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Der Text zu einer Kantate

Aber auch sonst – für den täglichen beliebigen Gebrauch jedes einzelnsten Gläubigen! – diese Verse gedacht: als eine neue kräftige Vorbereitung und Ausrüstung zu der Heiligen Wallfahrt, das ist: zu der andächtigen Besuchung des schmerzhaften Kreuzwegs, welchen unser Herr und Heiland Jesus Christus, mit dem Kreuz beladen, vom Richthaus Pilati bis auf den Berg Kalvari gegangen ist, abgeteilet in fünfzehn Stationen oder Betorte, aufgerichtet von den PP. Franciskanern in unterschiedlichen Orten und Konventen.

Der erste Teil

1

Wie ich in die wölb'ge Kirche trete,
hab ich – wieder! – leider! – kaum ein Stündchen Zeit
zu dem vorgenommenen Gebete:
dafür, Herr, daß Du mir eine stete
nie aussetzend weite Ewigkeit
in dem gold'nen Himmelssaale
unverbrüchlich garantierst
– ja sogar den Platz zum geist'gen Mahle
schon im Voraus zärtlich reservierst,
wo ich des Gesanges voll
Dich anschauend sitzen soll ...

2

Oh! ich bin wie jener schlechte Bräutigam
– ruft ihm noch so sehr die süße Braut! –,
der sich stets zu kargen Urlaub nahm
und nur g'rade im Vorbeigehn kam
und – wo sich die Braut ein Leben
lang ihm will zu eigen geben! –
siehst! – schon wieder nach dem Uhrenzeiger schaut ...

3

Doch – schon spür' ich kochend heiße Scham
auf dem Herzen, auf den Wangen malen
ihre rosa Zirkel mir und Zahlen –!
Oh! wie wohl verdien' ich solchen blâme
und wie stehn – gleich Stigmata! – mir gut
all' die schnöd' Dir vorenthalt'nen Wochen
nun zu Gram und Schande ausgebrochen
– Fieberrosen! – mir aus meinem Blut ...

4

Und mit einmal fühl' ich, Herr: Heut' wird es gehn!
Heute werd' den Gang ich Deines Leidens
bis Kalvari und am Kreuz Verscheidens
deutlich – wie Mechanoplastik! – sehn!
Wie zur Maidult, weißt Du, in dem Zelt:
– währenddem Gesang krieg'rischer Buren
(echt Import und lebend ausgestellt)
über'n halben Exerzierplatz gellt –
ich vor automat'schen Wachsfiguren!
Oh! wie starb der Siebz'gerkämpfer schwer, da schwer
und verröchelte schier ewig Alexander,
Serbiens umgebrung'ner König, ungefähr
vierzehn Offiziersdeg'nstiche über'nander!
Richtig teils nach Todesschweiß, teils ledern
von den Koppeln, von den Stiefeln roch's mich an,
während draußd' die Orgel neu begann
ihren Faustwalzer zu pledern
und hier drinn' unsichtbar wer die Federn,
unsichtbar versteckt unter'n Monturen,
frisch aufzog wie Regulatoruhren ...
Herr, das können Reinhardt's Illusionen
nicht, noch kann es Oberammergau –
ja nicht mal Bayreuth darf man hier schonen,
Richard Wagners Sohn und zweite Frau:
wie die Brustkästen aufs neu von jenen beiden
werkten (wie ich's sonst nur noch beim Eisgang sah!)
– g'nau so weis mir heut' Dein bitt'res Leiden
von Pilato bis gen Golgatha! ...

5

Bist du also nun bereit und machen
wir uns jetzo – ja? – ja? – sogleich auf?
– Halt! – ach! zum wievielsten Mal, zum trillionenfachen,
startest insgesamt wohl schon zu diesem Lauf,
edelster der Renner, Du?! allzeit
als totsicherste der Sachen
meistgetippt von aller Christenheit!

