Hans Leifhelm
Steirische Bauern
Hans Leifhelm

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Hubenleute

Ausgesetzt am Rande der besiedelten Welt hausen die Hubenleute. Ihr Dasein ist wie das der Küstenbauern und Fischer von der Härte des Lebenskampfes gezeichnet, von der Gefahr umwittert, von der Not gestempelt.

Hubenleute – wer denkt ihrer, wer weiß von ihnen und ihrem harten Kampf um das Dasein. Als namenlose, aber unentbehrliche Mittler hausen sie zwischen Bergdorf und Almregion. Klein ist der Lohn und kärglich die Lebensfristung. Sommers und winters leben sie auf der Hube, dem »Zulehen« in der Sprache der Alten. Sie sind zufrieden, noch Dienst bei den Bauern zu finden, die Arbeitsleute mit den vielen Kindern, oder die schon alternden Menschen mit müdem Rücken und verarbeiteten Gliedern. Sie sind froh, Unterschlupf und sicheres Brot zu haben.

Die Hubenleute stehen auf dem Vorposten des alpinen Arbeitslebens, sie bewachen die Grenzen der bäuerlichen Siedlung. Sie sind gleichsam Deichbauern der Höhe und Lotsen der pfadlosen Almen.

Die Hube entbehrt nicht ganz der Ackerbestellung und verbindet damit bereits die Nutzung der Bergweiden. Darüber hinaus aber ist sie das Glied zwischen dem dörflichen Hof und der Hochalm.

Es liegt vielleicht das Bergdorf im Hochtal, schon in der Region der Tausendmeterhöhe. Manche Hube ist vom Dorf aus sichtbar, hoch am Hang gelegen, manche aber liegt verborgen droben in den Bergwäldern oder in einem Einschnitt. In 17 Windungen gehen die ausgefurchten und steinigen Fahrwege und die Pfade hinauf in die Einsamkeit des Gebirges. Bald sind die Wälder erreicht, die mit ihrer Dunkelheit ein anderes Leben bergen. Durch den Hochwald, durch den Jungwald führt die selten begangene Spur, über die harzduftende Lichtung, wo der goldgefleckte Wegwartel langsam den Steig überkriecht und wo die Kreuzotter im Schwarzbeergestrüpp wohnt. Oft dauert es Stunden, bis die große Waldblöße sich öffnet. Dann aber breiten sich lichtdurchflutete Wiesen in den Mulden und an den Lehnen aus, in denen vereinzelte uralte Lärchen ihre sonnenhungrigen Kronen mächtig und hoch entfalten. Kinderstimmen oder Geräusche menschlicher Arbeit verraten die Nähe der Hube. Der immerfort fließende Brunnen ergießt seinen klingenden Strahl in den ausgehöhlten Trog.

Altersgrau sind oft die hüttenähnlichen Häuser, zermorscht die Schindeldächer. Aber die sorgende Hand des »Moars« und der »Moarin« hat die Zäune gerichtet, den kärglichen Acker bestellt, den kleinen Garten gehegt. Wetterhartes Gemüse, kräftiger Salat, ein paar kärgliche Ribiselsträucher besiedeln den Bauerngarten, aber Blumen und wohlriechendes Kraut schmücken Beetrand und Zaun, Rosmarin, Zitronkraut, Kapuzinerkresse und üppige Polster von Nelken. Selten steht ein Kirschbaum beim Garten, dessen kleine schwarze Früchte erst gegen den Ausgang des Sommers reifen.

