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Und ein Unerwartetes war geschehen: Cornelie hatte das Vaterhaus verlassen.
Schon am Abend hatte sie dem Kutscher aufgetragen, um vier Uhr Morgens den kleinen Einspänner bereit zu halten, den sie einst angeschafft, ihre Armenpflege in der Umgegend zu besorgen und den sie selbst zu fahren geübt war. Da sie oftmals Hausrath und Kleidungsstücke für die Notleidenden bei diesen Besuchen mitzunehmen pflegte, hatte ihre Kammerjungfer kein Arg gehabt, als das Fräulein einen Koffer gefordert, ihn eigenhändig vollgepackt und am Morgen mit sich genommen hatte; und wenn dem Kutscher und der Dienerschaft die ungewöhnlich frühe Ausfahrt aufgefallen war, so hatten sie sich zwar untereinander über die neue Grille der Herrschaft ausgesprochen, aber ihre Befehle nach gewohnter Weise ohne Weiteres vollzogen.
Als Cornelie beim Frühstück fehlte und der Baron erfuhr, sie sei in aller Frühe ausgefahren, erbleichte er sichtlich, und fragte nach einiger Zeit mit scheinbarer Ruhe, welche Straße sie eingeschlagen habe? Man wußte es ihm nicht zu sagen. Er las dann, wie er es gewohnt war, die Zeitungen, und begab sich auf sein Zimmer. Gegen Mittag sah Auguste ihn in den Park hinabgehen und ein Belvedere besteigen, von dem man einen weiten Rundblick hatte. Er war düster und schweigsam als er davon zurückkam, und die Mittagstafel verging den Beiden noch trauriger als das letzte Abendbrod.
Eben hatten sie sich vom Mahle erhoben und der Baron bestellte, ihm ein Pferd zu satteln, als die Kammerjungfer Corneliens eintrat und Augusten leise eine Meldung machte.
»Corneliens Wagen kommt von der Birkenhöhe herab, lieber Onkel!« sagte Auguste.
Der Baron athmete auf, wie von schwerer Angst befreit, entgegnete aber mit kaltem Tone: »Schicke Cornelie zu mir, wenn sie kommt!« und zog sich auf sein Zimmer zurück.
Schon nach wenigen Minuten langte das Cabriolet auf dem Hofe an, indeß ein fremder Bursche führte es, und brachte einen Brief Corneliens an ihren Vater. Er enthielt die folgenden Zeilen:
»Es giebt Worte, die sich nicht vergessen lassen, Ereignisse, die man nicht ungeschehen machen kann, mein Vater! Worte die sich als unübersteigliche Scheidewand zwischen die Menschen stellen. Ich kann die Irrthümer nicht aus meinem Leben nehmen, durch die ich in Deinen Augen mich entehrte, ich kann die Worte nicht vergessen, die Du mir gesagt hast, und es ist mir unmöglich, fortan im Vaterhause auszudauern, seit ich weiß, daß Du mich seiner unwerth achtest.
Ich werde mich in Helenens Nähe begeben. Vielleicht erkennst Du mich wenigstens darin als Deine Tochter, daß ich gehe – daß mir es leichter wird, den Namen meines Vaters abzulegen, als zu denken, Du haltest ihn entehrt durch mich!«
Der Baron stand wie vernichtet, nachdem er diesen Brief gelesen. Er, der natürliche Beschützer seiner Tochter, hatte sie hinausgestoßen, seine Härte hatte ihr die Hülfe verweigert, um die sie ihn gebeten. Sich und seinen Grundsätzen genug zu thun, hatte er die Liebe seines Kindes hingegeben, hatte er auch die zweite Tochter aus dem ihr gemäßen Lebenswege herausgeschleudert. Es überlief ihn kalt bei dem Bewußtsein, und es währte lange, ehe er sich so weit sammeln konnte, die Verhältnisse zu übersehen.
