Hans Leifhelm
Steirische Bauern
Hans Leifhelm

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Unterwegs

Ein Mann führt ein Pferd, das den landesüblichen kleinen Gebirgskarren zieht. Das Pferd heißt »Spiegel« und ist verläßlich und stark. Da der ausgewaschene Hohlweg durchfahren ist, verknotet der Fuhrmann die Leine und tritt hinter den Karren. Jetzt haben wir Zeit genug, einen Gesprächsfaden zu spinnen; denn der gleichmäßig steigende Weg hat noch lange nicht die Höhe erreiche und das Pferd bedarf keines ermunternden Zurufs, es legt selber die Ruhepausen ein, um zu verschnaufen und zieht von selber wieder an. So reden wir – vom Wetter, vom Kornschnitt, von den Zuwächsen im Stall – und bevor wir noch die Hochfläche von St. Oswald erreicht haben, gewinne ich eine kleine Vorstellung davon, wie es um meinen Begleiter und sein Haus bestellt ist, ich kenne sogar seine Kinder mit Namen, ebenso die Dienstleute und ein Stück von der Dorfgeschichte.

Mein Begleiter hat mich eingeladen, bei ihm über Nacht zu bleiben. So hat mein Weg für heute sein Ziel gefunden und es ergibt sich, daß ich bei der Ankunft schon guten Bekannten die Hand schüttle, das Nachtmahl mit ihnen teile und nachher vor der Haustür auf der langen Holzbank sitze, während der fünfzehnjährige Severin neben dem immerfort fließenden Brunnen die Ziehharmonika spielt. Es ist ein Feierabend, wie er in aller Welt gehalten wird, wo der Mensch noch seine Hände rühren 4 kann, sein Stück Erde unter sich hat und wo die Sterne nicht verscheucht sind.

Als alles schlafen gegangen ist, stehe ich noch lange am offenen Fenster. Die Spätsommernacht ist hell von Sternen, die Berge stehen im magischen Licht, eine große leuchtende Wolkenbank zieht von Norden nach Süden über den nächtigen Himmel. Inbrünstiger als am Tage verhauchen die Wälder und Wiesen ihren Duft.

Der frühe Morgen sieht alle bei der Arbeit, der uralten, mit kräftiger Hand und guter Überlegung zu tuenden Arbeit, alle Männer, bis hinunter zu Severin, mit den mähenden Sensen auf der großen Bergwiese, wo das Grummet so rasch fällt, daß die Mädchen mit dem Ausspreiten kaum Schritt halten können. Wenn sie zu arg in Verzug geraten, stellt sich der Vormäher breitbeinig hin und dengelt spöttisch am Beschlag, ausdauernd und gehässig, und dem letzten klingenden Schlag läßt er einen weitschallenden Juchzer folgen, den die Mädchen mit Schweigen und verdoppelter Arbeit entgelten.

Ich bleibe länger, als ich gedacht habe, es gibt manches zu tun und zu besprechen. Schon bin ich eingesponnen in das Tun und Treiben auf dem Hofe, schon kenne ich die Wege zum Holzschlag, zur Weide und hinauf auf die Hube, wo die freundliche Eva mir die Rührmilch bereitstellt und Tabak für den »Moar« in Tausch nimmt.

Eines Abends finde ich in meiner Kammer einen Teppich, den die Bäuerin ausgebreitet hat. Der Teppich ist in leuchtenden Farben gewirkt, ein Webteppich. Kette und Schuß aus starken, gedrehten Wollfäden, jeder Faden dick wie Spagat. Er erinnert mich an die Handarbeit schwedischer Weber, bestimmt hat ihn keine Fabrik hergestellt. Die Vermutung bestätigt sich, unten bei St. Kathrein im Mühltal wohnt der Handweber, der diese und andere Dinge ins Haus geliefert hat. Für den nächsten Tag beschließe ich einen Besuch beim Weber Andreas Orthuber.

Den Weg habe ich mir beschreiben lassen; er führt eine Weile 5 über die Hochfläche, an Lärchenbestand und felsübersäten Hügeln entlang und senkt sich dann ins Tal. Während ich dahingehe, erklingt die Sterbeglocke für den alten Faustin, der droben im höchsten Hofe des Kirchspieles wohnt und der mit fünfundachtzig Jahren sein Leben beschließt.

Ich komme nach St. Kathrein und finde leicht ins Mühltal. Am letzten Hause erblicke ich eine Holztafel. Andreas Orthuber steht darauf geschrieben. Kinder, die ich nach dem Weber frage, antworten: »Der Vater ist in der Werkstatt.« Nun suche ich die Werkstatt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß in der kleinen Holzhütte, unter deren Bretterboden der Bach hervorschießt, die Werkstatt sein soll. Aber durchs Fenster sehe ich einen Webstuhl.

Bei meinem Eintritt stockt der Gang des Stuhles. Ein schmaler, dunkelhaariger Mann sitzt auf der Bank und fängt nun wieder an, das Schiffchen durch die Kette zu werfen. Ich sage ihm, daß ich Werkstatt und fertige Arbeiten sehen möchte. »A bissele noch, bittschön«, erwidert er und rückt den hölzernen Spanner, auf dem die Buchstaben A und O und die Jahreszahl 1780 in zierlicher Schrift stehen, ein Stück nach vorn. Das Stück »Raß«, ein Gewebe, das die Bauern für ihre Arbeitskleidung brauchen, rollt sich in gleichmäßiger Breite auf den Zeugbaum auf.