Die Hubenkinder sind an den Berg gewöhnt. Es mag sein, daß sie das erstemal aus der freien Höhe niedersteigen, wenn die Schule sie aufnimmt. Dann beginnt aber auch gleich mit bitterer Schärfe der Lebenskampf. Wege, die der Talbewohner im heiteren Sommer bereits mit Beschwerde ersteigt, müssen die Kinder zu aller Zeit am frühen Morgen und am späten Tag gehen. Nur wenn der Berg vermurt ist oder die großen Unwetter des Frühjahres und Herbstes niederbrechen, bleiben die Kinder auf der 18 Hube. Sonst finden sie auch durch Schnee und verschlammten Grund ihren Weg. Die Größeren voran, die Kleineren hinterdrein, so streben sie schnellfüßig zu Tal. Mancher Bub, manches Mädel hat zuerst einen sorgenvollen Teil seines Schulpfades allein vor sich, bis an der Wegscheid die erwarteten Gefährten von den Nachbarhuben zu treffen sind. Wenn es die Witterung erlaubt, wird das kostbare Schuhzeug gespart und barfuß geht der sichere Schritt über Stein und Wurzelstock. In der schulfreien Zeit aber wartet droben auch auf die Kinder schon Arbeit. Selten, am Sonntag vielleicht, ist ein Gang zum Nachbarn erlaubt, der weit entfernt wohnt, durch den Einschnitt des Wildwassers getrennt, oder vom dichten Bergwald verborgen.

Die Erwachsenen aber haben es härter. Da schafft die Hubenmoarin, von manchem Kindbett beschwert, das in dieser Abgeschiedenheit jedesmal ein Kampf mit ungewissem Ausgang ist, von der ersten Dämmerung bis in die Nacht. Da ringt der Hubenmoar dem steinigen Grund seine karge Fechsung ab, aber nicht für sich, sondern für den Bauer im Dorf. Er selber liefert den Ertrag von Feld und Stall auf den Hof und von dort wird er mit Brot und den anderen Mitteln der Lebensfristung versorgt. Vielleicht ist es ihm erlaubt, ein Schwein, ein Schaf für sich mitzufüttern.

Vom guten Willen des Hofbauern hängt es ab, ob Nahrung und Kleidung der Hubenleute etwas reichlicher ausfallen oder nicht. Ein hartherziger Bauer läßt vielleicht die Katze der Hubenleute erschlagen, damit sie der Milch, die die Hube für ihn gewinnt, keinen Abbruch tut. Ein anderer verlangt, daß der Moar, der auf einem seiner Almgänge ein mutterloses Lamm gefunden hat, dieses auf den Hof abliefert. Setzen die Hubenleute den Kampf siegreich durch, so hegen sie das Tier als einen kostbaren Besitz. Mit der Flasche wird es aufgezogen, und wenn es dann endlich Wolle bringt, hat die Hubenmoarin erwünschte Arbeit für das Spinnrad an langen Winterabenden. 19

Das Arbeitsfeld des Hubenmoars ist nicht in der Hube begrenzt. Er hat auch weitere Wege zu gehen. Im Bergwald gesellt er sich zu den Knechten des Hofes und arbeitet mit bei der Schlägerung des Holzes. Die Erträgnisse der Hube bringt er zu einem erheblichen Teil auf seinen Schultern hinab ins Tal. Nach der Schneeschmelze führt ihn seine Pflicht in die oberen Almgründe. Er richtet alles für den sommerlichen Einzug des Viehs. Wenn aber die Almen bevölkert sind, hat er die Nachschau zu üben, dort, wo die Alm keine eigene Sennhütte hat. Dann kann es vorkommen, daß er den Tag und die Nacht unterwegs ist, um die ausgebrochenen Ochsen ausfindig zu machen oder um ein verstiegenes Tier zu bergen.

Der Sonntag führt ihn oder manchmal auch sein Weib hinunter in das Dorf und auf den Hof. Das ist für manche ein Weg von vielen Stunden. Was die nächste Woche an Lebensmitteln erfordert, wird ihm unten zugeteilt, und er trägt alles auf dem Rücken in sein Heim.

