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Der Takt der Drescher wie Trommelschlegel trommelt zu Ende das Bauernjahr – dies ist aber nicht der alleinige Beschluß des fruchtbaren Herbstes, es reihen sich auch sonst im uralten Kreislauf noch manche Arbeiten und stille und laute Feiern an die Einbringung der Ernte, und aus Beschluß und Beginn erhebt schon das neue Bauernjahr sein hoffendes Haupt. Ich wohne für ein paar Tage im Kralehnerhof, der Brunnen rauscht die ganze Nacht durch Schlaf und Traum, das ewig fließende Wasser rastet nicht, unablässig geht es dahin und ist vergangen, gegenwärtig und zukünftig in seinem beständigen Lauf. Mit meiner Schreibarbeit bin ich hinunter in die Stube gegangen, früh vor dem ersten Geläut, denn der Kachelofen ist nicht mehr gut zu entbehren, die schneebedeckten Berge senden schon einen eisigen Hauch durch die Nacht.
Jetzt kommt Severin herein und geht seinen Geschäften nach. Vergleichend legt er zwei Kornähren nebeneinander. »Die vom vorigen Jahr ist nicht so schwer wie die heurige«, sagt er zu mir, 49 »die neue ist fast um zwei Fingerbreiten länger als die alte, auch ist sie besser gefüllt, und die Körner sind dicker. Zufrieden kann man sein, heuer.« Und er steckt behutsam die Ähren hinter den Spiegel, wo sie bis zum nächsten Sommer verbleiben, um dann zu neuem Vergleich zu dienen.
Severin nimmt sich den gestern beiseitegelegten Rechen wieder her und schnitzelt an den hölzernen Zähnen, die er neu einzusetzen hat. Die Ernte hat alles Gerät stark hergenommen, auch die Hackenstiele sind zu erneuern und draußen wartet eine große Arbeit, der Zaun für den neuangelegten Garten will ausgemessen, zubereitet und aufgerichtet werden.
Die Uhr mit den Hängegewichten schlägt halb sechs, jetzt kommt die Bäuerin von der Stallarbeit und betritt die Stube. Sie hat einen bunten Teller unter den linken Arm geklemmt, mit der Rechten hält sie die Zipfel der Blaudruckschürze, in die sie einige Handvoll Weizen eingefüllt hat. Sorgsam schüttet sie das Getreide in den Teller, streicht es glatt und gießt ein wenig Wasser darauf. In die Mitte steckt sie eine Wachskerze. Bald wird das Getreide keimen, und im Advent wird die dann entzündete Kerze durch das helle Grün leuchten. Der Teller erhält seinen Platz im Herrgottswinkel.
Die Mägde haben heute die Spinnräder vom Boden geholt und stecken die Wickel auf. Als Erste setzt sich die Bäuerin ans Spinnrad und läßt es ein wenig zur Probe laufen. Hart geht's noch. Mit ein paar Tropfen Öl bringt sie das Rad in besseren Gang, und nun läuft es leise surrend. Die Mutter der Bäuerin hat damit gesponnen, die Großmutter und schon die Urahne, die es zu ihrer Zeit als Brautgut in dieses Haus gebracht hat.
Die Bäuerin überdenkt, daß vom vorigen Jahre nur noch wenige Flachswickel vorrätig sind. Es ist Zeit, das »Hoar«, wie der Flachs genannt wird, das schon über dem Dörrofen gedörrt ist, fertigzumachen und das Flachsbrecheln zu beginnen. Der Großmagd hat sie schon gestern am Abend den Auftrag 50 gegeben, alles für das Brechelessen vorzurichten. Von den übrigen Mägden weiß noch niemand davon. Drum freut sie sich an den überraschten Gesichtern, als sie verkündet: »Könnt's den Wiesnerdirndln Botschaft sagen, daß sie nachmittags kommen zum Brecheln.« Da schießen die Dirndln hinaus aus der Stube, aufs Flachsbrecheln freuen sie sich schon den ganzen Sommer über.