Cornelie hatte das Cabriolet zwei Poststationen weit benutzt, dann war sie mit der Schnellpost, deren Ankunft sie richtig berechnet, weiter gefahren, wie der Bursche des Posthalters es angab, den sie mit dem Wagen zurückgeschickt und im Voraus für seinen Dienst bezahlt hatte. Aus dem Koffer des Fräuleins, den er vom Cabriolet abgeladen und in die Post getragen, hatte die Adresse »Berlin« gestanden; in Berlin also mußte Cornelie verweilen wollen.
So schwer der Baron von diesem Entschlusse seiner Tochter auch getroffen war, so sehr sein Herz darunter litt, kam er dennoch dahin, die Maßregel, die sie eigenmächtig getroffen, als die zweckmäßigste zu betrachten, wenn ihre Verbindung mit Plessen aufgehoben werden sollte; und wie ein sicherer Reiter die Zügel schnell wieder zu erfassen weiß, die einen Augenblick seiner Hand entfallen waren, so fest trat der Baron schon wieder nach wenig Stunden in seinem Handeln auf.
Er theilte Augusten und dem Pastor, der in einer Amtsangelegenheit ihn aufsuchte, die rückgängig gewordene Heirath seiner Tochter mit; er fügte hinzu, sie habe, sich zu zerstreuen und Plessen zu vermeiden, einen Ortswechsel für sich gewünscht, und werde mit seiner Zustimmung sich nach Berlin zu ihrem Bruder, von dort aber zu der Gräfin St. Brezan begeben.
Im Hause des Pastors fand diese Erklärung um so leichter Glauben, je mehr Feldheim und seine Frau Ursache hatten, Corneliens Reise nach Neapel als eine Liebespflicht zu betrachten, aber die Dienerschaft des Schlosses war nicht über die Flucht Corneliens zu täuschen, wenn schon sie dieselbe nach ihrer Weise deutete.
Noch am Abend trug ein reitender Bote ein Schreiben des Barons an Erich zu dem nächsten Postamte, und mochte der Vater auch die Kraft besitzen, im persönlichen Verkehr mit seiner Umgebung den Schein der Ruhe über sich zu breiten, seine Sorge, sein Gram und sein Verzagen sprachen aus jeder Zeile seines Briefes.
Erich befand sich zu Hause, als er ihn empfing, Regine war in seinem Zimmer. Sie sah ihn erbleichen, sah den Ausdruck seiner Züge immer schmerzlicher werden, bis er endlich das Blatt aus seinen Händen sinken ließ, und aufgestützt in tiefen Gedanken vor seinem Schreibtisch sitzen blieb.
»Erich,« fragte sie, »was ist geschehen?«
Er antwortete ihr nicht.
»Ist Dein Vater krank?«
Schlimmer als das!
Sie trat näher heran, beugte sich zu dem Sitzenden hernieder und sagte leise: »Er ist doch nicht gestorben, Erich?«
»Ich trüg' es leichter, als solchen Brief von ihm!« rief er mit dem Tone des tiefsten Kummers.
Regine stand angstvoll neben ihm. Sie wagte nicht den Brief zu fordern, sie wußte nicht, wie sie dem Bekümmerten sich nahen solle, denn Erich hatte fast immer ihre Theilnahme an den Angelegenheiten seiner Familie mit einer sie kränkenden Entschiedenheit zurückgewiesen, und mit sanftem Zagen bat sie: »Soll ich nicht wissen, was Dich so erschüttert, Erich? Ich ängstige mich um Dich!«
»Cornelie ist aus dem Vaterhause entflohen und seit vierundzwanzig Stunden in Berlin!« antwortete er trocken, stand auf und schickte sich zum Ausgehen an.
»So willst Du zu ihr?«
»Ich muß sie aufsuchen, das ist auch kein gutes Amt! Ich wollte« – er vollendete nicht, sondern sagte: »Lies den Brief!« und ging dann eilig fort.
