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Vierzehntes Kapitel

Er war wieder ein vergnügter Mechaniker in blauem Monteuranzug, mit forscher Schirmmütze gewesen – er hatte als Maschinist die Motorbootflotille eines Sommerhotels am Ontariosee betreut. Eines Tages war an ihm, dem Verschwitzten und Verschmierten, Howard Griffin in weißen Flanellhosen vorüberspaziert. Da hatte er gebrummt: »Die brauchen nicht zu wissen, daß ich mich die ganze Zeit bloß so rumgetrieben hab. Ich geh wo anders hin. Und ich werd auch was Ordentliches tun.« Jetzt saß er in einem Zug nach New York, stellte ganz unpersönliche Betrachtungen darüber an, daß er zu nichts taugte, und dachte daran, wie wenig an irdischen Gütern ihm sein Herumtreiben eingebracht hatte. Eine besonders meisterhafte Methode, sich in den Besitz solcher Güter zu setzen, wollte ihm jedoch nicht einfallen. Wenn er sich nicht eine Karte bis nach New York gekauft hätte, wäre er wieder umgekehrt, um in einer der großen Automobilfabriken Detroits, die damals – es war der Frühherbst des Jahres 1906 – dort gerade aufzublühen begannen, eine Anstellung zu finden. Nun, jedenfalls hatte er Geld genug, um es eine Woche lang in New York auszuhalten. Dort wird er in einer Automobilfirma arbeiten; später wird er nach Detroit gehen und in wenigen Jahren Präsident einer Automobilgesellschaft werden, so reich sein, daß er mit Motorbooten experimentieren und Howard Griffin mitsamt allen anderen Platoniern auslachen kann.

So malte er sich seinen siegreichen Einzug in New York aus. Unglückseligerweise kam sein Zug am Abend an; er war bei Poughkeepsie eingeschlafen und wachte erst auf, als ihn ein Bremser in der Grand Central Station an der Schulter rüttelte. Man hatte ihm das Grand Union Hotel genannt; verschlafen, mit verquollener Nase, mit brennenden Augen und dem unsauberen Geschmack um die Zähne, den man nach einem Schlummer im Raucherwagen hat, taumelte er dorthin und verbrachte seine erste Siegesnacht damit, daß er ein Eindollar-Zimmer mit den nicht gerade vornehmen Geräuschen übermüdeten Schlafes erfüllte.

Am Morgen jedoch, als er die Zweiundvierzigste Straße entlang blickte, als er in einem Childs-Restaurant, das wie ein riesiges gekacheltes Badezimmer aussah, frühstückte und sich klar machte, daß die Buchweizenkuchen New Yorker Buchweizengebäck waren; als er das schöne Times-Gebäude erblickte und zum Broadway marschierte; als er zu einer Vergaserfirma eilte und nach Arbeit fragte – da tat sich vor ihm das Tor der Wunder auf.

Aber das Tor der Arbeit tat sich nicht vor ihm auf.

Eine Woche nach seiner Ankunft bezahlte er in aller Ruhe seine Rechnung im Hotel, gab einem wuschelköpfigen Pagen ein Trinkgeld, visitierte sein Gepäck, das aus einem Hemd, einem Rasiermesser und einem illustrierten Automobilzubehörkatalog bestand, steckte seine Zahnbürste in die Tasche, kaufte sich, um ein Gefühl des Luxus zu haben, eine Abendzeitung und suchte, zehn Cent in der Tasche, die Gesellschaft zur Organisation der Armenpflege auf.

In der Meldezentrale mit den zahllosen Schreibpulten und Registrierschränken, wo arme Menschen aufhören, Menschen zu sein, und Fälle werden, wartete Carl auf einer langen Sitzbank, bis die Reihe an ihn kam, und erzählte dann einem pedantischen, aber freundlichen graubärtigen Herrn, der hinter einem Zylinderbureau saß, von seinen Sorgen. Er bat um Arbeit. Arbeit jedoch schien das einzige zu sein, was die Gesellschaft nicht geben konnte. Er erhielt einen Schein für das städtische Obdachlosenasyl.

