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Jedes Lebensalter hat seine eigene Art von Glück. Jenes der Jugend ist zumeist aus schönen Täuschungen zusammengesetzt, und eine der schönsten ist, daß man sich den Mittelpunkt der Welt dünkt. Fest gegründet scheint das Ich, scheint dessen Wille; unendlicher Werdedrang verbündet sich mit der Einbildungskraft und glaubt, alles vorgestellte, gedachte Glück müsse sich einmal gestalten. Kühn schweift der Geist im unbeschränkten Reiche des Wunsches und glaubt, daß die äußere Freiheit, welche er hier genießt, auch im Tatleben vorhanden sei.
So baut er aus Luftsteinen das Luftschloß der Zukunft, mit sonnigen Hallen und blühenden Gärten. Dort wird er sein Ich nach allen Seiten frei entwickeln können, dort jeden Keim zu einem stolzen Baum aus eigener Kraft entfalten. Dort wird er als Erbauer und Beherrscher seines eigenen Schicksals wandeln. So werde es sein: dafür bürgt das Kraftgefühl der Jugend, der Schöpfer- und Genußdrang: die Muskeln zucken fast entgegen den künftigen Lasten, die Arme breiten sich sehnsuchtsvoll aus, um alles Glück der Erde an sich zu reißen. Mit trotzigem Selbstgefühl wehrt sich das Ich gegen die bloße Vorstellung zu müssen und hält vielleicht jeden für einen Schwächling, welcher sich in der Erkenntniß dem Zwange beugt und unter äußerem Zwange nach innerer Freiheit ringt.
Es ist eine Zeit der Thorheit, aber doch eine glückliche Zeit, denn eine edler geartete Natur, welche nicht nur von gemeinem Sinnenglücke träumt, schafft in ihr die Leitbilder des Lebens. Unendlich wenige mögen Wahrheit in sich enthalten, einige aber schließen doch deren Kern ein, und das reifende Gemüt wird ihn entfalten, die meisten aber sind Täuschungen, in welchen die Selbstsucht des natürlichen Menschen lebt. Alles was scheinbar von außen lockt, Genüsse der Sinnlichkeit, Erfolge, Besitz, Ehren und Ruhm, es ist in Wahrheit eine Vorstellung im Ich, welches dabei so zu sagen, sich spaltet: die lockenden Ziele verweist und verkörpert es in die Welt außer sich hinaus, in sich fühlt es nur das begehrende Ich, aber beides ist in Wirklichkeit in uns: das Ich, welches will und das Gewollte. Im Augenblicke der Befriedigung fließt beides zusammen, und darum ist die quälende Spaltung aufgehoben und in dieser Einheit liegt das »Glücksgefühl«. Aber das Ich rastet nicht lange, sondern treibt bald wieder eine solche Vorstellung von einem Gewollten hervor, theilt sich von neuem und hofft von neuem dauernde Befriedigung von einem anderen »Glück«. So liegen zwei Strebungen im Ich: die unerkannte Sehnsucht nach einem bleibenden Zustande, nach dem Gleichgewicht, und dann der Drang nach der Bewegung, welcher stets zu neuen Spaltungen führt.
Die meisten Menschen geben sich nicht die Mühe, das zu erkennen, vor allem die Jugend nicht. Weil sie vielleicht einmal durch Erringen des Gewollten das schöne Glücksgefühl ganz empfunden und es dennoch bald verloren haben, so machen sie den Irrschluß: die Ursache der Unbefriedigung habe in dem Erreichten gelegen; es müsse aber andere Dinge geben, deren Gewinnung volles und bleibendes Glück in sich schließe. So täuscht sich das hungrige Ich selbst und ringt weiter. Aber es kann ihm auch das Erstrebte versagt werden – vielleicht gewinnt es dadurch noch mehr an Reiz – und es befestigt sich die innere Spaltung. Dann aber bleibt es nicht nur bei diesem quälenden Gegensatz in unserem Innern, sondern es werden sich aus demselben Leidenschaften aller Art entwickeln, wie Neid und Haß den »Glücklichen« gegenüber.
Die Ursache dieser Friedlosigkeit liegt in der Selbstsucht, diese jedoch muß sich bilden, sobald und solange das wollende Ich Alles auf sich bezieht, für sich Befriedigung fordert. Es gilt somit auf dieses Ich zu verzichten.
Die Worte klingen härter, als sie sind, sie scheinen eine Unmöglichkeit zu fordern, und doch ist's nicht so. Verzichten auf das, was den Mittelpunkt unseres Seins, ja dessen Quelle zu bilden scheint, ist das nicht undenkbar? Keines Wesens sind wir so bewußt, wie des Ichs; sowie der Einschlag den Zettel, so durchdringt es das ganze wunderbare Gewebe des Geistes, alle Gedanken und Gefühle; es scheint die Welt in uns erschaffen zu haben, es scheint das Verwandte aufzunehmen nach seiner Wahl, nach freier Wahl das Feindliche von sich zu weisen; es lebt in einer Gestalt, welche sich frei bewegt, es schuf aus sich Werke erhabener Kunst, es berechnet die Bahnen der Gestirne, es ordnet im Geiste den Kosmos. Und dieses Ich sollte der Mensch wegwerfen? Wie thöricht!
Doch nicht so ganz, wie es scheinen möchte. Nicht das Ich an sich müssen wir bekämpfen und unterdrücken, sondern nur das sich selbst wollende Ich, welches stets in der Welt außer sich das »Glück« sucht.