– – – – – – – – – – – – – – – – –

Doch was red' ich mir rein sportiv's vor!
– Wie die Blumen tun in einem Garten,
ohn' erst mit dem Blüh'n mich abzuwarten
– wie der Wind zuschlägt das Kirchentor so
wie vierundzwanzigstundenweise
je in einem Bruchteil der Sekunde
je auf einem vorgeschritt'nern Punkt
Zoll für Zoll die ganze Erdenrunde
die Sonn' auftaucht oder untertunkt
(auch wenn ich ihr nicht eigens nachreise!)
: Du bist edler, Herr, denn alle Pferde!
denn lieg' ich hier ob'n selbst just in Schlaf,
demonstrierst Du in der unter'n Erde
sicher eben Tausend'n, was Dich traf –
all' die Wunden – Anspei'n und Verhöhnung –
Backenstreiche – Geiß'lung – spött'sche Krönung ...

6

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

... und da deutet Deiner Blicke Spur
her auf mich: In Deines Aug's Email
aufgemalt in kleinster Miniatur
gleich Blutäderchen so feinstens nur
und jedennoch bis ins rasendste Detail
die fünfzehn Stationen! Wohlgezählte Mandel
von Torturen Dir eintätowiert!
von Pilati schmutz'gem Seifenhandel
angefangen – bis, hypnotisiert
und stigmatisiert, die sozusagen
Katharina Emmerich die Erste
(vulgo vielmehr Kais'rin Helena)
durch den modernd'n Erdbod'n durch das allerschwerste
Kunststück konnte und den Kreuzesschragen,
den die Englischen selbst als verlor'n beklagen,
nach so langen Jahr'n phosphoreszieren sah ...

*

Übrigens, wie Du bisweilen Frauen
– oh! beneidenswert! – bevorzugt hast:
Was dürft' Helena, was Katharina schauen
auf so Traum-Reisen, die ohne Rast
– magisch – statt voll Ängste und Gefahren
stets nur voller neuer Wunder waren!
Wie auch von bloß blöd-vernünft'gem Denken
heiltest Du zu unheilbarem Wahn
jene and're Nonn' – zu Nur-mehr-daran-Denken:
wo man Deine Orlo hingetan
haben mochte – einst bei Deiner Szude,
süßer Knabe, allersüßter Jude!

*

Herr, beleih' mich mit annähernd gleicher
Hysterie wie die drei sel'gen Frau'n:
Deines Leibes Elfenbein noch bleicher,
rosenfarb'ner noch Dein Blut zu schaun –
ja aus Deinem spitzen Dornenhut
bis in'n krausten Vollbart spritzend Blut:
als tätst durch Jerusalemer Haufen
Volks und Gassen wahrlich Maschk'ra laufen!

Der zweite Teil

I

Nun aber – brausend einsetzende Orgel. Auf einen jeden Fäll heißt das: ob dies Gedicht nun als Kreuzweg-Kantate in größtem Stil vertont und dito aufgeführt wird – oder ob's jener eingangs erwähnte einzelnste Beter betet, in welch letzterer Situation doch der Organist der betr. Kirche gerade ein Orgelstück zu morgen oder übermorgen Sonntag oder Feiertag etwa ausprobieren kann.

Märtyrer! Märtyrerinnen!
Der ganze Heiligenkalender
muß herbei!
daß in der Kirche hierherinnen
ein solches Leuchten der Gewänder
und solch entsetzliches Geschrei,
ein solches Meer aus Mündern sei,
hoch übersteigend alle Ränder –
Wozu hat man sonst Kirchen gebaut?
Kirchen sollen – wie rosige Muscheln enthalten
nach tausend Jahr'n noch des Meeres tosigen Laut –:
so sollen Kirchen den nie verhallten
und nie verhallenden Schrei verwalten,
der einst durchs Mark des Universums ging,
sich an des kleinsten Käfers Panzerring
als wie am fernsten Stern verfing:

MEIN GOTT – ER STIRBT!