In gedrängter Kürze meldete der Vater dem Sohne das Vorgefallene und forderte ihn auf, falls die Schwester nicht zu ihm käme, sie aufzusuchen, sie um ihre Pläne zu befragen, und ihr mitzutheilen, daß der Baron ihre Reise nach Neapel selbst als rathsam ansehe und daß Erich sie dahin begleiten werde.
»Ich rechne darauf, mein Sohn,« hieß es dann weiter, »daß Du augenblicklich aufbrechen und Alles thun wirst, was Dir notwendig scheint, um Aufsehen zu vermeiden, und ich lege unsere Ehre vertrauensvoll in Deine Hand, weil Du allein von allen meinen Kindern gewußt hast, was Du ihr schuldig bist.
Es liegt ein hart Geschick auf mir. Von vier Kindern, die ich auferzogen habe in den strengsten Gesetzen der Moral und Ehre, bist Du allein mir geblieben, auf den ich meine Augen hoffend, als auf den Erben unseres Namens, als auf den Erben der Achtung richten kann, die ich ihm erworben zu haben mir bewußt bin. Helene und Cornelie haben es dahin gebracht, daß ich mich scheue, ihrer Verhältnisse zu gedenken, und Georg giebt unseren alten Namen auf der Börse Preis.
Sie haben es dahingebracht, daß ich den Tag nicht mehr beklage, an dem Eure treffliche Mütter einst ihr Auge schloß. Wohl ihr, daß sie nicht zu schauen brauchte, was ich seitdem erlebt an meinen Kindern.
Ich fühle meine Kraft entschwinden, aber es ist nicht das Alter, das sie bricht. Die Schmach und Schande meiner Kinder, die mich unverschuldet trifft, beugt mich danieder. Mein Haus vereinsamt um mich her. Es wäre Zeit, daß Du mein Erstgeborener, mein theurer Sohn, der Du mir nie Anlaß zu irgend einer Klage gegeben hast, seit Du verantwortlich für Deine Handlungen bist – es wäre Zeit, mein Sohn, daß Du heimkehrtest in Dein Vaterhaus, daß Du mir in Deiner künftigen Gattin Ersatz gewährtest für meine Töchter, die so wenig ihrer edlen Mutter gleichen. Auf Dir, mein Sohn, beruhen die letzten Hoffnungen meines Lebens, auf Dir die Freuden, die ich noch erwarten kann, und Du wenigstens wirst sie nicht zu Schanden machen, Du nicht, denn Du weißt, was Du mir, was Du Dir selber schuldest.
»Begleite Deine Schwester nach Neapel und dann kehre dorthin zurück, wo Dein Vater Dich erwartet. Gott sei mit Dir, mein geliebter Sohn!«
Regine las den Brief und las ihn wieder. Er bohrte sich ihr schmerzlich in die Seele. Sie konnte nachempfinden, was Erich dabei fühlen mußte; kam sie sich doch selbst wie schuldig vor gegen den Baron, hatte sie selbst doch Mitleid mit dem Greise, der sich so in seinem innersten Leben angegriffen fühlte. Vor einem fremden Leiden vergessen großmüthige Naturen leicht den eignen Schmerz, weil der Wunsch zu helfen sie allein beschäftigt. Sie dachte, welch ein Kummer Erich's Verhältniß zu ihr dem Vater sein müsse, hätte er davon erfahren. Sie stellte sich die Möglichkeit vor, daß Cornelie den Bruder in seiner Wohnung aufzusuchen käme, und sie in derselben fände. Sie begriff nicht, daß der Baron nicht längst von ihrem Dasein unterrichtet worden, sie malte es sich aus, in wie vielen Fällen Erich vor dieser Möglichkeit gezittert haben mochte, und so oft ein Fußtritt auf der Treppe schallte, schrak sie zusammen, denn sie glaubte Cornelie kommen zu hören.
