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Eine charakteristische Erscheinung, die sich zur Zeit der Massakers Abdul Hamids von 1895/96 und während der cilicischen Massakers von 1909 in derselben Weise abgespielt hat, sind die Massenübertritte zum Islam, die selbstverständlich, auch wo sie dafür ausgegeben werden, nicht freiwillig erfolgt sind. Man begegnet vielfältig der Meinung, daß die Zwangskonversionen nicht als »Christenverfolgungen« beurteilt werden können, weil sie ja politische Zwecke haben, in diesem Falle die Turkifizierung der nicht-türkischen Untertanen der Türkei. Man müßte aber ein schlechter Kenner der Kirchengeschichte sein, wenn man annehmen wollte, daß es je Christenverfolgungen gegeben hätte, die nicht politischen Zwecken dienten. Der Mißbrauch der Religion zu politischen Zwecken ist die Wurzel und das Wesen aller Religionsverfolgungen. Darum wird man auch in diesem Falle nicht bestreiten können, daß die Zwangsbekehrungen zum Islam alle Merkmale einer Christenverfolgung tragen.
Unter welchen Umständen gingen die Zwangsbekehrungen vor sich?
Die einzige Möglichkeit, den Deportationen zu entgehen, war in vielen Fällen der Übertritt zum Islam. Da Deportation meist mit Massaker gleichbedeutend war und mindestens die Männer, sobald sie auf den Weg gebracht waren, in den sicheren Tod gingen, die jüngeren Frauen und die Mädchen von 10 Jahren aufwärts darauf rechnen mußten, in türkische Harems und kurdische Dörfer verschleppt zu werden, wo sie selbstverständlich zum Islam übertreten mußten, so lag die Versuchung sehr nahe, dem Tode und der Schande durch den Übertritt zum Islam zu entgehen. Aus allen Wilajets liegen Nachrichten vor, daß die türkischen Behörden selbst diesen Ausweg anboten, und daß in der Regel alle Christen, die sich bereit erklärten, zum Islam überzutreten, von der Deportation und den Massakers verschont blieben. Es wurden aber auch Pressionen ausgeübt, um den Übertritt zum Islam herbeizuführen, sei es durch Aushungerung, sei es durch Bedrohung mit dem Tode. Um den Charakter der Zwangsbekehrung zu verschleiern, wurden vielfältig den Übergetretenen Schriftstücke vorgelegt, in denen sie durch ihre Unterschrift zu bezeugen hatten, daß ihr Übertritt freiwillig erfolgt sei. Nach dem Massaker von Adana im Jahre 1909 war durch den Druck der europäischen Mächte die Regierung gezwungen worden, die Rückkehr der islamisierten Christen anzuordnen und sogar die Zurückhaltung christlicher Kinder in muhammedanischen Häusern unter Strafe zu setzen. Daher hat man sich jetzt bemüht, den Zwangscharakter der Übertritte möglichst zu verschleiern und durch systematische Verheiratung christlicher Mädchen und Frauen an muhammedanische Männer, ja durch zwangsweisen Austausch von Frauen zwischen Christen und Muhammedanern die Rückkehr zum christlichen Bekenntnis im voraus zu hintertreiben. Schändlicherweise wurden auch viele junge armenische Frauen, deren Männer in der türkischen Armee dienten, in deren Abwesenheit gezwungen, sich mit muhammedanischen Männern zu verheiraten. Die muhammedanische Vielweiberei gestattet es, derartige Maßregeln in großem Maßstabe zur Ausführung zu bringen. Die Männer, die zum Islam übertraten, wurden beschnitten und erhielten muhammedanische Namen.
Charakteristische Beispiele, von denen einige schon in unserem Bericht über die Tatsachen erwähnt wurden, mögen das eben Gesagte erläutern.
In Samsun, dem wichtigsten Küstenplatz des Schwarzen Meeres, hat der Mutessarif (Regierungspräsident) die vornehmsten Armenier der Stadt zum Essen eingeladen und sie aufgefordert, zum Islam überzutreten. An dem Tage, an dem der Deportationsbefehl erging, wurde in der Stadt Samsun zwischen dem christlichen und muhammedanischen Stadtvierteln ein Kordon gezogen und durch einen Ausrufer bekannt gemacht, daß, wer den Islam annehme, dableiben könne. Diejenigen, die dazu bereit waren, konnten den Kordon passieren, die übrigen wurden deportiert.