Gewiß dürfen wir nach Glück streben, denn es giebt ein solches trotz aller Pessimisten; aber wir sollen den Willen, der sich immer nach außen zerstreuen möchte, gesammelt in uns selbst zurückleiten zu der tiefsten Quelle unseres Wesens. Alle Mühe, den Frieden außer uns zu finden, ist ganz umsonst, mit keinem Dinge der äußeren Welt hängt derselbe innerlich zusammen, nur in uns allein können wir ihn erobern.
Aber dieser Teil unseres Innern, welcher sich den Lockungen der Außenwelt leidenschaftlich hingiebt, bildet den Wall, der uns vom Wesenhaften in uns scheidet. Mag auch die Sehnsucht nach Frieden in uns vorhanden sein, sie bleibt ein zweckloses Gefühl, so lange der Wall des nur sich suchenden Ich besteht. Wer daher Frieden will, muß auch das Hemmniß beseitigen wollen, von diesem Muß kann nichts und niemand ihn frei machen.
Das Wollen selbst soll nicht sterben, aber sich in das Wesen hinein wenden. Dort nur gewinnt es die Erkenntniß, daß man die Ruhe erwerben kann, wenn man vorher dem selbstsüchtigen Drange des Herzens entsagt hat.
Diese Ruhe besteht in der Zuwendung zu dem, was die Vernunft als »reines Sein«, als »Weltwesen«, u. s. w. bezeichnet, das religiöse Gemüt als Gott begreift und empfindet. Echte Philosophie wie echte Religion sind nur zwei Seiten desselben geistigen Dranges, zwei mit verschiedenen Mitteln unternommene Versuche, die Wege darzulegen, welche den Menschengeist aus den Banden der Sinnlichkeit, ihn zur inneren Freiheit von dem Zwange der Außenwelt führen können.
Wie man nur dann mit der Vernunft nach wahrer Einsicht streben kann, wenn man sich selbstlos dem Trieb nach Erkenntniß hingiebt, so vermag man auch Gott nur dann zu lieben, wenn man jenes Ich überwunden hat, welches als Anfang und Ziel allen Strebens gilt.
Hat der ringende Menschengeist nun erst einmal sich in tiefstem Gemüt als mit dem Ewigen, mit Gott verwandt gefühlt, und in der selbstlosen Hingabe an ihn den Weg zu ihm erkannt, dann wird er aus sich heraus die Selbstverleugnung als Pflicht begreifen, und als Zeichen wahrhaft sittlichen Handelns wird ihm das Bewußtsein gelten, daß seine Tat ihm die Einheit mit Gott nicht zerstöre.
In allem, was er thut und leidet, wird er sich des Zusammenhanges mit dem »Vater« bewußt zu bleiben suchen. Je tiefer er denselben empfindet, desto gewaltiger wird sich vor ihm das Sittengesetz aufbauen in seiner gottentstammten Herrlichkeit, desto inniger wird er empfinden, daß er ihm gehorchen müsse, daß er der geistigen Verwandtschaft mit Gott, dessen ein Wesenstheil sich uns eben als Sittliches offenbart, sich wert erweisen müsse durch die bedingungslose Hingabe an das im Gemüt empfundene, mit der Vernunft erkannte ethische Gesetz.
Wo wir von einem Reiz der Außenwelt berührt, aufflammen in Begier, und der Wille sich sträubt, ihn zu zwingen, dort ertönt das erste »Du mußt«; wo die Leidenschaft etwas begehrt, trotzdem damit dem schuldlosen Nächsten ein unverdientes Uebel zugefügt wird, spricht die innere Stimme. Dieses »Du mußt« ist aber dennoch nicht die Formel eines äußeren Zwanges. Denn wer ihm gehorcht, ist frei, da er sein innerstes in Gott wurzelndes Wesen in Uebung des Guten, der Selbstverleugnung sich eben ungehemmt ausleben läßt, da sein innerstes Gemüt das will, was auch die Vernunft als Pflicht erkannt hat.
Indem der Mensch, seiner Verbindung mit dem Göttlichen bewußt, so den Weg höherer Sittlichkeit beschreitet, braucht er noch nicht alles, was die Welt Glück nennt, zu verachten. Aber es ist ihm nicht mehr das Ziel seines Strebens, sondern nur ein nebensächliches Ergebniß des äußern Weltlaufs. Er wird es nützen für sich und andere, kommt es aber nicht, so wird er darüber nicht unglücklich werden, nicht andere beneiden.
Es hat schon oft im Laufe der Geschichte Zeiten gegeben, wo die allergrößte Zahl der Menschen nur dem äußerlichen Glück nachjagte und in dieser Hetze das Gehör verlor für das »Du mußt!« Heute ist auch wieder eine solche Zeit und darum sind die Menschen so friedlos und zerrissen; darum streben sie so fieberhaft nach äußerer »Freiheit«, ohne zu wissen, daß dieselbe, wie sie sich den Begriff auslegen, ein Irrwahn sei. Nicht nach außen hin ist uns die unendliche Möglichkeit freier Entfaltung geboten, sondern nur nach Innen; nicht die Außenwelt giebt uns die Kraft, uns der Selbstsucht zu entäußern, sondern aus dem Tiefsten unseres Seins fließt sie; nicht die Welt lehrt uns zu lieben, sittlich zu werden, sondern das Gemüt thut es allein. Aus ihm fließt der Ernst, welcher das »Du mußt!« empfindet, aber auch jene frohe Kraft, welche das Gebot inneren Zwanges zu dem freien »Ich will« wandelt.
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