Schon ist die Jungmagd allen voraus über den Anger dahingestürmt, zum Wiesnerhof hinauf, dann hinüber zum Nachbarn, dem »Schneider im Holz«, und auch die von der Mühle sollen dabei sein. Im voraus ist sie der Zustimmung gewiß, alle kommen gern zum Brecheln, zur Arbeit und zum Fest, das den Arbeitstag beschließt.
Auf der andern Seite des Tales, am Berghang, steigt bläulicher Rauch auf. Auch der Fragnerbauer tut »Hoar dörren«. Er hat statt des Ofens eine »Dörrlucken«, klaftertief geht der rechteckige Schacht waagrecht in die Erde hinein und mündet dann unter einem Stangenrost, auf dem der Flachs dörrt. Vom Feuer zieht die heiße Luft hindurch und macht den Flachs zum Brecheln bereit. Der Severin hat's plötzlich eilig, auch er hastet über die Leiter hinauf zum Wiesnerhof. Wie die Dirndln zusammenhalten und keinen Burschen gutwillig in die Brechelhütte einlassen, so halten auch die Burschen zusammen. Beim sogenannten »Brechelschröcken« sind alle dabei. Es ist ein Spaß für beide Teile, wenn die Burschen die Brechlerinnen auf dem Wege zur Hütte erschrecken und ihnen einen Schabernack antun. Das alles will ebenso vorbereitet werden wie die Arbeit der Mädchen, und außerdem muß manches ausgeredet werden wegen der Brechelpredigt und der Brechellitanei.
Unterdessen hat die Bäuerin aus der Schlafkammer den Schlüssel zur Brechelhütte geholt. Sie geht über den Hof, am Stall vorbei, zum »Troadkeller«, wo die Körnerfrucht aufgeschüttet ist, und an dessen Rückwand die Brechelhütte angebaut liegt. Viel Arbeit braucht der Flachs, denkt die Bäuerin, und wieder 51 kommt ihr die Anwandlung, ob sie nicht doch statt des Flachses andere Frucht bauen soll, aber stolz ist sie doch auf den Eigenbau an Flachs und die im Haus gefertigte Leinwand, und dann – was wäre der November ohne die Brechelbraut?
Im August schon ging sie mit den Mägden aufs Feld zum »Hoar raufen«. Die Nesseln brennen, die bloßen Hände schmerzen, die Sonne sengt – dann liegen die schlanken Flachsstauden in Reihen auf dem Acker, locker und schütter aufgebreitet.
Gut, wenn kein Regen kommt. Und ist der Flachs trocken, so fassen ihn die Weiber mit der Sichel in kleine Garben. Er wird gebunden und in »Bindsln« auf das Feld gestellt. Bald trocknet er zum letzten auf den Hiefeln.
Dann wird der Flachs auf einer Reitbank, dem »Hoarriefel«, geriefelt. Die Samenkapseln werden abgestreift, ihnen wird das Saatgut für das nächste Jahr entnommen. Wieder kommt der Flachs aufs Feld, »woaken« muß er jetzt. Tau muß fallen, Regen muß regnen, manchmal kommt früher Schnee. Faulig riechend liegt der Flachs auf dem Feld, manche Tage lang, bis sich leicht das Pflanzenfleisch von der Faser löst. Vor ein paar Tagen hat nun die Bäuerin den Flachs zusammenrechen und am luftigen Ort vortrocknen lassen. Jetzt hängt er in der Brechelhütte, wo er bündelweise und vorsichtig gedörrt wurde. Glasspröde hängt er auf der »Hoarbrücken«, dem langen Querbalken über dem Herd. Trockene Hitze hat der steinerne Herd ausgestrahlt. Die Bäuerin greift nach dem gedörrten Flachs; er knirscht zwischen den Fingern.
Der Bauer kommt herein, mit seinen rindsledernen Dornhandschuhen an den Händen. Auch er freut sich auf das Brechelfest, und seine eigene wichtige Rolle in dem schönen Volksbrauch.