In Mersiwan wurde während der Vorbereitung der Deportation bekannt gemacht, daß, wer den Islam annehme, der Deportation entgehen würde und friedlich zu Haus bleiben dürfe. Die Bureaus der Beamten, die die Gesuche protokollierten, waren dicht gefüllt mit Leuten, die zum Islam übertreten wollten. Sie taten es ihren Frauen und Kindern zuliebe, in der Empfindung, daß es nur eine Frage der Zeit sei, bis ihnen der Rücktritt ermöglicht werden würde.
In Zile versuchte man die Frauen und Kinder, nachdem man ihre Männer getötet, durch Hunger mürbe zu machen. Auf freiem Felde ließ man sie Tage lang ohne Nahrung. Als man bei der Aufforderung, zum Islam überzutreten, dem geschlossenen Widerstand aller Frauen begegnete, erstach man die Mütter mit dem Bajonett vor den Augen ihrer Kinder.
Deutsche Rote Kreuz-Schwestern berichten, daß in Gemerek 30 der hübschesten jungen Frauen und Mädchen gesammelt und vor die Wahl gestellt wurden: »Entweder ihr werdet Moslems oder ihr sterbt!« Auf die Antwort: »Dann sterben wir«, wurde an den Wali in Siwas telegraphiert, der die Weisung gab, diese Mädchen und Frauen, deren viele in amerikanischen Schulen erzogen sind, an Moslems zu verteilen.
Derartige Beispiele liegen aus allen Wilajets vor. Des öfteren wurde der Übertritt einzelner abgelehnt und verlangt, daß sich mindestens hundert gleichzeitig zum Übertritt melden müßten, wenn sie von der Deportation verschont bleiben wollten. Hie und da wurde der Übertritt zwar von den Behörden angenommen, aber die Verschickung erfolgte trotzdem.
Genauere Nachrichten liegen aus den Küstenstädten des Schwarzen Meeres vor.
Verwandte und Freunde von Armeniern der Provinz in Konstantinopel erhielten zur Zeit der Verschickungen aus Trapezunt, Samsun, Unjeh, Ordu, Amasia und anderen Städten Telegramme, die lauteten: »Hak dini kabul etdik. (Wir haben den wahren Glauben angenommen.«) Briefe und Postkarten kamen von der Post zurück mit der Aufforderung, als Adresse statt des früheren christlichen Namens den neuen muhammedanischen Namen zu schreiben. Aus Samsun kamen die folgenden einzelnen Adreßäußerungen:
Mihran Dawidjan heißt Da'ud Zia.
Agob Gjidschian heißt Osman Zureija.
Garabed Kilimedschian heißt Hodi Efendi.
Howsep Dawidjan heißt Zia Tutuoglu.
Aus Unjeh:
Tschakarian & Söhne heißen Schakir-Zadeh-Fehmi we Machdumlar.
Kazarjan heißt Abdul Medschid.
Ein gewisser Tschakirian von Ordu telegraphierte an seinen Bruder: »Ich habe den wahren Glauben angenommen; ich bitte dich, tue das Gleiche. Dein Bruder Mehemed.« Ebenso telegraphierte er an seinen Sohn mit der Unterschrift Schakir-Zadeh.
Als der Kaufmann Harutjun Torikian, ein Protestant, aufgefordert wurde, Muhammedaner zu werden, antwortete er: »Jung habe ich geglaubt, soll ich nun, da ich alt bin, verleugnen? Für diese Stunde habe ich gelebt.« Er wurde abgeführt und getötet. Gleich ihm haben Zehntausende Tod oder Verbannung dem Abfall vom Christentum vorgezogen.
Die Zahl der zwangsweise oder unter dem Druck der Behörden und der Notlage vollzogenen Übertritte wird sich erst nach dem Kriege näher berechnen lassen, wenn aus allen Gebieten der Türkei Informationen eingezogen werden können. Bis jetzt liegen Zahlenangaben nur aus den Küstenstädten des Wilajets Trapezunt vor. So wurden in der Stadt Trapezunt 200, in Kerasunt 160, in Ordu 200, im Samsun 150 Familien islamisiert. In Arabkir soll sich die ganze Bevölkerung durch Übertritt zum Islam der Deportation entzogen haben. Aus dem Wilajet Kharput liegen Nachrichten vor, daß dort die Zahl der Islamisierten besonders groß sein soll. Auch der amerikanische Konsul in Kharput nimmt an, daß alle noch dort verbliebenen Frauen und Kinder gezwungen werden würden, den Islam anzunehmen.
