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Zehntes Kapitel.

Friedrich's Dasein floß, während so viele neue Gestaltungen sich in dem Leben seiner nächsten Umgangsgenossen bildeten, in ruhiger Gleichmäßigkeit dahin.

Er hatte seine Jugendliebe nicht vergessen, aber die Erinnerung an Helene rein und ungetrübt zu wahren, hatte er seit lange es vermieden, nach dem Ergehen der Gräfin St. Brezan zu fragen, denn was er von Georg darüber vernommen hatte, war Gift gewesen für die Ruhe und den Frieden seines Herzens. Er beklagte sie und sich, und dünkte sich doch beneidenswerth in seiner Entsagung, wenn er sich mit der Sehnsucht nach Glück verglich, von der die Gräfin umhergetrieben, weder Ruhe noch Befriedigung zu finden vermochte. Oftmals war es ihm gewesen, als müsse er ihr schreiben, und versuchen mit der Erinnerung an ihre Jugendliebe den bösen Zauber zu brechen, von dem sie sich befangen lassen. Allein er hatte dann immer gefühlt, daß zwischen ihrer Welt und seiner die todten Schriftzeichen keine verbindende Brücke bilden könnten, und sich beschieden, sein Leben so rein und einfach zu erhalten wie bisher, um Helenen, wenn sie seiner noch gedächte, wenigstens den Trost zu bereiten, daß sie sich in dem Gegenstande ihrer ersten Liebe nicht betrogen, daß sie keinen Unwürdigen geliebt habe.

Auch seine Verbindung mit der Gemeinde der Heiligen war nicht von langer Dauer gewesen. Der schlichte Sinn, den er aus seinem Vaterhause mitgebracht, hatte sich in die überreizten Seelenzustände nicht zu schicken gewußt, in denen die Freunde sich bewegten. Die häufigen brünstigen Gebete, die maßlosen Verzückungen, welche jenen ersten Anfängen gefolgt waren, deren Zeuge er gewesen, hatten seiner gemessenen Natur widerstanden. Er konnte sie bald nicht mehr als Wahrheit in sich erkennen, sich des Gedankens nicht erwehren, daß auch die Anderen sie nur durch eine Ueberspannung ihres natürlichen Empfindens in sich erzeugten, die sie fortdauernd steigern mußten, wollten sie sich in der Höhe der Begeisterung erhalten, an die sie sich gewöhnt hatten. Es entging ihm nicht, daß Plessen's Kraft daran erlahmte, daß er matter und abgespannter zu werden begann, als er ihn je zuvor gekannt hatte, und oft wollte es Friedrich bedünken, als ob andere Empfindungen, als die einer gemeinsamen brüderlichen Erhebung zum Gebete, die leidenschaftlichen Extasen des Predigers und der Gräfin begünstigten. Es kamen sogar Stunden, in denen Plessen ähnliche Gedanken zu hegen und sich mit sichtlicher Theilnahme Friedrichs theologischen und historischen Forschungen zuzuwenden schien, bis die Angst, solch Forschen könne ihn im Glauben stören, ihn wieder freiwillig darauf verzichten machte.

Aber grade diese Zaghaftigkeit des streng gläubigen Edelmannes wirkte ermuthigend auf Friedrich ein. Es dünkte ihn, je männlicher er geworden war, um so unwürdiger, vor einem gefürchteten Gegenstande das Auge zu schließen und sich blind zu machen aus Scheu vor einem grellen Lichte. Seine Einsicht hatte begonnen über sein Gefühl zu herrschen, er konnte keine Befriedigung mehr finden in einem Glauben, der die Prüfung des Verstandes nicht ertrug, und sein religiöses Bedürfniß zwang ihn zu weiterem Forschen, durch das er sich aber noch immer die Möglichkeit des Glaubens zu erhalten hoffte.