»Krapfen mußt backen«, sagt er und klöscht der Bäuerin eins auf die Achsel. »Eine Flasche Wacholder spendiere ich – und ein Seidentüchel mit Fransen auch. Und Wein und Bier muß genug da sein«, sagt er. Dann geht er pfeifend hinaus und wieder an 52 seine Arbeit. Das Strohdach muß ausgebessert sein, bevor der erste Schnee kommt, und ohne seine festen Handschuh könnte er die Arbeit nicht richten. Auch beim Zaunflechten braucht er sie.
Matthies, der Knecht, schneidet »Graß« für den Stall – das ist das Tannicht, das als Stallstreu verwendet wird. Dann schlichtet er das in den frühen Morgenstunden gespaltene Holz an der Außenwand des Hauses unter den Stubenfenstern auf. Er ist der Einzige, der sich nicht so ganz auf das Brechelfest freut. Denn er ahnt, daß die Predigt und die Litanei stark und gesalzen auf ihn gemünzt sein werden.
Der Bauer steht vor dem Haustor und schreit nach dem Severin, der, gut kenntlich an seinem roten Brustfleck, soeben aus der fernen Mühle flitzt, um zum Fragner zu laufen. Mitten im Ruf aber hält der Bauer inne, die Hände behält er versunken noch eine Weile vor dem Mund. Er bedenkt, daß alle Jahr nur einmal »Brechelschröcken« ist und daß er als Bursch geradeso, mitten aus der Arbeit, davongelaufen ist.
Durch die »Laben«, das Vorhaus, zieht jetzt wohlig ein Duft, der unzertrennlich mit dem Brechelfest verbunden ist, und den Bauern zieht es hinein in die Küche, wo schon der Mathies anwesend ist und der Franzel und die Jungdirn – und alle schauen in die Rein, wo im heißen Rindschmalz goldgelb, duftend und riesengroß der erste Tellerkrapfen schwimmt. Es ist, als ob der Geruch bis zum Fragner hinaufgezogen wäre, denn plötzlich ist auch der Severin da und meint: »Nacha hat uns die Bäuerin schön fürn Narren gehalten. Da hast es ja schon länger gewußt, daß heunt brechelt wird. Wannst hiazt Krapfen backst.«
Geheimnisvoll verschwindet er dann im Dachboden. Die Bäuerin aber schickt einen Knecht um ein Faß Bier hinunter ins Dorf. So ist der ganze Tag voll von Vorbereitungen für das kommende Fest.
Es ist noch fast nachtdunkel, da kommen am nächsten Morgen die gebetenen Frauen und Dirndeln. Sie sammeln sich in der 53 Stube, dann zieht die Schar hinaus zur Brechelhütte. Rötlich brennt unter ihrem Dach die Stallampe, wie ein verspäteter Stern.
Der Weg wäre nicht weit – aber die Burschen lauern hinter der Stallecke, und wie die Frauen vorüberkommen, springen auch schon ein paar rußgeschwärzte Gestalten unter die Dirndeln. Kreischend laufen sie in die Brechelhütte, die Burschen hinterdrein. Manches Dirndl muß sich mit dem Schürzenzipf die Rußflecken vom Gesicht wischen. Das »Brechelschröcken« wird sich abends noch fortsetzen, jetzt ist die Tür zur Brechelhütte gut versperrt und nicht so bald kann ein Bursch hinein, wie sie auch draußen lauern mögen.
Jede von den Brechlerinnen hat eine Brechel, fast wie eine Schere sieht sie aus, nur daß der eine Teil flach ist, damit der Flachs gut eben zu liegen kommt. Dann schlagen die Brecheln auf den Flachs, und die trockenen, holzigen Pflanzenteile springen von den Fasern. Die Weiber schütteln die Faserbündeln und was noch hängenbleibt an »Agen«, – so heißen die holzigen Abfälle –, das kämmt die Hechel aus dem Werg. Je öfter und feiner die Hechel kämmt, um so feiner wird der gesponnene Faden und somit auch die Leinwand. Das grobe Werg wird für Sackleinen verwendet, das weniger grobe für Rupfen. Der feinste Flachs wird zur sogenannten Reißten versponnen. – Fleißig brecheln die Brechlerinnen, später bekommen sie dann eine Jause, die die Bäuerin selber aufträgt. Und mit ihr drängt sich trotz heftiger Abwehr auch ein Bursch herein, aber dem geht's schlecht. Die Brechlerinnen schoppen ihn mit »Agen«. Mit vollen Händen füllen sie dem Burschen die holzigen Splitter ins Hemd und höllisch brennt ihm die Haut und er flieht im günstigsten Augenblick aus der Stube.
