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Siebentes Kapitel

. Kommt herein! aber schnell!« hatte Santje dem jungen Burschen zugerufen, der so lebhaft gemeint hatte, Roose vor sich zu sehen. »Euer Onkel ist mit dem Bauer in der Schenke, und sie haben sicher was Wichtiges vor.«

»Ach, Santje, ich weiß es nur zu gut,« hatte Lamm mit einer ganz kläglichen Stimme geantwortet.

»Na, gut, daß Ihr es wißt, da können wir uns gleich zusammen freuen. Euer Onkel ist zu Slim gekommen, um sich bei ihm die Tochter auszubitten.«

»Mein Gott! als wenn ich mir das nicht gedacht hätte,« rief der Neffe. Und dann sagte er noch ein paarmal:

»Ach Gott, Gott! mein Jesus, gleich hab' ich es mir gedacht.«

»Da gehören wir ja dann zu derselben Familie, Lamm, und Ihr braucht nicht erst einen Grund zu suchen, um Roose so viel zu sehen, wie es Euch gefällt. Onkel Kobe hat eine Idee gehabt, die lob' ich mir!«

»Denkt sich denn Roose das auch so?« fragte Lamm und sah Jan Slims schöne Tochter an.

»Oh, Lamm!« ließ sich Roose vernehmen, »es ist schon zu spät, zu fragen, was ich davon denke. Die Alten haben immer Zeit, sich eine Junge zu nehmen, wenn die Jungen den Mut nicht haben, sie ihnen streitig zu machen.«

»Das ist recht!« sagte Santje.

Und sie fügte noch hinzu:

»Ihr könnt selber sehen, Lamm, daß nicht so leicht einer zu finden ist, der sich mehr freut wie Roose, und das ist auch nur alles was recht ist, denn Kobe Snipzel ist ein reicher Mann, und die Zunge ist ihm nicht in die Tasche gerutscht, wie das bei gewissen Leuten unter den Jüngeren so ist, die ich kenne.«

»Ach, Santje, was kann ich denn tun, was soll ich denn jetzt noch tun?«

»Das will ich Euch schon sagen: putzt Euch einen hübschen Glückwunsch heraus für den Hochzeitstag, damit die Leute sich was zu freuen haben, die mitfeiern wollen.«

Aber Lamm sah sie immer nur traurig und flehend an.

»Santje, Ihr müßt mich nicht quälen, Santje, ich hab' Euch doch nichts getan.«

»Schon gut,« sagte die kleine Santje, die zäh wie eine Wespe war. »Böses will ich Euch auch nicht, aber Ihr sollt jetzt einsehen, daß es Zeit ist, mit mir und Roose den Pachter Kobe hochleben zu lassen.«

Er schwieg eine Weile, dann schlug er sich mit der Faust vor die Stirn und schrie:

»Nein, ich werde das nicht tun. Niemand soll von mir sagen können, ich hätte meinen eigenen Henker hochleben lassen.«

Darauf klatschte Santje in die Hände und brach in ein lautes Gelächter aus. Lamm aber ließ sich in einen Stuhl sinken, verbarg das Gesicht in seinen Händen und ächzte nur immer:

»Ach! Roose! Roose!«

Das Herz der liebenden Roose schien sich erweichen zu wollen, und sie machte einen Schritt auf den jungen Burschen zu; als aber Santje ihr mit den Augen ein Zeichen gegeben hatte, fingen sie beide wieder an, ihn zum besten zu halten.

»Der Pachter kommt von der Schenke zurück,« begann Santje, als ob sie schon auf der Diele die schweren Tritte des gewaltigen Kobe hörte.

»Er soll nur kommen! der soll mir kommen!« brach Lamm los und hob den Kopf. »Ich werd' es ihm schon sagen …«

»Aha!« machte Santje, »Lamm will etwas sagen … Was habt Ihr ihm denn zu sagen? …«

»Na ja, das will ich ihm sagen … was ich ihm zu sagen habe.«

»Jesus, so einer! Man könnt' ihn besser verstehen, wenn er Latein spräche wie der Herr Pfarrer. Das wird ihm schon was nützen, ob er ihm etwas sagt oder nicht sagt, und niemand wird dabei etwas gewinnen. Macht jetzt nur aber, daß Ihr aufsteht und wegkommt, Lamm, damit Euer Onkel nicht meint, daß Ihr um die kommt, die er zu seiner Frau machen will.«

»Dann wird er nur das wissen, was wahr ist,« sagte Lamm.

Santje schien sehr erstaunt.