Seine Beschäftigung mit den französischen Socialisten trieb ihn daneben in neue Bereiche des Denkens, und trug allmählich dazu bei, ihn den Ansichten der Gemeinde noch mehr zu entfremden. Denn kannte er einerseits die Bedeutung der Standesunterschiede und der Glücksgaben im wirklichen Leben durch seine Erfahrung zu genau, um jene Lehren von einer allgemeinen Gleichheit der Stände und von der Verachtung weltlichen Guts, wie der Prediger und die Gräfin sie verkündeten, haltbar zu glauben, so lehrten ihn anderseits seine Studien, daß innerhalb der alten Verhältnisse der Gesellschaft und des Besitzes eine befriedigende Ordnung und Lösung der Uebelstände schwer zu hoffen sei; und grade in dieser Hinsicht war sein Verhältniß zur Gemeinde ihm förderlich geworden.

Der weite Blick, welchen die Armenpflege ihm in die Zustände und Bedürfnisse der arbeitenden Klassen eröffnet, hatte ihn erst die richtige Benutzung seiner eigenen Erlebnisse gelehrt. Was er in seiner Jugend an sich selbst von Noth und Entbehrung erfahren, hatte ihn zu ausschließlich hingenommen. Es war durch manche persönliche Einzelheiten bedingt worden, die, wie der Charakter seines Vaters, eine nicht gewöhnliche Ausnahme machten, und sich deshalb schwer als allgemeiner Maßstab brauchen ließen. Jetzt erst, nach mehrjährigem Walten und Lehren in und an den Armenanstalten, war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß es fast immer unmöglich sei, vorhandener Noth zu steuern, verarmten Familien dauernd emporzuhelfen, und daß es also allein darauf ankomme, das Versinken in Noth und Elend zu verhindern. Ueber die Art, in welcher das durchgehend geschehen könne, fand er jedoch nirgend einen befriedigenden Aufschluß.

Der Doctor hatte ihm gerathen, als er die Zweifel und Bedenken kennen lernte, in denen Friedrich sich bewegte, die theologischen Studien für eine Weile ganz aufzugeben, staatsökonomische Werke zu lesen und sich jetzt einmal ausschließlich mit dieser Wissenschaft zu beschäftigen. Dadurch ward Friedrich auf die englische Literatur, auf die Erlernung der englischen Sprache hingewiesen, und Richard sein und des Lieutenants Lehrer, denn auch Georg verfolgte ähnliche Zwecke.

Seit der Entfernung Larssen's hatte sich eine große Veränderung mit dem Lieutenant zugetragen. Er hatte sein auffahrendes Wesen unterdrückt, war besonnener geworden, aus Scheu sich in Verlegenheiten zu verwickeln, aus denen die Machtvollkommenheit seines Vaters ihn wieder ohne sein eigenes Begehren retten konnte, und auf diesen, gegen äußere Einwirkungen so trotzigen Charakter hatten die Vollendung seines vier und zwanzigsten Lebensjahres und die damit erlangte Großjährigkeit eine nachhaltige Wirkung ausgeübt. Die bloße Vorstellung, jetzt eine größere Freiheit gewonnen zu haben, hatte ihn mäßiger und geduldiger gemacht. Er schien den Gedanken aufgegeben zu haben, durch Hülfe seines Vaters oder seines Bruders eine Aenderung seiner Lage zu bewirken, und obschon seine Abneigung gegen den Dienst nicht verringert, sondern noch gestiegen war, erfüllte er seine militairischen Pflichten mit pünktlicher Strenge.

Von dem Umgange mit seinen Kameraden hatte er sich nach jenem Maskenballe fast gänzlich losgesagt. Er war viel zu Hause, woran sein Verhältniß zu Auguste mehr Antheil hatte, als er sich selbst gestand. Obgleich er sie eigentlich nicht liebte, hatte er sich an ihre Nähe gewöhnt, und die Vertraulichkeit naher Verwandten, durch Augustens unverhohlene Leidenschaft für ihn, eine Zärtlichkeit gewonnen, in der Georg sich gehen ließ, ohne zu berechnen welche Hoffnungen das Mädchen darauf bauen könne. Sein Verkehr mit Männern beschränkte sich fast ausschließlich auf Friedrich und den Doctor, für deren verschiedene Forschungen und Bestrebungen er immer größere Theilnahme gewann. Weil er oft darüber geklagt, daß seine Berufsthätigkeit eine ganz mechanische sei, hatte der Doctor ihm den Vorschlag gemacht, sich in den Militairschulen als Lehrer der Soldaten und Unteroffiziere verwenden zu lassen, wozu ihm einst auch Erich, wenn schon aus anderen Gründen als der Doctor, zugeredet hatte.