Schnell ist die Arbeit nun zu Ende geführt.
Die Brechlerin, die den letzten Flachsbund ausbrechelt, ist die Brechelbraut. Danach sitzen alle, die geladenen Dirndln und 54 die ungeladenen Burschen, in der Stube. Der Bauer thront an der Spitze der festlichen Tafel, Krapfen sind da und Bier und Wein, die Flasche mit dem Wacholderschnaps, ein Buschen Papierrosen und als erster Preis ein buntes Seidentuch. Dann fängt der Hauptspaß auch schon an. Herein kommt ein Schimmelpferd, dargestellt von zwei Burschen, die sich mit Leintüchern behängt und einen aus Polstern geformten Pferdekopf aufgesetzt haben. Das Roß wiehert und schlägt aus, knickt bald mit den Vorder-, bald mit den Hinterbeinen ein. Der Reiter, der oben saß, ist längst hinuntergerutscht, und unter Gejohle wird er wieder aufs Roß gesetzt. Die Stimmung wird ausgelassen, einer überbietet den andern, und wer es am tollsten treibt, der bekommt vom Bauern das Tüchel zum Lohn. Die Stube ist voll Tabakrauch, die Petroleumlampe über dem Tisch schwelt wie ein Mond im Nebel. Dann öffnet sich die Tür, und ein Kapuziner kommt in brauner Kutte und mit einem langen Bart aus Werg und riesig ausgestopfter Leibesfülle. Er hält jetzt von einer als Kanzel aufgestellten umgekehrten Butte herab die Brechelpredigt. Der Jubel der Zuhörer nimmt kein Ende. Die Predigt ist zusammengesetzt aus Späßen und Sticheleien, die auf die Anwesenden und Abwesenden gemünzt sind. Zum Schluß leiert er die Brechellitanei – die Dirndln fürchten sich darob, kein gutes Haar läßt der Prediger an ihnen, und auch die anderen, sei es nun der Lehrer, der Gendarm, der Jäger, bekommen ihr Teil ab. Schlag auf Schlag folgen die anzüglichen und oft sehr derben Anrufungen, so daß oft die Frauen sich nicht mehr getrauen aufzublicken. Mit einem salbungsvollen Spruch beendigt der Kapuziner seine Predigt. Der Bauer wirft nun unter die Burschen einen Tannenwipfel, um den ein wüstes Raufen beginnt. Der Sieger bekommt die Flasche Wacholder und den Blumenstrauß. Dabei spricht auch der Bauer seinen Spruch.
Nach der Preisverteilung verneigt sich der Sieger vor der Brechelbraut und beginnt mit ihr den Brecheltanz. Dem 55 altsteirischen Figurentanz folgt ein Walzer und ein Neubayrischer. Dazwischen werden die fast tellergroßen Krapfen der Bäuerin gegessen und der Wein dazu getrunken. Und viel gesungen wird, Jodler, Schnadahüpfen, lustige und ernste Lieder.
»Du wirst ma's wohl vazeiha heint, mein liawe Nachbarin,
daß i so uneingladnta heint za dir midn Rocka kimm.
Mir wird ja zhaus die Zeid so lang. Du magst ma's ga nid glaubn
und gestern hiet i bald mein Mann schan außakrailt die Augn.«
Bis um drei Uhr in der Früh dauert der Tanz. Jetzt kann man ja leicht eine Stunde länger rasten als im Sommer. Alle Arbeit beginnt später.
Am nächsten Morgen kehren die Mägde das Reisig vom Boden, ausgerieben wird und dabei reden sie davon, wann beim Nachbarn gebrechelt wird, denn auch sie sind dann dorthin eingeladen.
