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Eine Verschwörung, noch dazu eine »alle in der Türkei wohnenden Armenier umfassende Verschwörung« läßt sich nicht improvisieren. Sie müßte von irgend einer Seite organisiert sein, die alle Fäden über das ganze Reich hin von der Hauptstadt bis zum Kaukasus und vom Schwarzen Meer bis nach Cilicien und Mesopotamien in der Hand hatte. Das Unternehmen hätte um so sorgfältiger vorbereitet sein müssen, da die Zeit des Krieges ohne Frage der ungünstigste Zeitpunkt für eine armenische Revolution gewesen wäre. Die wehrhafte Mannschaft des Volkes war zur Armee einberufen, der Rest arbeitsfähiger Männer zum Straßen- und Lastträgerdienst ausgehoben. Das Land stand unter Kriegsrecht und die türkische Armee war mobilisiert. Irreguläre Milizen durchstreiften das Land, die muhammedanische Bevölkerung war bewaffnet, die armenische entwaffnet. Sollten die in den Dörfern und Städten zurückgebliebenen Frauen, Kinder, Kranken und Greise und der kleine Rest männlicher Bevölkerung, der sich freigekauft hatte oder als dienstuntauglich zurückgeblieben war, eine Revolution inszenieren? Es wäre der helle Wahnsinn gewesen.
Welches waren die Organisationen, die für die Vorbereitung einer Revolution in Betracht gekommen wären?
Nur zwei kommen in Frage: das Patriarchat und die Daschnakzagan. Die Armenier in der Türkei sind kirchlich und parteipolitisch organisiert. Von einer dieser beiden Seiten müßte die angebliche Revolution geplant gewesen sein.
Die kirchliche Organisation des armenischen »Millets« (Nation) ruht auf alter staatsrechtlicher Grundlage, die seit der Zeit der Eroberung durch die Türken nicht angetastet worden ist. Das Patriarchat vertritt auch in bürgerlicher Beziehung das armenische Volk bei der Pforte. Neben dem Patriarchat steht als Vertretungskörper die armenische Nationalversammlung.
Obwohl die Repräsentanten derselben aus allen Teilen des Reiches gewählt werden, so ist sie doch im wesentlichen nur eine Vertretung der besitzenden Klassen von Konstantinopel. Von ihren 160 Mitgliedern sind ordnungsmäßig 120 Vertreter der Hauptstadt und 40 Vertreter der Provinz. Aber auch diese 40 Provinzvertreter werden wegen der Schwierigkeit der Reiseverbindung mit dem Innern aus der Zahl der Konstantinopeler Intellektuellen gewählt. Der Charakter des Patriarchats mit seiner kirchlichen Organisation und ebenso der Charakter einer derartig zusammengesetzten Nationalversammlung ist naturgemäß konservativ. Wenn von seiten armenischer Politiker an der Haltung des Patriarchats und der Nationalversammlung Kritik geübt wurde, so lag dieselbe immer in der Richtung, daß die Patriarchen mehr den Charakter von osmanischen Staatsbeamten als von Vertretern der Nation trügen und daß die Nationalversammlung, auch wo es sich um wichtige Interessen des armenischen Millets handelte, zu fügsam und nachgiebig gegenüber dem herrschenden Regime wäre. Der gegenwärtige Inhaber des Patriarchats-Stuhles war vor seiner Erwählung Bischof in Diarbekir und als ein trefflicher Seelsorger seines Sprengels bekannt. Er war anderen Kandidaten, die eine schärfere politische Physiognomie hatten, vorgezogen worden, da man für die Friedensära nach dem Balkankriege mehr an die kirchlichen, als an die politischen Aufgaben des Patriarchats dachte. Msgr. Sawen ist seinem ganzen Charakter nach von dem Typus eines politischen Intriganten so fern als nur möglich. Er hat schwer unter dem Schicksal, das seine Nation und seine Kirche traf, gelitten, ist aber niemals auch nur auf den Gedanken gekommen, etwas wie einen Widerstand gegen die Regierungsgewalt zu planen. Er hat alle in seiner Kompetenz liegenden Schritte getan, hat die unglückliche Lage seines Volkes während des Krieges den Ministern solange in ernsten Bitten und Beschwerden vorgetragen, bis sich die Türen vor ihm verschlossen und er sich von der völligen Ohnmacht seines Amtes überzeugen mußte. Nicht einmal die geringsten, auf die kirchliche Versorgung der Deportierten bezüglichen Wünsche, wie die Entsendung von Priestern an die Verschickungsorte mit den für die Erfüllung der kirchlichen Bräuche notwendigen kirchlichen Requisiten wurden gewährt. Er mußte es ruhig mit ansehen, daß mit der Vernichtung des Volkes zugleich die Rechte des Patriarchats außer Kraft gesetzt und die kirchliche Organisation des armenischen Volkes vernichtet wurde. Die folgende Liste von kirchlichen Würdenträgern, die im Lauf der Massakers und Deportationen beseitigt wurden, sagt mehr von den Leiden des Patriarchats als es irgendwelche weiteren Ausführungen vermöchten.
Liste der kirchlichen Würdenträger.
Von den kirchlichen Würdenträgern der übrigen Sprengel fehlen die Nachrichten. Von 17 Prälaten wurden somit 7 deportiert, 3 eingekerkert, 3 gehenkt, 3 ermordet und einer lebendig verbrannt. Das Schicksal der übrigen wird schwerlich ein andres sein.
Da gegen das Patriarchat und seine Hierarchie von der Regierung niemals die Anklage erhoben worden ist, daß es sich revolutionärer Umtriebe schuldig gemacht habe, fällt die Möglichkeit, die kirchliche Organisation mit einer angeblich geplanten armenischen Revolution zu belasten, aus. Es bleibt also die politische Organisation der Daschnakzagan, auf die der Verdacht geworfen werden könnte, daß sie mit dem Gedanken an eine Revolution umgegangen oder eine Erhebung des armenischen Volkes vorbereitet habe.