Dieses Lehramt sagte dem Lieutenant zu, und ward ihm für seine eigene Bildung nützlich, weil es ihm daran liegen mußte, seinen Schülern keine Blöße zu zeigen und ihre Achtung zu gewinnen. Da er es suchte, kam er bei dem Unterrichten dem Soldaten persönlich näher. Er lernte durch ihn die Theile des Volkes kennen, mit denen Friedrich bei seiner Thätigkeit für die Gemeinde, der Doctor in seinem ärztlichen Berufe vertraut geworden waren, und wie diesen Beiden leuchtete es ihm ein, daß eine Umgestaltung der socialen Zustände nöthig, daß eine solche nur dann zu bewirken sei, wenn mit der Bildung des Volkes die stumpfsinnig brütende Unzufriedenheit desselben, sich in ein vernünftiges Streben nach besseren Zuständen verwandelt haben würde.

Darin stimmten die Freunde überein, nur über die Art, in welcher eine geistige Erhebung der Massen zu bewerkstelligen sei, konnten sie sich nicht verständigen. Friedrich hielt immer noch den Glauben fest, durch die Grundlehren des Christenthums, überhaupt durch religiöse Erziehung zu wirken. Georg, der die Vortheile der Organisation und Disciplin im Dienste schätzen lernen, ersehnte eine neue organisirende Gesetzgebung, und der Doctor wollte weder von Religion noch von befohlener allgemeiner Organisation Etwas wissen, sondern wünschte lediglich die Schranken fortzuräumen, welche dem Einzelnen die Erlangung der nöthigen Bildung und Einsicht erschwerten, und die Freiheit seines Handelns hinderten. Friedrich und Georg neigten sich auf solche Weise zu den theokratisch organisirenden Systemen der französischen Socialisten, die der Doctor als neue Fesseln des freien Willens verwarf, und von deren beschränkenden Gesetzen er sie auf die Freiheit Nordamerikas verwies, die er allein einem reifen männlichen Geiste für angemessen erklärte.

Schon seit längerer Zeit waren in Deutschland ab und zu einzelne Broschüren erschienen, in denen mit einer bis dahin ungekannten Einfachheit und Klarheit über die deutschen politischen Zustände und über Staatsverfassungen gesprochen wurde. Der Verfasser hatte sich nicht genannt, aber man war bald genug dahin gekommen, ihn in der Person des Doctors zu entdecken. Die Schriften waren schnell beseitigt, der Doctor zur Untersuchung gezogen worden, und grade in diesem Augenblicke schwebte eine solche über seinem Haupte, für deren Ausgang seine Freunde Besorgniß hegten. Man nahm in der Stadt für und wider ihn Partei, die Beamten, besonders das Militair, machten eine Ehrensache daraus, ihre Anhänglichkeit an die bestehende Ordnung durch blindes Verdammen der Schriften zu bethätigen, und den Doctor aller Orten zu vermeiden, ja selbst zu verletzen, seit der freisinnige Theil der Einwohner ihn auch als Politiker mehr und mehr zu hochachten begann.

Auguste, welche nach wie vor alle Menschen und alle Dinge nur nach dem Zusammenhange schätzte, in dem sie mit dem Geliebten standen, war immer eifersüchtig auf die Freundschaft gewesen, welche dieser für den Doctor fühlte. Sie hatte obenein die Besorgniß gehegt, daß dieselbe ihn in seinen Dienstverhältnissen benachtheiligen könne, auf deren günstige Gestaltung sie ihre Zukunftspläne baute. Aber ihre Warnungen hatten das Gegentheil von demjenigen bewirkt, was sie zu erreichen gewünscht. Je eifriger sie gewesen war, dem Lieutenant alle ihr zugetragenen mißbilligenden Urtheile seiner Cameraden über seinen Umgang mit dem Doctor zu berichten, um so entschiedener hatte er ihn öffentlich darzuthun gestrebt. Selbst ihre Versuche durch den Baron auf Georg einzuwirken waren gescheitert, denn der Vater schrieb die vortheilhafte Veränderung im Wesen seines Sohnes, welche Auguste als ein Werk ihrer Liebe betrachtete, dem Doctor zu, dessen er sich auch für Corneliens Bekehrung noch benöthigt fühlte.

