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Eine Knospe hielt die grünen Deckblätter fest geschlossen, trotzdem die Frühlingssonne schon warm auf den Kirschbaum hinabschien. »Warum willst Du dem Lichte nicht gehorchen?« fragte die Nachbarin, welche sich schon zur Blüte entfaltet hatte. »Weil ich meiner Ueberzeugung treu bleiben will,« lautete die hochmütige Antwort. – Bald darauf hatte die andere die weißen Blütenblättchen abgeworfen und zeigte die werdende Frucht. »Wie verächtlich Du bist!« wandte sich jene zu ihr »schon zum zweiten Mal wechselst Du Deinen Charakter!« – »Thörin!« entgegnete die junge Frucht, »ich gehorche der inneren Vernunft, indem ich mich nach meinem Wesen entfalte. Was Du Ueberzeugungstreue nennst, ist starrsinnige Beschränktheit. Du wirst bald einschrumpfen und nutzlos vom Baume fallen.«
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Ein bedächtiges Eselchen und ein feuriges Füllen äseten auf einem umfriedeten Weideplatz, welchen ein breiter Bach durchfloß. Das Füllen sprang über demselben mit einem Satze, während das Langohr ihn durchwatete und dann nicht ohne Mühe die Böschung hinaufstieg. »Wie ungeschickt Du bist!« rief jenes. »Bin ich denn nicht auch hinüber gekommen?« erwiderte der Esel. »Ja, aber plump und mühevoll!« »Höhne nicht,« warf der Hund ein. »es ist ein Zeichen von Hochmut und Beschränkung zu fordern, daß ein Anderer dasselbe wie Du nur auf Deine Weise erreichen dürfe.«
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Am Thore eines Gehöftes saß ein kleiner bissiger Köter. Da kam ein kräftiger Neufundländer heran, und ging, als er das keifende Hündchen gewahrte, ruhig auf die andere Seite der Straße. »Du Feigling,« schrie ihm der Kleine nach, »Du fürchtest Dich!« Jener blieb stehen und entgegnete: »Fürchten? Dich? Nein, aber der Starke vermeidet jeden Kampf, wenn er weiß, daß der sichere Sieg ihm keine Ehre bringen kann.« Dann sprang er davon, der Köter aber sagte befriedigt zu sich: »Er fürchtet mich doch!«
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Ein schmutziger Fetzen Papier wurde vom Winde auf den Wipfel eines blühenden Fruchtbaums getragen. Als er nun so hoch oben vom Lufthauche geschaukelt wurde, kam der Hochmut über ihn und er sagte zu den Blüten unter sich: »Ich bin mehr als Ihr, und stehe über Euch Allen.« Da rauschte ihm der Wipfel zu: »Dir wäre besser, unten im Staube geblieben zu sein; jetzt erst, seit Dich das Glück erhoben hat, sieht man welch schmutziger Geselle Du bist. Pöbel bleibt Pöbel überall.«
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Eine Ente bewunderte den größten Hahn des Hofs wegen seiner entschiedenen langen Schritte, mit welchem er so rasch vorwärtskam. Sie beschloß das Schwimmen im Teiche ganz aufzugeben und übte sich unermüdlich im Gehen. Sie brachte es durch ihren Fleiß dahin, so weite und entschiedene Schritte zu machen wie ein Durchschnittshahn, ohne jedoch, was sie sich einbildete, das ausgezeichnete Vorbild erreicht zu haben, und sah nun mit Verachtung auf ihre Schwestern. Da sagte eine zu ihr: »Ich bewundere zwar Dein Schreiten, aber finde es dennoch thöricht, wenn jemand auf die Entfaltung natürlicher, ihm angeborner Gaben verzichtet, um sich andere anzukünsteln.«
Das thun Mädchen, welche durchaus nur Gelehrte werden wollen, und sich den Anschein geben, als sei alles Weibliche unter ihrer Würde.