»Was Ihr da nicht sagt? Ihr seid wegen Roose gekommen heute?«

»Das weiß sie gut, daß ich heute und jeden anderen Tag nur für sie hergekommen bin.«

»Ich?« staunt Roose. »Wie habe ich denn das aber denken können von Euch, Lamm, wo Ihr mir doch nie so etwas gesagt habt?«

Lamm sah sie argwöhnisch an, pfiff durch die Zähne und sagte:

»Wenn das nicht zum Lachen wär' …«

»Ihr seid mir einer,« Santje schüttelte den Kopf. »Da soll nur einer wissen, was Ihr Euch denkt. Wenn es nichts zu reden gibt, habt Ihr was zu sagen, und wenn es an der Zeit ist, hast du nicht gesehen, weg ist der Vogel. Jetzt paßt Ihr mir aber auf. Lamm, und sagt mir die reine Wahrheit, wenn ich Euch frage: Warum kommt Ihr in Jan Slims Haus?«

»Weil es mir Spaß macht,« brummte Lamm und ging auf die Tür zu.

»Guten Abend.«

Aber er kam nicht gleich dazu: er sah Roose noch einmal an und seufzte auf. Vielleicht hatte er gedacht, daß sie ihm noch etwas sagen würde, aber weder Roose noch Santje sagte ein Wort. Da ging er denn.

Kaum aber war er draußen, begann er zu fluchen:

»So ein Dummkopf, der ich bin, so ein dreifacher Esel!« Er machte kehrt und klopfte wieder an:

»He! Santje!«

»Na, das muß ich sagen, mein Sohn, Ihr kommt mir doch etwas zu oft zu Eurem Spaß, ohne zu fragen, ob das auch anderen Leuten gefällt,« sagte Santje beim Öffnen.

»Ach, Ihr wißt das doch nicht, wie das mit mir steht, wenn ich die Roose nicht in meiner Nähe hab', da gibt es so viel, das ich ihr sagen möchte, wenn sie aber da ist, dann weiß ich von nichts mehr was ab.«

Er sah wieder zu Slims Tochter hinüber.

»Roose,« versuchte er, »Roose, ich … ich will … ich wollte … Ich meinte nur, ich hab' hier eine Pfeife gehabt.«

»Na,« lachte Santje und stieß ihn von hinten an. »Ich glaube, hier bin ich nötig. Was hat er doch gesagt? Wenn er weg ist von der Roose, da hat er ihr wunder was zu sagen, und wenn er sie sieht, da weiß er nicht mehr ein noch aus … Na ja, so was war das doch?«

»Santje weiß das, ja, ja … Santje hat recht.«

»Schön!« drängt Santje, »da handelt es sich ja nur noch um das, was folgt.«

»Roose, Gott soll es bezeugen, daß ich nie etwas anderes gewollt hab' als Euch zur Frau zu nehmen.«

Und der treuherzige Lamm schlug seine Augen dabei so hoch zum Himmel auf, daß die runde kleine Magd, die schon knapp ihre zwei Minuten hintereinander ihren Ernst behalten konnte, ihre Schürze vors Gesicht hielt, um nicht merken zu lassen, daß sie sich gar zu gerne wieder über ihn lustig gemacht hätte. Es war aber nicht so mit Roose, als sie die schlichten Worte aus dem Munde des ehrlichen Burschen hörte. In ihre frischen roten Backen stieg es heiß auf, so daß sie ganz purpurn wurden, und ihre Augen leuchteten auf wie Wasser im Sonnenschein.

»Oh! Lamm!« rief sie und lächelte ihn an, »endlich nehmt Ihr Euch Mut wie ein rechter Mann. Aber so lange hättet Ihr mich nicht warten lassen brauchen. Da wär' uns all das vielleicht erspart geblieben, was jetzt unser Unglück ausmacht.«

Und ehe noch Santje richtig sah, ging ganz plötzlich Rooses Lachen in Weinen über, und es blieb nur ein furchtsames kleines Bauernmädchen, das mit ihrem Herzen nicht mehr aus noch ein wußte, und die Tränen, in denen mehr Freude als Leid war, rollten ihr bis an die Mundwinkel, wo sie wie blitzende Tautropfen hängen blieben.

Da war es auch um die lustige kleine Santje geschehen, ihr Herz geriet in Erregung und ihre Augenbrauen zuckten, und sie benahm sich, als ob sie am liebsten auch geweint hätte. Sie war aber so geartet, daß Tränen bei ihr gar nicht kommen wollten. Anstatt zu weinen, riß sie plötzlich ihre breiten Lippen auf und brach in ein nicht endenwollendes Gelächter aus; man konnte über ihre zuckende Zunge hinweg, die sich mühte, Worte zu finden, bis in ihren roten Gaumen hineinsehen.