Nun ist Flachs, zu Wickeln gedreht, genug da. Als die tägliche Morgenarbeit getan ist, sitzt die Bäuerin mit den Mädchen vor den Spinnrädern. Bis auf die Jungmagd sind alle des Spinnens kundig. Gleichtönig laufen die Räder, nur das der Jungmagd schnurrt einmal schnell, dann wieder langsam, und der Faden dreht sich einmal dick wie Spagat und dann wieder dünn zum Reißen. Da ruft die Bäuerin die Ungeduldige an und heißt sie das Spinnrad neben das ihrige stellen, damit sie den kundigen Händen besser zuschauen kann. Wie ein Wunder kommt es der Jungmagd vor, wie der feine Faden gleichmäßig dünn auf die Spule läuft. Vorsichtig zupfen die Finger der Bäuerin zur rechten Zeit an dem dickeren Gespinnstknoten, und wieder spult sich der Faden auf, obwohl die Jungmagd schon schadenfroh denkt: »Jetzt reißt er.«
»Bis zum Fasching wird's mit dir schon gehen«, meint die 56 Hausfrau gutmütig. Die Jungmagd, das vierzehnjährige Dirndl, ist ein wenig der Verzug im Haus; und sie versteht auch gar so gut zu schmeicheln. Sie ist dankbar, daß sie in ein gutes Haus gekommen ist. Die Wärme und Freundlichkeit tut dem elternlosen Mädchen wohl. Nach einer Weile, als ihr der Faden immer und immer wieder reißt, gibt sie dem Spinnrad einen kleinen Stoß und fährt aus der Tür.
Nach einer Weile kommt sie wieder, die Schürze voll mit grünem dickem Moos, das sie sorgsam zwischen die äußeren und inneren Scheiben in die Fensterfüllung legt, zuunterst eine Schicht Sägspäne und darauf das Moos. Dann steckt sie die selbstgemachten Papierrosen ins Moos, jetzt kann der eisige Winterwind nicht mehr durchziehen. Solche Arbeit tut die Jungmagd gern. Im Sommer hat sie sich aus der ganzen Nachbarschaft die »Stupfen« und Ableger erbeten. Und jetzt stehen auf den Fensterbrettern, immer noch blühend, die Pelargonien und Fuchsien, der Rosmarin ist ein ansehnlicher Stock geworden – man hatte es dem kleinen Zweig nicht zugetraut, als ihn die Jungmagd im Sommer von der Hube brachte. Der Bauer sagt: »Die Mitzel hat eine gute Hand.«
So geht das Leben im Hause weiter. Der Bauer aber macht sich zu Mittag mit dem Severin auf in den Wald, zum »Schnoatteln«. Severin trägt das Hackmesser, das der Bauer vom Eisenhammer drunten im Tal besorgte. Es dauert nicht lange, so ist der Severin schon hoch droben in den Fichten. Geschickt hackt er im Emporklettern die Äste ab, die Wipfel nur bleiben unberührt. Unten arbeitet der Bauer die Äste auf und lädt sie später auf den Ochsenkarren. Er ist für die Arbeit, die der Severin tut, nicht mehr jung und geschmeidig genug. Jetzt fängt der Bursch oben an, sich mit dem schwanken Stamm zu schwingen, er steht im Wipfel und federt in den Kniekehlen, der Wipfel neigt sich links, rechts, immer schneller und weiter, bis er weitausholend fast den nächsten Baum erreicht. Auf diesen Augenblick hat der Severin 57 gewartet. Mit einem schrillen Schrei schnellt er sich vom Wipfel ab und greift mit den Händen hinüber nach dem anderen Baume, eine atemlose Sekunde lang fliegt er in der Höhe von zehn Metern über der Erde durch die Luft. Das Messer steckt im Hosenriemen. Kein Bursch, der schnoattlt, denkt daran, herunter und wieder hinauf zu klettern. Die luftige Arbeit ist das Vorrecht der gelenkigsten und schneidigsten Burschen. Durch die Luft zu fliegen, das gehört unabänderlich dazu, auch der Alte, der unten eine Zeitlang das Arbeiten eingestellt hat, als das Sausen über ihm anfing, und beifällig hinaufschaute, hat es als junger Bursch genau so gemacht.