Frühling auf der Hube – das ist die Zeit, die schon seit der ersten Kindheit das Herz der Hubenleute aufrührt. Da werden die Wasser in den Bergen lebendig. Lang hat die Schneelast den Bergwald gedrückt und die Gründe begraben, lang hat das Eis die Brunnen und Bäche gefesselt. Jetzt bricht aus Südsüdwest der Jauk über die Kämme und läßt die Erde und die Herzen erzittern. Das Eis zergeht, es tropft von Dächern und Bäumen, und Rinnsal neben Rinnsal zerreißt die Schneedecke. Die Pfade werden grundlos. Von den steilen Hängen droht die Lahn. Wie Stundenschlag der großen Bergeinsamkeit gehen dröhnend und dumpf die Schneelasten zu Tal.

Dann kommt jäh erste Blüte und erstes Grün. In einem Glanze und einer Frische, die der Talbewohner niemals schaut, begleitet der prangende Rausch der Bergblüte den Frühling der Hubenleute. Und dann erblühen die Bergwiesen. Über der 20 Blumen Sterne und Glocken geht die leuchtende Bahn der länger kreisenden Sonne.

Die Lichtfarbe der Primeln, das dunkle Blau der Enziane, die Sternblüten der Margeriten, die gelben Kugeln der Ranunkeln geleiten in den Bergsommer. Das goldene Ringelspiel der wilden Lilie schimmert durch die Gräser.

Jetzt haben auch die Gäste der warmen Zeit den Weg in die Berghöhe wieder gefunden: die Ammern gehen tauchend durchs Feld. Um die Hube kreisen die Schwalben. Im Bergwald hochzeitet der Uhu und gurrt die wilde Taube. Der Sommer ist da und bald sind die Almen entbrannt im leuchtenden Feuer des Rhododendron.

Dann wird die Hube von lautem Leben erfüllt, denn von unten kommen die Mäher zur Heuernte. Es herrscht fremder Laut auf der Hube, es kommt viel Botschaft und Arbeit aus dem Tal. Drei Tage rauschen unablässig die Sensen durch die Wiesen, drei Tage sengt die Sonne die gefällten Mahden. Der Wind der die Täler befährt, ist gesättigt mit dem würzigen Duft des Bergheus. Dann schwanken die Fuder über steile Lehnen und durch Hohlwege talwärts.

Spät reift oben das Korn auf kargem Hubengrund. Der herbstkühle Wind zerrt an den kurzbündigen Garben. Jetzt sind die Schwalben fort. Es kommen bald die Herbstnächte mit den über bergigem Horizont auftauchenden Wintergestirnen. Flammend ziehen die Sternschnuppen durch die klare Mitternacht. In diesigen Nächten röhrt der Hirsch aus der Lichtung. Das Vieh hat die Alm verlassen, und die Hube steht wiederum einsam am Ende der dörflichen Welt.

Dann bleiben die Wandernden aus. Die Äcker liegen braun mit nackten Schollen, olivgrau rasten die Wiesen. Die Tage des Vorwinters tauchen die Hube noch einmal in goldenen Glanz, aus den Nebeln der Täler heben sich die Bergzüge mit leicht beschneiten Kuppen. Die Hänge liegen ohne Schnee, aber starrer Reif umkleidet schon winterlich Baum und Strauch. 21 Blanke Eisflächen bezeichnen den Weg der abwärtsgehenden Wasserfäden. Das Wildwasser wühlt an seichteren Stellen schon unter dem Eis. Wie aus Bergkristall geschliffen hängen die Eisschollen um die Gräser und die bloßgespülten Wurzeln.

Niedrig steht die Sonne im Mittag. Mit stumpfem Grün hebt sich der Fichtenwald vom kahlen Berghang ab. Bronzefarben leuchten darin die nackten Lärchen.

So geht die Hube in den schneereichen Winter. Die Hubenleute rüsten für die einsamste Zeit. Nach dem geründeten Dezembermond fällt der Schnee. Jeden Morgen liegt die Hube ohne Pfad und Weg auf dem Berg. Nur die Schleifspuren der Holzschlitten und die Fußstapfen kindlicher Füße weisen den Weg ins Dorf. Noch mehr als zu anderer Zeit ist der Mensch der Hube auf sich gestellt am Rand der besiedelten Welt.

 


 


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