»Dann macht aber rasch, Lamm,« kamen ihr endlich die Worte, »denn es ist Zeit zu wissen, was Ihr jetzt für unsere junge Herrin tun wollt, denn Ihr seid mir jetzt wie einer, der den Honig für sich haben will, wenn die Bienen im Stock sind.«

»Ach! Roose! da kennt Ihr mich noch nicht, ich scheu mich vor keiner wütigen Kuh, auch nicht vor einem Kerl, der mir im Wald auflauern sollte. Aber wenn ich vor Euch steh', dann komm ich mir vor wie ein dummer Junge, der nicht weiß, wozu er seine Fäuste und seine Zunge hat. Wie eine Fliege bin ich, der die Glieder vor Kälte steif geworden sind und der die Kraft abgeht loszufliegen.«

»Ich hab' schon von manchem was abgewußt, Lamm,« nickte Roose, »das hab ich wohl. Von dem Tag an, glaub' ich, wo Ihr an der Wiese vorbeigekommen seid, wo ich gemäht hatte, und wo Ihr da ganze zwei Stunden am Weg gesessen habt, um auf mich zu schauen, und immer geschwiegen habt. Da hab' ich es schon gefühlt, daß Ihr da die Lust verloren hattet, anderer Mädchen wegen Kirmessen zu besuchen. Und wie Ihr da plötzlich aufgestanden seid und mir gesagt habt: ›Die Sonne brennt, Roose, setzt Euch in den Schatten, ich werd' die Wiese für Euch zu Ende mähen,‹ da hab' ich gelacht, und Ihr habt so fein gut gemäht, daß die Wiese wie geschoren aussah, nicht?«

»Schon, schon und ich hätte gleich lieber die ganze Nacht und den nächsten Tag und noch einen dazu gemäht, um Euch Freude zu machen. Und von da an ist das dann so gekommen, daß wenn Roose irgendwo war, da bin ich auch da gewesen, ja.«

»Schön! Teufel noch mal, Ihr könnt genug girren, wenn Ihr in der Ehe seid, da habt Ihr Zeit!« schrie Santje dazwischen. »Wer zu früh viel spricht, dem gehen die Worte aus für später. Und das ist ein Dummer, der seine Kuh das Gras im Frühjahr fressen läßt, daß ihm dann kein Heu für den Winter wächst.«

»Santje hat recht,« sagte Lamm traurig, »aber der Regen und die Sonne erlauben es nicht immer, daß aus schönem Gras gutes Heu wird.«

Als er das sagte, war ihm scheinbar der Mut wieder ganz gesunken, denn wenn er auch auf den Feldern immer auf dem Posten war, und kein Mißgeschick ihm da etwas anhaben konnte, so war das doch nicht so, wenn sein Herz in Mitleidenschaft gezogen wurde.

»Ist das nicht wirklich eine Schande,« redete Santje ihn an, »wenn ein Mann die Axt aus der Hand wirft, eh' er noch versucht hat, auf die Eiche einzuhauen, und sich damit entschuldigen will, daß es ihm nichts nützt, weil er sie doch nicht umhauen kann? Ach was! Lamm, aus Euch wird niemals ein Mann!«

»Doch, doch! Santje!« schrie sie der große Bursche an. »Ihr müßt mir nur sagen, was ich machen soll, denn vorgehen tu ich schon lieber, als mir was zurechtlegen.«

Plötzlich hörte man Ursulas Stimme aus der anderen Ecke der Stube rufen.

»Ihr Mädchen da! es ist jetzt Zeit, daß ihr dem Lamm sagt, er sollte jetzt gehen. Der Bauer muß bald heimkommen.«

Und als ihr niemand antwortete, erhob sie sich und kam auf sie zu.

»Mutter,« fragte Santje und schlug Lamm auf die Schulter, »seht mal diesen hier, der ist ein junger starker Kerl und der andere ist grau. Wen würdet Ihr nehmen, wenn Ihr Jungfer wäret?«

»Da ist nichts zu sagen,« antwortete Ursula, »denn wir haben nicht über uns zu bestimmen.«

»Gut, Mutter, dann werd' ich es sagen,« fuhr Roose auf. »Niemals, Ihr hört es jetzt, nehm ich Kobe Snipzel zum Mann, und wenn er selbst als König von Belgien um mich freien käm'.«

Ursula sah sich bebend nach der Tür um.

