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Als die erste Pinte Bier geleert war, stützte sich Pachter Snipzel mit den Ellenbogen schwer auf die Tischplatte und sagte dann, nachdem er aus listig zusammengekniffenen Augen eine Weile sein Gegenüber betrachtet hatte:
»Wissen tut Ihr es ja schon, Jan, warum ich Euch ins Wirtshaus geladen habe.«
Boer Jan spie mit großer Aufmerksamkeit einen langen Strahl Speichel zwischen seine ausgestreckten Beine und fing an, auf dem Fußboden irgend etwas mit der Stiefelsohle abzuwischen, dann zuckte er die Schultern und sagte:
»Von Wissen weiß ich nichts, ich meinte, daß Ihr lieber ein Glas in Gesellschaft trinken wolltet.«
Der Pachter fing an zu lachen.
»Jan Slim und glauben, daß Kobe Snipzel eine Meile zu Fuß laufen wird, und das noch bei Nacht, bloß um mit ihm eine Pinte Bier zu trinken?«
»Was recht ist, ist recht, ich hab' mir ja auch gedacht, gutes Bier ist überall zu kriegen.«
»Und wenn mein Gaul jetzt schon seine zwei Monate lang den Weg nach Eurem Hof ebenso sicher zu finden weiß wie ich selber, dann könnt Ihr Euch das gesagt sein lassen, daß das nicht von wegen dem ist, daß ich Euer Korn aus der Erde schießen sehen will, oder weil ich vielleicht Eure Kohlsuppe riech'.«
Slim hustete ein paarmal vor sich hin und ließ sich endlich vernehmen:
»Nein, das denk' ich mir schon, das wirst du wohl nicht, Snipzel!«
»Also, dann soll es gesagt sein.«
Sie schwiegen beide.
Snipzel sah halb lachend zu Slim hinüber. Dieser hüstelte, spie aus, streifte mit dem Daumen die Asche von seiner Pfeife ab, klopfte sie aus, legte den linken Fuß über den rechten und dann wieder den rechten über den linken und tat, als ob er ganz vergessen hätte, daß der Pachter zugegen war und ihn gefragt hatte.
»Karo!« schrie am unteren Tisch ein kleiner Mann mit einem Zigeunergesicht und warf eine Karte auf die Tischdecke.
»Karo sieben!« rief ein anderer und legte seine Karte dazu.
»Karo neun!« kam die Stimme eines dritten.
Aber keiner von ihnen hatte so laut gerufen und so kräftig mit der Faust auf den Tisch geschlagen wie der vierte Spieler, als er »Karo König!« sagte.
Wenn aber einer laut geschrien und dabei heftig mit seiner Karte auf den Tisch getrumpft hatte, daß dieser fast auf die Spieler umgefallen wäre, dann war es sicher derjenige, der mit einer Siegerstimme losbrüllte:
»Aß! der Stich ist mein!«
Dann war wieder Stille. Das Feuer im Ofen sang, ein Hund schuppte sich, die Schankwirtin strickte vor sich hin, und nur ab und zu dröhnte ein schwerer Wagen über das Pflaster der Straße.
»Mich deucht,« sagte mit einem Male die Stimme Boer Jans ganz trocken, »dieser Winter wird mild, denn die Bucheckern sind reichlich.«
»Begod!« fluchte Snipzel.
Er stellte sein Glas laut hin und überlegte sich im stillen, ob Slim sich nicht etwa über ihn lustig mache.
Darauf verlegte er sich ganz auf Schlauheit, sprach vom letzten Sommer, von Michaelis, das man auch schon hinter sich hatte, von dem Winter, der vor der Tür stände, von seinem Hofgesinde und was es sonst noch zu erzählen gibt, und als er fertig war, schrie er immer wieder: »Bier her!«, so daß die Wirtin schon dreimal aus der Kontorstube, in der die Pumpe wie eine aufgeregte Henne gluckste, mit neugefüllten Gläsern zu ihnen hatte laufen müssen.
»Das ist genug,« hatte Jan Slim beim dritten Male gesagt. »Ich geh jetzt nach Hause.«
»Jan, trinken wir erst noch ein Glas auf das Wohl von Roose.«
Er bestellte zwei weitere Gläser. Und es kam, daß, je länger sie tranken, Kobe Snipzel um so lärmiger wurde, während der hagere Jan Slim sich immer mehr in Schweigen hüllte.
