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Fünfzehntes Kapitel

. Am Nachmittag desselben Tages, die Frauen waren allein im Haus, wurde an die Türe geklopft.

»Das ist Lamm,« schrie Roose freudig, und ihre Stimme glich dem hellen Ruf des Hahnes, wenn er den Morgen verkündet.

Es war auch wirklich Lamm.

Die Tür öffnete sich, und seine lange Gestalt zeigte sich in der Türspalte. Die jungen Mädchen fingen an zu lachen, als sie sahen, daß er über und über mit Schnee bedeckt war.

»Lamm,« sagten sie ihm, »Ihr tragt ja auf Euren Schultern den Mantel der Madame Sankt Katharina.«

Lamm lachte nicht und sah sich nur mit vorgerecktem Hals nach allen Seiten um. Er wagte nicht einzutreten.

»Was habt Ihr da zwischen zwei Türen zu stehen, wie der letzte Tag im Jahr?« sagte die dicke Santje.

»Santje,« fragte der Bursche, »worin soll ich denn dem ähnlich sein, was Ihr da sagt?«

»Ja, Santje, sag uns das!« rief Roose und klatschte lustig mit den Händen.

Und Lamm sah erst die eine, dann die andere an, ganz verwundert, sie so lustig zu finden in diesem Hause, wo das Lachen so selten war, wie die Feigen nach Ostern.

»Na, schön,« antwortete Santje, »Lamm gleicht dem letzten Tag im Jahr, weil er zwischen zwei offenen Türen steht und nicht weiß, ob er gehen oder bleiben soll.«

»Gut gesagt,« gab der Bursche zu.

Und dann fügte er noch bei:

»Ich komm' herein, weil die Katze nicht zu Haus ist.«

Er klopfte seine Mütze und sein Zeug ab und setzte sich ans Feuer. Der Schnee bedeckte im Auftauen den rauhen Stoff seiner Weste mit glitzernden Tröpfchen, und um seine Stiefel begann sich eine Wasserlache zu bilden.

Er sagte erst nichts, aber er stieß nacheinander ein paar Seufzer aus, gleichzeitig sah er auf die Herdplatte und unterhielt sich damit, die Schneeflocken, die an seinem Halstuch hingen, auftauen zu lassen, nahm er sie sich ganz behutsam eine nach der anderen mit gespreizten Fingern ab.

»Es geht sich schwer auf der Straße,« sagte er endlich.

Ein leichtes, wohlklingendes Lachen, frisch wie Wasser, das aus dem Wasserhahn sprudelt, antwortete ihm vom Fenster her, wo Roose saß und einen schwarzen wollenen Strumpf strickte. Sie zählte ihre Maschen: eine, zwei, drei und so weiter bis dreißig, denn sie fing gerade an zu mindern. Als sie bis dreißig gezählt hatte, fragte sie:

»Lamm, ist es das wohl, was Euch seufzen macht?«

»Nein, aber mein Herz ist schwer, wenn ich denke, daß alles aus ist zwischen uns.«

»Wer hat das gesagt?«

»Das waret Ihr selbst, Roose. Und Ihr habt noch dazu gesagt, daß Euer Vater sein Geld verloren hat.«

»Ach, Lamm! Das ist nicht wahr!« sagte sie zu ihm. »Der Vater hat sich die Geschichte zurechtgedacht, um mich zu zwingen, Euren Onkel Kobe zu heiraten. Aber das Geld ist nicht verloren. Ich weiß, wo das Geld ist!«

»Gottlob!« sagte Lamm und stand auf. Er war so sichtlich bewegt, daß Roose ihr Herz ganz weich werden fühlte, und während sie die Hände an die Augen hob, liefen ihr schon die glitzernden Tränen zwischen den Fingern hindurch.

»Roose, süße Roose,« sagte er und strich ihr über die Haare.

Und Santje, die ein Gesicht machte, als wollte sie loslachen, sagte:

»Maienregen trocknet die Sonne schnell.«

Und Roose fing durch Tränen hindurch an zu lächeln, denn Lamm, der eben einen Tropfen mit der Fingerspitze fortgewischt hatte, der sich unten an Roosens Backe in einem Fältchen gefangen hatte, hob ihn gerade an den Mund und sagte:

»Das ist mir Honig für mein Herz.«

Er setzte sich an sie heran, den Wollknäuel hin und her rollend, von dem sie strickte, während sie einen Fuß auf die Fußleiste seines Stuhles gesetzt hatte.