Dann bleiben alle Fäden, die eben noch in rätselhafter Bewegung waren, stillstehen und der Weber verläßt mit behendem Sprung den Stuhl. Er schüttelt mir die Hand, entschuldigt die Verzögerung und zeigt mir zunächst die Werkstatt. »Eigentlich bin ich aus dem Lungau«, erzählt er, »meine Vorfahren waren alle Weber, derjenige, der den Stuhl da angeschafft hat, trug den gleichen Namen wie ich. Mein Bruder ist droben geblieben, er hat Sorge genug, für den Vater, die Frau und fünf Kinder das Brot zu schaffen. Vor fünfzehn Jahren bin ich hergekommen, mit einem Kasten voll Werkzeug. Den Webstuhl habe ich mir dann nachschicken lassen.«

Er öffnet die Tür zu einem Nebengelaß. »Hier steht der 6 Krampler, hier kommt die Wolle hinein, wird zerzaust, zerrupft, manchmal wird helle Wolle mit dunkler gemischt, dann« – seine schmalen, dünnfingerigen Hände weisen auf eine andere Maschine – »dann kommt sie dort hinein, wird noch einmal gerauft, ›kartatscht‹ heißen wir's, und so« – eine Wolke federleichter Wolle sitzt wie geballtes schneeiges Spinnweb auf seiner Hand – »so ist die Wolle spinnfertig. Jetzt kommt sie auf die Spinnmaschine und wird gesponnen.« Er führt mich an der Spinnmaschine vorüber und weiter, ein riesengroßer Haspel füllt den Raum, und von vielen Spulen laufen die Fäden auf den Haspel, der sich gleichmäßig dreht. Ich staune, doch der Weber lächelt und sagt: »Ja, das Bergwasser ist gut, so brauche ich keinen Motor, könnt' mir auch keinen leisten.« Ein großes Mühlrad läuft hinter dem Hause und liefert die Antriebskraft.

»Vom Haspel kommt die Strähne in die Farb', ich färbe alles selber und die Farben sind genau so haltbar wie die indanthrenen.« Dann ist die Wolle bereit und wird auf den Stuhl genommen. Das Stück »Raß«, das gerade in Arbeit ist, besteht in der Kette aus Leinen und im Schuß aus Wolle, es ist stark genoppt, leuchtend grün gefärbt und ergibt einen kräftigen schönen Stoff.

Der Weber wird immer aufgeschlossener. »Jetzt wollen Sie die fertigen Stücke sehen«, fragt er und führt mich in die Schlafkammer, deren eine Seite ein großer Schrank einnimmt, bis ins letzte Fach gefüllt mit den Webarbeiten. Da gibt es derbe und zarte Gewandstücke, pastellfarbene Teppiche, die aus zu Streifen geschnittenen Resten gewebt sind und deren Kette aus Rupfenfäden besteht, Tischdecken in leuchtendem Bunt, Bettdecken mit alten Ornamentmustern. Mit leisem Stolz berichtet der Weber von der Anerkennung und Zufriedenheit der Kundschaft. Ich suche mir den Stoff zu einem Janker aus, zahle den billigen Kaufpreis und verabschiede mich vom Weber und seinen Kindern.

Beim Abschied vom Mühltal werfe ich noch einen Blick auf 7 die prangenden Bauerngärten, wo alles blüht, Astern, Gladiolen, Montpretien, Löwenmaul, Phlox und Kapuzinerkressen. Die Farben sind die gleichen, wie sie des Webers kunstfertige Hand den Arbeitsstücken verleiht. Jetzt ist mein Blick geschärft, in manchem Hause, an manchem Gewand erkenne ich der Webstücke Ursprung. Der Handwerker verschmäht es, seinen Erzeugnissen eine Marke oder ein Namenssiegel einzuprägen, ihm genügt es, daß das echte Werk namenlos für den Meister zeugt.

Abends berichte ich meinen Hausleuten vom heutigen Besuch. Sie kennen ihn gut, den Weber. Im Winter kommt er auf die Stör, sofern die Bauern noch über einen Webstuhl verfügen, er wandert von Hof zu Hof, seine Spuren finden sich weit ringsum in der ganzen Gegend.

Am andern Tage wandre ich meinen Weg weiter. Auf dem steilen Bergpfad überholen mich drei schnellfüßige Buben. Auf die Frage nach Wohin und Woher erfahre ich, daß sie vom Dorf kommen. Sie gehen »zum Faustin zum Beten«. Ich komme dann am letzten Hofe des Kirchspiels vorüber. Im Schuppen steht der Karren bereit, rings mit Astern geschmückt. Er wird morgen früh den alten Faustin hinabführen zum Kirchhof.

Die ganze Gemeinde wird ihm das Geleit geben. Dann wird er zur Erde bestattet, zur Erde, die er bewohnt und begangen, die er mit seinem Pfluge gepflügt und in die er Jahr für Jahr seine Saat eingesät hat. Nun wird er selber zur Saat, die in das dunkle Erdreich eingetan wird. Die Wasser werden durch seinen Leib rinnen, die Wurzeln werden in ihm wurzeln. Aus den Büschen und Bäumen schaut mich schon des alten Faustin Antlitz an wie das der vergangenen Geschlechter. 8

 


 


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