So mit ihren Wünschen, Hoffnungen und Befürchtungen auf sich selbst gewiesen, stand Auguste an einem Sonntage auf dem Balcon des Hauses, die Rückkehr des Lieutenants von der Parade zu erwarten, als sie ihn früher denn gewöhnlich, die Straße herauf kommen sah. Aber sein bloßer Anblick machte sie erschrecken.

Ohne die Vorübergehenden zu beachten, von denen einige ihn grüßten, ohne aufzuschauen, ging er todtenblaß, die Augen in die Ferne gerichtet, mit einer Schnelligkeit vorwärts, die sie auf den Gedanken brachte, er sei unwohl geworden und eile das Vaterhaus zu erreichen. In angstvoller Hast lief sie die Treppe hinunter und ihm bis an die Thüre entgegen.

»Was ist Dir?« fragte sie den Eilenden.

Er antwortete ihr nicht, schien sie kaum zu bemerken, schritt durch den Flur und ging die Treppe hinauf nach dem Zimmer seines Vaters.

»Der Vater ist nicht zu Hause!« rief sie ihm nach.

»Ich werde ihn erwarten!« antwortete Georg und setzte sich nieder. Augustens Angst stieg von Minute zu Minute. So hatte sie den Geliebten nie gesehen. Es lag etwas Starres, Versteinertes in seinem Wesen, das furchtbarer war, als die Ausbrüche der heftigsten Leidenschaft. »Was ist denn geschehen?« wiederholte sie und legte ihren Arm um den Nacken des Sitzenden.

»Was geschehen ist?« sprach er ihr tonlos nach, »eine Kleinigkeit! – – Ich bin entehrt.«

Er sprang bei diesen Worten auf, warf den Degen von sich, der klirrend zu Boden fiel, riß die Schärpe ab, und schleuderte sie hohnlachend mit einem Fußstoß in die Ecke, während er düster im Zimmer umherging.

Auguste näherte sich ihm, er beachtete es nicht. Sie wollte sich an seinen Arm hängen, er stieß sie mit Ungeduld zurück. »Ich bitte Dich, laß mich! ich habe an mir selbst genug!« rief er aus.

Sie wußte sich, sie wußte ihm nicht zu helfen. Rathlos hob sie die fortgeschleuderte Schärpe und den Degen von der Erde auf, legte sie neben den Federhut des Lieutenants und glättete die zerdrückten Handschuhe mit jener mechanischen Gewohnheit der Ordnung, die dem Menschen übrig bleibt, wenn alle seine Vorstellungen sich verwirren.

In diesem Augenblick trat der Baron in's Zimmer, und sogleich wendete der Lieutenant sich zu ihm:

»Hast Du Zeit, mich zu hören, Vater?« fragte er.

»Ja!« antwortete Jener, und erschrocken, wie vorhin Auguste, vor dem Ausdruck seines Sohnes, fügte er hinzu: »Was hast Du gethan?«

»Nichts!« entgegnete er. »Aber setze Dich, ich bitte! ich will mich auch setzen, die Sache ist sehr einfach!« Dabei hörte man, wie seine Brust nach Athem rang, weil der Zorn ihn zu ersticken drohte.

»Ich habe eine neue Diensterfahrung gemacht!« hob er an, hielt inne, schöpfte nochmals Athem und fuhr dann fort:

»Die Parade war vorüber, der Stab und die Offiziere wollten sich bereits entfernen, da wurden wir zu bleiben commandirt.« – Er unterbrach seine Rede, stand auf, wollte wieder auf und niedergehen, zwang sich aber zur Ruhe und blieb stehen, die Hand auf die Lehne des Stuhles gestützt.