Das war damals nicht die hygienische Herberge, die es heute ist, sondern ein Elendsquartier in der Ersten Avenue. Ein arrogantes Individuum in weißer Jacke, das zwar schmutzige Manchetten hatte, sich aber trotzdem ganz deutlich anmerken ließ, daß es sich zu gut dünkte, um Vagabunden zu bedienen, händigte ihm ein Stück sauren Brots und einen Becher schlechten Kaffees aus. Carl stützte sich mit den Ellbogen auf den langen gescheuerten Tisch, kaute verdrossen am Brot der Barmherzigkeit herum und beschloß, am nächsten Tag in einen Zug zu steigen und die Stadt zu verlassen.

Er schlief in einer engen Koje neben einem Schwindsüchtigen. Der Raum stank nach Desinfektionsmitteln und Barmherzigkeit.

 

New Yorks East Side. Ein toller Wirbel von Lärm, Gerüchen und unsteten Schatten. Jüdische Matronen mit braunen Umhängetüchern und orthodoxen Perücken feilschen im Jargon mit aufgeregten fliegenden Händlern, deren ehrfurchtgebietende Prophetenbärte die leichtfertige Zigarette im Mundwinkel grotesk erscheinen lassen, um Kohlköpfe, schwarze Baumwollstrümpfe und grauwollene Unterhemden. Es riecht nach gebratenem Fisch und faulenden Resten koscheren Fleisches. Den Häusern sieht man an, wieviel sie den vornehmsten Kreisen New Yorks einbringen – je schändlicher die Verwahrlosung, desto größer der Profit. Die sechsstöckigen Mietskasernen bilden eine einzige schmutziggelbe Gefängnismauer voll neugieriger zerzauster Frauenköpfe und mit Bettzeug behängter Feuerleitern. Ein buntes Potpourri: russische Firmenschilder, jiddische Zeitungen und Synagogen mit sechszackigen Goldsternen, Bäckereien mit Stapeln von Kornbrot, die mit Kümmel übersät sind, Verleihgeschäfte für Hochzeitsstaat, der so aussieht, als könnte er keinem Menschen passen, Altmöbelläden mit zusammenklappbaren Eisenbetten, ein schmutziges Kind, das ein noch kleineres und schmutzigeres Kind betreut, ruppige Katzen, die von Kehrichthaufen zu Kehrichthaufen schleichen, eine verwelkte Geranie in einer Konservenbüchse, deren Etikett sich losgelöst hat und die Rostflecken inmitten des vertrockneten Klebstoffs auf seiner Rückseite zeigt. Überall Scharen zungengewandter Juden in dunklen Gewändern und lärmend spielende Kinder, die mit ihren Schleudern nach den Beinen der Passanten schießen. Die Stätten, wo wir die Opfer russischer Tyrannei zur gebührenden Schätzung unserer Freiheit erziehen. Ein wüstes Durcheinander aus fremdartiger Häßlichkeit, üblen Gerüchen und unaufhörlichem Toben. Während Carl hungrig durch die Rivington Street, durch Essex und Hester streifte und bei Krämern, die zu arm waren, um sich den Luxus des Badens leisten zu können, vergeblich Arbeit suchte, erstickte in diesem wilden Tohuwabohu sein Mut.

Er fühlte, daß er hier fremd war, und nicht diese nüchternen Massen. Er litt unter Hunger und Müdigkeit. Da war nichts Heroisches zu tun – man konnte nur hungern. Nirgends konnte er sich setzen. Die Bänke in den winzigen, abgetretenen Anlagen waren überfüllt. Wenn er sich nur setzen, wenn er nur eine kleine Stunde hätte rasten können, dann wäre er imstande gewesen, sich auf die Beine zu machen und einen Güterbahnhof aufzusuchen, wo er statt des jiddischen Geschnatters Glockentöne und das Rattern der Loren hören würde. Und dann wollte er ins Land hinausfahren, fort von den düsteren Schatten dieser Stadt, wo es keine einzelnen Gesichter gab, sondern nur Schwaden unablässig sich fortbewegender Menschenmassen …