Er saß und hielt nur immerzu sein langes großes Ohr dem Pachter zugewandt, und man sah, wie seine Ohrmuschel, die breit wie der Trichter einer Trompete war, zuckte, um ja nichts von dem zu verlieren, was der Bauer ihm zu sagen hatte. Denn da war heute abend irgend etwas in der Luft, das platzen wollte. Das wußte er wohl; einen ganzen Monat hatte er doch schon um den herumgestrichen, wie die Katze um die Maus, und auf den Augenblick gelauert, daß sie von selbst in die Falle ginge. Und das war nun schon sicher, daß Kobe damit herauskam, das wußte er ebenso bestimmt wie das Wetter, das kommen sollte, wenn ihn sein Rheumatismus in den Gliedern zwickte.
Kobe lachte, redete laut, schrie und schlug mit der Faust auf den Tisch; von Zeit zu Zeit nur verstummte er plötzlich und starrte seinen schweigsamen Kumpan an.
»Nehmt einmal an, Jan«, fing er sich überhastend plötzlich an zu reden, »daß Eure Roose mir gefällt. Ja, das ist so, ich hab' meine Freude dran, wenn ich sie seh!«
Die mageren Backen von Slim verfärbten sich unmerklich zu einer heimlichen Röte, und er sagte:
»Ich glaube schon, Pachter, da seid Ihr nicht der einzige, Roose hat jedermann gern.«
Und ganz langsam setzte er noch hinzu, indem er ihm einen Blick zuwarf, spitz wie eine Nadel:
»Was meine Roose ist, nach dem Bräutigam braucht die nicht erst auszuschauen.«
»Das ist gewiß, daß genug Männer auf sie warten werden,« fuhr Kobe auf, »aber ich meine, es sollte damit gut sein, daß ihr einer sicher ist. Wollt Ihr wissen, wer sie einholt, wenn es Euch recht ist, he! Jan?«
Jetzt war es an Boer Slim in Bedrängnis zu geraten. Es galt für ihn doch auf eine direkte Anfrage zu antworten. Was sollte er sagen? Das wollte bedacht sein. Wenn er zu knapp mit der Antwort war, wer weiß, ob sich da nicht Kobe aus Heimtücke die Sache für später aufhöbe; tut er aber mehr als nötig dazu, da geht der andere erst recht mit Vorsicht heran, und ein Übergewicht wollte ihm Slim auf keinen Fall gewähren.
So antwortete er denn:
»Du meinst, wer der Mann von unserer Roose sein wird? Das wird wie es Gott will, Kobe.«
»Jeder Mann hat aber nicht Geld,« gab Snipzel zu bedenken, »und wenn kein Geld da ist, dann ist das mit dem Haus grade so wie mit dem Rad, das nicht läuft, wenn es nicht sein Fett kriegt.«
»Das ist wahr, aber ich bin ein armer, geringer Landmann und Roose wird auch nichts anderes als irgend so einen armen Teufel zum Mann kriegen, wie ich einer bin. Man kauft ebensowenig einen reichen Mann, wie man ein gutes Ferkel kauft, wenn man nicht weiß, womit man es bezahlen soll, Kobe!«
Bei diesen Worten ging aber Kobe etwas wie ein Gefühl der Vorsicht durch die Glieder und mahnte ihn zur Klugheit.
»Das sagt Ihr, Jan Slim, aber mit Wurzelscheiben werdet Ihr wohl nicht alle Kälber bezahlen, die Ihr auf dem Markt kaufen geht.«
Der kleine magere Mann duckte sich und seufzte auf.
»Nein, da habt Ihr recht. Mit Wurzeln zahl' ich nicht: da habt Ihr die Wahrheit gesagt.«
»Und Geld ist auch da bei Jan Slim,« redete der Pachter weiter, dabei auf jedes Wort einen Nachdruck legend.
Boer Jans Mund wurde ganz schmal:
»Auch auf dem Misthaufen wachsen Pilze,« sagte er.
»Ein braver, reicher Mann aber kann Euch und Roose nur nützen.«
»Die Roose hat etwas Besseres wie Geld, sie hat ihre fleißigen Hände und die schönen roten Backen der Jugend.«
Kobe stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und näherte sein Gesicht auf Fingersbreite der Nase von Boer Jan.
»Seht mich an,« sagte er alsbald, »habe ich das Gesicht eines guten oder eines schlechten Menschen? Also abgemacht! Roose soll meine Frau werden, wenn wir zurecht kommen. Ich habe es mir lange überlegt, ja, das hab' ich.«
»Gut,« gab Slim zu, »was Ihr da aber sagt, ist für mich eine Überraschung.« Und er stopfte ganz ruhig seine Pfeife.