Als der Bauer genug Streu für den Stall zu haben glaubt, ruft er den Severin herunter, und gemeinsam führen sie auf dem Ochsenkarren die Fuhre über die steilen Wege heim.
Am Hof wartet in der Stube schon der »Leinbater«, der Weber, der nachfragen will, wann er auf die Stör kommen kann. Er muß es sich einteilen mit der Zeit; viele von den Bergbauern haben noch die Webstühle unter dem Dach stehen und lassen im Hause weben. Auf den Kralehnerhof kommt er gern, er findet selten so schön gesponnenes Garn, und die Leinwand, an der auch er sein Teil Lobes hat, wird mit besonderem Stolz dem ganzen Kirchspiel vorgewiesen. »In der Fasten«, so wird es ausgemacht, kommt der Weber auf den Hof. Jetzt aber schaut er auf dem Dachboden nach dem Webstuhl, stellt ihn zur Probe auf und läßt ihn ein wenig gehen. Am Boden ist es kalt, und als er herunterkommt, hat ihm die Bäuerin eine Schüssel Brocksuppe gerichtet, zur Erwärmung und Stärkung für den Heimweg. Am Haustor verabschiedet er sich vom Bauern. »Schnee kommt bald«, sagt er, »die Hunde wittern ihn schon.« Rauchige weiße Wolken heben sich langsam am dunkelgrauen Horizont.
Draußen im Obstgarten, der dem Hof vorgelagert ist, verweilt der Weber noch und schaut dem Knecht zu, der kundig die Fruchtscheiben um die Bäume ausgehoben hat, jetzt legt er Leimstreifen um die Baumstämme. 58
Im Blumengarten aber deckt die jüngste Magd die mehrjährigen Gewächse zu mit dicken, abgenähten Strohmatten; die Rosenstöcke bindet sie mit Stroh und Tüchern ein und biegt die Kronen sacht nieder an die Erde. In der Stube drinnen redet die Bäuerin mit der Dirn vom Nachbarhof. Die Dirn kommt zum neuen Jahr auf den Kralehnerhof mit ihrem geerbten bemalten Kasten, in dem der bändergeschmückte Stockhut und ihr Gewand geborgen sind. Das ist ihre Habe, und mehr wird sie bei aller Arbeit auch wohl in fünfzehn Jahren nicht besitzen.
In der Stube ist es nun schon ganz dämmerig. Die Bäuerin schiebt noch ein paar große Scheiter in den Ofen, dann holt sie aus dem Korn große gelbe Äpfel, die zum Braten ins Rohr kommen. Franzl und Mathies sind schon in der Stube, bald kommt auch der Bauer mit dem Severin. Draußen ist es dunkel, nur vom Ofen fällt der Lichtschein in die Stube. Zuletzt kommen auch die Großmagd und die Jungmagd aus dem Stall. Für heute ist alle Arbeit getan.
Sie sitzen beisammen, die Männer rauchen und ruhen, die Frauen flüstern vom gestrigen Brechelfest. Die Äpfel duften und brutzeln. Die Stubenuhr schlägt und ihre Gewichte rasseln. Eine Schüssel Suppe, Brot und die Äpfel, das ist das Abendessen, das die Bäuerin später auf den Tisch stellt.
Den Englischen Gruß beten die Leute noch miteinander. Darauf, als die Glocke aus der fernen Dorfkirche zu schallen aufgehört hat, geht alles zur Ruhe.
Draußen fällt dicht und in großen Flocken der erste Schnee im Jahr. Nun wird der Hof bald abgeschieden sein von der Welt. Am frühen Morgen bahnen meine Füße den ersten Pfad hinab ins Tal. Zur Seite geht das ewig fließende Wasser, das aus der winterlichen Einsamkeit des Berggehöftes seinen Weg in die Welt findet. Wo immer ein Wasser rauscht, wird mein Gedenken hinauf zu den Bergbauern gehen. 59