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Ein verwöhnter, eitler Mops, trat unversehens vor einen Spiegel. Als er die unförmliche, häßliche Gestalt vor sich sah, sagte er: »Pfui, welch gemeines, widerliches Geschöpf! Da bin doch ich ein andrer Kerl!«
»Im Spiegel der Wahrheit erkennt man sich niemals,« rief ihm der Spiegel entgegen.
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Mitten in ein Beet von duftenden Veilchen hatte der Haushund etwas – fallen gelassen. Da kam eilig und voll Freude ein Mistkäfer herbeigerannt und schrie: »Gott sei Dank! Endlich mitten unter idealistischen Einbildungen ein Stück unverfälschter Natur!«
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Ein Kater und ein Hund stritten heftig mit einander. »Mein Schwanz nur ist der wirkliche Schwanz, der Schwanz an sich!« sagte jener. »Nein,« war die Antwort. »Ein glatter Schwanz entspricht nicht einmal der Idee des Schwanzes. Nur der buschige genügt seinem Zwecke.« »Was? Du bist ein Dummkopf!« »Und Du ein Schuft!« Und mit Gefauche und Gebelle fuhren sie auf einander los.
Politische Gegner können sich zwar gegenseitig beschimpfen aber weder überzeugen, noch verstehen.
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Eine Henne hatte sich auf einen Misthaufen gestellt und redete zu ihren Geschlechtsgenossinnen: »Wir müssen uns frei machen von den Hähnen, ja selbst Hähne werden. Nur die tausendjährige Unterdrückung hat unsere Natur verkümmert. Wir erkennen das Uebergewicht des Hahnes nicht mehr an!« Sie stockte plötzlich, denn der überstarke Drang ihrer Weiblichkeit machte sich ihr bemerkbar, aber sie bezwang sich, um ihren Grundsätzen nicht untreu zu werden und schrie: »Auch wir wollen den Kamm und die Sporen!« In diesem Augenblicke erlahmte ihre Widerstandskraft und es entfiel ihr ein weißes schimmerndes Ei.
Ein Hahn, welcher vom Zaune her die Versammlung belauscht hatte, brach in ein krähendes Gelächter aus: »Und wenn Ihr noch so schreit, Ihr werdet immer mitten in Euren logischen Erörterungen unlogische Gefühlseier legen. Was als Gackgack geboren ist, wird niemals zum Kikeriki.«
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In wütendem Grolle brauste der Sturm um ein mächtiges Felsenriff, um es zu stürzen. Endlich zog er müde die Schwingen ein und sagte zu der Welle: »Wie kommt es, daß ich, der Stack, ermatte, wo Du siegst?« »Weil ungezügelte Kraft schnell ermüdet, ich aber niemals raste und geduldig bin.«
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Ein Schlange sagte zum äsenden Adler: »Magst Du von Deinen Höhen noch so stolz auf uns niederschauen, hinab mußt Du doch, um zu leben.« »Nein, nur um mich zu sättigen. Will ich aber meinem Wesen gemäß leben, dann muß ich durch reine Luft oder durch Wetterwolken zur Sonne. Wer nur kriecht, wird das freilich nie verstehen.«
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Mitten unter hohen Farren begann ein junges Eichbäumchen zu sprießen. Jene blickten mißmutig auf ihn nieder und befeindeten den Eindringling auf alle Weise, indem sie ihm das Licht und die Nährkraft der Erde zu entziehen suchten. Er jedoch im Vertrauen auf die eingeborene Kraft duldete alles. Als er aber nach Jahren das Kraut mit stolzer Krone überragte, da flüsterten sie alle zu ihm ergeben und im Schmeichelton: »Wir haben es ja immer gesagt, daß Du ein großes Talent bist.«