   

II

Das letztere war recht wie ein universaler Schrei aus der vielstimmigen großen Orgel: welches man sehr wohl machen kann. – Und dieses Folgende aber ganz leise nur und wie ganz fassungslos in – was es doch ebenfalls gibt! – in der besonderen Vox humana weiter:

Und starb so gräßlich! – Konnt' sich kein mal
ein weniges nur von dem Sterbebett aufheben,
nach Luft zu fassen aus Röchelns Qual:
Dazu war Sein Bett viel zu schmal
und lag dabei noch nicht 'mal eben –
sondern stak senkrecht! war ja ein Pfahl! –

– – – – – – – – – – – – –

mit rostigen Nägeln drangegeben
Sein Fleisch –

*

        wie Fahnen naß an Stangen kleben,
wenn abzieht der Gewitterwind ...
oder weißt du noch – als Kind?
Wie in der Kindheitszeit einmal
auf der heißen Ofenplatte
der Vater ein Spiel uns aufgestellt hatte:
an einer Stricknadel ein papieren' Spiral
– unruhvoll – wie eine Apfelschal' –

– – – – – – – – – – – – –

oh jenes ringelnd ewig Höherschweben –!

III

Von fern, immer näher kommend, von Pilati Richthaus her gen Kalvari – den abenteuerlichen Zug hat pittoresk das Orchester auszudrücken. Eine ganze Weile. – Bis dann die Stimmen nacheinander – zu einer Fuge, sich bis zum Paroxysmus steigernd – einfallen:

Fühlt sich nicht selbst ungläubigste Sohl'
magnetisch an Deinen Fußstapfen hangen?
– Nicht gar so eiskalt ist auch Simon wohl,
quasi 's Baumfuhrwerk steuernd, hinter Dir einhergangen!

Ab ich – aber ich – ich will umgekehrt
Dir bereits vom Kalvari entgegenkommen:
in meinem Herzen Mariä Schwert
und Veronikas Kopftuch umgenommen!

Da! – – naht s' jetzt nicht um die Ecke, die kommandiert' Schar?
– Den Pallasch im Herzen, mit flatternden Schleiern
stürz' ich laut weinend auf Dich dar:
das tragischste Wiedersehn zu feiern!

Welch' Aufeinanderprall – wie im dörflichsten Tanz –
Der Knechte Geißeln – wie Cellosaiten
karawatschen s' ums Kreuzholz – das ist ganz Resonanz
und sinkt um – wie die Tänzerin – unter Armeausbreiten –

IV

Rezitativisch. Indes von mehreren, einander scheinbar widerstreitenden Stimmen ausgeführt:

Oh, Herr, nun weiß ich so Bescheid – kannst mich direkt ausfragen:
ob nicht amende blau das Kleid, das der und die getragen,
und ob da nicht ein Haus vorstand und wie die Morgenstrahlen
Dich warfen gegen selb'ge Wand – ich glaub', ich könnt's mit einiger Hand nachmalen! –

Du aber, blutig's Opferlamm, fährst unter Schrein und Stoßen
der Henker nicht so sehr zusamm' als vom alleinigen bloßen
Drandenken, es käm mir in'n Sinn, daß ich doch von dem allen
nur ich allein die Ursach' bin: vom dreimaligen Fallen

und Nägeln durch den hohen Spann der Füße, durch die Teller
der Hände, denen's Blut entrann, ausholend wie Propeller
und mit turbinengleichem Schwung – – Eh' wolltst mit schneidend Zähnen

abbeißen Dir die eig'ne Zung' und an den eig'nen Tränen
nach innen zu ertrinken, eh' daß ich es sollte merken:
daß all' Dein Tod mitsamt dem graus'gen Weh woraus entstammt? – Aus meinen sündigen Werken!
Aus meinen stündlichen mehr als sündlichen Werken!

V
Zwischenspiel

Eine einzelne Stimme sich hier vor Schluß noch hereindrängend: ein einziges selbstzerstörerisches Lachen:

Und eh Du starbst – noch kurz ehvor:
da gab's nicht Sekt. –
Da hat man Dir auf Ysop-Rohr
nur einen sand'gen Schwamm empor
zum Mund gereckt.

Voll Essig und voll Gall' der Schwamm
(dazu schien's Nacht!)
flügelt, ein Vogel, um den Stamm –
gambt Dich! – Dir zieht's die Kiefer z'samm' –

»ES IST VOLLBRACHT« ...

– Wie sollt' ich je vergessen,
daß meiner Sünden Niederschlag
im Essig und der Galle lag,
»zu trinken und zu essen«!

(Psalm 69, 22)

VI
Abgesang

ZUR ERLANGUNG ALLER NACHLÄSSE

(Nach der Meinung des Heiligen Vaters.)


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