Spät nachts stand er an einer schmutzigen Ecke der Bowery, wo der Septemberregen durch die Eisenkonstruktion der Hochbahn herabtröpfelte, und unterhielt sich mit einem Tramp. Jetzt plagte ihn der Hunger nicht mehr so, aber trotzdem war er froh, als er von seinem neuen Freunde hörte, in einer Stunde könne er in der »Bread-line« etwas zu essen bekommen. Es war ihm zu Mute wie einem kleinen Jungen – daß er am Verhungern war, hätte er jeder Frau, jedem beliebigen Menschen anvertrauen können, nur nicht diesem transkontinentalen Burschen, diesem König aller Tramps, der ein Meister darin war, den Hunger zu verachten. Weil er mit dazu gehörte, musterte er ohne jede Neugier die lange Reihe von Strolchen, die ihre Jackenkragen wegen des Regens hochgeklappt und mit Sicherheitsnadeln zusammengesteckt hatten. Mit gekrümmten Schultern, die Hände fest in den Hosentaschen, schoben sich die armen Teufel auf ihren schmutzigen und niedergetretenen Absätzen rasch vorwärts.

Ebenso neugierlos beobachtete er, wie ein Kneipwirt, dessen Gesicht hinter einem riesigen Schnurrbart versteckt war, auf die Straße trat und ein Schild »Portier gesucht, Vorstellung vormittags« an die Tür seines Lokals hing.

Als Carl weiterschlich, um sich, ein Ausgestoßener unter Ausgestoßenen, der Bread-line anzuschließen, überlegte er, wie er es anstellen könnte, die wunderbare Stellung eines Portiers in einer Bowerykneipe zu ergattern. Während er in der Kette der Hungernden wartete, vergaß er diese Sorgen nahezu, weil er ganz davon in Anspruch genommen war, zwei Collegestudenten zu hassen, welche die Vagabunden mit jener unverhohlenen Neugier beobachteten, von der die netten, sauberen, wohlanständigen jungen Leute annehmen, daß sie von den Armen nie bemerkt wird. Am liebsten wäre er hinübergegangen und hätte ihnen ein griechisches Zitat an den Kopf geworfen, aber er beherrschte sich, weil sie unwissend waren und nicht dafür verantwortlich gemacht werden konnten, daß sie so fest davon überzeugt waren, aus besserem Lehm gemacht zu sein als alle armen Teufel in der Bread-line. Und zum Teil auch, weil er sein Griechisch vergessen hatte.

Allein, vergnügt, voll der Mannhaftigkeit, die ihm das Verspeisen eines Laibes Brot gegeben hatte, kehrte er dann zur Bowery zurück. Er mußte diese Portierstelle bekommen. Wie ein Politiker, der auf einen Regierungsposten aspiriert, legte er sich einen Feldzugsplan zurecht. Er nahm das Schild ab und versteckte es unter seinem Rock. Die ganze Nacht wanderte er in den Straßen umher, und als er sich von einem Schutzmann beobachtet fühlte, tat er, was alle verdächtigen Subjekte tun, um nicht verdächtig zu wirken: er bat den Polizisten um Feuer. Der unterhielt sich mit ihm über Baseball und warnte ihn vor dem Alkohol und den Missionen.

Um fünf Uhr früh stand Carl vor der Tür der Kneipe. Als der Schankkellner aufschloß, stolzierte Carl, ein wenig benommen und verlegen, weil er wußte, daß seine ausgefransten Hosen unten beschmutzt waren, durch die Tür hinein.

Das Lokal sah nach schäbigen kleinen Verbrechen aus. Auf dem Boden lag zu Klümpchen geballtes Sägemehl. Der Schanktisch war ein Klappbrett aus dunkelbraunem Holz. Um den Gully standen Bierpfützen, in denen Zigarettenstummel und Reste von den Gratis-Käsebroten schwammen.

»Ich möcht die Stelle als Portier«, sagte Carl.

»So, möchten Sie? Na, Sie werden erst mal abwarten müssen, wer sonst noch kommt.«

»Sonst wird keiner mehr kommen.«

»Woher wollen Sie das denn wissen?«

Carl zog das Schild unter seinem Rock hervor und legte es langsam auf den Tisch. »Deshalb.«

»Na, das ist ja allerhand. Gar nicht so schlecht. Also schön, wenns dem Boss recht ist, können Sie die Stelle haben.«

Carl fand Gnade vor den Augen des »Boss«, der ihm einen Vierteldollar gab und dazu sagte, er solle »was Ordentliches essen« gehen. Beim Frühstück trällerte er. Der Besitzer einer Bowery-Kneipe hatte ihn akzeptiert, und damit war er wieder in die Gemeinschaft der Menschen aufgenommen. Auf diesem Posten wollte er ausharren, was auch geschehen mochte. Mit dem Herumtreiben hatte er Schluß gemacht.