Diese Angst, diese Gedanken entwurzelten sie aus der Umgebung, in der sie sich befand. »Wie schrecklich ist es,« rief sie aus, »sein Dasein verbergen zu müssen! wie kann, wie soll Erich mich lieben, wenn er beständig daran denken muß, meine Anwesenheit zu verhehlen? Wie kann er mich lieben, da sein Vater mich verfluchen würde, wüßte er, was ich seinem Sohne bin?«
Sie begriff es nicht, daß Erich jemals eine ruhige Stunde an ihrer Seite genossen hatte, sie verzweifelte, jemals wieder Frieden zu finden neben ihm. Sie verzieh ihm alle Härte und Mißstimmung, sie klagte sich ihrer Liebe an, sie begann sie als ein Verbrechen gegen ihn zu betrachten, und doch war diese Liebe unverändert mächtig in ihr, das tiefste Gefühl ihrer Seele.
Es war ihr unzweifelhaft, daß Erich dem Rufe seines Vaters Folge leisten, daß er heimkehren werde zu ihm, denn wie konnte er dem Wunsche seines Vaters widerstehen? Hätte sie noch einen Vater gehabt, sie würde ihn ja nicht verlassen haben. »Hätte ich einen Vater gehabt,« rief sie aus, »es wäre ja Alles nicht geschehen! All' das Elend wäre nicht herein gebrochen über mich, ich wäre ja still und fleißig geblieben an seiner Seite und hätte mich vor Niemand zu scheuen, Niemand hätte sich meiner zu schämen gebraucht!«
Die Tage, in denen sie nach dem Tode ihres Vaters einsam und arbeitsam gelebt, das kleine friedliche Stübchen, das sie bewohnt, die Freundlichkeit ihrer alten Nachbarin, die Theilnahme, die ihr dieselbe bewiesen, traten ihr lebhaft in das Gedächtniß, und schienen ihr sehr genußreich, wenn sie sie mit ihrer jetzigen Lage verglich. Eine tiefe Sehnsucht nach Ruhe, nach innerer Ruhe bemächtigte sich ihrer. All' die Stunden, welche sie in Qualen der Eifersucht verlebt, wenn Erich bei der Frau von Werdeck verweilte, all die Tage, in denen sein Mißmuth sie gedrückt, seine wachsende Reizbarkeit sie gemartert, standen als ein Bild der Angst und Unruhe vor ihrer Seele, selbst die Erinnerung an jene Ergüsse der Liebe, zu denen er sich dann oftmals wieder hingerissen zeigte, trugen nur dazu bei, jenes Gefühl der ängstigenden Unruhe in ihr zu steigern und ihr Verlangen nach anderen Zuständen zu erregen.
»Ausruhen! nur einmal ausruhen!« seufzte sie. »Nur allein sein, nur nicht mehr die Nothwendigkeit haben zu gefallen, um geliebt zu werden; denn was ist die Liebe, die man täglich neu erobern, täglich neu erkaufen muß? Was kann sie Erich, was kann ich ihm noch sein, neben der Stimme seines Vaters, der ihn, ruft, der ihn die letzte Hoffnung seines Lebens nennt? Mußte er nicht dahin kommen, mich als die Quelle aller seiner Leiden anzusehen? Mußte er nicht dahin kommen, die Stunde zu verwünschen, die uns zu einander führte?«
Der ganze Abend verging ihr in diesem Schmerz. Es war spät, als Erich nach Hause kam. Sein verdüstertes Aussehen war nicht gemacht sie zu ermuthigen. Er hatte die Fremdenlisten nachgesehen, die Postregister durchforschen lassen, in keinem derselben war der Name seiner Schwester zu finden gewesen. Kein Bekannter seiner Familie war, nach den Posttabellen, an dem von seinem Vater bezeichneten Tage auf dem Course gefahren, so daß man hätte Auskunft von ihm fordern können, ob Cornelie vielleicht früher die Post verlassen und von einem Zwischenorte die Reise auf einer andern Straße fortgesetzt habe. Auch die folgenden Tage vergingen in gleicher unfruchtbarer Mühe. Eine vorsichtige Bitte, ihren Aufenthalt zu nennen, die ihr allein verständlich sein konnte, und die Erich mit dem Gefühle bitterer Kränkung der Zeitung übergab, blieb unbeantwortet. Es war bald zweifellos, sie hatte gewünscht sich ihrem Vater gänzlich zu entziehen, und es war ihr gelungen.