»Als wir Alle beisammen waren, rief der Commandirende meinen Namen. – Ich trat hervor, arglos, sorglos. Wie sollt ich anders?« – ›Herr Lieutenant von Heidenbruck,‹ sagte er, ›Sie wissen, daß der rechte Geist in der Armee die Hauptsache ist und daß unmilitairische Gesinnung nicht geduldet werden darf. Man hat es seit lange mit Unzufriedenheit gesehen, daß Sie es mit Ihrem Umgang nicht genau, nehmen, wie der Offizier es muß. Sie verkehren mit Menschen, deren Gesinnung mehr als verdächtig ist, und durch die Ihre eigene Gesinnung zweifelhaft wird. Sie werden also Ihres Lehramtes an der Schule hiermit überhoben, und ich gebe Ihnen auf, Ihren Verkehr mit Menschen von verdächtiger Gesinnung abzubrechen.‹«

Georg hielt inne, da seine Gesichtsmuskeln und Hände zitterten unter der Anstrengung, mit der er sich gezwungen hatte, das Ereigniß ruhig zu berichten. Der Baron selbst war bleich geworden. Auguste weinte.

»Und weiter?« fragte der Vater gespannt und besorgt zugleich.

»Nun!« rief der Sohn mit auflodernder Heftigkeit. »Das ganze Corps starrte mich an! – tadelnd, mitleidend! – sie starrten mich an! Und er zögerte mit der Ordre des Auseinandergehens. Er blieb mit Wollust in dem Kreise, sich an der Erniedrigung eines Menschen zu weiden.«

Georg riß seinen Rock auf, schlug ihn über die auf den Rücken gehaltenen Hände, ging einmal das Zimmer entlang und kehrte dann wieder zu dem Vater zurück.

»Ich stand da,« sagte er mit demselben Zorne, »in meines Nichts durchbohrendem Gefühl. Ich stand da und wurde angegriffen in dem Heiligsten des Menschen, in dem Rechte meines freien Willens, in meinem Privatleben. Ich stand da und mußte schweigen, denn noch band mich jener Dienst, der die Menschen zu Maschinen machen muß, um sie für seine Zwecke zu verwenden – aber – –«

Der Baron ließ ihn nicht enden. »Der Vorfall ist sehr unangenehm!« sagte er. »Ich billige das Verhalten des Generals in diesem Falle nicht! Er mußte Dir solche Ausstellung privatim machen und es wird Dir Nichts übrig bleiben, als – –«

»Als noch heute meine Entlassung einzureichen!« fiel ihm der Lieutenant in's Wort. – »Das eben wollte ich, Vater! und das hatte ich Dir zu sagen.«

Der Baron sah ihn verwundert an. »Deine Entlassung einreichen? den Dienst verlassen?« sprach er. »Wirst Du denn niemals ruhig werden, lieber Sohn? Was hat der Dienst, was hat der Beruf eines Mannes zu schaffen mit der Tactlosigkeit eines Vorgesetzten?« – Er schüttelte leise mißbilligend das Haupt und sagte nach einer kurzen Pause: »Ich rathe Dir um Deine Versetzung einzukommen. Damit gehst Du dem General aus dem Wege, zu welchem Dein Verhältniß in Zukunft allerdings peinlich sein würde, und vermeidest zugleich den Doctor, ohne ihn zu verletzen. Es ist ein mißlich Ding für einen Offizier, die Ansichten unseres Freundes gelten zu lassen. Wir hätten das bedenken sollen – ich mache Dich nicht allein dafür verantwortlich.«

Er sprach diese letzten Worte mit einer Bewegung, wie der Sohn sie niemals an dem Vater gehört hatte. Es war etwas Gebrochenes in dem Wesen des Barons. Er war nicht mehr der kräftige, willensstarke Mann, vor dessen Starrheit Georg stets seinen Muth sinken gefühlt hatte. Er war ein Greis geworden, seit er das unbedingte Vertrauen zu sich selbst verloren. Der Sohn bemerkte es mit schmerzlichem Erstaunen, er hatte grade deshalb nachgeben mögen, aber er konnte es nicht.

»Ich muß den Dienst verlassen, Vater!« sagte er fest.

»Ohne meine Zustimmung, Georg?«

»Wo meine Ehre in das Spiel kommt, darf ich, nur der eigenen Zustimmung folgen, muß ich mir selbst genügen.« Der Baron schwieg. Man konnte ihm ansehen, wie schwer diese Worte ihn getroffen hatten.