Drei Monate lang nahm Carl die niedrigsten Verrichtungen ernst. Er arbeitete für acht Dollar wöchentlich sechzehn Stunden am Tag, säuberte Spucknäpfe, fegte den Boden, streute frisches Sägemehl, schnitt allzu verfaulte Stücke vom Gratisfleisch ab. Wenn er mit seinen halbzerfallenen Fetzen aufwischte, stießen ihn Strolche beiseite und spuckten auf den Boden, den er eben gereinigt hatte.

Von den acht Dollar, die er in der Woche bekam, sparte er vier. Er mietete für einen Dollar und fünfundsiebzig Cent wöchentlich bei einem armen Teufel von jüdischem Arbeiter eine Schlafkammer, die auf den Lichthof ging. Bei Tag wohnte der Koch eines Nachtspeisehauses darin, der im Jahre 1900, gelegentlich eines Vereinsausfluges nach Conney Island, gebadet hatte. Der Raum war ungeheizt, und im Laufe des Januar stand Carl jeden Abend vor der Frage, ob er zum Schlafengehen die Schuhe ausziehen solle oder nicht.

Die Tochter seines Wirtes war ein klein gebliebenes, aber frühreifes fünfzehnjähriges Kind mit unreinem Teint und feuchten Augen, das sehr tief ausgeschnittene Blusen aus schlechtem Voile trug. Sie pflegte Carl in dem dunklen Flur anzuhalten und, mit unheimlicher Geschwindigkeit Gummi kauend, darauf los zu schwatzen: von den Aufsehern bei Wanamacy und von den großartigen Freuden, die bei dem Ball des Thomas J. Monahan Literatur- und Geselligkeitsklubs bevorstanden – fünfundzwanzig Cent Eintritt für Damen und Herren. Sie gab Carl zu verstehen, daß sie ihn für einen Geizhals hielt, weil er sie niemals am Sonntagnachmittag in ein Kino führte, aber er streichelte ihr den Kopf, sprach mit ihr wie ein großer Bruder, übersah geflissentlich, daß sie feuchte Hände hatte und einmal recht hübsch sein würde, und brachte ihr eine vernünftige Frauenzeitschrift zum Lesen mit – das löste zwar keineswegs das Problem der Mädchen, für deren Erziehung die organisierte Gesellschaft keine Zeit hat, aber es war immerhin das Beste, was er damals zustande bringen konnte.

An den Sonntagen hatte er einige freie Stunden, und in diesen ging er mit seinem Mixbuch in den Leseraum der Bibliothek am Tompkins Square und studierte höchst ernsthaft die Rezepte, denn er wollte Barmann werden.

Allabendlich, wenn er aus der verhältnismäßig reinen Straßenluft in die stinkende Kälte seines Zimmers taumelte, fragte er sich, wozu er – der unter nordischen Lärchen und bei stillen Büchern groß geworden war – dieses schauerliche Ersatzleben fortführte; und jedesmal gab er sich zur Antwort, ob es nun einen greifbaren Grund dafür gebe oder nicht, auf jeden Fall werde er endlich in einer Stellung ausharren, und zwar in der, die er eben hatte. Und immer wieder hielt er sich vor Augen, daß er für einen Kneipenportier sehr gut bezahlt werde.