Erich war wie umgewandelt seit Corneliens Flucht. Sein Mißmuth und seine Reizbarkeit waren verschwunden vor dem Kummer, der ihn belastete. Wirkliches, tiefes Seelenleiden hat etwas Erhebendes, denn es trägt gute Naturen über alles Kleinliche fort. Er war gleichmäßig freundlich gegen Regine, aber diese Freundlichkeit trug das Gepräge tiefer Trauer. Oftmals kam er auf ihre erste Jugend, auf die Zeit ihrer beginnenden Leidenschaft zurück, und häufig wollte es Regine bedünken, als verlasse er sie dann nur darum so plötzlich, um ihr seine Rührung zu verbergen. Er erhielt mehr Briefe als gewöhnlich aus der Heimath, schrieb auch noch öfter als zuvor, und oftmals hörte Regine ihn seufzen, wenn er sie empfing oder absendete.
So ging der Sommer zu Ende, der Herbst brach an und die Abende wurden länger. Erich blieb viel zu Hause, es lag etwas Gebrochenes in seinem Wesen, seine Phantasie war meist mit düsteren Vorstellungen beschäftigt, so daß Regine ernstlich für seine Gesundheit fürchtete.
Unfähig, ihn zu erheitern, sah sie ihn eines Abends an ihrer Seite sitzen. Er hatte das Buch, das er gelesen, fortgelegt, den Kopf auf den Arm gestützt, und starrte gedankenvoll vor sich nieder. Regine betrachtete ihn lange, ein Entschluß schien in ihrer Seele zu ringen. Mehrmals legte sie ihr Nähzeug fort, als rüste sie sich zu einer Unterredung, und immer nahm sie es wieder nur um so emsiger auf, als wolle sie die Gedanken, die sie quälten, durch die Arbeit verscheuchen. Endlich drückte sie die linke Hand fest gegen die Augen, wie es ihre Weise bei heftiger Gemüthsbewegung war, und sagte leise: »Erich! ich sehe ja, wie unglücklich Du bist, warum sagst Du mir es nicht?«
Er fuhr aus seinem Träumen empor, blickte sie an und fiel ihr mit beiden Armen um den Hals. Sie drückte ihn an sich, sie fühlte seine heißen Thränen auf ihren Nacken herniederfließen – sie dachte nur an ihn.
»Sieh!« sagte sie, »Einer von uns muß doch den Muth haben, auszusprechen, was auf uns lastet! – Du möchtest mich verlassen!«
»Regine!« rief Erich im bittern Schmerz, »nicht diesen Ton der kalten Ueberlegenheit, Du fährst mit scharfem Stahl in meine brennenden Wunden!«
»Kalte Ueberlegenheit?« wiederholte sie. »Kalte Ueberlegenheit nennst Du die Einsicht, die ich mir so schwer errungen habe? das Opfer, das zu bringen mir, Gott weiß es, wie schwer werden wird!«
Er hatte ihre Hände ergriffen, sie umfaßte ihn und küßte ihn sanft. »Du hast mich in der letzten Zeit oft an die ersten Tage unserer Liebe erinnert, ich selbst habe sie mir immer und immer wieder in all ihrer Schönheit vorgestellt, wenn wir jetzt so traurig bei einander gewesen sind, und dieses Rückblicken hat mich einsehen lehren, was ich für Dich zu thun habe.«
»Was Du für mich zu thun hast?« fragte er, »Du für mich? Du, der ich eine Zukunft schulde? Ach, das ist es ja! das ist ja die folternde Reue, die mir nicht Ruhe lassen wird, so lang ich lebe, daß ich Dir, Dir, die das so tausendfach verdient, keine Zukunft zu geben habe; denn was ich Dir auch bieten könnte, Deiner Liebe gegenüber bleib' ich ein – –«
Sie ließ ihn nicht enden, und hob ängstlich die Hand empor, als wolle sie ihn warnen, das Wort auszusprechen, das auf seinen Lippen schwebte. »Still! still!« sagte sie, »höre mich Erich! ich allein kann handeln, ich allein kann helfen! und ich werde es thun.«
»Du?« rief er.