»Eure Tochter wird bei mir gut gehalten werden,« fuhr Kobe fort. »Sie wird Kleider, Hauben, Tücher und Schuhe soviel sie braucht bekommen. Ich will, daß man sagt: Roose ist eine glückliche Frau. Ich werde fünfzehn Kühe anstatt zehn halten, Besitz kauf ich auch noch hinzu, und jedes Jahr werden wir eine gehörige Wurstkirmes feiern. Was haltet Ihr davon, he, Freund?«
»Wenn einer auf dem Markt eine Kuh kauft, so sagt die weder ja noch nein, aber das ist nicht dieselbe Sache, wenn es sich darum handelt, eine Frau zu nehmen. Roose muß schon sagen, ob sie will, oder nicht.«
»Gut denn, fragt sie also. Es ist schon recht, daß ich sie nicht ohne ihren Willen habe. Eine Frau muß freiwillig in das Haus des Mannes gehen.«
»Das ist dann so abgemacht,« redete Kobe weiter, »was wird denn aber, wenn Roose ja sagt?«
»Das will ich ihm sagen. Der Schwieger wird uns an jedem Sonntag aufsuchen. Und kommt mal vor, daß er während der hilden Zeit einen Burschen zum Mähen oder eine Magd zum Behacken braucht, wird er sie sich auf dem Meierhof holen können, ohne daß es ihm einen roten Heller kosten soll. Das ist so mein Wille und so soll es sein. Und als Gegenleistung wird er der Roose am Tag ihrer Hochzeit ein neues Bettgestell aus Nußholz geben mit Matratzen drin und Bettlaken dazu und jede Weihnachten ein fettes Schwein.«
»Das ist ein schlechter Handel,« gab Kobes pfiffiger Zechgenosse schlau zurück, »daß ich jede Weihnachten ein fettes Schwein einbüßen soll und jeden Tag im Jahr eine gute Tochter.«
»Hoho!« lachte Kobe voll auf, »schon wahr, das hab' ich nicht bedacht.«
Er leerte seinen Schoppen in einem Zuge.
»Hört mal, Jan. Es gibt noch immer was Besseres für jeden von uns. Danach will ich es sein, der ihm das fette Schwein zu Weihnachten bringt. Aber Ihr werdet mir ein für allemal die kleine Wiese an der Chaussee überlassen.«
»Nichts werd' ich Euch geben,« sagte Jan Slim.
Seine Augen funkelten zornig, und er schlug dazu mit der Faust auf.
»Ich werde nichts geben. Es ist mir gerade genug, daß Ihr die Roose für Euch haben wollt. Wenn sie weg ist, wer soll sie mir da ersetzen. Ich müßte dann schon Tagelöhner ins Haus nehmen und die ganze Wirtschaft würde dann in Unordnung geraten …«
Sie saßen eine Weile schweigend einander gegenüber, und dann begann der magere kleine Bauer zu jammern: »Unsere arme Roose! Aber was soll aus dem Hause werden? Und die vielen Regentage … Ursula ist doch nur noch dazu da, um ihre Hände in den Schoß zu legen und zu jammern. Wenn man alten Leuten ihr Kind nimmt, kann man ihnen schon keinen größeren Kummer antun.
Das Herz von Kobe, der ein gutmütiger Mann war, verfing sich in die Netze des listigen Mannes, und er begann in sich hineinzusinnen.
»Recht hat er schon, Roose ist der Reichtum, die Gesundheit und die Freude in diesem Hause. Was bleibt denn denen noch, wenn Rose ihr Haus verläßt und mein Haus das ihre wird?«
Und während in Kobes Gesicht ein Abglanz dieser großmütigen Gefühle sichtbar wird, hält Jan Slim den Augenblick für gekommen, wo er sich damit hervorwagen kann, was er schon lange im Sinn gehabt hatte. Er sah noch einmal aus einer Wolke von Rauch und Qualm mit Augen, die wie Kohlen funkelten, in Kobes Gesicht und sagte dann:
»Kobe Snipzel will meine Roose, aber er soll mir meine Schuld streichen. So will ich es.«
»Gut! Gut! Abgemachte Sache!« rief Kobe, »reden wir nicht mehr davon.«
Und er leerte froh sein Glas auf die Gesundheit von Jan Slim.