»Ihr sollt nicht so laut reden, Mädchen, denn es ist nicht gut, wenn den Bauer der Zorn ankommt.«

Dann fügte sie aber ganz leise mit einer bewegten Stimme hinzu:

»Von mir aus soll euch kein Strohhalm in den Weg kommen, da soll Gott für sein, ihr Lieben!«

Sie schwieg, als ob sie fürchtete, schon zuviel gesagt zu haben.

Lamm ergriff die Hand seiner Roose und sah sie zärtlich an, und so verwirrt war er dabei, daß er drei-, viermal hintereinander ihren Namen sagte.

Santje hatte sich inzwischen unerwartet entfernt und keiner wußte wohin.

Nach einer Weile ging die Tür auf, und sie war es, die rief:

»Die Pachter, die stehen mitten im Wirtshaus in der Schankstube, ich hab' es durchs Fenster gesehen. Es ist Zeit, daß Ihr Euch schnell noch in wenigen Worten alles sagt, was Ihr zu sagen habt.«

»Santje,« sagte Lamm, in einem plötzlichen Herzenserguß, der sehr komisch war. »Ihr sollt uns nie verlassen!«

»Schön, schön,« rief diese.

»Und Ihr werdet uns doch immer helfen, Santje,« bat Roose ihrerseits.

»Ach, gute Santje,« beteuerte Lamm, »Ihr habt einen Verstand für zwei. Ich will es auch immer so machen, wie Ihr das für gut haltet.«

Sie wurden plötzlich wie geschwätzige Elstern und unruhig wie Fliegen vorm Gewitter.

»Santje hin, Santje her, die liebe Santje!« rief die dralle Magd und lachte. »Das ist Santjes Kirmes. Das macht aber die Sache nicht besser.«

Es war als suchte sie nach irgendeinem guten Gedanken, dessen sie nicht habhaft werden konnte. Sie mußte ihn doch aber schließlich gefunden haben, denn sie klatschte in die Hände und fragte kurzweg:

»Lamm, sagt mir gleich, Ihr könnt mich doch gut leiden?«

Und als der lange Bursch ihr zugab, daß es so sei, und daß er sie liebte, sagte sie ihm:

»Das ist mir nicht genug, Ihr müßt mich grad so lieben wie die Roose.«

Er riß die Augen auf, und nicht nur die Augen, der Mund blieb ihm offen stehen, er war wie einer, der vor Staunen wie vom Schlag gerührt war. Roose sah ihrerseits ganz gespannt auf Santje, denn ihr ahnte, daß sie irgend etwas vorhatte. Darum wartete sie auf das, was kommen würde.

Da sagte Santje:

»Von jetzt ab kommt Lamm zu Santje, und er wird es dann jedem sagen, daß er die Santje mag und daß sie seine Liebste ist. Und Santje wird es ihn sagen lassen, als ob es wirklich nicht anders wäre.«

Lamm sah erst Roose, dann Santje, dann wieder Roose an, und er mühte sich redlich, um alles in den Kopf zu bekommen, damit die ganze List ihm aufginge. Wer aber bald den Schabernack begriff, den sich da die kleine schadenfrohe Magd ausgesponnen hatte, das war Roose, und sie lachte belustigt auf.

»Keiner wird denken, daß Ihr für unsere Roose kommt,« fuhr Santje fort, »und dann haben wir Zeit gewonnen, um uns zu beratschlagen. Während der Bauer ihn sicherlich mit einem schönen Guten Morgen zur Tür hinaussetzen würde, wenn Lamm sich anmerken ließe, daß er um Roose kommt.«

Sie stemmte ihre Fäuste in die Seiten und sah alle beide mit solchen Blicken an, als wollte sie sagen:

»Ihr könnt mir gleich eine feste Kerze weihen!«

Sie waren beide ganz freudig geworden und lobten sie immer wieder.

»Du hast das Rechte gefunden, gute Santje.«

Da rief Ursula auf einmal:

»Die Pachter kommen!«

Und wirklich waren es Kobe Snipzel und Jan Slim, die miteinander an der Haustür, die auf die Straße führte, redeten.

Santje stieß sofort die Tür nach der Feldseite hin auf und drängte Lamm hinaus; er konnte sich aber nicht entschließen fortzugehen und blieb eine Weile mit geneigtem Kopf, auf Roose sehend, zwischen Wand und Türe stehen.

»Roose!« ertönte da die Stimme von Boer Jan.

Santje stemmte sich mit ganzer Kraft gegen die Tür und Lamm fiel Nase an Nase gegen irgend jemand, der im Dunkel war.


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