Hätte Carl niemals mit Strolchen und Vagabunden in der Bread-line gestanden, hätte er niemals einen Kneipengully mit großer Kunst säubern müssen, um sich vor einer Rückkehr zur Bread-line zu bewahren, so wäre er zweifellos in das alltägliche Dasein geflüchtet, für das ihn alle Welt außer Bone Stillman und Henry Frazer Zeit seines Lebens voll Eifer hatte dressieren wollen. Wer weiß, wie natürlich das Leben sich in allen Sphären abspielt, wird begreifen, daß Carl damals nicht das Gefühl hatte, entwürdigt zu sein. Er lebte jeden Tag vierundzwanzig Stunden, hatte reichlich zu tun und staunte über sich selbst ebenso wenig wie der berufsmäßige Einbrecher und der brave Mann, der seine ganze Jugend griechischen Studien oder dem Soldatenhandwerk widmet. Trotz alledem, die Arbeit selbst war um so viel weniger erfreulich als das Chauffieren eines Wagens oder Mondscheinspaziergänge mit Eve L'Ewysse in längst vergangenen wunderbaren Tagen, daß er, um dabei zu bleiben, eine eiserne Selbstdisziplin entwickeln mußte, die ihm dann für alle Lebenslagen blieb.

Nach drei Monaten wurde Carl zweiter Barmann und konnte nun acht Dollar wöchentlich ersparen. Er kaufte sich einige Automobilzeitschriften, ging einmal in ein Vaudeville-Theater, bewahrte die Tochter seines Wirtes davor, mit einem Bordellanreißer durchzubrennen (wobei er sich keinen Illusionen darüber hingab, daß sie es eines Tages doch tun würde) und gewann einen deprimierenden Einblick in die Fähigkeiten der Gesellschaft, die meisten der im Sumpf Geborenen im Sumpf zu halten.

Ein Vierteljahr später, der Winter ging seinem Ende zu, war er so weit, daß er nach Panama aufbrechen konnte.

Von Panama träumte er, seitdem er in einer Sonntagszeitung von den technischen und landschaftlichen Wundern des Kanals gelesen hatte.

Er war allen Freundschaften aus dem Wege gegangen, und so gab es keinen Menschen, der ihm bei seinem Abschied von Mist und Elend Lebewohl sagen konnte. Eine Aufgabe jedoch hatte er zu erledigen – er mußte mit dem Tyrannen der Kneipe abrechnen.

Dieser Bursche – ein lasterhafter, keineswegs mehr junger Mann, der in der Bowery geboren war – hieß Petey McGuff; er sah aus wie ein Hund, dem man eine saubere schwarze Schleife umgebunden hat, und besabberte sein großes, brutal wirkendes, stoppelübersätes, allzu energisches Kinn immer mit Tabaksaft. Petey McGuff saß Abend für Abend von elf bis zwölf Uhr an dem runden Tisch in der Ecke neben dem Schanktisch, trank altmodische, mit Bourbon-Whisky bereitete Cocktails, starrte die an den trüben Spiegel geklebten Aktphotos an und hänselte Carl.

»Hallo, Junge, komm mal her und wisch den Whisky auf, den du verschüttet hast … Vorwärts, du Stubenkätzchen. Mach dich ran … Du siehst aus wie der Sonntagsschul-Harry. Mamas Bubi mit den Rosenbäckchen … Ich hau dir ja doch noch mal die Birne ein. Herrgott! das ist ja zum Kotzen, wenn man da sitzt und sich die süßen Mädiwangen da ansehen muß … Komm mal her, Lizzie, und wisch den Tisch nochmal auf. Hopp, hopp, Mädelchen.«

Carl hielt sich zurück. Hundertmal zischte er sich zu: »Ich werd ihn nicht verprügeln! Auf der Stelle werd ichs aushalten.« Er machte sich ein Grinsen zurecht, das er ohne weiteres aufsetzen konnte.

Jetzt ging er. Er hatte bewiesen, daß er es auf einem Posten aushalten konnte; hatte die stille Kritik Platos, der Garagen in Chicago, der Großen Riley Schau Lügen gestraft. Zum erstenmal seit seinem Abgang vom College hatte er seinem Vater schreiben, auf die stummen Vorwürfe des finsteren Zimmermanns – Carl war der Sohn, der die Möglichkeit »sich zu bilden« leichtfertig fahren ließ – etwas erwidern können. Und voll Stolz hatte er seinem Vater einen kleinen Scheck geschickt. Er besaß einen schönen neuen Fünfzehndollar-Anzug aus Kammgarn, der in seinem Zimmerchen auf ihn wartete. In seiner Tasche ruhte die Fahrkarte – Zwischendeck auf der P. R. R. Linie nach Colon – und am nächsten Mittag schon würde er unterwegs sein. Während er Krüge mit Bier füllte und den Schaum mit einem Zelluloidlineal abstrich, tanzten seine Füße hinter dem Schanktisch. Er sah sich bereits in Panama, wo er anständige Männerarbeit hatte und sich vor dem Hintergrund der grünen und scharlachroten Dschungel mit welterfahrenen Ingenieuren unterhielt. Und, ach ja, heute abend wollte er noch Petey McGuff verprügeln und sich eine ordentliche Portion der kriegerischen Selbstachtung zurückholen, die er mit dem Bier in die Krüge hatte laufen lassen.