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Eine schmutzige Unke saß am Rande des Sumpfs und predigte den Genossen: »Was seid Ihr für unreinliche Thiere! Nur im ärgsten Morast fühlt Ihr Euch wohl, statt Euch zu reinigen im klaren Bache. Seht Euch den Schwan mit seinem schneeigen Gefieder an. Es ist eine wahre Seelenfreude, ihn zu schauen. Nehmt Euch ein Beispiel!« Da erhob ein Zuhörer seine Stimme: »Ja aber, wenn Du die Reinlichkeit so hoch schätzest, warum lebst Du gerade so wie wir?« »Du bist ein Dummkopf,« antwortete die Unke, »wenn ich mich mit der eigenen Reinlichkeit befassen sollte, wann fände ich Zeit über fremden Schmutz zu schimpfen?«
Um einen Eichenstamm begann sich der Epheu zu ranken. »Gestatte,« sagte er, »daß ich bei Dir Schutz suche. Zum Danke will ich Dich mit immergrünen Blättern schmücken.« Die Eiche rauschte Gewährung und freute sich über die blühende Zier, welche die vielfach gesprengte Rinde so freundlich bedeckte. Aber immer höher klomm der Schützling in das knorrige Geäste und enger wurde die Umschlingung. Da sagte der Baum: »Du raubst mir den Atem! Steige wieder hinab zur Erde!« Da rief der Epheu: »Wie undankbar bist Du! Habe ich Dich nicht überreich geschmückt?« Die Eiche aber schüttelte das Haupt: »Es ist nicht wahrer Schmuck, was man mit seiner gesunden Lebenskraft bezahlen muß.«
So tödtet Prunksucht die echte Gesittung.
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Eine Schmeißfliege surrte auf von dem hoheitsvollen Antlitz einer Zeusbüste und rief dabei: »Was bin ich doch für ein bedeutender Geist! Eben habe ich einen Gott beschmitzt.«
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Ein vom Winde losgerissenes Eichenblatt fiel wieder auf den Wipfel des Baumes zurück. Während seines Flugs hatte es geglaubt, ganz frei und zu besonderem Schicksal auserlesen zu sein. Als es nun die gefesselten Genossen sah, begann es zu sprechen: »Ihr Elenden und Armen! Ihr wißt nichts von dem Hochgefühl, welches meine Brust schwellt. Als erbärmliche Knechte duldet Ihr die Fesseln! Das muß anders werden: losreißen müßt Ihr Euch vom Baum! Der Baum mit seiner Ordnung, welche nur durch Gewalt aufrecht erhalten wird, mit seiner Einteilung in Würzelchen und Wurzeln, Stamm, Aeste, Zweige, bis zu den Blättern, ist ein künstliches Blendwerk. Strebt nach freier, fröhlicher Anarchie, in welcher jeder seinem Treiben folgt, sich selber nur Herr!« So regte das Blatt die andern auf. Manche schienen bewegt und Eins fragte, wie das Ziel zu erreichen wäre. »Sehr einfach!« lautete die Antwort. »Nicht etwa durch Geduld, sondern durch Gewalt. Ihr müßt den Sturm zu Hilfe rufen. Nur eine Revolution kann Euch das Paradies bringen.« So thaten sie denn auch und siehe, der Helfer riß viele Hunderte von ihnen los. Als sie nun so in den Lüften wirbelten und tanzten, waren sie voll Jubel und gar stolz auf ihre Freiheit und Selbstbestimmung – dann aber sanken sie, die einen auf den staubigen Weg, die andern in den Sumpf und gingen dort elend zu Grunde.
Diejenigen aber, welche der Eiche treu geblieben waren, arbeiteten jedes an seiner Stelle, um den Baum mitnähren zu helfen und sie blieben grün und frisch. Als sie aber dann alt wurden, hielt sie der dankbare Baum noch immer fest, und erst als die jungen Knospen, das neue Geschlecht, da waren, ließ er jene stille zu Boden sinken – und siehe: die Todten wurden Erde und befruchteten von Neuem die Wurzeln des Baumes, welcher ihre Heimat gewesen war.