»Es wird das erste Mal sein,« sprach er nach einer Weile, »daß ein Heidenbruck in solcher Weise den Dienst seines Königs verläßt! Ueberlege was Du Dir, was Du uns Allen damit anthust!«

»Ich habe keine Wahl!«

Der Baron zuckte die Schultern. Sie schwiegen Beide. Endlich sagte der Vater: »Thue, was Du vor Dir vertreten kannst. Du bist ja mündig.« Aber der Ton, mit dem er diese Worte sagte, schnitt dem Sohn tiefer in's Herz, als der härteste Tadel.

Er ging auf den Vater zu, legte den einen Arm um seinen Hals, ergriff mit der Rechten des Vaters Hand, und sprach: »Ich wollte, ich könnte Dir's ersparen, lieber Vater!«

»Das glaube ich Dir!« antwortete derselbe, »ich habe aber kein Glück mit meinen Kindern!«

Damit ging er hinaus. Georg sah ihm schweigend nach, trat dann an das Fenster und blieb, die Stirne gegen die Scheiben gedrückt, gedankenvoll und traurig stehen.

Als er sich endlich umwendete, saß Auguste noch regungslos auf derselben Stelle.

»Was brütest Du so?« sagte er heftig.

Augustens Thränen antworteten ihm statt ihrer Worte.

»Es ist eine unerträgliche Gewohnheit dieses Weinen!« fuhr er auf. »Ihr Weiber seid nur im Glücke etwas werth! – Wenn man Trost brauchte, muß man Euch trösten! Weine nicht! – Worüber weinst Du eigentlich?«

»Ueber unser Schicksal,« antwortete sie, »und über Deine Härte!«

Er gab ihr die Hand, sie fiel ihm um den Hals. Es war ihm unangenehm, aber er hatte nicht den Muth, ihre Zärtlichkeit, die er lange in egoistischem Leichtsinn hervorgerufen und genossen hatte, von sich abzuweisen, obschon er sein Verhältniß zu ihr in diesem Augenblicke schwer bereute.

Er dachte an den Brief, in dem er seine Entlassung fordern wollte, an seine Zukunft, an des Vaters letzte Worte. Die Liebe eines Mädchenherzens kam ihm gering daneben vor, er hatte kein Mitgefühl dafür. Eine Liebe aber, welche der Mann nicht theilt, belästigt ihn immer. Nur mit sich selbst beschäftigt, nur bestrebt, sich vor irgend einer Erörterung sicher zu stellen und von Auguste fortzukommen, küßte er sie schnell, wie man einem Bettler ein Almosen hinwirft, den man loszuwerden wünscht, und ging hinaus.

Weil die Mehrzahl der Frauen keine Gelegenheit hat, den männlichen Charakter kennen zu lernen, wird es ihnen so leicht, sich in absichtliche Täuschungen zu wiegen, sobald diese ihren Wünschen entsprechen. Weit davon entfernt sich einzugestehen, daß Georg sie nicht liebe, was sie im Grunde ihres Herzens wohl empfand, legte Auguste sich sein Verhalten gegen sie nach ihren eigenen Planen aus. Sie fühlte, er habe in dieser Stunde mit keinem Gedanken an sie, an eine Verbindung mit ihr gedacht, aber sie nannte es ehrenhaft und seiner würdig, daß er das Leben eines Weibes nicht an sich fesseln wolle, so lange seine eigene Zukunft nicht gesichert sei, und diese festgestellt zu sehen, blieb jetzt ihr nächstes Ziel.

So wenig sie Richard liebte oder vertraute, konnte sie es, als er in diesem Augenblicke eintrat, doch nicht unterdrücken, ihm den Vorfall zu erzählen, und ihm ihre Sorge um den Vetter auszusprechen. Indeß weit davon entfernt, ihre Besorgnisse zu theilen, leuchteten seine Augen, als vernehme er die erwünschteste Botschaft.

»Das ist ein wahres Glück!« rief er, eilte zur Thüre hinaus und auf des Lieutenants Stube.

Georg schrieb sein Entlassungsgesuch, als Richard mit den Worten: »Glück auf, und vorwärts!« in seinem Zimmer erschien.

