürfnis so angestrengt, daß ihm der Schweiß von der Stirn rann, während er hie und da mit ungeduldiger, überlauter Stimme den Gesang anführte. Er fürchtete sich vor dem Nachdenken. Später übernahm er die Pavianswache für einen Kameraden, welcher froh war, so unerwartet seine Kojenruhe zu genießen und nicht »Schiffshund« sein zu müssen, denn diese Wache besteht darin, daß ein einzelner Mann das Schiff vor Hafendieben bewacht.

Er ging allein auf dem Deck auf und ab; es war stockfinster bis auf ein paar einsame Laternen im Hafen draußen und ein oder das andre Licht in der Stadt. Manches Mal stand Salve lange Zeit mit der Hand unterm Kinn bei der Reeling. Den Marinelieutenant hätte er ohne Gewissensbisse ermorden können – dies war ihm klar.

Etwa um zwei Uhr nachts ging er ans Land. Elisabeths Muhme wohnte in einem Häuschen auf der Anhöhe. Er hatte beschlossen, sie zu wecken und reden zu machen.

Die alte Mutter Kristine war es nicht ungewohnt, in der Nacht gestört zu werden; eine ihrer Beschäftigungen war, bei Kranken zu wachen – sie war dann aber stets verdrießlich. Als sie beim Kerzenschein Salve Kristiansen erkannte, schloß sie aus seiner Blässe und seinem ganzen Aussehen, er sei betrunken.

»Du bist's Salve … so mitten in der Nacht?« rief sie vorwurfsvoll durch die Thürspalte, ohne ihn einlassen zu wollen. »Geht die Löhnung auf diese Art weg?«

»Ach nein, Mutter, ich komme gerade von der Wache her, weil ich mit Euch gern ein bißchen von Elisabeth reden möchte.« Der Ton war auffallend leise und schwermütig, so daß die Alte merkte, es gehe etwas Ungewöhnliches vor. Sie öffnete die Thur.

»Von Elisabeth, sagst du?«

»Ja, wo hält sie sich auf?«

»Wo sie sich aufhält? … Bei Beck, selbstverständlich. Ist etwas los?«

»Das müßt Ihr vor allem wissen, Mutter Kristine,« entgegnete er ernsthaft.

Sie hob das Licht gegen sein Gesicht und sah ihn an; denn ihr wurde ängstlich zu Mute, ohne daß sie ihn recht verstanden hätte.

»Muß ich es wissen … so sag es!« sprach sie fast flehend.

»Der Marinelieutenant hat ja, wie ich höre, das ganze Jahr über in Torungen gesteckt und … Seevögel geschossen; oder glaubt Ihr, daß er sie heiraten will?« rief er wild und laut.

Erst mit dem letzten Satz wurde ihr seine Meinung klar. Sie stellte den Leuchter hart auf den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl.

»Sagt man das!« äußerte sie endlich. Ihre erste Angst war vorbei; doch nun ergriff sie der Zorn, und sie erhob sich, die Hände in die Seiten gestemmt, funkelnden Auges; sie war ein Weib, das man nicht ungestraft beleidigte.

»So – also hat man Elisabeth schon dieser Lüge ausgesetzt! Pfui! – So will ich dir sagen, daß das Becksche Haus so anständig ist, wie nur irgend eins in Arendal, und Leute wie du und deinesgleichen vermögen nicht, ihm die Ehre zu nehmen. – Sei ruhig, ich werde Elisabeth deine schönen Worte berichten und dem Kapitän und dem Lieutenant und der Madame Beck auch, daß du von der ›Juno‹ weggejagt wirst wie ein Hund! So, du meinst also, Elisabeth habe es nötig, vom Seeoffizier ihre Ehre zurück zu erbetteln?«

»Liebe Mutter Kristine,« rief Salve in diesen Wortstrom hinein, »ich meine gar nichts – ich war ja weit fort; aber ich hörte heute beim Krahne unten Anders vom Hügel all dies als gewiß erzählen!«

»Anders vom Hügel? Das sagte er, der jämmerliche Heuchler – zum Dank dafür, daß ich vorige Woche bei seiner Frau war? Den werde ich noch treffen. Doch in solchen Dingen ist der Hehler so gut wie der Stehler,« fuhr sie entrüstet fort. »Becks eigne Tochter war es, die herkam und Elisabeth eine anständige Stelle in einem anständigen Hause anbot, und mit mir hat sie darüber gesprochen, verstehst du, Bursche?« – dabei wies sie mit zitterndem Zeigefinger voll Selbstgefühl auf ihre Brust; »also hat sich Elisabeth nicht hineingebettelt. Um dergleichen vorzubringen, hättest du nicht nötig gehabt, von der Wache wegzulaufen, und Elisabeth soll es hören, ja, sie soll es hören!« eiferte sie und schlug mit der einen Hand in die andre, daß es klatschte: »sie soll erfahren, welch gute Meinung du von ihr hast!«

»Liebe Mutter Kristine – ich meinte es ja nur gut,« bat er: ihm war nun so leicht ums Herz: »saget es doch Elisabeth nicht!«

»Verlaß dich darauf, sie soll's hören!«

»Mutter Kristine,« sagte er leise, indem er vor sich niederschaute, »ich kam mit einem Kleiderstoff, den ich in Boston für sie gekauft habe, und da hörte ich all das und hatte keine Ruhe mehr.« – Die Ringe erwähnte er nicht.

»So,« sagte sie nach einer Pause, während welcher sie Salve durch die halbgeschlossenen Augenlider gemustert, in etwas milderem Ton, »also kamst du mit einem Kleiderstoff für sie? – Und rennst dann im Dunkel der Nacht hierher, um zu erzählen, daß sie dem Seeoffizier nachlaufe?« nahm sie wieder unwillig auf.

»Aber, Mutter Kristine – ich glaube ja nicht das Mindeste davon!«

»Um mich dessen zu versichern, bist du nicht hierher gekommen, mein Junge!«

»Ich war von Sinnen, weil man dergleichen von ihr redete!«

»Na, so geh jetzt! Anders vom Hügel soll mir für seine Lüge büßen – und wenn ich mit ihm bis zum Stadtvogt und zum Hafengericht soll!«

Während die Alte ihm aufschloß, fragte sie ihn mit einer gewissen ernsten Vertraulichkeit: »Höre, Salve! – Ist zwischen dir und Elisabeth etwas abgemacht?«

Er stand im Zweifel, was er eigentlich auf diese unerwartete Vertraulichkeit antworten sollte.

»Ich weiß nicht recht, Mutter Kristine – vor zwei Jahren verehrte ich ihr einmal ein Paar Schuhe!«

»So – ja, jetzt sieh nur, daß du wieder an Bord kommst, daß niemand etwas merkt; – das ist mein Rat!« sprach sie, ohne sich weiter auf die Sache einzulassen, und schob ihn zur Thür hinaus.

Salve Kristiansen war jedoch nicht ganz befriedigt. Aus vielem entnahm er, daß er in dem Seeoffizier wenigstens eine Art Rivalen bei dem Mädchen hatte, und fühlte seinen Mut, nur so schlechtweg mit Kleid und Ring zu kommen, völlig schwinden. – Elisabeth war ja nun auch in tiefer Trauer.

Am Abend, als alle am Schiffe für drei Wochen beurlaubt wurden, fuhr er gleich zu seinem Vater, um durch ihn möglicherweise mehr von jenem Verhältnis zu ermitteln – und am Montag waren sie beide auf dem Tromöer Kirchhof beim Begräbnis des alten Jakob Nach skandinavischer Sitte findet das Begräbnis eine Woche nach dem Tode statt..


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