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Die Kerze war nahe daran, zu erlöschen. Als sie sah, daß es zu Ende gehe, raffte sie die letzten Kräfte zusammen und sagte: »Wie dankbar muß ich sein! Mein Leben war reich, unendlich reich an Glück, denn ich durfte anderen dienen bis zum Tode!« Einmal noch flackerte sie auf, und dann war sie erloschen.
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Ein schöner kräftiger Falke war unzufrieden mit dem, was er war, und wollte durchaus als Adler gelten. Er flog deshalb nach einem hohen Felsen und bezog einen verlassenen Horst. Dort lebte er sich ganz in die Einbildung hinein, König der Vögel zu sein und schrie: »Wie groß bin ich in meiner Einsamkeit!« Eine alte, erfahrene Eidechse lugte aus dem Ritz, wo sie ihr Heim aufgeschlagen hatte und sagte: »Wie thöricht Du bist! Statt unter Deines Gleichen ein erster zu sein, machst Du diese Dir zu Feinden und Dich bei den Adlern zum Gespött.« Die Warnung half nichts: der Falke sitzt noch immer im Horst – ein Adler ist er aber bis heute noch nicht geworden.
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Wolf, Hund und Fuchs gingen miteinander jagen. Der Fuchs spürte mit seiner feinen Nase die Fährte eines Rehes auf, der Hund, welcher voll Eifer folgte, schreckte es mit seinem Gebell aus dem Lager auf und trieb es dem lauernden Wolfe entgegen. Dieser stürzte sich auf die Beute und machte das arme Tier todt. Da kam der Hund unter Keuchen angerannt und sagte: »Herr, ich habe Dir ehrlich gedient und bitte nun um meinen Lohn.« Der Wolf aber fuhr auf ihn mit Scheltworten los und schüttelte und zauste ihn derart, daß der Hund froh war, wenn auch mit Wunden, so doch mit dem Leben davonzukommen. Der schlaue Fuchs hatte es gesehen und kam nun demütig mit eingezogenem Schweife herbeigeschlichen. »Willst Du auch etwas?« fragte der Wolf. »O, Herr, wie könnte ich fordern, wo ich doch kein Recht dazu habe? Gebührt nicht Dir alles Verdienst, Du starker Held?! Ich empfehle mich ganz Deiner bekannten Großmut.« Da warf ihm der Satte ein Stück hin. »Hier ein Zeichen meiner Gnade! Ich bin Dir gewogen« Als der Fuchs mit seinem Lohn heim lief, traf er den ächzenden Hund, welcher seine Wunden leckte und nun ausrief: »Also Dir hat der gefräßige Tyrann doch etwas gegeben?« »Gewiß. Merke Dir eins: Dem starken Selbstling gegenüber hilft es Dir nichts, wenn Du auf Dein Recht hinweisest. Du mußt auch dieses als eine Gnade ihm vorstellen und ihn als großmütig preisen. Dann schenkt er Dir mehr noch, als Du beanspruchen dürftest.« Der Hund aber sagte: »Ich ziehe eine andere Lehre daraus: für den Ehrlichen ist's besser, einem solchen Herrn nicht zu dienen.«
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Ein verwöhnter Windhund hatte eben die Hälfte von seinem reichlichen Fleischmahl verschlungen. Jetzt schnubberte er übersatt unter den fetten Bissen umher, erfaßte ein Stück und schlenkerte es mit der Schnauze hin und her. Aber mit dem besten Willen konnte er sich nicht mehr zwingen, es zu genießen, ließ es daher in die Schüssel zurückfallen und sagte: »Ich will mich in der Enthaltsamkeit üben – das beweist Seelengröße.«
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»Warum,« rief die Erde der Sonne zu, als Wolken sich vor dieselbe schoben, »warum versteckst Du Dich?« »Du irrest,« erwiderte sie, »ich und die Wahrheit verstecken uns nie, wir können nur durch Wolken und Lügen bedeckt werden. Beide aber sind Schein und darum müssen beide weichen.«
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