»Du kannst mich nicht verlassen,« sprach sie schnell, »es würde für immer, für ewig einen giftigen Stachel zurücklassen in Deiner und in meiner Brust. Du wirst, Du sollst das auch nicht thun! Hörst Du, Du sollst das nicht!«
Ihr Gesicht flammte, ihr Busen hob sich, sie stand auf, als müsse sie Athem holen, um weiter zu sprechen. Erich betrachtete sie voll staunender Bewunderung, er hätte sprechen mögen, aber er verstummte unter ihrem Blick. So vergingen ein paar Sekunden, dann setzte sie sich wieder zu ihm. »Ich weiß es,« sagte sie, »Du möchtest Deinem Vater Freude machen, Du möchtest – –« sie stockte – »Du möchtest Dich verheirathen – und Du hast auch schon gewählt – ich allein hindere Dich.«
Ihre Stimme brach, aber sie bemeisterte sich schnell, und mit einem Tone, den sie scherzhaft machen wollte, der aber in seiner tiefen Wahrheit Erich's Herz durchdrang, sprach sie: »Ich kam zu Dir mit meiner Liebe, ohne daß Du sie gefordert hast – aus Liebe muß ich von Dir gehen, ohne daß Du mich gehen heißest!«
»Regine!« rief Erich und sank vor ihr nieder, ihre Kniee mit seinen Küssen bedeckend, »Regine! muß ich Dich in Deiner ganzen wundervollen Schöne erst in der Stunde sehen lernen, da Du Dich von mir wenden, da Du Dich von mir trennen willst?«
»Schmerzt es Dich, daß Du die Einsicht gewinnst, ich wäre Deiner werth, ich wäre nicht unwürdig gewesen, den Namen zu führen, auf den Dein Vater so viel Gewicht legt, daß er ihm all die Seinen opfert? – Und wie heilig hätte ich den Namen halten wollen, den ich liebe, weil Du ihn trägst!«
Sie weinte still, auch Erich's Thränen flossen wieder. »Wüßtest Du, wie ich Dich liebe,« sagte er, »wüßtest Du, wie seit langer Zeit das Bewußtsein mich vernichtet, daß ich Dich aufgeben muß – denn ich muß es, ich muß es, und wenn es mir auch das Herz zerbricht!«
Sie sah ihn an, ein Lächeln des Mitleids, des Zweifels glitt kaum merklich über ihre Züge. Erich bemerkte es. »Ich kann Dich meinem Vater nicht zur Tochter geben, ich kann ihn, den Schmerzgebeugten, nicht verlassen, wie die Anderen es gethan. Ich liebe ihn; ich kann es nicht!« rief er, ihrem Zweifel begegnend. »Du kennst die Nächte nicht, die ich durchwacht in dem Gedanken an diese Trennung, die Todespein nicht, mit der ich Dich dann vor meinen Augen sah, zusammengebrochen unter ihrer Last! Was habe ich nicht Alles ersonnen, Dir zu helfen, für Dich zu sorgen, Deine Zukunft angenehm zu machen, und Alles schien mir Deiner doch nicht werth; Nichts schien mir genug für das, was ich Dir schulde!«
Der sanfte Ausdruck ihrer Züge schwand, je länger er sprach, ein strenger Ernst trat an ihre Stelle, sie hörte ihm zu. ohne ihm zu antworten, Beide versanken in Schweigen, die Unterredung kam zu keinem Abschluß. Die Nothwendigkeit ihrer Trennung hatten sie Beide anerkannt, ohne einen Zeitpunkt für dieselbe festzusetzen, und ängstlich beklommen, wie vor der Nähe eines sichern Todes, gingen ihnen die folgenden Wochen hin.