»Du weißt also schon?« –

»Daß Du frei bist? – ja!«

»Was sagst Du dazu?«

»Ich mußte über Auguste lachen, die umhertrippelt wie ein Huhn, das Enten ausgebrütet hat und sie auf's Wasser gehen sieht.«

»Sei kein Thor, Richard!« unterbrach ihn der Lieutenant, »laß das Scherzen, mir steht der Sinn nicht dazu und Auguste thut mir leid.«

»Mir auch!« entgegnete der junge Engländer, »aber ich freue mich doch, daß ich sie und nicht Dich zu beklagen habe.«

Der Lieutenant sah ernsthaft vor sich nieder, dann meinte er: »Ich habe mir diesen Augenblick so oft vorgestellt, ihn auf eine oder die andere Weise als unausbleiblich berechnen können, habe beständig an die Gestaltung meiner Zukunft gedacht, für den Fall, daß ich den Dienst verlassen würde, und nun es geschehen ist, empfinde ich doch eine Leere in meinem Innern, habe ich doch ein Gefühl von Fremdheit in der Welt. Es ist wunderbar, wie der Mensch mit seinem Berufe verwächst, auch wenn er ihn nicht liebt.«

Richard schwieg ein Weile. Er kämpfte mit einer Verlegenheit, die ihm das Blut in die Wangen trieb. Endlich schien er sie mit Gewalt zu überwinden und sagte: »Auch ich habe sehr oft an diesen Fall und an Deine Zukunft gedacht, aber ich habe Dir meine Plane für Dich nie sagen mögen. Ich bin so viel jünger als Du und ich fürchtete, Du würdest mich selbstsüchtig glauben« – – Er unterbrach sich, reichte dem Lieutenant die Hand und rief: »Ich meine es aber gut!« Seine Verlegenheit war dabei wieder gewachsen, so daß Georg, der ihn in derselben kaum wieder erkannte, ihn bat, sich zu erklären.

»Ich gehe in acht Wochen von hier fort, das weißt Du, und für's Erste in mein Geschäft nach London. Gehe mit mir!« sagte der Jüngling schnell.

Der Lieutenant war überrascht. Richard hatte jedoch nun Muth gefaßt und fuhr ruhiger fort: »Ich habe mir das oftmals überlegt, wenn mir die nahe Trennung von Dir schwer auf das Herz fiel. Lerne mit mir zusammen das Geschäft, werde Kaufmann wie ich, und wenn ich einmal das Haus in London übernehme, so behalte Du die Commandite in Lissabon!« Froh, seinen Vorschlag gemacht zu haben, blickte er den Lieutenant an, seine Meinung zu erfahren.

Georg war gerührt. »Guter Junge! Daß Du so für mich sorgtest,« rief er. »An diese Laufbahn habe ich freilich nie gedacht!« Und nach einer Pause setzte er hinzu: »meine Verhältnisse verbieten sie mir übrigens von selbst, denn wenn ich die Carrière aufgebe, die mein Vater mir bestimmt hat, muß ich meinem Gefühle zu genügen, mich baldmöglichst unabhängig von ihm machen.«

Da flammten Richard's Augen hell auf und mit leise bewegter Stimme sagte er: »Zeige mir, daß Du mich als Deinen Freund ansiehst. Ich bin reich. Nimm von mir die Mittel zu Deinem Unterhalte an, bis Du eine Stelle in unserm Geschäfte ausfüllst, deren Erwerb Deine Bedürfnisse deckt. In acht Wochen bin ich Herr über ein Vermögen, das den Besitz Deines Vaters doppelt übertrifft – und ich habe keine Geschwister! Sei Du mein Bruder, Georg!«

Damit warf er sich dem Freunde an die Brust, es zu verbergen, wie bewegt er war.

Der Lieutenant drückte ihn fest an's Herz und drückte ihm noch fester die Hand: »Du bist ein Mann geworden und ein ganzer Mensch!« rief er. »Welche Wohlthat bist Du mir nach des Vaters Klagen, nach Augustens ohnmächtigen Thränen!«

»Sieh!« fiel Richard ihm lebhaft ein, »Du entrinnst dann Allem, was Dich drückt. Du kannst reisen, wohin Du magst, nach Amerika, nach Indien – es nützt uns Beiden, wenn Du es thust – und ich behalte Dich doch noch eine Weile! Gehe mit mir, Georg! – Aber ohne Auguste!« fügte er plötzlich lachend hinzu, als der Diener eintrat, zu melden, das gnädige Fräulein lasse die Herren zur Tafel bitten.


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