Als zwangsweise islamisiert haben die jungen Frauen, jungen Mädchen und Kinder zu gelten, welche in türkische Harems oder kurdische Dörfer entführt worden sind. Aus allen Berichten, die den Zustand der Karawanen beschreiben, die aus dem Norden nach dem Süden gelangt sind, geht hervor, daß, bis auf die Kinder unter zehn Jahren, alle jungen Mädchen unterwegs verschwunden, und auch die jüngeren Frauen der Mehrzahl nach geraubt worden sind. In den Städten, die passiert wurden, hat man, wie wiederholt berichtet wird, der muhammedanischen Bevölkerung Gelegenheit gegeben, sich die schönsten unter den Mädchen auszusuchen, ja sogar zuvor durch Ärzte auf ihre Tauglichkeit untersuchen zu lassen. Die Kinder wurden teils von den Gendarmen verkauft, teils von den Müttern weggegeben, um ihr Leben zu retten. Die Karawanen der Deportierten waren wandelnde Sklavenmärkte. Viele Frauen und Mädchen haben sich ihrer Schändung durch den Tod entzogen.
Einzelne heroische Fälle werden erzählt, daß Frauen in den Fluß sprangen oder sich das Leben nahmen, um nicht vergewaltigt zu werden oder den Islam annehmen zu müssen. Ein Armenier zündete eigenhändig sein Haus an und verbrannte sich mit seiner Familie, damit sie nicht geschändet oder konvertiert würden.
Einen Einblick in die Art, wie Frauen und Kinder dem Islam zugeführt werden, gibt der Bericht der armenischen Witwe aus Baiburt auf Seite 48-50. Sie begegnete einem Zuge von 50 bis 60 Wagen mit 30 türkischen Offizierswitwen, deren eine sich den Spaß machte, einen beliebigen Armenier mit dem Revolver zu erschießen. Jede dieser türkischen Frauen hatte 5 oder 6 armenische Mädchen von 10 Jahren oder darunter bei sich. Die armenische Witwe konnte ihre Tochter vor dem gleichen Schicksal nur dadurch bewahren, daß sie sich selbst bereit erklärte, mit derselben zum Islam überzutreten. Sie wurde in einen der Wagen aufgenommen, und sogleich änderte man ihre christlichen Namen in muhammedanische um und fing an, sie in den muhammedanischen Gebräuchen zu unterrichten.
Der Druck, der auf die christliche Bevölkerung ausgeübt wurde, um sie zu bewegen, den Islam anzunehmen, kam nirgends vonseiten der muhammedanischen Bevölkerung, ja nicht einmal von muhammedanischen Geistlichen, sondern ausschließlich vonseiten der Regierung. Ebenso sind es die Behörden, die den Versuch machten, die Übertritte zum Islam als freiwillige erscheinen zu lassen. Durch eine vertrauliche Verfügung der kaiserlich-ottomanischen Regierung wurden die Lokalbehörden im Innern angewiesen, die Überreste des armenischen Volkes dazu zu bringen, daß sie einen Revers unterzeichnen, in dem um die besondere Gnade gebeten wird, »zur heiligen Religion des Islam überzutreten«. Alle sich Weigernden sollen abtransportiert werden.
Die Zahl der im Verlauf der Deportationen zum Islam konvertierten armenischen und syrischen Christen wird sich vor dem Ende des Krieges auch nicht annähernd feststellen lassen. Man wird sie als sehr bedeutend annehmen können, da alle geraubten Mädchen, Frauen und Kinder von den Türken ohne weiteres als Moslems behandelt werden.
In den Städten und Dörfern wurden nach Austreibung der Armenier die christlichen Kirchen in Moscheen verwandelt oder für andre Zwecke verwendet. Im Termeh, zwischen Samsun und Unjeh, wurde nach der Verwandlung der Kirche in eine Moschee dem armenischen Priester zum Spott ein Turban umgewickelt. Alsdann mußte er Namas machen (das muhammedanische Gebet) und den muhammedanischen Gottesdienst halten.
In Erzerum wurde auch die katholische Kirche in eine Moschee verwandelt.
In Erzingjan machte man aus der armenisch-gregorianischen Kirche einen öffentlichen Abort. In Hüssni-Manzur wurde die Kirche geplündert und der Kelch in den Abort geworfen. Die Gendarmen zogen sich die Ornate der Priester an und celebrierten unter Blasphemien die Messe. Der Priester wurde ins Gefängnis geworfen und gefoltert.
In Angora wurde der Geburtstag des Sultans dadurch gefeiert, daß 100 (meist katholische) zwangsweise konvertierte Christenknaben beschnitten wurden.
Die vorstehenden Tatsachen werden für diejenigen, welche uns in der letzten Zeit die Toleranz des Islam nicht genug rühmen konnten, eine herbe Enttäuschung sein.