Eine Zeitlang schwiegen beide, dann berührten sich ihre Finger und sie sahen sich beide lange in die Augen.

Einmal auch, als Lamm die Augen auf das Strickzeug, an dem sie arbeitete, geheftet hatte, sagte sie ihm lachend:

»Der Strumpf ist für mich.«

Und Lamm wurde rot bis hinter die Ohren, weil seine Gedanken gerade bei ihren Beinen waren.

Sie erzählte ihm, daß ihr Vater das Geld unter dem Apfelbaum versteckt habe.

»Man könnte ihm gut eins auswischen,« sagte Lamm, der die Ohren spitzte. Und er bewegte dann drei- oder viermal seinen Kopf auf und nieder, wobei er mit den Augen zwinkerte und den Mund verkniff, um anzudeuten, daß das einen feinen Streich abgäbe.

Er öffnete die Tür, die nach der Backstube führte, und sah durch die kleinen grünen Scheiben des Fensters ins Freie.

»Ich kann den Apfelbaum von hier aus sehen,« sagte er.

Und für sich dachte er inzwischen:

»Das wäre was für heute nacht.«

Er behielt seinen Plan für sich und setzte sich wieder zu Roose hin.

»Lamm,« sagte ihm da Santje, »das Korn ist reif, man wird es schneiden müssen.«

»Das ist gut,« antwortete Lamm, »Santje redet wie der Herr Pfarrer. Was haben wir mit dem Korn gemein?«

»Hier, seht mal, Lamm, wenn das Korn nicht zur rechten Zeit geschnitten wird, ist die Ernte verloren. Der Augenblick ist jetzt der rechte, um alles Eurem Onkel zu sagen.«

»Ich werd' es überdenken,« antwortete der Bursche.

Die Nacht verdunkelte die Fensterscheiben; es war nur mehr sehr wenig Licht im Zimmer.

Lamm ließ einen kleinen Sack Hafer von der einen Hand in die andere gleiten und sagte:

»Das ist Hafer, den ich einem Händler eine Stunde weit von hier anbieten muß.«

Er erhob sich, und die jungen Mädchen begleiteten ihn bis auf den Weg hinaus. Unerwartet bückte sich Lamm, als wollte er eine Schnalle an seinen Gamaschen festschnallen, in Wirklichkeit aber raffte er etwas Schnee auf, ballte ihn zusammen und machte zwei Bälle daraus.

In demselben Augenblick aber, da er sich aufrichtete, klatschte auch schon ein ebenso großer Schneeball gegen seinen Rücken und fast zugleich bekam er auch noch einen zweiten in den Nacken.

Es entspann sich eine richtige Schlacht. Er bückte sich, sprang auf, die Schneeklumpen von sich abwehrend, die Schlag auf Schlag auf ihn niedersausten, und schleuderte dabei selbst so viele er nur zusammenzuballen vermochte.

Die weißen Bälle fielen einmal auf Roose, einmal auf Santje und auf den großen Burschen, und ihre Anzüge, ihre Gesichter, ihre Haare, alles war mit Schneestaub bedeckt. Paff! Alle lachten sie auf, und ganz mit einem Male war Lamm auf seiner Hacke ausgeglitscht und hintenüber gefallen. Da griffen die beiden Mädchen mit beiden Händen den Schnee auf und überschütteten Lamm damit. Er wehrte sich nicht, aber als Roose ihm etwas zu nah gekommen war, sprang er auf und küßte sie schnell auf ihre vollen, roten Backen.

Damit war das Spiel zu Ende. Lamm nahm Roosens Hände und sagte, indem er ihr tief in die Augen sah:

»Ach, Roose! Was werde ich für eine Freude haben. Euch meine Frau zu nennen!«

»Na, mein Junge«, sagte Santje, »mit der Zunge kann man den Knoten im Taschentuch nicht lösen, das gibt es nicht. Gehn wir heim, Roose, ich höre den Bauer, er kommt und hustet.«

Lamm versteckte sich hinter dem Wagen, der unter dem Schuppen stand, und folgte ihnen mit den Augen nach, bis sie ins Haus verschwunden waren.

Dann sah er um sich, und als er einen Spaten erblickte, nahm er ihn und verbarg ihn hinter die Gartenhecke. Er ging darauf auch noch nach der Hundehütte, rief den Hund beim Namen, kraute ihm die Ohren und ließ ihn sein Zeug beschnüffeln.

Nachdem das erledigt war, schlug er rüstig ausschreitend den Weg zur Stadt ein.


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