Zwei Minuten nach elf rollte der alte Petey ein, wärmte sich die Hände über dem Gasöfchen, kramte mißbilligend unter den Brezeln auf der Theke mit den Gratisspeisen und brüllte Carl zu: »Finger weg von der Registrierkasse! Wisch dir gefälligst die Mäditränen ab, Agnes, und bring uns nen kleinen Gesundheitsschädiger und n paar Streichhölzer.«

Carl brachte einen Whisky-Cocktail.

»Wo sind die Streichhölzer, Stubenkätzchen?«

Carl trocknete sich die Hände an der Schürze ab und antwortete strahlend: »Schau, schau, unser alter Süffel wird langsam fett. Bist wohl zu faul, um über die Theke zu langen und dir selber was zu nehmen! Jetzt wirst du nicht mehr lange machen!«

»Sieh mal einer an! … Ja, was ist denn das, soll das heißen, daß Lizzie Antworten gibt? Das mußt du erst lernen! Mußt du erst lernen! Kriegst ne Wut auf uns? Das ist ja ganz neu! Wo haben sie dir denn weh getan?«

Petey McGuffs Lächeln war durchaus freundlich. Das ließ Carl zaudern, aber es war für ihn zu einem Grundsatz der kosmischen Ethik geworden, daß er Petey verprügeln mußte, und so brummte er: »Ich werd dir so viel antworten, wie ich lustig bin, du Riesenaas. Ich mach heut nacht Schluß hier. Ich geh nach Panama.«

»Ernsthaft, Mensch, ist das dein Ernst?«

»Du bist wohl taub.«

»Na, das ist aber fein. Ich hab dich die ganze Zeit beaugapfelt, und ich hab gesehen, daß du nicht zum Kneipenportier geboren bist. Ich hab mit mir selber ne kleine Wette gemacht, daß du was gelernt hast. Mensch, deine Manschetten sind nicht mal dreckig – nicht sehr dreckig. Ne Rasur brauchst du natürlich, aber bei den kleinen blonden Haaren, die du hast, ist das nicht so schlimm. Ich hab gesehen, daß du n Gentleman bist, wenn die anderen auch nichts gemerkt haben. Du bist zu gut zum Schnapshausieren. Freut mich, daß du gehst, Junge. Freut mich mächtig. Setz dich her. Erzähl uns was davon. Du wirst uns hier fehlen. Gestern abend hab ich erst zu Mike gesagt, von hundert Burschen hätt nicht einer so viel los gehabt und sich von nem alten Kerl wie mir piesacken lassen, ohne daß er die Schnauze aufmacht; aber du bist richtig, du hast gegrinst und zu keinem Menschen was gesagt. So kommt man durch. Aber hör mal, Junge, du wirst mir fehlen. Und wie du mir fehlen wirst. Ich werd langsam son bißchen einsam, die Jungs verdrücken sich sachte ins stille Grab – muß ja so sein bei Saufbrüdern. Ach verflucht, ich werd nicht anfangen und winseln wien Stubenkätzchen … Nach Panama gehst du also? Setz dich doch schon her und erzähl mir das Ganze. Was nimmst du, Junge?«

»Bloß ne Zigarre … Du wirst mir auch fehlen, Petey. Paß mal auf, was ich machen werd. Ich werd dir von Panama paar Ansichtskarten schreiben.«

Als am nächsten Mittag das D. S. Panama von seinem vereisten Anlegeplatz ausfuhr, sah Carl auf dem Kai einen alten Mann stehen, der vor Kälte zitterte und wie verrückt Abschiedsgrüße winkte – Petey McGuff.


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